23. Juli 2010

Schwarz zu Blau mal anders

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 08:56

Bekanntermaßen ist der Klangverführer bekennender Peter Fox-Fan. Insbesondere die Berlin-Hymne Schwarz zu Blau hat es mir angetan.
Wie dieser Song jenseits des HipHop-Genres klingt, zeigt uns jetzt der Stuttgarter Barde Philipp Poisel, der daraus eine entspannte Singer/
Songwriter-Nummer gemacht hat, die es noch dazu als kostenlosen MP3-Download gibt, und zwar hier. Poisels neues Album Bis nach Toulouse erscheint am 27. August.

22. Juli 2010

Klangverführer-Konzertkritik:
Ein Abend mit Agnes Obel und I Am Kloot

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 07:05

Es fühlt sich seltsam an, an diesem 21. Juli 2010 als geladener Gast im Admiralspalast zu sein, habe ich doch meine gefühlte halbe Jugend in dem damals noch Metropol Theater geheißenen Haus verbracht, stets Künstler-, Keller- und andere Hintereingänge nutzend. Das kam so: Irgendwann schenkten meine Eltern mir und einer Freundin, es muss zu Weihnachten gewesen sein, Karten für das – ja, das ist jetzt peinlich – Andrew Lloyd Webber-Musical Jesus Christ Superstar. Eigentlich sind wir, mal abgesehen von Cabaret, gar keine besonderen Musical-Fans. Ich glaube, es war eine besondere Inszenierung, und nach etlichen Jahren eingesperrt in der DDR war natürlich alles, was von den Broadway-Bühnen jetzt auch nach Ostberlin schwappte, erst einmal interessant. Egal. Auch glaube ich mich zu erinnern, dass ein ehemaliger Nachbar erster Geiger im Metropol war. Auch egal. Fakt ist, meine Freundin und ich waren berauscht von Farben, Formen, Tanz, Bühnenbild und Stimmen, wennauch weniger von der Musik selbst. Damals hegten wir selbst noch große musikalische Ambitionen (besagte Freundin ist jetzt übrigens Musical-Sängerin, und ich … naja, sehen Sie selbst), also entschlossen wir uns, den Künstlern nach der Show unsere Aufwartung zu machen. Wir kamen ins Gespräch mit Hauptdarstellern und Ensemble – ich glaube mich ferner an einen großartigen Danny Zolli in der Rolle des Judas zu erinnern –, die uns wohl niedlich fanden und Freikarten für eine kommende Aufführung in die Hand drückten. Schwupps, da war es, da Aha-Erlebnis! Zwei Vorstellungen derselben Sache, das hatte etwas von Finden Sie die zehn Fehler-Suchbild. Ich war fasziniert davon, wie anderes der Abend im Vergleich zu jenem davor war. Davon wollte ich, wahrscheinlich schon immer eher investigativ als musikalisch begabt, mehr!

Fortan trachteten wir, so vielen Aufführungen wie in der Gastspielzeit nur irgend möglich beizuwohnen. Natürlich gab es nicht jedesmal Freikarten, und so wurde der Gang durch den Heizungskeller bzw. Requisitenfundus zur lieben Gewohnheit. Bald schon kannten wir alle Schleichwege und Verstecke, der Pförtner hatte keine Chance. Mit klopfendem Herzen verbargen wir uns in den halbdunklen Gängen, um zu Vorstellungsbeginn irgendwo zwischen Orchestergraben und seitlichem Bühneneingang unauffällig im Publikum zu verschwinden. Da die Show gut besucht war, gab es dann auch das ein oder andere Mal Stehplätze für uns. Mit 15 oder 16 ist einem so etwas aber egal. Heute würde man es wahrscheinlich als Zumutung empfinden … Ich weiß nicht, wie oft ich Jesus Christ Superstar gesehen habe. Ein Musical-Fan bin ich übrigens trotzdem nicht geworden. Die Fähigkeit, mich in Theater bzw. Konzerthäuser einzuschleichen, ist mir allerdings noch lange erhalten geblieben. Irgendwann Anfang zwanzig habe ich sie verloren. Aber jetzt bin ich ja ganz offiziell hier, und ich muss mir immer wieder sagen, dass ich nichts Verbotenes tue. Das gewisse Kribbeln nämlich ist beim Betreten der Spielstätten von damals geblieben.

Ich kaufe mir ein Bier und fahre ins Studio im vierten Stock des historischen Gebäudes. Zufällig nehmen die drei Jungs von I Am Kloot, John Bramwell (vocals/guitar), Peter Jobson (bass) und Andrew Hargreaves (drums), denselben Fahrstuhl. Mit britischer Höflichkeit lässt mir der Bassist den Vortritt. Es ist heiß und stickig, und ich denke nur, hoffentlich bleiben wir nicht stecken! Die Luft wäre innerhalb kürzester Zeit verbraucht. Doch alles funktioniert reibungslos, und so steht dem ungetrübten Konzertgenuss nichts mehr im Wege.

Die in Berlin lebende dänische Sängerin/Songwriterin/Pianistin Agnes Caroline Thaarup Obel eröffnet den Abend mit einigen Songs aus ihrem im September erscheinenden Album Philharmonics.

Obels Orgel, ein MacBook auf ’ner Bierkiste, Effektpedal, zwei Gesangsmikros und ein Cello – mehr braucht es nicht, um ganz zauberhafte Musik zu machen.

Ach, diese Storytelling Pianoplaying Fräuleins, die zu viel Tori Amos gehört haben! Man kann nicht umhin, sie zu mögen! Leider ist ihr Set viel zu schnell vorbei, aber ich habe eine kleine Klangprobe mitgebracht:

Pause. Das – von radioeins geladene – Publikum ist sehr jung, sehr hip, hat sehr hübsche Klamotten an und noch hübschere, winzige elektronische Spielsachen dabei. In seiner Pseudoindividualität ist es schon wieder uniform. Ich nehme mich da in meinem Kopfhörer-T-Shirt gar nicht aus! Allerdings halte ich mich für der deutschen Sprache mehr oder minder mächtig, was den herumschwirrenden Gesprächsfetzen nach zu urteilen nicht selbstverständlich ist. Der Typ neben mir, Marke „Baby ich erklär’ dir die Welt“, erzählt seiner hingerissen lauschenden Begleiterin gerade etwas über seine „selektische Wahrnehmung“. Am Kragen packen möchte man ihn, schütteln und „Lern Deutsch!“ zurufen. Wenn das die typischen radioeins-Hörer sind (immerhin ein Sender, der sich seinem Selbstverständnis zufolge als „nur für Erwachsene“ definiert), dann Gute Nacht, Deutschland. Na, schieben wir es auf die Hitze, die auch das Studio nicht verschont.

I Am Kloot versöhnen mich wieder mit Studio, Publikum und Hitze – spätestens bei ihrem zweiten Song, dem 6/8-ler Desaster, Thema: Suff, wo wunderbarerweise Trompete und Akkordeon ausgepackt werden (okay, im Opener hatte eine Konzertflöte ihren großen Auftritt, das war nicht minder wunderbar!). Die dreiköpfige Band nämlich ist mit Verstärkung angerückt, um ihr neues Album Sky at Night live zu präsentieren. Da spielt der E-Gitarrist Trompete, der Saxophonist Querflöte und der Keyboarder Akkordeon. Schön, wenn man eine klassische Ausbildung vorweisen kann!

Außerdem gibt es den Bandkern, bestehend aus einem netten Bassisten, der einfach mal seine Arbeit am warmweichen Sound macht und keine Zeit für andere Instrumente hat, einem genialen Schlagzeuger, für den dasselbe gilt, und eben Sänger/Akustikgitarristen John Bramwell. Der hat zwar ein „ewiger Junge-Gesicht“ und eine entsprechende Stimme, aber das tut der Show keinen Abbruch.

Schon mit dem vierten Song folgt der nächste 6/8-ler. Statt um Suff geht es diesmal um Insomnie – na ja, soweit voneinander entfernt liegen beide Themen ja nun auch wieder nicht. Und hier wird aus dem vorgetäuscht harmlosen Bramwell ein von seinen Dämonen gequältes Individuum, das mit ganz erstaunlicher Stimme seinen Schmerz rausschreit. Geht doch!

Ein Seitenblick ins Publikum bringt zutage, dass Frau Obel nach ihrem Auftritt in selbigem Platz genommen hat. Eine zarte blonde Elfe im Blümchenkleid hockt mit einer Bierflasche in der Hand auf dem Boden. Ein hübsches Bild, das die Obel umso sympathischer macht.

Die Stadt, von I Am Kloot-Frontmann Bramwell mittlerweile „Tropical Berlin“ getauft („The good news is: It’s rainig in England“, versuchte er das dampfende Publikum aufzumuntern), kocht. Auch Agnes Obel hatte die – bestimmt nicht nur vom Scheinwerferlicht verursachte Hitze – während ihres Auftrittes kommentiert. Das Publikum wedelt sich Luft zu, teils mit klassischen Fächern, teils mit den Ausdrucken der Einladungs-E-Mail. Notiz an mich: Ein Moleskine eignet sich nicht zum Fächern.

Es ist 20:30 Uhr, Sax, Keys und Trompete packen ihre Sachen. Übrig bleiben die drei Herren aus dem Fahrstuhl, um das zu tun, was sie am besten können: einen „Song about Love and Desaster“ zu spielen, das grandiose Twist, ein Stampfer mit Bass-Solo:

evoke the rich tapestry
of love and devotion
emote the sweet saccharine
of all that devotion
forget all about that
and fall in this ocean with me
with me


twist, snap
i love you


there’s blood on your legs
i love you

Und auch den nächsten Song kennen alle. Your Favorite Sky besticht ebenfalls durch seinen zauberhaften Text:

… and so what is love? and who am i? to dare to pull the stars from your favorite sky …

Der vorletzte Song vor der Zugabe, Storm Warning aus dem Natural History-Album (2001) des Manchesteraner Trios ist mein ganz persönlicher Favorit. Wieder einer dieser Stampfer, bei denen I Am Kloot zu gut sind. Wenn sie doch ausschließlich Songs wie diesen machen würden, sie wären eine meiner absoluten Lieblingsbands!

Der nächste Song hingegen drängt schon wieder sehr in die Schwermetall-Ecke. Uff. Aber auch hier sind die zentralen Themen, um die bei I Am Kloot alles kreist, Schalflosigkeit und das im Halbtraume mit sich selbst ringende Individuum:

When I sleep at night the creatures crawl, and I get caught up in a one-man brawl with me

Bei diesem Song handelt es sich um den One Man Brawl aus dem Album
Play Moolah Rouge, das ich 2008 zwar ganz wunderbar fand, seither aber nichts für, nichts gegen die Band hatte: Sie war schlicht von meiner privaten musikalischen Landkarte verschwunden. Das hat sich mit diesem Abend gründlich geändert!

Drei patschnasse I Am Kloot-ler verabschieden sich. Es ist 21:10 Uhr. Ich gehe, und noch auf dem Weg höre ich, dass sich die Band zu einer weiteren Zugabe zurückrufen lässt. Von der bekomme ich aber nichts mehr mit, denn ich muss bis um zehn Kopfhörerhund abgeholt haben. Was mir auch gelingt – das ist das schöne an Radiokonzerten: Da live on Air, müssen sie pünktlich über die Bühne gehen und man selbst kommt beizeiten ins Bett.

18. Juli 2010

Kein Klang ohne Stille:
Victoriah’s Music im Julei, Nummer zwei

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 20:16

Dafür, dass der Redakteur naturgemäß der Todfeind des Autors ist, habe
ich ein ganz erstaunlich – um nicht zu sagen: beängstigend – entspanntes Verhältnis zu den fairaudio-Jungs. Da lese ich neulich einen meiner Texte online und denke so bei mir, na schau her, was er – Wobei „er“ jener Redakteur ist, der verhältnismäßig viel an meinen Texten ändert. der andere lässt mir mehr durchgehen. Und nein, ich werde Ihnen nicht verraten, wer wer ist – da wieder hinein redigiert hat, nee nee, mal im Manuskript gucken, welche Formulierung ich ursprünglich verwendet habe. Zu meiner grenzen-
losen Überraschung stellt sich heraus, dass die besagte Passage im Manuskript identisch ist mit der redigierten Fassung … Heißt: Mittlerweile scheine ich eine derartige Geistessymbiose zur Redaktion entwickelt zu haben, dass ich schon vorausschauend genau jene Worte wähle, die auch sie nutzen würde. In diesem Sinne: Hier ist sie, die neue Victoriah’s Music, wie immer auf fairaudio.de

Lesen Sie über einen Sound, der mir in den späten Neunzigerjahren musikalische Heimat war, dann aber seinen Glanz verlor und nun endlich wieder da ist, noch dazu mörderisch gut! Lesen Sie außerdem über die musikalische Entsprechung von Slow FoodSlow Music. Besprochen wurden

– Morcheeba, Blood Like Lemonade und
– Joyce, Slow Music

Reinhören? Kein Problem!

13. Juli 2010

Klangverführer-Konzertkritik:
A Glezele Vayn machen im Zimmer 16 schönen Unsinn und nebenbei auch noch gute Musik

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 09:15

Eigentlich steht der Abend des 10. Juli unter keinem guten Stern. Deutschland spíelt gegen Uruguay um Platz drei bei der Fußballweltmeisterschaft. Es sind immer noch schwüle Über-Dreißig-Grad. Und zu allem Überfluss ist auch noch Schienenersatzverkehr. Als ich beim Zimmer 16 ankomme, sitzen, abgesehen von den Betreibern, gerade einmal nicht wirklich vielversprechende sechs Mann im Zuschauerraum. Ich treffe die Akkordeonistin der Gruppe, die in Ungarn geborene Szilvia Csaranko, vor der Damentoilette beim Umziehen. Auch ihr ist warm. Gestern hätten sie ein großartiges Konzert in der ausverkauften Petruskirche gespielt, erzählt sie voller Euphorie. Eigentlich klar, dass der heutige Auftritt damit nicht mithalten können wird. So richtig motiviert die Kombination aus Hitze und einer handvoll Publikum jedenfalls nicht zum spielen.

Wir stellen fest, dass wir beide eher schlecht Ungarisch sprechen und wechseln ins Deutsche. Szilvia stellt mich der Band vor, drei sympathischen Jungs, die mir allesamt irgendwo leid tun, dass so wenige gekommen sind sie zu hören. Andererseits kann gerade aus solch familiären, nahezu intimen Situationen ein ganz besonderer Zauber entwachsen. Denn die, die gekommen sind, wollen die Band dann wirklich hören! Ich bin sehr gespannt.

Und tatsächlich ist die Stimmung vom ersten Augenblick an da, als Klarinettist und Zeremonienmeister Achim Rinderle aka Sonic Ahmed das Programm vorstellt: Man wolle ein Best-of-Fangesänge darbieten, begonnen mit traditionellen Südkurven-Liedern der 50er-Jahre, um sich dann zum furiosen Finale mit britischen 80er-Jahre-Hooligan-Songs vorzuarbeiten. Aus dem Publikum ertönt ein gutgelauntes Trööööt. „Vuvuzelas bitte erst ganz zum Schluss“, kommentiert Rinderle trocken, „die sind noch zu Avantgarde!“ Spätestens jetzt hat er uns, und wir bereuen keine Sekunde mehr, für A Glezele Vayn das Spiel sausen gelassen zu haben.

Den Auftakt macht ein rasanter Freylekh, gefolgt vom Anzünden der Sabbatkerzen und Papirossen – alles Klassiker des traditionellen Klezmer-Repertoires. Bei Letzterem wechselt Multiinstrumentalist Jacobus Thiele vom Schlagwerk an die Gitarre und erweist sich als formidabler Gitarrist.

Als Schlagzeuger ohnehin auf den Punkt, hat er mit der ganzen Spielweise an Geschnassel, die ihm zur Verfügung steht, etwas von Adrian Huge von den Tiger Lillies, ich kann mir nicht helfen, er gefällt mir von den Vieren bislang am besten.

Szilvia macht im Moment gemeinsam mit Bassisten Michael Tuttle mehr oder minder die Rhythmusgruppe. Was ich allerdings vom Spiel des Klarinettisten halten soll … Ich weiß es nicht. Er spielt das klassische Repertoire „mit harts un mit gefil“, jedoch ohne krekhs, den zu erwarten mir spätestens Klezmerklarinettist und -dozent Joel Rubin beigebracht hat. Respekt gebührt ihm allerdings allein schon dafür, dass es unter diesen widrigen Umständen überhaupt spielt. Da gibt es andere, die wären gar nicht erst angetreten! Rinderles Konzession an die Hitze allerdings: Der Klezmer-Hut fiel ihr zum Opfer.

Überhaupt der Hut: Der dient bei A Glezele Vayn als eine Art Genre-Indikator. Angetan mit wollenem Alpenhut, gibt es jetzt einen alpenländischen Zwiefachen mit Maultrommelintro und Löffelbegleitung. Mittlerweile sind wir zu siebt, acht, ja: neunt im Publikum, um der „traditionellen alpenländischen Löffel-Battle“ zwischen Rinderle und Thiele beizuwohnen. Es steht Klezmer – Allgäu 3:1, Deutschland – Uruguay besorgniserregende 1:2

Inzwischen hat auch das Akkordeon zum ersten Mal eine tragende Rolle eingenommen, und der vorhin noch vermisste Klarinetten-Krächz hat sich auch eingestellt. Ob die FC-Balkan-Mütze Schuld daran ist?


Auftritt FC Balkan

Mit Song Nummer sieben folgt ein „heißer Bulgar“, und auch wenn Bassist Michael Tuttle erst zum dritten Mal mit den AGV-lern spielt, ist die musikalische Kommunikation zwischen ihm und dem Akkordeon ganz erstaunlich, als wäre er längst Teil des eingespielten Teams, welches A Glezele Vayn wahrhaftig sind! Auch der Sound ist bemerkenswert gut, der Zimmer-16-eigene Tonmeister versteht sein Handwerk.


Eingesprungen: Bassist Michael Tuttle

„FC Odessa gegen Schtetl Amsterdam“, lässt sich Rinderle den Kalauer nicht nehmen, um gleich darauf relativierend nachzusetzen, „wenn das mit dem Fußball nervt, bitte Bescheid sagen.“ – „Bescheid“, tönt es aus den eigenen Reihen, und das aus mittlerweile immerhin elf Mann bestehende Publikum tobt.

Pause. Deutschland schießt das 3:2 und hält es bis zum Abpfiff. Jetzt können A Glezele Vayn getrost weiterspielen! Wobei die Einbeziehung der Live-Stream-Ergebnisse in die Show durchaus auch etwas für sich hatte … Wenn man mal darüber nachdenkt, wie sich auch Bühnenprogramme durch die unmittelbare Reaktion auf Live-Ereignisse verändern! Die Pause wird natürlich auch zum CD-Verkauf genutzt, man will den gestrigen Tag noch toppen, wo siebzehn Exemplare abgesetzt wurden. Mein vorsichtiger Einwand, „Ähem … wir sind aber nur elf“, wird cool gekontert mit einem „Schon an Weihnachten denken, man kann ja auch zwei Exemplare kaufen“; zudem sollte ich mich irren, denn zwischenzeitlich ist das Publikum auf dreizehn Mann angewachsen. Dazu vier Zimmer-16-ler (Oder sind es drei plus ein Lokalreporter? Man weiß es nicht.), vier AGV-ler, und irgendwo muss auch noch ein Hund sein, konnte man zur Pause doch den Ruf vernehmen, „ich muss mal schnell mit dem Hund raus“. Hätte ich Kopfhörerhund also mitbringen können – wenn es ihr nicht zu warm gewesen wäre. Die war heute so geschafft, dass sie sich im Garten ein kühles Erdloch gebuddelt hat und sich weigerte, es wieder zu verlassen.

Da auch uns allen warm ist, wird jetzt die Balladensektion eingeleitet. Bei Jiddishe Hora gibt es mal wieder ein Solo für Akkordeon, und endlich merkt man Csaranko die studierte Pianistin an! Allein ich persönlich bin etwas irritiert: Wir tragen die gleiche Brille und Frisur, haben die gleiche Figur – gibt es etwa ein ungarisches Musik(wissenschaftl)erinnen-Gen? Wie dem auch sei, bei den Balladen ist es mithin so still, dass man das Klappern der Akkordeontasten und der Klarinettenventile hören kann – schön ist das! Jetzt heißt es aufpassen, sonst verliebt man sich in alle vier, möchte sie schrumpfen und im Hosentaschenformat mit nach Hause nehmen, um sie bei Bedarf spielen zu lassen! Dem Publikum aber, das mittlerweile 15 Mann zählt, ist das alles zu traurig. „Spielt was Fröhlicheres!“, fordert es. Und wird prompt mit einer wilden Mitmachnummer samt Kuhglocke belohnt – einem Erbstück von Rinderles Großvater, so die Legende.

Nach einer Nummer Sonic Ahmends, der dort, wo Rinderle ist, natürlich auch nie fehlen darf, gibt es als vielbeklatschte Zugabe das grandiose Stück Klarinettenhass, eine Eigenkomposition Rinderles.

Würde Kreisler Reggae mit Speedpolka machen, dann klänge das genau so:

Mir wird schnell übel von dem Ton
wenn ich ihn höre kotz’ ich schon
es ist der schrille blanke Hohn
ich wär’ so gern ein Saxophon
Wenn ich deinen schwarzen Körper seh’
tun mir die Ohren höllisch weh
ich werf’ dich bald in einen See
weil ich nunmal nicht auf dich steh


Ich spiel viel lieber Saxophon,
das hat nen schönen warmen Ton
und dabei doppelt soviel Phon
da hat der Bauch auch was davon
Doch seit ich diesen schwarzen Stengel hab
da macht mein Ego völlig schlapp
ich krieg auch keine Frauen mehr ab
ich hab das Spielen endgültig satt!


Ich hasse Klarinette
wenn ich bloß keine hätte
Und immer wenn ich spiel
Sagt alles das hat Stil
Ich krieg zu viel, ich krieg zu viel, ich krieg zu viel!
Ich hasse Klarinetten
das gibt’s nix mehr zu retten
Und immer wenn ich Soli mach
Werden primär alte Männer schwach
Was für ’ne Schmach, was für ’ne Schmach, was für ’ne Schmach!

Fazit: Den Abend mit A Glezele Vayn habe ich mir gewissermaßen selbst zum Geburtstag geschenkt. Und es nicht bereut. Im Gegenteil, ich hatte lange nicht mehr soviel Spaß! Wenn Sie also demnächst irgendwo lesen sollten – und mehr als hierhin zu klicken müssen Sie dafür nicht tun –, dass die Kapelle in ihrer Nähe spielt, dann lassen Sie Ihre ursprünglichen Plänbe sausen (ja, selbst wenn es sich dabei um das WM-Endspiel handeln sollte) und gehen Sie hin! Und inzwischen kaufen Sie die CD – die lohnt sich! Da nämlich gibt es den Klarinettenhass mit Quietscheentenbegleitung!


Die CD Feynherb bekommen Sie per E-Mail in der Plattenhandlung von flowfish records – übrigens auch dem Label von Di Grine Kuzine.

10. Juli 2010

Happy Birthday!
Fundstück des Monats: Mavis Presented By Ashley Beedle

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , — VSz | Klangverführer @ 10:00

Nicht nur ich habe heute Geburtstag, sondern auch eine der großartigsten Soul- und Gospelsängerinnen alles Zeiten: Mavis Staples! Allerdings feiert die Dame bereits ihren Einundsiebzigsten, das ist bei mir dann doch noch eine Weile hin … Wer Frau Staples nicht aus seligen Staples-Singers-Zeiten der Stax-Ära kennt, dem ist sie vielleicht seit Prince‘ 1990er-Album Graffiti Bridge ein Begriff, wo sie Songs wie das wunderbare Melody Cool mit ihrem gewaltigen Organ veredelte. Auch veröffentlichte sie auf dem Label des Meisters, Paisley Park Records, zwei eigene Alben: Time Waits For No OneThe Voice (1993). Ihre mehr als 40-jährige Karriere gipfelte voriges Jahr in der Veröffentlichung des grandiosen Albums Live: Hope at the Hideout. Am 14. September 2010 wird ihr neues, von Jeff Tweedy produziertes Soloalbum You Are Not Alone, auf Anti erscheinen. Es ist ihre zweite Studio-Veröffentlichung für das Label; doch schon die Feuerprobe We’ll Never Turn Back dürfte 2007 bei dem einen oder anderen dafür gesorgt haben, mal wieder die alten Stax-Scheiben zu entstauben.

Zumindest ging es dem Produzenten und DJ Ashley Beedle so. Als dieser sich mit seinem musikalischen Partner Darren Morris vor drei Jahren durch die alten Staples Singers-Platten hörte, war er so beeindruckt, dass er anschließend direkt ein vom Staples-Sound inspiriertes Instrumental einspielte – schließlich war Mavis Staples für Beedle schon immer eine Ikone: „Sie ist wie Klebstoff, der unsere musikalische DNA zusammenhält.“ Und so schickte er das fertige Instrumental an etablierte Vokal-Künstler wie Lambchop’s Kurt Wagner, Candi Staton, Ed Harcourt, Edwyn Collins, Cerys Matthews und die göttliche Sarah Cracknell (Saint Etienne), aber auch an junge Talente wie Danielle Moore, John Turrell von Smoove & Turrell, Disa aus Reykjavik oder Dear Reader’s Cherilyn MacNeil aus Südafrika, damit sie dem Stück ihren ganz persönlichen Stempel aufdrücken können. Danach passten Ashley und Darren die Musik jedes Tracks der von dem jeweiligen Sänger kreierten Stimmung an. Herausgekommen ist das Album Mavis Presented By Ashley Beedle, von dem ich nicht gedacht hätte, dass es so gut ist, als ich darüber las!

Beedle ist nicht weniger gelungen, als den Spirit der Staples ins neue Jahrtausend zu tragen. Wenn dieses Jahr nichts mehr kommt, hat Mavis das Zeug, meine Lieblingsplatte des Jahres zu werden. Damit stünde sie in einer Reihe mit The Blue God von Martina Topley Bird (2008) und Live in London von Leonard Cohen (2009). Wohl nicht die schlechteste Fortsetzung … Alle Tracks auf Mavis sind uneingeschränkt hörenswert. Ein drei-Uhr-morgens-Album mit einem langsamen, basslastigen, bekifften Sound, das sich der sanfteren – ja, ich möchte sagen: romantischen – Seite der Staples widmet. Kurt Wagners Interpretation von Gangs of Rome geht ebenso unter die Haut wie Sarah Cracknells Heartbreak Song. Am allerliebsten mag ich persönlich allerdings Candi Stations Revolution. Das scheint den Jungs bei !k7 auch so gegangen zu sein, haben sie davon doch liebenswürdigerweise gleich zwei Versionen auf das Album gepackt – nämlich zusätzlich zur Albumversion auch noch den Heavy Soul Extendes Mix. Toll! „Hör zu“, schreibt der englische Musikjournalist und -produzent Paul Morley über Mavis, „Träume von Mavis, viele Sänger, verwandte Seelen, mit liebevoller Hand verlesen, nie zuvor gesehen, Gefühle tauschend, von LIed zu Lied, von Ort zu Ort, ihre Mavis findend, sie liebend, preisend, die Art wie ihre Hände wippten, wie ihr Atem floss, ihre rebellische Klugheit, ihr Glaube, ihre Trauer, ihr Vertrauen, ihr inneres Geheimnis; die Stadt, welche sie baute; die Berge, die sie versetzte; die starken schönen Songs, welche sie sang; aus dunklen Schatten und grellem Licht, Ruinen und Fragmenten.“ Dem bleibt nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht: Vielen Dank für dieses schöne Geburtstagsgeschenk.

Und noch etwas habe ich bekommen: Ein Konzertkarte für Leonard Cohen.
Weshalb es davon aber höchstwahrscheinlich trotzdem keine Live-Kritik geben wird, steht hier.


Wenn schon nicht die ganze Welt, so spiegelt sich in Cohen zumindest der Alexanderplatz!

8. Juli 2010

Spiel um den dritten Platz? Och nö! Klangverführer kennt (und nennt) Alternativen!

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 12:51

Das Wochenende steht vor der Tür, die Temperaturen werden wieder die
30-Grad-Marke überschreiten, Umland, Seen und das Deutschlandspiel um den dritten Platz im WM-Finale am Samstagabend locken … Aber auch in Berlin selbst ist so einiges los. Zum Beispiel die Berlin Fashion Week, die zum siebten Mal ihre Pforten in der Hauptstadt öffnet – samt umfangreichem Rahmenprogramm, bei dem man auch ohne Einladung gern gesehen ist wie beispielsweise der Musikexpress Klubtour, die am 9. Juli im Kreuzberger Magnet Club Halt macht, der sich mittlerweile als Bühne für ausgesuchte Newcomer, von denen man noch hören wird, profiliert hat. Live zu sehen sein werden hier Hector, Manolo & Soffy O mit ihrem Electroindiepop, zudem gibt es DJ-Sets von The Juan Maclean, Schowi (Massive Töne/YUM YUM/Bass ill Euro) und Palina Power (YUM YUM/MTV Home). Am 10. Juli bitten die ohnehin immer empfehlenswerten Kaminer & Gurzhy im Kaffee Burger zur Russendisco, und wem das nicht genug ist, der kann noch am selben Abend zu Robert Sokos DJ-Set ins Lido gehen, denn da geht es mit Balkan, Rumba, Gipsy, Polka und Speedfolk so richtig zur Sache. Oder aber, man gibt trotz des etwas behäbigen Veranstaltungstitels den Pankower Klezmertagen eine Chance. Die verteilen sich auf zwei Wochenenden, aber nur eine Location: das – mit 80 Sitzplätzen – kleine, aber feine Zimmer 16 in der Florastraße.

Den Auftakt macht am 9. Juli Die Blaue Stunde, die mit ihrer Musik den magischen und einzigartigen Moment zwischen Tag und Nacht abzubilden trachtet, die Stunde zwischen Wachen und Träumen, wenn die Dämmerung sich legt und sicher geglaubte Realitäten schwinden. Am 10. Juli ruft
A Glezele Vayn zur Vaynprobe der besonderen Art – immerhin vereint die deutsch-ungarische Kombo (okay: drei deutsche Jungs, eine Ungarin) laut Pressetext „musikalischen Entdeckergeist, schrägen Humor und unverwüstliche Spielfreude mit ungarischer Schärfe, jiddischer Melancholie und allgäuer Bergkäs“. Wenn diese Vier nicht mit dem Spiel konkurrieren können – wer dann? Am Sonntag, den 11. Juli spielen zwei alte Bekannte: Karsten Troyke und El Alemán Jens-Peter Kruse. Dazu muss ich wohl nichts mehr sagen außer: Gehen Sie hin! Im kleinen Rahmen, begleitet nur von dem Gitarristen, ist Troyke am besten! Selber Schuld, wer ihn verpasst.


Foto: Dietmar Meixner

Das Programm der Klezmertage fürs nächste Wochenende gibt es – genau: zum nächsten Wochenende.

7. Juli 2010

Es kocht! BossaSoulJazz bei Victoriah’s Music

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 08:34

„Passend zum lang ersehnten Sommerbeginn präsentieren Christian Bader und Boris Pillmann ihr Bossa Nova-lastiges Debütalbum Rückwärts Weltrekord, mit dem sie als Duo b-ebene in »die andere Ebene« der brasilianischen Mixtur aus Samba und Cool Jazz aus den Fünfzigerjahren vordringen wollen. Das wäre an sich nicht besonders spektakulär, im Gegenteil, erlebte der Bossa, elektronisch versetzt, doch seit Mitte der 1990er-Jahre, besonders aber in den ersten fünf Jahren des neuen Jahrtausends, unter dem Etikett Brazilectro (s)ein unvermutetes Revival, dessen Blütezeit – ach, was heißt hier Blüte! auch die Degeneration des elektronischen Bossa ist eigentlich schon gelaufen – aber auch schon längst wieder überschritten ist. Elektronischer Bossa klingt heute wie die Partymusik von gestern. Fast schon rührend. Niemand, der bei Trost ist und unbedingt »hip« sein will, würde seine Breakbeats & Co. heute noch mit Bossa Nova-Anklängen anreichern. Electro-Bossa-Alben haben heute Café-del-Mar-Status, heißt: Sie sind vom erlesenen Geheimtipp, mit dem man seinen ausgesuchten Geschmack sowie seine Zugehörigkeit zu exklusiven Avantgarde-Zirkeln beweisen konnte, zur Massenware verkommen. Den sprichwörtlichen Hund kann man damit jedenfalls nicht mehr hinter dem Ofen hervorlocken …“

Warum „die Platte mit dem Mafia-Cover“ trotzdem so toll ist, dass man sich unweigerlich fragt, ob sexy Sänger/Songschreiber Boris Pillmann eigentlich eine Freundin hat (nein, nicht nur, weil im Booklet dieser hübsche Wackeldackel abgebildet ist), erfährt man in der aktuellen Ausgabe von Victoriah’s Music wie immer auf fairaudio.de.

Außerdem besprochen wurde der für babylonische Sprachverwirrung sorgende Sampler Motown Around The World und, wie schon lange angekündigt, Lyambikos bereits am 4. Juni veröffentlichtes Something
Like Reality
.

3. Juli 2010

Hundstage oder
„36 Grad und es wird noch heißer …“

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 15:44

… mach den Beat nie wieder leiser/36 Grad kein Ventilator/ das Leben
kommt mir gar nicht hart vor …“ Der Sommerhit von 2Raumwohnung, Erstveröffentlichung 2007, erlebt dieser Tage sein drittes Comeback und steigt ganz von selbst wieder in die Top 100 der Media Control Charts ein. Schon hört man Vergleiche mit Wham’s Last Christmas – und das mitten im Sommer … „Wenn 36grad sich zum immer wiederkehrenden Sommer-Hit hochstpielt, ist das fantastisch“, so seine Schöpfer Inga Humpe und Tommi Eckart. „Ein Musik-Voodoo, der sich von ganz allein ausbreitet, sobald die Hitze richtig wild wird.“

Fakt ist: Heute ist der voraussichtlich wärmste Tag des Jahres. 37 Grad! Und 2Raumwohnung sind nicht die Einzigen, die den Über-Sommer in Berlin besungen haben. Mit einem Mal wird dem Hauptstadtbewohner nämlich klar, was Peter Fox meinte, als er sang, seine Stadt habe Fieber:

Meine Stadt hat Fieber, sie tropft und klebt!
wir haben schwere Glieder, der Kopf tut weh!
wir sind wie ’n alter Hund der grad noch steht,
wir ham’s verzockt, verbockt, der Doktor kommt zu spät!


Dickes B. an der Spree,
der Winter tut gut, der Sommer tut weh.
Sonne knallt, die Mülltonnen qualmen,
unter den Linden heißt unter den Palmen.

die Luft steht, über mir schwebt der Smog,
ich bin Krebs, werd lebend gekocht.
meine Gegend: ein Sumpf, ein schäbiges Loch,
wenn es regnet verbinden Stege die Blocks.

ich geh zur Post, mit Machete.
Verwandte aus Schweden schicken Care-Pakete.
Vorräte kosten Endknete
ich klau meiner Katze die letzte Gräte.


meine Fresse glänzt, bin durchnässt,
kämpf mich zum Kühlschrank, hol ’n freshes Hemd.
brauch kein Testament, der Westen pennt,
bis der ganze verpestete Hexenkessel brennt!


Palmen unter den Linden? Nun, zumindest Palmen am Alexanderplatz.
Und nein, das ist keine Fotomontage.

 

Auch Kopfhörerhund leidet. So sehr, dass er sich vor lauter Hitze übergibt. Nun wartet er, eingewickelt in ein feuchtes Handtuch und alle Viere von sich gestreckt, auf den Abend, der ein bisschen Erleichterung bringt.

Aber auch nur ein bisschen.

Kein Wetter für einen alten Hund!

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