30. August 2010

Ist die Katze gesund …

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… freut sich der Mensch!, so lautet der bekannte Werbeslogan eines Katzenfuttermittelherstellers. Nun ja, schließlich muss das ja auch an Mensch bzw. Katz‘ gebracht werden. Über Sinn und Unsinn von industriell hergestellter Tiernahrung können Sie hier informieren, und zum Weiterlesen möchte ich Ihnen eindringlich Katzen würden Mäuse kaufen: Schwarzbuch Tierfutter von Die Suppe lügt: Die schöne neue Welt des Essens-Autor Hans-Ulrich Grimm empfehlen. Hier aber soll es um eine glückliche Sängerin gehen, denn: Ist die Sängerin glücklich, freut sich der Hörer! Mehr darüber lesen Sie in der neuen Ausgabe von Victoriah’s Music, wie immer auf fairaudio.de

Besprochen wurden zwei Alben, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten:

29. August 2010

Ein Berliner in Frankfurt

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Das Classic Jazz Festival, das vom 27. bis 29. August 2010 im Berliner Botanischen Garten mit solch legendären Teilnehmern wie Rudy Stevenson, Scott Hamilton oder Herb Geller hätte stattfinden sollen, musste in letzter Minute abgesagt werden. Besonders bedauere ich, deshalb den Auftriff des Wahlberliners Kevin Sholar zu verpassen – der visionäre Musiker wurde nicht nur im Artforum International Best of (Ausgabe 2009) als einer der besten Interpreten der Welt benannt, sondern – unter anderem – auch als „Bester Solist und Beste Band in WEMU“ ( Jazz Heritage Festival, 1993), für „hervorragende Musikalität“ ( Elmhurst Jazz Festival,1996 und 1996 und Wichita Jazz Festival, 1995 und 1996) sowie die „Beste Musik des Jahres 2009“ (Artforum International, 2009) ausgezeichnet. Sholar ist für seine enorme musikalische Bandbreite bekannt; er ist in den verschiedensten Genres von Jazz über Klassik und Blues zu afro-karibischer und elektronischer Musik, zu Hause und arbeitete bereits mit solch verschiedenen Künstlern wie Leonard Cohen, Thom Yorke, Carl Craig oder Kanye West.

Wer in Frankfurt und Umgebung wohnt oder den Weg nicht scheut, hat allerdings die Möglichkeit, Kelvin Sholar mit seinem Trio am Dienstag, den
31. August 2010 im Rahmen der Veranstaltungsreihe Verve Club in der Cocoonclub Lounge zu hören.

27. August 2010

Wer die Wahl hat …

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Da ist ja wieder so einiges los in der Stadt am Wochenende! Am Freitag geht es los mit einem Konzert der ostdeutschen Kultband Silly, die mit Anna Loos endlich eine würdige Nachfolgerin für die 1996 verstorbene Tamara Danz gefunden zu haben scheinen und in der Spandauer Zitadelle ihr neues Album Alles Rot präsentieren. Am nächsten Tag besucht Loos’ Ehegatte Jan Josef Liefers unseren schönen Bezirk: Gemeinsam mit seiner Band Oblivion erinnert er sich in der Weißenseer Freilichtbühne an der Großen Seestraße an den Soundtrack seiner Kindheit. Starker Konkurrent um die Publikumsgunst ist Karsten Troyke, der im Rahmen des Shkoyach!-Kultursalons mit dem Max Doehlmann Jazz Trio im Grünen Salon jiddische Lieder zum Besten gibt. Wessen Herz eher für Soulpop schlägt, ist mit dem Berliner Duo Ich + Ich bestens beraten, das sich in der Wuhlheide die Ehre gibt.

Obwohl Ich+Ich-Sänger Adel Tawil auch recht hübsch anzusehen ist, hat das neue Aushängeschild des Duos, Kopfhörerhund Nr. 2, einen besonderen Platz in unserem Herzen erobert – und irgendwie erinnert er ja auch an … nein, nicht an Liebe, aber an Kopfhörerhund Nr. 1!

Da diese drei Konzerte um 20.00 beginnen, müssen Sie sich leider für eins entscheiden. Vorher allerdings können See zu 17:00 in die Kulturbrauerei gehen, wo The Bosshoss mit ihrer Shake Your Hips-Tour zu erleben sind. Wer danach noch fit ist, kann noch den Rest der 27. Langen Nacht der Museen mitnehmen, die ebenfalls am Samstag von 18.00 bis 2.00 Uhr stattfindet. Sie wollen lieber bei der Musik bleiben? Da geht ja auch noch mehr! Um 19:30 spielt Swing-König Andrej Hermlin mit seinem Orchester beim renommierten Köpenicker Jazz In Town-Festival in direkter zeitlicher Konkurrenz zu Django Lassi mit seinem Gypsy-Swing à la Django Reinhardt im Weddinger Werkraum, um 21:00 Uhr gibt es bei den Jüdischen Kulturtagen Folk-Soul-Reggae mit HaBanot Nechama.

Auch wird dieses Wochenende mein schöner Kiez vom Blumenfest heimgesucht. Lichtblick: Die Bilderflut, Projekt der Künstlerinitiative culturLAWINE. Hier werden auf die Fassade des Kinos Toni am Antonplatz, einem der ältesten Lichtspielhäuser der Stadt, moderne Stummfilme projiziert. Schließlich kann Weißensee als ehemaliger Standort vieler Filmstudios auf einen wesentlichen Anteil bei der Entstehung des Stummfilmkinos in Deutschland verweisen. International bekannte Filme wie Das Cabinet des Dr. Caligari wurden hier gedreht.

Bei dieser Vielzahl von Optionen kann man sich schon leicht gelähmt fühlen. Ich weiß was: Wir bleiben dieses Wochenende einfach zu Hause.

Kopfhörerhund meint: Wie, zu Hause bleiben? Blümchenfest ist doch ganz toll! Voriges Jahr habe ich dort eine gut erhaltene Bratwurst gefunden …

19. August 2010

Cohen sehen und sterben
— eine Klangverführer-Konzertkritik —

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Pop-Guru Frank Laufenberg irrt sich. Und mit „irren“ meine ich nicht: „liegt so ein bisschen daneben“, nein, ich meine: „irrt sich gewaltig“. In seinem Standardwerk Frank Laufenbergs Rock & Pop Lexikon nämlich heißt es im Artikel zu Leonard Cohen, Autoren eines Titels müssen nicht unbedingt auch dessen beste Interpreten sein. Immerhin gelte Cohen vielen als „singendes Valium“, während es „sehr ansprechende“ Interpretationen seiner Titel durch andere Künstler gebe. Zugute halten muss man Laufenberg, dass zu der Zeit des Erscheinens der von mir zitierten vierten Auflage seines Buches (1998) der 1934 in Montreal, Kanada geborene Cohen als für die irdische Musikwelt verloren galt – immerhin hatte er sich Mitte der Neunzigerjahre in ein buddhistisches Kloster zurückgezogen, wo er Zen-Meditation betrieb und später zum Mönch ernannt wurde. Von der grandiosen Comebacktournee ab Mai 2008, die Cohen und seine Band zwei Jahre lang durch Kanada, die USA, Australien, Neuseeland und Europa führen sollte, konnte Laufenberg noch nichts wissen. Auch nichts davon, dass seinen Songs hier endlich jene Gestalt zuteil wurde, die sie schon immer haben sollten. Da reicht keine Interpretation mehr heran. All jene, die nicht bei seinen Konzerten dabei waren, konnten sich auf der Live in London betitelten Aufnahme des Konzertes in der Londoner O2-Arena vom 17. Juli 2008 davon überzeugen: Hier ist alles genau so, wie es sein soll, wie es schon immer sein sollte. Und das war es auch gestern, denn das Programm der 2010-er Unified Hearts-Tour ist nahezu identisch mit jenem der vergangenen beiden Jahre.

Zu verdanken ist diese – hoffentlich – endgültige und alle Coverversionen in ihre Schranken verweisende Form des Cohen’schen Werkes wohl auch dem Bassisten Roscoe Beck, der nicht nur langjähriger Begleiter Cohens, sondern auch musikalischer Direktor des Unterfangens ist. Überhaupt ist auffällig, wie häufig Spieler der abfällig als „Rhythmusgruppe“ zusammengefassten Instrumente das musikalische Geschehen bestimmen. Bassisten und Schlagzeuger, lassen Sie sich das gesagt sein, haben zumeist weitaus mehr Gespür für Harmonie und Arrangement, als gemeinhin angenommen wird. Beck bestätigt wieder einmal meine „Schäferhundtheorie“: Ein guter Bassist (Schlagzeuger) hält die ganze Herde zusammen, während ein schlechter eine Plage, ja Gefahr für seine Umwelt ist.

Doch zurück zu gestern Abend. Eine Dame fasste in der Halbzeit am Handy zusammen, was wohl alle im Publikum dachten: „Da spielt und singt dieser alte Zausel seit 18 Uhr 30, voller Energie, tänzelt rum … unglaublich!“ Da war es zwanzig Uhr und niemand ahnte, dass der „alte Zausel“, besser bekannt als Prince of Pain, Master of Melancholy, Godfather of Gloom und Prophet of Despair, mit unfassbaren sechs Zugaben (oder waren es sieben?) ein weiteres 90-Minuten-Set ranhängen sollte. Ich meine, stellen Sie sich das doch einmal vor: Dieser anbetungswürdige alte Herr wird im September 76 Jahre alt und reißt einfach mal so ein drei-Stunden-Konzert ab! Vielleicht ist an dieser buddhistischen Meditationssache und ihrer Wirkung auf die menschliche Vitalität doch mehr dran, als sich der gemeine Abendländer vorstellen kann …

Und erst die Lieder! Nur um einige zu nennen: Suzanne, Where’s My Gipsy Wife Tonight, So Long Marianne, Back on Boogie Street, Lover Lover Lover, First We Take Manhattan, The Future, Take This Waltz, If It Be Your Will oder auch The Partisan, welches ich zuletzt im April in der Version von Karsten Troyke gehört habe, und natürlich Hallelujah, bei dem das Amphitheater in ein Wunderkerzenmeer gehüllt ist – er spielt sie im zweiten Teil alle, all meine Lieblingssongs, all die des übrigen Publikums, von denen jeder, aber auch jeder einzelne seine ganz persönliche Beziehung zu dem ein oder anderen Cohen-Klassiker hat. Und natürlich ist in der Hauptstadt First We Take Manhattan (Then We Take Berlin) der absolute Burner, 12.000 Menschen singen den Refrain aus voller Kehle mit, und Cohen ist sichtlich gerührt, zieht den Hut vor seinem Publikum, das sich jetzt auch durch die gestrengen Ordner der Waldbühne nicht mehr daran hindern ließ, anstatt brav auf den zugewiesenen Plätzen auszuharren, in Richtung Bühne zu drängen, auf und nieder zu hüpfen, sich heiser zu brüllen. Der greise Entertainer hat es geschafft, die Hintern der Leute von ihren Stühlen zu reißen, und gar ein „We Lover Lover Lover You“-Plakat zu schwenken. Das Publikum ist selig, es schwelt und huldigt – und ist nicht zuletzt in solchen Scharen erschienen, von denen heutige Stars wie Rihanna oder Christina Aguilera nur träumen können – wurden Tourneen dieser beiden nicht jüngst aufgrund mangelnder Ticketverkäufe verschoben? Jedes einzelne Ticket sei ihm von Herzen gegönnt, denn immerhin hatte sein Comeback profane, sprich: monetäre Gründe: Während seiner Zeit im Kloster brachte seine Managerin und zeitweilige Lebenspartnerin sein gesamtes Vermögen durch, mehr als fünf Millionen Euro, munkelt man. Die Altersvorsorge, alles dahin. Das klingt wie aus einer schlechten Seifenoper, hat uns aber den wohl großartigsten Cohen aller Zeiten beschert. Wer weiß, ob er sich noch einmal auf eine Bühne hätte locken lassen, hätte er das Geld nicht gebraucht.

Und auch er selbst scheint Spaß an seinen Auftritten zu haben, lächelt oft, nennt das Publikum „seine Freunde“. Immer wieder geht er in die Knie, vor dem Publikum, der Schönheit der Musik und nicht zuletzt seiner einmaligen Begleitband, die neben dem schon erwähnten Roscoe Beck am Bass aus dem Gitarristen Bob Metzger, dem Flamenco-Lautisten Javier Mas, Hammond-Organisten Neil Larsson, Saxofonisten Dino Soldo und Schlagzeuger Rafael Gayol besteht. Das I-Tüpfelchen aber sind die göttliche Sharon Robinson, ihres Zeichens Souldiva und Co-Autorin vieler Cohen-Songs, sowie die ätherischen Webb-Sisters Charley und Hattie mit ihren Engelsstimmen, die für eine kollektive Gänsehaut sorgen.

Wenn dies hier kein „musikalisches Hochamt“ (Peter E. Müller in der Berliner Morgenpost) ist, dem alten Priestergeschlecht der biblischen Kohens gerecht werdend, was dann?

    If it be your will
    That I speak no more
    And my voice be still
    As it was before
    I will speak no more
    I shall abide until
    I am spoken for
    If it be your will
    If it be your will
    That a voice be true
    From this broken hill
    I will sing to you
    From this broken hill
    All your praises they shall ring
    If it be your will
    To let me sing
    From this broken hill
    All your praises they shall ring
    If it be your will
    To let me sing

    If it be your will
    If there is a choice
    Let the rivers fill
    Let the hills rejoice
    Let your mercy spill
    On all these burning hearts in hell
    If it be your will
    To make us well

    And draw us near
    And bind us tight
    All your children here
    In their rags of light
    In our rags of light
    All dressed to kill
    And end this night
    If it be your will

    If it be your will.

Zu guter Letzt gab Cohen seiner Gemeinde mit auf den Weg, vorsichtig zu fahren und sich keine Sommergrippe zuzuziehen – wobei selbst der Wettergott ein Fan des Songpoeten sein muss, denn es hat während des dreistündigen Konzertes nur ein paar Mal leicht getröpfelt, was die Widrigkeits-erprobten Berliner lässig mit dem Überziehen ihrer Kapuzenpullis konterten. Auf dem Rückweg inmitten einer befriedeten Masse schnappte ich einzelne Gesprächsfetzen auf. „Komisch, dass bei dem Konzert auch junge Leute dabei waren“, sagte da einer zum anderen, „die finden doch mit ihrer Musik, die sie heutzutage hören, gar keinen Zugang mehr zu Cohen!“ Doch, wollte ich erwidern. Es gibt in jeder Generation einige Gute. Und Sie können dazu beitragen, dass Leonard Cohens Lieder auch in Zukunft lebendig gehalten werden: Ermöglichen Sie Ihren Kindern Zugang zu Ihrer Plattensammlung (ich gehe stark davon aus, dass Sie als mein Leser so etwas haben). Schicken Sie sie auf eine musikbetonte Schule, so etwas gibt es. Und: Nicht jeder muss BWL studieren. Vielleicht haben Ihre Kids dann später weniger Geld. Aber sie werden glücklich sein.

18. August 2010

Romantischer Regen?

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 09:16

Warum eigentlich scheint es im August nie ein Open Air-Konzert zu geben, bei dem es nicht regnet? Ich zumindest kann mich an keines erinnern. Als ich am 5. August 2006 einem anderen großartigen alten Mann zuhören ging – Paolo Conte spielte damals auf der Museumsinsel – schüttete es wie aus Eimern. Dem Konzertgenuss tat das allerdings keinen Abbruch. Im Gegenteil, es war sehr romantisch. Vielleicht gehört es ja zwingend dazu, die Stimmung romantisch, das Publikum friedlich vereint unter Schirm und Cape, und dann die Musik dieser großen Melancholiker, denen ein Regenabend wahrscheinlich weitaus gerechter wird als greller Sonnenschein. In diesem Sinne freue ich mich auf heute Abend, wo Leonard Cohen in der Berliner Waldbühne spielen wird.


Kopfhörerhund besitzt zwar auch ein – wenngleich weniger schickes denn medizinisch notwendiges – Regencape, bleibt aber trotzdem zu Hause.

16. August 2010

Über weibliche Emanzipation, eine musikalische Lebensbilanz und den guten alten Soul: die neue Victoriah’s Music ist da

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Ich lebe in einem Viertel, in dem sich seit einiger Zeit eine gar nicht so schleichende Prenzl’bergisierung beobachten lässt. Da gibt es Cafés, die heißen happahappa oder Sabberschnute. Natürlich bestechen sie durch ihre Kinder- bzw. Familienfreundlichkeit – wie überhaupt alles in meinem Viertel: Läden wie das Frokodil, wo liebevoll selbstgeschneiderte Sächelchen für die Kleinsten verkauft werden. Eine Musikschule mit umfangreichem musikalischem Früherziehungsprogramm (für Kinder ab 2 Jahre!) namens Meyerbär – man beachte das „lustige Wortspiel mit dem Namen des Komponisten Meyerbeer. Bioläden, die wie die dort feilgebotenen pestizidfreien Pilze aus dem Boden schießen. Als ich den Mietvertrag abschloss, was mir zwar bewusst, in ein – ohne jetzt den bösen Begriff der Gentrifizierung strapazieren zu wollen – ausgewiesenes Sanierungsgebiet zu ziehen und auch, dass die schicken Townhouses, Lofts und in neuem Glanze erstrahlenden Gründerzeithäuser vor allem besser verdienende junge Familien anziehen werden – doch dass damit ein derartig grundlegender Strukturwandel einhergeht und der Bionade-Lifestyle ebenso schnell wie selbstverständlich Einzug in mein eigentlich sehr schönes, etwas schläfriges und die ein oder andere Fabrikruine beherbergendes Viertel hält, ist beängstigend.

Beängstigend ist auch, dass das einzig legitime Frauenbild jenes der stolz die Babykugel vor sich her schiebenden Mutter ist, die ihr Erstgeborenes easy mit einer Hand im dreirädrigen Buggy vom Gegenwert eines meiner Monatsgehälter jongliert, während sie in der anderen einen Soja-Latte-to-Go balanciert, die Baby-Mutter-Yogamatte lässig unter den Arm geklemmt. Sehr entspannt wuppt sie Familie, Fitness und Schönheitspflege, die Zeit dazu hat sie. Arbeiten gehen in meinem Viertel nämlich die Männer. Frau ist hier Mutter und offensichtlich froh darüber, der Erwerbstätigkeit und ihren unangenehmen Begleiterscheinungen – Frühaufstehen, zickige Kollegen, Verantwortung für Miete und gefüllten Kühlschrank – auf die einzig gesellschaftlich sanktionierte Weise entronnen zu sein. Womit wir bei meinem Thema wären: Der vom Patriarchat favorisierten Ur-Mutter Eva im Gegensatz zu ihrer dämonisierten Schwester Lilith, die – so gar nicht Mutter, so gar nicht brav – der Überlieferung zufolge als erste Frau Adams Männer verführt und Neugeborene tötet. Ob der Ablehnung der Mütterlichkeit geistert Lilith mithin als „Kindsmörderin“ bzw. „Nachtgespenst“ durch unser tradiertes Bewusstsein. Schlicht von einem alternativen weiblichen Lebensentwurf zu sprechen, davon war man nicht nur zu Liliths Zeiten weit entfernt, auch heute noch, trotz Aufklärung, sexueller Revolution und Feminismus, hat sich in dieser Beziehung nicht viel getan. Es lässt sich eben auch eine Art geistiger Einheitslook nicht verleugnen.

Für Feministinnen war es jedoch irgendwann „cool“, Lilith für sich zu entdecken –oder soll ich sagen: für ihre Zwecke zu vereinnahmen? Ähnliches geschah ja auch mit der Heldin meiner Kindheit, mit Pippi Langstrumpf, die forthin als Symbol für sich jeglicher gesellschaftlicher Zwänge entziehender, antiautoritärer Stärke (sie geht nicht in die Schule, lebt ohne erwachsene Aufsichtspersonen und ist auch körperlich stark: sie kann ein ganzes Pferd hochheben) sowie finanzieller Unabhängigkeit (sie besitzt einen Handkoffer voller Goldstücke) herhalten musste, obgleich ihre Schöpferin Astrid Lindgren wohl kaum eine ausgeprägte feministische Agenda vorgeschwebt haben dürfte, als sie die Figur schuf. Jedenfalls sah es analog zum Langstrumpf-Fall irgendwann auch die jüdisch-feministischer Theologie als ihre Aufgaben an, Lilith zu Existenzrecht und Legitimität zu verhelfen und die Legende positiv (um) zu interpretieren. Lilith wird zur Gegenheldin zu Eva, die in patriarchaler Tradition steht und demzufolge als Symbol für Emanzipation, Selbstbestimmtheit und weibliche Stärke.

Kein Wunder, dass die derart vereinnahmte Lilith Patin stehen musste für ein Festival namens Lilith Fair – einer (allerdings ganz hervorragenden) Konzertreihe ausschließlich weiblicher Interpretinnen, die ihrem Selbstverständnis nach einer “Celebration of Women in Music” frönt. Der offizielle Tour-Sampler Lilith 2010 bietet nicht nur einen stilistischen Querschnitt durch den Reigen der Lilith-Künstlerinnen, sondern durch die zeitgenössische weibliche Popmusik selbst. Lesen Sie die CD-Rezension in der neuen Ausgabe von Victoriah’s Music, wie immer auf fairaudio.de

Außerdem mit von der Partie sind diesmal der Mann, der „Schuld“ ist an meiner Schwäche für Bassisten sowie eine Dame, die beweist, dass es mit modernen R&B-Sängerinnen nicht immer so eine Sache sein muss. Besprochen wurden

  • Various Artists, Lilith 2010
  • Jonas „Bibi“ Hammond, Jamestown
  • Leela James, My Soul

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15. August 2010

Tage wie dieser
Fundstück des Monats: Jamiroquai, Corner of The Earth

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Anrufe aus der Redaktion, die mit der Eröffnung „Wir müssen über deinen Text reden“ beginnen, sind bei Autoren ähnlich beliebt wie die Ankündigung eines Partners „Wir müssen reden“ in einer Liebesbeziehung: eine Grundsatzdiskussion steht an. Man möchte dem Redakteur ja nicht das prinzipielle Recht zu einer gewissen Anzahl an kleineren Änderungen im Sinne der strategischen Ausrichtung seines Mediums absprechen, sonst wäre er ja arbeitslos. Vor einem Jahr aber ist bei meiner – ansonsten natürlich großartig redigierten – Frau Contrabass-Rezension ein Absatz dem strengen Rotstift der Redaktion zum Opfer gefallen, der zeigte, worum es im Leben eigentlich geht: auf einem Hügel zu sitzen, in die Landschaft zu schauen und dabei den Hund zu kraulen – eine Beschäftigung, wie geschaffen für einen Sonntag wie diesen.

Little darlin‘ don’t you see the sun is shining
Just for you, only today
If you hurry you can get a ray on you, come with me, just to play
Like every humming bird and bumblebee
Every sunflower, cloud and every tree
I feel so much a part of this
Nature’s got me high and it’s beautiful
I’m with this deep eternal universe
From death until rebirth



This corner of the earth is like me in many ways
I can sit for hours here and watch the emerald feathers play
On the face of it I’m blessed
When the sunlight comes for free
I know this corner of the earth it smiles at me
So inspired of that there’s nothing left to do or say
Think I’ll dream, ‚til the stars shine

Corner of the Earth nun“, schrieb ich damals, „hört man an, dass Jay Kay beim Schreiben mit seinem Hund auf einem grünen Hügel gesessen und
das Einssein mit der Natur genossen hat, getreu der Kundera’schen Maxime, „an einem schönen Nachmittag mit einem Hund auf einem Hügel zu sitzen, bedeutet wieder im Paradies zu sein, wo Nichtstun nicht Langeweile war, sondern Frieden“ – und tatsächlich äußerte der sympathische Jamiroquai-Frontmann kürzlich sinngemäß, dass er am liebsten den ganzen Tag zu Hause hocken und sich um seinen Hund kümmern würde. Dieser Song vermittelt dem Hörer nichts weniger eine winzige Idee davon, wie es sein muss, vollkommen mit dem Universum zu verschmelzen.“

In diesem Sinne: einen schönen Sonntag und setzen Sie sich doch wieder einmal auf einen Hügel!


Kopfhörerhund meint: Sollte gerade mal kein Hügel zur Hand sein – ein innerstädtischer Brunnen tut es zur Not auch. Und jetzt einmal kraulen, bitte.

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