30. Januar 2011

Winterdepression adé –
die neue Victoriah’s Music ist da!

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 18:08

„Von allen Monaten ist mir der Januar der unliebsamste. Dunkel, kalt und nass ist es zwar auch zu anderen Zeiten. November-Blues? Geschenkt! Den erwartet man ja gewissermaßen, und ist dennoch jedes Mal wieder erstaunt, wenn er sich nicht einstellt. Dezember lässt durch Endjahreshektik einerseits und Festtagsglanz andererseits gar keine trübe Stimmung aufkommen. Besinnlichkeit erwünscht, Sofa kuscheln, Teepunsch trinken, Plätzchen naschen … Alles schick. Im Januar dann verlöschen die blinkenden Lichter. Es ist aber immer noch dunkel. Und irgendwie leer. Nie braucht man den Frühling so sehr wie im Januar! Der ist aber noch weit weg, und stattdessen stellt sich eine gewaltige Neujahrsdepression ein. Der Januar ist der ideale Monat, sich mit Auswanderungsphantasien zu tragen. Dagegen hilft nur zweierlei: Musik, die nicht beim Trübsalblasen stört, die einen sanft an die Hand nimmt und tröstet. Und Musik, die so laut und wild und gutgelaunt ist, auf dass der Trübsal der Marsch geblasen wird, der Mensch den Hintern hoch und das Hirn frei kriegt.“

Die neue Victoriah’s Music hält acht ganz besondere Schätzelchen gegen den Januar-Blues parat, und sieben davon gefallen ihr sogar … Mit dabei ist unter anderem Nelson vom italienischen Altmeister Paolo Conte – eine Hommage an seinen im Vorjahr 12-jährig verstorbenen Hund gleichen Namens. Den hat er dann auch selbst für das Cover porträtiert.

Außerdem besprochen wurden:

  • Wollny | Kruse | Schaefer, [em] Live
  • Norah Jones, Featuring
  • Caroline Henderson, Keeper of the Flame
  • Ben L’Oncle Soul, Ben L’Oncle Soul
  • Jamiroquai, Rock Dust Light Star
  • An Pierlé & White Velvet, Hinterland
  • Beady Belle, At Welding Bridge
  • Zu lesen gibt es das Ganze wie immer auf fairaudio.de

    29. Januar 2011

    Die Energija-Rakete hebt ab –
    ich aber will nur noch ins Bett

    Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 17:45

    Das erste Mal im Pfefferberg war ich 1996, die Location ein heruntergekommenes Abrissgebäude, und ich Bandbetreuerin – nein, das ist bei weitem weniger anzüglich als es klingt: es hat etwas mit dem Aufhängen von Garderobe und Bewachen der Instrumente im Backstag-Bereich zu tun – im Rahmen des vom Deutschen Rockmusikerverband gestifteten Berlin Music Award. Danach haben wir uns irgendwie aus den Augen veroren, der Pfefferberg und ich. An zwei, drei Konzerte kann ich mich noch, wenngleich dunkel, erinnern, danach überließ ich die ehemalige Brauerei samt Biergarten den diversen Sanierungsbemühungen. Das erste Mal im „neuen“ Pfefferberg war ich vorgestern, genauer genommen in einem seiner unterirdischen Teile: dem Bassy Club, wo Joan Wasser alias Joan As Police Woman ihre neue Platte vorstellte.

    Und gestern dann gleich wieder. Das ist in zweifacher Weise wie Und täglich grüßt das Murmeltier – gleiche Uhrzeit, gleicher Begleiter, gleicher Ort; und dann sind da auch noch die Freundinnen der Jungs von den Cosmonautix, die, bevor der allgemeine Publikumsverkehr einsetzt, eifrig Tische rücken, Plakate ausrollen und überhaupt alles so machen wie ich vor 15 Jahren, während durch eine Tür die Klangfetzen des Soundchecks – genauer: eine Trompete. Eine Trompete? Seit wann gibt es bei den Cosmonautix Bläser? – zu hören sind. Manche Abläufe ändern sich eben nie.

    Mr. Bassplayerman trifft ein, genau so übermüdet vom gestrigen Konzertabend wie ich auch, und mindestens genauso überarbeitet. Ja, ich habe mal geschrieben, Radiokonzerte seien schon allein deshalb so toll, weil sie pünktlich über die Bühne gehen müssen und man selbst beizeiten ins Bett kommt. Leider haben wir da vorgestern etwas falsch gemacht. Nach Konzertschluss war es einfach noch so früh, dass der angebrochene Abend dringend noch nach Weiterziehen schrie. So etwas geht meistens böse aus, und das ist es auch diesmal … Und da Arbeitstiere, saßen wir gestern trotzdem um neun schon wieder hinter unseren Schreibtischen. Unsere Verfassung kann man sich also vorstellen, denn wir sind beide keine zwanzig mehr! Wenn einen die Freundin eines Musikers dann auch noch anfängt zu siezen, ist endgültig klar, dass man die magische Altersgrenze überschritten hat. Da hilft auch meine bevorzugte Sündenausbesserungscreme „Anti-Müdigkeit“, die laut Hersteller gegen „Stress, Wechsel der Jahreszeiten und unruhigen Lebensstil“ wirkt, wohl nur noch bedingt …

    Alldieweil sorgt der eigens aus Australien eingeflogene DJ Delay mit allerlei Balkantronika (Reinhören? Ein Free Set gibt es hier) und vor allem guter Lautstärke für ein erstes Wiedermunterwerden. Gegen neun dann der Auftritt vom „Unterweltbarden“ Ganef aus Odessa mit seinem „Ganoven-Chanson“, auf dessen Homepage auch ein sehr nett anzuschauendes Hundetier sein (Un-)Wesen treibt:

    Ein zweiter Gainsbourg möchte Ganef sein, klingt dann allerdings doch eher nach Wolf Biermann. Wogegen ja auch gar nichts zu sagen ist. Vor fünfund-
    dreißig Jahren wäre er unter Studenten sicher toll angekommen, der Mann mit der kratzigen Stimme und der im Gegensatz dazu supersmooth angeschlagenen Gitarre. Konzertmusik ist das allerdings nicht, eher etwas für eine gesellige Runde unter Freunden, wo es Bier gibt, und irgendwann holt dann einer die Gitarre raus. Ich ertappe mich trotzdem dabei, wie ich bei seinem Lied vom Einsamen Wolf ein bisschen heule; ich denke an Kopfhörer-
    hund, und der – wie es sich für das Genre gehört – tragisch endende Wolf
    tut mir leid. Ich muss wirklich sehr müde und sehr überarbeitet sein.

    Eine Stunde später dann kommen die Wiener Niftys, die laut PR „Klezmer-Dub“ machen. Mich allerdings erinnert ihre Musik an die H-Bloxx, die sich im Spielen von Begräbnismärschen versuchen. Von mir aus auch an Nu Metal-Balkan oder Nu Balkan-Metal. Wenn der Manager hier von einer „schwierigen Mischung“ spricht, untertreibt er schamlos. Denn egal wie gut sie sind – und insbesondere der Schalgzeuger und der Bassist sind gut; selten habe ich ein so präzises Timing gehört! -, sie sind vor allem laut und lang. Aber wenigstens hat sich das Rätsel der Trompete vom Soundcheck gelöst – die spielt hier. So sehr ich Balkan Brass ansonsten liebe, so sehr leide ich unter den Niftys – was ich umso mehr bedaure, da ihr extrem hübscher Bassist ein bisschen aussieht wie lecker Adam Levine von Maroon 5. Auch Mr. Bassplayerman leidet. Wir sind beide inzwischen so genervt, dass wir einfach nur noch raus wollen. Die Befürchtung: Egal wie toll die Cosmonautix jetzt spielen, wir werden sie nicht mögen, da mittlerweile jeder Ton einer zu viel ist. Himmlische Ruhe wäre jetzt herrlich – so eine Band sind die Niftys. Sie haben es sogar geschafft, dass sich zwei ansonsten ziemlich tolerante und aufgeklärte Wesen mittlerweile in – wenngleich harmlosen – Österreicherwitzen üben, nach dem Motto, dürfen die hier überhaupt spielen? Bzw. wahrscheinlich fand man sie in Wien so schrecklich, dass man sie einfach abgeschoben hat, die Berliner zu quälen. Schlimme Musik. Ganz schlimme Musik.

    Die frische Luft und der Veggieburger auf Blumenkohlbasis – man weiß, dass man im Prenzlauer Berg ist, wenn der nächstgelegene Imbiss so etwas anbietet – helfen gegen den Klangschock. Sogar Mr. Bassplayerman, der wirklich abgenervt ist, lässt sich noch einmal zu einer Rückkehr zum Konzertgeschehen überreden. Da spielen jetzt, kurz nach dreiundzwanzig Uhr, endlich endlich die Cosmonautix.

    Diesmal mit einer schicken Elektofidel und einigen neuen Stücken – und natürlich wie nicht anders zu erwarten sehr gut und sehr lustig. Selbst Bassplayerman freut sich, doch noch mal zurückgekommen zu sein. Besonders die Bassbalalaika hat es ihm angetan, und gemeinsam rätseln
    wir, ob das Ding trotz Dreisaitigkeit in Quarten gestimmt ist. Tja, hätte ich mal in Instumentenkunde besser aufgepasst! Zu meiner Ehrverteidigung sei gesagt, dass Instrumentenkunde ein Wahlpflichtfach war und ich dessen Alternative, Elektroakustik, belegt habe. Bassplayerman kommentiert trocken: „Heißt also, dass du eins davon gar nicht kannst …“

    Ob nun die These zutrifft, je weniger Saiten, desto größer das Stimmintervall, oder in diesem Falle eben nicht, werden wir zumindest an diesem Abend nicht mehr erfahren, denn leider war es keine gute Idee, bei einem Konzert mit drei, zählt man den DJ mit, sogar vier Acts ausgerechnet die letzte Band sehen zu wollen. Nicht, wenn einem noch die Konzertnacht davor in den Knochen steckt. Das ist ohnehin das Problem dieser sogenannten Labelnights, die schnell in konditionszehrende Mini-Festivals ausarten: Der Act, den man sehen will, spielt zum Schluss, und vorher muss man sich noch durch die B- und C-Acts des Labels quälen … Mr. Bassplayerman jedenfalls macht um halb zwölf schlapp. Ich selbst halte mmerhin bis Mitternacht durch, dann rufe auch ich mir ein Taxi. Die Show sehe ich nicht mehr bis zum Ende, und ich mag gar nicht daran denken, dass DJ Deelay auch noch zur Aftershowparty bittet. Wer hält so einen Marathon denn durch?

    Ganz einfach: die nächste Generation. Mag sein, dass ich für so etwas mittlerweile gut fünfzehn Jahre zu alt bin, aber die Nachfolger jenes Publikums, die damals zu den Klängen der Grinen Kuzine groovten, feier- und tanzwütig bis in den Morgen, hebt richtig ab. Da wird Polka oder das, was man in Berlin dafür hält, getanzt. Der ganze Saal ist ein einziges Auf- und Niederhopsen. Band und Publikum haben am nächsten Tag vermutlich fünf Kilo abgenommen …

    Es ist einfach immer wieder erstaunlich zu sehen, wie die Cosmonautix die ganze Zeit in Bewegung sind, wie die Flummis, und dabei noch überaus akzeptable Töne produzieren! Wie lange muss man trainieren, um für so eine Show fit zu sein? Und dann noch die Ganzkörperanzüge und die Pelzmützen … Vermutlich heißt ihr Debütalbum nicht umsonst Energija. Nicht nur die Cosmonautix scheinen Energie ohne Ende zu haben – die braucht man auch im Publikum. Ich habe sie nicht mehr aufbringen können. Liebe Cosmonautix, dass ich in diesem Zustand überhaupt aus meinem Loch gekrochen bin – das mach ich nur für Bands, die ich richtig, richtig mag. Spielt doch das nächste Mal samstags, Jungs, dann kann ich – wie als Kind zu Silvester – vorschlafen. Oder einfach früher, und auch Euer Publikum Mitte/Ende dreißig wird dann durchhalten …

    Fazit: Mit Achim Rinderles Zen-Klarinette hätte ich für diesen Abend die passendere Wahl getroffen …

    28. Januar 2011

    Wer röhrt denn da im Bassy?

    Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , — VSz | Klangverführer @ 17:21

    Was im Januar für manche die Ballsaison ist, ist für die Musikschreiber die Konzertsaison. Da wird gesungen, gefiedelt, geklimpert, getrommelt und gezupft, als hätten alle Musiker den gemeinsamen Neujahrvorsatz gefasst, im nächsten Jahr mehr zu touren. Kann ja sein, dass das für die Party People noch unter „normales Ausgehpensum“ fällt, ich jedenfalls finde, dass drei Konzerte die Woche auch erst mal verdaut sein wollen. Schlaf jedenfalls kommt im Moment definitiv zu kurz. Wem dafür aber so schön gesungen, gefiedelt, geklimpert … wird, der sollte sich nicht beschweren!


    Im Bassy röhrt der Wolf …

    Beschweren ist auch das letzte, was ich im Rückblick auf den gestrigen Abend im Sinn habe. Kurz: Das Konzert war toll. Soooo schön wurde da gesungen, ge … hm, genaugenommen wurde gestern gar nicht gefiedelt, obwohl Joan Wasser, besser bekannt als Joan As Police Woman, von Hause aus klassische Geigerin – und zwar nicht irgendeine, sondern Schülerin des Oistrach-Schülers Yuri Mazurkevich! – ist, und zwar eine, die jedoch nie davor zurückschreckte, ihr Können in den Dienst der „U-Musik“ zu stellen. So ist ihr Geigenspiel auf Platten von diversen Künstlern, vorrangig der Indie-Sparte, zu hören, wie etwa Sheryl Crow, Adam Green, David Gahan, Sparklehorse, Elysian Fields, Trail Of Dead oder Scissor Sisters. Nun, der Klangblog war ohnehin stark geigenlastig in letzter Zeit, und auch heute Abend wird der Jammerschinken bei den Cosmonautix wieder kräftig bemüht werden, also seien wir froh drum, dass Frau Wasser zur nicht-öffentlichen Vorab-
    präsentation ihres neuen Albums The Deep Field nur mit Klavier und E-Gitarre anreiste.


    … aber nicht nur der!

    Wo sonst Cowboys und die, die sich dafür halten, „wild music before 1969“ genießen, konnte man gestern abend dem ganz speziellen Umgang der Künstlerin mit den großen Themen der Menschheit, mit Liebe, Sex, Freiheit und Tod, lauschen, an dem sich wenig geändert hat. Von Joan Wasser selbst wird The Deep Field allerdings nicht nur als ihr bislang offenstes Album bezeichnet, sondern gleichzeitig ihr fröhlichstes. Aber keine Angst, die Meisterin der Selbstreflektion wird auch jetzt nicht zum Happy Hippo, doch sah man das ein oder andere Mal durchaus den Schalk in Wassers Augen, die spichwörtliche Zunge in der Backe hervorlugen. Auf ist nicht mehr alles so tragisch wie früher.

    Zwar scheint ab und an auch hier ein Hauch der von ihren beiden Vorgängeralben (Real Life, 2006 und To Survive, 2008) hinlänglich bekannten Melancholie auf, insgesamt aber ist The Deep Field ein intimes Singer-Songwriteralbum irgendwo zwischen zauberhaftem Gitarren-Folk, Indie-Jazz und sexy Soul. Auch in die härtere Aternative-Rock-Gangart schaltet Wasser nur noch selten, es dominieren zarte Töne. Gleich dem Weltraumteleskop Hubble, nach dessen 1995er-Bild „Deep Field“ das Album benannt ist, habe die Musikerin ihr eigenes Innerstes ausloten und dann in Musik gießen wollen.

    Man erinnere sich: Hubble wurde damals auf einen Bereich des Großen Bären gerichtet, von dem man annahm, er sei völlig leer. Stattdessen lieferte das Teleskop Bilder von Sternen und fernen Galaxien, die bis dato unentdeckt waren. Genau dies könne auch passieren, wenn man sein eigenes Leben betrachte, und Joan Wasser scheint kein Problem mit einem derartigen Seelen-Striptease zu haben: Sie liefert sich ihrem Publikum in ihren eindringlichen Songs nackt und schutzlos aus. Dafür wird sie geliebt.

    Und tatsächlich berühren Sänger, so hat mir meine eigene Gesanglehrerin immer wieder gepredigt, ihr Publikum nur dann, wenn ihre Emotionen glaubhaft sind. Wir können uns nicht hinter dicken Instrumenten verstecken. Wir haben nur unsere Stimmen. Joan Wasser glaubt man, was sie singt. Das mag ihr auch die Vergleiche mit Kolleginnen wie PJ Harvey, Cat Power oder Feist eingebracht haben. Zudem verfügt sie über eine derart betörende Präsenz, dass mein sonst eher kühl zurückhaltender Konzertbegleiter, nennen wir ihn der Einfachheit halber Bassplayerman, aufgeregt wie ein Schuljunge um ein Autogramm bat. Bitten ist die eine Sache, Stift und Papier dabei haben, die andere. Letztendlich musste eine – herausgerissene – Seite meines schönen Moleskines dran glauben. Als Belohnung für so viel Einsatz öffnete Wasser dann mal noch so en passant den durchgehenden Front-Reißverschluss ihres Leder-Cat Suits, den ich bis dato für eine Erfindung für die Radio-Hörer gehalten hatte. Aber nein, sie, die ihrem Berliner Publikum attestiert, „you are all soooo punk!“, war tatsächlich in dieses Ganzkörperzipperding gehüllt! Mr. Bassplayerman brauchte eine eine Weile, bis er sich von dem Anblick erholt hatte und wieder ansprechbar war.

    Und ich habe mich gefreut: Endlich mal eine Amazone unter diesen ansonsten so elfenhaften storytelling-pianoplaying Fräuleins! Denn auch Joan Wassers Stimme ist alles andere als zart. Kraftvoll bis an den Rand der Aggressivität singt sie alle Obels und Lenz‘ dieser Welt glatt an die Wand.

    Mehr davon? Wassers Label Pias hat das komplette Zehn-Track-Album als Soundcloud-Stream bereitgestellt. Bitte vergessen Sie trotzdem nicht, es
    zu kaufen.

    23. Januar 2011

    Kopfhörerhund guckt A Glezele Vayn
    ― Konzertfotos aus Hundeperspektive ―

    Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 17:13

    Das letzte Mal, als ich A Glezele Vayn mit ihrem Feynherb-Programm im Pankower Zimmer 16 gesehen habe, ist ein halbes Jahr her. Ich finde es immer wieder spannend, das selbe Programm mehrmals zu sehen, und außerdem wurden wir sehr charmant eingeladen. Wir – das sind in diesem Falle ich und Kopfhörerhund. Also nichts wie hin!


    Zu einem Auftritt von A Glezele Vayn gehört – ganz klar – ein Gläschen Wein!
    Und eine kraulende Hand. Für die sorgt hier der nette Herr auf dem Nebensitz.


    Hmmm … Was’n das?


    Wann geht’s denn los?


    Lauschposition einnehmen …

    Schon eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist es bei weitem voller als beim letzten Mal, und zum Konzertbeginn hat sich das Zimmer 16 gut gefüllt. Ich kann mir nicht helfen, aber mir hat die Atmosphäre im Juli besser gefallen. Vielleicht, weil die Band dachte, nun erst recht. Vielleicht, weil das Publikum noch mehr mitgegangen ist, nach dem Motto, wenn sich die Armen da auf der Bühne schon für uns handvoll Unerschrockene mühen, dann wollen wir ihnen es auch mit höchster Konzentration danken. Es ist eben etwas ganz Besonderes, wenn man gewissermaßen ein Privatkonzert vorgespielt bekommt. Solch eine intime Atmosphäre hat sonst nur eine Generalprobe, zu der nur wenige Auserwählte zugelassen sind. Im Juli kam ich mir auserwählt vor, es war ein Konzert, welches ich nie vergessen werde. Die Glezeles wohl auch nicht, denn in ihrer persönlichen Statistik nimmt es den unrühmlichen ersten Platz unter den schlechtbesuchtesten Konzerten ihrer Karriere ein …


    … und da sind sie ja auch schon!

    Vielleicht gefiel mir das Juli-Konzert aber auch deshalb besser, weil ich gewisse Pointen des Programms nun ja schon kannte, die auf dem Überraschungseffekt beruhen. Spaß macht es aber allemal noch – ich würde auch ein drittes, viertes, fünftes Mal hingegen! Aber auch der Ton war letztes Mal ausgewogener. Der Bass klang selbst in der ersten Reihen seltsam dünn. Schade, denn Bassist Johannes Keller – mittlerweile der dritte, den ich mit den Glezeles gehört habe – gefällt mir bislang von allen Glezeles-Bassisten am besten. Er hat, und das kommt bei Jazzbassisten meiner Erfahrung nach nicht so oft vor, eine großartige Bogenführung, und die uns von Glezele-Mastermind Achim Rinderle per Rundschreiben vorab angedrohten „verbotenen chromatischen Läufe“ gab es bis auf zwei Stellen auch nicht. Lustigerweise sind es, wie schon bei den Cosmonautix, ja immer die Bassisten, die am meisten schleppen müssen: Zusätzlich zu ihrem mannshohen Rieseinstrument auch noch den Verstärker, da sie meistens die einzigen sind, die sich mittels elektronischer Hilfe gegen durchdringende Tröten und Fideln durchsetzen müssen.

    Apropos Fideln: die sucht man bei A Glezele Vayn vergebens. Interessant für eine Klezmerkapelle. Gewissermaßen übernimmt Szilvia Csarankos Akkordeon – auf dem die Pianistin jedes Mal besser wird! – im Zwiegesang mit Rinderles Klarinette diesen Part.


    Ein schönes Duo!

    Auch sonst sind A Glezele Vayn nicht unbedingt das, was das konservative Klezmerpublikum erwartet. Was mir an ihnen (und eben auch an den Cosmonautix, die ja auch ein paar jiddische Traditionals in ihrem Repertoire haben) so gefällt: Sie alle haben kapiert, dass man diese Musik heutzutage (nur) mit einem Augenzwinkern spielen kann. Bei den Cosmonautix habe ich von „Balkan-Comedy“ geschrieben, und auch die Glezeles machen wieder jede Menge schönen Unsinn. Denn so und nur so läuft man nicht Gefahr, in Betroffenheitsstarre (Klezmer) oder Multikultiseligkeit (Balkan) abzurutschen, was für Künstler wie Publikum eine Zumutung wäre. Wobei, wenn ich es mir recht überlege: Es gibt immer den einen oder anderen Giora Feidman-Hörer im Publikum, der regelmäßig hochverstört: Da wird jüdische Kultur dargeboten und dann ist das lustig, da wird gelacht, ojwej! Nie wird er verstehen, dass man so einer längst vergangenen Tradition weitaus mehr Respekt erweist, als wenn man versucht, sie gewissermaßen museal zu konservieren. Auf solchen „Klezmer“-Konzerten war ich auch schon. Und immer hatte ich das Gefühl, dass es eigentlich Gedenkveranstaltungen sind. Aber hey, Klezmer ist eine fröhliche Musik, eine Hochzeitsmusik, und der Schadchen genannte Heiratsvermittler, der bei der Feier dann den Zeremonienmeister gab, der war lustig, war bissig und bestimmt nicht immer politisch korrekt! Rinderle gibt den perfekten Schadchen und schrammt Prince Harry-artig an der, ich zitiere, „Beifahrertür des guten Geschmacks“ das ein oder andere Mal nur knapp vorbei. Ich habe beschlossen, nichts gehört zu haben, denn hätte ich es gehört, müsste ich es aufschreiben!

    Was ich sagen will: Die jungen „wilden“ Klezmerbands heute, die spielerisch und lustig mit ihrem Genre umgehen und sich – eventuell – das ein oder andere Mal (zu) weit aus dem Fenster lehnen dabei: Sind nicht sie im viel eigentlicheren Sinne die Keepers of the Flame einer untergegangenen Kultur als die ganzen pädagogisierend-moralisierenden selbsternannten Bewahrer, die doch recht eigentlich bloße Kopisten sind?

    Aber zurück zu dem gestrigen Abend. Neu war die „Neo Folk“-Sektion mit der von Rinderle komponierten Alpen-Suite; neu war auch ein mit Darbuka-Begleitung dargebotenes türkisches Stück – übrigens das Einzige, was Kopfhörerhund nicht mochte. Wahrscheinlich fährt so ein Darbuka-Klang noch ganz anders in die Eingeweide als eine „herkömmliche“ Trommel. Am Spiel von Jacobus Thiele jedenfalls kann es nicht gelegen haben, das war wie immer über sämtliche Zweifel erhaben. Er ist und bleibt – nicht zuletzt als begnadeter Kopfhörerhundkrauler – einer meiner Lieblings-Glezeles!

    Kopfhörerhund war auch diesmal, wie immer, der perfekt interessierte Konzertbegleiter. Was machen die denn da?, schien der Blick zu fragen.
    Ah, Musik, stellte sie nach dem ersten Lied fest. Langweilig, da kann ich ja schlafen. Und tatsächlich fiel sie schon beim zweiten Stück, den eher getragenen Schwingungen der Jiddischen Hora, in einen kurzen, aber halb-komatösen Tiefschlaf, aus dem sie erst das Spiel mit den Löffeln wieder hochschrecken ließ. Bei Rinderles Sologedicht grunzte sie kurz auf und drehte uns den Rücken zu. Ich glaube, dass der Bassist das Grunzen mit Knurren verwechselte und insgeheim schon Angst um sein Bein hatte … Leider frisst Kopfhörerhund keine Menschenbeine. Was würde uns das an Futterkosten sparen! Spenden in diesem Sinne sind übrigens willkommen …


    Bequemer in der Froschposition

    Wer im Folgenden was verwechselt hat, ist nicht so ganz klar. Achim Rinderle ist überzeugt, dass Kopfhörerhund im Rhythmus mit dem Kopf wackelte und mit der Band mitgroovte. Für mich sah das allerdings eher so aus, als hätte Kopfhörerhund Schwierigkeiten mit seinem Abendbrot und versuchte, es wieder hervorzuwürgen. Da das Abendbrot aber drinnen blieb (Was Glück! Vollgekotzte S-Bahn-Züge hatten wir schon, ein vollgekotzter Konzertsaal wäre dann noch etwas peinlicher gewesen …), neige ich mittlerweile dazu, Rinderle zuzustimmen. Schließlich heißt es in der Ode an den Kopfhörer nicht umsonst, „Im Körbchen groovt Kopfhörerhund“. Und ihr Körbchen hatte sie in Form einer Faltdecke ja dabei. Überhaupt hat es Kopfhörerhund gut, denke ich mir in der Pause. Sie ist der Star bei dem Musikern, einer krault den Hals, einer den Po, während ich lediglich dazu gut bin, sie kurz an den nächsten Baum vors Zimmer 16 zu lotsen und ihren ebenfalls mitgeführten Faltnapf mit frischem Wasser aufzufüllen.


    Kopfhörerhund guckt …


    … und guckt …


    … und guckt …


    … und guckt!

    Toll nach der Pause: Bei dem als „wirklich schön“ angesagten Stück, dessen Namen ich mir leider nicht gemerkt habe (über entsprechende Hinweise freue ich mich), überrascht ganz viel Luft im ansonsten eher klaren und kompakten Klarinettenton Rinderles – ganz ähnlich wie beim Opener Khsidim Tants der CD. Und recht hat er, es ist ein wirklich schönes Stück! Auch immer wieder schön: Das Khassidishe Nigun mit wogendem Meer.


    Es wogt hin … und her …

    Und endlich habe ich bei meinem Liebling Klarinettenhass auch die eine Zeile verstanden, die mir bislang gefehlt hat! Alles in allem wieder mal ein sehr schöner Abend mit den Glezeles.


    … und tschüß!

    Fand auch Kopfhörerhund: Erstens hatten alle schwarze Hosen an, da lohnt es sich so richtig, die vollzuhaaren! Außerdem sind wir mit der S-Bahn gekommen. Und S-Bahnhöfe bedeuten Dönerbuden. Und Dönerbuden bedeuten jede Menge festgetretene Dönerreste auf dem Bürgersteig. Diese wurden sich natürlich einverleibt, sodass sich Kopfhörerhund in der Nacht ganz seinen von angegammeltem Döner verursachten Blähungen hingeben und mich mit seiner gut funktionierenden Verdauung erfreuen konnte … Aber wie heißt es doch so schön? Ist der Hund gesund, freut sich der Mensch. Oder war das die Katze?


    Is‘ was?

    21. Januar 2011

    Über die Freuden des Bloggertums, Teil 1
    Diesmal mit: Cosmonautix Unplugged

    Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 14:59

    Wissen Sie, was das Schönste am Bloggerdasein ist? Als Blogger kann ich mich auch dort wie ein Fan benehmen, wo es mir die journalistische Ethik à la „Mach dich nicht gemeinsam mit deinem Sujet“ nie gestatten würde. Ich kann einem Konzert mit Block und Stift (ja, ich arbeite da noch völlig konventionell) beiwohnen und mir danach trotzdem Autogramme geben lassen. Ich kann mit der Band herumflachsen, ohne gleich so etwas wie ein Interview aus ihren Äußerungen stricken zu müssen. Und, wichtig: Ich kann Kopfhörerhund mitnehmen. Der gehört zum Klangblog nun mal dazu.

    Nicht, dass ich meine journalistische Arbeit nicht mögen würde. Ganz im Gegenteil. Bei fairaudio habe ich definitiv meine musikrezensorische Heimat gefunden. Um die Redaktion zu zitieren: Das passt wie Arsch auf Eimer.
    Aber als Blogger kann ich mich, befreit von den Konventionen meines Berufsstandes, auch bedingunglosem Fantum hingeben. Hey, ich habe gestern eine CD gekauft. Ich hätte mich stattdessen auch von piranha bemustern lassen können. Aber das wäre nur der halbe Spaß gewesen. Außerdem soll man – und das hier geht jetzt an alle – gute Musik kaufen. Mittelmäßige können Sie sich schenken lassen, und schlechte kann man von mir aus auch downloaden.

    Die Cosmonautix machen in jedem Falle gute Musik. Seit ich sie nämlich im letzten August bei Artists for Peace gesehen habe, bin ich ein großer Fan von den vier Jungs. Dabei bin ich eher zufällig in die Friedensveranstaltung auf dem Alexanderplatz hineingeraten, irgendwo beim Umsteigen zwischen U- und Straßenbahn. Und dann hörte ich mit einem Mal Speedbalkanfetzen, jemand sang jiddisch, und – beim nähren Hingucken – wuchtete da auch wer eine Bassbalalaika herum. Die Jungs, damals noch ohne rote Anzüge und als „eine Kombo aus Punk, Rock, Ska, Klezmer und den Klängen Osteuropas“ angekündigt, fand ich jedenfalls so genial, dass ich einen Friedensfestival-
    Flyer mitnahm und zu Hause gleich ihren MySpace-Account checkte. Ob ich damit jetzt was für den Weltfrieden getan hab, weiß ich nicht.

    Jedenfalls flatterte mir dann letzte Woche eine Einladung der Büchergilde Gutenberg ins Haus. Dieser mein liebster Buchclub macht nämlich nicht nur wunderschön ausgestattete und prächtig illustrierte Bücher, sondern ist auch immer für musikalische Neuentdeckungen gut – man denke hier nur an die Wiener Tschuschenkapelle mit Jovica Petkovic, an Brass Noir – On the Trans-Balkan Highway von Markovic, Boban und Fanfare Ciocarlia oder die 12-teilige Anthologie Sol Sajn. Das Debütalbum der Cosmonautix gehört nun auch dazu, und zur Präsentation hat man von achtzehn Uhr bis Ladenschluss die Band selbst eingeladen, zu einem Abend unter dem Motto Cosmonautix unplugged mit rasender Balalaika, allerlei Unsinn und viel Wodka. Bessere Argumente, das Büro mal früh zu verlassen, gibt es wohl kaum.

    Und dann waren sie auch schon da, die vier Herren von den Cosmonautix, die in ihren roten Anzügen wie uneheliche Söhne von Michael Jackson und dem Michelin-Männchen aussehen: Morgan Nickolay, Ruben Wilschenko, Pawel Eivić und Kai Laschnikov. Absoluter Hingucker ist natürlich Eivićs Bassbalalaika, zuletzt gesehen bei den wunderbaren Katzenjammer aus Norwegen. Der mannshohe Dreisaiter muss eine Herausforderung für jeden E-Bassisten sein.

    Und auch lustige Hüte gehören scheinbar in jedem Falle dazu, wenn man Balkancomedy macht (Gibt es das? Dieses Genre müsste es eigentlich seit dem genialen Polka Punk der Popolskis, spätestens aber seit Sacha Baron Cohens Borat geben!), A Glezele Vayns Achim Rinderle hat das mit seinem
    FC Balkan-Hut ja demonstriert.

    Nicht zu vergessen, dass jeder, der den Vorstoß in diese Richtung wagt, sein Fach um Klassen besser beherrschen muss als der, der gänzlich ohne Ironie auskommt, bekanntlich ist das Leichte immer schwerer, das gilt für Film wie Musik gleichermaßen.

    Alltime-Fußgängerzonenbalkangassenhauer wie Kalinka und Katjuscha wechseln sich ab mit ins Balkanidiom übersetzten Euro-Dance-Hits – aus der Technoburner von 2Unlimited wird dann mal eben No Kiszka – und getrageneren Tratiotionals – natürlich alle in einmaliger Cosmonautix-Bearbeitung -, und beim Zug, der langsam durch die Landschaft fährt, kommt auch der Geiger endlich aus sich heraus und wagt sich in eine höhere Lage. Bis dahin hatte ich ihn im Verdacht, von Hause aus eher Gitarrist oder Klavierspieler zu sein, so krampfhaft, wie er sich in der ersten Lage am Griffbrett festklammert, und mit derart nach innen abgeknicktem Handgelenk, für das mir meine Geigenlehrerin stundenlange Dancla-Etüden aufgebrummt hätte! Erstaunlicherweise tut diese Technik, zu der auch ein sehr eigenwilliges Vibrato gehört, seinem Ton in keinster Weise Abbruch – vielleicht irren sich die Geigenlehrer dieser Welt ja! Vermutlich ist der satte Ton aber auch seiner extrem schönen Bogenführung geschuldet, locker und trotzdem sicher, die ich ihm neide. Dazu singt und tanzt er auch noch unter seiner Pelzmütze, vermutlich wäre ich schon längst an Hitzeschock gestorben. Morgan und Ruben machen die Show …

    … und die Rhythmusgruppe – man gucke sich nur die aufgekrämpelten Overallärmel an – macht die Arbeit.

    Also eigentlich wie überall. Aber so ganz stimmt das dann doch nicht, denn bei den Cosmonautix machen alle schönen Unsinn …

    … und so total durchgeknallt, abgedreht und voll auf Speed muss man sich auch die Musik vorstellen:

    Übrigens wurde mir glaubhaft versichert, dass die Overalls definitiv aus nicht-atmungsaktivem Material bestehen und sich innerhalb kürzester Zeit in eine Plastiksauna verwandeln. Auch literweise Wasser sorgt da vermutlich nur für eine eher moderate Abkühlung. Das Publikum indessen hielt sich mit dem stilecht dargereichten Wodka auf Betriebstemperatur, und nach dem dritten Glas war ich froh, Kopfhörerhund diesmal bei der Tagesmutter gelassen zu haben. Dass ich ihn sicher nach Hause hätte bringen können, darf nämlich bezweifelt werden.

    Wer das und mehr auch haben will, kann. Dies hier war nämlich „nur“ der Pre-Release der Platte. Der „richtige“ Record Release Party gibt es am 28. Januar im Pfefferberg. Aufpassen: Das Datum konkurriert mit Rinderles Zen-Klarinette. Tja, Relaxen oder Energija, das ist hier die Frage.

    19. Januar 2011

    So viele Konzerte! So viel Musik!

    Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 12:40

    Kann man sich eigentlich an der Schnittmenge zwischen dem Rausch verschiedener toller Konzerte befinden? Wenn ja, hab ich akute Konzertrauscheritis. Da klingen vom Freitag noch trondheym nach …

     

    … und morgen schon spielen die Cosmonautix live & unplugged ihre Balalaikas, Geigen, Bässe und Drums bei der Präsentation ihres Debütalbums Energija in der Büchergilde Gutenberg am Wittenbergplatz. Russisches, polnisches und tschechisches Liedgut vermengt sich hier mit jiddischen und griechischen Traditionen und vieeeeel Wodka. Ich habe die Combo ihren Russian Balalaika Speedfolk irgendwann im Sommer auf dem Alex zum Besten geben hören – genial. Checken Sie doch mal ihre MySpace-Präsenz aus: www.myspace.com/cosmonautixberlin

     

    Eher nach Wein als nach Wodka schreit die Vorstellung unserer Aller liebsten Glezeles, die sich im Rahmen der Pankower Klezmertage 2010, wo erst letzte Woche auch Karsten Troyke auftrat, mal wieder im Zimmer 16 die Ehre geben. Am Bass ist dort am 22. Januar allerdings Johannes Keller zu hören – ein gestandener Jazzer, der – folgt man der Darstellung von A Glezele Vayn-Kopf Achim Rinderle – „so manchen verbotenen chromatischen Lauf“ erklingen lassen wird. Alpinklezmer goes Jazz – bin gespannt!

     

    Rinderle kann, wer mag, nächsten Freitag auch im Liquidrom lauschen.
    Ab 20.30 Uhr erklingt jede Stunde seine einsame Zenklarinette im salzwasserbeckenbestückten Gewölbe. Zuhören und treiben lassen und zwischendurch ab an die Bar – das ist mal eine wirklich vernünftige Alternative zu all diesem „After Work“-Quatsch, wo man auch noch nach Feierabend netzwerken soll und sich keinesfalls entspannen darf.

     

    Auch bei Kopfhörerhund, der beim trondheym-Konzert in Sepp Maiers herrlich gemütlicher 2raumwohnung die Videoprojektionen von macabo hochkonzentriert beobachtete, um nicht zu sagen: wie hypnotisiert anstarrte, klingt noch so manches nach. So eine Bassklarinette kribbelt aber auch ganz schön am Bauch!


    Liebe Katze Ella, jetzt warst Du ja doch da – und so schlimm war es doch gar nicht mit uns, oder? Nur meine Menschin, die hat vor lauter Schreck über unser Zusammentreffen ihren Regenschirm bei Euch vergessen …

    13. Januar 2011

    Und was machen wir morgen? Wir gehen zu trondheym in Sepp Maiers 2raumwohnung!

    Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 10:58

    Nach trondheym (2006) und Beta (2008), beide dominiert vom eher nudeligen Klang der – gedämpften – Trompete Nikolaus Neusers, gibt es den elektronischen Jazz des Duos um Jazz-Gitarrist und Live-Laptoper – und, wie er auf dem Thin Lizzy-Cover Little Girl In Bloom (übrigens der perfekte Song für einen verkaterten Morgen) beweist, durchaus passablen Sänger – Gerhard Schmitt auf dem dritten Album Stay Tuned (2009) endlich mit balsamischer Bassklarinette. Und die ist, entgegen ihres Rufes, definitiv kein Altherreninstrument, und nein, man muss auf ihr auch nicht immer Klezmer spielen! Vielmehr verleiht ihr traditioneller Klang Stay Tuned sehr viel Raum, Luft und Wärme, die allerdings nicht im Kontrast zur Elektronik stehen, sondern auf diese gleichsam abzufärben scheinen. Alles ist sehr transparent, leicht, schwebend, gewissermaßen schwerelos und fühlt sich an, als würde man im Salzwassertank floaten, geborgen wie im Mutterleib und trotzdem eins mit der Umgebung. Hierfür wurde Lars Dietrich verpflichtet, und auch eine meiner Lieblingssängerinnen, Ofri Brin von Ofrin, ist mit von der Partie. Little House ist nicht nur eine fast klassische Jazznummer, sondern auch der absolute Höhepunkt des Albums, veredelt vom Scheiß-egal-Mezzo Alexa Rodrians – großartig! Die bringt gedanklich mal ganz lässig ihre Rivalin um die Ecke. Genial die Zeilen „I want my shoes back/I want them back in red/I want my shoes back/In red I want them back//I want my shoes back/I want them back in red/I want that neighbor’s wife/with a knife in her back“. Doch die Gastvokalisten sind nicht die einzige Neuerung: Erstmals bestehen die Songtitel aus mehr als einem Wort … Dann gibt es noch – tropf! – die Wasserfolternummer Water Me mit Nik Leistle an der Bassklarinette, der sonst eigentlich dem Baritonsaxophon zugetan ist, zum Beispiel bei Beat` n`Blow oder den Jive Sharks.

    Liefen die ersten beiden trondheym-CDs bei mir noch unter dem Etikett „ganz nett, hübsche Ambient-Klangtapete, aber nix Besonderes“, ist Stay Tuned das erste trondheym-Album, das ich mir privat gekauft habe. Grund genug, die neuen trondheym mal live auszuchecken. Erste Höreindrücke gibt es hier.

    Wo? In Sepp Maiers 2raumwohnung, Langhansstraße 19, in Berlin-Weißensee. Tram: M4, M13, 12 Antonplatz.
    Wann? Freitag, den 14. Januar 20100, 20.00 Uhr

    2raumkatze Ella, Herrscherin über Sepp Maiers 2raumwohnung und gar nicht so heimliche Chefin von Achim Seuberling, wird sicherheitshalber verbannt, denn Kopfhörerhund kommt auch. Also, nicht falsch verstehen: Kopfhörerhund mag Katzen bzw. sie sind ihm völlig egal. Wie das umgekehrt aussieht, wollen wir lieber nicht austesten. So eine Katzenkralle ist messerscharf, und eine Hundenase hochempfindlich.

    3. Januar 2011

    Die Jagd nach einem Phantom: Ins neue Jahr startet Victoriah’s Music mit einem Klangkrimi
    ― eine wahre Geschichte ―

    Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , — VSz | Klangverführer @ 10:36

    Ich fuhr mit der U-Bahn so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn … Im Schatten sah ich dann allerdings kein Blümlein steh’n, sondern das Kundenmagazin der BVG aushängen. Mein guter Kumpel, der Fernsehturm, war auf dem Titelblatt abgebildet, schick angestrahlt und alles. Guckste mal rein, dachte ich mir. Is‘ ja manchmal die ein oder andere kulturelle Anregung drin. Und tatsächlich stieß ich so vor mich hinblätternd unter der Überschrift Musikalische Ausgrabungen bald auf die Vorstellung der neuen CD von Andrej Hermlin. Soso, hat der also wieder mal eine neue CD gemacht, und – aha! diesmal nicht in amerikanischen Swing-Gefilden gewildert, sondern gewissermaßen direkt vor unserer Haustür, genauer: der Friedrichstraße, interessant. Das muss ich zu Hause gleich mal recherchieren.

    Leichter gedacht als getan. Weder die großen Online-Händler noch die Webpräsenz des Swing Dance Orchestras bzw. Andrej Hermlins selbst listet das Album. Auch die einschlägigen Seiten bei Hermlins Plattenfima hüllen sich in tiefes Schweigen. Coverabbildungen? Fehlanzeige. Diese CD gibt es nicht! Eine groß angelegte Web-Recherche ergab einen mageren Treffer. Offensichtlich hatte Hermlin das mysteriöse Werk im September bei Dussmann präsentiert. Für EUR 18,99 soll man es dort erstehen können. Und eine winzige Abbildung ist auch dabei. Nun, da ich mit Ankündigungen des selbsternannten Kulturkaufhauses bereits zur Zeit meiner Magisterrecherchen so manch lustige Erfahrung gesammelt habe, dachte ich mir: Gehste sicherheitshalber doch selbst mal hin. Erst, wenn du die CD in der Hand hast, glaubst du, dass es sie gibt.

    Ich also in der nächsten Mittagspause zu Dussmann. Ist ja nicht weit; auch ich arbeite in jener Straße, die Hermlin Inspiration gewesen sein soll. Hoch zum Jazz – schließlich hätte ich das Album jetzt beim Swing eingeordnet, wie komme ich nur darauf? – , nach Hermlin gefragt. „Der iste unten bei die Dance Orchestras“, werde ich beschieden. Wieder runter zu den Tanzorchestern. Tatsächlich, da ist er. Und – da ist auch die CD Schwingende Rhythmen. CD geschnappt, ab zur Kasse. Zurück im Büro mache ich die Folie ab und scanne das Cover, um eine passable Abbildung für die fairaudio-Leser zu bekommen. Als ich dann die CD selbst in den Rechner legen will, um sie zu hören, folgt wieder eine Überraschung: Da ist gar keine CD drin! Hab ich sie etwa im Scanner verloren? Umgehend werden dieser und seine nähere Umgebung abgesucht. Nichts. Das ist eine CD-Attrappe! Eine Potemkin’sche CD! Ich sag es doch: Dieses Album gibt es gar nicht! Das tut nur so! Kein Wunder, dass (fast) niemand darüber berichtet! Kein Mensch hat dieses Album je gehört! Und wenn ein Journalist jetzt vom tollen neuen Hermlin-Album schwärmt, kann man getrost davon ausgehen, dass es einer jener Kollegen ist, die Alben nicht hören, um sie zu besprechen … Das ist alles ein Test! Ein abgekatertes Spiel! Die wollen wissen, wer wirklich Musik hört und wer nur abschreibt, was andere geschrieben haben, jawohl!

    Aber so schnell gebe ich nicht auf. Am nächsten Tag mit Leer-Hülle und Kassenbon wieder zu Dussmann: „Da war keine CD drin“, beschwere ich mich. Der Reklamationsmensch kramt im Lager, fördert ein weiteres eingeschweißtes Exemplar der Schwingenden Rhythmen zu Tage. Ich bestehe darauf, die CD vor seinen Augen zu öffnen. Er denkt, ich bin komisch. Mir egal. Fakt ist: Da ist ein Silberling drin. Zurück am Schreibtisch lege ich ihn ein und – es ertönt Musik. Echte Musik, keine Attrappe!

    Diese CD gibt es, ich besitze ein Exemplar, man kann sie anfassen, hören und … ich kann sie guten Gewissens empfehlen. Doch allein schon für ihre abenteuerliche Beschaffung hat sie den Status der CD des Monats verdient – wie immer auf fairaudio.de

    backtotop