30. Oktober 2011

MisSiss in Wonderland – ein Klangverführer-Interview über Eigendynamik, Fremdängste und natürlich Sissita’s Soul Tangos

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 19:02

Dieser Artikel beginnt diesmal nicht mit der Feststellung, dass dieser Tag nicht mein Tag ist – und das, obwohl Interviewtage bei mir für gewöhnlich unter einem schlechten Stern zu stehen scheinen. Nein, diesmal läuft alles. Das allerdings kann meine Interviewpartnerin, Soultango-Erfinderin Sissy „MisSiss“ Kudlicska, heute so gar nicht behaupten. Nicht nur, dass sie sich auf dem Weg zum Interview mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Berlin verfranst hat – auch als sie genervt ins Taxi umsteigt, baut der Fahrer promt einen Unfall. Wirklich schlimm ist ihre Verspätung allerdings nicht, kann ich mir die Zeit doch mit dem Wolfshundeschafen des Niederländers Peter Bastiaanssen vertreiben, die noch bis zum 12. November in der Galerie des „ersten Musikhotels Europas“, dem Berliner nhow-Hotel, zu sehen sind. Diese hat man uns, nachdem die Hotellobby aufgrund eines Kongresses überlaufen und damit nicht umbedingt aufnahmegerätfreundlich ist, netterweise für das Interview zur Verfügung gestellt. Ein besonderer Ort für eine besondere Frau, denn die Wienerin mit der phänomenalen Stimme zieht Leute an, die sonst allenfalls für Madonna & Co. arbeiten, räumt Preise ab, die sonst nur Südamerikanern vorbehalten sind und erfindet beim Frühstück mal eben so ein neues Musik-Genre.

Klangverführer: Du bist ja gestern im Rahmen des „Electro Swing Revolution“ Record Releases – eine Doppel-CD, auf der u.a. so großartige Künstler wie Andrej Hermlin, The Bahama Soul Club oder !Deladap! zu hören sind – mit dem Leipziger Pianisten, Komponisten und Produzenten Serjoscha Stüven aufgetreten. Auf der Platte seid Ihr aber gar nicht dabei, oder?

Sissy „MisSiss“ Kudlicska: Genau, das stimmt. Nachdem mein Manager und Booker gute Kontakte hat und da auch Mitveranstalter war, hatte er die Idee, mich da auch mit einzuladen, da er weiß, dass ich sehr viele verschiedene Stile singe – und darunter eben auch ganz gern Jazz und Swing und solche Sachen. Er hielt es für eine gute Idee, mich dorthin einzuladen, und ich hielt es dann auch für eine gute Idee – ja, und so ist es dann dazu gekommen. Und nachdem bei diesem Festival gestern sehr sehr unterschiedliche Bands in den verschiedensten Besetzungen waren, die unterschiedliche Arten von Swing, Electro, Pop, Soul und zum Teil auch mit ein paar Folk-Elementen dabei waren, hat das eigentlich wunderbar hineingepasst. Es ist ja auch so, dass ich auf dem Album Sissita’s Soul Tangos ein paar sehr swingende Nummern und eine wirkliche Swing-Nummer, nämlich Wait, drauf habe – und die haben wir natürlich gespielt.

Aber mit diesem Pianisten hast du auf deinem Album ja nicht gespielt – wie ist es denn dazu gekommen, dass ihr gestern beide da wart oder generell zu eurer Zusammenarbeit?

Also, der Serjoscha ist einerseits ein großer Produzent, andererseits aber auch ein super Songwriter. Er ist mit einem seiner Songs an mich herangetreten, für den er schon längst eine Sängerin haben wollte, die richtige aber noch nicht gefunden hat. In mir hat er sie gefunden. Wir haben dann diesen Song, der mir wirklich außerordentlich gut gefällt, für mein kommendes Album aufgenommen, und zwar auf Englisch und auf Deutsch, und sogar schon ein Musikvideo dazu gedreht. Und nachdem wir dann also schon öfters zusammengearbeitet und gesehen haben, dass die Chemie stimmt, und er eben auch Pianist ist und Sissita’s Soul Tangos auch ganz große Klasse findet, hat sich das so ergeben, dass ich mir gedacht habe, okay, wenn er schon – er ist eigentlich ein Berliner, lebt aber in Leipzig und pendelt da hin und her –, also, wenn er schon in Berlin ist, dann frage ich ihn einfach, ob ihn das interessiert. Es war eigentlich die natürlichste und einfachste Lösung und es hat wunderbar funktioniert!

Dass du gewissermaßen mit ihm die Lieder deines kommenden und deines aktuellen Albums vereinst …

Genau! Und jeder kann all seine Seiten ausbreiten, er als Produzent und Pianist, und ich als Sängerin und Songwriterin.

Aber eigentlich machst du im Moment keinen Swinging Soul, den bekommen wir auf dem kommenden Album zu hören. Zurzeit bist du ja mit den Sissita’s Soul Tangos unterwegs – einer tollen Platte, die voriges Jahr als südamerikanischer Release herauskam und die es seit diesem September auch für den europäischen Markt gibt. Produziert wurde sie von Ariel Gato in Buenos Aires …

Ein großer Schatz! Diese CD ist für mich wirklich etwas ganz ganz ganz Besonderes. Und da muss ich vorwegschicken, dass es sehr viele Dinge gibt, die ich als sehr großartig gelungen in meinem Leben empfinde, aber das hier ist das Beste, was ich je gemacht habe! Es gibt auch – und das ist selten, gerade wenn man auch selbst Co-Produzentin ist, und Songwriterin, und Sängerin – da gibt es sehr selten den Fall, dass man nicht an irgendeiner Stelle sagt, ach, das hätte ich vielleicht ein bisschen anders machen können, oder: da sollten wir vielleicht irgendwie noch etwas ändern … das hat man ganz oft, bis ganz zum Schluss“ Und bei dieser Platte gibt es gar nichts, kein einziges Fünkchen, das ich ändern würde, weder musikalisch noch von der ganzen Aufmachung her. Und da bin ich wirklich froh, dass ich kein Label habe, das mir irgendetwas verbieten wollte! Beispielsweise hätte das Album sonst nicht diesen Silberdruck drauf oder andere gewisse Details, die mir einfach wichtig sind.

Wie bist du eigentlich dazu gekommen, Tangos zu machen? Wenn ich richtig informiert bin, kommst du ja eigentlich aus dem Gospel-Bereich, oder?

Also, es ist so, dass ich erstmal das Glück hatte, in einer sehr musikalischen Familie aufzuwachsen. Mein Vater hat eine wunderbare Baritonstimme und meine Mama ist ein traumhafter Mezzosopran – und wir haben sehr viel gesungen, schon als Kinder. Und ich habe auch das Glück gehabt, sehr früh schon mehrstimmig zu singen, das war bei uns einfach so üblich. Und dann habe ich mir sehr sehr viele verschiedene Musikrichtungen angeschaut, angehört, habe auch als Jugendliche in einem Chor und in meinen ersten Bands gesungen, und dann hat sich eben herauskristallisiert, dass ich neben der klassischen Musik, die ich zum Großteil durchs Ballett gehört habe – eigentlich habe ich lange keine Popmusik gehört! –, nur noch Jazz und Gospel wahrgenommen habe. Und ich wollte immer so eine „fette“ Stimme haben. Hatte ich nicht – ich hatte wirklich so ein typisches hohes Sopranstimmchen. Ich hatte immer das Gehör, aber noch nicht den Sound. Und es war für mich eine großartige weite Reise, mit viel Hören, mit vielen verschiedenen Vocal Coaches und Gesangslehrern zu arbeiten, um einfach dort musikalisch hinzukommen, wo ich auch als Sängerin hinwollte. Und dann habe ich sehr viel im Gospel-Bereich gemacht, weil mir ganz klar war, dass man dort stimmlich am meisten lernen kann. Und Tango hat mich angefangen zu interessieren, als ich in der Grazer Oper klassisches Ballett getanzt habe. Da hatten wir ein modernes Ballett, das hieß Die fünf Tangos, und das waren eben fünf Tangos von Astor Piazolla – und das hat mich fasziniert, das hat mich umgehauen! Es war eigentlich das erste Mal, dass ich mit Tango in Berührung kam – das dann aber so intensiv, weil ich es bei jeder Probe gehört habe, und es ging dann so in Fleisch und Blut über! Und das Lustige ist, dass auch bei dieser Soultango-Geschichte für mich so klar war, dass das zusammen funktioniert, weil wir fast zeitgleich ein zweites modernes Ballett dort hatten, das hieß Lovesongs, und das war Musik, die von Aretha Franklin und Dionne Warwick gesungen wurde, viel vom Burt-Bacharach-Album, und die zwei waren einfach meine Soul Queens, dazu noch Ray Charles … Und ja, für mich war dann einfach klar, Tango und Soul, das gehört zusammen. Mich hat viel eher gewundert, dass noch niemand vorher auf diese Idee kam!

Wobei, wenn du sagst, dass es Piazolla war, der dich zum Tango gebracht hat, der ja den Tango als tango nuevo gewissermaßen neu erfunden hat, du aber einen sehr klassischen argentinischen Tango auf deinem Album hast …

Ja, das stimmt, und das ist doppelt spannend für mich, denn ich kannte lange Zeit nichts außer Astor Piazolla. Und in Österreich ist er sicher auch berühmter als Carlos Gardel oder andere Tango-Götter, die in Argentinien als tango argentino-Gelden gehandelt werden. Ich habe dann in Buenos Aires erfahren, dass Astor Piazolla ganz lange überhaupt nicht anerkannt wurde, was mich schockiert hat, weil er bei uns eben bekannter ist als sonst jemand – und da sieht man eben, dass sie in Argentinien Mischformen von Tango zunächst gar nicht zulassen wollten, auch wenn Piazolla in die Klassik-Richtung geht, was vielleicht der Grund dafür ist, weshalb er bei uns so einen großen Anklang findet. Gerade Österreich ist einfach ein sehr Klassik-geprägtes Land. Der Grund, weshalb mein Album stellenweise reiner tango argentino ist, liegt in den Musikern. Und in den Arrangeuren. Natürlich habe ich die Songs geschrieben, aber ich hätte nie so astreine tango argentinos daraus machen können! Da gehören die Lorbeeren denjenigen, die sie verdienen, nämlich dem Pablo Piccinni, dem Quito Gato und dem Gabriel Senanes, die die Arrangements gemacht haben, und zum Teil auch den Musikern selbst, denn wo nicht mit Orchester bzw. in größerer Besetzung gearbeitet wurde, haben die Musiker einfach ihre eigenen Arrangements gemacht. Wir haben dann ein bisschen aussortiert und gesagt, okay, dieser Take gefällt und besser als jener, aber das ist im Grunde genommen alles deren Werk.

Stichwort Musiker – was an den Soultangos neben dem völlig neuen Genre am meisten überrascht, ist diese unglaubliche Besetzung. Ich meine, das ist gewissermaßen das Staraufgebot an argentinischen Musikern, was da versammelt ist! Da gibt es als Dirigenten Gabriel Senanes, ehemaliger Leiter des renommierten Teatro Colón, oder Fernando Suarez Paz, den ersten Geiger Astor Piazollas … und sogar der Tonmann Carlos Laurenz ist bekannt dafür, schon Alicia Keys, Mary J. Blidge oder Angie Stone zum besten Sound verholfen zu haben …

Ja, das ist ganz irre und das war wirklich ganz ganz großes Glück, wofür ich mein Leben lang dankbar sein werde, denn es ist eine richtig große Ehre. Ganz viele Leute haben das überhaupt noch nicht realisiert – du bist eine der wenigen, der das in unseren Breiten etwas sagt. Weil in Österreich, egal ob Musiker oder Journalist, heißt es sonst, aha, Fernando Suarez Paz, ja, hm. Jedenfalls, es lag an Ariel, weil er diese Connections hat und dann auch gesagt hat, dieses Projekt, diese Begeisterung für meine Songs, für meine Stimme und für mich auch als Mensch – die hat ihn selbst auch angespornt, alles zu probieren. Und er hat gesagt, dieses Album – wir sagen, es ist wie unser Baby, weißt du, man erschafft etwas gemeinsam und versucht es, auf die Beine zu bringen – ist für ihn so etwas Besonderes, und ich meine, er produziert zwischen vierzig und fünfzig Alben im Jahr! Jedenfalls hat er gesagt, so etwas hat er auch noch nie gemacht, aber es gab für ihn keine Grenzen. Das heißt, er hat wirklich Leute gefragt, die er noch nie für irgendetwas gefragt hat. Das Arge für ihn war dann, dass jeder begeistert war – jeder Einzelne! Und es war dann wohl oft auch so, dass die Leute dann schon ihn angesprochen haben: „Und? Was ist jetzt mit dem Projekt?“ In Argentinien haben sie immer „la Señora“ zu mir gesagt; und die Leute, die ins Studio kamen, haben schon gar nicht mehr gefragt, wie es Ariel geht, sondern nur noch: „Wie geht es dem Projekt mit der Señora?“ oder „Wie geht es der Señora?“ und so, das hat solch eine Eigendynamik entwickelt! Irgendwann war es dann sogar schon so weit, dass wirklich berühmte Musiker, die zu ihm ins Studio für irgendwelche anderen Aufnahmen gekommen sind, dann schon zwei Wochen vor den Orchesteraufnahmen für die Soultangos sagten, „Du, wir haben gehört, du nimmst in zwei Wochen in den FortMedia-Studios mit dem Senanes und dem Suarez Paz und dem Jorge Bergero und so weiter auf, und das ist ja ein Wahnsinn, das ist doch dieses Projekt mit der Wienerin …“, und er war fassungslos, wie das die Runde gemacht hat in Buenos Aires, und das ist ja nun wirklich keine kleine Stadt! Uns schien, als habe ganz Buenos Aires nur noch darüber gesprochen, und jeder hat ihn nur noch nach dem Projekt gefragt.

Das heißt, zu Tango und Soul bist du während deiner Ballett-Zeit gekommen, und die tango argentino-Musiker hast du Ariel zu verdanken. Aber wie bist du als Wienerin eigentlich an Ariel Gato gekommen?

Ich dürfte wohl ein Medium sein für diese neuen modernen Medien, denn Ariel hat mich über MySpace angeschrieben. Ich bin ja grundsätzlich ein Mensch, bei dem im Leben alles besser funktioniert, wenn ich mich zwar sichtbar mache, dann aber eingeladen werde, das heißt, wenn jemand auf mich zukommt und ich dann reagieren kann. Nur dann fühlt es sich für mich richtig an, nur dann habe ich das Gefühl, es ist auch wirkliches Interesse da – und lustigerweise sind das auch immer die Dinge, die dann aufgehen und die funktionieren und die groß werden. Ich habe eben auf MySpace meine Plattform, wo ich Musik und Bilder und was-weiß-ich-was draufgestellt habe, und er ist da irgendwie zufällig darauf gekommen. Eigentlich ist er witzigerweise erst auf Soulistics gekommen, meine Band, die in Wien schon seit sechs Jahre existiert, und die eben bei MySpace ein eigenes Profil hat. Und daneben gibt es dann auch noch mein MisSiss-Profil, und er ist eben über die Soulistics bei mir gelandet und hat mir dann einfach geschrieben, auf MySpace, dass er meine Stimme großartig findet und dass er meine Songs großartig findet und dass es ihn eben interessiert, wer dahinter steckt. Ja, und dann haben wir halt hin und her geschrieben und auch Musik ausgetauscht, und irgendwann kam dann die Frage, ob ich Lust hätte, mit ihm gemeinsam einen meiner Songs zu produzieren. Und dann war ich mal angemessen beeindruckt und konnte nur sagen, ja natürlich, und großartig und so! Dann haben wir aber lustigerweise einen Song gemeinsam produziert, der erst auf das nächste Album kommt, weil er ein bisschen Pop-Soul-lastiger ist. Nachdem wir diesen Song produziert haben, hat mir Ariel geschrieben, dass er für Aufnahmen in Spanien gebucht sei und ob ich Lust hätte, dorthin zu kommen. Und ich habe mir gedacht, natürlich, ein Flug nach Spanien ist schnell gebucht und das riskiere ich auf jeden Fall! Natürlich sind dann erst einmal diese typischen Dinge passiert, dass Familie und Freunde entsetzt waren, wie, du kannst jetzt doch nicht einfach nach Spanien fliegen und den treffen, das ist doch ein Wildfremder und wer weiß, was der dann vorhat … Und ich habe nur gesagt, also Entschuldigung, ich war mit neunzehn ein halbes Jahr in Tunesien, und war ganz allein mit elf männlichen Tunesiern in einem Team, ich kann mich wehren, wenn irgendetwas sein sollte! Aber was soll sein, ich habe mein eigenes Mietauto … Schon lustig, diese ganzen Fremdängste, die da in einen hineinprojiziert werden, denn natürlich war es großartig! Wir haben uns getroffen und auch noch einen zweiten Song für das nächste Album aufgenommen und gemeinsam produziert – das heißt, Ariel Gato wird auch auf dem nächsten Album vertreten sein.

Da habt ihr aber noch gar keine Tangos gemacht, oder?

Genau, es ist eigentlich von hintenrum zu betrachten, das ist ganz spannend!

Und wie seid ihr dann dazu gekommen zu sagen, okay, jetzt machen wir aber Soultangos?

Das ist in Spanien passiert. Wirklich erst in Spanien. Eines morgens beim Frühstück hat der Ariel gesagt, wir müssen ein eigenes Projekt machen, das ist so super und das flutscht alles so, wir haben die gleiche Vision von guter Musik, von Perfektion und von tollem Arbeiten … Er war ganz fasziniert davon, wie ich im Studio arbeite. Mir selbst war das ja nicht so bewusst, denn in Wien habe ich mit anderen Leuten gearbeitet, die ganz andere Arbeitsweisen haben, und er hat aber gesagt, das ist total irre, weil mit allen Sängerinnen, mit denen er sonst gearbeitet hat, da macht man eben zehn Takes, die sind halt alle ungefähr gleich und man muss dann einen auswählen, aber zu mir hat er gesagt: „Und bei dir fängt es mit dem zehnten Take erst an, dass du dann irgendwie ganz andere Sachen machst und man sich denkt, wie geil“. Wir haben jedenfalls richtigen Spaß gehabt, und er wollte unbedingt noch etwas mit mir machen. Und dann eben bei besagtem Frühstück habe ich ihn nur so angeschaut und gesagt: „Soultangos“. Und er sagt, wie, Soultangos? Und ich sage: „Wir müssen Soultangos machen!“ Und wieder er: „Ja, aber was meinst du damit?“, und da sage ich, naja, eine neue Musikrichtung, wirklich Soul mit Tango kombiniert! Und er ist immer noch skeptisch und fragt, aber wie soll denn das klingen, wie stellst du dir das vor? Und ich sage, du, ich spiel dir was vor! Auf meinem Mac-Book habe ich so eine Library, wo solche Layouts drin sind, die ich selber nach dem Komponieren immer einspiele, also nur Klavier und Stimme, damit man eine Idee von den Songs hat und auch als eine Art Memory für mich, denn manchmal schreibe ich meine Songs nicht auf sondern nehme sie nur auf. Jedenfalls hören wir uns da gemeinsam durch, und er sagt nur, wow, ja, Wahnsinn, das ist ja schon ein Tango! Auch bei Songs, die für mich eigentlich souliger waren. Ja, und so haben wir beim Durchhören gemerkt, perfekt, das funktioniert. Und dann gab es noch einen ganz spannenden Moment, als ich ihm Nightmares vorgespielt habe. Er fragt: „Was ist das für ein Song?“, und ich sage, „Nightmares halt“, und er fragt wieder: „Ja, aber gibt es den schon?“, und ich: „Na, ich hoffe doch nicht!“ Und dann sagt es, es sei krass,“ denn diese Melodie vom Intro, die habe ich ganz oft schon geträumt“. Und ich wieder: „Wie, du hast diese Melodie geträumt???“, und er sagt ja, er habe so wiederkehrende Träume, und diese Melodie habe er schon sehr oft geträumt. Ich war nur: okay, wow, und dann war klar, dass wir mit diesem Song beginnen. Und so wurde das eben auch die Single und wir haben ein Musikvideo dafür gemacht, weil es eben so speziell ist.


Interview in der Kulisse: Sieht bequem aus, ist aber Kunst

Das heißt, die Songs gab es quasi schon, ohne dass du von Ariel wusstest?

Ja, die habe ich schon alle geschrieben gehabt. Also, ich habe später noch ein paar neue dazugeschrieben, aber es gab definitiv schon Nightmares, es gab Far More, As I Care For You und All Of You, es gab ColderColder gab es schon ganz lange!

Mein Lieblingssong! Dieser und Dancer, meine absoluten Lieblings-Soultangos!

Ja, Dancer ist wirklich so der Song aus meiner Ballettzeit. Da hatte ich eine sehr sehr schwierige Phase in meiner Jugend, mit meiner Familie und mit dieser ganzen Konstellation – und da war für mich das Ballett der beste Seelenbalsam und die beste Ausflucht aus meiner nicht ganz so schönen Realität damals – und das merkt man auch bei Dancer sehr sehr stark, denn bei den Strophen … da ist soviel Wut drinnen, soviel „Lasst mich doch alle in Ruhe“ und soviel „Lasst mich einfach weg“, und dann eben dieser Walzer in dem Refrain, da ist dann alles schön und alles gut.

Das heißt, du warst wirklich professionelle Tänzerin, bevor du Musikerin wurdest?

Ja, aber eben leider nur bis siebzehn, weil dann eben mein Knie gestreikt hat und meine Eltern gestreikt haben … Und jetzt muss ich sagen, ich bin dankbar dafür – weil alle Kolleginnen magersüchtig geworden sind oder einfach körperlich kaputt. Und es wäre mit dem Essen und dem Genuss – wir sprachen vor dem Interview darüber! – nicht kompatibel gewesen. Da singe ich lieber und habe ein bisschen mehr auf den Rippen und fühle mich richtig wohl! Ich tanze jetzt noch leidenschaftlich gern, aber ich mache jetzt mehr so Latin Groove, Jazz Dance, Sumba und solche Sachen.

Tanzt du auch Tango?

Ich habe es probiert und ich muss sagen, es fasziniert mich wahnsinnig, es ist für mich die Oberliga bei allem, was du als Tänzerin können musst. Nicht technisch – nicht technisch, sondern vom Einlassen her. Das ist ganz unglaublich. Ich bin fassungslos gewesen, als ich meine erste Tango-Stunde hatte, vom Tango tanzen lernen will ich gar nicht reden. Also, ich hatte diese zwei Tänzer, die in meinem Musikvideo tanzen, die haben mich, als ich in Buenos Aires war, eingeladen, bei ihnen Privatstunden zu nehmen. Dieses Tanzpaar hat mir allein beigebracht, wie Tango tanzen geht, Erica Esquivel und Santiago Isse. Und das war ganz arg, zwei Dinge natürlich: Erstens, ich bin ein sehr selbstbestimmter Mensch und habe beim Standardtanzen eher das Problem, dass, wenn ich keinen Supertänzer zum Partner habe, ich dann eher ein bisschen zu führen beginne, und da hast du ja überhaupt keine Chance im Tango, das geht da ja gar nicht! Und vor allem, dass du dich einerseits so einlassen musst, dass du jeden Millimeter an Loslassen bemerkst und demnach agierst, und das Zweite, dass du dich einfach wirklich so in diesen Mann hineinfallen lassen musst. Und da war eben diese Frau daneben, und ich dachte mir so, die sind zusammen, das geht jetzt überhaupt nicht, das geht schon doppelt nicht! Und er sagt, nein, du musst mehr in diese abrazzo, diese Umarmung hinein, und ich sage nur, naja, aber Entschuldigung, aber da ist deine Frau, und sie sagt nur, nein nein, der ist jetzt deiner, für diesen Tanz!

Ich glaube auch, das ist das Schwierigste für uns europäische Frauen, dieses Fallenlassen. Wenn der Mann nicht unglaublich gut tanzen kann, bist du als selbstbestimmte Frau im Tango verloren. Dann fängst du an zu führen, und das geht beim tango argentino nun mal nicht. Beim Salontango mag das etwas anderes sein, aber hier …

Ja, das ist was ganz anderes! Und es war auch so lustig, denn weißt du, die Schritte vom Pick-up, also vom Merken, habe ich natürlich schnell draufgehabt, und es ist auch eine Tanzform, die mir sehr liegt, aber es war wirklich schwierig! Wir sind auf ein paar Milongas gewesen, und das war wirklich ein Erlebnis. Zunächst: Natürlich waren da viele Männer, die mich auffordern wollten, die haben sich gedacht, ach, so eine Blonde … Aber ich war dann schon scheu, weil ich mir gedacht habe, das ist ja urpeinlich, was ich da dann abliefer! Wir waren einmal in so einer Milonga, die dann auch ein bisschen schummerig war, und ich habe nur gedacht, ich verstehe wirklich die Männer, die dann zu sabbern beginnen. Ich meine, da waren Frauen, die sich bewegt haben, wie Göttinnen, eine unglaubliche Figur, eine unglaublich erhabene Haltung, dann diese Beine! Diese Fesseln! Diese Tango-Schuhe! Also, ich könnte da stundenlang nur zuschauen. Ich bin mir vorgekommen wie die volle Voyeurin! Und ein lustiges Erlebnis hatte ich noch: Comme il Faut ist eine Tango-Schuhmarke und dort waren wir einkaufen, ein superschicker Salon, da gibt es keine ausgestellten Schuhe, sondern du sagst, was du möchtest, und sie kommen und bringen dir das, und du sitzt in diesem Riesen-Salon mit Goldspiegel … Und dann habe ich dort Tango-Schuhe probiert. Und die Verkäuferin fragt, ob sie denn passen und ob sie denn bequem sind, und ich sage, ja, wunderschön, aber ich weiß eben nicht, wie gut ich darin tanzen kann. Und sie sagt dann nur: „Also, wenn du in diesen Schuhen nicht tanzen kannst, dann hast du den falschen Tanzpartner!“ Da war mir klar, okay, ich nehme sie! Jetzt sind das meine Goldstücke, wirklich superschicke, heiße Tango-Schuhe, und die zieren jetzt mein Frisiertischchen. Es gibt da ja so „Tangoschuh-Sackerln“, womit die in Buenos Aires ja alle rumlaufen, weil sie zur Milonga immer in Straßenschuhen gehen wegen des Kopfsteinpflasters, und sich erst kurz vor der Milonga umziehen …

Schuhe sind immer ein sehr schönes und endloses Thema! Aber eigentlich waren wir ja bei dem Staraufgebot an Musikern auf deinem Album und wie es dazu kam … Mittlerweile gibt es sogar schon Remixe der Songs. So kann man auf deiner neuen Single A new life, die am 28. Oktober veröffentlicht wird, neben der Albumversion auch einen Remix der Klubjumpers hören – und die haben ja schon erfolgreich für Stars wie Madonna, Mariah Carey, die Black Eyed Peas, Nelly Furtado oder Ke$ha gemixt. Und wieder fragt man sich: Wie kommt eine Wienerin, die Soultangos macht, an solche hochkarätigen Kollaborationen?

Wieder: Mir passiert’s. Man muss es echt so sagen, es ist schon fast lustig und ich muss ja da selbst schon lachen – ich krieg’ tatsächlich eine E-Mail von den Klubjumpers über die Homepage von Sissita’s Soul Tangos, wo die Mailadresse einfach draufsteht, und in dieser E-Mail steht drin, wir sind auf deine Website gekommen, dein Musikstil ist unfassbar, wir würden gern einen Remix davon machen – bist du grundsätzlich offen dafür, wär’ das interessant für dich? Und ich denk’ mir nur, ist das jetzt ein Missverständnis oder ist das jetzt cool?! Und es war einfach cool! Und das Lustige war: Klubjumpers sind ein Duo, das sind zwei Brüder, Sam Michales und Dan Mathews, und die wollten mit mir unbedingt eine Skype-Konferenz machen, weil sie sich gesagt haben, wir wollen diese Österreicherin kennenlernen mit dieser Bombenstimme, die so freakig ist, dass sie Soultangos macht und damit sogar noch bei den Grammy Awards landet und es wagt, einen komplett neuen Musikstil zu erfinden! Und es war dann ein total unglaubliches Gespräch, die haben nur gesagt, es ist Wahnsinn, was du da machst! Die kriegen täglich Tonnen an Demos, es türmt sich auf ihren Schreibtischen – und es interessiert sie nicht, denn es ist die fünfhundertste Alicia Keys und die zwanzigste Whitney Houston und so – die gibt es aber alle schon, die kannst du nicht besser machen! Und sie haben gesagt, dein Wiedererkennungswert in der Stimme ist unfassbar, dieser neue Musikstil ist cool und es ist endlich mal was, was es noch nicht gibt! Und da sieht man ja auch, dass die Amis da anders denken als beispielsweise die Österreicher, weil: In Österreich haben sie Angst vor allem, was es noch nicht gibt, da wollen sie lieber etwas, was es schon zwanzigmal gibt. Aber das macht nichts, es ist jetzt kein Thema für mich. Ich bin ja in Österreich schon eine gut gebuchte Sängerin. Aber im Radio gibt es hier keinen Sender, der jetzt Soultangos spielen würde, weil sie sagen, das ist kein Gitarrenpop und passt nicht in unser Format. Aber jetzt, wo es auch die BBC spielt, werden sie hellhörig! Es wird spannend … Für mich aber waren die Klubjumpers ganz eindeutig eine Riesenchance, ich fand es ganz großartig, und auch die sind so begeistert davon, dass sie sagen, sie wollen es ihren ganzen Spielfilmleuten, ihren Commercial Partnern, anbieten, sie werden weltweit ihre ganzen DJs damit bemustern und sie haben ihre eigene Radiostation in Amerika, wo sie es in die Rotation nehmen. Ich habe dann nur gesagt, now tell me the bad things! Und sie meinten, there are no bad things, und ich wieder: Okay, I feel like Alice in Wonderland! Are you sure that everything that we’re talking about is true?, und er so, ja ja, das passt schon alles … Es ist echt schräg! Sie Remixe sind Hammer, obwohl ich normalerweise nicht so die House/Dance-Frau bin, aber der Klubjumpers-Remix von A new life geht für mich vom Feeling her mehr so in die Richtung I am what I am, und das ist geil! Und was für mich noch so stimmig ist, ist, dass da jetzt noch jemand aus Amerika zu diesem Projekt dazukommt: da war Südamerika, da ist Österreich und langsam kommt auch das restliche Europa hinzu, und dann macht da musikalisch noch jemand aus Amerika etwas damit, das finde ich cool.

Gewissermaßen die Klammer drum herum …

Ja, genau. Und es ist so ein weltoffenes Ding geworden, jeder kann seinen musikalischen Input dazu geben. Wenn man jetzt beispielsweise den Hubert von Goisern betrachtet, der sich da von überall auf der Welt seinen Input holt … das ist so ähnlich! Jetzt nicht musikalisch, aber vom Prinzip her. Und der hat jetzt gerade in Österreich wieder eine Nummer-eins-Single, und ich finde cool, wie er immer weltweit die verschiedensten Einflüsse dazuholt.

Die Soultangos scheinen ja auch weltweit anzukommen: In Südamerika warst du damit für den Grammy nominiert, hier geht das auch so langsam los … Hast du überhaupt mit diesem Erfolg gerechnet?

Nee, gar nicht! Es war ja noch nicht einmal irgendwie … Also, für mich war es logisch: Wir sollten das machen. Und genau so war’s auch für den Ariel, und genauso für die Musiker. Es war ein absolutes Herzensprojekt, wir haben da nie an irgendeinen kommerziellen Profit gedacht! Das war einfach wie unser Baby, wir wollten das machen, und zwar mit allem Herzblut. Und so ist es uns auch gelungen. Lustigerweise sind wir jetzt auch bei den Gardel Awards in der Auswahl, Ende Oktober kriegen wir Bescheid, und ich bin natürlich sehr gespannt! Denn: Wenn wir da was abräumen, das wäre unglaublich, das wäre eine Revolution in Buenos Aires! Da mit einem Mix, mit nicht reinem tango argentino zu gewinnen, sondern mit so einer Fusion-Geschichte … das wäre einmalig!

Du bist ja auch keine Tango-Sängerin, du singst Soul …

Ich singe Soul, ja, auf Tango-Musik. Genau. Ganz viele haben anfänglich gesagt, naja, mach das doch auf Spanisch und sing doch auch Tango, da habe ich gesagt: nein. Denn ich finde, man sollte auf der Bühne nur das machen, was man am allerbesten kann. Ich würde mich ja auch nicht mehr als Tänzerin auf die Bühne stellen, es sei denn, mit meiner Sumba-Truppe, aber nicht mehr als Solotänzerin! Ich bin froh, dass ich mir vieles mitgenommen habe, die Art, mich auf der Bühne zu bewegen und so, aber ich bin jetzt keine Solotänzerin mehr – und genausowenig bin ich jemand, der Tango richtig singt. Ich kann Soul singen, ich kann Gospel singen, ich kann Pop singen. Ich würde mich auch nicht mehr als Rocksängerin auf die Bühne stellen, habe ich früher auch mal gemacht. Jetzt sage ich dazu nein, man muss sich auf das konzentrieren, was man am besten kann!

Und das scheint ja zu gelingen, denn alle, die das Soultango-Projekt kennenlernen, sind begeistert – auch bei fairaudio und im Klangblog haben die Rezensionen des Albums die höchsten Zugriffsraten von allen! Der Klubjumpers-Remix jedenfalls kommt am 28. Oktober in die Läden, aber das ist ja nicht das Einzige, was am 28. Oktober passiert – auch deine Europa-Tour startet an diesem Tag. Kannst du uns verraten, was uns da erwartet?

Da muss ich wirklich sagen, dass ich hier nichts habe anbrennen lassen, wie wir in Österreich so schön sagen. Es ist für mich etwas ganz ganz ganz Erhebendes und etwas ganz ganz Tolles und Aufregendes, dass die argentinischen Musiker hierherkommen und wir das erste Konzert in Europa spielen. Ich habe für den Tourstart eine der schönsten Locations in Österreich ausgewählt, das ist das Novomatic Forum gegenüber der Secession, die ja ein großes Monument in Wien am Beginn des Naschmarktes ist, und der Naschmarkt symbolisiert für mich immer so ein Verschmelzen der Kulturen. Und im Novomatic Forum gibt es eben immer sehr viele kulturelle Veranstaltungen, hier werden Kunst und Kultur groß gemacht. Innen gibt es einen wunderschönen Jugendstilfestsaal, dort werden wir eine große Bühne haben, denn wir werden ein tango argentino-Tanzpaar dabei haben. Das Ganze wird so starten, dass wir erst die Cumparsita spielen, als Zweites einen Walzer und dann geht es mit ein paar Soultangos weiter. Als Höhepunkt des Abends werden meine drei Backgroundsängerinnen von den Soulistics dazukommen, damit auch die Chöre, die auf der Platte sind, nicht fehlen. Wir werden also eine sehr volle Bühne haben, es wird wirklich ein richtig feines Konzert mit einer großartigen Show in Vollbesetzung.

Wohin führt es euch mit dieser großen Produktion abgesehen von Wien noch?

Ehrlich gesagt sind noch nicht alle Stationen unserer Planung abgesegnet. Natürlich wird es in Österreich noch einige Konzerte geben, zum Beispiel am 17. November im Floridita, das ist die wichtigste Latin-Tanz-Institution in Wien, eine Mischung aus Tanzschuppen, wo man auch Kurse belegen kann, und Nachtclub, wo man einfach ausgehen kann – eine geniale Location! In Berlin werden wir auch zweimal spielen, dann in Hamburg, in Dresden und wahrscheinlich auch in Tschechien bzw. der Schweiz, Südtirol und vielleicht sogar Spanien, da sind einige Zusagen noch ausständig – es bleibt bis zuletzt spannend!


Szene aus dem Nightmares-Video: MisSiss mit Maxl und Chiara

„Zuletzt“ war ein gutes Stichwort, denn ich bin bei meiner letzten Frage angelangt. Wie ich dich schon vorgewarnt habe, wäre ein Klangverführer-Interview ja kein Klangverführer-Interview ohne die obligatorische Hundefrage zum Abschluss. Im Video zu deiner Single Nightmares spielen gleich zwei Hunde mit. Hast Du eine besondere Affinität zu den Vierbeinern?

Das sind tatsächlich meine Hunde. Ich bin quasi mit Hunden groß geworden, und das im Video sind die Hunde, die jetzt bei meiner zu Hause leben. Der Dreh mit ihnen war ganz spannend! Als der Kameramann, der Regisseur und der Lichttechniker davon erfahren haben, dass ich eine Szene mit Hunden plane, haben sie gesagt, oh Gott, das funktioniert nie, das sind ja keine trainierten Firmhunde. Und ich habe gesagt, doch, ihr könnt euch darauf verlassen, diese Hunde hören auf mich. Trotzdem hieß es weiterhin, oh nein, um Gottes Willen. Ich habe dann auch gehört, Hunde am Set sind eigentlich ein No Go; aber ich habe gesagt, diese Hunde hören nicht nur auf mich, sondern auch auf meine Geschwister; und nachdem meine Schwester ja auch in dem Musikvideo mitspielt und auch mein Bruder am Set mithilft, wird es kein Problem geben. Und so war es auch! Sie waren wirklich sensationell und haben alles mitgemacht. Am lustigsten aber war die Szene, wo meine Schwester und ich in dieser Allee aufeinander zukommen, ich mit den Hunden, wir schauen uns an und gehen aneinander vorbei. Diese Szene mussten wir sehr oft drehen, weil wir jedes Mal zu lachen begannen, als wir unsere Blicke gesucht haben, denn die Hunde wollten nicht einfach vorbeigehen, sondern jedes Mal zu ihr hin! Ansonsten aber waren sie großartig: Wir haben von vier Uhr am Nachmittag bis vier in der Frühe gedreht, es waren minus sechs Grad, richtig bitterkalt, sodass ich die Hunde zwischendurch immer in einen geheizten Bus gebracht habe. Die waren echt durch und haben mir schon richtig leid getan. Aber sie wollten dabei sein!

Das kenne ich vom Kopfhörerhund. Liebe Sissy, erst einmal vielen vielen Dank für das Interview.

Sehr gern!


Nicht ohne meine Ampelweibchen-Tasche: Berlin-Liebhaberin MisSiss

Die aktuellen Tourdaten von Sissita’s Soul Tangos gibt es auf ihrer Facebook-Präsenz. Die nächste Show der charmanten Wienerin findet am 5. November im Berliner Artroom statt, Berlin-Carré, Karl-Liebknecht-Str. 13, das Vorprogramm bestreitet das Neuseeländische Duo Charity Children Berlin. Special Christmas Shows spielt MisSiss am 25. November in der Buchbar in Dresden und am 26. November wieder in Berlin, diesmal allerdings im Brauhaus Südstern.

11. Oktober 2011

Was Schönes zwischen Röhrenverstärkern – Jasmin Tabatabai im Interview

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Eine Geschichte, an der man seit Ende August arbeitet, die immer wieder redigiert, freigegeben, re-redigiert und weiter gekürzt wird, braucht einfach einen Kick, um ein gutes Ende zu finden – oder überhaupt ein wie auch immer geartetes Ende. Wenn dann irgendwann der Lieblingsherausgeber anruft und charmant drängelt – „Kannst du das bis heute Abend fertig machen? Wir brauchen mal wieder was Schönes zwischen all den Röhrenverstärkern!“ –, ist das genau der richtige Katalysator, die unendliche Geschichte zu einem Abschluss zu bringen. Et voilà!

Zum Gespräch über ihre neue, gemeinsam mit David Klein herausgebrachte Platte, habe ich die Sängerin und Schauspielerin Jasmin Tabatabai Ende August in Berlin getroffen. Ich war leicht erkältet, was mir den mütterlichen Rat „Kind, steck bloß die Dame nicht an!“ einbrachte. Habe ich nicht, sondern stattdessen ein wirklich nettes Gespräch jenseits des üblichen Frage-Antwort-Spiels gehabt. Das daraus gestrickte Interview sowie die Rezension der Platte finden Sie, wie immer, auf fairaudio.de. Wobei – „wie immer“ stimmt diesmal nicht, denn es ist mein erstes Interview, das ich für fairaudio geführt habe. Es sind aber auch noch genügend O-Töne für den Klangblog abgefallen. Eine kleine Resteverwertung:

Tabatabai und ich sprechen gerade über David Klein, Gründer und damaliges Mitglied der schweizer Klezmer-Kombo Kol Simcha, der schon den Soundtrack zu Tabatabais 2000er-Film Gripsholm lieferte und damit die Zusammenarbeit an der aktuellen Platte begründete – auch wenn Eine Frau mehr sein will als die bloße Fortsetzung von Grispholm. Auf mein vermutlich allzu beharrliches Herumreiten auf dem zehn Jahre alten Film und seiner Musik meint die Schauspielerin nur lapidar: „Endlich mal jemand, der den Film gesehen hat!“

Klangverführer: Ich fand den Soundtrack genial, und da ich ein großer Kol Simcha-Anhänger bin, war der Film Pflicht …

Jasmin Tabatabai: Heißen die jetzt eigentlich wieder Kol Simcha? Die hießen eine Weile World Quintet …

Jetzt wohl wieder Kol Simcha, ja, aber in zwei Worten. Als sie in den Achtzigern angefangen haben, hießen sie wohl Kolsimcha in einem Wort, wenn ich richtig informiert bin. Damals waren sie ja noch ein Duo, David und der, der das jetzt managt …

Ich weiß nur, dass David Gründungsmitglied war und jetzt nicht mehr dabei ist.

Schlagzeuger damals …

Bei Gripsholm war er auch Schlagzeuger …

Aber eigentlich ist er Saxophonist, oder?

Er ist auch Saxophonist. Aber in erster Linie ist er Musikverrückter, mit so hohem Anspruch – auch an sich -, dass er auf der Platte weder Schlagzeug noch Saxophon gespielt hat, weil … es gab ja jemanden, der es besser kann. Und die Musiker, die er für die Platte geholt hat, sind wirklich ein Traum.

Natürlich sprechen wir auch über ihren Gesang. Tabatabai freut sich, dass sie diesmal nicht produziert und sich „ganz egoistisch mal aufs Singen“ konzentrieren kann. Zudem ist es ihre erste Platte komplett auf Deutsch.

Auf deiner Fanpage jasmin-tabatabai.com wirst du mit der Aussage zitiert, dass es sich auf Englisch schöner singe, da Deutsch nicht unbedingt leicht sei, und zudem schnell profan wirke. Hat sich deine Einstellung dazu mit der Arbeit an Eine Frau geändert? Immerhin ist es dein erstes komplettes Album auf Deutsch, sogar der ursprünglich französische Text von Un Homme Heureux hat eine Übersetzung ins Deutsche erfahren …

Also, „schöner“ kann man nicht sagen – und das habe ich bestimmt auch so nicht gesagt. Was ich gesagt habe und wozu ich auch stehe: Ich finde, für Popmusik und auch Rockmusik ist Englisch die dankbarere Sprache, in dem Sinne, dass in unseren Ohren „I want you“ weniger profan klingt als „ich will dich“. Es ist sicherlich schwieriger, einen guten deutschen Text zu schreiben, weil einem weniger durchgeht. Und weil die Leute viel genauer zuhören – weil es eben die eigene Sprache ist.

Und weil man ehrlicher zu sich selbst sein muss?

Vielleicht auch das – dass du noch tiefer graben musst und noch genauer sein musst, um …

… um Phrasen zu vermeiden?

Genau.

Mit dem „dankbarer“ stimme ich dir auf jeden Fall zu, aber mit dem „leichter“ … seitdem Deutsch den HipHop erobert hat und ich sehe, was man damit machen kann, vielleicht aktuell nicht mehr, aber vor ein paar Jahren noch …

Ja, es gibt auch viele, die da ganz großartige Sachen machen. Wobei sehr selten die Qualität erreicht wird, wie sie den Hits der Zwanziger- oder Dreißigerjahre innewohnt – woran das auch immer liegt.

Weil sich die Sprache generell geändert hat?

Ganz sicher auch deswegen.

Ich habe gehört, dass du im Zusammenhang mit deinem Solo-Debütalbum Only Love (2002) gesagt haben sollst, a-Moll sei für dich „der Inbegriff von Traurigkeit“, weshalb auch immer ein bisschen a-Moll in jedem Lied stecke …

Ja, es sollte ja auch ursprünglich Songs Around A-Minor heißen – und dann kam Alicia Keys! Ich war so erschüttert. Im Nachhinein habe ich mich total geärgert, ich hätte meine Platte trotzdem so nennen sollen!

In jedem Fall erweist du dich damit als Anhängerin der – heiß diskutierten – Tonartencharakterlehre. Hat dies auch Einfluss auf Eine Frau genommen?

Nein, ich habe dafür nichts geschrieben, ich bin jetzt nicht Komponistin auf dieser Platte. Live werden wir ein paar von meinen alten Sachen spielen – im jazzigen Gewand. Aber auch Banditssongs, wie Catch me.

Ich mag After You Killed Me von deinem Solo-Debüt sehr gern …

Ja, das machen wir als Swing!

Einer der Tucholsky-Songs deines neuen Albums, Augen der Großstadt, wurde vor dir ja bereits von Udo Lindenberg vertont – das Lied schaffte es 1987 auf die B-Seite von Ich lieb‘ dich überhaupt nicht mehr, was ja zu einem von Lindenbergs größten Hits werden sollte. Kanntest du seine Interpretation – und wenn ja: Wie konntest du dich davon freimachen und einen völlig neuen, unabhängigen Zugang finden?

Ich kenne Udo Lindenbergs Interpretation nicht, aber selbst wenn, es hätte keinen Unterschied gemacht. Ich habe schon immer gerne gecovert, die Cowgirls waren ja zum Beispiel anfangs eine reine Cover-Band. Ich habe mir sehr früh angewöhnt, ganz wenig in das Original reinzuhören. Zum Beispiel bei Bandits, All Along The Watchtower, das ist eines der bekanntesten Lieder von Bob Dylan, und es gibt natürlich die berühmte Interpretation von Jimi Hendrix … Ich habe mir wirklich nur das Original von Bob Dylan ein-, zweimal angehört, um den Song zu kapieren – und dann nie wieder. Nur so kann ich meine spezielle Art, meinen eigenen Zugang zu einem fremden Text finden.

Auch, um keine Angst aufzubauen vor der übermächtigen bekanntesten Interpretation?

Also, vor Covern darf man eigentlich sowieso keine Angst haben. Wie heißt es so schön? „Wenn man auf die Bühne geht, darf man keine Angst haben etwas zu tun, weil es sowieso anders sein wird als das, was alle anderen davor gemacht haben.“

Irgendwann kommt das Gespräch natürlich unvermeidbar bei der aktuellen Situation der Musikindustrie an. Tabatabai selbst hat 2001 als Frustreaktion
auf die Behandlung der Künstler durch die Industrie ihr eigenes Label Polytrash gegründet. Und noch immer kann sie sich ereifern:

Und es ist auch so, also, die Musikbranche … und wie die mit Künstlern umgeht, im Allgemeinen ein langweiliges Thema – aber die brauchen sich auch echt nicht zu wundern!

Stimmt, aber ich denke, dass es auch da besser wird, eben weil sie gesehen haben, dass sie es so gegen die Wand gefahren haben …

Ja, zum Beispiel hat uns Edel „full artistic control“ gegeben. Das wäre vor einigen Jahren nicht möglich gewesen.

Abschließend machen wir noch einen Abstecher in Sachen jüdische Kultur:

Was man in deiner musikalischen Arbeit, wenn man jetzt die Dinge betrachtet, die du mit David gemacht hast, immer wieder als verbindendes Element findet, sind Hommagen an deutsch-jüdische Textdichter aus der Weimarer Zeit. 2005 hast du in Zusammenarbeit mit David Kleins World Quintet ein Gedicht der jüdischen Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger, dass diese als 18-jährige 1942 geschrieben hat, aufgeführt; jetzt im September wirst du mit dem David Klein Quintett im Rahmen der Jüdischen Kulturtage in der Synagoge Rykestraße spielen … Woher kommt dieser Bezug zur jüdischen Kultur?

Ach, den muss man jetzt gar nicht speziell haben. Die besten Textdichter der Zwanziger und Dreißiger waren nun mal jüdischer Herkunft. David ist, so weit ich weiß, selber Jude, aber das ist zwischen uns auch nie ein Thema jemals gewesen, weil es mich persönlich überhaupt nicht interessiert, welcher Religion jemand angehört.

Das wäre jetzt meine Frage gewesen, ob das etwas ist, was einfach aus dem Sujet selbst kommt.

Ich glaube schon. Es ist einfach so. Genauso wie es in Hollywood immer schon unglaublich viele kreative Leute aus der jüdischen Kultur-Szene gab und eben vor der Nazizeit auch bei uns, diese ganz tolle Kombination mit den Deutschen zusammen, die ja dann leider gewaltsam aufgelöst wurde. Und davon hat sich auch unsere Kultur nie wieder erholt. Ein Jammer.

Das vollständige Interview mit den Hintergründen zur neuen Platte sowie deren Rezension finden Sie hier.

10. Oktober 2011

Balkan Beats ohne Beats oder Musikkritik im Dunkeln: Tsching feiern ihren Record Release im Theater unterm Dach

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Freitag war wieder einer dieser Abende, an denen die Entscheidung zwischen konkurrierenden Veranstaltungen schwerfällt. Da spielte zum einen Ex-Cultured Pearls Sängerin Astrid North live & unplugged in der St. Elisabeth-Kirche. Dann der Gitarrist Andreas Laudwein, den ich zum ersten Mal bei Krispin gehört habe, mit Lina Paul. Beides hätte ich gern gesehen, hatte aber schon der Record Release Party des Balkan-Tango-Swing-Trios Tsching mein Jawort gegeben, zu der mich Franziska Kraft, die Cellistin des Trios, eingeladen hat. Überhaupt die Celli in letzter Zeit! Auch das muss etwas Atmosphärisches sein, mit all diesen kleinen Bassgeigen im Moment. Nicht nur, dass Krispin in der Herbst/Winter-Saison mit Cello-Unterstützung auftreten werden und ich neulich bei B•S•O die Gelegenheit hatte, gleich zwei jungen Cellisten auf einmal zuzuhören, auch das Trio Tsching wartet mit der eher ungewöhnlichen Besetzung Saxophon, Gitarre und Cello auf.

Das Theater Unter dem Dach jedenfalls, auf dessen Musikbühne Tsching spielen, wird seinem Namen schon mal gerecht: Es befindet sich tatsächlich direkt unterm Dach. Einen Fahrstuhl gibt es nicht. Kopfhörerhund wäre dem Aufstieg nicht gewachsen gewesen; und tragen Sie mal einen 30kg-Stafford drei Altbautreppen hoch! Eben.

Los geht es mit einiger Verspätung, da der – stockdunkle! man stelle sich vor, was das für die spätere Lesbarkeit der Kritikernotizen bedeutet! – Theaterraum ob des Ansturms erst noch mit zusätzlichen Sitzgelegenheiten bestückt werden musste, und dem namensgebenden Stück Tsching, einer Komposition Helmut Mittermaiers, der als Saxophonist des Trios auch live – ebenso wie auf der CD – unglaublich viel Lufthauch in seinem Spiel hat, der auch durch das im zweiten Stück verwendete Tenorsax weht – hier versteht man, weshalb die Holzbläser auf English „woodwinds“ genannt werden. Der Celloton hingegen unterscheidet sich sehr von dem auf dem Album, was zum einen daran liegt, dass es hier von Sax und Gitarre akustisch erdrückt wird – in Zeiten elektronischer Verstärkung komplett unnötig –; zudem wird dann doch so manches Mal nach der richtigen Intonation gesucht. Allerdings bin ich, was Celli angeht, im Moment auch sehr verwöhnt. Gitarrist Ben Aschenbach wiederum spielt einen sehr sympathischen Fingerstyle mit nur gelegentlichem Griff zum Plektron, aber auch bei ihm ist die allgegenwärtige Loop-Station nicht wegzudenken, die mittlerweile auch den Akustikbereich komplett erobert zu haben scheint. Einzig fragt man sich, weshalb Aschenbach in diesem Genre keine Cut-Out spielt, sondern stattdessen angestrengt nach den oberen Bünden langt.

Ausgesprochen gut gefällt mir das dritte Stück des Abends, das wie ein Southern Blues im Cassandra-Wilson-Stil startet, sich aber recht schnell als die Lennon/McCartney-Komposition Come Together entpuppt – schon auf der CD mein absolutes Lieblingsstück, wegen dessen allein sich der Kauf des Albums lohnt! Allerdings spielt Franziska Kraft in Widerspruch zu ihrem Namen auch hier ein sehr zartes, wenn nicht zu zartes Cello.

Beim Mocca Swing verschwindet dann endlich das allzu Luftige, und der Saxophonton kommt stark und klar. Wie schon auf dem Album wird hier ohrenfällig, dass Helmut Mittermaiers Spiel eher für Swing, Dixie, Jazz gemacht ist als für Klezmer und Balkan. Wahrscheinlich ist er auch ein formidabler Freejazzer. Leider spielen Tsching als fünften Titel den Libertango, der nicht nur meine absolute Lieblingskomposition aller Zeitenist, sondern die ich auch einfach schon besser gehört habe – beispielsweise von dem großartigen Tango Nuevo Trio Surreste Tango mit Witek Kornacki an der Klarinette, Guido Jäger am Kontrabass und Angel Garcia Amés an der Gitarre. Zudem hat hier die Cello-Version von Yo-Yo Ma, die auch im Tango Lesson-Soundtrack verwendet wurde, Maßstäbe gesetzt, an denen sich alle Cellisten messen lassen müssen, die sich an diesem wundervollen Stück versuchen. Insofern: Mutig von Tsching.

Der Libertango geht nahtlos über in etwas Balkaneskes, Hora-Artiges, womit man dem Klezmertango-Klischee bzw. dem Mythos vom jüdischen Tango schon wieder gefährlich nahe kommt. Das Stück allerdings entpuppt sich bei genauerem Zuhören als Misirlou, das ursprünglich ein griechischer Rebetiko ist, sich aber sowohl in der arabische Musikwelt als auch in der Klezmer-Szene solcher Beliebtheit erfreut, dass es im allgemeinen für etwas orginär Orientalisches gehalten wird.

Was an der Tsching-Version von Misirlou so schön ist, dass ich sie filmen muss, obwohl sie schon begonnen hat, ist das Zusammenspiel der Drei. So langsam haben sie sich warmgespielt. Auch von der Helmut-Eisel-Komposition Blindroter Chor und Wirtshaustöchter – oder vielmehr: von der Tatsache, dass hier ein Klarinettenstück für Saxophon adaptiert wird und damit erst einmal die Klangerwartungen bricht – bin ich nicht mehr so irritiert wie noch von der Album-Version. Live gerät das Stück zu mehr als der bloßen Imitation des Klarinettenklanges; Mittermaier macht es sich vielmehr so sehr zu eigen, dass ein genuines Saxophonstück entsteht.

Bei mir bist du schön besticht durch sein schönes Cello, doch leider ist selbst die Akustikgitarre lauter. Eine Aussteuerung wie auf dem Album wäre hier wünschenswert, damit Franziska Kraft nicht neben ihren Mitstreitern und besonders neben Mittermaier verblasst. Das Zusammenspiel indessen läuft zur Hochform auf; am Abend der Dichter mit seinem bedrohlich grummelnden Cello und einer perkussiven Gitarre sowie dem folgenden, nahtlos anschließenden Stück findet auch der kritischste Kritiker nichts auszusetzen. Die Stücke von Tsching, und das ist auf der CD schon ahnbar, sind wie gemacht für die Live Show. Ausufernde Soli und Stücklängen zwischen sieben bis zehn Minuten sind bei Tsching keine Seltenheit, funktionieren aber. Einzig die Ausgewogenheit zwischen Saxophonsoli und denen der anderen Instrumente könnte nochmals überdacht werden. Natürlich, das Saxophon ist der Melodieträger bei Tsching. Will man aber zu einem gleichberechtigten Trio-Klang kommen und nicht Gefahr laufen, Gitarre und Cello zu bloßen Sidemen bzw. Sidewomen zu degradieren, müsste diesen live noch etwas mehr Raum eingeräumt werden.

Als Zugabe spielen Tsching Summertime mit einem jazzigen Cello-Solo, welches das Herz erfreut. Sinn für Dramaturgie kann man ihnen ganz bestimmt nicht absprechen; das Stück erweist sich als perfekter Rausschmeißer, denn auch hier gilt: Die Leute mögen, was die Leute kennen. Ich singe das Lied noch den ganzen Nachhauseweg auf dem Rad, und auch am nächsten Morgen klingt mir Summertime noch nach. Ein gutes Zeichen.

Die Albumbesprechung gibt es in der nächsten Ausgabe von Victoriah’s Music, zu haben ist Serenata aber schon jetzt beim Schallplattenhändler Ihres Vertrauens. Am schönsten ist es natürlich immer, Zwischenhändler zu überspringen und das Album direkt im Spätkauf der Künstler zu erwerben.

1. Oktober 2011

Pussy Power am Potsdamer Platz

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Gestern Abend hatte ich das Glück, einem kleinen, aber sehr sehr sehr feinen akustischem 5-Song-Set beizuwohnen. Eingeladen hatte mich Puder-Sängerin Catharina Boutari, die mit ihrer Pussy Empire-Labelkollegin Chantal de Freitas die L-Filmnacht am Potsdamer Platz musikalisch eröffnen sollte. Was ich nicht wusste: L stand in diesem Falle für lesbisch, und unversehens fand ich mich inmitten eines ausschließlich weiblichen Publikums wieder, das vor allem gekommen war, um den Film zu sehen – und nicht die beiden Sängerinnen. Dabei war der ungewöhnliche Rahmen de Freitas zu verdanken, die in Alles wird gut, einem deutschen Film aus dem Jahr 1998, die Karrierefrau Kim spielte, deren bisheriges Leben durch die plötzliche Zuneigung einer anderen Frau in Frage gestellt wird. Der Film wurde in der lesbischen Szene Kult – und de Freitas zur Kultfigur.

Das hält aber das mittelalte, miesepetrige Pärchen neben mir nicht davon ab, während des kleinen Überraschungskonzerts mit Kommentaren wie „Naja, die sind ja noch jung“ um sich zu werfen und genervt mit den Augen zu rollen. Als Boutari und de Freitas nach je zwei eigenen Songs – Perfect und Independence bei de Freitas sowie Puder und Großstadtkonkubinen bei Boutari – dann noch Kathy Perrys I Kissed A Girl anstimmen, haben sie verloren: „dieses homophobe Lied“ gehe ja nun einmal gar nicht, ist man sich einig. Während die Werbung anläuft, die den beginnenden Film einläutet, dreht sich die Dame zu meiner Linken mit einem Seufzer der Erleichterung zu mir um: „Wird ja auch Zeit! Finden Sie nicht auch?“ In dem Moment, in dem ich antworte: „Mir egal, ich bin nur wegen der Sängerinnen hier“, habe auch ich verloren. Wenn genervte Blicke töten könnten, dieser Blogbeitrag wäre nicht entstanden.


Das Video hat leider ziemlichen Seegang, da im Kino noch eifriges Kommen und Gehen herrscht – der Song ist trotzdem gut zu hören

Damit lässt sich’s leben – allein für die Künstlerinnen ist es schade, denn die machen sehr schöne Musik und konnten hier nicht zuletzt beweisen, dass ihre üblicherweise sehr elektro-lastigen Songs auch akustisch funktionieren. Das geht schließlich nur, wenn der Song so vielschichtig ist, dass er es zulässt, bis auf sein Grundgerüst entkernt zu werden – nicht unbedingt üblich für eine Musik, die mich am ehesten an den Bubblegumelectropop einer Gwen Stefani oder an Madonnas elektronischste Momente erinnert. Natürlich macht das am meisten Spaß, wenn man die Originale kennt. Puder packt aber auch so – ein unglaublich energetischer, positiver Song, ich mag ihn sehr, wenngleich er unplugged schon sehr an 2Raumwohnung erinnert:

Dem Entkernen werden die beiden auch weiterhin treu bleiben: Anfang nächsten Jahres erscheint ein Pussy Empire-Sampler, auf dem sich die fünf Künstlerinnen des Labels – darunter Katriana, deren Song Kluge Gedanken mit dem herrlichen Refrain „ich bin so beschissen doll verliebt in dich“ definitiv zu meinen persönlichen All-time favorites gehört – bekanntem deutschen Liedgut aus den letzten zehn Jahren angenommen haben, von Rammstein über Grönemeyer bis hin zu Das Bo. Ob man die pussyfizierten Songs dann noch wiedererkennen wird, sei dahingestellt – ziemlich sicher ist, dass die Mädels etwas ganz Zauberhaftes damit machen werden. Ganz neu im Boot bei den Pussy Girls ist auch die wunderbare Illute, die auf dem Sampler auch zu hören sein wird. Bis er erscheint, hier noch eine wunderschöne Ballade:

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