25. März 2012

Stimmen, wie füreinander geschaffen: The Stewardesses heben ab – und nehmen uns mit

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 16:48

Nachdem das Wort “krank” ganz oben in der Suchbegriffsstatistik vom Klangblog rangiert – dicht gefolgt von “lesbisch”: erstaunlich, wonach die Leute in einem Musikblog so suchen! Sollte es eines Tages mit dem Musikjournalismus nicht mehr funktionieren, mache ich eine Krankenstation für Lesben auf -, möchte ich einmal mehr einen Treffer für das Suchergebnis liefern, denn: ich bin krank. Rotz, Halsschmerz, Nase zu – was auch immer Sie sich an Schnodder vorstellen können, hier ist er. Meine besten Freunde heißen zurzeit Gelomyrtol, Sinupret und Aspirin Complex. Damit bin ich nicht allein: Der überraschende erste Frühlingstag vor einer Woche hat ganze Belegschaften dahingerafft. Juchuh, zwanzig Grad, jubelte man tagsüber, und zog aus, was auszuziehen ging. Oh Mist, auf zwei Grad runtergekühlt, dachte man abends, als Schal und Jacke weit entfernt zu Hause lagen, man selbst aber fröstelnd im Biergarten saß. “Wenn Sie erst einmal das Gefühl haben zu frieren, ist es schon zu spät”, erklärte mein Apotheker am nächsten Morgen. Jaja, nachträglich schlaumeiern ist jetzt unglaublich hilfreich! Jedenfalls: Ich gehöre eigentlich ins Bett. Und nicht in den Konzertsaal. Aber: Wann spielen schon mal 5, in Worten: fünf, begnadete Musikerinnen auf einmal an einem Ort, darunter so anbetungswürdige wie Illute, Katriana und Catharina Boutari? Der findige Leser hat es erkannt: Das passiert, wenn das Label Pussy Empire Geburtstag hat und seine Künstlerinnen als The Stewardesses auf Tour schickt. Da muss man hin – und wenn es vorerst das Letzte ist, was man macht!


@ Work: The Stewardesses mit lauschendem Klangverführer. Foto: Jo_Berlin

In der wunderbaren Neuköllner Musenstube sind dann aber nur vier der Damen im Pan Am-Look gelandet, darunter allerdings meine drei Lieblingsstewardessen – und eine Chantal de Freitas, die zur Überraschung des Abends werden sollte. Davon aber später mehr. Eröffnet wird die Show von Catharina Boutaris Version des Tokio-Hotel-Hits Durch den Monsun, und live beweist Boutari einmal mehr, wie gut das Yael-Naim-Prinzip (Man nehme den unmöglichsten Song, den man sich vorstellen kann, und mache dann etwas ganz Wundervolles daraus) funktionieren kann: Der Song, muss ich feststellen, ist eigentlich ganz schön. Nur wussten Tokio Hotel das damals nicht. Chantal de Freitas singt im Refrain die zweite Stimme, und wie schon bei der L-Filmnacht zeigt sich auch jetzt, dass die Stimmen Boutaris und de Freitas’ wie füreinander geschaffen sind. Schön!


Sexy: Chef-Stewardess Catharina Boutari

Gast-Stewardess Illute hat ihren ersten Auftritt als Backgroundsängerin bei Chantals Mousse-T.-Cover Is It Cos I’m Cool, und sofort fühle ich mich ganz zu Hause in dem Klang. Ich liebe diese Stimme, die so anders ist als die der Kolleginnen und sich dennoch harmonisch in den Satzgesang der drei einfügt, der Katrianas Juli-Cover Geile Zeit begleitet. Aber die Stewardesses unterhalten das Publikum nicht nur mit den Akustik-Cover-Songs von ihrem Jubiläumsalbum Pussy Empire hebt ab, sondern auch mit ausgewählten Stücken aus ihren Soloprojekten. Ich freue mich auf Catharina Boutaris Alter Ego Puder mit ihren Großstadtkonkurbinen und meinem All-Time-Favorite Puder, wobei ich mich nicht entscheiden kann, ob mir Click Clack mit seinem “Farben, wo sind die Farben”-Refrain hier und heute nicht sogar noch besser gefällt – beide Disco-Nummern sind purer Glitter auf Speed!

Perfect von Chantal de Freitas mochte ich damals nicht besonders, aber entweder habe ich mich mittlerweile an den Song gewöhnt wie an einen guten Nachbarn, der vom Bekannten langsam zum Freund wird – oder de Freitas ist heute Abend in Hochform. Wie sich noch herausstellen soll, ist Letzteres der Fall; und nicht zuletzt gefällt mir das Thema des Liedes ausnehmend gut: alles soll heutzutage möglichst perfekt erscheinen, willkommen Botox, hallo plastische Chirurgie, und was das mit der Seele macht, interessiert keinen Menschen. Auch hier vereinen sich de Freitas’ Mezzo und Boutaris heller Sopran zu einer vollendeten Symbiose, und das, um beim Thema zu bleiben, ist etwas, das die Bezeichnung “perfekt” dann wirklich verdient hat. Nicht zuletzt gelingt es Chantal de Freitas, mir den Song Jetzt erst recht des Bravo-Geschöpfes LaFee näher zu bringen, für den ich bislang in etwa so viel übrig hatte wie für Durch den Monsun. Langsam verstehe ich, weshalb diese Lieder solche Hits sein konnten, denn entkernt man sie bis zum Kleinstmöglichen und lässt sie von einer lebensklugen Frau interpretieren, kann man tatsächlich so etwas wie Schönheit in ihnen finden. Tokio Hotel und LaFee fehlte es schlicht an Lebenserfahrung für die eigenen Songs. Wer schon ein bisschen gelebt hat im Leben, der kann auch banalen Teenagertexten Würde verleihen. In dieser Rolle gefällt mir Chantal de Freitas ganz wunderbar. Bislang habe ich sie eher als singende Schauspielerin denn als Musikerin wahrgenommen – das hat sich nun grundlegend geändert, und das Genre “gehauchte Ballade” steht ihr ganz vorzüglich.


Souverän & elegant: Chantal de Freitas

Das Lied, auf das ich mich freue, seitdem ich die Setlist gesehen habe – Dünner Tag von Illute -, kommt so ganz ohne jegliche elektronische Verstärkung indessen seltsam lo-fi daher. Ich gebe zu, es in der Album-Version mehr zu mögen – und dennoch zeigt Illute, dass man nicht mehr als Stimme, Ukulele, ein bisschen Fingerschnippen und eine Katriana an der Melodica braucht, um die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums zu erhalten. Ohnehin ist das Publikum der musizierenden Illustratorin wie immer mehr als geneigt – als sie in ihrem Hund-am-Strand-Cover Jungen Mädchen “Alle Jungen, alle Mädchen, zieht eure T-Shirts aus” fordert, beginnt die erste Reihe tatsächlich, einen Spontanstrip hinzulegen. Spätestens bei ihrer Version von Major Tom, die ich erstmals beim Fabulous Female Folk-Festival hören durfte, sind ihr alle verfallen. Damals war Illute der Lichtblick eines ansonsten trüben Abends – heute endlich hat sie ebenbürtige Mitstreiterinnen.

Katrianas Mensch aber ist das Lied, das über den Abend hinaus tagelang in meinem Kopf hängenbleibt. Im Grönemeyerschen Original verhasst, ist es bei ihr einfach nur wunderschön und, was dem Original nicht gelingt, berührend. Sehr süß ist Chantal de Freitas bei Teenage Love, einem ihrer eigenen Songs, mit dem sie wieder den über dreißigjährigen Frauen kollektiv aus der Seele zu sprechen scheint. Einer der Höhepunkte des Abends aber ist ihre Version des Rammstein-Hits Amerika. Schon auf der Platte großartig, toppt die Live-Version alles, haben die Stewardesses doch eine Andrews-Sisters-artige Close-Harmony-Nummer daraus gemacht. Ganz groß!


Nicht nur eine tolle Sängerin: Katriana

Das gilt auch für Katrianas Ich singe dir ein Lied mit seinem “Ich lieb dich heute Nacht/und wenn du nicht schlafen kannst/dann sing ich dir ein Lied”-Refrain, das in der Stewardesses-Version ebenfalls durch einen mitreißenden ooh-woo-whoo-Chor besticht. Bei Catharina Boutaris ‘türlich, ‘türlich verwandeln sich die Andrews Sisters dann in die Supremes; und genau hier zeigt sich, worin die Stärke der Stewardesses liegt: dass es vier Solo-Künstlerinnen geschafft haben, einen Gruppenklang zu entwickelnn, dessen Harmonien sich nicht hinter den großen Girlgroups der Sixties verstecken müssen.

Der durch Krankheit leider fehlenden fünften Stewardess Birgit Fischer (Ex-Motorsheep) wird gedacht, indem man das von ihr aufgenommene Ich+Ich-Cover Vom selben Stern als Zugabe anstimmt. Geben wir es zu: Ich+Ich haben schon recht pathetische Texte. “Du bist das Pflaster meiner Seele” hieß es in Pflaster, und hier heißt es “Ich nehm’ den Schmerz von dir”. Uff. Hätte man dabei nicht Adel Tawils großartige Stimme im Ohr – solche Texte könnte einem keiner verkaufen! Allein, Catharina Boutari, Chantal de Freitas, Illute und Katriana können es auch. Ganz zauberhaft funkelt der Song mit einem Mal, und ganz zauberhaft ist auch, wie Katriana hier tapfer mit Satinhandschuhen Klavier spielt, während de Freitas bei ihrem Part einmal mehr mit souveränem Leadgesang überzeugt. Die Künstlerinnen sind nicht nur stimmlich zusammengekommen, sondern eine jede hat sich während ihrer Tournee auch in die Lieder der jeweils anderen eingefunden, und mehr kann man sich von einem als einmaliges Projekt zusammengekommenem Musikerkollektiv wohl kaum erwarten.


Gitarre, Klavier, Ukulele, Melodica – Illute spielt sie alle

Wer die Stewardesses in Berlin noch einmal live sehen will, hat schon bald wieder die Möglichkeit dazu: Sie spielen ihr Programm am 5. April 2012 in der Langen Nacht noch einmal. Vorher machen sie aber noch Station in Dortmund, Köln und Hildesheim. Die genauen Tourdaten gibt es hier. Wir sehen uns, wenn es wieder heißt: Pussy Empire gebt ab!

19. März 2012

Halt die Klappe, hol dir’n Hund: Olli Schulz über das Erwachsenwerden im Zeitalter des digitalen Umbruchs, seine Abenteuerplatte und die Frage nach dem Hund Marie

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 15:03

Am Anfang war der Hund Marie. Bevor ich mit der Musik von Olli Schulz in Berührung kam, kannte ich ein Plattencover von ihm: Für meinen Artikel Popmusik & Hundezucht: die schönsten Hundeplattencover habe ich das Cover des Olli Schulz & der Hund Marie-Songs Dann schlägt dein Herz (2005) verwendet. In das Lied hatte ich mal kurz hineingehört, es für weder besonders bemerkenswert noch besonders unangenehm befunden und fortan nicht mehr daran gedacht.

Das hat sich mit SOS, dem aktuellen Solo-Projekt von Olli Schulz, geändert. Als ich den Album-Teaser hörte, bin ich an der Reggae-Nummer Ich kenn‘ da Ein hängengeblieben, und auch viele der anderen neuen Singer-Songwriter-Stücke schienen mir echtes Ohrwurmpotenzial zu haben. Nanu? Kein schrammeliger Indie-Rock mehr von Olli Schulz? Ist er etwa erwachsen geworden? Und wo ist eigentlich der Hund Marie? Diesen und anderen Fragen gehe ich am ersten sonnig-warmen Tag dieses Jahres im Café Fleury in Berlin Mitte auf den Grund – klar, dass da auch der Hund Emily, besser bekannt als Kopfhörerhund, dabei sein muss.


Olli Schulz und der Hund Marie war gestern …

Klangverführer: Dein neues Soloalbum heißt Save Olli Schulz – verrätst du mir, was dich so schutzbedürftig macht?

Olli Schulz: Eigentlich macht mich nur die Tatsache schutzbedürftig, dass es so anstrengend war, diese Platte aufzunehmen und zu veröffentlichen: ein neues Label zu suchen, nachdem mir die alte Plattenfirma gesagt hat, dass sie meine nächste Platte nicht herausbringen möchte und ich so gestresst war von diesem ganzen Business-Kram! Ich habe für die letzte Platte eine wahnsinnige Promo-Tour gemacht, wahnsinnig viele Interviews gegeben … Diesmal ist es schön, dass ich nur zwei Tage mache, heute und morgen – Emily! (pfeift nach dem tauben Hund, der sich gerade in Richtung Küche davonmachen will) –, denn dieses ganze Drumherum nervt eigentlich nur, du wirst abgehalten vom Musikmachen, weißt du. Darum hat der Titel ganz gut gepasst. Außerdem habe ich in letzter Zeit immer Geldprobleme gehabt, weil ich ein schlechter Geschäftsmann bin, mit einer Band auf Tour war und denen zu viel Geld ausgezahlt habe – und obwohl ich Veranstaltungen gemacht habe wie die Neujahresrevue in der Volksbühne, war ich am Ende immer der, der am meisten draufgezahlt hat. Außerdem sind noch ein paar weitere Sachen passiert, die nicht so toll waren: Ich habe versucht, noch einmal mit dem Hund Marie eine Platte aufzunehmen, das ist auch gescheitert … Dann stand ich ziemlich alleine da und habe diese Platte alleine gemacht, und dann habe ich gedacht: Da passt „SOS – Save Olli Schulz“ doch ganz gut. Ich würde gern noch mal eine Platte so aufnehmen!

Eine weitere Soloplatte?

Ja.

Auf Save Olli Schulz singst Du von „irgendetwas“, dass Dir so sehr fehlt und immer mehr wird (Irgendetwas fehlt), davon, dass wir jung und dumm sind „und denken, das ist Kunst“ (Ich kenn’ da Ein) und trauerst einer Liebe aus dem September ‛97 nach sowie einer „aufgebrauchten Welt“ (Ich dachte, du bist es) – ich finde mein Lebensgefühl perfekt in Deinen Texten gespiegelt. Glaubst du, dass wir einer Art verlorenen oder zumindest orientierungslosen Generation angehören?

Nun, ich jedenfalls! Ich weiß nicht, ob wir so einer Generation angehören, ich kann da ja nur für mich sprechen! Dazu muss ich auch sagen, dieses Lied mit der Liebe ‛97 … Das ist ja nur, dass ich einen Menschen mal für eine Nacht nur kennenlerne, dass ich mit ihm durch die Nacht fahre und am Strand bin … Das ist ja mehr eine fiktive Geschichte. Aber Du hast schon recht, es geht schon so ein bisschen darum, dass man auf der Suche ist und dass sich viele darin verirren, in dieser Suche und dann nur noch auf der Suche sind. Ich für meinen Teil muss sagen, dass ich gerade angekommen bin mit Frau und Kind und eigentlich ein unaufgeregtes, aber schönes Leben führe, da kann ich mich nicht beschweren. Ich habe eine Tochter, die ist zweieinhalb Jahre alt, und das macht mich schon ganz glücklich und füllt mich aus. Aber wer will denn schon eine Platte darüber hören, „Mir geht es gut, mein Leben ist schön, ich sitz‘ zu Hause und schaue mein Kind an und freu‘ mich des Lebens“?

Das Phänomen kennt man ja vom Tagebuchschreiben. Wenn man Jahre später seine Eintragungen liest, denkt man, Mensch, was war ich da depressiv, dabei ist es ja eigentlich nur so, dass man in diesen dunklen Phasen viel eher zum Stift greift und wenn es einem gut geht, schlicht keine Zeit und/oder Lust zum Schreiben hat!

Ja, stimmt. Ich kenne auch nur wenig gute Feel-Good-Movies, äh, Songs!

Und auch, wenn du über die Musik selbst schreibst, scheint immer auch etwas Wehmut mitzuschwingen – so singst du zum Beispiel in Old Dirty Man: „Ich werde nicht mehr so emotional bei emotionaler Musik“, und in Verliebt in 2 Mädchen läuft im Radio „Schrottmusik, die ich überhaupt nicht hören will“. War Musik früher besser? Und wenn man erst einmal zu dem Punkt kommt zu sagen, dass früher etwas besser war – ist man dann erwachsen?

Ich finde nicht, dass früher irgendetwas besser war. Ich bin kein Typ, der nostalgischen Sachen hinterher trauert. Ich glaube, dass wir in einer modernen Zeit leben, die noch völlig veraltet ist. Ich finde, dass wir immer noch Systeme und Sachen haben, die einfach nicht mehr relevant sind. Die mich nicht mehr interessieren. Mich interessiert beispielsweise die Fernsehkultur nicht mehr, die ist einfach am Aussterben. Es gibt neue Sachen, Internet zum Beispiel, und tausend Wege, sich Dinge anzugucken. Das beste Beispiel ist Thomas Gottschalk. Der ist völlig orientierungslos und gerade in der falschen Zeit, nicht wir. Der merkt nicht, dass seine Zeit abgelaufen ist. Ich finde das unangenehm, wie Leute der alten Zeit hinterher trauern. Man muss einfach mal sagen, „das ist jetzt vorbei und neue Sachen kommen. Komm jetzt, das ist nun mal so“. Der Umbruch, der jetzt stattfindet, der ist ja kodiert wie eine Alten und eine Neuen Welt, und manche Sachen gehen rasant schnell, andere gehen sehr langsam, und genau da befinden wir uns gerade drin! Dadurch formt sich solch ein generelles Lebensgefühl. Die einen sagen, früher war alles besser, und die anderen sagen, der Fortschritt ist total wichtig und ich bin nur noch am Rechner und Internet ist das Größte … Ich glaube, dass man sich in dieser Zeit einfach mal ein bisschen entspannen muss.


Heute heißt es: Olli Schulz und der Hund Emily!

Viele Künstler sind ja zurzeit auch sehr aktiv in den sozialen Netzwerken, bieten ihre Werke zum Download an, um diesem Umbruch gerecht zu werden … Wie hältst du es damit eigentlich?

Och, ich bin auch da ganz entspannt. Ich mach ‛ne CD, ‛ne Vinyl-Platte und ‛nen Download.

Oh, Vinyl! Wirklich?

Ja, tausend Stück – und die werden auch gut bestellt.

Schön zu wissen – gerade die fairaudio-Leser freuen sich immer über Vinyl! Bleiben wir aber mal beim Erwachsenwerden, gegen das du dich laut deinem eigenen Begleitschreiben zum Album „verbarrikadierst“. Wenn man deine aktuellen Lieder hört, von denen viele überraschend versöhnlich enden – zum Beispiel Old Dirty Man oder Koks & Nutten –, könnte man glatt denken, dass aus dieser Platte schon so etwas wie beginnende Altersweisheit spricht …

Also, erwachsen muss man einfach werden. In dem Moment, wo Du ein Kind hast, bist Du, glaube ich, automatisch erwachsen. Aber natürlich versucht man sich trotzdem eine Unschuld zu bewahren. Das ist ja auch etwas, was ich in meinen Liedern versuche zu bewahren. Es heißt ja nicht, dass du erwachsen bist, wenn du trotzdem eine Kindheit in dir trägst. Schlimm wird es, wenn du anfängst, über die Jugend … wenn du die Jugend nicht mehr verstehst und herum pöbelst. Das ist dann wirklich unangenehm!

Yeah, wenn du deinen Krückstock schwingst und anfängst, „die Kinder vom Hof!“ zu brüllen …

Genau. Und ich finde ja, dass viele Menschen, die jünger sind als ich, ausgesprochen … ähm … schon gesettelter sind, als ich es in ihrem Alter war. Die Jugendlichen, die sind viel bürgerlicher … Guck dir Kathi an – deutet auf die Promoterin – , die Tätowierungen am Arm sind alle nur aufgemalt! (lacht, denn natürlich sind die echt) Nein, aber es ist wirklich so: Ich glaube, dass die Leute wieder vernünftiger werden. Wenn ich auf zdf.neo Joko und Klaas höre, die machen schon voll den vernünftigen Eindruck, dafür, dass sie erst achtundzwanzig und neunundzwanzig sind! Ich war damals nicht so.

Du hast gerade wieder das Kinderkriegen angesprochen, und ich habe ja auch noch einen Teil des Interviewers vor mir mitbekommen, dem du gesagt hast, dass du so endgenervt bist von den Luxusproblemen der Leute, die darüber jammern, dass ihre Altbauwohnung im Prenzlauer Berg nicht genug Licht hat oder dass sie in ihrer Beziehung seit Jahre unglücklich sind, ohne etwas dagegen zu unternehmen … Wenn man deinen Song H.D.F.K.K. (Halt die Fresse krieg ‛n Kind) so hört, habe ich das Gefühl, der polemische Titel ist nur halb im Spaß gemeint. Glaubst du, dass sich alle kleinen, selbstbezogenen Luxusprobleme relativieren, wenn man für ein Kind verantwortlich ist?

Klar. Aber der Song ist nicht so ernst gemeint, dass jeder ein Kind haben sollte. Allerdings ist es schon so, dass viele Leute so wahnsinnig viele Sachen ernst nehmen, auch Musik und Texte … Dann sagst du, „geh, krieg ein Kind, und du merkst, dass das alles nicht so relevant ist“ …

Oder einen alten Hund, der macht ähnlich viel Arbeit …

Ja, oder einen alten Hund. Halt die Klappe, hol dir’n Hund!

Auch ein schöner Unsinns-Titel! Apropos Unsinn: Die in den vorigen Fragen schon angesprochene Melancholie, die sich durch viele deiner Texte zieht, wird von dir oft durch überraschend witzige Wendungen konterkariert; und auch vor allerlei Klamauk schreckst du nicht zurück. Hast du keine Angst, dass du mit Zwischenspielen wie Crew und Vorspiel oder Stücken wie Danke an alle deine Glaubwürdigkeit untergräbst?

Nee, damit hab ich schon sehr früh aufgehört. Viele Leute haben mir gesagt, Olli, wer mal witziger, mach doch nur noch witzige Sachen, andere haben gesagt, ey, du musst aufhören mit diesem albernen Scheiß, sonst nimmt dich keiner ernst … Ich hab‘ das über die Jahre immer so gemacht, nur so ist es gut. Die letzte Platte Es brennt so schön, die war eigentlich gar nicht so witzig, die fand ich eigentlich äußerst düster … Da waren die Sachen mit dem Hund Marie, Warten auf den Bumerang und so, schon witziger! Aber es war eigentlich schon immer so eine Mischung. Jetzt ist es ein bisschen persönlicher geworden, Old Dirty Man ist schon ein persönlicher Song über das Älterwerden, ja. Es gibt ja auch Songs, die sind nicht nur witzig oder nur traurig; es gibt ja auch Songs, die sind einfach nur so … entspannt. Es sind nicht nur diese beiden Extreme.

Oder ein Song hat eine total überraschende Wende, wie beispielsweise Briefmarke, das ist zuerst voll der gruselige Krimi und dann: „Er klebt die Briefmarke ein“!

Das war ein kleiner Gag, der uns so eingefallen ist, den finden wir sauwitzig!

Mir hat er auf jeden Fall sehr gefallen! Bei der Vorab-Recherche zu diesem Interview habe ich mir auch die Wikipedia-Seiten über dich angesehen, und da steht, dass Save Olli Schulz zunächst auch ein Olli Schulz und der Hund Marie-Album und kein Soloalbum werden sollte. Was ist eigentlich aus dem Hund Marie geworden?

Wir haben einfach nicht mehr so zueinander gefunden. Der Hund Marie, also Max Schröder, macht ja auch Musik und bringt jetzt eine Soloplatte heraus … Wir haben uns einfach seit 2006 nur noch ganz ganz selten gesehen. Das liegt auch daran, dass Max nicht nur Vater zweier Kinder, sondern dann auch bei Tomte eingestiegen ist. Und ich bin schon seit einiger Zeit – eigentlich seit der ersten Platte, wenn man es genau nimmt – viel alleine getourt. Und ich habe auch alle Songs geschrieben. Ich erinnere mich, dass er mich begleitet hat, und er ist ein ausgesprochen guter Musiker! Dann haben wir 2010 noch einmal versucht, eine Platte aufzunehmen, hatten uns zuvor aber drei Jahre nicht richtig gesehen. Wir waren für ein paar Tage im Studio, und ich habe dabei nichts empfunden: Kein Spaß gehabt, nichts. Und er auch nicht. Und dann habe ich gesagt, komm, lass es bleiben. Wir sind nicht mehr so, wie wir vor fünf Jahren waren, als wir Nachbarn waren, Freunde waren. Er hat ein ganz anderes Leben als ich – es gab auch keinen Streit oder so. Aber es passt einfach nicht mehr. Er hat auch ganz andere Vorstellungen von Musik, inzwischen. Er ist ein ganz toller Musiker – einer der besten, mit denen ich je arbeiten durfte –, und er wird auf jeden Fall eine tolle Soloplatte machen, und eigentlich ist es ja auch gut so: Ich mach meine Sachen, und dafür macht er auch seine Sachen.

Vorstellbar, dass ihr irgendwann wieder zusammen findet?

Momentan glaube ich eher nicht. Wir sind so unterschiedlich! Wie gesagt, es gab weder Streit noch Schlägereien noch Anwälte … Es war einfach so, dass wir beide alt genug sind zu merken, das wird gerade nichts mehr.

Ihr seid ja mit eurem Warten auf dem Bumerang-Album ja extra zu EMI gewechselt, um aufwändiger produzieren und von dem Singer/Songwriter-Stil wegzukommen …

Und auch wegen des Geldes, das wir bekommen haben!

Save Olli Schulz schlägt wieder die genau umgekehrte Richtung ein: Alles wurde auf nur einer Spur in einem winzigen Tonstudio aufgenommen. Ist das eine Art Back to the Roots?

Ja, das ist aber auch keine Singer/Songwriter-Platte, da ist überall Schlagzeug und so, einfach ganz anders von der Mischung! Aber natürlich auch Back to the Roots. Eigentlich habe ich immer alle Songs auf der Gitarre geschrieben – es kommt darauf an, wie du sie umsetzt. Erst einmal hatten wir nicht das Geld, und dann habe ich zwei aufwändig produzierte Platten gemacht, und dann habe ich gemerkt, das reicht jetzt auch, jetzt will ich wieder was anderes machen. Und da hab‘ ich diese Platte jetzt gemacht.

Wenn du sagst, es ist keine Singer/Songwriter-Platte – was ist es dann?

Doch ist es. Es ist eine Singer/Songwriter-Platte. Aber auch mehr! Es ist nicht nur eine Singer/Songwriter-Platte. Es ist eine Entertainment-Platte, ‛ne Quatsch-Platte, ‛ne schöne Platte … eine Abenteuer-Platte!

Sie ist auf jeden Fall wahnsinnig vielfältig: Du hast zwei Reggae-lastige Tracks drauf, beim Phosphoermann kommt dann doch so ein bisschen Hamburger Schule um die Ecke, Blumfelds Apfelmann ist da nicht weit …

Welcher Song von Blumfeld?

Der Apfelmann! Und nicht nur wegen des ähnlichen Titels!

Ah, okay. Ich frag nämlich, weil ich Blumfeld immer gut fand!

… und auch vom Liedermacherkosmos ist Save Olli Schulz nicht allzu weit entfernt …

Ich bin ein Liedermacher! Ich schreibe die Songs alle auf der Gitarre. Ich hatte früher auch mal ein Problem mit dem Begriff, aber eher aus Styling-Erwägungen. Im Grunde bin ich ein Liedermacher. Und außerdem: Hannes Wader, Klaus Hoffmann und solche Leute – das sind auch alles Liedermacher, und so schlecht waren die alle nicht, ganz im Gegenteil! Wenn du mich als Liedermacher bezeichnest, kann ich damit leben. Singer/Songwriter klingt nur cooler.


Ob cool oder nicht cool – in jedem Falle beliebt! Es gibt Fanpost.

14. März 2012

Being born in the key of “Blue” and creating a contemporary Pan Afro Vibe: Jonas Bibi Hammond

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 09:02

Den ersten Anlauf zu diesem Interview habe ich vor ungefähr anderthalb Jahren unternommen, als ich „Jamestown“, das erste Soloalbum von Jonas Bibi Hammond, im Sommer 2010 für fairaudio.de besprach. Es war die Zeit der Fußball-WM in Südafrika, sodass sich die Diskussion um eine neue, selbstbewusste, pan-afrikanische Identität nahezu aufdrängte. „Leider wird Afrika immer noch massiv vom alten Stammesdenken bestimmt. Mir geht es einfach darum“, so Hammond damals, „dass diese alten Stammesstrukturen überwunden werden sollten, um zu einer gemeinsamen starken Identität zu finden“.

Dafür macht sich der Produzent und Musiker vor allem mit seinem Projekt „Pan-African Heritage“ stark, für das er als Kurator für die Werkstatt der Kulturen verschiedene Künstler afrikanischer Herkunft, die seit Jahren in Berlin nebeneinander her leben, ohne aber je miteinander gespielt zu haben, auf eine Bühne bringt. Und auch „Jamestown“ bleibt von diesem Gedanken nicht unbeeinflusst, wenn Hammond im „Ga Man Funk“ beispielsweise eine alte Parole der Ga verwendet – jener minoritären Volksgruppe in Ghana, der sein Vater entstammt. Diese heißt übersetzt, „We are not many but we are beautiful“, und kaum erschien der Song, wurde versucht, ihn politisch zu instrumentalisieren, obgleich der Text mit keiner Silbe hergibt, dass irgendjemand besser sei als ein anderer. Hammond wollte damit lediglich ausdrücken, dass man zu dem stehen soll, was man ist, dass man seine Ziele und Träume nicht aufgeben soll. Und so ist auch „Jamestown“ letztendlich kein politisches Album, sondern vielmehr ein sehr persönliches, das immer wieder den aktuellen Ich-Status des Künstlers bestimmt – und natürlich auch von Liedern über die Liebe in all ihren Spielarten keinen Halt macht.

Leider hat die Zeit nie gereicht, das Gespräch fortzusetzen. Nun gibt es „Jamestown“ aber als Special Edition – und eine dazu passende Konzertreihe. Gute Gründe für einen zweiten Anlauf, der – in kleinerer Form – dann auch gelingt.

Klangverführer: The first edition of „Jamestown“ appeared about one and a half years ago. What has gotten you to release a special edition right now?

Jonas Bibi Hammond: I was not finished with all the songs I intended to be on the album, and last year in June my beloved Mum passed away … I simply lost my „Mojo! I was so sad that I had to do what my Mother has been waiting for almost 30 years – a solo Jonas Bibi Hammond CD, instead of me composing and producing for other artists. So I decided to bring out the CD “Jamestown” in a form of limited edition, so I could make peace with my own sorrow. I fell freed from this pain now.

The original version of “Jamestown” was opened by “The Way I Am”, which is, by the way, my personal favorite song of your album. For me, it feels like a statement or declaration of your self, of what you are right now and what you want to be … So I wonder what made you put it downward on the tracklist of the new “Jamestown” edition?

Well, as you can see the CD is now a dedication to my Mum, so I wanted to be in the second row so to speak. And I wanted the more Blue, melancholic.

When we first spoke about your solo album about one and a half years ago, I remember you saying this record covered the last 30 years of your life. If I take a closer look on the songs, I find they were mainly composed in the early Two-Thousands. Does this mean that you have carried all these songs in your head for decades before noting them down?

Many of the songs on the Jamestown CD are remakes of original compositions I wrote in the 70ies, some of which were even recorded back then, but only as demos. I started re-writing and sometimes just recording newer versions of these songs around the year 2000 onwards.

Moreover, I remember you saying that you drew your inspiration many a time out of passing moments. Some of these emotional moments were magical and transferred immediately into music …

Yes, sometimes when I have long walks alone … I hear my own mind, like looking in a mirror, and yes, some songs have been materialized this way. On the other hand, I sometimes wake up in the morning, and have a complete piece with lyrics, as if I received it in a transfer. Sometimes also, the moment is just magic, and a song develops. Like the song „The Way I Am“.

Upon listening closely to your lyrics, I have found that there are remarkably many love songs on the album …

Well, I am a softie, and have never had a problem with being that way … I always say I must have been born in a key of „Blue“, ‘cause all my songs have this deep seated trace of melancholy which fascinates me so much … Dunno where it comes from ( smile). I am in my own way a „Chronic Romantic”… hahahaha.

On March 16, you will not only play the music of the „Jamestown“ album, but also perform some songs with the Pan-African Groove Collective. Can you tell me a bit more about this?

I formed the Band „Pan African Groove Collective“ to fulfill a dream I have had for as long as I have been in Germany , 26 years. I wanted to build a musical bridge between the roots of Black Music in Africa and the development of new black music in the African American communities, and black Diaspora worldwide. Therefore, the concert will feature some of the very best Musicians in Berlin, and we will be playing some of my compositions, fusing Afro Blues with Jazz and Soul. We will also perform some jazzed-up Reggae and Afro beats to create a contemporary Pan Afro Vibe.

Die Special Edition von „Jamestown“ gibt es beispielsweise auf amazon.de. Live zu sehen ist Jonas Bibi Hammond mit seinem Pan-African Groove Collective am Freitag, 16. März 2012, im Club der Werkstatt der Kulturen.

9. März 2012

Das schwere Buch vom schwarzen Mann: Victoriah’s Music erstmals mit Buchkritik!

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 13:00

Am 26. Februar 2012 wäre Johnny Cash achtzig Jahre alt geworden. Dies wurde vom Verlag Edel/Rockbuch zum Anlass genommen, die Autobiographie „Cash“, die der Sänger 1997 mit Hilfe des renommierten Country-Journalisten Patrick Carr verfasst hat und die erstmals 2003 (deutsch: 2004) erschienen ist, in einer großformatigen Neuauflage herauszubringen. Die ist irgendwie seltsam: nicht Fisch, nicht Fleisch, aber allemal – auch für Nicht-Fans – interessant, denn sie ermöglicht ein anderes Hören der Cash-Songs, ein Neuhören, ein Hören unter neuen Vorzeichen. Leider ist die Neuauflage aber auch absolut unhandlich, was Größe und Gewicht betrifft, die eher einem Bildband angemessen wären als einem textlastigen Buch. Die grundlegenden Eigenschaften eines Buches – beispielsweise umblättern mit einer Hand, während die andere das Buch festhält -, sind hier schlichtweg nicht gegeben. Aber, wie es ein Freund von mir so treffend beschrieb: Das physische Gewicht des Buches ist eine Analogie zu seiner inhaltlichen Gewichtigkeit. Die altersmilde Abgeklärtheit Cashs kann für den Leser zu einer Hand auf der Schulter werden, die ihm signalisiert: alles wird gut – irgendwann.

Zur Buchbesprechung geht es hier.

7. März 2012

Spaß dran haben und gucken, was kommt oder: lesen, schnuppern, bestellen, machen, tanzen gehen! Das Duo Scheeselong im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 08:55

Es steckt schon eine ganze Menge von Fräulein Mitzi und Frau Rosenroth, den Figuren, die das Duo Scheeselong in ihrem Programm Rendezvous mit Marlene verkörpert, in Caroline Bungeroth und Valerie Wildemann: die übersprudelnde, begeisterungsfähige junge Sängerin mit Hang zur leichten Muse und die strenge russische Klavierlehrerin, die ihr Herz an Rachmaninow gehängt hat. Feuer und Eis, könnte man meinen, wie sie da vor mir sitzen, die eine blond und wild gelockt, die andere dunkel mit streng zusammen-
gebundenem Haar. Da verwundert es kaum, dass die eine dann auch eher Hunde-, die andere Katzenmensch ist.

Kaum aber setzen wir zum Interview an, merke ich schnell, dass Wildemann ihrer Duo-Partnerin in puncto Temperament und Aufgedrehtheit in nichts nachsteht. Für einen kurzen Augenblick fragen ich mich, ob ich statt des ayurvedischen „Die Sinne schärfen“-Tees nicht eine beruhigende heiße Milch mit Honig hätte servieren sollen. Dann aber werde ich mitgerissen von einem Gespräch, das schriftlich nur unzureichend wiedergegeben werden kann, soviel wie hier gelacht, gegiggelt, gegurrt, geschmeichelt, geflirtet, sich gegenseitig ins Wort gefallen, spontan gesungen, in diversen Akzenten gesprochen und überhaupt durch alle erdenklichen menschlichen Tonlagen jongliert wird – und zwar nicht nur von der Sängerin, sondern auch von der Pianistin. Eigentlich müsste man hier das Band von Interview einstellen! Wenn Sie diese beiden, die nicht nur exzellente Musikerinnen, sondern auch ganz wunderbare Schauspielerinnen sind, live erleben möchten – und das lohnt sich! -, können Sie aber auch zur Berlin-Premiere von Rendezvous mit Marlene am 9. März im Grünen Salon gehen.


Das Duo Scheeselong ganz leger auf der Scheeselong der Autorin …

Klangverführer: Das Programm, durch welches ich euch kennengelernt habe, heißt „Rendezvous mit Marlene“, und ich will jetzt natürlich von euch wissen: Was fasziniert euch so an Marlene Dietrich?

Valerie, deutet auf Caroline: Diese Frage ist für sie!

Caroline: Also Marlene als Schauspielerin und Sängerin – wenn man sie sich vor allem in den Filmen anschaut: die hat drauf, mit ganz wenig Mitteln ganz viel zu machen. In diesen Filmen der zwanziger, dreißiger Jahre, also den Hollywoodfilmen, kommt sie raus, guckt einfach nur und steht einfach nur, geht drei Schritte, guckt einfach nur und steht einfach nur. Und wie sie spielt, wie das wirkt – das ist einfach unglaublich! Das ist das, was mich an dieser Künstlerpersönlichkeit so fasziniert. Auch die Entwicklung dieser Dame ist enorm: Wenn man schaut, wie sie angefangen hat – und dann diese unglaubliche Karriere in der Nachkriegszeit … Ja, das ist die persönliche Faszination!

Es geht also eigentlich eher um ihre Präsenz und nicht so sehr um ihre Lieder?

Caroline: Vom Künstlerischen her, wenn man sich jetzt fragt, inwiefern ist sie mein Idol, also als Vorbild, dann ist es genau das: mit wenig Mitteln viel zu erzeugen. Das ist wirklich eine Kunst.

Valerie: Sie hat ja auch von sich gesagt, „Ich kann nicht singen, also muss das, was ich trage, einfach phänomenal sein“.

Caroline: Und dementsprechend hat sie sich natürlich auch … Also, sie hat es sehr wohl verstanden, das Äußere, die Präsenz, das Dasein, was sie sich antrainiert hat, wirken zu lassen. Und die Idee war zunächst auch, etwas zu machen, was man so von Marlene kennt – ursprünglich war das sogar zum Marlene-Jahr geplant, hat sich dann aber verschoben, weil noch andere Dinge dazwischen kamen –, und jetzt ist natürlich spannend, dass wir uns im Laufe des Programms immer mehr damit befasst und auseinandergesetzt haben – gerade die Rosenroth, die ja immer für diesen Ausgleich im Stück zuständig ist, und es ist spannend zu erleben, dass auch das Leben der Dietrich einfach nicht immer zuckersüß war, dass da viele Schattenseiten sind. Und es passt eben auch sehr gut zu uns zu sagen, dass sie eben nicht nur diese Glamour-Fotos verkörpert, sondern dass sie zum Beispiel auch viel im Krieg erlebt hat oder für ihr Aussehen auch wirklich viel tun musste.

Diese Schattenseiten habt ihr ja auch auf die Bühne gebracht. Valerie, ich glaube, du warst das, die entsprechende Passagen aus der Autobiografie der Dietrich vorgelesen hast …

Valerie: Genau.

… und ihr sagt selbst, dass ihr euch während der Arbeit am Programm immer mehr mit der Persönlichkeit von Marlene auseinandergesetzt habt. Hat sich euer Marlene-Bild während dieses Prozesses verändert?

Beide: Ja, total!

Wirkt sich das auf eure Darstellung aus?

Caroline: Für mich persönlich bedeutet das, dass sie auch ein Mensch ist. Und im Grunde spiegelt das auch uns wider. Du siehst uns jetzt ja auch in normalen Klamotten, und es ist genau wieder diese Verwandlung. Wir waren gestern zum Beispiel auf der Bohème Savage, und es ist diese Verwandlung der Zeit, dieser Schein, und sobald die Leute zur Garderobe gehen, ist dieser Schein weg. Damit kommen wir als Künstler ja auch immer wieder in Berührung: Sobald wir jemandem in unseren Privatklamotten einen Flyer geben, heißt es, „Ach, das sind Sie?!“, man erkennt einen gar nicht wieder, und so ist das mit Marlene auch. Diese Verbindung von Künstler-Sein einerseits und privater Person, andererseits …

Valerie: Und auch dieses Ringen um das eigene Bild, was man von sich selbst kreiert hat und was die Leute auch von einem erwarten.

Caroline: Beziehungsweise das Ringen um das, was man wirklich machen möchte. Das war ja bei ihr auch so, sie ist dann ja auch wirklich hochgestiegen.

Das heißt, sie ist für euch ein Stück mehr … berührbarer geworden?

Beide: Ja, definitiv.

Wenn wir uns jetzt mal von den Filmen abwenden: Was glaubt ihr denn, was an ihren Liedern, die ihr ja in „Rendezvous mit Marlene“ singt und spielt, so modern ist, dass man damit auch heute ohne weiteres noch einen ganzen Abend füllen kann?

Valerie: Die Liebe!

Caroline: Genau, darum geht es ja! Im Grunde sind die Lieder doch total aktuell: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ und „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ …

Valerie: Spannenderweise sind das ja auch genau die Lieder, die geblieben sind! Ihre Kriegslieder zum Beispiel, die werden jetzt ja nicht so häufig gespielt. Das heißt, die Liebe oder dieses Frivole prägt anscheinend mehr …

Caroline: Ja, und eben auch diese andere Frauenrolle, die es da mittlerweile gibt! Dieses Herkömmliche „Jetzt wird geheiratet und man sucht sich jemanden, mit dem man dann das Häuschen baut“, das gibt es zwar auch noch, aber es verschiebt sich mittlerweile zehn Jahre nach hinten, und im Grunde ist Marlene mit der von ihr verkörperten Frauenrolle absolut aktuell! Beziehungsweise auch die Vielfalt davon: Diese frivolen Sachen aus den Zwanzigern, wo diese Sache mit der besten Freundin ins Spiel kommt, dieses Spiel mit dem lesbischen Element, wo man gar nicht genau weiß, ob sie das wirklich hatte oder ob das Inszenierung war … Und dann hat sie, auch geprägt durch den Krieg, durchaus viele kritischen Sachen gesungen, und später dann auch mehrsprachig, französisch, englisch … Auch diese Vielfalt ist modern, wobei wir uns aus ihrem Repertoire auf die Sachen der Zwanziger- und Dreißigerjahre spezialisiert haben.


… und im vollen Kostum als Fräulein Mitzi und Frau Rosenroth

Ihr spielt aber nicht erst seit „Rendezvous mit Marlene“ zusammen, richtig? Ich möchte natürlich wissen, wie ihr euch kennengelernt habt – also die große Kennlerngeschichte – und wie dann die musikalische Zusammenarbeit als Duo Scheeselong entstanden ist.

(Beide brechen in großes Gelächter aus.)

Caroline: Wir haben ja beide an der UDK studiert, sodass man sich zwangsläufig in Kursen begegnete …

Valerie: Theorieunterricht!

Caroline: Um es kurz zu machen: Ich fand sie total blöde und sie fand mich auch total doof …

Valerie: Du konntest immer alles und hast dich immer gemeldet!

Caroline: Echt, ja? Und ich dachte immer, Mann, ist die überkandidelt! Kann die nicht mal runterkommen? Wie anstrengend!

Valerie: Und das gerade von dir!

Caroline: Also, wir fanden uns nicht so wirklich sympathisch. Dann haben wir uns aber beide für ein Auslandssemester in Spanien angemeldet. Das war ein Erasmus-Programm, an dem drei von der UDK teilnehmen durften. Und ich guck so auf die Liste und sehe, oh Mensch, blöd, Valerie ist auch dabei. Naja, wir müssen ja nicht nur miteinander abhängen, die Dritte im Bunde ist ja ganz sympathisch, das wird schon irgendwie werden. Wir sind dann also nach Spanien gefahren, und irgendwann haben wir begonnen, dort Musik zu machen. Die Dritte war eine zweite Sängerin, und als wir im Marketing-Kurs die Aufgabe hatten, Konzerte zu vermarkten, dachte ich mir, naja, machen wir jetzt eben deutsche Duette durch alle Jahrhunderte. Ich habe die beiden anderen Mädels gefragt und dachte vorher noch, mit Viola wird’s schon gut werden, mit Valerie – naja, mal gucken … Und so haben wir in Spanien zu dritt angefangen, gemeinsam Musik zu machen. Als wir dann wieder zurück waren, ist die zweite Sängerin ihre eigenen Wege gegangen, doch bei uns beiden hatte sich durch Spanien mittlerweile so eine schöne Freundschaft entwickelt, dass wir dachten, jetzt machen wir doch weiter …

Valerie: „Es fühlt sich doch so gut an!“ Denn tatsächlich war es wie Therapie, für die beiden Sängerinnen Klavier zu spielen, das tat so gut! Und wir sind dann so darin aufgegangen, dass wir uns gesagt haben, wenn wir zurückkommen, möchten wir auf jeden Fall weiter machen! Leider ist eine dann abgesprungen … Aber es war ja auch alles nur Klassik, was wir da gemacht haben …

Caroline: Ich glaube, dass hängt auch damit zusammen … Also, zum einen verstehen wir uns sehr gut, sind auch privat gut befreundet, zum anderen aber damit, dass das Repertoire, das wir machen, auch eine gewisse Vielseitigkeit hat, die uns beide sehr reizt. Auch dieser hohe kabarettistische Wortwitz – man muss schon sehr viel spielen im Sinne von schauspielern, um das entsprechend zu illustrieren. Ich hatte das im Studium, Valerie hat Impro-Theater gemacht – uns liegt diese Spielerische irgendwie im Blut. Und dann liegt es auch ziemlich nahe, sich damit auch gemeinsam auseinanderzusetzen.

Valerie: Wir hatten ja zu dritt versucht, das mal weiterzumachen, und dann meinte Caroline, dass die Zwanziger ganz gut wären, und dann haben wir das mit einer anderen Sängerin probiert – das ging überhaupt nicht! Die wollte nur dasitzen und spielen!

Caroline: Und dann haben wir uns eben zusammengetan und angefangen, herumzubasteln – und das hat sich dann zu dem, was es jetzt ist, zu diesen Rollen, entwickelt. Das hat gepasst wie der richtige Schuh – und so fühlt es sich auch an. Jetzt ist es das Richtige. Daran haben wir ziemlich lange gebastelt und geguckt, was da so kommt, aus uns.

Ziemlich lange … was heißt das konkret?

Caroline: 2009 hatten wir das erste Erlebnis, wo wir gesagt haben, na, mal gucken, das könnte was werden. Mein Vater wurde sechzig, und ich sagte, Mensch komm, Valerie, wollen wir nicht ein bisschen Musik machen? Na gut, das ist jetzt in drei Wochen, los komm, hier halbe Stunde Programm … Und Valerie meinte, naja, ich kann dir aber nichts versprechen … (lachen) Und das war, glaube ich, auch der Grund, weshalb das so gut anlief: Wir haben Spaß daran und wir gucken, was kommt. Und dann haben wir uns mit der Literatur auseinandergesetzt, und da war ein Superstück nach dem anderen, und wir waren wie „Oh ja, das nehmen wir noch, und das nehmen wir noch, oh Mann, das ist ja total super“, und tatsächlich gibt es ja einen Riesen-Pool an diesen Stücken … Und es ist ja heute noch so, dass man eine ganze Liste im Hinterkopf hat, wo man denkt, das nächste Programm ist auf jeden Fall schon mal gebongt! Im Grunde könnte man … also, wenn man auf so viele Stücke Lust hat …

Valerie: … auch thematisch! Man könnte zu so vielen Themen ein ganzes Programm machen und die Stücke stünden schon zur Verfügung!

Mit der Literatur auseinandergesetzt heißt, dass ihr von dem Notentext ausgeht, oder dass ihr euch tatsächlich auch mit Sekundärliteratur beschäftigt habt?

Caroline: Naja, es ist ja so: Diese Zeit oder diese Musik, wie es ja immer ist, aber hier ganz besonders, spiegelt ein bestimmtes Lebensgefühl wider, die schmeckt das so – zum Beispiel diese Feierlust! Das ist nur ein Aspekt, aber den merkt man bei dieser Literatur, also bei Büchern, die in dieser Zeit geschrieben wurden. Wir haben uns auch ohne Ende Filme angeguckt, einfach auch für die Figurenarbeit: Was wurde gemacht, was wurde getanzt, was wurde getragen, was für eine Frisur, welches Make-up, welche Kleider – einfach lesen, schnuppern, bestellen, machen, tanzen gehen!

Valerie: Ganz wichtig waren aber auch Seminare. Wir hatten ein musikwissenschaftliches Seminar …

Caroline: Ganz ungewöhnlich! Denn sonst waren die eher spröde und hatten Brahms im Vergleich zu Wagner oder so etwas zum Inhalt! Und plötzlich war es so … wie hieß das doch gleich?

Valerie: „Es liegt in der Luft was Idiotisches“!

Caroline: Genau: Es liegt in der Luft was Idiotisches. Das ist auch das erste Lied von unserem Programm. Und dieses Seminar war total super, da ging es um Kabarett, Operette und Revue hier in Berlin. Das war auch noch einmal so ein weiterer Baustein.

Valerie: Eine Art theoretischer Hintergrund aus der musikwissenschaftlichen Richtung. Man hat sich da mit der Musik auseinandergesetzt und ihren Hintergründen, aber natürlich auch mit den Persönlichkeiten der Interpreten – und eigentlich fing da schon die Auseinandersetzung mit Marlene an, wenn auch auf einem anderen Level. Fräulein Mitzi, die Figur von Caroline, war dann auch relativ schnell fertig. Bei mir war das dadurch, dass ich keine Sängerin bin, schwieriger. An Frau Rosenroth habe ich auch lange basteln müssen, wir haben sie immer wieder umgemodelt, sie fühlte sich noch nicht gut an … Ich habe mich in dem Zusammenhang dann mehr mit der Zeit als mit Figuren beschäftigt, habe gesammelt und sogar eine ganze voll plakatierte Wand zu meiner Inspirationswand erklärt. Da Carolines Rolle so überkandidelt war, habe ich nach eher strengeren Frauen gesucht, und zwar gar nicht so aus dem künstlerischen Bereich, sondern aus dem alltäglichen Dasein. Das Lustige ist ja, dass der zündende Funke gar nicht so die damalige Zeit an sich war, sondern das Autobiografische: der russische Akzent. Und die Leute lieben das! Wir haben viel Impro gemacht, und plötzlich kam das so, und das war es dann! Und in den Zwanzigerjahren gab es ja diese russisch-jüdische Immigration, Exil und Wieder-da-Sein, und das ist ja auch irgendwo meine Geschichte, dieses Woanders-Geborensein, Wieder-Zurückkommen, mit zwei Sprachen und Kulturen auseinandersetzen: Das ist für mich die Widerspiegelung der Zeit auf einer autobiografischen Ebene. Meine Familie sind Spätaussiedler, ich bin in der ehemaligen Sowjetunion geboren, meine Mutter ist Russin und eigentlich ist meine Muttersprache russisch. Mein Vater sprach zwar noch deutsch, aber wir haben zu Hause nie deutsch gesprochen, das musste ich mit zwölf hier neu lernen – und meine Mutter auch. Für die Rolle der Frau Rosenroth musste ich – (verfällt in den russischen Akzent) – sprechen wie meine Mutter und plötzlich ist die Figur da: Isssst russischä Sääle.

Caroline: Und das ist auch dieser kabarettistisch-komische Effekt! Auch wenn Rosenroth ernste Themen besprechen oder böse sein will, ist sie das nicht, weil der Akzent einfach so etwas Charmantes hat. Und dieser Charakter in Verbindung mit der sehr überschäumenden Mitzi – da fallen uns immer wieder kabarettistische Dinge ein, die man da wunderbar bringen kann!


Immer in Bewegung: Caroline Bungeroth.

Apropos Akzent: Mit dem Namen Duo Scheeselong greift ihr ja auch direkt eine sprachliche Referenz auf das Berlin der damaligen Zeit auf – ich glaube, meine eigene Großmutter hat zu ihrem Ruhemöbel noch Scheeselong gesagt. Ist dieser Namen generell als Omen für eure Musik zu verstehen, also, dass ihr euch ausschließlich mit den Liedern der Zwanziger- und Dreißiger-Jahre beschäftigt und dass wir auch in Zukunft von euch eher kein Programm mit, sagen wir, zeitgenössischer Popmusik erwarten dürfen?

Caroline: Ja. Zwanzigerjahre, berlinerisch. Deswegen auch Scheeselong und nicht Chaiselongue. Zur der Zeit hatte hier halt jeder dieses Ding rumstehen, die Scheeselong.

Valerie: Und es hat ja irgendwo auch etwas Frivoles … Auf der anderen Seite aber auch etwas ganz Alltägliches. Aber auch, aus der heutigen Sicht, etwas, das wieder schick oder antiquarisch wertvoll ist, also etwas Besonderes. Und auf der Scheeselong liegt eben die entsprechende Frau drauf … oder auch zwei …

Caroline: Nämlich wir! (lacht) Und tatsächlich ist es so, dass wir aus dem heutigen Pop-Bereich .. Eher keine Inspiration schöpfen. Wobei ich zugegebenermaßen mal ein großer Madonna-Fan war.

Der Name spiegelt also all das, was ihr mit eurer Musik vereinen wollt, egal, welche Programme da noch kommen. In dem aktuellen Programm aber gibt es mit „Neulich im Neandertal“ auch eine Eigenkomposition. Ist das etwas, was wir in Zukunft öfter von euch hören werden, Eigenkompositionen im Stile der Zwanzigerjahre?

Caroline: Absolut, ja. Ich habe da ja Blut geleckt, im Dezember im Heimathafen, das war das erste Austesten einer Eigenkomposition vor Publikum. Und die Resonanz hat mich sehr gefreut und inspiriert – ich bin also fleißig dabei!

Ich jedenfalls habe mich bei „Neulich im Neandertal“ köstlich amüsiert!

Caroline: Das neue Lied, an dem ich jetzt gerade dran bin, gefällt mir auch. Ich muss sagen, ich habe jetzt schon einen Ohrwurm davon – ich erwische mich, dass ich es vor mich hinträllere!

Valerie (mit theatralisch exaltierter Stimme): Du bist in eine neue Schaffensperiode eingetreten!

(großes Gelächter)

Das Neandertal hat mir noch einen wochenlangen Ohrwurm beschert …

Caroline: Sehr gut! Und das Neue wird noch ohrwurmartiger …

Da muss ich gleich eine für später geplante Frage vorziehen. Wenn ihr sagt, ihr schreibt eigen Sachen, Ohrwürmer – ist da etwas in Richtung CD-Produktion geplant?

Caroline: Langfristig ja. Nur stehen jetzt erst einmal so viele andere Dinge an. Eine CD ist letzten Endes unvermeidlich und ist auch irgendwann dran – aber nicht in allernächster Zukunft.

Valerie: Das ganze Jahr ist schon so voll mit Plänen! Erst einmal haben wir das Debüt-Programm beim Kurt-Weill-Festival nächste Woche, wo schon eine gute Resonanz da ist. Die Leute da wollen sogar so eine Art Coming-Home-Story machen, weil Caroline ursprünglich ja aus Dessau kommt. Dann die große Berlin-Premiere am 9. März im Grünen Salon mit anschließender Swing-Party – wir sind gerade dabei, die Achse zum Tanz verstärkt aufzubauen und in Richtung Tanztee zu arbeiten, aber mehr wollen wir hier noch nicht verraten!


Das Bild, das Valerie Wildemann da bewundert, stammt von ihrer mittlerweile ebenfalls in Deutschland lebenden Landsmännin Ekaterina Moré und heißt Frau mit Zigarette auf grauem Grund

Soviel also zu den Plänen des Duos Scheeselong. Was treibt ihr aber musikalisch, wenn ihr nicht als Duo unterwegs seid?

Caroline: Musikalisch? Also, nicht nur nicht als Duo – es kommt vor, dass wir nach einer Party, wenn wir schon so richtig abgedanced haben, uns noch einmal hinsetzen und klassische Mendelssohn-Lieder vom Blatt spielen. Es ist gar nicht so, dass wir immer in diesem Zwanzigerjahre-Stil unterwegs sind. Gerade Valerie macht viel Klassik …

Valerie: Ja, das wird ja auch im Programm schon angedeutet. Sowohl sängerisch als auch pianistisch, also einfach künstlerisch, kommt man weiter, wenn man an der Klassik dran bleibt.

Das heißt, ihr gebt auch Klassik-Abende?

Valerie: Nein, nicht öffentlich. Das ist eine ganz bewusste Entscheidung, um uns als Duo Scheeselong da abzugrenzen. Klassik ist aber der Grundstock unserer internen Weiterbildung, es übt einfach das Handwerk. Und die Klassik wird auch auf jeden Fall bleiben, schließlich kommen wir von dort!

Caroline: Ansonsten leben wir unsere Begeisterung für Musik auch gern tänzerisch aus. Für richtige musikalische Einzelprojekte bleibt momentan aber keine Zeit. Wir haben zwar noch ein anderes Projekt mit Operetten-Duetten, aber da ist Valerie auch mit dabei … Eine von diesen Operetten haben wir ja auch im Marlene-Programm, und da wird das halt noch ausgeweitet.

Valerie: Es gibt noch so viel, was uns begeistert! Wir sind zum Beispiel totale Georg-Kreisler-Fans, und es stand schon fast an, mal einen Georg-Kreisler-Abend zu machen, wobei jetzt einfach andere Dinge dazwischen gekommen sind, die anstanden und angefragt wurden. Das ist eine Sache, die nicht aus den Zwanzigern kommt, die aber einfach von der Idee sehr textlastig im positiven Sinne, mit sehr viel Wortwitz, uns entgegenkommt. Es ergänzt sich so schön!

Caroline: Genau, diese Schärfe bietet einen sehr schönen Gegensatz. Und das sind eben auch Chansons, wo wir sagen, wenn es jetzt nicht in den Zwanzigern bleibt, sondern in Richtung Chanson geht, wenn die gut sind, dann sind wir auch schnell dafür zu haben! Wir haben schon überlegt, ein ganzes Kreisler-Programm zu machen …

Ich sehe, ihr habt mehr Ideen als Zeit, und wenn ihr musikalisch unterwegs seid, dann immer zu zweit. Da gibt es keine Soloklavierabende …

Valerie: Nein, nur intern, nicht öffentlich.

Caroline: Als die Phase des Anlaufens war, hatten wir auch noch viele Sachen getrennt gemacht, haben dann aber, weil wir gemerkt haben, es ist so viel bei uns da, ziemlich viele Sachen geschmissen. Wir haben gesagt, wir konzentrieren uns jetzt auf das, wo wir merken, das gibt uns selber so viel, das macht uns so viel Spaß, da stimmen einfach so viele Faktoren in der Zusammenarbeit … Das ist gar nicht so einfach, da jemanden zu finden! Zwei Frauen, das ist immer schwierig. Das hat so ein …

Valerie: Reizpotenzial.

Caroline: Das Wort hab‘ ich gesucht! Kann es haben. Aber bei uns funktioniert es sehr gut.

Obwohl ihr auch noch privat befreundet seid …

Oder vielleicht gerade deshalb. Wir sagen uns, dass es drei Dinge gibt, die sehr wichtig sind. Das Eine: Auf der Bühne muss es funktionieren. Das andere: Das Organisatorische muss funktionieren. Und dann muss man sich auch irgendwie leiden können. Salopp gesagt. Und diese drei Dinge haben sich sehr gut bewährt bei uns und auch als sehr inspirierend und befruchtend in jeglicher Hinsicht erwiesen. Das funktioniert wirklich mit ganz wenigen, und aufgrund dessen haben wir die ganzen anderen Geschichten, die wir parallel aufgebaut hatten, bewusst gestrichen.

Allerdings unterrichten wir beide auch noch parallel, das ist uns auch sehr wichtig. Und zwar, aus den unterschiedlichsten Gründen. Zum einen, um ein bisschen Regelmäßigkeit zu haben und das normale Leben leben zu können und nicht nur dieses abgehobene Künstlerleben. Man kommt dahin, und es ist schön, einfach mal auch nicht als Künstler wahrgenommen zu werden. Ich weiß, dies sind die Zeiten, man kommt dahin, und das ist jede einzelne Woche so.

Wir unterrichten freiberuflich, und das soll auch so bleiben, weil wir diesen Ausgleich einfach sehr schätzen. Unser Repertoire plus das Kabarettistische plus unsere Bühnenfiguren sind einfach so aufgedreht, das man diesen Ausgleich gerne hat. Außerdem ist es so, dass ich gerne etwas weiter gebe.

Es ist ja auch ein Geben und Nehmen, nicht?

Ja, man hat da einige junge Menschen, denen man in der Entwicklung so ein bisschen hilft, und das Ziel ist, dass sie mitkriegen, ey Mensch, Musik ist was Tolles, das möchte ich gern in meinem Leben haben! Auch wenn unsere Schüler zu unseren Konzerten kommen und völlig begeistert sind und sagen, das will ich aber auch, ist das etwas sehr Schönes.

Das Pädagogische soll aber nicht unser Schwerpunkt sein. Von der Zeit her, die man investiert, von der Energie und von der Einstellung … und von der Intensität des Sich-damit-Beschäftigens … ist das Duo Scheeselong auf jeden Fall das Präsenteste von allem, was wir machen.

Und Unterrichten als eine Art Erdung.

Genau.

Und vermutlich natürlich auch, um die Miete bezahlen zu können …

Zumindest, dass man nicht den Stress hat, jetzt alles machen zu müssen, was man angeboten bekommt. Wir können durch das Unterrichten machen was wir machen, und das machen wir mit Leidenschaft. Ich denke, das kommt dann auch rüber. Wenn man dagegen Dinge macht, die man muss, aber eigentlich nicht möchte, das ist für das künstlerische Selbst einfach nicht gut!

Ihr gönnt euch also den Luxus, unliebsame Angebote auch durchaus abzulehnen.

Ja, und das machen wir auch konsequent. Was uns wichtig ist, und weshalb wir unter anderem auch so gern unterrichten: Dass das kein Selbstläufer wird und kein Muss. Das Duo-Projekt hat sich ja daraus entwickelt, dass wir gesagt haben, es tut so gut! Wir haben so viel Spaß dabei! Es fühlt sich nicht wie Arbeit an! Wir kennen aber auch leider sehr viele Kollegen, die wirklich viel spielen, und wo wir einfach sehen, diese Begeisterung dafür und dieses Wohltuende kann einfach nicht mehr gegeben sein. Das nutzt sich so ab, die Lust geht verloren. Das ist für die Leute total doof, die auf der Bühne stehen – aber auch für das Publikum total bescheuert! Da hat man mehr davon, ein Bier trinken zu gehen, als jemandem zuzugucken, der kein Bock hat, das zu tun. Es ist ja gerade im Kleinkunstbereich so, dass man irgendwann einfach mal unheimlich viel unterwegs sein muss. Und deshalb sagen wir auch, wir wollen lieber gut geplante, ausgewählte und gut vorbereitete Konzerte machen, wo dann einfach alles stimmt: Wo unsere Stimmung stimmt, wo wir darauf Lust haben und uns darauf freuen, wo wir lieber die Energien investieren, dass die Bedingungen stimmen und das eben alles da ist, was wir brauchen, sodass wir daraus dann auch Energie schöpfen können.

Wo ihr eure Auftritte so handverlesen auswählt – kann man euch überhaupt privat buchen?

Ja, das machen wir meistens sehr gern. Natürlich ist auch hier der Vorteil: Man muss nicht alles machen.

Habt ihr für solche Anlässe ein angepasstes Programm, was dann beispielsweise auch kürzer ist?

Wir haben unterschiedliche Programme zusammengestellt, die unterschiedliche Sparten bedienen. Das letzte Programm, welches wir für das Gourmet Festival Sylt aufgebaut haben, ist zum Beispiel ein Menü-Programm, wo wir quasi verbunden mit einem Essen und dem kulinarischen Genuss der Zwanzigerjahre zwischen den Gängen ein entsprechendes Programm servieren. Das ist dann natürlich auch kürzer und anders aufgebaut, aber unsere Charaktere bleiben erhalten. Wir sind auch weiter Fräulein Mitzi und Frau Rosenroth, aber eben entsprechend des Anlasses gekürzt. Trotzdem sind wir auch da das Duo Scheeselong.

Es ist eigentlich nie so, dass wir nur auf unser Äußeres und unsere Stimme bzw. unser Instrument reduziert werden – wir spielen immer, und das Schauspielerische ist auch das, was uns wichtig ist.


Eigentlich ist das ja Kopfhörerhunds Scheeselong. Der wird spontan geherzt …

Ich muss mich an dieser Stelle schon einmal für das schöne Gespräch bedanken, denn mit meinen musikalischen Fragen bin ich dann durch. Wie ich euch aber schon angekündigt habe, schließen Interviews für den Klangblog generell mit einer (Kopfhörerhunde-)frage. Ich habe im Vorfeld ein bisschen recherchiert, und der einzige Bezug zwischen Marlene Dietrich und Hunden, den ich gefunden habe, war, dass Remarque ihr in ihrem Briefwechsel immer von seinen Hunden vorschwärmte. Dabei hätte ich der Diva eigentlich so einen kleinen Handtaschenhund zugetraut! Wie ist das mit euch, habt ihr einen Bezug zu Hunden oder haltet ihr es eher wie die Dietrich?

Caroline: Also, Valerie ist ein Katzenmensch. Die hasst Hunde

Valerie: So steht es zumindest auf unserer Website. Das stimmt nicht ganz – man muss ja immer ein bisschen übertreiben! Aber ich habe eine Katze und bin ein Katzenliebhaber. Es ist zwar eine ganz normale, vollkommen unspektakuläre Hauskatze, aber sehr temperamentvoll, wo ich das Gefühl habe: das hat sie von mir geerbt! Es ist ein Kater, und er hat auch Spitznamen wie „Düsenjäger“ und ähnliches … Er ist wirklich sehr temperamentvoll!

Caroline: Allerdings! Ich habe leider keinen Hund, aber ich bin eher ein Hundemensch als ein Katzenmensch.

Was ja dann auch wieder eure Rollen spiegelt …


… und trägt es mit Fassung.

Die Eintrittskarte zur Berlin-Premiere von „Rendezvous mit Marlene“ am 9. März 2012 im Grünen Salon gilt gleichzeitig auch als Entréebillet für die anschließende Swing-Dance-Party mit DJane Swingin‘ Swanee – es soll, anlässlich des Frauentages am Vortag, ein richtiger „Frauen-Retro-Abend“ werden. Sie können kein Swing tanzen? Kein Problem! Die Crew von der Tanzschule Swing Patrol sorgt für eine Tanzeinführung. Holen Sie also Ihre Flapper Dresses aus dem Schrank oder kommen Sie im Garconne-Stil – aber kommen Sie, und zwar zahlreich!

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