27. November 2012

Man kommt nicht weiter, wenn man immer nur das hört, was man kennt. Jazz-Trompeter Christian Meyers im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 11:57

Wenn Neuklang Records, die Jazzlabel-Ausgründung der legendären Bauer-Studios, anfragt, ob man einen ihrer Künstler zum Interview treffen möchte, sagt man nicht nein. Noch dazu nicht, wenn einem dessen Platte so gut gefällt, dass man sie auf fairaudio.de zur kommenden Platte des Monats machen will. Mulmig wird es dem Musikjournalisten allerdings, wenn der Labelkontakt den Nachsatz „Wäre auch selbst gespannt, was du da aus ihm rauslocken kannst …“ nachschiebt. Gilt der Künstler als maulfaul, gar schwierig? Muss man ihm jedes Wort aus der Nase ziehen? Wird das Interview nach fünf Sätzen beendet sein?

Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein, denn als ich Christian Meyers treffe, um mit ihm über sein aktuelles Album East Autumn zu sprechen, wird schnell klar: Dieser Mann hat eine Mission, ob als Musiker oder als Pädagoge, wobei Musizieren und Unterrichten für ihn ohnehin nur die beiden Seiten ein und derselben Medaille sind. Werden Sie Zeuge unseres wahrlich nicht als Fünf-Satz-Interview zu bezeichnenden Gesprächs, währenddessen der mit Schäferhunden Aufgewachsene ganz en passant den unter dem Tisch randalierenden Linahund (man muss das verstehen: die Küche! die Gerüche!) bändigt, und lesen Sie über Personalentscheidungen contra musikalische Entscheidungen, die Schwierigkeit, Musik in Worte zu fassen, den Wert der Musik, den Plattenschrank seines Vaters und weshalb der Trompeter trotz Fernsehturm auf dem Cover nicht den Soundtrack der Metropole spielen möchte. Nebenbei streifen wir die GEMA-Debatte, die ECM-Symbolik und begeben uns auf modales Gebiet, wobei schon mal Sätze fallen wie: „Es bleibt unimodal, ist aber durch die Verwendung verschiedener Tonarten polytonal.“ Im Grunde geht es aber darum, dass „die Liebe schon ganz früh da war“ – nämlich die zum Jazz.

Klangverführer: Als wir unser Treffen verabredeten und ich in deiner Signatur „Meyers Nachtcafé“ las, hätte ich beinahe angenommen, dass du auch noch ein kleines Jazzcafé betreibst – dabei ist „Meyers Nachtcafé“ ja gar keine Location, sondern der Name deines akustischen Loungejazz-Projekts. Warum jetzt die Umbenennung vom Nachtcafé in das konservativere Quintett? Mit Alex Uhl (Bass), Eckhard, Stromer (Drums) Martin Johnson (Rhodes) und Rüdiger Nass (Gitarre) hast du als „Nachtcafé“ ja auch schon als Quintett, wenngleich nicht in klassischer Quintettbesetzung, gespielt …

Christian Meyers: Also das Nachtcafé ist in erster Linie eine Personalbesetzung. Das heißt, dass ich mir überlegt habe: Mit welchen Leuten will ich gerne Musik machen? Und dann habe ich die ausgewählt. Das sind Leute, mit denen ich auch sonst viel zu tun habe. Martin kenne ich als Dozent, Eckhart ist ein Kollege von mir an der Musikhochschule … Das heißt, ich habe die Personalentscheidung vor der musikalischen getroffen. Ich habe diese Leute zusammengesucht, weil ich weiß, dass einige von ihnen keine Hardcore-Jazz-Typen sind, sondern eher so aus der Funk-Rock-Ecke kommen. Wir haben uns gesagt, setzen wir uns mal zusammen und gucken, was für eine Art Musik dabei herauskommt! Und erst, als klar wurde, wo das hingeht und wo die Stärken dieser Band sind, habe ich die Musik für diese Besetzung geschrieben.

Beim Quintett ist es ein ganz anderes Konzept, denn hier war es so, dass ich zuerst die Musik im Kopf hatte. Ich habe sie aufgeschrieben und dann überlegt, mit wem ich sie umsetzen möchte. Mit Eckhard Stromer, Ull Möck und Jens Loh spiele ich zusammen bei Lilly Thornton in der Band – eine ganz tolle Sängerin aus der Schweiz! –, das ist eine eingespielte, großartige Gruppe. Die sind so wahnsinnig schnell, die Jungs, so unglaublich musikalisch! Und den Andi Maile hab‘ ich mir dazugeholt, weil ich ihn aus der Bobby Burgess Big Band kenne, der spielt jetzt beim SWR, das ging alles ruck-zuck, ein, zwei Proben, dann haben wir ein Konzert gespielt, noch ein paarmal geprobt, das lief alles wie am Schnürchen!

Die Kreise ziehen sich aber natürlich noch viel weiter: Den Jens kenne ich noch vom Studium, beim Ull wohne ich öfter mal in Stuttgart, das ist jemand, mit dem man nächtelang über Musik reden kann … Manchmal trifft man Kollegen, mit denen herrscht blindes Einvernehmen. Das ist bei Martin, dem Keyboarder vom Nachtcafé, auch so. Wir haben uns kennengelernt und uns war sofort klar, dass das funktioniert, persönlich wie musikalisch. Das sind große Freundschaften – mittlerweile mit allen. Natürlich ist es immer schwer, mit eigenen Sachen herauszukommen, aber was mich gefreut hat ist, dass die das sofort in die Hand genommen haben und es auch sofort gut geworden ist. Noch bevor ich von denen ein Feedback bekommen habe, dass sie die Musik toll finden, habe ich beim Spielen gemerkt, dass das funktioniert.

Live spielen wir viel in Berlin, und da ich die Stuttgarter Jungs nicht immer nach Berlin holen kann, werde ich zum Beispiel im b-flat im Februar Wolfgang Köhler, einen Professor vom JIB, also vom Jazz Institut Berlin, am Klavier haben, und Holger Nell, den ehemaligen Drummer von der Rias Big Band, am Schlagzeug. Ich spiele das Quintett-Programm jetzt also mit Berliner Leuten. Beim Nachtcafé ist das anders, wenn da einer von uns nicht kann, dann treten wir nicht auf.

Du sagst, ihr seid mittlerweile auch untereinander befreundet. Ich stelle mir das schwierig vor, wenn man Freundschaft und Arbeit so eng miteinander vermengt …

Es ist immer schwer, dafür ein Wort zu finden. Es ist eine sehr intime Arbeit – und Arbeit ist es natürlich! –, und sie ist insofern sehr privat, als dass ich niemals jemanden in die Band holen würde, dem ich nicht vertraue oder von dem ich wüsste, dass er nur ein guter Spieler ist, aber nicht „mitschwingt“. Wenn man sein eigenes Zeug macht, dann ist das eben alles ein bisschen sensibel. Wir sind schon befreundete Kollegen und haben eine sehr intensive Beziehung zueinander, aber nochmal: Es ist schwer, dafür Worte zu finden.

Wenn du jetzt Vertrauen ansprichst – auch, weil man bei seinen eigenen Sachen so viel von sich preisgibt?

Naja, wie bei allen Menschen gibt es auch unter Musikern Söldner, Leute, die es einfach nur machen, und solche, die ein Gespür dafür haben und deine Sachen weiterbringen. Gerade bei solchen Dingen, mit denen man noch relativ am Anfang steht und wo ich auch noch nicht viel bezahlen kann, bin ich natürlich auf jemanden angewiesen, der daran glaubt und erst einmal für mich in Vorleistung geht. Jemand, der sagt: Ich steh‘ auf die Musik, ich steh‘ auf das Projekt und brauche jetzt nicht noch eine Gehaltserhöhung, um das zu machen. Unter diesen Voraussetzungen auch noch gute Leute zu finden, ist schwer. Man muss sie mit guter Musik überzeugen, dann geht das schon!

Es gibt ja auch schon die erste Rezension … Ich habe sie auf der New Yorker Seite criticaljazz.com entdeckt!

Ja, die ist toll, oder?

Ja, die ist toll. Was mich an ihr aber am meisten frappiert hat ist, dass der Rezensent schreibt, wenn man einen Referenzrahmen für eure Musik sucht, ist der am ehesten bei ECM-meets-Oldschool anzusetzen … Ich empfinde eure Musik überhaupt nicht ECM-mäßig kühl, distanziert und intellektuell, dafür groovt ihr doch viel zu sehr und seid vor allem viel zu lebendig – bei ECM-Künstlern habe ich öfter den Eindruck, sie seien, sorry to say, gewissermaßen scheintot …

Ja, ich habe das auch gelesen. Und auch wenn wir einige Sachen, gerade die groovigen, ganz bewusst so spielen, wie man sie damals noch nicht gespielt hat, und mal abgesehen von diesem modalen Stück, ist „East Autumn“ auf eine Art schon auch eine traditionelle Platte, aber ich finde, dass gerade die Art und Weise, wie beispielsweise Andi spielt, schon sehr modern ist, wobei das ja auch so ein sehr schwammiger Begriff ist. Ich meine, was ist modern und was ist traditionell? Viele spielen heute viel traditioneller als die Musiker von damals. Ich meine, zum Beispiel Coltrane! Der war ein absoluter Erneuerer und hat ein paar ganz böse Platten eingespielt, die heute noch schwer zu hören sind – und das in den Sechzigern! Mir fällt es wahnsinnig schwer, solche Schubladen aufzumachen und nach Labeln für die Musik zu suchen. Ich habe die Platte gemacht, weil sie mir so gefällt, weil ich das spüre, weil ich das so spielen will – und ich tue mich schwer damit, da im Nachhinein was draufkleben zu müssen. Den amerikanischen Kollegen von dir habe ich insofern verstanden, dass ich glaube, für viele Amerikaner ist ECM nach wie vor ein Synonym für europäischen Jazz, etwas, das eine bestimmte Farbe hat, eine bestimmte Coolness, eine bestimmet Distanziertheit, während man in Amerika immer „heiß“ spielt, da muss man nur mal nach New Orleans gucken. Und ECM steht eben für so einen ein bisschen intellektuellen, leicht distanzierten Jazz, wo es nicht zu konkret werden darf. Also nicht, „ach guck mal, das ist ja ein Blues!“, sondern immer so ein Touch „Wir-sorgen-dafür-dass-es-nicht-so-richtig-verstanden-wird“.

Wobei er ja gerade schreibt, dass ihr eben nicht das Klischee vom europäischen Jazz erfüllt …

Das meint er wahrscheinlich mit „Old School“. Ich habe mich aber wahnsinnig über die Kritik gefreut, und der dort bemühte Vergleich mit Freddie Hubbard ist extrem schmeichelhaft, denn das ist natürlich der große Meister!

Oh ja, das kann ich mir vorstellen! Du hast deine CD „East Autumn“ genannt, weil dir der Herbst, wie du in den Liner Notes schreibst, zwar schon immer die liebste Jahreszeit gewesen ist – sich in Berlin aber leider auch wie Winter anfühle. Der aktuelle Kälteeinbruch ist da sicherlich Wasser auf deine Mühlen …

Ganz genau!

Was gefällt dir denn so am Herbst, dass du ein ganzes Album danach nennst?

In der Regel sucht man den Albumtitel nach dem stärksten Stück aus und folgt keinem Konzept. Es gibt nur ganz wenige Leute, die ein Konzeptalbum schreiben, wo alle Stücke denselben thematischen Bezug haben. Für mich ist ein Album einfach nur eine Songsammlung, die man dann irgendwie in eine Reihenfolge bringt und dann überlegt, okay, welcher Song könnte jetzt der Titelsong sein. Da gibt es Titel wie „Out oft he Darkness“, und deshalb bin ich so ein bisschen die Negativ-Liste durchgegangen, wusste also erst einmal, welche Songs nicht der Titelsong sein können. Und dann dachte ich, „East Autumn“ ist ein guter Titel, weil „East“ mit Berlin zu tun hat, dem schon fertigen Layout mit dem Fernsehturm, das die Raija Holm gemacht hat, eine ganz tolle Designerin, die ich sehr schätze, und der Herbst ist meine liebste Jahreszeit, die CD kommt im Herbst raus, das passte irgendwie alles.

„East Autumn“ ist in meinen Ohren aber auch ein sehr klassischer Jazzalbumtitel, er erinnert mich an die „Autumn Leaves“ oder die „Autumn Regrets“ …

Genau, ganz genau. Und „East“ ist sozusagen die Reminiszenz an Berlin.

Vielleicht ist es auch das, was den amerikanische Kollegen so ein bisschen auf die ECM-Fährte setzte …Eine klassische Jazzplatte, die aber eben keine klassisch-amerikanische Jazzplatte ist.

Genau. Und ich freue mich einfach, dass das gelesen wird.

Vorhin hast du schon mal kurz das modale Stück auf deiner Platte angesprochen, „April’s Prayer“, das ja nun absolut kein Herbst-, sondern ein Frühlingsstück ist. Hier geht es aber nicht nur um das Erwachen und Erstehen der Natur, sondern mehr noch: Es verarbeitet den mittelalterlichen Psalm „Christ ist erstanden“, der als wahrscheinlich ältester liturgische Gesang in deutscher Sprache angesehen wird. Wie reiht sich ein Stück in dorischer Kirchtonart, das nicht nur das höchste Ereignis der Christenheit besingt, sondern gar als griff des musikalischen Ostermotivs gilt, ein in eine eher weltliche Themenwelt irgendwo zwischen Kantinengespräch und Pfannenkuchen?

Also ich finde genau das interessant. Wir leben im Pluralismus, es darf alles nebeneinander stehen, gerade in der Kunst, es gibt keine Begrenzungen mehr, man kann Leichtes neben Schweres setzen .. Damit habe ich kein Problem. Vom Themenkontext her ist es eher so, dass ich … Die Melodie ist so stark, die ist tausend Jahre alt, und sie ist immer noch stark, die habe ich als Ministrant in der Kirche damals so oft gehört und seitdem im Kopf gehabt. Sie hat mich einfach immer wieder aufs Neue fasziniert; und auch beim Üben, wo ich an einer Tonfolge eine technische Sache bearbeitet habe, ist sie immer wieder aufgetaucht, und dann hab ich gedacht, verwurstest du sie jetzt mal und guckst, was dabei rauskommt. Zuerst habe ich mich gar nicht getraut – noch nicht mal aus Respekt, denn ich finde, Musik ist jenseits von GEMA und allem erst einmal Allgemeingut, wenn die raus ist, ist sie in der Welt, und jeder darf damit erstmal machen, was er will! –, aber ich wusste nicht, ob das Stück gut genug ist. Dann hab ich es arrangiert und vorgelegt, und dann hatte ich wieder diesen Effekt mit den Kollegen und dachte, wow, das ist das beste Stück der Platte!

Ich wollte das Album dann schon beinahe „April’s Prayer“ nennen; und bis heute ist es eines meiner Lieblingsstücke! Es funktioniert sofort, obwohl es in diesem dorischen Modus bleibt. Den habe ich dann ein bisschen gebrochen, indem ich verschiedene dorische Modi genommen habe, das heißt, es bleibt unimodal, ist aber durch die Verwendung verschiedener Tonarten polytonal. Da gibt es zum Beispiel einen Teil, der steht in a-dorisch und einen, der steht in f-dorisch, und das gibt dem Ganzen zusätzliche Spannung und funktioniert super, damit bin ich ganz glücklich! Inhaltlich fand ich das Spannendste daran, dass ich das solchen Leuten vorgespielt habe, die aus der Kirchenmusikecke kommen, oder Leuten, von denen ich weiß, dass sie das Stück kennen – und das sind hier in Berlin nicht viele! –, und die haben es alle sofort erkannt, und es hat ihnen gefallen.

Ich wollte die Frage auch nicht im Sinne eines „Darf man das?“ stellen …

Also, jenseits von allem … Man kann zur Liturgie stehen, wie man will, und zum Katholizismus sowieso, aber es ist schon beeindruckend, die haben tolle Musik geschrieben! Ich war gerade erst in Leipzig in der Thomaskirche und habe Bach gehört – die haben schon tolle Musik geschrieben!

Definitiv! Du erwähntest gerade „jenseits von Liturgie“, dir ging es also bei dem Christ ist erstanden nicht um den Auferstehungsgedanken und die damit zusammenhängende Verheißung … Immerhin ist das auch ein ziemlich starker Gedanke, nicht nur die Melodie ist stark.

Nein, überhaupt nicht. Ich habe das Stück aus rein musikalischen Gründen gewählt. Ich hätte die Melodie auch genommen, wenn das ein irisches Volkslied gewesen wäre.

Vielleicht auf der nächsten CD …

Ja, das kann man auch machen, diese Themen. Es gibt ja Leute, die sehr stark thematisch arbeiten und sich dann solche übergeordneten Themen überlegen. Aber mir ging es vor allem um … Ich habe versucht, mir das zu erspielen. Ich hatte dazu so viel Musik im Kopf. Es ist auch stilistisch relativ breit gefächert, es gibt ein paar Balladen, was Modales, was Funkiges, aber es war alles Musik, die ich im Prinzip ohne Konzept und ohne Hintergedanken zuerst gehört und dann niedergeschrieben habe.

Das heißt, du hast Vieles davon schon lange mit dir herumgetragen und erst jetzt für das Projekt niedergeschrieben?

Hm, nee. Also, so ein paar Ideen sind vielleicht schon etwas älter, denn ich habe so eine Art Ideensammlung, in der ich kleine Schnipsel notiere und auf die ich dann ab und zu zurückgreife, aber im Prinzip habe ich die Musik fast in einem Rutsch im letzten Jahr geschrieben. Den Bandsound hingegen, den habe ich schon länger mit mir herumgetragen. Auch, während ich mit Nachtcafé gearbeitet habe, der Band, der ich sehr verbunden bin, habe ich schon immer mal einen zweiten Bläser oder einen Kontrabass gehört. Ein paar Nummern habe ich auch mit dem Nachtcafé probiert – aber das ist die falsche Band für die Stücke. Nachtcafé, dass sind E-Gitarre, E-Bass und Fender Rhodes, das ist ein ganz eigener Sound, dazu passt bestimmte Musik – und andere eben nicht. Ich habe also immer mehr gemerkt, dass ich Musik schreibe, die nicht zu der alten Band passt.

Um noch einmal kurz bei Nachtcafé zu bleiben – aber auch zurückzukommen darauf, dass du vorhin gesagt hast, wenn eine Melodie erst einmal in der Welt ist, gehört sie allen und jeder darf damit machen, was er will: Du bietest die Nachtcafé-Sachen zum kostenlosen MP3-Download an …

Ja, damals habe ich mir überlegt, bis wir so groß sind, dass wir viele Platten verkaufen, verdienen wir an Platten erst einmal nicht soviel. Dann ist es mir wichtiger, dass die Leute es hören, toll finden und sich auch mal nehmen können – ich hab‘ damit nichts verschenkt, sondern verkaufe meine Platten dann bei den Live-Auftritten, und da nehmen sie einem die Leute auch gerne ab, weil sie dann das Gefühl haben, von dem Konzert auch haptisch etwas mitnehmen zu können. Bei der nächsten Nachtcafé-Platte, an der wir jetzt auch schon dran sind, werden wir das aber anders machen. Damals, vor ein paar Jahren, habe ich aber entschieden, dass das so okay ist. Ich dachte, kennt eh‘ noch keiner – und bevor man da jetzt anfängt rumzugeizen … Wenn sich das jetzt einer runterlädt und in seinem Laden spielt, dann tut mir das nicht weh. Wir verkaufen trotzdem noch CDs, da muss man nicht von vornherein den Deckel drauf halten.

Du wolltest jetzt damit aber auch umgekehrt kein Zeichen setzen gegen die böse Musikindustrie oder so …

Nee, im Gegenteil, und das geht jetzt ein bisschen in Richtung der GEMA-Debatte, die wir gerade erleben: Ich finde, dass Musik ihren Wert hat und gerade wir, die wir davon leben, sollten dazu stehen. Dieser Meinung bin ich grundsätzlich, aber trotzdem habe ich damals entschieden, ich fange an, und wenn man mit etwas anfängt, muss man auch mal was in die Runde schmeißen und in Vorleistung gehen.

Dass die Leute es hören und sagen, Mensch, das gefällt mir, das will ich jetzt auch im Original besitzen?

Genau: Ich hab’s mir runtergeladen und jetzt will ich es doch noch für meine Plattensammlung haben. Ich hab‘ das bei mir selbst gemerkt: Seitdem ich meinen ersten iPod gekauft habe, hab‘ ich mir wieder viel mehr CDs gekauft. Und iTunes bzw. Apple hat das einfach super hingekriegt, dass die sich das bezahlen lassen. Aber klar, es ist schwer für viele andere. Ich glaube, es ist überhaupt schwerer geworden, mit Musik Geld zu verdienen oder auf dem Plattenmarkt zu bestehen. Das geht auch den Großen so. Ich glaube, viele Bands verdienen das meiste Geld durch live spielen, der ganz große Plattenhype ist vorbei. Aber das ist nunmal so.

Wir haben vorhin im Zusammenhang mit dem kalten Herbst schon mal Berlin angesprochen, damit war ich noch nicht ganz durch. Auf deiner Platte findet sich der Hauptstadtbezug ja nicht nur auf der Covergrafik, wo Trompete und Fernsehturm verschmelzen, sondern auch im Stück „Berlin Pancake“ … Steckt da Absicht dahinter nach dem Motto „was draufsteht, ist auch drin“, sprich: Liefert das CMQ den aktuellen Soundtrack unserer Metropole?

Nee, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Berlin ist so groß, es gibt so viele Szenen, es ist so dezentral, also es gibt *den* Berliner Sound nicht. Der wird zwar immer wieder ausgerufen, gerade auch in Bezug auf elektronische Tanzmusik – wobei ich echt gar keine Ahnung davon habe, was da in diesem elektronischen Umfeld so alles abläuft. Das kann kein einzelner Mensch verfolgen. Wenn also irgendwelche Leute behaupteten, sie müssten wie Berlin klingen, dann fände ich das anmaßend. Andererseits leben wir mit diesen Klischees: Ich zum Beispiel stehe sehr auf Donald Fagan, den Keyboarder von Steely Dan, den find‘ ich tierisch. Und obwohl ich noch nie in New York war, ist Donald Fagan für mich der Sound von New York. Da mögen mir jetzt drei Millionen New Yorker widersprechen, aber für mich ist das so.

Die Berlinbezüge auf meiner Platte kommen aber, wie die Musik, einfach aus dem Bauch heraus. Das Logo kommt von mir, da habe ich versucht, etwas mit der Trompete zu bauen. Ich habe dann zu Hause mit Bildchen und Fernsehturmaufkleber herumgespielt und das Ergebnis der Raija vorgeschlagen. Und das mit „Pancake“, das ist eine Geschichte, die man als Zugezogener einfach immer witzig findet: Wenn man zum ersten Mal hier beim Bäcker sagt, ich hätt‘ gern ‘nen Berliner, dann sagen die: Die laufen bei uns auf der Straße rum! Bei den Berlinern selbst heißt der Berliner ja Pfannkuchen, und Pfannkuchen heißt hier wiederum Eierkuchen … Jedenfalls habe ich dann einen Calypso geschrieben, und da die Musik keine Lyrics hat, braucht man ja immer einen griffigen Titel, und dann musste ich an diese Berliner-Geschichte denken. Den Nicht-Deutschen muss man immer ein bisschen erklären, was die Berliner da veranstalten mit ihren Pfannkuchen, und darum hat die Geschichte Eingang in die Liner Notes gefunden. Und da das so eine augenzwinkernde Sache ist und auch der Calypso viel mit einem Augenzwinkern zu tun hat, passte das ganz gut.

Soundtrack für die Stadt nicht – aber Soundtrack für die jüngste Ausgabe von „Andruck – Magazin für politische Kultur“ des Deutschlandfunks waren einige Stücke von „East Autumn“. Ich habe mir den Podcast angehört – in den dort vorgestellten Büchern ging es ja richtig zur Sache. Wie fühlt sich das an, sich mit einer CD, die man gerade im Begriff ist zu releasen, plötzlich in einem Radiomagazin für politische Literatur wiederzufinden, also in einem Kontext, wo man nicht unbedingt jeden Tag erscheint?

Also, das war schon ein Ding! Ich hab das auch im Podcast gehört, und ja, das war schon ein komisches Gefühl: Meine Musik, von der ich immer noch denke … die noch ganz frisch ist, das Baby ist noch ganz frisch …und dann höre ich das und denke, wow, hoffentlich ist sie gut genug. Das sind so Unsicherheiten, mit denen man immer umgehen muss. Und danach dann die Moderatorin mit Syrien, bang!, und Religion und was der harten Themen mehr sind, richtige Klöpse … Aber natürlich bin ich erstmal froh, wenn meine Musik gehört wird. Es scheint eine kluge Sendung zu sein, da geht es um Besprechungen von Büchern, die auch heikle Themen angehen, und ich habe spontan gedacht, dass sich die Klientel, die diese Sendung hört, vielleicht auch für diese Musik interessiert. Insofern ist die Musik da richtig. Auf das politische Gleis möchte ich mich jetzt nicht bewegen, das ist mir zu heiß, aber ich kann soviel sagen, dass es auch für mich ein harter Schnitt war, wie nach meinem Solo ausgefadet und dann ohne Überleitung mit den heißen Themen begonnen wurde. Das war schon ungewöhnlich für mich, aber wenn diesem klugen Format meine Musik adäquat erscheint, dann finde ich das natürlich super.

Ich fand auch den Musikredakteur, der das geschnitten hat, gar nicht so schlecht, der hat das Intro von „A Glimpse of Past Events“ weggelassen und genau mit dem Thema begonnen, was ich selbst am ohrwurmartigsten empfinde.

(singen beide). La-da-da-die-da …

Ja, und dann spielen sie noch „Still Around“ und „Out oft he Darkness“. Und das ist schon adäquat. Man hätte für eine viel leichtere Sendung auch andere Stücke auswählen können, die haben sich also schon mit der CD auseinandergesetzt. Und ich meine Air Time ist unbezahlbar! Airplay ist immer gut. Mich hat das schon sehr gefreut, dass sie mich ausgewählt haben.

Wir haben es ja vorhin schon angesprochen: Auch für bekanntere Musiker ist es mittlerweile schwer, von ihrer Musik zu leben. Du unterrichtest noch zusätzlich an der Musikhochschule Stuttgart die Jazztrompeterklasse …

Ja, schon immer! Aber im Moment mache ich selber mal gerade ein Urlaubssemester, weil ich das Albumding anschieben will und ein bisschen Zeit für meine eigenen Projekte brauche. Aber es stimmt schon, wir machen ja alle noch so Sachen nebenbei.

Und wie gehst du mit diesem Spagat zwischen Vervollkommnung des eigenen Stils, also dem eigenen künstlerischen Schaffen, und der Weitergabe von Wissen, also dem pädagogischen Schaffen um?

Oh, das ist nicht schwer. Irgendwie gehört das sogar zusammen. Man muss immer in der Lage sein – und das können die bildenden Künstler auch immer, das lernen die auch –, sich in verschiedenen Stilen und verschiedenen Techniken zu bewegen, das sind zwei völlig verschiedene Sachen, die man aber parallel machen kann. Es gibt immer wieder Leute, die auch in jungen Jahren glauben, sie müssten hauptsächlich ihren eigenen Sound finden oder hauptsächlich ihr eigenes Ding machen. Das stimmt schon auch, aber man muss auch in der Lage sein, etwas anderes anzubieten, sonst kann man in der Kunst nicht überleben. Ich habe schon ganz viele unterschiedliche Sachen gemacht vorher, ich war in einer Bigband und ich spiele auch immer noch Shows, und da geht es nicht darum, dass ich eigene Stücke schreibe oder toll improvisiere, sondern da musst du einfach …

… auf den Punkt spielen können!

Ja, eben. Das ist eine ganz andere Arbeit, aber das ist auch das, was ich meinen Studenten versuche zu vermitteln: Technik, Technik, Technik, verschiedene Stile kopieren, in ‘ner Funkband spielen, im Musical spielen, klassisches Blechbläserquartett spielen, von mir aus auch Blaskapelle, egal – und gleichzeitig eigene Musik schreiben. Das gehört zusammen, das ist nichts, was sich ausschließt, im Gegenteil! Ich finde sogar, dass die Leute, die nur ihr eigenes Zeug machen, sich auf eine Art limitieren, weil sie nichts anderes mehr haben. Man muss aber aufpassen, den ganz breiten Spagat kann man irgendwann nicht mehr machen. Ich spiele immer wieder hier in Berlin im Radiosinfonieorchester, wenn die irgendetwas Jazziges haben. Zum Beispiel der Film „Metropolis“, der wurde für die letzte Berlinale ja neu vertont, da gibt es einen kleinen Jazzpart und da habe ich mitgespielt. Aber bei Klassik sieht das schon anders aus. Ich habe gemerkt, je mehr ich mache, desto schwerer fällt es mir, mich so zu konzentrieren, um die Klassik amtlich zu bedienen. Das können andere viel besser. Ich freue mich, wenn sie mich anrufen – aber es wird immer schwieriger. Wenn man das wirklich gut machen will, muss man seine ganze Energie da reinstecken. Aber unterrichten – das habe ich immer schon gemacht, das mache ich, seit ich sechzehn bin.

Das heißt, das Unterrichten absorbiert nicht soviel kreative Energie wie das Spielen von anderen Stilen …

Das Unterrichten ist in erster Linie eine Arbeit mit interessierten jungen Menschen, das mir selbst auch ganz viel gibt. Meine Schüler sind zwar alle in Stuttgart, aber die kommen auch sehr oft nach Berlin und rufen ständig an. Das ist ja auch Einzelunterricht, das ist nochmal was ganz anderes als in so einem Uni-Studium, das ist ein ganz privater Kontakt. Ich habe auch zu meinen Lehrern immer einen ganz tollen Draht gehabt. Das waren für mich nicht wirklich Lehrer, sondern eher ältere Brüder, die schon einfach mal ein paar Jahre weiter sind als ich. Das Unterrichten ist eine tolle Arbeit, es macht mir viel Freude. Meine Schüler müssen bei mir auch alles machen, die müssen schreiben, die müssen arrangieren – das lernen die sehr früh! Ich selbst habe das erst relativ spät gelernt, und ich bin da jetzt rigoros. Die müssen bei mir auch ganz viel Technik machen, die müssen einfach gut Trompete spielen! Das hat dann erst einmal nichts damit zu tun, wo es sich dann musikalisch hinfächern wird, denn ohne Technik kannst du einfach nicht arbeiten, die muss jeder haben! Auch wenn das erst einmal nichts mit Jazz zu tun hat.

Du selbst hast klassische Trompete studiert und spielst manchmal dann doch noch Klassik …

Ja, gerade vor zwei Wochen wieder. Da rief das Gewandhausorchester an, denn sie wollten das Schlagzeugkonzert von Dorman aufführen, mit einem sehr gefeaturten Solisten: Martin Grubinger. Und das hat einen anspruchsvollen ersten Trompetenpart. Weil die aber im zweiten Teil Brahms aufführen wollten, hat der Solotrompeter vom Gewandhausorchester gesagt, er möchte für das Schlagzeugkonzert gern einen Spezialisten haben und sich selbst auf Brahms konzentrieren. Ja, und dann hatte ich die große Ehre, mit diesem wahnsinnig tollen Orchester zu spielen. Ein unglaublich tolles Orchester, eines der besten deutschen großen Orchester! Und obwohl das ja nicht mein Kerngeschäft ist, saß ich dann mittendrin. Das hat mich natürlich auch einiges an Nerven gekostet, aber es hat gut funktioniert. Es gab noch einen Live-Mitschnitt im MDR … das waren drei tolle Konzerte. Und weil das so eine völlig andere Baustelle ist, hat mich das natürlich umso mehr bereichert. Diese Musiker spielen nicht nur anders, die üben anders, die denken anders, die arbeiten anders … das war eine tolle Erfahrung! Letzten Endes sind das aber auch nur tolle Musiker – genau wie meine hier.

Auch das Gewandhaus selbst ist ein ganz toller Raum – wenn man da spielt, klingt es einfach sofort gut. Und vor allem mit so einem renommierten Orchester. Für Brahms würden die mich niemals anrufen, das können die viel besser, aber für diese rhythmischen Geschichten suchten sie jemanden, der so ein bisschen aus der Jazz-Ecke kommt. Dabei hat sich das Gewandhausorchester selbst schon sehr verjüngt – man stellt sich immer diese alten Herren vor, dabei sind die meisten Musiker etwa in meinem Alter oder sogar jünger. Das ist nicht mehr so wie früher, die gucken schon alle auch nach rechts und links. Aber wenn du in Deutschland Erfolg als Orchestermusiker haben willst, dann musst du wahnsinnig fokussiert darauf hinarbeiten. Das Niveau ist so hoch – allein um so ein Probespiel zu bestehen und in ein Orchester hineinzukommen, kann man sich gar nicht leisten, zu denken, ach, ich probier mal ein bisschen Jazz. Die Zeit um sich auszuprobieren ist einfach nicht mehr da. Die Leute kommen aus Ungarn oder bei uns aus Schulen wie deiner Händel-Schule, und die sind mit sechzehn, siebzehn, achtzehn schon völlig auf der Spur, sehr geradlinig. Das ist zwar sehr beeindruckend, aber mir wäre das zu eng.

Was war denn dann bei dir der zündende Funke, der dich von der Klassik zum Jazz gebracht hat?

Sagen wir mal so, ich habe Jazz eigentlich schon immer gespielt, seit ich Trompete spiele. Ich habe mit elf angefangen, also seit zweiunddreißig Jahren. Man kann sagen, ich habe gewissermaßen Klassik studiert, *obwohl* ich schon immer Jazz gespielt habe. Ich wollte erstmal einfach gut Trompete spielen lernen. Wo das hingeht, wusste ich noch nicht richtig, aber irgendwie war mir das mit dem Jazz immer klar. Ich hatte einen tollen Lehrer in Frankfurt und wusste immer, ich will das Studium bei dem auch beenden, aber ich habe schon im Studium ganz viel bei der Rundfunkbigband gespielt. Das gilt auch umgekehrt: Meine Schüler müssen bei mir auch die ganzen klassischen Sachen lernen, die großen Konzerte spielen können. Ich bin der Meinung, wie man als klassischer Trompeter Miles Davis kennen muss, muss man als Jazzer auch diese ganzen Haydn-Konzerte kennen. Es gibt da immer wieder so Spezialisten-Typen, die da sagen, „nee, nur deins“, aber ich seh‘ das anders. Die Musikwelt ist vielfältig, Trompete ist ein wahnsinnig flexibles Instrument … Ich habe das große Glück, mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen zu spielen. Ich habe als Student mal im Ensemble Modern, diesem tollen Frankfurter Ensemble für Neue Musik, gespielt, in der Bigband, jetzt immer mal wieder im Orchester …

Das heißt, du hältst auch die Trennung zwischen sogenannter E- und sogenannter U-Musik, zwischen Klassik und Jazz, für artifiziell?

Im Sinne von Blödsinn? Ja natürlich. Das ist wieder so ein Schubladending, da halte ich gar nichts von. Das ist eine ganz komische Unterteilung, die sich irgendjemand mal ausgedacht hat. Es gibt auch unterhaltsame Klassik – und es gibt ernsthafte U-Musik. Es gibt wirklich ganz ernsthafte und kluge, wahnsinnig tiefsinnige U-Musik im Sinne von Jazz, und wahnsinnig lapidare und profane E-Musik. Nur, weil das irgendwann mal ein Haydn geschrieben hat, ist das nicht automatisch tiefsinnig. Aber die Leute brauchen das, die brauchen so Türchen und Schilder. Dabei ist es so schwierig, über Musik zu reden! Es gibt da dieses berühmte Zitat, über Musik zu reden ist so …

… wie über Architektur zu tanzen! Ja, das ist auch der Eröffnungssatz meiner Website. Ich versuche es trotzdem.

Das ist auch richtig! Das Problem dabei ist, bei der Musik noch mehr als bei der bildenden Kunst, dass sie für die Leute so persönlich ist, sie reagieren intuitiv darauf. Ich merke das an den Kindern – ich mache auch Kinder- bzw. Jugend-Jazz-Workshops an Schulen. Und bei denen ist das so verwoben, dass die Musiklehrer die nicht erreichen können. Dabei ist das so, wenn du dich ein bisschen auskennst mit Musik, mit Harmonien, dann erkennst du Dinge, erkennst Kadenzen, Funktionen und so etwas. Es ist wie mit allem im Leben, wenn du Sachen begreifst, dann siehst du sie auch plötzlich. Und trotzdem ist für die meisten Musik immer noch sehr emotional, die Leute ertragen bestimmte Musik richtiggehend nicht.

Weil sie den Körper ganz unmittelbar berührt?

Schwer zu sagen. Ich glaube, sie berührt eigentlich eher die Seele. Viele Leute tun sich wahnsinnig schwer mit bestimmter Art von Musik. Dabei muss man bestimmte Arten von Musik auch einfach mal aushalten! Coltrane zum Beispiel, oder jemand, der ganz hart, ganz modern spielt, den muss man einfach mal aushalten. „A Love Supreme“ von Coltrane, das muss man einfach mal aushalten, auch wenn’s anstrengend ist – da muss man irgendwie durch! Das muss man sich jetzt nicht morgens auflegen, um aufzustehen und Kaffee zu machen – aber man kommt ja nicht weiter, wenn man immer nur das hört, was einem nur gut tut oder was man sowieso denkt, schon zu kennen. Und das ist so ein Bereich, in den im Moment auch ganz viele Leute reinproduzieren.

Es gibt aber immer wieder Typen, die sich ganz kompromisslos weit aus dem Fenster lehnen – zu denen zähle ich mich übrigens nicht. Beispielsweise gab es mal einen Trompeter, Booker Little hieß der, den kennt kein Mensch, der hat auch nur zwei oder drei Platten gemacht und ist ganz jung gestorben, aber der klang schon in den Sechzigern so wie Wynton Marsalis – er klang wie vor seiner Zeit, wie aus der Zeit gefallen, der hat einfach zwanzig, dreißig Jahre zu früh gelebt. Und solche Typen gibt es im Prinzip immer wieder. Monk zum Beispiel! Der wurde auch nicht verstanden. Und da muss man einfach mal durch. Und das versuche ich als Pädagoge zu vermitteln. Die Leute sind es gewohnt, intuitiv etwas zu mögen oder nicht zu mögen, also intuitiv auf Musik zu reagieren. Das erste, was ich versuche ihnen beizubringen, ist, dass sie das mal abschalten und erstmal einfach nur beschreiben, was sie hören, und nicht sofort werten, nicht sofort mögen oder nicht mögen. Sobald man ein bisschen darauf gucken kann, wie ein Musikstück gemacht ist, von der Struktur her und so, wird auch dieser intuitive Wertungsmechanismus aufgebrochen.

Bei mir selbst dauert es mittlerweile sehr lange, bis Musik im inneren Zirkel ankommt, wo sie gefällt oder nicht. Ich höre ganz viel Musik, und die höre ich mir einfach erst einmal ganz offen an. Ich höre auch schon sehr handwerklich, ob es gut gemacht ist oder ob es billig produziert ist – das ist es auch, was mir bei dieser ganzen Volksmusik so auf die Nerven geht, weil man hört, dass es so schnell und lieblos gemacht ist. Das kann ich in einer halben Stunde auch produzieren! Aber, wie jeder andere auch, habe ich natürlich auch meine Lieblingsplatten zum Autofahren und Mitsingen.

Meine Ausgangsfrage war ja die nach dem zündenden Funken, der dich zum Jazz geführt hat, davon sind wir irgendwie wieder abgekommen …

Der zündende Funke war ganz klassisch: Der Plattenschrank meines Vaters! Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie, das sind alles Hobbysänger, und mein Vater hatte auch eine große Plattensammlung. Da habe ich dann „American Patrol“ von Glenn Miller entdeckt. Als ich so mit zehn, elf anfing, Trompete zu spielen, habe ich das gehört und dachte: wow! Und auf der B-Seite war „St. Louis Blues March“. Die Liebe war ganz früh da. Und ich hatte das Glück, dass ich bei dem Trompeter, den ich mit am meisten bewundert habe, Ack van Rooyen – das ist der Solist und Flügelhornsolist von Peter Herbolzheimer gewesen, und auch bei Bert Kaempfert hat er ganz lange gespielt … jedenfalls habe ich den schon immer bewundert, auch, als ich noch ganz klein war, und bei dem habe ich dann nachher selbst Unterricht nehmen dürfen. Er ist ja einer der berühmtesten Flügelhornisten, ein Instrument, zu dem die Jazztrompeter gern greifen, wenn es um Balladen geht. Das Flügelhorn wurde in den Sechzigern, Siebzigern populär als Melodieinstrument, als weichere Form der Trompete, es hat zwar als Horninstrument eine andere Bauweise, einen anderen Konus, aber es ist genauso gestimmt wie eine Trompete und spielt sich sehr ähnlich. Das heißt, jeder Trompeter kann ein Flügelhorn in die Hand nehmen und darauf spielen – aber nicht jeder Trompeter klingt da auch richtig gut drauf. Und der Ack ist ein ganz lyrischer Spieler, ein toller Balladenspieler. Er ist mittlerweile über achtzig und spielt immer noch phantastisch! Er war in Den Haag mein Lehrer, und das war ganz großartig.

Und wer dich Flügelhorn spielen hören will, muss sich nur „East Autumn“ kaufen … Die Platte wurde ja bei Neuklang veröffentlicht, einer Label-Ausgründung der legendären Bauer-Studios. Wie habt ihr euch eigentlich gefunden?

Bauer hat das Label quasi im Haus, das ist ein gutes Paket. Ich war öfter mal im Bauer, wenn man mich als Sideman dahin bestellt hat, und fand schon immer, dass es ein tolles Studio ist. Vor allen Dingen aber kenne ich den Johannes Wohlleben, einen von den Tonmeistern. Den halte ich für einen außergewöhnlich guten Sound-Typen, der nicht nur wahnsinnig gut hört, sondern auch technische Probleme in Sekundenschnelle löst. Kaum sage ich ihm, ich hab‘ hier ein Brummen, ist es auch schon weg. Es gibt ja immer auch diese halbgaren Ton-Frickler, die sich nicht richtig auskennen, aber der Johannes … Ich bin eigentlich vorsichtig mit Superlativen, aber ich halte ihn für die oberste Bundesliga. Und ich wusste, wenn ich dieses Projekt machen will, dann will ich den haben. Ich habe schon vorher so viel mit ihm zusammengearbeitet, ich weiß, wie er arbeitet, wir kennen uns so gut, dass ich mich gut aufgehoben fühle.

Dann das ganze Equipment! Allein der Flügel im Bauer-Studio, das ist so ein alter Steinway aus den 1920er-Jahren, ein ganz legendärer Flügel, auf dem schon Keith Jarrett gespielt hat. Sein Klang ist so legendär, den kannst du bei Logic sogar schon als Sample kaufen! Und Johannes weiß genau, wie er den mikrophonieren und abnehmen muss. Ich kam an, und der Flügel war schon genau fertig eingerichtet – und schon nach dem Aufnehmen des ersten Stückes, wo wir im Abhörraum saßen, haben wir nur gedacht, wow! So jemanden muss man erst einmal haben, in dessen Hände man sich so beruhigt begeben kann. Johannes war für mich einfach die erste Entscheidung. Es gibt bestimmt Studios, die das viel günstiger machen – aber es gibt kaum eins, das so gut klingt. Es ist ein toller Ort.

Der auch das Flair der ganzen Legenden atmet, die schon vor einem dort aufgenommen haben …

Ja, definitiv. Da gibt es auch eine Galerie, wo die ganzen Bilder hängen. Aber es ist nicht nur das, sondern sie wissen einfach, was sie tun. Ich hab‘ auch Logic zu Hause und nehme auch auf, aber so schnell – wir haben die Platte ja im Prinzip in drei Tagen produziert: anderthalb Tage eingespielt, anderthalb Tage gemischt – geht das nur, wenn du mit solchen Weltmeistern arbeitest. Allein deren Mischpult hat die Ausmaße eines Raumschiffes, da muss man schon ganz genau wissen, wo man jetzt drücken muss. Das ist schon beeindruckend.


East Autumn wurde am 2. November 2012 auf Neuklang Records veröffentlicht.

25. November 2012

Kinderlieder können genauso gruselig sein wie leise Töne laut: Die neue Victoriah’s Music ist da

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 20:38

„Vor einiger Zeit habe ich mir einen Walkman gekauft. Ich fürchte, es war der letzte seiner Art, denn der Elektronikfachmarkt meines Vertrauens bot nur noch exakt dieses eine Modell an, während die Auswahl an MP3-Playern & Co. schier unüberschaubar war. Die netteste Reaktion von Freunden und Bekannten auf meine Neuerwerbung war ein nachsichtiges Lächeln, die weniger netten Erwiderungen möchte ich hier nicht zitieren, spannt sich ihr Vokabular doch von „weltfremd“ bis zu „völlig spinnert“.

Nun aber hat die Kieler Sängerin Nadja Rüdebusch, ehemalige Frontfrau des Hamburger Quartetts emmy moll, nach „Every Seaman’s Got A Favorite Spaceship“ (2010) mit „There Is Not Enough Space In The Dark“ ihr zweites Album unter dem Projektnamen Binoculers veröffentlicht – und zwar nicht nur als CD, Vinyl und Download, sondern dank des Labels romani ite domum auch als Musikkassette, die nicht nur durch ein eigenes Coverartwork besticht, sondern auch durch den Bonustrack „Come Home“, den man auf den anderen Tonträgern vergeblich sucht. Jegliche Gefühle der Richtung „wer zuletzt lacht“ liegen mir natürlich fern …“

Warum diese Platte auch jenseits der Kassettenversion empfehlenswert ist, was Kiss von Prince mit einem Spinett zu tun hat und warum Zersetzungsprosesse mittels Säure zwangsläufig schmerzhaft sein müssen – dies alles und noch viel mehr steht in der aktuellen Ausgabe von Victoriah’s Music, wie immer auf fairaudio.de, Ihrem liebsten Online-HiFi-Magazin. Besprochen wurden diesmal:

  • Binoculers | There Is Not Enough Space In The Dark
  • David Helbock | Purple
  • Samuel Rohrer | Noreia
  • Zodiak Trio | Acid
  • [re:jazz] | Kaleidoscope
  • Skye | Back to Now
  • Tracey Thorn | Tinsel and Lights
  • La Fons | Am Anfang war das Lied

Viel Freude damit!

13. November 2012

Klangköpfe # 4: Kein Streichtrio, sondern eine Band (1/2)

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , — VSz | Klangverführer @ 13:00

Treue Leser wissen: Ich mag Coverplatten. (Ja, auch Plattencover, aber das ist ein anderes Thema.) Das liegt gar nicht mal daran, dass einem Neuinterpretationen bekannter Stücke eine bislang ungekannte Sichtweise auf den Song eröffnen können. Der Grund ist viel profaner: Ich finde, es gibt schlicht zu viel Musik in der Welt. Anstatt die musikalische Neuerfindung des Rades, auf Teufel komm raus und weniger gut gemacht, anhören zu müssen, höre ich da dich lieber etwas Bekanntes, neu gemacht, gut gemacht. Womit wir mitten im Thema wären, denn auch B.S.O – kurz für: Berliner Streich Orchester – ist gewissermaßen als Coverband entstanden, mehr noch, als Coverband einer Coverband, hatte man ursprünglich doch vor allem die Songs der Metallica-Interpreten Apocalyptica im Programm. Und eine Platte soll es demnächst auch geben.

Aber lassen Sie mich den Bogen etwas weiter spannen. Der Nikolai-Tomás-Song Ich kenn‘ dich doch von Facebook könnte auch diesem Bandportrait vorangestellt sein, denn – wie alle Klangköpfe bisher – waren auch die Jungs von B.S.O waren zunächst Facebook-Freunde von mir, bevor wir uns auch außerhalb der virtuellen Welten begegneten. Es war Sommer, ich langweilte mich und trat der ersten – und einzigen– Facebook-Gruppe bei, in der ich je war. Dort trieb auch ein gewisser Gunnar Wegner (45) sein Unwesen. Sein Profilbild zeigte ihn geigespielend am Strand, halb kopfherum liegend. Mit der unglaublich intelligenten Frage „Bist du Geiger?“ schrieb ich ihn an. War er, stellte sich heraus – und hatte noch dazu mit Jupp Wegner (18) einen cellospielenden Sohn und mit Johannes Fischer (26) einen ebenfalls cellospielenden, sich dazu aber noch als Arrangeur, Toningenieur und Produzent betätigenden Neffen im Angebot, kurz: ein komplettes, musikalisch wie tontechnisch autonomes Streichertrio.

Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis man mir den „Giftschrank“ mit frühen Aufnahmen öffnete und mich zudem zu einem kleinen Showcase der Drei lud. Seitdem verfolge ich nicht nur ihre Entwicklung sporadisch – auch hat sich eine lockere Freundschaft ergeben. Okay, mehr noch: Die beiden Cellisten und ich sind Alumni desselben Musikgymnasiums. Ich habe die Texte für ihre Homepage geschrieben. Nicht zuletzt haben die zwei Jungs auf der Beerdigung von Kopfhörerhund gespielt, wofür ich ihnen für den Rest meines Lebens zu Dank verpflichtet bin.

Soviel also zur Offenlegung meiner persönlichen Verflechtungen mit der Band. Doch auch, wenn die Klangköpfe-Serie nicht hochgradig subjektiv besetzt wäre, hätte ich Ihnen B.S.O nicht vorenthalten wollen. Allein die öffentlichen Proben der Band sind ein Phänomen – ob im Lustgarten vor dem Dom oder auf der Wiese im nächstgelegenen Volkspark: Die Musiker kündigen sie kurz vorher bei Facebook an, fahren hin, packen ihre Instrumente aus, sind im Nu spielbereit und ebenso schnell wieder verschwunden wie sie gekommen sind. Ich nenne das gern Streicher-Flash- Mob und gebe zu, dass ich selten unprätentiöseres Musizieren erlebt habe. Da wird nicht lange rumgestimmt und eingespielt und Divengehabe fabriziert, sondern einfach gespielt. Und wie die Tiere bei der Bergpredigt fühlen sich die Menschen von den drei Musikern angezogen, schauen, bleiben stehen, grooven mit. Kurz gesagt: B.S.O ist eine kleine Sensation.

Nach etwa anderthalbjährigem Bestehen der Band haben wir uns zusammengesetzt und darüber gesprochen, weshalb man nicht dem Kammermusikklischee entsprechen möchte, dabei aber dennoch keinesfalls eine Revolution gegen die Kammermusik im Sinn hat, warum die Menschen die Band nicht nur hören, sondern vor allem auch sehen sollen, was er mit Sitzen versus Stehen auf sich und was der Wiedererkennungseffekt damit zu tun hat, woran man scheitern kann, weshalb wahre Größe auch mal im Verzicht liegt, ob die bandinterne Unterteilung in eine Kreativabteilung und eine, die wie ein Schäferhund seine Herde den „Mechanismus B.S.O“ zusammenhält, auch in Zukunft Bestand haben kann – und weshalb Blut dann doch dicker ist als Wasser.

Und da drei Musiker naturgemäß mehr zu erzählen haben als einer, gibt es die Klangköpfe erstmalig als Zweiteiler, der im Dezember fortgesetzt wird. Jetzt aber erst einmal viel Spaß mit dem ersten Teil!

Klangverführer: Ihr habt ja ursprünglich zum Spaß als Coverprojekt angefangen – ich glaube, es ging um eine Geburtstagsüberraschung –, davon habt ihr euch aber mittlerweile emanzipiert und habt nicht nur anspruchsvolle Adaptionen von beispielsweise Filmmusiken für Streichtrio, sondern auch Eigenkompositionen im Repertoire. Gibt es sowas wie eine künstlerische oder kreative Vision des B.S.O?

Jupp (an die anderen gewandt): Will jemand? (Zu mir): Du hast schon recht. Der Uranspruch war auf jeden Fall, das zu machen, was wir mögen – und von dem wir glauben, dass es auch die Menschen draußen mögen. So. Das hat sich dann aber, das hast du eigentlich schon richtig festgestellt, im Laufe der Zeit professionalisiert. Und unser Anspruch ist gewachsen.

Gunnar: Es sind sowohl der Anspruch gewachsen als auch die Verarbeitung des Feedbacks aus dem Publikum, aus den Konzerten, die wir spielen. Da merkt man ja, wie die einzelnen Stücke ankommen. Und da merken wir auch, dass Stücke, die wir selber sensationell gut fanden, auf der Bühne von uns wohl nicht so transportiert werden können, wie wir das wollten und demzufolge auch beim Publikum nicht so gut ankommen. Ein Beispiel ist hier der „Sonderzug nach Pankow“: Ich war der festen Überzeugung, das wird jetzt der Hammer-Hit! Jetzt spielen wir ihn nicht mehr …

Johannes: Der war irgendwie schwierig. Dabei war er eigentlich gar nicht schlecht arrangiert …

Jupp: Aber wir haben einfach nicht zum Grooven gebracht.

Kann man sagen, dass das euer Anspruch ist: Ihr wollt Stücke zum Grooven bringen? Du hast das gerade so schön formuliert …

Alle drei: Kann man so sagen, ja. Muss man auch so sagen!

Gunnar: Also, wenn es uns auf der Bühne keinen Spaß macht, das Publikum aber völlig abgeht, dann sind wir es dem Publikum vielleicht noch schuldig, unserem käuflichen Charakter Rechnung zu tragen – aber eigentlich muss für uns beides passen. Es geht aber auch andersrum, und das ist sogar öfter der Fall, dass wir Stücke reingenommen haben, ohne zu wissen, wie kommen die draußen an – zum Beispiel den Dire Straits-Song, den wir hier gerade gespielt haben, das ist ein cooler Song, den kennt jeder –, und natürlich war die Hoffnung da, dass das Publikum das auch dankbar annimmt. Dann aber hat es das Publikum sogar so dankbar angenommen, dass wir dann noch eine richtige Spaßnummer daraus gemacht haben – es gibt dabei immer eine kleine Battle auf der Bühne, welches Tempo Hannes heute anschlägt und ob wir mit dem noch mithalten können!

Stichwort Spaßnummer: Es gibt ja einige populäre Bands, die auch als Spaßprojekt begonnen haben, und dann groß geworden sind, beispielsweise The BossHoss mit ihren Spaß-Country-Covern. Könnt ihr euch das auch für euch vorstellen – oder ist B.S.O von vorn herein als zeitlich befristetes Projekt angelegt?

Jupp: Ich würde das nicht ausschließen. Was auch immer die Umstände sein sollten, dass es mal dazu kommt, dass uns irgendeiner ein Angebot macht … Wir würden dann auf jeden Fall intensivst darüber nachdenken. Wir standen ja schon mal vor einer ähnlichen Situation, als man uns das Angebot gemacht hat, in einer Casting-Show aufzutreten … Also, ausschließen würde ich das auf keinen Fall. Momentan macht es Spaß, so wie es ist, und mehr zu erzwingen fände ich falsch, aber wir sind offen mitzugehen mit der Entwicklung und dem, was sich so ergibt. Wenn wir alle drei der Überzeugung sind, jetzt ist der richtige Zeitpunkt und jetzt läuft’s – dann wird es so sein.

Wo du gerade sagst, wenn ihr alle drei der Überzeugung seid – ihr seid ja alle absolut unterschiedliche Charaktere. Wie kriegt man die unter einen Hut, gibt es da Reibereien, gibt es einen Entscheider, oder, anders gefragt: Ist B.S.O eine Demokratie?

Johannes: Haben wir tatsächlich mal so festgelegt, dass alle mit 33,333 Prozent stimmberechtigt sind.

Jupp: Wir wollen Entscheidungen tatsächlich nur mit absoluter Mehrheit treffen, das ist nicht immer einfach. Wenn es sich vermeiden lässt, wollen wir keine zwei-gegen-eins-Entscheidungen. Bei der Auswahl der Musikstücke manchmal schon, aber wenn es andere Dinge betrifft, wird das persönliche Interesse von jedem Einzelnen berücksichtigt.

Johannes: Zum Beispiel die Volbeat-Nummer, die wir vorhin gespielt haben, die kannte ich vorher gar nicht, Gunnar auch nicht. Jupp hat sie quasi „eingeschleppt“, und anfangs war die gar nicht so mein Ding. Und jetzt lieben wir das Stück!

Gunnar: Aber wenn es darum geht, ob wir auf irgendwelchen bestimmten Events spielen wollen, da wird mit allen Rücksprache gehalten. Ich würde aber gern noch etwas zu der Frage von vorhin sagen, zu der Vision der Band und dazu, wie wir zum Erfolg stehen. Das einfache Warten auf den Erfolg ist natürlich auch bloß die halbe Wahrheit. Also ein bisschen was dafür tun muss man schon und muss auch ganz gezielt im Organisatorischen tätig werden, was Netzwerke angeht, was Verbreitung angeht, was Gigs angeht, und auch ganz gezielt die Balance schaffen zwischen den Gigs, die wir kommerziell bestreiten und denen, die wir dann auch pro bono machen, um bekannter zu werden. Ein klassisches Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist, dass wir als Vorband von Mike Kilian, dem Rockhaus-Sänger, gespielt haben – das war für uns gar keine Frage, dass wir das einfach so machen, um uns diesem Publikum vorstellen zu können. Ich denke, wir können in dieser Zielgruppe einen sehr großen Zuspruch erreichen, und da gibt es auch mit der demokratischen Abstimmung bei B.S.O kaum Schwierigkeiten.

Ich habe Jupp auch gar nicht so verstanden, dass ihr faul auf den Erfolgt wartet, sondern eher, dass ihr ein sehr relaxtes „go with the flow“-Motto verfolgt, dass ihr einfach sehr offen für die Möglichkeiten des Moments seid.

Jupp und Johannes: Ja, und genau so ist die Band ja auch entstanden!

Gunnar: Das sollte auch kein Widerspruch sein, nur eine Ergänzung.

Lassen wir doch das Thema Zukunftsvision hinter uns und widmen uns ganz konkret eurer Musik. In eurer Eigenwerbung kann man lesen, ich zitiere: „Wer Brian Adams ohne Pathos, Nina Hagen ganz relaxed oder Lady Gaga mit Stil und Anspruch erleben will, ist beim B.S.O genau richtig.“ – Was muss ein Song haben, um die Ehre der B.S.O-isierung zu erfahren?

Gunnar: Da lehne ich mich mal ganz entspannt zurück und überlasse die Antwort der Kreativabteilung!

Jupp: Er nennt uns immer Kreativabteilung, dabei wählt er auch die Songs aus, die wir beide dann arrangieren. Aber um die Frage zu beantworten: Wir spielen Sachen, die uns gefallen, und zwar mit dem Anspruch, sie durch unsere Interpretation so nach außen zu tragen, dass sie dann den anderen auch gefallen.

Johannes: Genau. Es geht gar nicht darum, sich hinzustellen nach dem Motto „Wir können das besser“, sondern wir bringen die Songs einfach auf einem völlig anderen Level. Ich meine, Streichertrio versus Rockband – da verbietet sich jeder Vergleich!

Jupp: Es sollen gar keine Coverversionen im engeren Sinne sein, sondern eher Interpretationen. Es geht um eine neue Interpretation der Songs, und wie wir die auswählen …Das ist pauschal schwierig zu beantworten.

Johannes: Da gibt es kein Prinzip, das kommt drauf an!

Jupp: Ein Beispiel: Ich höre Musik, in der Bahn, die Playlist, die ich mir für meinen MP3-Player gemacht habe, und bei zwei Dritteln der Songs überlege ich, könnte man den machen?

Das heißt, es geht dann doch nicht nur um „gefällt mir“, sondern Machbarkeit ist definitiv auch ein Kriterium!

Jupp: Das stimmt natürlich. Da kommt es auch auf das Arrangement des Songs an sich schon an. Wenn der jetzt mit einem anspruchsvollen, aber vor allem markanten Piano-Riff versehen ist … Es ist immer schwer, so etwas auf Streichinstrumenten nachzuahmen! Oder, wenn der Song total Akustikgitarren-lastig ist, das den Song aber ausmacht, dann kann man das …

Johannes: Das ist nicht unmöglich, aber …

Jupp: Es ist nicht unmöglich, aber der Wiedererkennungsfaktor ist dann einfach nicht so gegeben wie bei denen, die wir bisher für uns arrangiert haben.

Und ihr wollt schon, dass man den Song wiedererkennt, und nicht, dass man den Song wie manche Jazzer dermaßen dekonstruiert, dass man als Hörer schon kaum noch weiß, worauf er eigentlich beruht?

Jupp: Nee, eben nicht! Wir wollen ja, dass die Leute diese Songs erkennen und unsere Version … schön finden. Oder zumindest akzeptieren. Nicht zwangsläufig vergleichen, nach dem Motto, hey, das klingt aber im Original viel cooler, aber dass sie unsere Version davon eben auch schön finden – und natürlich auch wiedererkennen. Wir müssen da jetzt nicht exzessiv etwas verändern.

Johannes: Was man vielleicht noch zur Auswahl sagen kann – wir haben jetzt vielleicht ein, zweimal die Situation gehabt, dass wir unser Repertoire gesichtet und festgestellt haben, uns fehlt vielleicht hier eine Ballade und da eine rockige Nummer. Und daran haben wir uns dann orientiert – sind aber natürlich trotzdem unseren geschmacklichen Präferenzen gefolgt.

Wie viele Songs habt ihr im Moment in eurem Repertoire?

Johannes: Knapp fünfzig?

Gunnar: Wobei darunter ein paar sind, die wir zwar noch auf unserer offiziellen Setlist haben, die wir aber gar nicht mehr spielen, zum Beispiel dieser „Sonderzug nach Pankow“. Wir geben ja auch unseren Kunden, selber mit Einfluss auf das Programm zu nehmen, wenn die sagen, da gibt es einen Song, den wollen wir ganz besonders hören, oder den wollen wir sogar unbedingt hören – da prüfen wir dann, ob er für uns arrangierbar ist – und wenn ja, spielen wir den dann auch –, aber wenn sich die Leute beispielsweise „Sonderzug nach Pankow“ aussuchen, dann spielen wir ihn trotzdem nicht.

Johannes: B.S.O versucht sich auch treu zu bleiben!

Gunnar: Ich find‘ es auch immer schön, wenn wir – das ist jetzt schon mehrfach passiert – nach den Konzerten angesprochen werden, „im zweiten Set der dritte Song – war das der oder war das der?“, und ich sag dann, „ja, das war der und der“, und die Leute wieder, „oh stimmt, mir ist nur der Titel nicht eingefallen“ – das ist natürlich auch ein großer Unterschied zu den „normalen“ Coverbands, die auch singen …

Das geht mir mir euren Sachen auch so! Ich denke immer, „du kennst das irgendwoher“, aber woher, will mir nicht einfallen.

Gunnar: Das passiert ganz oft, und ich glaube, damit spielen wir mittlerweile auch ganz bewusst. Das wird uns aber nicht dazu führen, dass wir jetzt wirklich völlig unbekannte Songs spielen, und auch nicht dazu führen, dass wir die bekannten Songs, von denen wir wollen, dass sie erkannt werden, so verjazzen oder ver-improvisieren, dass sie noch schwerer wiedererkennbar sind.

Jupp: Genau, dadurch, dass wir instrumental sind und also der Text wegfällt, ist unser Anspruch, das Ganze so zu arrangieren, dass die Leute den Song auch ohne Text wiedererkennen.

Dass sie den Text im Kopf mithören …

Jupp: Genau, dass sie ihn mitsingen können, während wir ihn halt nur spielen.

Gunnar: Das ist, glaube ich, auch ein Unterschied zu etlichen anderen Formationen, die mit Streich- oder zumindest klassischen Instrumenten unterwegs sind: Die verfolgen ganz oft den Ansatz, dass sie mit Klassik-Stücken anfangen, die sie dann verrocken. Da kommt dann mal ein Synthi dazu oder auch mal ein Schlagzeug …Das ist aber gar nicht unser Ansatz! Wir sagen von vornherein, wir …

Jupp: … nehmen unsere Instrumente, wie sie sind.

Gunnar: Wir nehmen die Hits und prüfen, ob sie für uns arrangierbar sind. Ein Song, den ich leidenschaftlich gern machen würde, der aber einfach nicht geht, ist „Our House“ von Madness. Ein Hammersong, aber der hat diese Trompeten drin, der hat richtig viel Gitarren drin, richtig viel Melodie drin – das schaffen wir zu dritt gar nicht! Und das sind dann so Objekte, an denen scheitert man. Schade eigentlich.

Johannes. Ganz selten gibt es da Ausnahmen, zum Beispiel „Blackbird“ von den Beatles. Das ist ein reines Gitarrenstück – und irgendwie haben wir es aber trotzdem geschafft. Das ist aber eher selten.

Gunnar: Und das ist das Entscheidende! Wir machen es dann eben nicht auf Gedeih und Verderb, weil uns zum Beispiel „Our House“ von Madness so gut gefällt, dass wir es unbedingt machen, und erzwingen es, sondern sagen lieber, nee, wahre Größe liegt im Verzicht … und dann lassen wir’s.

Jupp: Amen.

Eure Stücke haben ja eben durch die Arrangements einen sehr hohen Wiedererkennungswert. Gerade bei euren frühen Cover-Versionen und auch dem Streichersatz, den ihr für Vlad in Tears gemacht habt, hört man nach ein paar Takten, ah, das ist B.S.O. Wie entsteht so ein Arrangement, möchte ich wissen, wie geht ihr da heran, wer zeichnet dafür hauptsächlich verantwortlich?

Johannes: Das ist so ein Geben und Nehmen zwischen Jupp und mir. Vielleicht hatte ich dieses Jahr damit ein bisschen mehr zu tun, weil er noch nebenbei ein Abitur zu bewältigen hatte …

Jupp: Wobei wir jetzt auch probieren, wenn Melodiestimmen zu spielen sind, diese textgenau anzupassen – das ist ein neuer Ansatz aus der letzten Zeit. „Silbengetreu“ klingt jetzt voll deutsch-kleinkackerig, aber das ist genau das, was wir wollen: Dass die Leute anhand der verschiedenen Silben beispielsweise auch die zweite Strophe von der ersten unterscheiden können. Und weil die Geige eben öfter mal eine Melodie hat als ein Cello – wobei wir das in letzter Zeit auch ganz gut gemischt gekriegt haben –, ist da jetzt auch ein Teil, den Gunnar an den Arrangements hat. Ansonsten, was jetzt das Satzschreiben angeht oder welche Art von Begleitung man versuchen kann, das ist …

Johannes: Das ist viel Ausprobieren und Dazulernen! Ich glaube, wir haben auch im letzten Jahr genau für diese Besetzung gelernt zu arrangieren.

Habt ihr euch auch schon mal „ver-arrangiert“, also, dass beispielsweise ein paar Dinge per Midi entstehen, sich in der Realität aber als unspielbar erweisen?

Jupp: Selten, aber gibt es schon. Da hat man dann das Midi-Arrangement immer wieder gehört, ein paar Noten davon gemacht und gesagt, spielen wir es mal, und dann merkt man entweder, es groovt einfach nicht, dann müssen wir irgendetwas ändern, oder wir merken, das ist zwar irgendwie nett gemeint, aber nicht spielbar, dann müssen wir es auch ändern. Eigentlich sind wir aber professionell genug, dass wir nur das schreiben, was wir auch spielen können, aber manchmal gibt es dann eben doch kleine Ausnahmen, wo wir dann denken, hey, so eine Hand habe ich gar nicht, das ist ja voll unmöglich, das zu spielen – drei Saiten auf einmal gehen eben nicht!

Wenn ihr sagt, eigentlich passiert das nicht, weil ihr eben gelernt habt, genau für eure Dreierbesetzung zu schreiben – ist es nicht ein bisschen so, dass man als Arrangeur, wenn man für dieses Trio schreibt, von Anfang an ein bisschen limitiert ist, weil du zum Beispiel schon immer ein Cello zum Achtelschrubben abkommandieren musst, um den Beat oder die Rhythmusgruppe zu imitieren …

Johannes: Ja, das stimmt …

Jupp: Manchmal spielen wir ja live auch mit einem Schlagzeuger, aber da ändert sich trotzdem nicht viel für uns, denn jede Band, die wir covern, hat neben ihrem Schlagzeuger noch einen Bassisten oder einen Gitarristen. Das einzige, was wir dann ändern, ist vielleicht, dass wir beim Spiel dann nicht so viel Wert auf perkussive Betonungen legen, wenn wir mit einem Schlagzeuger spielen. Ohne müssen wir tatsächlich irgendwie einen Schlagzeuger „imitieren“; und der, der die Schrammeleien hat, gibt auch die Harmonie.

Johannes: Man könnte sagen, wir sind nicht immer ein typischer Streichersatz – wobei es diese Stellen natürlich gibt –, sondern wir sind eine Band. Jeder hat seine Rolle.

Gunnar: Wir versuchen auch ganz bewusst, die eher aus der Kammermusik herrührende Dreisätzigkeit zu vermeiden bzw. ganz gezielt einzusetzen oder sogar zu überhöhen, indem wir sie auf der Bühne auch mit nachgerade choreographischen Elementen – Stichwort: Endlos-Ritardandi – präsentieren.

Jupp hat ja vorhin schon angedeutet, dass du, Gunnar, mittlerweile auch in den künstlerischen Schaffensprozess mit einbezogen bist. Bis jetzt hast du aber immer die Jungs als „Kreativabteilung“ bezeichnet. Da drängt sich mir die Frage auf, in was für einer Abteilung du bei B.S.O beschäftigt bist – neben dem Geigespielen, meine ich.

Gunnar: Erst einmal die Texte auswendig lernen, damit wir die Stücke auch silbengetreu hinkriegen; und wenn ich keine Lust mehr auf das Geigen habe oder merke, dass die Intonation an dem Tag irgendwie schlecht ist, nehme ich mir auch mal das Mikro und sing einfach – die Texte kann ich ja!

Das war jetzt aber ein Scherz, oder?

Gunnar: Ein bisschen überreizt, ja. Das wird so nicht passieren. Aber wenn wir in Richtung Party und gute Laune unterwegs sind, spielen auch gesangliche Stücke eine Rolle. Die überzeichnen wir dann natürlich richtig, was dann auch die Unterstützung der Celli angeht, Keimzeit, Ärzte, Reinhard Mey, Sportsfreunde Stiller, so etwas spielen wir dann. In dieser Kategorie kann dann auch jeder mitsingen und die Leute haben richtig Spaß! Ansonsten ist meine Aufgabe, den ganzen Mechanismus B.S.O vom Organisatorischen her in Schwung zu halten – wobei es übertrieben wäre zu sagen, dass ich das ganz allein mache. Aber einfach eine Struktur hineinzubringen und dafür zu sorgen, dass diese Struktur, und auch die Systematik, die wir da haben, auch in Richtung „Wie wollen wir uns entwickeln?“, „Wo wollen wir mal hin?“, am Rollen bleibt, dass der Ball weiterrollt. Auch, was Gigs angeht, was Verhandlungen angeht, was das ganze Rechtliche und Finanzielle angeht – da hab‘ ich so ein bisschen die Hand drauf.

Johannes: Er hält uns den Rücken frei!

Also eigentlich das Management der Band, richtig? Ich weiß aber auch, dass du auf der Bühne derjenige bist, der den Alleinunterhalter macht, der das Publikum abholt – im Prinzip hast du also so eine Zwitterrolle …

Gunnar: Ja, wenn man das jetzt als kreativen Teil bezeichnen möchte …

Die Jungs: Klar!

Es sind zumindest keine Managementaufgaben …

Johannes: Öffentlichkeitsarbeit!

Gunnar: Im engsten Sinne, sogar! Da kommt wahrscheinliche meine exibionistische Ader durch: Ich rede gern vor vielen Leuten und ich kann das auch ein bisschen … Nein, im Ernst: Scheinbar habe ich ein bisschen Gespür dafür, die Leute auf unsere Seite zu ziehen und dafür zu begeistern, was wir machen. Und das klappt meistens auch ganz gut, ich mache das leidenschaftlich gern. Die beiden (zeigt auf die Jungs) haben mir jetzt schon angedroht, dass sie demnächst auch damit anfangen wollen, ein bisschen auf der Bühne zu reden … Es wird der Tag kommen, wo wir uns auf der Bühne auch Wortduelle liefern werden, die entweder ganz spontan entstehen oder aber einstudiert sind, aber dann natürlich ganz spontan aussehen …Bis dahin ist es noch etwas hin, aber ich freue mich darauf!

Das hat Ihnen gefallen? Im Dezember geht es weiter mit dem zweiten Teil dieses schönen Interviewportraits – und ein weiteres exklusives Video gibt es auch. Freuen Sie sich schon einmal darauf!

4. November 2012

Eine Auflehnung gegen die Geschichte. Der Sänger, Performer & Autor Joe Fleisch im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 11:06

Seitdem ich für die Januar-Ausgabe von Victoriah’s Music die Sechs-Track-EP Oi Amerike von Joe Fleisch besprochen habe, bin ich fleischifiziert.
Da freut es, dass der gebürtige Frankfurter demnächst ein ganzes Album hinterherschiebt – genauer gesagt, sogar zwei Alben, eins solo und eins mit seinen Jewish Monkeys, einer burlesken Klezmer-Truppe, die dem Oi Amerike-Kosmos an Crazyness in nichts nachsteht. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass einer ihrer ersten Werbeslogans „Woody Allen goes Klezmer-Punk“ war!

Als Appetizer auf das kommende Album bescheren uns die Monkeys nun ihr Video zu Black but Sweet, einem ganz eigenen Remake des Houdini-Klassikers von 1931 – inklusive dezenten Gangster-Reminiszenzen und einer handvoll gar nicht so dezenten Respektlosigkeiten. Wenn das der Rabbi wüsste! Klangverführer hatte die Gelegenheit, Jewish Monkeys-Gründer Joe Fleisch ein paar Fragen zu stellen und in Erfahrung zu bringen, weshalb er die Jewish Monkeys, die eigentlich nur „ganz normalen“ Klezmer-Gitarren-Rock spielen, als sein eigentliches musikalisches Zuhause betrachtet, warum seine Musik von einigen Millionen Menschen gehört hätte werden sollen und weshalb am Ende des Tages die Musik, die er macht, eine Auflehnung gegen die Geschichte ist, denn Fleisch liefert als echter ‚Federmentsh‘ seine Interpretationen doch am liebsten gleich selbst mit.

Klangverführer: Seit einiger Zeit treibst du als Joe Fleisch dein satirisch-musikalisches Unwesen – vor allem im Netz. Wie wurde aus Josef bzw. Jossi Reich Joe Fleisch?

Joe Fleisch: Lang, lang ist´s her. Irgendwann Ende der 80er haben meine Freunde angefangen mich Joe zu nennen, und irgendein Spaßvogel hat dann anstatt Reich einen Fleisch aus mir gemacht. Ich verwendete Joe Fleisch als Pseudonym für meine ersten short-story-Veröffentlichungen in den 90ern, zu finden übrigens auf www.joefleisch.de, wenn man ganz nach unten scrollt, zusammen mit anderen, meist sehr rhetorisch-politischen Texten, die in der taz erschienen und auf der jüdisch-deutschen Website hagalil.com – und auch mein erstes Video „Mein Name ist Joe Fleisch“ aus 2003. Das habe ich mit dem Frankfurter Jazz-Komponisten Tobias Rueger und dem Regisseur Cyril Tuschi gedreht. Im Stil einer Orgie, die an die Goldenen 20er erinnert, haben wir Lale Andersens Durchhalte-Song aus der Nazi-Zeit „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“ zum Besten gegeben, und den satirischen Gegenentwurf der nach London emigrierten, jüdischen Sängerin Lucy Mannheim, den die BBC nach Hitler-Deutschland ausstrahlte; all das sozusagen als ein kleines Unterrichtskapitel zur Geschichte des Schlagers im Dritten Reich. Besonders gut fand das kein einziges deutsches Kurzfilmfestival.

Im Moment ist Joe Fleisch aber nicht solo unterwegs, sondern mit zwei Mitstreitern – den Jewish Monkeys. Kannst du auch dazu ein paar Worte sagen?

Auf meinem demnächst erscheinenden, primär jiddischen Solo-Album gibt es nur zwei Songs von den Jewish Monkeys. Überhaupt singen die ja meistens auf Englisch. In meiner Eigenschaft „als jiddischer Pop-Sänger“ bin ich sozusagen eklektisch unterwegs und arbeite mit einer Reihe sehr verschiedenartiger Künstler zusammen. Aber in der Tat, die Jewish Monkeys sind mein eigentliches musikalisches Zuhause. Wir sind drei End-Vierziger, haben vor etwa 10 Jahre angefangen zu jammen, und wenn das hinhaut mit unserem ersten Album inklusive Deutschland-Tour im April, dann könnte es tatsächlich unser zweiter Beruf werden. Ron Boiko ist so wie ich ehemaliger Frankfurter, wir sind seit fast 40 Jahren best friends, und zeitgleich – der Zufall ist manchmal kein Zufall – vor 15 Jahren nach Israel ausgewandert. Er ist Tierarzt und – unser creative mastermind. Er hat die meisten unserer eigenen Songs komponiert und mehr oder weniger alle unsere ungehobelten, GrouchoMarx-mäßigen Texte verfasst. Gael Zajdner, unser Blondling, unser Arier, in Belgien und Spanien großgeworden und als Jugendlicher nach Israel gekommen, ist Psychotherapeut, aber – schau Dir unser Video „Banana Boat“ an – auch ein glänzender Performer, Sänger und Komiker. Der Tel-Aviver Theater- und Filmkomponist Ran Bagno, auf unseren Konzerten und unserem zweiten Video „Caravan Petrol“ am Akkordeon zu sehen, ist unser Musikproduzent. Den lernte ich übrigens über Shantel kennen, als er Ende der 90er öfter mal in Tel-Aviv war. Ran Bagno hat uns sozusagen musikalisch adoptiert und unser Gesangstrio zu jenem unentdeckten Kleinod gemacht, das zum Lachen und zum Tanzen bringt. Auf irgendeinem Konzert-Poster haben wir es mit dem Slogan „Woody Allen goes Klezmer-Punk“ umschrieben.

Statt des Woody-Allen-Slogans kann man in eurer aktuellen Presseerklärung die Selbstbezeichnung als exzentrisches Klezmer-Burlesque Trio finden – und in der Tat ist euch wenig heilig, wie man schon auf eurer EP Oi Amerike! Joe Fleisch presents Yiddish and Non-Yiddish songs from the past, revisited by ElektroYid and the Jewish Monkeys hören konnte. Wie kommt man auf die Idee, ein amerikanisch-jiddischse Einwanderer-Lied wie What Can You Mach? – Sis is Amerike aus den 20er-Jahren zu einer wilden, im wahrsten Sinne des Wortes unorthodoxen Electroklezmerpunk-Nummer umzufunktionieren?

Stimmt. Wie den meisten aufgeklärten Menschen seit Beginn der Aufklärung ist uns nicht allzu viel heilig. Aber ich muss Dich korrigieren. Die Anfang des Jahres releaste EP ist nicht von den Jewish Monkeys, sondern von mir. Insbesondere der Song „What can you mach, sis is Amerike“ ist auf meinem Mist gewachsen bzw. eine Produktion von „ElektroYid“. Mein Partner in diesem Projekt ist der geniale Ori Kaplan, einer der Macher von BalkanBeatBox, die wohl wichtigste Konkurrenz von Shantel im Balkan-Gypsy-Club-Genre. Die melancholisch-ironische Kantoren-Ballade aus den 20er Jahren von dem meisterlichen Aaron Lebedeff über den Stetl-Juden aus der alten Welt, der darüber klagt, sich in Amerika die Schläfenlocken abschneiden zu müssen, den Bart zu rasieren, quasi zum Goi, zum Nicht-Juden zu werden und mitansehen zu müssen, wie die Frauen es wagen, bereits vor der Hochzeit schwanger zu werden; es hat uns unheimlich gereizt das mit unserer hysterisch-witzigen Nummer wieder zu beleben, längst vergangene Geschichte neu zu erzählen. In dem Video geht es mit Bedacht unheilig zu. Erzkonservativ eingestellte oder intolerante religiöse Juden werden sich eventuell auf die Füße getreten fühlen, wenn ich als orthodoxer Jude camoufliert einen chassidischen dirty-dance hinlege, und zwar mit einer blondgefärbtem jungen sexy Lady, die Kabarett-mäßig hie und da so wie ich einen großen schwarzen Hut mit angeklebten Schläfenlocken auf hat und gerade mal mit einem schwarzen Badeanzug bekleidet ist.

Nicht nur What Can You Mach? – Sis is Amerike, sondern auch ein Remake des Wilmouth-Houdini-Klassikers Black but Sweet findet sich auf eurer EP. Beide Lieder dürften auch den jüngeren Clubgängern spätestens seit dem Kosher Nostra-Sampler von 2011 bekannt sein. Was reizt dich daran, die alten Lieder aus der Zeit des organisierten Verbrechens in Amerika, an denen auch jüdische Immigranten einen relevanten Anteil hatten, im neuen Elektrogewand aufzunehmen?

Da wurde ich ganz und gar von Shantel angesteckt, der ja auf Kosher Nostra diejenigen amerikanischen Schlager-Songs kompilierte, welche jüdische Mafiosi eventuell hörten. Der wiederrum war von dem in Wien lebenden israelische Maler Oz Almog inspiriert worden, der die großen Gangster-Bosse der 30er und 40er wie Bugsy Siegel oder Meyer Lansky in großen Farbgemälden festhielt und in Kooperation mit Shantel das Art-Cover dieses aufwändig produzierten CD-Booklets gestaltete. Ein bisschen wird hier auch die Verklemmtheit des deutschen Bildungsbürgers angegangen, dessen Hemmung offen darüber zu reden, daß es da, wo es viele jüdische Emigranten gab, z.B. in den USA der Vorkriegszeit, eben auch organisiertes jüdisches Verbrechen existierte. Uns fasziniert der Spirit jener Generation, die das Glück hatte, zwei bis drei Jahrzehnte vor dem Holocaust aus dem engen, kriegswütigen, tyrannischen, antisemitischen Europa ins große moderne demokratische Amerika zu gelangen und dort eine neue Heimat fand – und ihre Musik mit derjenigen der neuen Kultur vermischte. „Black But Sweet“ stammt im Original von Wilmoth Houdini, einem Sänger aus Trinidad, der in den 30ern das amerikanische Publikum eroberte. Bereits vor Jahren hatte Shantel aus dieser Melodie im Zuge seiner sehr erfolgreichen Buccovina-Compilations „den“ Buccovina-Track schlechthin gemacht, ein gesangsloses, rhythmisches „Instrumental“, dem dann ein ganz phantastischer Elektro-Remix seines alten Freunds und Partners Daniel Haaksman folgte; ein Stück, welches in der Mitte der Zeroes, so zwischen 2004 und 2007 in den Clubs ein oft gespielter und getanzter Insider-Hit war. Mit unserem Klezmer-Flair und dem Gitarren-Surf-Rock der Tel-Aviver Band BoomPam haben wir uns dann, dem Beispiel Shantels folgend, darauf gestürzt, uns nicht davor gescheut es ihm nachzumachen und dieses wehmütige und getragene Liebeslied ebenso in eine Tanznummer umzuwandeln, diesmal aber ganz anders, indem wir mit unseren lebensfrohen Männer-Gesang den seltsamen Trinidad-Englisch-Song-Text von damals eins zu eins nachsangen.

Da ist der Grad vom modernen Remake zur Parodie nicht weit …

Eine Klezmer-Parodie beim Cover der Jewish Monkeys gibt es eigentlich nur im Finale, wo mir meine Band die Ehre erweist mit einem „oi jogi dogi dogoy“ -Kauderwelsch-Gibberish tatsächlich geradezu tollwütig-jaulend unseren Song zu beenden, was im Übrigen bei unseren Konzerten jedes Mal wunderbar mitreißend auf das Publikum wirkte. Davor ist unser „Black but Sweet“ – ich wiederhole mich – „ganz normaler“ Klesmer-Gitarren-Rock, mit dem wir einen alten englisch-sprachigen Trinidad-Love-Song neu interpretieren.

Und ich halte die Interpretation für sehr gelungen! Von Black but Sweet gibt es jetzt auch einen Schwarz-Weiß-Clip, der von den Regisseuren Guy J. Bolandi und Asaf T. Mann umgesetzt wurde. Und natürlich werden auch hier wieder so einige kleine bis mittelgroße Sakrilege an traditionellen bzw. religiösen Riten begangen …

Absolut. Mann und Bolandi, die beiden Regisseure laufen mit ihrem Humor kongenial zu den Jewish Monkeys. Ich zitiere aus meiner anlässlich des Video-Release upgedateten Seite JoeFleisch.de: „In ihren eleganten Anzügen, Westen, Mänteln und Borsalino-Hut erinnern die Jewish Monkeys an afro-amerikanische oder italienische Mafia-Stereotypen, aber auch – an religiös-konservative Juden auf dem Weg zur Synagoge. Während sie ihren Refrain in Houdinis Trinidad-Englisch schmettern: She is black and only, and that is all, when men meet her, they bound to fall, until her Mammy doesn´t sleep, oh Lord, sind ihre Körper und Köpfe rundum in schmale Lederriemen eingebunden; eine humorige Anspielung auf das Morgengebet religiöser Juden, welches mit um Arme, Hände, Finger und Stirn gewickelten Gebetsriemen verrichtet wird und damit den Gottesbund symbolisiert“. Und dann zitiere ich nochmal aus einem bislang unveröffentlichten Text von mir: „Neben den drei Sängern der Jewish Monkeys stellt das äthiopisch-israelische Photo-Modell Sarit Taraka sozusagen das Objekt der Begierde dar, die geliebte und besungene schwarze Schönheit, die zu Anfang des Videos wie eine Priesterin auftritt, als sie eine brennende Kerzen-Reihe weihevoll ausbläst. Sobald dann Joe Fleisch in der Mitte des Songs seine Solo-Nummer singt, vermischen sich religiös und pornographisch anmutende Elemente. In langen, weißen Unterhosen, dunkler, eleganter Weste und weißem Hemd langt er, in einem Polstersessel zurückgelehnt, spielerisch nach der ihn umtanzenden Schönheit, eine Szene, die an den Freier denken lässt, der sich an seinem Call-Girl vergnügen möchte. Einige Male spreizt er erwartungsvoll seine Knie auseinander und presst sie wieder zusammen, bis dann, in einem plötzlichen Szenenwechsel, die eben noch als erotische Gespielin erscheinende Lady wieder in Priesterinnen-haftes, rituelles Gehabe verfällt, mit einem Hackmesser in der Hand auf ein geköpftes, geschlachtetes Huhn zugeht, und – an das Tieropfer-Klischee anlehnend – mit einem, weit ausholenden Schlag das tote Huhn zerlegt, woraufhin quasi ein heiliger Regen vieler abgehackter Hühnerbeine folgt. Kastration oder Koitus? Der Lustmolch seiner Manneskraft entledigt oder eine Allegorie auf die Art und Weise, wie dem Freier sexuelle Erleichterung widerfährt? All das gepaart mit einem absichtlich zynisch gehaltenen Hinweis auf unsere Fresskultur, die bekanntermaßen seelenlos und brutal, KZ-mäßig zusammengepferchte Hühner in den Hühnerfleisch-Fabriken sich ihren baldigen Schlachtungen entgegenquälen lässt?“ Wie gesagt, soweit aus einem Text von mir, wo ich den Versuch gemacht habe, mich mit meiner Interpretation diesem herausfordernden und sarkastischen Video anzunähern. Gute Kunst lässt Raum für viele Interpretationen zu, und ich kann nur sagen, daß ich stolz bin, Teil dieses Kunstwerks meiner beiden Freunde Guy Bolandi und Assaf Mann zu sein.

Bei solchen Interpretationen wird mein Job ja nahezu überflüssig! Danke erst einmal für den Einblick in deine Textwelten. Was mich aber vor allem umtreibt ist etwas anderes: Das Debütalbum der Jewish Monkeys soll 2013 erscheinen, vorher aber können wir uns zu Weihnukka schon dein Soloalbum Joe Fleisch sings Songs. 9 in Yiddish, 1 in English unter den Tannenbaum legen (lassen). Du hast über das Album selbst geschrieben: „So würde sich jüdische Pop-Musik angehören, hätte der Holocaust niemals stattgefunden“. Wieso eigentlich würde, frage ich mich hier: So hört sie sich doch an!

Oh je, das mit Weihnachten/Chanukka wird wohl nicht mehr klappen, weil mein Label EssayRecordings befürchtet, daß eine solche Besonderheit wie das JoeFleisch-Solo-Album zu sehr im Weihnachtsrummel der „Best of“-Alben der Musik-Titanen untergehen würde. Ja, und so lieb es auch ist, wenn Du sagst, „So würde sich jüdische Pop-Musik anhören, hätte der Holocaust niemals stattgefunden? So hört sie sich doch an!“ Auf die Gefahr hin, „wieder mal“ die Holocaust-Horror-Schiene zu fahren, die Shoah, wie man im Hebräischen sagt, hat die Kultur des osteuropäische Judentums, wie es sie vor dem Krieg gab, schlicht und einfach ausgelöscht. Hätten Hitler und seine Nazi-Schergen es niemals geschafft uns Deutsche zu verhexen und den zweiten Weltkrieg plus Juden-Genozid und andere Menschheitsverbrechen zu entfesseln, es gäbe heute z.B. in Polen, Ungarn und Rumänien einige Millionen Menschen mehr, die genau diese Musik hören wollten und einige Tausend Musiker mehr, die genau diese Musik gemacht hätten. Man stelle sich vor, aus irgendeinem unerfindlichen Grunde wäre ein riesiger Meteor oder sagen wir mal 15 Atombomben auf das Großbritannien der 40er Jahre gefallen. Hätte es dann Brit-Pop gegeben, und noch dazu in diesem immensen Ausmaß? Selbst wenn irgendeiner meiner jiddischen Pop-Songs zu einem Hit wird, so z.B., wenn ich den deutschen New-Wave-Schlager der 80er „Dadada“ mit meiner Elektro-Pop-Version „Daidaidai“ wiederauferstehen lasse oder den Blödel-Schlager „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ ins Jiddische übersetze, sowie den „Eisbär“ von Grauzone aus dem Jahre 1981, das Non-Plus-Ultra der Neuen Deutschen Welle, auf Jiddisch heißt der Song jetzt „Waysser Behr“, die letzteren beiden übrigens als Italo-disco-Produktionen mit den Jewrhythmics; am Ende des Tages ist die Musik, die ich mache, eine Auflehnung gegen die Geschichte. Sie ist deswegen ein absolutes Nischenprodukt, weil ihre hauptsächliche Zielgruppe vor siebzig Jahren sozusagen per Insektenvernichtungsmittel aus dem Weg geräumt wurde.

Das heißt, so normal ist „ganz normaler Klezmer-Gitarren-Rock“ heute dann wohl doch nicht. Das nehme ich als Schlusswort und bedanke mich herzlich für die offenen Worte.

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