23. März 2014

Ein Rettungsboot voller Lieder: jo_berlin und illute im Panda-Theater

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 11:45

Was für ein Kontrastprogramm! Am Vorabend noch Mascagnis Cavalleria rusticana und Leoncavallos Bajazzo in der Inszenierung David Pountneys unter der musikalischen Leitung von Cornelius Meister in der Deutschen Oper Berlin gesehen – und heute dann jo_berlin und illute. Keine Angst, ich verschone Sie hier mit einer Opernkritik, erlaube mir aber, beide Stücke mit je einem dem Popkosmos entlehnten Zitat zusammenzufassen. Da wäre erst einmal die Cavalleria rusticana, und es liegt auf der Hand: Whatever Lola wants, Lola gets! Dann der Bajazzo: Drama, Baby, Drama! Wer ein Faible für die italienische Oper schwurbelig-spätromantischer Provenienz samt ihrem plakativen, ja: melodramatischen Verismus hat, weiß, wovon ich rede. Kurz: Es war ein Fest. Und damit sind wir auch schon beim Thema, denn ein Fest war auch der vergangene Samstagabend, wenngleich grundsätzlich anderer Natur, kann man doch übersteigerte Emotionalität, Sentiment und überhaupt Dramatik weder jo_berlin noch illute vorwerfen.

Bevor ich weiterschreibe, möchte ich noch mögliche Interessenkonflikte offenlegen, denn bei den neuen Platten beider Künstler habe ich meine Finger im Spiel. So ist illutes So wie die Dinge um uns stehn die erste Veröffentlichung, deren von mir verfassten Waschzettel – also das Begleitschreiben, das Journalisten mit dem Rezensionsexemplar erreicht – ich mit meinem Namen gezeichnet habe. Viele Kollegen schreiben diese Texte, die meisten verzichten aber auf Namensnennung, da man sich ja nicht dem Ruch aussetzen will, sich mit (s)einer Sache gemein zu machen oder, bewahre, gar Redaktion und Promotion auf unzulässige Weise zu vermischen. Ich dagegen glaube mittlerweile, dass es durchaus legitim ist, für eine gute Sache die Werbetrommel zu rühren – und Platten von illute sind immer eine gute Sache, angefangen von ihrer allerersten EP bis zu ihrem Auftritt bei und mit The Stewardesses.

Mehr noch: Ich betrachte es als Ehre, wenn einem Künstler meine Texte so sehr gefallen, dass er bei mir danach anfragt. Bei der Novemberticket-EP von jo_berlin, der den Samstagabend für illute eröffnet hat und dem ich auch privat in Freundschaft verbunden bin, habe ich, kurz gesagt, fast alles gemacht – bis auf das Wichtigste, die Musik. Warum? Ich bin ganz verliebt in die Lieder von jo_berlin, seit ich sie zum ersten Mal gehört habe. Nicht ohne Grund habe ich ihnen vor zwei Jahren in meiner Klangköpfe-Serie viel Platz eingeräumt! jo_berlin findet Bilder, die nicht unbedingt naheliegen, Andeutungen, die immer mehr meinen, als sie sagen, und schreckt auch vor den ganz großen Begriffen nicht zurück, die anderen zu emotional oder gar pathetisch scheinen. Wer etwas auf seine Coolness gibt, verwendet die nicht. Und genau das mag ich an jo_berlin: Er ist nicht cool. Und damit viel cooler als alle, die cool sind.

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Teilen sich nicht nur die Bühne, sondern auch den Plattenkoffer: jo_berlin & illute

Nicht zuletzt ist jo_berlin auch derjenige, der illutes erstes Album Immer kommt anders als du denkst als „lebensrettende Platte“ bezeichnet und damit eine seither vielzitierte Phrase geprägt hat. Und letzten Samstag hat sich dieser Kreis mit einem gemeinsamen Auftritt beider Musiker nun endlich geschlossen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich war, all diese Lieblingslieder hören zu dürfen, live, an ein und demselben Abend. Und während jo_berlin das Konzert für illute eröffnet, kann ich zum ersten Mal am eigenen Leib erfahren, was genau es mit dem lebensrettenden, wobei ich lieber sagen möchte: heilenden Aspekt von illutes Musik auf sich hat, und zwar nicht nur im wörtlichen Sinne – ist doch meine Erkältung spätestens bei den letzten beiden Stücken des Abends vergessen -, sondern auch im übertragenden. Aber dazu später mehr. Erst einmal erfreut jo_berlin, der als ehemaliger Frontmann einer englisch-sprachigen Grunge-Band in der Hauptstadt nicht nur seinen neuen Namen, sondern auch seine ureigene Sprache gefunden hat, mit dem Blick des Zuzüglers, der Berlin dank seines Brotjobs aus einer Perspektive zu sehen bekommt, die selbst die meisten hier Geborenen nicht kennen dürften. Nicht nur im Lied findet er schöne Worte, sondern auch in der Ankündigung. Et voilà: Novemberticket! Und für die, denen das zu depressiv ist, wirft er schnell noch den Stein ins Meer hinterher, der sich in den nächsten Tagen – gib mir dies, gib mir das/aber gib mir irgendwas – noch als verdammter Ohrwurm erweisen soll.

Und dann kommt auch schon illute und fängt ohne größere Umbauten, Umstände oder Pausen gleich mit einem Lieblingssong ein: Sichtbar, den sie, wenn ich mich nicht täusche, schon auf der Tour mit den Stewardesses gespielt hat. Ich ärgere mich, denn ich stehe noch in der Schlange vor dem einzigen (!) Unisex (!)-Klo, das nach Auffassung des Panda-Theaters knapp einhundert Leute versorgen soll. Schade, gibt es eben kein Video von Sichtbar. Ich grummele noch eine Weile vor mich hin, bis mich ein zweistimmiger a capella Loop Song im Duett mit Geigerin Danielle Grimm betört, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Was kann man dazu mehr sagen als zauberhaft!

Ohnehin steht der ganze Abend – Stichwort Loop Song – im Zeichen der Klangschleifen, nicht nur im konkreten, sondern auch im übertragenden Sinn, er hallt nach, findet Anknüpfungspunkte zum Alltag und kommt in der Erinnerung immer wieder momentweise hoch. Ich ertappe mich dabei, Ausklang des Abends noch tagelang vor mich hinzusummen. Mein Matrose, ein, verzeihen Sie die Wiederholung, zauberhaftes Wiegenlied, von dem ich wünschte, es wäre mir eingefallen.

An maritimen Bildern herrscht auch sonst kein Mangel bei illute, weder auf ihrem aktuellen Album So wie die Dinge um uns stehn, wo mal der „Horizont bleibt, wo er immer war“, mal „Kein Land in Sicht“ ist oder „die Hoffnung über Bord“ fällt, noch auf dem Vorgängeralbum Immer kommt anders als du denkst, auf dem sich mit My Music Is A Boat mein persönliches illute-Lieblingslied aller Zeiten versteckt. Hier toll mit großer Band – Daniella Grimm an der Violine, Jacob Przemus am Schlagzeug, Philipp Schwendke am Bass und als Special Guest zu meiner besonderen Freude einer großartigen Julia A. Noack an den Vocals – und, um im Bild zu bleiben, voller Maschinenkraft:

Nicht nur, dass ich an diesem Abend vor illute auch als Sängerin ganz neuen Respekt bekommen habe – sie kann eben nicht nur diese niedlichen Songminiaturen, für die sie bekannt ist und denen dank ihrer aus dem Spielzeuginstrumentarium rekrutierten Begleitung wie Melodica oder Ukulele immer auch etwas ganz Kindliches innewohnt -, auch hat der Song für mich an diesem Abend eine ganz persönliche Bedeutung angenommen und mich im Schnelldurchlauf gelehrt, mich auf das, was illute hier „my music“ nennt und was Sinnbild nicht nur für die Musik, das Schreiben, die Arbeit, sondern auch das täglich zu lebende Leben sein kann, zu konzentrieren. Wem die Alltagsaufgaben, in denen er aufgeht, sein Boot sind, segelt damit fort, den Fahrtwind in den Haaren, und derjenige, der ihn kürzlich sehr geärgert hat, wird langsam aber sicher immer kleiner und unbedeutender. Treffender als mit „my music is a boat on the water/the wind is in my hair and you are getting smaller“ hätte ich das auch nicht ausdrücken können, und obwohl ich keine Ahnung habe, ob es das ist, was illute mit diesem schönen Bild beschreiben wollte, fühlt es sich für mich richtig an und selbst mich von dem Lied verstanden, in ihm aufgehoben und getröstet. illute versteht es, die Dinge, die uns umtreiben, in einfache Reime zu kleiden, die einen Mantra-artig durch die Tage, vor allem die weniger guten, leiten. Das ist es, was jo_berlin gemeint hat, als er von den lebensrettenden Liedern der illute sprach, die in keine musikalischen Hausapotheke fehlen dürfen.

5. März 2014

Jazzahead! 2014: Dänischer Jazz, wie er ist

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 10:30

Wenn es einen Grund gibt, den Klangblog kurzzeitig aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken, dann ist das fraglos die Jazzahead!, Fachmusikmesse und alljährliches Familientreffen der Branche in Bremen. Da ich dieses Jahr sabbaticalbedingt nicht dabei sein werde, folgte ich kompensatorisch der Einladung der Königlich Dänischen Botschaft ins Felleshus der Nordischen Botschaften Berlin, um mir bei einem Presse-Event einen kleinen Vorgeschmack auf die diesjährige Messe und besonders auf die Jazzszene Dänemarks, das als erstes nordisches Partnerland der Jazzahead! auftritt, abzuholen.

Das Verhältnis von vier Frauen zu fünf Männern ist für Jazzverhältnisse nahezu revolutionär; alldieweil komme ich nicht umhin festzustellen, dass ich der einzige Schreiberling unter den Anwesenden bin. Ansonsten tummeln sich vor allem Booker, Konzertveranstalter und Co. zwischen den Kulturattachés. Eine große Freude ist es, Sybille Kornitschky von der Jazzahead! wiederzutreffen. Nach einem kurzen Grußwort des dänischen Botschafters Per Poulsen-Hansen präsentiert sie uns stolz das kleine Jazzahead-Büchlein, das dieses Jahr die verschiedenen Programmhefte und -flyer ersetzt und alle Informationen kompakt bündelt. In der Tat ist es so schön geworden, dass ich beim Blättern mit jeder aufgeschlagenen Seite aufs Neue bedaure, Ende April nicht in Bremen dabeisein zu können.

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Vor allem auch, da Dänemark als viertes Partnerland auf dieser nunmehr neunten Jazzahead! mit so einigem Hörenswerten aufwartet – aber dazu später mehr. Die Aufteilung in die Nacht des Partnerlandes, die Overseas Night, die German Jazz Expo und das European Jazz Meeting folgt bekannten Mustern – und auch bekannte Gesichter treffen wir wieder, Beispielsweise Bartmes oder Slixs mit Katharina Debus, die wir als Stimme von FrauContraBass kennen, bei der German Jazz Expo, Charnett Moffett bei der Overseas Night, Nils Wogram’s Root 70 & Strings beim European Jazz Meeting, und, oh ja!, da war ja noch die Skoda Clubnight, die diesjahr mit Acts wie Lisa Bassenge oder dem Vazana Trio aufwartet, wobei ich mich über Letzteres ganz besonders freue, da die israelische Sängerin, Pianistin und Posaunistin Noam Vazana bei den Jamsessions der letztjährigen Messe kennen- und schätzen gelernt habe.

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In Bremen geht das als Partnerlandprogramm bezeichnete Kulturfestival allerdings schon früher los, genau genommen am 13. März beim großen Eröffnungsabend mit dem Danish String Quartet, das, folgt man Kornitschky, „so gar kein Jazz ist“. Das Kulturfestival, das sich bis weit in den Mai ausdehnt, gehe eben weit über Jazz hinaus – und auch weit über Musik. Da gibt es Theaterveranstaltungen wie Der perfekte (dänische) Abend, dänische Krimi-Kurzgeschichten, Märchen von H.C. Andersen und mehr. Purer Zufall hingegen sei, dass der diesjährige Preisträger des Jazzahead! Skoda Awards, der Fotograf Jan Persson, auch Däne ist. Dessen Fotografien von Miles Davis & Co. sind von Ende April bis Anfang Juni in den Artdocks zu bewundern. Eine weitere Überraschung ist das Line-up des diesjährigen Galakonzerts, das traditionellerweise in der Glocke stattfindet. Wo mich voriges Jahr Avishai Cohen nahezu weggeblasen hat, gibt sich diesmal das Aarhus Jazz Orchestra mit Gitte Haenning ein Stelldichein, die man hierzulande ja nun auch nicht unbedingt als Jazzsängerin kennt. Was sie aber recht eigentlich ist.

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Neu ist 2014 neben der Einführung eines sogenannten Farewell-Konzerts, dass man auf der Jazzahead! die zunehmende Nachfrage aus den USA wohlwollend zur Kenntnis nimmt und ihr im Rahmen der Overseas-Night entsprechenden Raum gibt. Die bislang sechs Konzerte werden um zwei erweitert. Auf meine besorgte Frage hin gab man aber deutlich zu verstehen, nicht zur internationalen Plattform werden zu wollen und dem Hauptfokus auf Europa treu zu bleiben. Dies beweist schon die Wahl des Partnerlandes, wobei der Europabegriff mit den bisherigen Partnerländern Türkei, Spanien und Israel hier eher politisch denn geografisch und auch sonst im weitesten möglichen Sinne gefasst wird. Vom diesjährigen Partnerland Dänemark berichtet Lars Winther, Sekretariatsleiter von JazzDenmark, der auch den Jazzbegriff im weitesten Sinne verstanden wissen möchte. Schließlich sei es schwierig, die Frage, was zeitgenössischer dänischer Jazz sei, zu beantworten. Historisch sei Dänemark zwar immer oder immer wieder Heimat verschiedener Jazzgrößen gewesen, doch schreite die neue Generation, wenn auch nicht völlig losgelöst von diesen Traditionen, so doch traditionsbefreiter voran.

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Natürlich fänden sich nach wie vor durch die musikalische Historie bedingte skandinavische und amerikanische Einflüsse, und, so Winther weiter, „it’s always hard to describe Danish or Nordish Jazz“, denn allzuschnell rutscht man beim Versuch der Beschreibung in den – durchaus verkaufsfördernden – Klischeekosmos rund um Begriffe wie Distanziertheit, Düsternis, Kühle, Fragilität oder Melancholie ab. So finden sich unter den acht dänischen Formationen mit dem Trio des Pianisten Søren Bebbe auch genau jene Soundlandschaften, die man sich landläufig unter „nordischem“ Jazz vorstellt. Aber da sind eben auch noch groovebetonte Projekte wie die Band Phronesis um den Bassisten Jasper Høiby oder das 26-köpfige Mammut-Orchester Blood Sweat Drum + Bass, dassein Publikum mit der Gewalt von vierzehn Bläsern von den Stühlen reißt. Das sich mit Haut und Seele dem Blues verschrieben habende Snorre Kirk Quintet. Die ebenfalls fünfköpfigen Girls in Airports, die auf der Suche nach Inspiration auch schon mal durch die Klangkulturen Afrikas und Asiens marodieren.

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Und natürlich Ibrahim Electric, die mit E-Gitarre, Hammondorgel und Schlagzeug das weite Feld zwischen Psychedelic Soul, Afrobeat und Punk beackern – eben „the whole range of Danish Jazz“, den man hier so versucht zu repräsentieren, wie er ist. Und nicht, wie andere ihn haben wollen. Zu Ibrahim Electric, die mit einem Kurzauftritt zeigen, wofür wir hier so mühsam nach Worten ringen, fällt Winther dann noch ein: „In the old days, Jazz was something you could dance to. Ibrahim Electric play something you can even stage-dive to!“ So toll – und vor allem laut – das alles auch ist: Zu meinem Bedauern fehlen hier Künstler wie Kira, die meiner Meinung nach durchaus das Galakonzert hätte bestreiten können, oder Lasse Matthiessen, den ich mir auf der Clubnacht gut hätte vorstellen können, was Fragen nach der Repräsentabilität solcher Länderschauen ebenso aufwirft wie jene nach persönlichem Geschmack.

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Dafür haben die dänischen Jazzexporteuren gezeigt, dass sie Traditionen respektieren. Anstatt der üblichen CD, die einen Querschnitt der aktuellen Jazzszene birgt, setzt man hier auf 180-Gramm-Vinyl in handnummerierter, limitierter Auflage. Mit Nummer 5 von 300 werde ich mich trösten, während Sie für mich bitte die Messe besuchen. Weitere Informationen gibt es unter www.jazzahead.de

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