Es geht nicht um die Musik: Sir Bob Geldof sagt Ebola den Kampf an – klangverführer | Musik in Worte fassen

Es geht nicht um die Musik: Sir Bob Geldof sagt Ebola den Kampf an

Sir Bob Geldof ist unzufrieden. Richtig unzufrieden. Und unleidig obendrein. Das liegt nicht nur daran, dass er, seit vor drei Wochen die UNO bei ihm anfragte, ob er nicht zugunsten der Ebola-Bekämpfung eine Neuauflage seines dreißig Jahre alten Band-Aid-Stückes Do They Know It’s Christmas machen möchte, kaum geschlafen hat, um das Projekt auf die Beine zu stellen. Es liegt vor allem daran, dass er der Meinung ist, dies sei eigentlich kein Job für Popstars. Und er hat recht: Das Thema ist nicht cool. Es ist nicht sexy. Es hat so gar keinen Star-Appeal.

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Legende mit mieser Laune: Sir Bob Geldof in Berlin

Auf einer eilig anberaumten Pressekonferenz im Soho House Berlin kanzelt er die versammelte deutschen Journaillein unter reichlicher Zuhilfename des F-Wortes in einer flammenden Wutrede ab: Zynisch seien die deutschen Journalistenl, versteckten sich hinter professioneller Distanz. Und die deutschen Politiker erst! Stellten sich als reichste Macht Europas nicht ihrer Verantwortung! Und die Manager der großen Firmen! Alles Putin-Anbiederer! Niemand blieb von Geldofs Rundumschlag verschont, der jetzt auch noch den Märtyrer gibt: Warum müssen es immer die Musiker sein?, grantelt er, und: „Do your fucking job!“ Dass er sich damit nicht unbedingt in die Herzen der Anwesenden redet, ist ihm herzlich egal. Dieser Mann hat es schon längst nicht mehr nötig, sympathisch rüberzukommen – auch dann nicht, wenn es seinem Projekt, um dessen Unterstützung er schließlich wirbt, nicht schaden könnte.

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Sein Pech, wenn das Telefon klingelt und Sir Bob nicht wegen Fußball anruft, denn dann will er was von ihm: Campino

Deutlich zurückhaltender geriert sich der deutsche Kopf des Band-Aid-30-Projekts, Toten-Hosen-Rocker Campino. Er erzählt von Geldofs Anruf, denn anders als vor dreißig Jahren möchte man diesmal auch Deutschland und Frankreich mit ins Boot holen. Während beim französichen Band Aid Thirty Ex-Präsidentengattin Carla Bruni den Hut auf hat, die wiederum Künstler wie Daft Punk für das Projekt gewinnen konnte, hat Campino nach dem Durchtelefonieren seines privaten Adressbuches auch hierzulande eine beachtliche Zusagenliste generieren können. Nach aktuellem Stand wird eine recht eklektische Auswahl, um nicht von bunter Zusammenwürfelung zu reden, an Künstlern wie 2raumwohnung, Adel Tawil, Andreas Bourani, Anna Loos, Broilers, Clueso, Cro, Die Toten Hosen, Donots, Gentleman, Haftbefehl, Ina Müller, Jan Delay, Jan-Josef Liefers, Jennifer Rocstock, Marteria, Max Herre, Max Raabe, Michi Beck von den Fantastischen Vier, Milky Chance, Peter Maffay, Silbermond, Sportfreunde Stiller, Thees Uhlmann, Udo Lindenberg und Wolfgang Niedecken auf dem Stück zu hören sein, das bis dato noch nicht einmal existiert. Zur Stunde der Pressekonferenz befindet sich die deutsche Fassung von Do They Know It’s Christmas noch im Entstehungsstadium. Dass keiner der Beteiligten weiß, wie die Musik klingen und wie der Text lauten wird, bezeichnet Campino als „Blindflug“ – dass sie sich trotzudem bereit erklärt haben, dafür am kommenden Montag ins Studio zu gehen, beweist für ihn, dass es die Sache sei, die zähle, und nicht die Musik. Potenziellen (Musik-)Kritikern nimmt er damit von vornherein den Wind aus den Segeln: „Es ist eine Spendenaktion und keine künstlerisch ambitionierte Geschichte.“

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Von links: Max Herre, Campino, Sir Bob Geldof, Thees Uhlmann und Patrick Orth vom Toten-Hosen-Label JKP

Für Bob Geldof dagegen ist es auch keine Charity, sondern „deep politics“. Klar, dass ihm die Kollegen von der Politik lieber gewesen wären als jene vom Kulturressort, denn – obgleich die spätestens am 5. Dezember in den Läden stehende Single natürlich ein „fuckin‘ unique moment in German music history“ sei – es gehe hier nicht um die Musik. Die sei völlig nebensächlich und nur dazu gedacht, uns ins Bewusstsein zu rufen, was Ebola in Westafrika anrichte – und dass dies auch hierzulande bald so sein könnte, da die Bedrohung durch die Seuche näher sei als viele glaubten. Völlig unverständlich sei ihm daher, wie Deutschland mehr Geld für ein einziges WM-Fußballspiel ausgeben könne als für die Bekämpfung von Ebola. Es werde einfach nicht genug getan, nicht von der Politik, die ihre diesbezüglichen Versprechen bräche, nicht von den Medien, die nicht nicht annähernd genug berichteten. Dabei wäre es so einfach, würden wir Band Aid Thirty zu einem „National Event“ machen. Einmal mehr beweist Sir Bob, dass er auf etwaige Sensibilitäten der Anwesenden pfeift. Poteziellem Bedenkenträgertum begegnet er mit einer nahezu aggressiv zu nennenden Frageflut: „Why aren’t you leading, your’re the big guys! Why it is Britain or Sweden?“ So beispielsweise würden in England alle Radiostationen, ob sich diese eigentlich der Klassik oder einem anderen Genre verschrieben hätten, am Erscheinungstag morgens um acht Uhr ungeachtet ihrer sonstigen Programmplanung den Song spielen, während der Staat keine Steuern auf die Platte erheben würde. Dies ist es, was Geldof unter einem nationalen Ereignis versteht – und dies ist es, was ihm in Deutschland fehlt. Unsere zarten Einwände lässt er nicht gelten, und man kann sich des Gefühls nicht erwehren, Teil einer ungehorsamen Schülerschaft zu sein, die gerade von ihrem Direktor abgekanzelt wird.

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Kommt kaum zu Wort, zeigt aber Gesicht: Ex-Freundeskreis-Frontmann Max Herre

Bei soviel Wortgewalt kommt den ebenfalls geladenen deutschen Musikern Max Herre und Thees Uhlmann allenfalls eine Statistenrolle zu. Letzterem gelingt es noch zu verlautbaren, der in Entstehung begriffene Song sei „modern und unpeinlich“ und dürfte wohl nicht zuletzt auch „die wohl einzige Platte sein, auf der Max Raabe und Haftbefehl jemals zusammen zu hören sein werden“. Dann übernimmt Sir Bob noch einmal. Der ist auch mit unseren Fragen unzufrieden. Warum wir nicht wissen wollen, was wir wirklich tun können, herrscht er uns an. Einer traut sich dann tatsächlich, dies zu fragen. Wir sollen, so Geldof, jegliche Distanz fahren lassen und uns bedingungslos dem Projekt zu verschreiben. Mit einem markigen „Joins us!“ beendet er seine Tirade und ist schon auf dem Weg zum Flieger, während Mitarbeiter von Universal Music versuchen, die Wogen zu glätten, die er erzeugt hat. Am Ausgang der Pressekonferenz stehen Mitarbeiter von Oxfam, sie haben die wichtigsten Fakten zur Ebola-Epidemie auf einem Mekrblatt zusammengetragen. An Hilfsorganisationen wie diese sollen hundert Prozent der Erlöse der Band-Aid-Sinlge gehen.

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Da macht der Kollege noch schnell ein Bild für’s Privatalbum

Beweisen Sie Bob Geldof, dass wir Journalisten unseren f*?!in‘ Job gut gemacht und die Nachricht verbreitet haben. Kaufen Sie das Stück, verschenken Sie es – und hören Sie für den erwartbaren Fall, dass es kitschig und käsig und schlichtweg schlimm klingt, einfach weg. Denn, wie wir jetzt ja wissen: Es geht nicht um die Musik.

Nachtrag vom 18. November: Fürs Nichthören bezahlen

Nach Geldofs jüngsten Ausfällen – im Telegraph gibt es unter dem Titel Why Adele was right to ignore Bob Geldof and Band Aid einen gelungenen Kommentar – sehe ich mich gezwungen, wieder professionelle Distanz walten zu lassen und meine Kaufempfehlung zu revidieren. Wer – wie Adele – spenden möchte, tue dies ganz privat und ohne dass sich Sir Bob mit der Summe brüsten kann, die ihm ohnehin keinen Dank, sondern nur weitere Beschimpfungen wert ist. Der Gegenwert der Single lässt sich beispielsweise trefflich an Oxfam Deutschland e.V. überweisen, IBAN DE60370205000008090501, BIC BFSWDE33XXX, Stichwort Ebola

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