Der Unvorhersehbare. Till Brönner im Klangverführer-Interview – klangverführer | Musik in Worte fassen

Der Unvorhersehbare. Till Brönner im Klangverführer-Interview

Gestern wurde im Berliner Stadtmagazin zitty mein Till-Brönner-Portrait veröffentlicht. Das Gespräch, auf welchem es basiert, möchte ich Ihnen unter meinem ursprünglich für den Text gewählten Titel „Der Unvorhersehbare“ nicht vorenthalten. Ich traf den Musiker Anfang Dezember im von A-Trane-Betreiber Sedal Sardan geführten Jazzcafé Grolman, um mit ihm im Rahmen seiner aktuellen Platte The Movie Album über Klassiker der Filmmusik zu sprechen, aber auch über die prekäre Situation des Berliner Publikums und nicht zuletzt über so manch unerträgliche Seichtigkeit des Jazz. Viel Freude damit!

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Klangverführer: Ihre aktuelle Platte The Movie Album widmet sich ganz der Filmmusik – sind Sie ein Cineast, Herr Brönner?
Till Brönner:Ich bin sicherlich keiner, den man als Experten bezeichnen könnte, aber ich liebe Filme und halte ihre Wirkung auf Menschen auch über Generationen für völlig ungebrochen. In einen Film zu gehen, das Gefühl zu haben, dass man jetzt wirklich nichts anderes machen möchte, als sich darauf zu konzentrieren, diese Geschichte zu verfolgen – das ist nach wie vor die große, große Kunst von Filmemachern. Und wenn man mit Leuten aus der Branche zu tun hat, prägt das auch den Geschmack, die sagen einem, das ist was Gutes, das ist was Schlechtes, und warum das so ist. Gerade der internationale Vergleich ist da mitunter spannend, da unsere Landschaft hier traditionsgemäß etwas begrenzt ist. Insofern natürlich – Cineast!

Wenn Sie sagen „natürlich“ – haben Sie dann auch einen Lieblingsfilm?
Ja, das ist „Der alte Mann und das Meer“. Das sage ich relativ häufig – nicht, weil mir nichts besseres einfällt, sondern weil es natürlich in Wahrheit keine Lieblingsfilme gibt. Oder mindestens vier, fünf. Ein guter Film ist eben so ein Stand-Alone-Ding, den kann man eigentlich nicht vergleichen. Aber ich mag Filme, die auch noch Musik, Farbe, Bild und letztlich auch Fantasie pflegen, und wenn das Ganze dann noch auf ’nem Hemingway-Roman basiert, dann ist für mich Weihnachten! Obwohl dieser Film schon sehr, sehr alt ist, würde ich mir wünschen, dass man heute auch noch sowas macht!

Sie haben gerade die Mischung zwischen Bild und Musik angesprochen. Was macht für Sie den Unterschied aus zwischen Filmmusik, die nur mit den Bildern funktioniert, und solcher, die man eben auch völlig losgelöst davon hören kann?
Die beste Filmmusik ist immer die, die man gar nicht bemerkt. Sie ist so perfekt, dass man ganz in der Geschichte klebt. Die für mich höchste Kunst ist es, Musik zum Film zu schreiben, die auch ohne den Film funktioniert, und das ist eben Komponisten wie Ennio Morricone, Dimitri Tiomkin und all diesen großen Schreibern … auch Gerry Goldsmith … gelungen! Bei John Williams kommt das Wissen, die Ausbildung, sein symphonischer Hintergrund zum Tragen. Solche Filmmusik hat das Zeug dazu, in die Annalen einzugehen. Man denkt, dergleichen sei heute altmodisch – dann hört man es und ist genauso begeistert wie früher. Ich erinnere mich an Filme wie beispielsweise „Catch Me If You Can“, im Prinzip nostalgisches Kino, und alle applaudieren und sagen, wie schön!

Fallen Ihnen noch weitere Beispiele ein? Sie sagen ja, solche Highlights gibt es heutzutage kaum noch …
„Catch Me If You Can“ ist eines. Natürlich keins aus der allerjüngsten Vergangenheit, da muss man sich wahrscheinlich eher so dem Programmkino und auch dem Off-Kino zuwenden, aber da kommt aus Europa sehr häufig guter Stoff. Natürlich französische Filme oder auch spanische, die Filme von Woody Allen, der zwar in letzter Zeit aus ganz anderen Gründen mit vielen Fragezeichen versehen sein mag, der aber seine Vorlieben seit ewigen Zeiten hochhält und als Jazzfan die Originalaufnahmen einsetzt. Faszinierend.

Sie haben gerade die großen Komponisten der alten Garde angesprochen, Morricone oder Nino Rota, dessen „Godfather Waltz“ Sie auf Ihrem neuen Album spielen. Was, habe ich mich beim Hören der CD gefragt, veranlasst einen dazu, diesen großen Scores solche Schmachtfetzen wie „Run To You“ oder „My Heart Will Go On“ gegenüberzustellen? Wieso tut man das?
Solche Songs sind nicht umsonst so erfolgreich geworden und sie funktionieren nach einem klassischen, alten Schema. Sie sind Brückenschläger und reihen sich ein in eine lupenreine Kategorie von Film, wie ich sie beschrieben habe. Ein guter Song ist ein guter Song! Das Problem ist eher, dass er so erfolgreich geworden ist. Man kann ihn irgendwann einfach nicht mehr hören. Dem Vergleich halten beide jedoch klar stand.
Als man damals bei „Frühstück bei Tiffany’s“ den großen Henry Mancini beauftragte, da war das, was er schrieb das Hippste, was man hätte komponieren können. Dass es noch heute eine solche Frische hat, war hingegen nicht vorhersehbar. Wenn heute etwas in diese Richtung klingt, kriegt man trotzdem immer den Nostalgie-Kommentar, dabei frag ich mich, ist das nostalgisch, oder ist das einfach nur gut und zeitlos? Eine spannende Frage. Und dass „My Heart Will Go On“ jetzt eine Melodie ist, die man sogar auf der Trompete spielen kann, das hätte ich ursprünglich gar nicht gedacht, das war mir fremd. Ob ich es noch einmal machen würde, das steht auf einem anderen Blatt (lacht).

Das heißt, das Auswahlkriterium der Stücke fürs Movie-Album war eine zeitlose Qualität?
Ja. Und die Songs mussten eine Melodie haben, die sich für die Trompete eignet. In vielen Fällen ging es um die Frage, was können wir daraus eigentlich nehmen und für die Trompete adaptieren – und einige fallen dann eben auch raus.

Was hätten Sie denn, wenn es sich für Trompete geeignet hätte, gern gespielt, mussten aber darauf verzichten, weil es sich nicht geeignet hat?
Wenn ich etwas gern gespielt hätte, hätte ich es auch aufgenommen! Wobei es natürlich Stücke gibt, die einfach nicht passen. Nach wie vor finde ich die Filmmusik von Jerry Goldsmith oder von „Rocky“-Komponist Bill Conti genial. Aber wenn ich jetzt das Rocky-Theme „Gonna Fly Now“ als Trompetennummer aufgenommen hätte, das wär‘ dann eher peinlich geworden. Es eignet sich trotzdem für die Trompete. Mit Boxhandschuhen gespielt eine echte Herausforderung! (lacht).

Das wäre auf jeden Fall … ähem … interessant geworden.
Na, vielleicht auch nicht.

Auf dem Movie-Album ist auch das Deutsche Symphonie Orchester Berlin zu hören, und demnächst gehen Sie auch mit Orchester auf Tournee …
Ja, aber nicht mit dem Deutschen Symphonie Orchester. Es ist der größte Luxus, mit diesem Ausnahmeklangkörper Berlins immer mal wieder CDs aufnehmen zu dürfen, für die Tour ist es aber so, dass wir gerade das Till-Brönner-Orchestra gründen und das 2015 der Öffentlichkeit vorstellen werden. Das ist ein langgehegter Traum von mir. Das gibt mir mehr Möglichkeiten, die Ära des Jazz, die über Jahrzehnte die unterschiedlichsten Blüten getrieben hat, neben den Sachen, die mich persönlich ausmachen, einfach auch musikalisch abbilden zu können, ohne zu limitiert zu sein. Letztlich komme ich ja von der Big Band!

Versteht sich das Till Brönner Orchestra als Bigband oder ist es eher ein Streichorchester?
Es ist eine Big Band mit Streichern. Im Prinzip also eine größer besetzte Big Band, die aus ungefähr 22 Personen bestehen wird. Das ist für ein tourendes Ensemble relativ viel. Eine richtige große Bläsersektion, Streicher auf der anderen Seite, Percussion, die Rhythmusgruppe, Licht und Programming … Man kann das durchaus auch als eine Art dreihundertsechzig-Grad-Reise durch mein bescheidenes Schaffen ansehen.

Wie trägt sich so eine gigantische Produktion heutzutage?
Indem man Leute zusammenruft, die wissen, wie man so etwas kalkuliert. Man darf, glaube ich, dort keine Fantastereien an den Tag legen, das erfährt man immer wieder, und die Grenze dessen, wo so etwas kippt, ist schneller erreicht, als man denkt. Zweiundzwanzig Mann auf der Bühne, die alle proben, alle am Abend mit einer Gage nach Hause gehen sollen – wenn man die Tickets gegenrechnet, muss einfach eine bestimmte Anzahl von Leuten da sein, sonst sollte ich nur mit einem Mikro und einem Stuhl bewaffnet auf die Bühne gehen. Ich bin aber kein Comedian.

Dafür sind Sie aber unter die Fotografen gegangen! Der Jazzguide Berlin 2014 hat sogar ein Foto von Ihnen als Titelbild ausgewählt. Inwieweit fühlen Sie sich berufen, die Berliner Jazzszene abzubilden, was macht für Sie die Berliner Jazzszene aus, wo sehen Sie Potenziale, wo Probleme?
Das ist eine schöne Berlin-Frage, die man auch mal stellen sollte. Meine Berufung ist nicht, die Berliner Jazzszene abzubilden, auch wenn ich mich freue, ab und zu solche Portraitfotos zu machen, noch dazu von geschätzten Kollegen. Das ist momentan mein Anliegen. Die Berliner Jazzszene ist eine, die sich mittlerweile wirklich international sehen lassen kann. Was Künstler noch genießen in dieser Stadt – und es ist nicht leicht, aber wirklich besser geworden in den letzten Jahren – ist die Location-Dichte. Günstige Wohnungen für einen Künstler, der nicht dauernd verkauft und um den sich nicht jeder reißt. Wenn er kompromisslos Kunst machen möchte, ist das hier für ihn immer noch toll. Der Ruf von Berlin ist im Ausland viel, viel besser als das, was man hier manchmal vorfindet. Das weiß der Berliner auch, deswegen darf man sowas offen sagen. Wir müssen im Auge behalten, dass man mit Berlin Weltklasse verbindet. Man misst uns mit den Metropolen der Welt. Das verpflichtet.

Woran liegt das, dass wir noch nicht da sind, was machen wir falsch?
Berlin hat einfach kein Geld. Und keine Industrie. Hier zu sein – das war immer leicht. Hier von etwas zu leben war immer schwer. Und aufgrund der Zeit vor der Wende haben sich hier noch viele Jahre diverse Amateur-Clubs auf allen möglichen Gebieten gehalten, die unter sich geblieben sind und teilweise auch nach dem Mauerfall noch versuchten, so eine Gemütlichkeit, fast schon gewerkschaftsartig, am Leben zu erhalten, damit die neuen Einflüsse nicht so in die Stadt hineingelangen. Dann ist da noch das Publikum: Das Berliner Publikum ist keines, das sich abends zwei Stunden lang fertig macht, einen Anzug anzieht, einen Parkplatz sucht und den Glamour einer Weltstadt feiert, sondern es ist ein Publikum von Menschen, die eher mit Argwohn darauf reagieren, wenn neben ihnen jemand sitzt, der die Vorbereitungen auf den Abend ernster genommen hat als sie selbst. Man sollte eigentlich nicht aus der Reihe tanzen. Wer aber genau hinsieht, stellt fest: Der Berliner ist nicht undurchlässig! Anfangs wirkt er kritisch, ruppig und schnodderig, aber wenn er gemerkt hat, dass da was Feines passiert, dann kann er die schönsten Komplimente machen die es gibt! Das habe ich mittlerweile seit einigen Jahrzehnten – ich bin seit 1991 hier – positiv zur Kenntnis nehmen dürfen.

Wenn Sie sagen, man muss sich mehr auf das Publikum ausrichten, um es einzufangen, wie genau sollte das vonstattengehen?
Es wäre der falsche Ansatz das Publikum verändern zu wollen, das wird nicht funktionieren. Was aber funktioniert, ist, den Berliner immer wieder abzuholen – da, wo er ist, und zu sagen, pass mal auf, unser Berliner Erbe ist aller Ehren wert! Es gab hier so viel seinerzeit – allein dieser Kiez hier – wie der 1920 ausgesehen hat! Die Cabaret-Szene, der Admiralspalast bzw. Metropol, das ist eine Tradition, die es gab, und auf die gehört doch hingewiesen. In Berlin bleiben die Leute schnell weg, wenn die Ticketpreise höher werden. Der Berliner ist eher nicht gewillt, fünfzig Euro für ein Ticket zu bezahlen. Das ist zugegebenermaßen auch viel Geld. Wird aber woanders bezahlt. Tim Renner, der neue Kulturstaatssekretär Berlins, wies gleich zu Anfang seiner Amtszeit einmal dankenswerterweise darauf hin.

Man bekommt Qualität aber auch für weitaus weniger Geld. Denken wir beispielsweise an XJAZZ, das den Jazz in die Clubs holte und wo die Konzerte des ersten Abends für zivile Preise zu zehn oder zwölf Euro zu haben waren und auf Veranstalterseite trotzdem schwarze Zahlen geschrieben wurden …
Ein wunderbarer Ansatz. Witzigerweise kam er auch von einem meiner Trompetenkollegen, Sebastian Studnitzky, ein hervorragender Beobachter und Strukturenerkenner. Es macht nämlich in der Tat keinen Sinn, sich darüber zu mokieren, dass es hier schwierig ist. Stattdessen mit Angeboten zu kommen, die der Berliner versteht, finde ich supersympathisch. Ob daraus am Ende etwas Langfristiges erwachsen kann, was sich rechnet, und ob man auch große Namen bekommt die sagen, da bin ich dabei, muss man abwarten. Aber für das erste Mal hat die Bilanz schon extrem gute Signale gesendet, sodass man sagen kann, so darf es laufen.

Ich bin auch sehr gespannt darauf, wenn XJAZZ 2015 in die zweite Runde geht, ob es dem Erwartungs- und Erfolgsdruck standhält!
Natürlich. Ich glaube aber, dass es sehr gute Chancen hat. Irgendwer hat da verstanden, wie es hier läuft.

Lassen Sie uns zu Ihrer Musik zurückkommen. Es gibt Leute, die sagen, Ihre Musik sei fürchterlich seicht und kommerziell. Was entgegnen Sie diesen Stimmen? Haben die Recht? Irren die sich?
Ich kenne diese Stimmen. Es war schon immer so, dass man, wenn man Purist und Kunstliebhaber ist, nicht damit klarkam, dass im Aufzug überhaupt Musik lief. Wer aber zu dem Satz „Das ist Aufzugmusik“ greifen muss, dem entgegne ich: Ich habe in den teuersten Aufzügen dieser Welt Mozart gehört. Das ist auch Aufzugmusik. Ich glaube, es ist arrogant, Musik, die sich über Jahre oder Jahrzehnte durchgesetzt hat, zu ächten. Wenn jemand was kann, womit er sich nicht verstecken muss, dann verstummen diese Stimmen in der Regel aber auch relativ schnell. Und wer dann trotzdem noch Lust hat zu meckern, der sollte mal ruhig in ein Konzert kommen. Über die Jahre hat mich das eher angestachelt statt entmutigt. Ich tue das eine ohne das andere zu lassen. Und damit können wir in Deutschland nicht besonders gut umgehen, es verwirrt uns. Wir wollen lieber kalkulierbare Künstler, die immer wieder die gleiche Platte aufnehmen. Das ist in den Köpfen so einzementiert. Wenn man immer nur das macht, was die Menschen von einem erwarten, steigt man aber möglicherweise gelangweilt in die Kiste – und das werde ich zu verhindern wissen! (lacht)

Schön gesagt! In Sachen Aufzugmusik muss ich Ihnen allerdings widersprechen. Meines Erachtens läuft da nicht Mozart, sondern ein von irgendwelchen Muzak-Produzenten zu einem Best-of-Medley verflachter Mozart-Splitter, der nahtlos in ein ebenso seiner Spitzen beraubtes Beatles-Stück übergeht … Liefe da tatsächlich eine gute Mozart-Interpretation, könnte ihr der Purist lediglich vorhalten, dass sie an diesem Ort nichts zu suchen habe, dass sie trivialisiert würde.
In den Anfangszeiten dieser Musik war Mozart vor allen Dingen Unterhaltungsmusik. Die Genialität dahinter haben nur Experten durchschaut. Das waren Auftragswerke am Hof, dazu wurde gegessen und genossen, es musste gefällig sein. Dass Mozart noch viel mehr konnte – ohne mich, und da lege ich großen Wert drauf, auch nur im Geringsten mit ihm zu vergleichen– war ohne Zweifel der Fall. Später kamen die kniffligeren Werke.

Sie sagten gerade, Unterhaltungsmusik musste gefällig sein. Heißt das, das Label „Unterhaltungsmusik“ ist für Sie erst einmal keine Wertung, ist gar nichts Schlechtes?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt unzählige Beispiele von wirklich nachhaltig guter erfolgreicher Unterhaltungsmusik. Erfolg hat mit Qualität nichts zu tun, und wenn es auch noch so viel Spaß macht, das immer auszuschließen! Ich glaube, dass hinter vielen Jazzpuristen auch die Eitelkeit steckt, in Wahrheit erfolgreicher Anwalt zu sein und privat gern etwas hören zu wollen, was niemand anders hört. Und wenn das dann plötzlich doch mehr Leute gut finden als man dachte, wirft es ein seichteres Licht auf den eigenen Musikgeschmack. Aber wenn man etwas verstanden hat, dann ist das am Ende des Tages vielleicht auch egal. Aus dem Jazz ist über die Jahre die Emotion rausgezogen worden. Gefühle und Jazz, das ist ein No-Go, wenngleich die schönsten und berühmtesten und vor allem auch virtuosesten Aufnahmen diese Emotionalität aufweisen, von der man heute aber nichts wissen will. Zudem hat es in der medialen Berichterstattung seit den Siebziger-, Achtzigerjahren einen ganz starken Fokus auf den Avantgarde-Teil des Jazz gegeben. Wenn es da überhaupt etwas zu berichten gab, dann musste es so etwas sein! Und auch das hat dazu geführt, dass letztlich all die anderen Begabungen, die da rumlaufen, die jungen Musiker, die auch noch andere Jazzformen spielen, immer das Gefühl haben mussten: Wenn ich etwas spiele, was die Menschen erfreut, wird darüber nicht berichtet. Wie Sie merken, bedingt sich das alles gegenseitig.

Kann man in diesem Zusammenhang von einer Intellektualisierung reden?
Ja, und die kann man auch belegen. Nicht zuletzt mit dem schon sehr früh einhergegangenen Bruch der „heißen“ Musik, wie sie damals in Chicago und in den Ballrooms, den Small Groups, gespielt wurde … In der Zeit nach Benny Goodman, Anfang der Vierzigerjahre, da passierte plötzlich mit dem Bebop etwas, das ganz klar eine Trennung vollziehen sollte zwischen den Musikern, die nur, sagen wir mal: okay waren, und denen, die wirklich Weltklasse waren. In dem Augenblick begann Virtuosität und Exklusivität und dadurch auch Avantgarde einen Lauf zu nehmen, der darin resultierte, dass neue Musikformen entstanden, weil man Gesetze brechen konnte. Und je mehr Gesetze man brach, umso ungelenker und unwirscher und kantiger wurde das alles und kostete natürlich auch Publikum. Und wenn man dann in die Clubs gegangen ist, waren die auch tatsächlich bereits leerer, da waren nicht mehr so viele Menschen, aber die, die dort waren, spürten, hier passiert etwas, das hat die Welt noch nicht gehört. Bebop war im Prinzip Kunstmusik, es wurde virtuoser und komplizierter, daraus gingen dann Künstler wie Miles Davis hervor – und auch der hat erstmal nicht die Massen erreicht, er musste zusehen, wie er einen Gegenpol zur Virtuosität eines Dizzy Gillespie setzt. Und was dann kam, das ist dann wieder Kunst im klassischen Avantgarde-Sinne: das Weglassen, das Verzerren von Formen, das Durch-den-Fleischwolf-Drehen, und das hat bis Ende der Sechzigerjahre auch tatsächlich noch zu respektablen Ergebnissen geführt! Nie wieder sind mir vergleichbare Ergebnisse zu Ohren gekommen. Ergebnisse, die unter die Haut gehen und alle die bestätigen, die sagen: So muss Jazz doch sein! Wenn ich einen solchen jungen Pionier jemals wieder hören würde – ich wäre der Erste, der sagt, ich hab‘ mich geirrt. Und zwar öffentlich.

Um noch einmal auf diesen Spagat zwischen Unterhaltungsmusik einerseits und künstlerischen Anspruch andererseits zu sprechen zu kommen – wie haben Sie das für sich gelöst?
Also, ich glaube, dass man das nicht „lösen“ kann, weil man dann schon wieder anfängt, sich Gedanken um etwas zu machen, was mit einem selbst wenig zu tun hat. Ich glaube, Selbstfindung und das Gleichgewicht dessen, was man einfach machen muss, um ruhig zu schlafen und ein gutes Gefühl dabei zu haben, steht über allem, was da kommerziell oder mit nachweislichem Erfolg zu beschreiben wäre. Meine Balance ist letztlich, immer wieder der Wahrheit auf dem Instrument und dem, was ich besser machen könnte, auf die Spur zu kommen. Und sobald ich mich als zu uniform empfinde, als zu vorhersehbar, krieg‘ ich selber immer Schüttelfrost. In der Regel fahre ich gut damit, einfach auch mal das Lustprinzip Einzug halten zu lassen und zu sagen, egal ob das jetzt viele Menschen erreicht oder nicht, das möchte ich jetzt mal machen! So geschehen beim letzten Album – und möglicherweise auch wieder bei kommenden Alben. Letztendlich aber kann man Musik und das, was die Menschen da draußen von ihr mitbekommen, nicht planen. Und das ist eigentlich die gute Nachricht. Selbst vermeintlich kommerzielle Projekte können mal an die Wand fahren, wenn das der einzige Hintergrund war. Wenn die Musik dann nicht das ist, was einem selbst gefällt, hat man schlechte Karten.

Ganz anderes Thema: Bei der Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich gelesen, dass Sie, wenn Sie nicht als Profitrompeter Erfolg gehabt hätten, Instrumentenbauer hätten werden wollen. Was würden Sie heute gern sein, wenn Trompetespielen keine Option mehr wäre?
Nicht mehr Instrumentenbauer, glaub ich. Aber ich würde immer noch versuchen, im musikalischen Umfeld zu arbeiten. Vielleicht im Förderbereich, im Lehrbereich oder im politischen Kulturbereich –etwas, das als aktiver Musiker schwer ist. Letztlich auch ein bisschen Verantwortung übernehmen. Ich würde gerne mit Musik in Kontakt bleiben, anstatt mich komplett zu verändern. Als Fotograf bin ich erst seit ein paar Jahren unterwegs – und ich mache das so gerne, dass ich schon Angst habe, dass das zum Beruf werden müsste! Die Konkurrenz ist riesig und sich zu behaupten kostet immens viel – Geduld, Konsequenz und Geld.

Zum Schluss habe ich Ihnen eine Leserfrage mitgebracht. Ich habe gestern unter dem Motto „Was ihr schon immer von Till Brönner wissen wolltet“ eine kurze Umfrage in einem sozialen Netzwerk gemacht, und eine Dame schrieb, sie wüsste gern, wie Ihre Trompete heißt. Hat die einen Namen?
(Lacht) Die hat keinen Namen. Ich nenne sie immer nur „mein Mädchen“. „Trompete“ selbst ist ein schöner Name, finde ich, das klingt immer so ein bisschen wie ein Kinderspielzeug. Beim Klang des Wortes Trompete ist man ganz schnell bei Begriffen wie „tröt“ oder assoziiert ein pausbackiges Engelchen, das da vom Weihnachtsbaum runterbläst … Das ist eigentlich schon liebevoll genug! Und dass die Trompete weiblich ist, das ist für mich immer klar gewesen. Nicht nur, weil es auch im Lexikon „die Trompete“ heißt.

Gibt es für Sie „die Eine“, mit deren Klang Sie sich identifizieren, von der sie behaupten können, das ist jetzt mein Sound? Auf dem aktuellen Album ist ja auch viel Flügelhorn zu hören …
Also, ich wechsele sehr gerne zwischen Trompete und Flügelhorn. Ich habe in den letzten Jahren das Flügelhorn wieder sehr für mich entdeckt und es hat streckenweise die Trompete fast verdrängt, weil ich immer das Ziel hatte – und nach wie vor auch habe –, dem Klang der menschlichen Stimme am nächsten zu kommen. Und das ist mit der Trompete manchmal schwer. Ich versuche es zwar nach wie vor und hin und wieder ist mir das auch ganz gut gelungen, aber ich spiele auf dem Flügelhorn anders als auf der Trompete.

Ihr Trompeterkollege Christian Meyers sagte mal, das Flügelhorn tut keinem weh …
(lacht laut auf) Interessante Aussage! Wenn du wehtun willst, nimm mal lieber die Trompete! Das ist gut, das stimmt! Aber um auf die Frage nach „meinem“ Sound zurückzukommen: Ich habe einen Hersteller gefunden, einen japanischen, der eine Trompete entwickelt hat, die auch meinen Namen trägt. Ich kann, egal wo ich auf der Welt bin, in einen Laden gehen und sagen, habt ihr die gerade da, und dann ist die auch wirklich so, wie ich das will. Ich hab‘ die auch alle selber angespielt – da ist keine im Umlauf, die ich vorher noch nicht gespielt hätte!

Weiter personalisiert sind die also nicht …
Nein, die kann jeder spielen. Auch von den Abmessungen und von den Bohrungen her ist das ein herkömmliches Modell, es kann im Symphonieorchester genauso wie in der Big Band oder im Popbereich eingesetzt werden. Nach meinen Konzerten bekomme ich oft Feedback von Leuten, bei denen man merkt, die trauen sich jetzt nicht zu sagen, dass sie auch Trompete spielen, die dann aber am Ende des Tages sagen, ich habe übrigens Ihre Trompete gekauft. Und das Schönste ist es, wenn Kinder kommen, wo ich schon merke, die haben ersten ganz schön lange in einem Konzert ausgeharrt, wo wesentlich ältere Menschen sitzen, dann sind sie schon über die Zeit, weil sie eigentlich ins Bett gehören, aber sich dann trotzdem noch schnell zum Stand schleppen, und dann kommt der Papa oder die Mama und gibt ihnen einen Schubs, so nach dem Motto, jetzt geh doch mal nach vorne zu ihm, und da weiß ich dann eigentlich schon, dass sie auch Trompete spielen. Und das ist natürlich toll, weil so war es bei mir auch. Man muss schon ganz schön viel Kraft aufwenden, um sich diesem relativ uncoolen Metier, im Vergleich zu dem, was die Altersgenossen in der Schule hören, zu nähern. Deshalb gehören diese Kids sehr ermutigt. Mir selbst war das damals witzigerweise gar nicht so bewusst, dass die Trompete so uncool ist. Heute werde ich immer gefragt, wie sind Sie denn auf so ein uncooles Instrument wie die Trompete gekommen? Für mich war die Trompete gar nicht uncool, und ich finde immer noch, sie ist ein sehr handliches Gerät. Im Gegensatz zu einer Posaune oder einer Harfe, wo ich diese Frage verstehen könnte, denn die sehen zwar toll aus, sind aber solche Riesenmonster, fand ich die Trompete nie uncool und bin erst im Nachhinein auf diese fast schon kategorische Ablehnung gestoßen.

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