Der alte Mann und das Meer: Klaus Hoffmann im Interview – klangverführer | Musik in Worte fassen

Der alte Mann und das Meer: Klaus Hoffmann im Interview

Heute Abend ist Klaus Hoffmann noch einmal mit seinen Chansons über die Sehnsucht zu Gast in der Bar jeder Vernunft. Ich hatte die Gelegenheit, im Vorfeld seiner Tournee mit ihm zu sprechen.

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Klangverführer: Ihr neues Bühnenprogramm heißt, wie Ihre aktuelle CD. „Sehnsucht“. Wonach sehnen Sie sich, Herr Hoffmann?

Klaus Hoffmann: Als ich den Titel – und ich liebe solche Titel, die mich anspringen – gefunden hatte, dachte ich zuerst, du kannst doch nicht mit so einem abgewetzten Titel rauskommen! Doch er ließ mich nicht los. Sie sehen, ich versuche, Ihrer Frage auszuweichen. Wenn ich mich aber positionieren muss, ist es die Sehnsucht nach Hause. Aber was ist das denn schon? Auf der Bühne habe ich einen Sketch, in dem es heißt, komm mir doch nicht immer mit der Kindheit, du wirst doch nicht immer in deine Kinderrolle fallen wollen! Dabei ist es genau die Sehnsucht nach diesen einfachen Dingen, die irgendwo in der Kindheit beginnen und etwas auslösen in dir. Das ist eine Sehnsucht, die sich wahrscheinlich nie stillt.

Vielleicht ist das ja das Wesen der Sehnsucht.

Der immerforte Weg!

Sie haben gerade das Zuhause angesprochen. Also eine Sehnsucht nach einem Nachhausekommen im Sinne von Angekommensein?

Ja. Denn so etwas wie bei sich sein, das ist ja kein Zustand, dann bist du wieder außer dir, und dann verlier ich mich, auf der Bühne zum Beispiel, dann fliegt man da rum und hält sich auch für ganz großartig – da braucht man dann schon wieder die Erdung! Ist es das eigentlich, auf der Erde anzukommen? Man kommt ja auch in dieser Flugsicherheit oder besser: Flugunsicherheit, bei sich an. Du kannst dir ja gar nicht aus dem Weg gehen! Und dennoch ist es bestimmt davon. Also, ich lebe heute sehr davon, immer in diesem Kontext zu sein. Aber es ist auch dieses nie erreichte Kinderland. So ein Harmoniestreben nach Friede, Freude, Eierkuchen. Zu Hause sein … ist das nur ein kindliches? Ein Kinderschlitten wie bei Citizen Kane? Orson Welles findet ja zum Schluss endlich wieder das Objekt seiner Begierde, und das ist so ein Schlitten mit der Aufschrift „Rosebud“, das hat mich immer unglaublich angemacht. Mein Vater, hatte der es gefunden? Nie in der Musik, dabei war er ein toller Geiger, der spielte Weber und Schubert und so, und ging dann ins Finanzamt, das kriegte ich nie zusammen, ein Geiger, der im Finanzamt arbeitet! Er kriegte es wohl auch nie zusammen. Seine immerforte Sehnsucht war wohl, einen künstlerischen Beruf auszuüben. Und, um auf den anderen Teil Ihrer Frage zu antworten, darunter liegt ja dieser Motor, der mich antreibt. Wahrscheinlich wäre ich sehr enttäuscht, wenn man es, also das Sehnsuchtsobjekt, dann mal endlich findet.

Das heißt, das Ziel Ihrer Sehnsucht ist eher ein spiritueller Ort, ein Zustand, der nicht gebunden ist an einen physischen Ort wie Berlin?

Doch, da kommen wir schon zusammen, weil ich jetzt ja auch älter bin. Früher wäre ich dem noch ausgewichen, weil ich da gemischte Gefühle hatte. Ich brauchte sehr lange und habe viel daran gearbeitet, damit ich endlich mal nach Hause komme, und das ist nun mal mein Berlin. Wahrscheinlich liegt wirklich in dem ganz konkreten Berlin meine Heimat, meine innere Heimat – und auch meine ganzen Fluchten, die ich hatte, meine Sehnsucht, auch noch etwas anderes zu finden, denn Berlin war in den Sechzigern, auch für mich, manchmal unerträglich. In dieser von einer Mauer umfriedeten Stadt … Ich nannte es immer das gemütliche Elend. Das war natürlich sehr kokett, schließlich war das ja auch mein eigenes gemütliches Elend. Ich bin dann aus meiner kleinen spießigen Umwelt abgehauen nach Afghanistan, über alle Mauern hinaus. Aber es ist der Ort meiner Sehnsucht.

Was ist Ihnen diese Stadt jetzt noch?

Erst einmal Charlottenburg, da komme ich ja auch her. Und jetzt haben wir hier in diesem unglaublich schönen Haus zwei Pariser Zimmer gefunden, in denen wir unser Büro eingerichtet haben. Daran hänge ich auch sehr! Alles ist hier um die Ecke, meine ganzen Journalistenfreunde, Bernd Lubowski, der mit fünfzig gestorben ist, Renee, seine Frau, eine Kunstkritikerin, das ist schon altes Berlin! Jürgen Flimm, drüben von der Oper … Jetzt donner’ ich hier mit Namen durch die Gegend, das wollte ich vermeiden! Aber das sind alles Kulturträger, die mir sehr imponierten. Oder die Paris Bar … Da war ich jetzt zur Goldenen Kamera, und da traf man nur Charlottenburger. War ja schon damals der Tummelplatz für die Wessis. Wir haben rings um den Savignyplatz unglaublich gesoffen und politisiert, in diesen Clubs habe ich ja angefangen. Ost und West waren getrennt, ich war so eine Wessi-Tante und habe dann mit sechzehn meine Gitarre genommen. Tagsüber hab ich in der Marburger Straße bei Klöckner Eisenhandel BStG-Matten verkauft und nachts dann mit dieser Gitarre und Trevirahosen, da stand ich dann so leptosom rum und sang Lieder. Ganz traurige Lieder, noch in Anlehnung an meinen Vater, der gestorben ist, als ich zehn war und der mir fehlte. Ganz konkret. Und dann bin ich abgehauen aus diesem politisierten Berlin. Ich war ja schon immer der Rebell der Rebellen. Ich hatte meine französischen Aufklärer im Kopf und Romantik und so … Jaja, ich war Rimbaud! Die anderen waren alle doof. Ich konnte mit diesen Dekapisten so schwer umgehen. Wenn ich schon einen Parka sah, war ich schon drüber! Allein diese Dogmen, du hast so und so auszusehen, und dann darfst du nur ‛ne Jeans tragen, da war ich dagegen. Deswegen flog ich aus jedem Marx-Kreis raus. Aber es war eine tolle Zeit in dem Sinne, dass sie einfach diese Piefigkeit der Fünfzigerjahre aufbrach. Ich hätte gern im Henry-Ford-Bau studiert. Aber als ich aus Afghanistan wiederkam, wurde ich Briefträger und blieb weiter – und bis heute – in Charlottenburg hängen.

Was hat sich dort in den letzten Jahren verändert?

Dass die aus Mitte jetzt wieder mehr nach Charlottenburg ziehen! (lacht) Das ist jetzt ein bisschen ironisch gemeint, aber wir sind jetzt eins. Ein Volk von Brüdern, wir werden uns in keiner Not mehr trennen! Aber im Ernst: Als wir wiedervereint wurden, waren alle sehr misstrauisch und skeptisch. Wer verbindet sich jetzt eigentlich mit dem andern? Vor dem Mauerbau waren wir fast jedes Wochenende in Kaulsdorf bei Verwandten, da wurde gegessen und getrunken und gesungen, es gab Hase und Wein aus Gallonen, völlig verdrehte Welt! Und später war ich dann der erste, der in Friedrichshain so ein Riesenkonzert gab. Also der Osten war mir schon sehr nah. Mit den Ängsten davor und den Ängsten meiner Leute bin ich aufgewachsen. Das setzte sich ja fort, diese deutsche Geschichte. Ich hatte vor dem System eine Abscheu und war unglaublich zornig. Und dann machte ich „Die neuen Leiden des jungen W.“ mit Uli Plenzdorf. Den ich bewunderte, weil der im Grunde auch ein Hippie war. Ich wollte immer nur einer sein, ich war ja gar keiner, ich war ja viel zu scheu. Der junge W. war mir so aufgeklekst, das verstand ich einfach. Dass ‛ne Hose Ausdruck für Rebellion ist. Egal, auf welcher Seite du dann gerade aufgewachsen bist.

Ist Ihr Verharren in Charlottenburg so eine Art Rückzug in die Komfortzone?

Doch, ja. Mit der Komfortzone hab ich überhaupt kein Problem, du musst nur damit umgehen können. Früher wollte ich immer am Ku’damm wohnen, hatte aber nicht die Kohle. Einmal war ich bei Susi Tremper, einer Schauspielerin vom Schiller-Theater, um die Ecke hier, da hatte sie ein kleines Apartment. Und ich dachte immer, oh, das ist ja wie Paris! Dieser Hinterhof und die Kastanie da …Ich wollte immer in Paris leben. Und da kam ich nicht ran. Also lebte ich in der Fritschestraße im Abrissgebiet, und in der Gierkezeile. Und mein Kinderkiez war Eosanderstraße und Nithackstraße, Lohmeyerstraße und der Schlosspark. Das war die große französische Befreiung! Ich hätte nie gedacht, dass wir zwei Räume wie diese finden, in diesem Haus am Ku‘damm, das war wie ein Geschenk. Die Komfortzone ist aber eine andere. Sie zu verlassen heißt, mit dem, was man macht, mit den Platten, Büchern, Filmen, mit deiner eigenen Geschichte rauszugehen. Ich musste mir das anerziehen, weil ich ja nicht wusste, wie man das in Deutschland so macht. Es gab die politischen Liedermacher, und dann gab’s die Knef und Harald Juhnke und so, und dann war irgendwann Ende. Ich kam von der Schauspielerei und von den Franzosen, von Brel, und hatte keine amerikanischen Vorbilder. Ich habe erst ganz spät verstanden, dass das eine gute Sache ist, was ich mache, weil sie stellvertretend für deine Geschichte ist. Das ist schon okay so, deswegen mache ich auch weiter. Aber Komfort ist das nicht.

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Auf dem Albumcover laufen Sie am Meeresstrand entlang. Was für eine Beziehung haben Sie zum Meer?

Naja, das Meer, ja, Mutter Meer, die Mutter! Die Lust dieses kleinbürgerlich aufgewachsenen Hippies, der keiner war, sich zu verlieren in diesem grenzenlosen Meer. Und gleichzeitig eine Grenze finden wollen. Das ist schon der Ort meiner wahrscheinlich tiefsten Sehnsucht, mich, das sag ich jetzt mal ein bisschen küchenpsychologisch, in den Armen des Vaters zu verlieren, der einen dann auffängt. Odysseus kommt nach Hause. Er hat allen Sirenen widerstanden und findet dann sein Glück. So ist das Meer. Natürlich ist es auch ein bisschen kitschig. Als meine Frau Malene das Foto gemacht hat, hab ich mich zuerst dagegen gesträubt. Mittlerweile finde ich es gut. Wie dieses Album von Dylan, wo er Sinatra singt. Diese ganze Gefühlsarbeit von Sinatra, das findet bei Dylan nicht statt, ich dachte zuerst, ich traue meinen Ohren nicht! Der hat das Ganze so wie Nick Cave auf den Kopf gestellt. Und jetzt fange ich an, es zu mögen.

Sie treten mit Ihrem Programm in der Bar jeder Vernunft auf. Was verbinden Sie mit dieser Traditionsadresse?

Das ist wie früher, en face, richtig ran. Nach dem großen Auftritt im Friedrichstadtpalast mit der Band entlockt es mir Freude, meine Lieder zu reduzieren auf das, was ist. Richtig bodenständig. Mir Hawo Bleich, dem Arrangeur und Pianisten, ganz pur am Klavier zu arbeiten. Und natürlich geht es auch um die Nähe des Publikums, die man aushalten muss.

Ganz zu Beginn singen Sie das Stück „Sie sind wieder da“ mit der Anfangszeile „Komm, steh auf“. Wofür lohnt es sich heute aufzustehen?

Bei dem Stück ist es ganz trivial: Der Typ soll einfach nicht einpennen. Die Zeile geht ja weiter mit „Wach endlich auf“. Mehr hab ich mir da nicht gegeben, das ist der Luxus des Älterwerdens. Aber natürlich ist es auch symbolisch, politisch symbolisch, soll es auch sein. Aber ich fand dieses typische dogmatische Vokabular immer sehr schwierig. Wofür es sich lohnt? Also, wenn man es nicht abgegriffen findet: Dem Menschen zugetan zu sein, also, zu dem zu werden, der man wirklich ist. Wogegen es sich lohnt? Natürlich gegen alles, was aus der alten Zeit rübergerettet wurde an Gedankengut, Ausgrenzung von Fremden, Rassismus … Dafür stehen meine Lieder.

Und wofür stehen Sie auf?

Ich glaube, meine ganze Arbeit ist ein einziger Aufruf, zu sich selbst zu kommen. Sich folgen.

Als Lebensaufgabe?

Ich glaube schon, aber ich weiche dem ja noch aus. Ich habe aber meinen Weg immer als eine Aufgabe empfunden, zu sich selbst zu finden. Ich meine, dass das Ganze Friedenslieder sind, das weiß ich doch! Und dass das alles auf der richtigen Seite steht, dass muss ich doch nicht noch sagen! Ich drückte mich immer vor der Uniformierung, in irgend so einem Kasten zu stehen, wie bei „Sag mir, wo du stehst“, da musstest du aufstehen und sagen, natürlich bin ich auf der richtigen Seite. Das hat mir alles nicht gereicht. Und heute ist es so, dass ich aufgrund meiner eigenen Geschichte versuchte bis jetzt … Wir reden gerade über die Sehnsuchtsplatte, die ist so eine Brückenplatte, denn ich bereite schon ein neues Album vor, und ich habe durch den Tod meiner Mutter und weiterer Freunde, von denen sich immer mehr verabschieden, gemerkt, dass auch ich sterblich bin. Ich hätte gar nicht gedacht, dass das mal so klingelt, und damit setze ich mich auseinander. Und dann fragst du mich, wofür gilt es aufzustehen. Na, für eine friedliche Welt. Miteinander. Dieses Miteinander wird ja immer mehr ein Thema in Deutschland. Lernen, mit den Widersprüchen umzugehen, sie auf den Tisch legen. Was ist denn das Trennende? Halte ich das überhaupt aus? Dieses Bunte, diese Kraniche, die zurückkommen und hier Station machen. (überlegt) Ich glaube, meine Auftritte sind ein einziges Aufstehen. Aber um auf die Lebensaufgabe zurückzukommen, es geht auch darum, mit seinen Fehlerquellen zu leben, zum Beispiel dem Gefühl, dass ich nicht genügend bin. Zu lernen, dass genug eben auch genug ist. Die Begrenzung anzuerkennen. Mauern einreißen, aufmachen, weitergehen, deinen Füßen folgen, aber auch zu sagen, Stopp hier, nicht weiter, Ende. Und diese Dinge klopfe ich ab.

Sie werden auch wieder Ihre Aznavour- und Brel-Übertragungen singen. Wie kam es eigentlich, dass gerade diese französischen Chansonniers zu Schlüsselfiguren Ihrer Karriere als Sänger werden sollten?

Französisch fand ich attraktiv, weil ich es nicht verstand. Wie im alten Brecht-Satz: Ich konnte dich lieben, weil ich dich nicht kannte. Brel hat mich aber auch emotional angesprochen, überhaupt die ganzen Franzosen, Léo Ferré, Barbara und immer wieder Aznavour, den ich damals viel parfümierter fand, theatralischer, pathetischer, der mir aber näher kam, weil ich selbst so’n Typ war. Die Bühne als Sänger betrete ich im Grunde in der Rolle des Sängers. Der rausgeht in einem Anzug, traditionell sehr unmoderne, oder zeitlose Musik macht, und per Text mit großen Gesten um sich wirft. Die werden bei mir leider immer weniger pathetisch, das finde ich schade, denn dieser ungestüme Neunzehnjährige, der da mit so einer Lockenpracht raus ging, das war schon sehr mutig! Aber es ging eben, weil ich so naiv war. Und mich nicht fürchtete vor dem deutschen Wort. Durch die Schauspielerei hab ich mich nicht gefürchtet! Weswegen Deutsch für mich auch immer die einzige Sprache war. Obwohl du im Englischen viel mehr ausweichen kannst.

Wenn Sie sagen, Sie betreten die Bühne in der Rolle des Sängers: Sind Sie ein singender Schauspieler?

Nein, ich bin schon ein Sänger. In dem Sinne, dass er rausgeht und den Leuten etwas erzählt, was sie schon wissen. Oder ahnen. Du brauchst also einen Text als Sänger. Der Schauspieler bringt das Handwerk, der Sänger hoffentlich die Stimme, und der Autor, also der Schreiber, legt ihm eigenartige Geschichten als Text vor, während der Schauspieler dann wieder hilft, die Kiste richtig rüberzubringen … So gesehen bin ich wahrscheinlich viel mehr Schauspieler, als ich früher immer gedacht habe. Schließlich erlebe ich alle Gesetze, die ich auf der Theaterbühne erlebt habe, auch als singender Schauspieler. Es ist im Prinzip so ein Theatertyp, der da steht, so ein Bühnenarbeiter, hab ich früher immer gesagt, damit kam ich ganz gut klar.

In einem alten Interview sagen Sie, Sie seien mit Ihren Liedern, Ihren Texten noch viel zu feige. Sind Sie mit ihnen jetzt dort, wo Sie sein wollen?

Feige? Ist ja ein hartes Wort, das gehört in die Bundeswehr. Aber da kommt wieder dieses Genügende, Begrenzende: Genügst du dir? Das Blöde ist: Ich hatte eine Phase, da war ich sehr laut. Das fand ich im Nachhinein peinlich. Dann wurde ich sehr leise, und auch da entgehst du dem nicht. Wann triffst du schon mal ein Lied? Feige jedenfalls würde ich nicht mehr sagen. Aber es treibt mich immer noch an. Da kann noch was kommen. Was würde Schäuble sagen? Nach oben ist noch was drin! (lacht)

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Dieses Interview ist am 18. März 2015 gekürzt in zitty 07/2015 erschienen und kann online hier nachgelsen werden

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