Jewish Monkeys & Shantel: Jossi Reich über eine Künstlerfreundschaft – klangverführer | Musik in Worte fassen

Jewish Monkeys & Shantel: Jossi Reich über eine Künstlerfreundschaft

Meine aktuelle Kolumne in der Mai/Juni-Ausgabe der Jazzthetik eröffnet mit den Worten: „Israel! Nicht nur Gelobtes Land und ergo versprochene Zuflucht, wenn hier – mal wieder – alle Stränge reißen, sondern auch Wiege vieler Lieblingskünstler. Avishai Cohen! Ofri Brin! Und immer wieder: Asaf Avidan!“ Der dramaturgischen Trias geschuldet ist es, dass die Aufzählung an dieser Stelle endet. Dabei gibt es noch so viel mehr Lieblingsmusiker in dem Land, wo nicht nur Milch und Honig, sondern auch die betörendsten Klänge fließen. Etwa die Jewish Monkeys, einem Trio Infernale um den Exil-Deutschen und Wahl-Israeli Josef „Jossi“ Reich, der in Gestalt seines Alter Egos Joe Fleisch erstmals vor gut dreieinhalb Jahren angetreten war, unsere Playlists gründlich aufzumischen.

Und während wir Daheimgebliebenen vergangenen Sonntag im kollektiven Langes-Wochenende-Koma inklusive Prä-Montags-Blues gefangen waren, haben sich die Jewish Monkeys in Tel Aviv mit dem gebürtigen Mannheimer Stefan Hantel – der der Balkan-Beat-Fraktion besser als Shantel bekannt sein dürfte – zusammengetan, um ein gemeinsames Konzert zu geben: Nach dem Auftritt des wilden Vokaltrios sorgte er mit einem DJ-Set dafür, dass die Tanzfläche noch lange nachglühte. Wie es zu dieser Künstlerfreundschaft kam, erzählt Jossi Reich exklusiv für den Klangverführer:

Monkeys

„Die Symbiose zwischen Shantel und den Jewish Monkeys reicht in die Neunzigerjahre zurück. Wie Ronni Boiko und ich ist auch er aus Fankfurt und zweifelsohne unsere größte Inspiration, wenn nicht gar der Grund dafür, dass wir eine Band ins Leben riefen. In den frühen Neunzigern ging ich gerne auf Shantels Parties im Bahnhofsviertel, um die Ecke vom Rotlichtbezirk, innerhalb all der Patrizier-Häuser, die nicht mehr im besten Zustand waren, lange bevor diese Gegend durch den Entwicklungs-/Gentrifizierungsschub der letzten Jahre zum neuen Kultur- und Geschäftsnabel Frankfurts wurden. Lustigerweise freundeten wir uns erst so richtig an, als ich Deutschland bereits in Richtung Israel verlassen hatte und wir anfingen, uns regelmäßig bei Shantels Besuchen in Tel-Aviv und meinen in Frankfurt zu sehen. Er brachte mich mit der Musik von Kruder und Dorfmeister, Dimitri from Paris und anderen Größen der Electro-Lounge der Neunziger in Berührung, aber seine Leidenschaft für Balkan- und Klezmer-Musik war die eigentliche künstlerische Verbindung zwischen uns. Shantels profunde Kenntnis des Kulturschatzes alter jiddischer Lieder faszinierte mich ‒ zudem lernte ich durch ihn die großen Balkan-Bands aus Rumänien, Serbien und anderen Regionen des Balkans kennen.

Wir hatten eine Menge Spaß, wenn wir auf die Konzerte von Goran Bregovicz gingen, und nie werde ich den magischen Moment vergessen, als er eine dieser riesigen Strandpartys in Tel-Aviv nicht mit einem elektronischen Track eröffnete, sondern stattdessen mit einer penetrierenden, aufrüttelnden Trompeten-Fanfare einer unbekannten Balkan-Band. Das Publikum war perplex, und so gut wie keiner tanzte. Mit dem für ihn typischen, süßen verzeihungsheischenden Grinsen sah sich Shantel gezwungen, nach ein paar Minuten wieder coolen Elektro-Sound aufzulegen, für den die Leute eigentlich gekommen war. Aber schon bald erfand er sich sozusagen neu, adaptierte und kommerzialisierte den Sound der Filme Emir Kustorizas sowie der CDs von Goran Bregovicz und platzierte sich damit in der europäischen Club-Szene. Es folgten mehr und mehr eigene Produktionen und Kompositionen und schließlich die Gründung des mittlerweile legendären Bucovina Orchestra.

Durch Shantel freundete ich mich vor fünfzehn Jahren auch mit dem Komponisten und Produzenten Ran Bagno an. Bereits damals hatte sich Bagno, der letztes Jahr den israelischen Film-Oskar für den Soundtrack der preisgekrönten israelischen Soldatinnen-Komödie Zero motivation erhielt, als Komponist für Theatermusik und musikalischer Direktor von Vertigo, einer erfolgreichen Tanzkompanie in Israel, einen Namen gemacht. Man kann sagen, dass er jenes verrückte, amateurhafte Gesangs- und Jamming-Trio Infernal, welches aus Roni Boiko, Gael Zajdner und mir bestand, gewissermaßen adoptierte. Wir begannen, uns die Jewish Monkeys zu nennen. Schon bald nahm Shantel einige unserer Tracks in seine Playlists. Über sein Frankfurer Label Essay-Recordings brachte er die Tel-Aviver Guitarren-Band BoomPam nach Europa, deren Sound wiederrum unsere Debütalbum Mania Regressia dominierte, welches über die Jahre langsam entstanden ist und von uns bei unserer Herbst-Tour in Deutschland 2014 veröffentlicht wurde.

Shantel

2003 sampelte Shantel Wilmoth Houdinis Calypso-Klassiker Black but Sweet und machte aus der wehmütigen Melodie einen instrumentellen Electro-Worldmusic-Clubhit, den sogenannten Bucovina Track. Von Shantel inspiriert begeisterten auch wir uns für den Original-Song, in welchem der Sänger aus Trinidad in den Dreißigerjahren einem weißen Publikum in den rassengetrennten USA vorsang, dass seine Geliebte „schwarz, aber süß“ sei. Mit der Arbeit an unserer Cover-Version dieses Songs legten wir den Grundstein zu unserem ganz eigenen Klezmer-Rock-Drei-Männer-Gesangsstil. Ein paar Jahre später machten die beiden Tel-Aviver Regisseure Guy Bolandi und Asaf T. Mann daraus jenes Schwarz-Weiß-Video, welches das Klischee der stereotypen sexuellen Ausbeutung weiblicher Schönheit der MTV-HipHop-Welt auf den Kopf stellte und mit uns drei Jewish Monkeys konfrontierte, die sich über jüdische Gebetsrituale lustig machten, visuell begleitet von einem angebrochenen Neonröhren-David-Stern im Hintergrund und einem geschlachteten, kochreifen Huhn, welches von einem weiblichen äthiopischen Fotomodell apokalyptisch zerhackt wird, in dessen Folge sich ein himmlisch-höllischer Regen abgetrennter Hühnerfüße über die Szenerie ergießen soll.

In dem Moment, als Ronni Boiko anfing, seinen Diaspora-Humor in die von ihm verfassten satirischen Song-Texte unseres Grund-Repertoires einzubringen und somit der ganz eigene, von aschkenasisch-jiddischen Klezmer-Elementen durchwirkte Rock-Sound der Jewish Monkeys entstand, folgten wir im Grunde einem Wegbereiter wie Shantel, der alte Klezmer und Gipsy- Musik auf seine Art und Weise zu erfolgreichem Pop machte. Wie gesagt, ohne Shantel hätte es die Jewish Monkeys wohl nicht gegeben. Als 2013 der Elektrobass-Spieler Yoli Baum zu uns stieß, der seinerseits den charismatischen E-Gitarristen Haim Vitali Cohen sowie den Schlagzeuger Henry the Rose Vered und den Jazz-Posaunisten Arnon de Boutton mitbrachte, entstand ein neuer Klezmatic-Hardrock-Sound, und aus dem Projekt, das sich bereits über ein ganzes Jahrzehnt erstreckte, wurde endlich eine richtige Band.

Es war uns eine besondere Ehre, Shantel für zwei Gigs in Jerusalem und Tel-Aviv zu hosten – und irgendwie habe ich persönlich dabei das Gefühl, dass er uns hostete, genauso wie damals als neugeborener Balkan-DJ in den späten Neunzigern und zu Anfang des Milleniums, als er am Schauspiel Frankfurt seine eigene Reihe startete und Taraf de Haidouks aus Bukarest zu Gast hatte, Fanfare Ciocarlia oder den total abgefahrenen und damals noch relativ unbekannten Gogol Bordello (der Jahre später Madonna-Konzerte aufwärmte). Es waren zwei Abende voller Ekstase, die einen Gogol Bordello trunken machen würde, selbst wenn er noch keine einzige seiner billigen Vodka-Flaschen auch nur angerührt hätte. Nasdrovje, L´Chaim, Prost!“

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