Tage wie diese. Und ein Gegenmittel: die Goldesel-EP „Kayak“ – klangverführer | Musik in Worte fassen
Tage wie diese. Und ein Gegenmittel: die Goldesel-EP „Kayak“

Tage wie diese. Und ein Gegenmittel: die Goldesel-EP „Kayak“

Tage wie diese. Und ein Gegenmittel: die Goldesel-EP „Kayak“

Es ist so ein Morgen danach, an dem man zwar nicht wirklich verkatert ist, aber: Alles geht langsamer. Der September hat sich noch einmal zu dreißig Grad aufgerafft, nur der Mensch kann ist zu nichts in der Lage – und richtig wach wird er auch nicht. Ein Tag, an dem der Start zum Ganztagesprojekt gerät. Ein Tag wie in Sirup getaucht.

Die Playlist der letzten Nacht möchte man nicht mehr hören, allein, man bedarf schon einiger Musik, um über die Runden zu kommen, die sich zäh anfühlen, klebrig nachgerade. Schließlich verlangt auch gepflegtes Sichtreibenlassen nach einem Minimum an Energie, zumindest nach so viel, um den Wasserkocher für eine Tasse schwärzesten Kaffees auffüllen und anschalten zu können. Oder um eine stumpfe Hausarbeit anzugehen, die man hasst und auf die man keinerlei wache Energie verschwenden möchte, die aber dennoch erledigt sein will. Wenig komplexe Handlungen wie Gläserpolieren oder Bügeln, die sich auf Autopilot bewerkstelligen lassen, derweil man seinen Gedanken nachhängen kann.

Natürlich kann man jetzt das zu Teenagerzeiten heiß und innig geliebte Machwerk der seinerzeit favorisierten Achtziger-Hair-Metal-Combo anwerfen und den Körper, wie zuvor den Magen mit dem Kaffeeschwall, schockwecken. Muss man aber nicht. Das Berliner Duo Goldesel – das da sind: Ruben Giannotti und Tobias Fiege – leistet mit seiner Vier-Track-EP Kayak nämliches. In sanft. In Zeitlupe. Für den Schonlängstnichtmehrteenager in uns.

v. l.: Tobias Fiege, Ruben Giannotti
© Perle Baillard

Gleich die trunken wabernden Stolperbeats des namensgebenden Openers garantieren ein sanftes, ja: faules Indentaghineingleiten, noch dazu beamen sie direkt in Prä-NuSoul-Zeiten, zu denen man Erykah Badu, D’Angelo oder Maxwell erst ahnen konnte, zurück. Die Beats von Soulparlor fallen hier sofort als Referenzklang ein, und das bedeutet hier wie dort: ein Höchstmaß an Eleganz. Luxusbeats sozusagen, die Fiege selbst als „lofi, jazzy hip hop beats“ bezeichnet.

„Riding On A Red Horse“ versetzt in selige After-Work-Lounge-Zeiten zurück, die von Lounge-Heroen wie De-Phazz dominiert wurden, klingt – nicht zuletzt ob der nervösen Edel-Drums von Clemens Grassmann – aber sehr viel mehr noir: Giannotti und Fiege begeben sich tief in die Chillout-Beats hinein, derweil Giannotti weder sein Wirken als Large-Ensemble-Leader verleugnen kann, wird hier doch zeitgleich das große Bigbandarrangement aufgefahren, noch das als Trompeter, glaubt man doch gleich zu Beginn, in eine Aufnahme von Roy Hargroves RH Factor reingestolpert zu sein. Dessen „Forget Regret“ ist hier jedenfalls nicht weit weg.

„Wes0“ gibt sich als beschwipster James-Last-Wiedergänger, wobei das Easy-Listening-Element mancherorts ins nahezu Ironische überzeichnet ist, haben wir es hier doch mit einer untergründig gestörten Idylle zu tun, der es gelingt, die elegante Abendgesellschaft samt ihren fancy Cocktails und einem immerzugewandten Conferencier in trügerische Sicherheit zu wiegen. Vielleicht geht es aber auch nur um falsche Erinnerungen. Süße, gefährliche Fehlerinnerungen, die sich anfühlen wie dieser Tagesstart, irgendwo zwischen Traum und wach.

„Liberation“ wabert so gedämpfter Stimmung wie gleichgültig vor sich hin, alldieweil ein stellenweise recht aufregender Bass die Berechtigung des Stücks auf der EP erkämpft, das später noch zu stolpern anhebt, ins Taumeln gerät und mit seinem offenen Ende eher ratlos zurücklässt. Dennoch wird auch dieser am wenigsten berührende Track – wobei wir hier auf höchstem Niveau jammern, natürlich weist auch er Beats der Luxusliga auf – seiner Funktion als Rausschmeißer gerecht.

Was soll man noch sagen? Kauft Kayak!

Und zwar hier auf allen einschlägigen Portalen, oder, besser noch, bei Bandcamp.

Alle Einnahmen gehen an Campain Zero, Giannotti dazu: „Both of us (super white fellas) perpetually checked black musicians and composers together and soaked in their vocabulary. Last winter, I myself released a big band album borrowing heavily from the hip hop culture, while the grande finale is a piece by Wayne Shorter, one of the greatest black composers still alive. So here you have it: a sweet little mix tape of beats with swag and jazz, humbly dedicated ex post to the rich heritage of the black music community.“

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