28. Oktober 2016

Wolf Kerschek | Symphonic Jazz (Vol. 2) – My Polish Heart

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Mit klassischer Dreisätzigkeit hat das vierzehn Tracks umfassende Klavierkonzert wenig gemein – und auch sonst setzt Wolf Kerschek mit seinem für Pianist Vladyslav Sendecki geschriebenen My Polish Heart auf den ungewöhnlichen Dialog von improvisiertem Soloklavier und wandelbarer, da reaktiver Komposition, sodass das Werk recht eigentlich als Doppelkonzert für Klavier und Orchester zu begreifen ist.

Den Auftakt machen mit „Birth of Concsiousness“ behutsame orchestrale Dissonanzen, die Sendecki aufgreift und mal hier-, mal dorthin mäandernd weiterführt im kontinuierlichen Austausch mit einem Orchester, das ouvertürengleich eine bedrohliche Ahnung vorwegzunehmen zu scheint: Man wartet auf das erlösende Moment, ist gar gewillt, ein Ende mit Schrecken in Kauf zu nehmen, wenn sich nur die schier unerträgliche Spannung endlich löste! Das tut sie auf „First Memories“, das mit geerdetem Groove und folkloristischen Flötensprengseln zu einer Reise in offener Kutsche übers Land einlädt, bevor an einem prächtigen Hof halt gemacht wird, wo ein pompöses Fest, konterkariert von zartesten Klangmalereien Sendeckis, im Gange ist.

Vollends fort tragen die symphonischen Klanggewalten von „Landscapes“, auf denen die Hamburger Symphoniker ihr ganzes Potenzial entfalten, bis mit „Adolescence“ nachgerade funky Waberndes die New Yorker Columbia-Studios der Siebzigerjahre wieder auferstehen lässt, gekrönt von Frank Delles NDR Bigband-erprobtem Baritonsaxophon, während die Gitarre von Kerscheks Bruder Sven auf „Early Manhood“ für einen Hauch PsychRock sorgt. Der löst sich auf „Moving Ahead“, das den Dialog mit NDR Bigband-Trompeter Claus Stötter sucht und findet, in dicht orchestriertem Wohlgefallen auf.

Das ganze Drama der Ouvertüre spiegelt sich in „Spiritual Journey“ wider, die – nicht unähnlich der Doyna von den Klezmatics – die physikalischen Beschränkungen des Altsaxophons, hier bis zur Schmerzgrenze ausgelotet von Peter Bolte, zu verschieben trachtet. Auf „Love“ steht wieder Sendeckis filigranes Tastenspiel im Vordergrund, während die Philharmoniker soundtrackartige Soundscapes zaubern, bis die Klänge einer Sterntalermusik gleich fliegen. Stefan Lottermanns naturhornnaher Posaunenton beschwört auf „The Inner Voice“ eine Szene zwischen pastoraler Idylle und Regenwald herauf, ein Gong entführt ins Zen-Kloster, bevor der philharmonische Großsegler wieder in den heimischen Hafen von Polens Ostseeküste einläuft, wo mit „Rage“ schon die Freejazz-Strandkapelle wartet, die privat gern mal ein bisschen zu viel Zappa hört und sich jetzt dieser ganzen Gewaltig-, ja: Gewalttätigkeit entledigen muss. Erst die gedämpfte Trompete Reiner Winterschladens und allerlei Regenwaldgeräusch lassen auf „Transformation“ pure Schönheit blicken, die aus dem Chaos geboren wurde.

Mit „Reminiscence“ schwingen sich die Symphoniker in ungehörte Höhen empor, jubilieren, tirilieren, aufgefangen vom federleichten Pianospiel auf „Destiny“, das ebenso im Jazzclub über nervösem Off-Beat zu bestehen weiß wie vor dem aus vollem Rohr tönenden Symphonieorchester und einer auf „Free At Last“ endgültig explodierenden Bigband. Wenn das Symphonischer Jazz ist, bin ich ab sofort Fan.

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Wolf Kerschek | Games of Passion

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Ausgehend vom gleichnamigen ARD-Olympiasong ist mit Games of Passion ein ganzes Album unter dem Eindruck der Olympischen Spiele 2016 in Rio entstanden. Hier widmet sich Weltrekord-Dirigent & Echo-Preisträger Wolf Kerschek in bewährter Zusammenarbeit mit der NDR Bigband den populären Musikstilen des Olympia-Gastlandes. Mit an Bord: Latin-Diva Daniela Mercury, die sich gleich auf dem titelgebenden Opener eindrucksvoll vorstellt. Als überschäumende Fiesta Latinoamericana verbeugt sich das fanfarenstarke Titelstück mit seinen Mais que nada-Anklängen vor Brasil-Legende Sergio Mendes, während eine souveräne NDR Bigband mit akzentuierten Jazzclub-Rhythmen die Brücke nach Europa schlägt.

Symphonischer geht’s auf dem von der Berliner Popjazzhoffnung Marc Secara intonierten „Victory“ zu, einem Stück, welches das Pathos nicht scheut und jedem Boxer als Einmarschmusik gute Dienste leisten würde. Alle Gravität muss weichen, wenn die grandiose Mercury das Mikro auf „Paralympics“ wieder übernimmt, das an den Flirt eines Quincy Jones mit den Rhythmen aus dem Land der tausend Farben gemahnt. Fiete Felschs Ipanema-Flöte umspielt den Gesang von Ken Norris und dem kleinen Jesse Kerschek, die sich auf dem mit hochgradig eingängiger Melodie bezauberndem „Childhood Dreams“ ein Stelldichein geben, während sich Folarin Omishades Reibeisen-Vocals auf „Hope To My People“ mit jedem modernen NuSoul-Crooner messen lassen können ‒ noch dazu sie auf genretypisches Wehklagen zu verzichten, sondern vielmehr die Melancholie ob der verlassenen Heimat in die kämpferische Energie eines Südstaaten-Predigers zu transformieren wissen, kongenial in Rhythmen gefasst von Schlagwerker Kiko Freitas und einem direkt aus einem Baxploitation-Movie entsprungen scheinenden Bläsersatz.

Elegantes Kreuzfahrtflair verströmt die Bossa-Ballade „It Was Worth It“, die offenlässt, ob es sich hier um die Reminiszenzen eines nicht siegreichen Athleten handelt oder jene eines unglücklichen Liebhabers, der gewagt, aber nicht gewonnen hat. Kerschek ist hier eine Art Bossanova-Torch-Song gelungen, der die Chöre des Openers dezent wieder aufnimmt ‒ und damit auch die Idee eines untrennbar zusammenhängenden Albums. Dass die Verbindung von populären brasilianischen Rhythmen und Jazz gelingen kann, beweist „Fair Play“, während das fast formatradiotaugliche „The One To Outrun“ ob seiner nachgerade alpin wirkenden Tubaklänge auch den Zuspruch eines jazzungewohnten Publikums finden dürfte.

Nach dem verspielten „Forro“ mit Lutz Büchner an der Klarinette spielen sich auf „Speed Match“ die Bläser den Ball, vielmehr: das Motiv zu, bevor auch hier eine überbordende Spielfreude übernimmt, ohne die intimen Jazzclub-Wurzeln des Stücks zu verleugnen. Sowohl „Activities“ als auch das opulent Soundtrack-artige „Tears of Joy“, das mit gleich drei Vokalisten aufwartet, nehmen wieder das Chormotiv des Beginns auf, dessen getragenen Charakter die portugiesische Reprise von „Paralympics“ gleich wieder vergessen macht, ist hier doch Fiesta pur angesagt! Die Klammer dieses tausendfarbigen Albums, das seine Message wie nebenbei zu platzieren versteht, wird geschlossen von einem wohl schönsten Stück: dem Edelbossa „It Was Worth It“, der in seiner Muttersprache noch ein Quäntchen mehr unter die Haut geht als auf Englisch.

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11. September 2011

Immer noch interkontinental und hochemotional: der European Release von Sissita’s Soul Tangos

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Als ich die Soul-Tangos von Sissy Kudlicska aka MisSis zur PLatte des Monats der April-Ausgabe von Victoriah’s Music auf fairaudio gemacht habe, hat mir das einigen Ärger eingebracht. Zu jenem Zeitpunkt waren Sissita’S Soul Tangos hierzulande nämlich ausschließlich entweder als teurer Import oder als digitaler Download zu haben. Und nicht jeder Leser teilt meine Einstellung, dass ein seltener Import die Blaue Mauritius einer jeden Plattensammlung ist; und trotz einer durchaus annehmbaren Datenrate von 320 kbit/s lehnen manche digitale Musikdateien immer noch kategorisch ab, auch wenn ich mich bemühe, hier Erziehungsarbeit zu leisten, da die Zukunft ohnehin der Musikdatei und weniger dem physischen Tonträger gehören wird.

All das war natürlich noch lange kein Grund, Sissita’S Soul Tangos zur Platte des Monats zu machen. Vor allem nämlich war ich von der Platte restlos begeistert. Tango und Soul geht nicht? Und wie das geht, und zwar so gut, dass einerseits eine ernstzunehmende Tango-Platte dabei herausgekommen ist, wofür schon allein Tango-Produzent Ariel Gato garantiert; andererseits hat MisSiss eine Stimme, von der Retorten-Soul-Diven nur träumen können – und Tango-Sängerinnen sowieso.

Lange Rede, kurzer Sinn: Der teure Import hat vorgestern eine europäische Schwester bekommen; seit dem 9. September sind Sissita’s Soul Tangos überall in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf herkömmlichem Wege zu beschaffen. Noch dazu schenkt uns der European Release drei neue Songs. Während die südamerikanischen Soultangos mit ihren sieben Songs noch eher als EP daherkamen, können wir uns gleich zehnmal an Sissita erfreuen. Auch an der Reihenfolge der Lieder wurde gestrickt; und es ist immer wieder schön zu sehen, wenn eine gewisse Albumdramaturgie gelingt. Mit der zackigen Geige auf A new life steigt MisSiss viel tangoesker in das Album ein als in den südamerikanischen Release. Gleich bleibt die Stimme von Ms. Kudlicska, die – auch wenn sie von tiefster Verzweiflung singt – ihre Hörer seltsam zu trösten vermag. Bestes Beispiel: der Tochter-zu-Vater-Song As I Care For You. Schönste Stelle: Tell me, are you proud of me? Es ist schwer zu beschreiben. Es ist, als wohne dieser Stimme ein sich irdischen Normen entziehendes sakrales Element inne. Wenn Sissy singt, ist das wie ein Gebet. Das habe ich zwar von dem einen oder anderen Künstler auch schon geschrieben, doch lag es dort immer an dem Lied, das eher Psalm als Popsong war. Bei Sissy ist es die Stimme, die selbst beim abgebrühtesten Kritiker dafür sorgt, dass sich alle Härchen seines Unterarms aufstellen.

Auch wenn die sieben älteren Lieder bereits besprochen wurden, möchte ich eines von ihnen noch einmal besonders hervorheben: Colder. Colder ist eine große Ballade, die sich hinter solche tränenschwangeren Stücken wie Unbreak My Heart von Toni Braxton oder My All von Mariah Carey nicht verstecken muss – nur ohne deren Pathos, dafür mit Bandoneon. Der Anfang von Dancer geht in eine ähnliche Richtung, doch entwickelt sich der Song bald zum wahnwitzigen Uptempo-Tango. Großartig ist das!

Einzig Nightmares und Far More können MisSiss’ Gospelvergangenheit allzu sehr nicht verleugnen – Geschmackssache. Die neuen Songs indessen – A new life, Sissita’s waltz und Wait! – sind bedeutend fröhlicher als die alten, ja, kippen im Refrain sogar in eine lebensbejahende Dur-Tonart und bestechen durch Tempo. Scheinbar ging es MisSiss aufgrund des südamerikanischen Erfolges gut, als sie sie geschrieben hat. Denn geschrieben hat sie sie alle. Sissy Kudlicska ist keine von den Sängerinnen, die sich von einem Produzententeam ihre Songs auf den schönen Leib schreiben lässt – das macht sie lieber selbst. Eigentlich müsste man vor so viel Talent Angst bekommen.

Dabei muss man vor der Soultango-Sängerin keine Angst haben, denn sie ist obendrein auch noch sehr nett. Wenn alles klappt, ist sie demnächst hier im Klangverführer-Interview zu lesen. Die Zeit bis dahin lässt sich mit ihrem Album gut überbrücken.

8. März 2011

Emotionen auf Distanz und nette Metzger: Jazz-Sängerin Alexa Rodrian im Klangverführer-Portrait

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , , — VSz | Klangverführer @ 17:30

Heute ist Frauentag. Um ganz genau zu sein: der 100. Weltfrauentag. Was ist da angemessener, als eine ganz besondere Frau zu würdigen, deren Stimme mich in den letzten Wochen begleitet hat: Jazz-Sängerin Alexa Rodrian.

Ich habe keine Ahnung, was mich an Rodrians Stimme so flasht. Es gibt eine Theorie, die behauptet, wir empfänden jene Musik als besonders angenehm, deren Rhythmus exakt unserem Herzschlag gleicht. Vielleicht ist es mit Stimmen genauso. Wir empfinden jene als besonders ansprechend, die unserem eigenen Stimmspektrum entsprechen. Beim (ebenso automatischen wie unbewussten) innerlichen Mitsingen verkrampft sich unsere Kehle nicht. Das wäre allerdings schade, denn dann wäre meine Begeisterung für die Rodrian eine rein private und ich könnte sie nicht mit Ihnen teilen. Nehmen wir also besser an, Alexa Rodrian hat etwas nicht näher Definierbares in ihrer Stimme, das jedem ihrer Hörer das Gefühl gibt, sie würde direkt zu ihm sprechen, ihn ganz persönlich meinen: Strummin‘ my pain with her fingers, singing my life with her words! Ob das nun eine Fähigkeit ist, die jeden guten Sänger auszeichnet – ähnlich wie der Blick des Profis ins Publikum, bei dem sich jeder Einzelne gemeint fühlt – oder es tatsächlich an etwas in mir selbst liegt, das mich so empfänglich macht für Alexa Rodrians Stimme – ich weiß es nicht. Fakt ist: Ich habe eine Liebesbeziehung zu dieser Stimme. Und die möchte ich heute mit Ihnen teilen.

 

Teil 1: Live im b-flat

Noch bevor ich ihren Namen kannte, ganz zu schweigen von ihrem künstlerischen Werk, lernte ich Alexa Rodrians Stimme kennen. Das war, als ich bei der Vorbereitung auf ein Konzert von trondheym auf deren CD Stay Tuned stieß und dort am Song Little House hängen blieb. Beiläufig erwähne ich meinen Höreindruck in der Konzertvorschau („Little House ist nicht nur eine fast klassische Jazznummer, sondern auch der absolute Höhepunkt des Albums, veredelt vom Scheiß-egal-Mezzo Alexa Rodrians – großartig! Die bringt gedanklich mal ganz lässig ihre Rivalin um die Ecke. Genial die Zeilen
I want my shoes back/I want them back in red/I want my shoes back/In red I want them back//I want my shoes back/I want them back in red/I want that neighbor’s wife/with a knife in her back.„), und promt flatterte mir eine Mail ins Postfach mit dem Betreff: „Der Scheiß-Egal-Mezzo wollte …“. Auweia, dachte ich, den Kopf abreißen wollte er mir wohl, wenn ich noch einmal so über ihn schriebe. Wer die Nachbarin so nonchalant meuchelt, der verspeist Musikkritiker doch noch vor dem zweiten Frühstück. Aber nix. Bedanken wollte er sich. So entstand ein netter E-Mailverkehr, der in einer Doppelverabredung gipfelte: Am 7. März sollte ich Alexa Rodrian live im b-flat erleben, und am 8. wollte sie mir in ihrer Friedenauer Wohnung Rede und Antwort stehen.

Und so sitzen bzw. liegen Kopfhörerhund und ich im b-flat und warten darauf, dass die Shared Night, zu der Rodrian geladen hatte, beginnt. Sympathischer Laden. Kopfhörerhund, der auf dem Weg hierher irgendeinen herumliegenden Wurstrest aufgelesen hat, bekommt ungefragt Wasser angeboten. Das am nicht-touristischen Ende der Rosenthaler Straße gelegene b-flat ist kein erweitertes Wohnzimmer wie das Zimmer 16 oder Sepp Maiers 2raumwohnung, vielmehr atmet es Jazz und Eleganz aus jeder Pore – dennoch lässt es sich hier vortrefflich und ungezwungen abhängen. Lange war ich nicht mehr hier. Das letzte Mal, wenn ich mich recht erinnere, habe ich hier Frau Kontrabass gesehen. Damals gab es noch nicht einmal den Klangblog. Und Kopfhörerhund war auch erst seit einem guten halben Jahr bei mir. Nichtsdestotrotz ist diese Ecke für mich persönlich seit jeher Synonym für gute Musik – schließlich hatte ich im Hof des alten b-flat vor fünfzehn Jahren durch einen DJ, der Isaak Hayes‘ Do Your Thing auflegte und mir dadurch die Welt des 60ies Funk-Soul eröffnete, ein musikalisches Schlüsselerlebnis; und nicht zuletzt bekam ich eine Straße weiter den ersten Gesangsunterricht meines Lebens, der diesen Namen auch verdiente. Rosenthaler Höhe am Weinberg = Jazz.

Fast eine Stunde nach angekündigtem Beginn kommt die Alexa Rodrian Band dann auf die Bühne. Besetzung heute: Frontfrau Alexa, ihr Mann Jens Fischer Rodrian an der Gitarre sowie Marco Bruckdorfer an den Geräuschen – hat sich der Percussionist heute doch für einen „Beatcase“ genannten Kofferbauchladen voller Geschnassel entschieden, sei es Plastiktüte oder Haribodose, die er da spielt. Als Alexa beginnt zu singen, denke ich, ah, diese Stimme gibt es tatsächlich auch in live. Ansonsten bin ich von dem Sound aber erst einmal irritiert – er ist knochentrocken ohne das kleinste bisschen Hall, und viele der filigranen Geräusche werden von den Wänden des b-flat einfach geschluckt. Die dritte Nummer ist gleichzeitig der erste Song, den ich vom Album All done and dusted kenne, welches er mit der a capella-Zeile Now she’s lying naked on the floor zeichensetzend eröffnet. In der Besetzung des heutigen Abends wird er noch weniger ein- und zugänglich. Erst ab dem sechsten Stück bin ich wieder geflasht. Ab jetzt wird der Abend cool: People besticht mit einer Hook, die im Ohr bleibt und einem gedämpften Trompetensolo ganz ohne gedämpfte Trompete, denn Instrumente imitieren kann Alexa Rodrian auch. Ihr Gatte spielt bei diesem Song erstmals erfolgreich an der Loopstation herum, der Sound wird voller und erreicht auch das Publikum. Auf der Bühne sei er nämlich die ganze Zeit über gut gewesen, erfahre ich später. Der siebte Song ist Eleanor Rigby, der mittlerweile wohl fast schon als Erkennungssong Rodrians dienen kann. Schließlich gab es hierfür begeisterte Kritiken. Heute Abend kommt er mit fast schon orientalisch anmutender Einlage und Handysolo daher. Es gibt immer noch Menschen, die ihre diversen elektronischen Gerätschaften vor einem Konzertbesuch nicht ausschalten. Vielleicht sollte man Handygarderoben am Eingang einführen. Das achte und letzte Lied der Alexa Rodrian Band für den Abend ist A Little Too Much, das sehr in Richtung des Fisher’s Song auf dem Album geht. Eine ganz persönliche und dennoch herrlich unkitschige Nummer.

Gerhard Schmitt entert mit seinen Schmittkeliedern und einer Besetzung, die ich mir für Alexa Rodrian gewünscht hätte (Es ist kein Geheimnis, dass ich bekennender Bassisten-Fan bin. Ein Bass bei Rodrian wäre schön gewesen.), die Bühne und zeigt seine Liedermacherseite mit Lagerfeuercharme. Für diejenigen, die ihn bisher nur vom trondheym’schen Elektro-Jazz kannten, erst einmal eine Überraschung. Die Bassklarinette gibt es zwar auch hier, diesmal grandios gespielt von Nik Leistle, und ihr Sound kribbelt das Kopfhörerhundetier auch hier zuverlässig am Bauch. Ansonsten aber haben die Lieder des formidablen Nicht-Sängers weder mit Jazz noch mit Electro etwas am Hut. Heute Abend gibt es vielmehr eine lustige Mischung aus Chanson Nouvelle, Liedermacher, Schlager und Kreuzfahrtschiffunter-haltungsdings zu hören, mit Texten à la „All die Begehrlichkeiten/Wimpern-tusche, Futterneid/Und wir sind mittendrin“. Schmittkes Stimme, die bei trondheym nur selten zum Einsatz kam, hier aber den Abend dominiert, erinnert mich ganz von ferne an Keimzeits Norbert Leisegang, und besonders der Titel Weise alte Dame könnte von seiner ganzen Attitüde her ohne Schwierigkeiten aus dem 1989er-Album Irrenhaus der Wenderocker entstammen. Schmittke fürchtet sich nicht vor „Die Liebe brennt mit rotem Feuer“-Kitsch, wird aber auch schlagartig mal „und wo wir uns am Ufer wälzten – wächst schon wieder Gras“-unglaublich poetisch. Sehr sehr lustig der Song für mich: „Für dich hab‘ ich genug gedichtet/hab‘ Phrasen vor dir aufgeschichtet/bis du nicht mehr zu sehen warst“ – wenn das mal nicht großartig ist! Ich weiß nicht, wie man das nennt, was Schmittke da treibt, aber es ist schon verdammt cooles Zeug. Und gerade bei der letzten Nummer (Verlieb dich) merkt man wieder, dass er ein ungeheuerliches Talent zum Groove hat. Vermutlich würde ich die Schmittkelieder im Gegensatz zu den trondheym-Songs nicht im heimischen Wohnzimmer hören wollen. Live aber sind sie ein Erlebnis.

Und dann, als ich gerade schon gehen wollte, gibt es noch einen Überraschungsgast. Ian Fisher heißt das schmächtige Männlein auf der Bühne. Optisch traut man dem die Klänge nicht zu, die er produziert. Das Loch in seiner Gitarre – und ich meine jetzt nicht das Klangloch – kündet allerdings schon davon, was noch kommen soll. Kopfhörerhund mag den extrem stahlsaitigen Klang nicht. Und auch ich muss erst einmal mit Fisher warm werden. Aber hey, verdammt, der ist gut! Macht da seinen Singersongwriterfolkrock, der einem trotz der höchst weltlichen Themen das Gefühl verleiht, recht eigentlich zutiefst religiöser Musik zu lauschen. Bei Ian Fisher schwingt unterschwellig immer ein an ihm verloren gegangener Kantor mit. Schließlich reißt ihm bei einer seiner musikalischen Gewaltorgien eine Saite, und der Abend ist beendet.

 

Teil 2: Dienstagsbrunch

Wenn man die Fischer-Rodrian’sche Wohnung im Süden Berlins betritt und dann auch noch eine der Töchter kennen lernt, weiß man: Hier leben Menschen, die etwas richtig gemacht haben. Das ist schön weil selten. Als wir ankommen, ist noch eine Filmemacherin da – die Rodrians bringen an ihrem Tisch gern Menschen zusammen. Und das funktioniert. Kopfhörerhund wird – „Oh mein Gott, ist die süß!“ – ausgiebig beschmust, ich selbst mit Antipasti friedlich gefüttert. Und dann kann es auch schon losgehen.


Rolldeckchen? Da. Faltnapf? Am Start. Für ausgiebiges Kraulen ist durch die Hausherrin auch gesorgt. Kopfhörerhund fühlt sich in Alexa Rodrians Wohnküche fast wie zu Hause.

 

Klangverführer: Im Prinzip kann ich mit Dir nur über deine erste CD sprechen, denn die neue ist ja noch nicht erschienen. All done and dusted, ist das eigentlich deine erste CD, kann man das so sagen?

Alexa Rodrian: Nein, das kann man nicht. Es ist die erste, die auf einem Label erschienen ist, bei NRW Records, und die erste, die dann endlich auch Anerkennung gefunden hat in der Presse, das ja …

Du hast eine Zusammenstellungen der Kritiken ja auch online gestellt. Gerade das Eleanor Rigby, zu dem ich mir gestern notiert habe, es sei mittlerweile so etwas wie dein Erkennungssong, hat bei den Kritikern großen Anklang gefunden …

Genau. Witzigerweise hat mir auch die Tochter von Stan Getz auf Myspace hinterlassen: „Wow, what an Eleanor Rigby rendition!“, also ganz süß – ist ja auch spannend, dass die Leute auf so etwas abfahren. Wir hatten davor eine CD gemacht, die hieß Blue Blood – ein sehr aufbauender Titel! – und da hatten wir eben noch kein Label gehabt – und da hat dann auch keiner was geschrieben.

Das heißt, ihr habt die im Eigenvertrieb heraus gebracht?

Genau.

Damals schon zu Internetzeiten, wo man sie selbst vertreiben konnte?

Ja, schon, aber wir haben nichts vertrieben … Wir waren immer faul. Wir haben dann Lou gekriegt – genau so alt ist die CD, zehn Jahre, und das hört man auch. Da ist auch gesanglich nichts, womit ich mich jetzt noch identifizieren kann, aber die Songs sind teilweise sehr schön. Wir sind sogar am überlegen, ob wir jetzt, quasi auf die dritte, noch einmal Songs von der ersten nehmen.

Aber eben so, wie du sie heute interpretieren würdest …

Genau. Ich bin eine ganz andere Sängerin geworden. Ich war damals so viel auf Gesang und Schöngesang und was man mir da alles so eingeredet hatte bedacht – alles ein bisschen theatralisch …

War Blue Blood auch so angelegt wie All done and dusted, als eine Mischung aus Coversongs und selbstgeschriebenen Liedern?

Ja. Das wird aber die nächste nicht mehr. Jetzt habe ich mich ausgecovert.

Nur Selbstgescbhriebenes also auf der Chocolate Chilli …

… Chocolate and Chilli Pepper – wenn’s dabei bleibt. Ich hatte für die All done and dusted auch mehrere Arbeitstitel, und am Schluss … Da war dann das zweite Kind da, und da war dann alles in Butter – „all done and dusted“ heißt im colloquial English ja „alles in Butter“, und dann dachte ich, so, jetzt ist alles in Butter …

… in trockenen Tüchern …

Genau. Ganz genau. Alles war in trockenen Tüchern. Und das Ziel ist jetzt, auf der neuen CD nur Selbstgeschriebenes zu haben. Wir haben sie eigentlich auch schon fast fertig geschrieben, also ich, in dem Fall, habe sie fast fertig geschrieben …

… Das sagtest du ja auch schon am Telefon: Dass du es kaum noch erwarten kannst, ins Studio zu gehen und sie endlich aufzunehmen! Aber noch einmal zurück zu All done and dusted. Ich finde, dass sich die Coversongs hier derart natürlich in die Neukompositionen integrieren, dass man gar nicht das Gefühl hat, dass es sich um Interpretationen handelt. Selbst der Beatles-Klassiker Eleanor Rigby ist mit einem Mal eben kein Beatles-Klassiker mehr, sondern ein Alexa Rodrian-Song. Ich habe das Gefühl, dass Du die Coversongs nach den Geschichten aussuchst, die sie erzählen – danach, ob sie zu den Geschichten passen, die du selber schreibst.

Genau. Der Text Eleanor Rigby von den Beatles ist der Song, der am besten zu meinen Texten passt. Zum Beispiel zum Song No Use. Ich habe ja viele Frauenlieder. Ich schreibe gerne für Überfrauen. No Use war inspiriert von einem Goya-Bild, dann allerdings auch schon verstrickt mit einer Geschichte, die auch persönlich ist, was ich aber nicht an die große Glocke hängen will. Der Titel von No Use kommt eigentlich von abuse. Auf dem Bild ist eine Frau zu sehen, die offensichtlich vergewaltigt wurde im Feld, eines von Goyas Kriegsbildern … Und es heißt bei mir dazu eben „she was born in a different place“, da habe ich angenommen, sie sei vielleicht eine Prostituierte, und dann habe ich mit meinem persönlichen Umbau dieses Lied geschrieben, denn natürlich nenne ich kein Lied „Abuse“. Es war ein wirklich schwerer Text, und auch die Musik wurde sehr schwer, schwermütig, und ich habe zu Jens gesagt, du musst mir das jetzt irgendwie polkaesk hocharrangieren, damit es leichter wird. Und das hat dann ja auch super geklappt! Ursprünglich aber war dieser spezifische Song von den Akkorden her ein Lied, dass ich für Lou nach der Geburt geschrieben hatte. Das war mir dann aber zu persönlich, und dann habe ich die Akkorde genommen und einen neuen Text darüber geschrieben. Ursprünglich ging es um eine Geschichte, wie ich in den Kreißsaal gefahren wurde – ich hatte bei beiden Kindern einen Kaiserschnitt -, und das war auch eine schöne Geschichte, aber die war nichts für die Öffentlichkeit. Die war meine Geschichte.

Nichts, was du auf der CD sehen wolltest …

Genau. Ich wollte dann diese Geschichte, die mit dem Goya-Bild in Verbindung zu setzen ist, die aber auch sehr persönlich jemandem gewidmet ist. Und die Eleanor Rigby ist für mich eine mystische Frau. Ich weiß bis heute nicht, warum und weshalb sie entstanden ist. Ich habe mich auch nicht erkundigt, denn ich habe meine eigenen Gedanken zu ihr. Mich hat das Lied immer bewegt. Die steht da in der Kirche und die repräsentiert was Trauriges für mich. Ich fand sie toll und sagte zu Jens, ich will dazu Drum and Bass, und dann haben wir das Florian einspielen lasen – in einem Zug, da ist nichts geloopt! Das ist einer von den Blaumannschlagzeugern (Anmerkung Klangverführer: Rodrians Mann ist musikalischer Leiter der Blue Man Group), und der hat das so unglaublich gemacht – das ist einfach ein Hit, die Nummer! Der Typ hat ganz kurze, muskulöse Arme, kleine Hände: Hebelwirkung, schnell, drrrrrrt! Ich meine, Marco kann ja auch gut Schlagzeug spielen, aber der ist ja auf den Koffer umgestiegen …

Als ich mir dein Eleanor Rigby angehört habe, musste ich erst einmal das Beatles-Original wieder hervorkramen. Dabei bin ich auf eine Version von Ray Charles gestoßen …

Cool! Und die Esther Kaiser, meine Kollegin hier in Berlin, hat auch eine schöne Eleanor Rigby-Version gemacht, völlig unabhängig von mir, sehr jazzig und sehr schön arrangiert, ganz anders als bei mir!

Ich kenne sie eigentlich als Jazz Poetin …

Aber jetzt singt sie gerade deutsch. Wir haben uns befreundet, und das finde ich sehr schön: Sie ist die erste Sängerin, mit der ich in Berlin in Kontakt kam, und jetzt wohnt sie hier um die Ecke. Durch sie habe ich auch diesen Musikschulenjob in Potsdam gekriegt. Ich habe zu Esther eine gute Beziehung entwickelt, und erst dann habe ich von ihr diese Eleanor Rigby-Version gehört und habe mich sehr daran erfreut! Sie ist ruhiger als meine Version, elegischer aber sehr schön. Ich mag ihren Stimmsound sehr.

Ein Lied, das die Sängerinnen anzieht!

Ja, scheint mir so. Ich glaube, dass das ein Sängerinnen-Lied ist. Ich selbst bin immer von solchen Themen angezogen. Ich habe ganze Reihen, wo es nur um Frauen geht … Mother’s Day, mein Mutterlied von gestern … Das ist ja auch so entstanden. Als Coco geboren war, trug ich – wie immer – mein Lieblingsparfüm, und Jens meinte so süß besorgt, glaubst du nicht, das ist schädlich? Und ich musste innerlich so lachen und dachte so, Mann, das ist das Parfüm ihrer Mutter, das ist nicht schädlich! Und hab dann eben geschrieben: „If you can prove to me that human kind is stupid because mother’s wearing perfume …“ Das war natürlich jetzt nicht auf Jens gemünzt, sonder so allgemein – Mütter werden für vieles verantwortlich gemacht, für Kriege, für vieles! Es war ein sehr sehr verhaltenes Publikum gestern, es war gar nicht leicht gestern. Aber mir ist das mittlerweile nicht mehr so wichtig. Wir selber hatten für uns einen tierischen Spaß gehabt auf der Bühne. Allerdings war auch unser Mixboard abgerauscht, wir hatten ganz andere technische Voraussetzungen.

Ja, es war wie bei einem Akustik-Set – aber dafür war der Raumklang nicht gut genug. Es blieb wie unter einen Glocke, und deshalb habe ich auch ein bisschen gebraucht, um erst einmal Zugang zu finden zu euch … Schmittke stellte sich dann hin, und – woah, die waren sofort vollverstärkt auf den Punkt da. Was den Raum eben besser füllte, ich aber schade finde, denn ich halte das b-flat eigentlich für einen guten Akustikraum …

Ich bin da auch gerne. Aber im Haus ist der Sound wohl in der Tat nicht so grandios. Auf der Bühne selbst hatte ich einen fantastischen Sound gestern! Ich habe sonst ein anderes Mikrophon … mein neues favorisiertes Mikrophon, mit dem kann ich den Trompetesound besser reproduzieren … Ich hatte mir neulich mal das tolle Naumann-Ding ausprobiert, dieses Wahnsinnsteil, und da gibt es jetzt ein Äquivalent von Beyerdynamic, auch ein Kondensator, und das nimmt halt irrsinnig viel auf. Und wenn ich die Trompeten mache, die ich gestern nur sehr wenig gemacht habe, dann ist das unglaublich fein und erlaubt mir, diese ganzen Sounds zu machen, die ich so gerne mache! Und das konnte ich mit dem Shure gestern nicht so gut. Trotzdem hatte es einen besseren Sound als ich dachte.

Was hattest du da, ein SM 58?

Ja, den Klassiker. Unverwüstlich. Den kannste auf den Boden schmeißen …

 

Rodrians 10-jährige Tochter Lou kommt in die Wohnküche und verkündet, dass der Zupfkuchen aus der LPG nicht mehr so gut wie früher schmecke. Ob man den Bäcker gewechselt habe? Ich verspreche, darüber zu schreiben. Also: Liebe LPG-ler, falls das hier einer von euch liest – bitte den Zupfkuchen wieder so machen, wie er bisher war! Danke.

Lass uns zurück zu deinen Liedern kommen. Warum schreibst du auf Englisch?

Das ist meine Sprache.

Deine Muttersprache?

Nein. Aber stell dir vor, du gehst nach Amerika und wirst Schreiner und lernst alles auf Englisch. Dann kommst du nach Deutschland zurück und weißt nicht mehr, was Schraube heißt. Und ich habe in Amerika Musik gelernt, und überhaupt erst dort angefangen, Lieder zu schreiben.

Aber du schreibst ja nicht über Musik – du schreibst über Emotionen!

Ja, das stimmt. Die Emotionen sind Muttersprache, das ist ganz klar. Meine Kinder konnte ich nicht zwei-sprachig erziehen. Also meine Lou wurde mir in den Arm gelegt und ich hätte nie gesagt, „sweet little pumpkin!“ Aber Geschichten erzählen kann ich irrsinnig gut in Englisch. Auch weil ich zu meinen Emotionen Distanz brauche – schließlich will ich Geschichten erzählen und nicht mein Leben! Die Geschichten haben natürlich alle etwas mit mir zu tun. Aber sie können auch neutral belichtet werden. Zudem hat Englisch einen Fundus an Worten, den hat das Deutsche nicht. Es ist eine wunderschön „metapheröse“ Sprache. Außerdem liebe ich Amerika! Das klingt ganz komisch, denn ich hasse die Politik – aber ich liebe dieses Land!

Was denn daran genau?

Sartre hat mal gesagt, in Paris – und ich liebe auch Paris, ich habe auch in Paris gelebt – in Paris also gehst du von einem Platz zum anderen, es endet immer irgendwo. In New York gehst du am Broadway los und endest in Boston. Ich liebe diese Weite! Und ich muss schon sagen, dieser Ian Fisher, dieser wahnsinnig intensive Typ von gestern (Anmerkung Klangverführer: Ian Fisher) … der hat etwas von „urban Americans“ gesagt. Und das ist es; ich liebe die städtischen Amerikaner. Aber ich habe auch ländliche kennengelernt, die ich liebe … Ich glaube, es gibt da doch noch eine Nummer, die ich covern will, nämlich I’m a Creep. Und dann habe ich gedacht, kann ich wirklich „I’m a creep“ singen? Und dann habe ich weiter gedacht, ja, denn ich bin immer schon irrwitzig extrovertiert gewesen – ich war immer ein Außenseiter in Deutschland, gerade in Bayern, gewesen. Überall bin ich rein, hallo, hab mit allen geredet. Und in Amerika gehe ich in den Supermarkt, hello, how you’re doing?, und kriege eine Antwort, und keiner guckt komisch! Und ich liebe das! Ich will mit meinem Metzger keine tiefschürfenden Gespräche haben, aber diese quality of daily life. Die Deutschen würden dann etwas von wegen oberflächlich sagen, nach dem Motto, die interessieren sich ja gar nicht wirklich für dich. Ja natürlich interessiert sich mein Metzger nicht wirklich für mich. Aber er ist nett. In New York wirst du nicht einsam. Du bist eingebunden. Du gehst zum Friseur, wenn es dich langweilt, und redest mit ihm über das Leben. Und das mochte ich. Auch die amerikanischen Jazz-Musiker, von denen habe ich unglaublich viel über das Offensein gelernt. Nicht urteilend sein, sondern großzügig. Ich wäre nicht die Lehrerin, die ich heute bin, wenn ich nicht von diesen Menschen gelehrt worden wäre, sondern von den damals noch echt bitteren, grummeligen deutschen Jazzern. Huh! Ich war ja auch nie so ein Typ! Ich bin immer schick auf die Bühne gegangen, und in Amerika wird das geschätzt. Die Jungs aus Harlem, die gehen da mit ihren schicken Hosen und Wässerchen und so auf die Bühne, und dann wird freundlich gequatscht und, ja klar, kommen fünftausend und sagen, oh you sound great, und du weißt, dass es nur ein halber von denen so meint, aber das ist völlig wurscht! Auch die Sängerinnen untereinander … Oder ein Amerikaner kommt in deine Wohnung und sagt, wow, great apartment. Ein Deutscher kommt in deine Wohnung und fragt, was zahlst’n für die Hütte? Oder so eine andere sehr deutsche Frage: Hat es sich für dich überhaupt gelohnt, nach Amerika zu gehen? Hast du da denn jetzt Karriere gemacht? Nee, ich bin auch nicht nach Amerika gegangen – ich war siebenundzwanzig, ich war ja kein Hühnchen mehr – um Karriere zu machen. Ich bin dahin gegangen um mich solide ausbilden zu lassen und um dieser Musik Ehre zu erweisen. Ich bin ein dedicated Jazz fan, ich liebe diese Musik, und ich hatte Sheila Jordan und Buster Williams und somit echt Glück mit meinen Lehrern, ich bin gefördert worden mit sehr viel Herz! Sheila bin ich ja ein bisschen abgesprungen, als ich in die Songwriting-Richtung ging, und ich habe auch einen Wehrmutstropfen in ihrem Herzen gesehen, als ich ihr meine erste CD vorspielte. Irgendwann nämlich ist sie nach dem Unterricht mit mir Kaffee trinken gegangen, und dann meinte sie zu mir, Alexa, I have to tell you, you know what you have to do? Und ich so, No, I don’t know. Und sie: You’re born for this music, you have to sing Jazz! Von Sheila Jordan so etwas zu hören, das war natürlich wie: Soll ich jetzt weinen? Dann aber musste ich meine eigene Stimme finden – nur hätte sie es sicherlich gern gehabt, dass ich dem Bebop und dem Jazz ein bisschen treuer bleibe.

Aber du singst Jazz!

Also, darüber streiten sich die Geister!

 

Lou unterbricht uns erneut kurz, und als Rodrian den Faden wieder aufnimmt,
ist ihr Fazit:
Also, ich bin ja schon ganz eindeutig Jazz-Sängerin und Mutter.

Geht das Hand in Hand? Hat das Muttersein Auswirkungen auf dein Künstlertum?

Ja – ja, ach Gott! Dieses Kind war geboren und die Prioritäten haben sich von einer Sekunde auf die andere verschoben. Es war noch schwieriger bei ihr, denn damals dachte ich, ich muss ja Karriere machen und so. Es wurde leichter beim zweiten. Meine Freundin hat das auch immer gesagt, dann bist du noch eindeutiger Mutter. Dann hast du zwei. Aber schon sie war das Glück, und das zweite … absolut. Und deswegen bin ich … vielleicht wird die Karriere noch ein bisschen größer, aber ich bin zufrieden. Ich habe so viel Glück gehabt mit dieser Familie, das wollte ich immer, das war meine Priorität. Ich wollte eine gute Familie und auch eine gute Ehe. Die Musik wird dadurch immer ruhiger. Das letzte Lied, das ich gestern gesungen habe, A Little Too Much, ist ja auch für die Mädels. Es ist das erste Lied, in dem ich so direkt über mich singe, das habe ich mich auch nicht getraut früher, das fand ich immer affig. I am what I am, was ist denn das für ein blöder Satz, hätte ich früher gesagt. Aber das finde ich jetzt gar nicht mehr.

Du sagst, das war das erste persönliche Lied – mich hat es allerdings an den Fisher’s Song auf deiner CD erinnert …

Ja, die intensivsten Lieder sind dann halt so! Der Fisher’s Song ist allerdings wirklich nur für Jens.

Das unkitschigste Liebeslied, das ich je gehört habe – und eines der schönsten!

Fisher’s Song? Ja, ich mag den auch sehr. Und es freut mich, dass du den magst. Es ist auch eine tolle Geschichte, denn ich habe diesen Song seinem besten Freund vorgestellt, das ist Gerd Baumann, ein wunderbarer deutscher Komponist, der 2005 für den deutschen Filmpreis für die Musik von Wer früher stirbt ist länger tot nominiert wurde, und ich komme da hin mit meinem kleinen Zettel und sage, Gerd, das musst du jetzt mit mir aufnehmen! Es war wirklich mein erster ausgeschriebener Nur-Ich-Song – für IHN, da durfte kein Akkord von IHM sein, das war ja klar; und dann kommt Gerd mit seinem kritischen Blick und meint, da stimmt doch was nicht, und ich war vollkommen nervös – ich meine, er ist ein Komponist, und ich komme da mit meinem kleinen Song an … Und dann habe ich all meinen Mut zusammengenommen und gesagt, doch Gerd, das stimmt so, und dann fing er an, es auf der Gitarre zu spielen und sagte, sing mal, und ich habe den Song gesungen – danach war er ganz still. Und dann schaut er mich so an und sagt, wow, was für ein Song! Und ich denke, toll, er mag’s! Das war echt so wie, puh, Meisterprüfung bestanden! Ich werde den Song auch wieder live spielen, er ist jetzt nur aus dem Programm gefallen wegen des anderen Liedes, A Little Too Much und Fisher’s Song zusammen, das würde …

… das Publikum ganz schön schlauchen …

Genau. Und Little Too Much ist ja deswegen entstanden, weil der Marco neulich mit mir an einem Tisch saß und mir von einer Kollegin erzählte, die es ihm ein bisschen schwer gemacht hat, weil sie nicht genug mit ihm redete, damit konnte er nicht gut umgehen. Und während wir miteinander sprachen, schaute er mich so an und meinte, weißt du, Alexa, du redest immer ein bisschen zu viel. Und dann bekam er ganz große braune Rehaugen – er ist ja so sensibel, er wollte mir nicht weh tun, sondern mit eigentlich ein Kompliment machen nach dem Motto, du lässt mich nicht auf der Strecke verhungern … Ich habe ihn so ein bisschen zappeln lassen und meinte nur, ja, stimmt, und er: du weißt, wie ich das meine. Und so ist Little Too Much entstanden, und gewidmet habe ich es meinen Mädels.

Was sagen die dazu, verstehen die das schon?

Lou hat eine ganz starke Beziehung zu mir als Sängerin, die Coco sagt immer: hör auf – das ist aber auch total in Ordnung! Lou hat man mir im Kreißsaal, während man mir den Kaiserschnitt schloss, in die Arme gelegt, und dieses Kind schaute mich mit diesen braunen Augen von Anfang an so an … und ich war völlig – ich weiß nicht, was ich war, wie man dann eben so ist, und dann – sang ich: „Sweet little dolphin/when do you finally see/that you belong to me“. Wenn ich ihr dieses Lied singe, schläft sie in einer Sekunde, und wir singen es bis heute noch nach dem Baden – und jetzt möchte die Coco auch. Ich bin ja sowieso die Delphin-Dame, weil ich diesen Delphin hatte, der mich ins Meer ziehen wollte. Das ist eine wahre Geschichte. Mein Vater hatte mir, kurz bevor er starb, einen riesigen Plastikdelphin geschenkt, und du weißt ja, wie Kinder sind! Ich war fünf und er starb – und was mir blieb, war ein Delphin. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich wollte dann immer mit Delphinen schwimmen gehen. Und dann war ich ein paar Jährchen älter, und da kam einer und wollte mit mir schwimmen, nämlich bei den Liparischen Inseln. Da sind wir mit einem Segelboot gewesen, und im Nachhinein habe ich erfahren, dieser Delphin wollte wirklich mit mir spielen! Die suchen sich nämlich oftmals Kinder oder junge Frauen, ich war damals einundzwanzig, zwischen jungem Mädchen und Frau, und er gab mir Signale. Ich saß vorne auf dem Netz, und er schwamm seitlich und gab mir ein eindeutiges Signal, aber ich durfte nicht springen! Das wäre natürlich der Traum meines Lebens gewesen. Und er kam dann zurück mit zwei Freunden und hat für uns getanzt: Jetzt zeig ich dir, dass ich auch ohne dich spielen kann. Jens hat mir zu meinem Dreißigsten Schwimmen mit Delphinen geschenkt, nur haben wir es bis heute nicht geschafft. Aber es kommt noch! Irgendwann werde ich mit den Mädels … nur in der Freiheit, natürlich. Ich will keinen Delphin im Becken. Ich will nur bei Key West oder so mit dem Boot raus, gucken ob sie kommen oder nicht. Wenn sie kommen – gut …

Wenn nicht …

… auch gut.

Dann eben das nächste Mal.

Oder im nächsten Leben, whatever.

 

Teil 3: Rückblick: All Done And Dusted

Es ist mittlerweile zweieinhalb Jahre her, seit ich mich zuletzt darüber echauffierte, dass zunehmend mehr Labels, allen voran die Majors, die sogenannte „physische Bemusterung“ von Journalisten mit ihren Tonträgern eingestellt haben. Stattdessen darf der willige Schreiberling die Neuerscheinungen in dubiosen Online-Portalen hören und sich passende Bilder und Pressetexte herunterladen. Ein vernünftiges Arbeiten, bei dem man die Tracks hoch und runter hört, auch mal eine Stelle zurückspult und erneut abspielt und in den Tiefen des Booklets auf der Suche nach interessanten Liner Notes ist – all dies gehört der Vergangenheit an. Es liegt auf der Hand, dass dieses Vorgehen den Plattenfirmen zwar oberflächlich betrachtet zunächst Geld spart. Da es den Musikjournalisten aber die Arbeit nicht nur immens erschwert, sondern teil unmöglich macht, muss man sich nicht wundern, wenn auch der sanftmütigste Schreiber die Neuerscheinungen dieser Labels zukünftig ignoriert. Wie viele meiner Kollegen habe auch ich mittlerweile die Konsequenzen gezogen: Kein Material für mich, kein Artikel für Euch. Das ist natürlich schade, denn letztlich müssen die Künstler unter der verfehlten PR-Strategie ihres Labels leiden. Es sei denn, sie werden selbst aktiv. Auf diese Weise gelangte ich den Besitz eines ganz besonderen Schatzes. Die Rede ist von Rodrians 2008 auf NRW Records erschienenem Album All done and dusted.

Als ich es erstmals anspielte, glaubte ich mich beim Einsetzen der Gitarre auf dem ersten Track kurz an Cassandra Wilsons Redbone erinnert. Aber weit gefehlt, denn tatsächlich war hier die Stimme zu hören, die ich schon auf trondheyms Stay Tuned bewundert hatte und in ihrer unvergleichlich lässigen Art das sang, was die Sängerin selbst als „ihre Musikgeschichten“ bezeichnet. All done and dusted besticht durch eine Mischung aus Eigenkompositionen und schlau ausgewählten Coversongs, die in erster Linie durch die Geschichten, die sie erzählen, verbunden werden. Die Beatles-Nummer Eleanor Rigby findet man hier völlig gleichberechtigt neben Tom Waits‘ Shiver Me Timbers oder dem Bill-Withers-Klassiker Ain’t No Sunshine, aber auch eine Version von Hänschen Klein bzw. in diesem Falle Little John. Einer der wohl coolsten Tracks des Albums aber ist eine Komposition von Gerd Baumann, zu der Alexa Rodrian den Text beisteuerte: Lose. Große Klasse auch das Latin-angehauchte Pearl mit stilecht gerolltem R im Refrain. Müsste ich einen Lieblingssong aus dem Album benennen – es würde mir schwer fallen! Vermutlich aber fiele meine Wahl auf He’s Writing Again, die als funk-rockigste Nummer des Albums wie nur irgendwas groovt und in deren Text sich vermutlich jeder Schreiber wieder erkennt: „painfully the words don’t flow/painfully they come and or go/right or wrong much sense or none/painfully he will eventually spit them out/he is writing again …“ Oder es wäre Fisher’s Song, wohl eines der schönsten, weil gänzlich unprätentiösen Liebeslieder überhaupt. Ein Song für den eigenen Mann – das kann schnell in Kitsch ausarten. Ist hier aber nicht passiert, im Gegenteil. Toll.

13. Januar 2011

Und was machen wir morgen? Wir gehen zu trondheym in Sepp Maiers 2raumwohnung!

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Nach trondheym (2006) und Beta (2008), beide dominiert vom eher nudeligen Klang der – gedämpften – Trompete Nikolaus Neusers, gibt es den elektronischen Jazz des Duos um Jazz-Gitarrist und Live-Laptoper – und, wie er auf dem Thin Lizzy-Cover Little Girl In Bloom (übrigens der perfekte Song für einen verkaterten Morgen) beweist, durchaus passablen Sänger – Gerhard Schmitt auf dem dritten Album Stay Tuned (2009) endlich mit balsamischer Bassklarinette. Und die ist, entgegen ihres Rufes, definitiv kein Altherreninstrument, und nein, man muss auf ihr auch nicht immer Klezmer spielen! Vielmehr verleiht ihr traditioneller Klang Stay Tuned sehr viel Raum, Luft und Wärme, die allerdings nicht im Kontrast zur Elektronik stehen, sondern auf diese gleichsam abzufärben scheinen. Alles ist sehr transparent, leicht, schwebend, gewissermaßen schwerelos und fühlt sich an, als würde man im Salzwassertank floaten, geborgen wie im Mutterleib und trotzdem eins mit der Umgebung. Hierfür wurde Lars Dietrich verpflichtet, und auch eine meiner Lieblingssängerinnen, Ofri Brin von Ofrin, ist mit von der Partie. Little House ist nicht nur eine fast klassische Jazznummer, sondern auch der absolute Höhepunkt des Albums, veredelt vom Scheiß-egal-Mezzo Alexa Rodrians – großartig! Die bringt gedanklich mal ganz lässig ihre Rivalin um die Ecke. Genial die Zeilen „I want my shoes back/I want them back in red/I want my shoes back/In red I want them back//I want my shoes back/I want them back in red/I want that neighbor’s wife/with a knife in her back“. Doch die Gastvokalisten sind nicht die einzige Neuerung: Erstmals bestehen die Songtitel aus mehr als einem Wort … Dann gibt es noch – tropf! – die Wasserfolternummer Water Me mit Nik Leistle an der Bassklarinette, der sonst eigentlich dem Baritonsaxophon zugetan ist, zum Beispiel bei Beat` n`Blow oder den Jive Sharks.

Liefen die ersten beiden trondheym-CDs bei mir noch unter dem Etikett „ganz nett, hübsche Ambient-Klangtapete, aber nix Besonderes“, ist Stay Tuned das erste trondheym-Album, das ich mir privat gekauft habe. Grund genug, die neuen trondheym mal live auszuchecken. Erste Höreindrücke gibt es hier.

Wo? In Sepp Maiers 2raumwohnung, Langhansstraße 19, in Berlin-Weißensee. Tram: M4, M13, 12 Antonplatz.
Wann? Freitag, den 14. Januar 20100, 20.00 Uhr

2raumkatze Ella, Herrscherin über Sepp Maiers 2raumwohnung und gar nicht so heimliche Chefin von Achim Seuberling, wird sicherheitshalber verbannt, denn Kopfhörerhund kommt auch. Also, nicht falsch verstehen: Kopfhörerhund mag Katzen bzw. sie sind ihm völlig egal. Wie das umgekehrt aussieht, wollen wir lieber nicht austesten. So eine Katzenkralle ist messerscharf, und eine Hundenase hochempfindlich.

12. September 2010

Der Popkomm neue Kleider: Über eine Musikmesse, die alles anders machen möchte als bisher

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , — VSz | Klangverführer @ 17:17

Das geht ja schon mal wieder gut los. Statt der angekündigten 10:00 Uhr öffnet der Presse-Akkreditierungs-Counter kurz vor elf. Die wartende Journaille, die über die Gründe der Verzögerung zu informieren man erst auf Nachfrage für nötig befindet, wird lapidar mit „technische Probleme“ beschieden. Als es endlich los geht, stellen wir allesamt fest, am falschen Counter gewartet zu haben. Dieser war nur für das Berlin Festival, nicht für die Popkomm. Zwar kommt man mit Popkomm-Badge auf das Berlin Festival, umgekehrt jedoch nicht. Weshalb dann ausgerechnet dieser Counter mit großen Presse-Akkreditierungs-Schild vor dem Eingang aufgebaut ist, bleibt ein Geheimnis. Meine Kollegen und ich fragen uns durch zur Popkomm-Akkreditierung, und einmal gefunden – was so einfach nicht ist, da jeder Security-Mensch seine eigene Vorstellung davon hat –, räumt die Popkomm-Presseverantwortliche sekundenschnell und unbürokratisch letzte Hindernisse, geschuldet einer geistig etwas schwerfälligen Hostess, aus dem Weg. Da kann man nicht meckern, würde der Berliner sagen, wenn man sich erstmal zur Presseverantwortlichen vorgearbeitet hat, ist die Betreuung vorzüglich. Das Chaos bezüglich des Was-ist-wo? bleibt allerdings. Garderobe? Weiß niemand. Auch am dritten Messetag nicht. Jazzkomm? Keine Ahnung, man solle einfach mal auf den Plan schauen. Ich spreche mit Mitarbeitern und Ausstellern, und alle halten die neue Location im ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof für, gelinde ausgedrückt, „unglücklich“ gewählt. Niemand versteht das Gelände, die Wege sind lang, eine Ausstellerin vertraute mir an, sie habe es gesehen und spontan „Oh Gott“ gedacht. Wo der Eingang zum Fachbesucherbereich ist, wird nur im Trial-and-Error-Prinzip klar.


Die Location mit ihrem 30er-Jahre-Charme ist erst einmal gewöhnungsbedürftig.

Endlich drin, treffe ich sogleich auf den Wettbewerb, wie man neuerdings so schön formuliert. Früher hätte man gesagt: die Konkurrenz. Ronson Jonson, ebenfalls Musikwissenschaftler, ebenfalls Autor bei einem Hifi-Magazin und obendrein auch noch Musiker, der – und hier kommt jetzt doch ein Fünkchen Neid auf – im Gegensatz zu mir auch aktiv ist. Er drückt mir seine letzte Produktion in die Hand: Natascha Leonie, Forget Humble. Die CD der Frankfurter Indie-Folk-Sängerin/Songwriterin mit Hang zur Melancholie hat ein hübsches Artwork, ich bin gespannt, ob sie hält, was es verspricht. Beim Hören zu Hause soll sich das Album über „Leben und Lieben und Verlassen und Verlassenwerden“ als ganz zauberhaft erweisen und, das wird sich viel später herausstellen, zudem als eines der besten, die ich von der Popkomm mitgenommen habe.

Bei der Fortsetzung meines Streifzuges stoße ich auf Ulrich Sourisseau, den Macher des Vinylrecorders T-560 – einem Gerät, welches es ermöglicht, eigene Schallplatten in Kleinst- oder gar Einzelauflage ganz ohne Presswerk herzustellen, sprich: zu schneiden. Ein speziell beschichteter Diamantschneidestichel fräst tiefe Rillen in eine sich in Abspielgeschwindigkeit drehende Leerplatte, indem er von Spulen, an denen das verstärkte Mono- oder Stereosignal anliegt, vertikal bzw. horizontal zur Plattenoberfläche bewegt wird. Das Besondere am T-560 nun aber ist die um 45 Grad gedrehte horizontale wie auch vertikale Modulation, die ein Stereosignal in einer einzigen Rille ermöglicht – die Piktogramme hier veranschaulichen den Vorgang besser als ich ihn beschreiben kann! Warmen Vinylsound verspricht das Ergebnis. Dann zeigt mir einer der beiden seinen ganzen Stolz, den Vakuumabsauger, der dafür sorgt, den aus der Rille herausgeschnittenen Span gleichzeitig mit dem Schneidevorgang zu entfernen.

Auf Sourisseaus Webpräsenz www.vinylrecorder.com gibt es neben anschaulichen Infos rund um den T-560 sogar so etwas wie Elektroakustikpoesie, beispielsweise eine Art Haiku zum Tod des Stichels:

    Der Stichel stirbt langsam,
    Jede Schallplatte ein wenig!
    Die Geräusche werden lauter,
    die Höhen schwächer!

In einschlägigen DJ-Foren jedenfalls wird intensiv über Sinn oder Unsinn des T-560 debattiert. Fakt ist, dass mit ihm bislang unbezahlbare Dubplate Schneidemaschinen erschwinglich werden. Fakt ist aber auch, dass der Vorgang des Schallplatteschneidens nicht vergleichbar ist mit mal eben eine CD brennen – zu abhängig ist er von Peripherie und nicht zuletzt audiotechnischem Vorwissen – da kann es sein, dass man gute zehn Leerplatten verbrät, bevor man endlich die richtigen Einstellungen gefunden hat. Aber dann! Anschauen kann man sich die ganze Sache hier.


Vor dem VUT-Stand wird auch schon mal lebhaft diskutiert.

Wer sich dann doch lieber auf ein Kleinstauflagenpresswerk verlassen möchte, wird schräg gegenüber fündig – beim Gemeinschaftsstand des VUT, des Verbandes unabhängiger Musikunternehmen, dessen einem oder anderen Mitglied ich schon im Frühjahr bei der (Pop Up über den Weg gelaufen bin. Hier gibt es nicht nur wieder die Rohmasse Vinyl in allen Farben des Regenbogens zu bewundern, sondern auch die ziemlich martialisch anmutende Goldene Indie-Axt, mit der demnächst eine Person geehrt werden soll, die „die für den ideellen, kulturellen und/oder den wirtschaftlichen Erfolg der unabhängigen Musikunternehmen mutigen, unkonventionellen und wirksamen Einsatz gezeigt hat“. Auf der Popkomm ist der VUT unter dem Motto „Independent Business Class” mit 64 Musikunternehmen aus ganz Deutschland vertreten, unter anderem alte Bekannte wie PIAS Germany oder Uwe Kerkau Promotion, und natürlich gibt es neben Informationen zum deutschen Independent Markt auch wieder eine Vinylproduktionsstraße, anhand derer Björn Bieber vom Vinylduplicationunternehmen Flight 13 erklärt, wie das „schwarze Gold“ der Musikindustrie von der Rohmasse zur fertigen Schallplatte wird.

Ein Schwerpunkt liegt auf Musikunternehmen aus Berlin und Brandenburg, und so verwundert es nicht, dass ich am Stand der Tonkooperative auch hier so manchen Bekannten der (Pop Up wiedertreffe, wie beispielsweise Eastblok Music mit ihren Balkan Grooves, die – was lange währt, wird gut – jetzt aber wirklich in der kommenden Ausgabe von Victoriah’s Music besprochen werden (sollen). Neben dem ebenso engagierten wie sympathischen VUT wird Deutschland auf der Popkomm von einem Stand Baden-Württembergs vertreten, der beweist, dass man im Ländle Wert auf eine solide Ausbildung legt. Mit dem Slogan Wenn schon Popstar, dann mit Abschluss wirbt das „Bundesland der Superlative“ für die Mannheimer Pop-Akademie, wo sich ein Bachelor in Studiengängen wie Musikbusiness oder Popmusikdesign (Claim: „Musikalisches Talent entwickeln, Kreativität wecken, Potenzial beschleunigen“) erwerben lässt. Bezeichnenderweise ist dies der größte Stand der ganzen Messe.

Gleich neben den deutschen Ständen finden sich unsere unmittelbaren Nachbarn, die Österreicher und Schweizer. Wo mir die ersten einen allzu kommerziellen Sampler bereit zu halten scheinen – wo sind so großartige Österreichische Musiker wie beispielsweise die Wiener Tschuschenkappelle, wo Electric Poetry & Lo-Fi Cookies? –, kann die Schweiz mit vier Compilations aufwarten, darunter jazz. made in switzerland. selection 2009/2010, die zu meiner großen Freude auch den Track It’s a Sonic Life von Rusconi featuret. Ich komme mit dem netten Schweizer Repräsentanten ins Gespräch, und er empfiehlt mir eine Art Schweizer My Space, welches sich als wahre Fundgrube in Sachen Schweizer Musikszene im Allgemeinen und Jazz im Besonderen erweisen soll: www.mx3.ch.

Was ansonsten von dem Trend zu halten ist, dass die verschiedenen Länder – allen voran die Nordlichter, neben Kanada die Iren, Dänemark, Schweden und natürlich Norwegen und Finnland – ihre staatlich subventionierten Musikexportbüros auf die Messe schicken … darüber soll lieber geschwiegen werden. Auch Südafrika, durch die WM dieses Jahr ein Must, ist mit einer „Collection of South African Songs“ vertreten. Ich denke Vuvuzela und mache mich aus dem Staub. Vielleicht bin ich ignorant, aber ich halte es für ohnehin nur schwerlich vorstellbar, dass die in den Büros zur Förderung des Musikexportes ausgewählte Musik wirklich dem Neuen, Überraschenden oder gar dem ein oder anderen Geheimtipp des jeweiligen Landes gerecht werden kann. Experimentelles? Fehlanzeige! Kein Wunder, dass viele Länderrepräsentanten im persönlichen Gespräch mehr als auf ihre Musiksampler verschämt auf einschlägige Internetadressen verweisen, wo man dann die „wirklich gute“ Musik findet. Und so lebt der Export dann auch eher von Mundpropaganda und Myspace als vom Musikexportbüro. Doch das nur am Rande.

Einen der beiden Seitengänge, die den Besucher nach Durchquerung eines schier unendlich langen Flughafenflurs in Form einer T-Gabelung erwarten, habe ich abgelaufen und kann eine aufkommendes Gefühl der Enttäuschung über das Angebot der Popkomm nicht unterdrücken. Deshalb die Stunde Anstehen am Morgen? Na, ich weiß nicht. Zufällig schnappe ich dann im Vorbeigehen auf, wie ein junger Mann und eine Frau einem Popkomm-Mitarbeiter die richtige Aussprache eines ungarischen Wortes nahebringen wollen. Es stellt sich heraus, dass es sich um den 1980 in Ungarn geborenen, aber in Deutschland aufgewachsenen Chansonnier Ivan und seine Managerin handelt. Der junge Barde versucht, enttäuscht von seinem Vaterland („Ungarn sprechen keine Sprachen“) von Berlin aus im europäischen Musikmarkt Fuß zu fassen. Seine für die Popkomm zusammengestellte 5-Track-Promo-EP beeindruckt dann auch zunächst durch eine demonstrative Multilingualität. Ivan singt auf ungarisch, englisch, spanisch, französisch, die Musik bleibt aber trotz eines Édith Piaf Covers sehr im Euro-Beat-Bereich mit überladenen Backgroundchören und Plastikschlagzeug verhaftet, genau so wie das mit Meer und Sonnenuntergang kein Klischee auslassende Video. Leider hört man für meine Begriffe den gelernten Musical- bzw. Operettensänger allzu deutlich durch, in der Eurovision Song Contest Ecke könnte jemand wie Ivan allerdings funktionieren – zudem der Sänger neben seinem weichen lyrischen Tenor über ein äußerst ansprechendes Äußeres verfügt. Wenn Berlin ihm jetzt noch ein paar Ecken und Kanten verpasst – und welcher Zuzügler ist davon je verschont geblieben? –, dann könnte das etwas werden. Allerdings eher auf der Musiktheater- denn der Rock-Bühne. Und das ist durchaus legitim, schließlich hat bei uns ein Alexander Klaws seine musikalische Heimat auch im Musical gefunden. Zwei Tage später bemerke ich allerdings, dass mir die weiter oben bemängelten Chöre von Új vágy ébred bennem nicht mehr aus dem Kopf gehen, dessen englische Übersetzung A new day is dawning es nur sinngemäß trifft – wortwörtlich genommen bedeutet der Titel soviel wie „ein neues Verlangen erwacht in mir“, und hierzulande denkt man dann natürlich an das ach-so-feurige Gulasch-Paprika-Csárdás-Puszta-Klischee, an gefährlich-edle Hunnen, halbwilde Reiterhirten oder glutäugige Zigeuner. Sorry, aber für irgendetwas muss so ein Hungarologie-Studium ja gut sein! Also, Ivan erweist sich am Ende des Tages als formidalbler Ohrwurm, obwohl er so ganz und gar nicht „meine“ Musik macht.

Mittlerweile bin ich vom Laufen, Hören und Reden schlicht platt. Ich brauche eine Pause und vor allem neue Energie. Die wird auch hier bevorzugt durch veganes bzw. organisches Essen geliefert – das war ja schon auf der (Pop Up so und bestätigt wieder einmal die These des Musikers als ziemlich heiklem Esser. (Wer einen wirklich heiklen Esser erleben möchte, ist herzlich eingeladen, sich einmal Kopfhörerhund anzuschauen: der ist das, was man einen „Futtermäkler“ nennt und treibt mich damit regelmäßig an den Rand des Wahnsinns, aber das nur nebenbei.)


Völkerverständigung der besonderen Art: Jamaikanische Gemüse-Reis-Pfanne trifft
auf bayuwarische Bierzelt-Tischdecke. Und ja, das schmeckt bedeutend besser als es aussieht.

Frisch gestärkt widme ich mich dem zweiten Gang der T-Gabelung, der mit Ausstellern aus der privaten Musikwirtschaft aufwartet. Universal Music beispielsweise ist dort. Machen indessen tun sie nichts. Sie sind einfach nur da. Allerdings hat man vom ganz in blau gehaltenen Universal-Stand einen hübschen Ausblick auf das Rollfeld. Der Blick ins Schaufenster des H’Art-Standes ist auch hübsch und lässt mich schmunzeln. Die Compliation-Reihe Chill n’ X (also Chill n’ Flamenco, Chill n’ Jazz, Chill n’ Lounge etc.) wurde um Chill n’ Michael – ein “Chill Out Tribute to Michael Jackson” ergänzt. Die nette Dame von H’Art versichert mir auf meine zaghaft hervorgebrachten Zweifel, dass das Konzept aufgehe und „keine Blasphemie“ sei. Zu Hause stellt sich heraus, dass sie Recht behalten soll. Schon der erste Track, eine Neueinspielung von Thriller durch Jingo feat. Lafemme, funktioniert. Ebenso Billie Jean von Hypnomusic. Großartig ist das schon fast ins Reggae-artige verschleppte Wanna Be Startin’ Somethin’ von Funky Rhythm Affair, die klar machen, dass hier gar nichts gestartet, sondern erst einmal gepflegt abgehangen wird! Heal The World, einer der wenigen Jackson-Tracks, die ich schon in der Originalversion nicht mag, hätte meiner Meinung nach nicht sein müssen – schon das weltverbesserische Thema eignet sich nicht zum Loungen. Ansonsten aber bin ich von dem Album sehr angetan. Auf Chill n’ Michael will man Michael Jackson nicht covern – was ja auch zwangsläufig schief gehen müsste! –, sondern seine Musik ins Chill-Out-Idiom übersetzen, was sie klingen lässt wie eine neue Platte von Sade. Laszive Frauenstimmen singen Jacksons Kompositionen in Zeitlupentempo – das ist tatsächlich schön.

Neben der Chill n’ X und Bossa n’ X (also Bossa n‘ Stones, Bossa n‘ Roses, Bossa n‘ Ramones, Bossa n‘ Marley etc.) habe ich den H’Art-Vertrieb bislang vor allem für seine Beginner’s Guide To-Serie geschätzt. Der Beginner’s Guide To Eastern Europe beispielsweise bietet – ganz im Gegensatz zu den Zusammenstellungen der Länderbüros – einen wirklich guten und fundierten Querschnitt durch Balkan Club, Balkan Brass & Gypsy wie Eastern Rock&Fusion – ein idealer Ausgangspunkt für alle, die vorhaben, sich in das Genre zu vertiefen. Ich selbst habe damals den Beginner’s Guide to Tango zum Ausgangpunkt meiner Recherchen genommen, als ich zu der rioplatensischen Musik gefunden hatte. Tango gibt es bei H’Art auch jetzt noch, nur diesmal in Form eines „essenziellen Samplers“, der auch vor der Elektronisierung des Genres nicht die Augen verschließt und so auch neben klassisch agierenden Tango-Orchestern und -Sängern einiges an Electrotango bereit hält.


Am H’Art-Stand gibt es CDs, CDs, CDs … ach ja, und Dosenbier!

Wirklich überrascht bin ich allerdings, dass der Vertrieb auch Solokünstler bzw. Bands jenseits der hundertsten Remastering-Serie im Programm hat. Beispielsweise Joyce, allerdings nicht mit der jüngst erschienenen Slow Music, sondern mit einer Kollaboration mit einem meiner Lieblingskünstler, Bugge Wesseltoft (Ja, der Herr am Norwegen-Stand hat mir beigebracht, den Vornamen auszusprechen. Und ich habe es schon wieder vergessen.) Oder das Zürcher Trio My Heart Belongs To Cecilia Winter, das sich in den letzten zwei Jahren den Ruf als „die neuen Arcade Fire“ erspielen konnte. Oder eine deutsch-kanadische Jazzsängerin namens Mystéfy, die man mir mit besonderem Nachdruck ans Herz bzw. Ohr legte. Ihr Showcase im Rahmen der Jazzkomm am Vorabend hatte ich leider verpasst, und als ich das Album zu Hause zum ersten Mal hörte, dachte ich, sehr schön, aber nichts Besonderes, live hingegen bestimmt ganz zauberhaft. Aber je öfter ich es hörte, desto mehr zog es mich in seinen Bann. Schließlich wurde Mystéfy Me zum Soundtrack einr durcharbeiteten Nacht – bislang leistete mir in diesen Fällen stets Buster Williams’ Griot Liberté zuverlässige Dienste –, und ich bin überzeugt, dass es keinen besseren hätte geben können. Zu später Stunde entfaltet dieses Album, was anfänglich sehr nach Standards und tausendmal gehört klingt, seine ganz spezielle Mystik. Endlich ein Stand, wo es das gab, weshalb ich hierher gekommen bin: gute neue Musik.

Enttäuschung und Verzweiflung weichen nahezu vollständig, als ich – jenseits der Fachbesucherzone, gewissermaßen auf der Empore der Haupthalle – die kleinen feinen Jazz-Stände entdecke, namentlich jene vom Jazz-NuJazz-Lounge-Electro-Label Ozella Music, das bei Jazz-Heads mit Künstlern wie Karl Segem, Randi Tytingvåg oder dem Helge Lien Trio reüssiert, dem breiteren Publikum aber eher durch Produktionen wie Henschkeschlotts Café Thiossane, dem „Kind of Blue der Lounge Generation“ oder seine The Sound-Reihe bekannt sein dürfte. Ich habe die Möglichkeit, mit Labelgründer Dagobert Böhm ins Gespräch zu kommen und freue mich darauf, in den kommenden Ausgaben von Victoriah’s Music einige seiner Kleinode zu besprechen. Ozella teilt sich den Stand mit dem Verein Jazz&World Partners, der jedes Jahr die kleine, aber sehr feine Compilation Hörvergnügen (nicht zu verwechseln mit Schöner Hören vom Kultur Spiegel) herausgibt. Verbindendes Element ist Randi Tytingvåg, die sich auf dem diesjährigen Sampler findet. Aber auch sonst gibt es im siebten Jahrgang Musik(er) jenseits des Mainstreams zu entdecken. Besondern gut gefällt mir diesmal Daniel Stelter, der mit seinen Homebrew Songs eine „Gitarrenplatte der anderen Art“ vorgelegt hat und dessen hier zu hörender Track Flutter groovt wie nichts Gutes – ebenso wie die Circles des Samuel Jersak Trios, eine klassische Soulnummer à la Anita Baker mit Debby Van Dooren an den Vocals. Der Klezmer’s Freilach von Ausnahmegeigerin Martina Eisenreich kommt in seinem aberwitzigen Tempo einem Ritt durch Paganinis Capricen gleich, James „Blood“ Ulmer überzeugt mit kompromisslosem, zeitgenössischen Blues. Oder gefällt mir am Ende doch The Gaze vom Tord Gustavsen Ensemble am besten, was auf leisen semi-orientalischen Sohlen heranschleicht? Es gibt in jedem Falle viel zu entdecken, und selbst Liebhaber von Außereuropäischem, Progressivem oder Free Jazzigem werden mit Hörvergnügen 7 auf ihre Kosten kommen.


Ozella bringt seine Schätzchen auch auf Vinyl heraus. Ganz groß: Edgar Knecht mit Good Morning Lilofee, wo urdeutsches Liedgut einer jazzigen Frischzellenkur unterzogen wird.

Vernachlässigt man mal den Stand der Russen, die mit einer vermeintlich an die gute alte Zarenzeit gemahnenden Schnörkelmöbeleinrichtung und vorgeschaltetem Video mit zwei Silikon-Blondinen à la Donatella Versace und einem Belusconi-Verschnitt – recht eigentlich handelt es sich um das TV-Projet Moscow Star – schon so sehr nach postsozialistischem Hinterzimmergeklüngel aussehen, dass ich mich gar nicht hinein traue, bietet die Empore nur Highlights für die Nujazz-Fraktion: Ich entdecke nämlich den Stand der Holländer und ihr Dutch NuJazz Movement, außerdem das kammermusikalisch anmutende Berliner Duo Piadeux, bestehend aus Silva Finger an der Violine und Gerhard A. Schiewe am Akkordeon, das seine musikalische Verwandtschaft zu Piazolla nicht verhehlen kann. Jepp, hier oben sind ganz klar „meine“ Stände, hier bin ich richtig.


Klangtapete mal anders

Zum Schluss schaue ich in der Haupthalle des Flughafens noch bei tape.tv und den Merchandisern von Trashmark vorbei, und lasse den Messetag bei einem DJ-Set vor der Musikbox, einer Art von der Berliner Clubcommission organisiertem interaktiven Club in der Box, ausklingen. Der amtierende DJ spielt eine housige Version von Sexual Healing, und gerade, als ich mich frage, wer denn da auflegt, fällt einem Musikboxmitarbeiter auf, dass ja, oh Schreck, ein falscher Name im Hintergrund prangt. Und so werde ich Zeugin eines lustigen DJ-wechsel-dich-Spiels:


Huch, dass ist ja gar nicht SQIM …


… fällt einem Mitarbeiter auf!


Wenn man aber das „M“ stehen lässt …


… kommt DJ &ME schneller zu seinem richtigen Namenszug an der Wand!

So ein Messetag hat es immer in sich – weshalb tut man sich das eigentlich an? Die Kataloge und CDs in meinen Taschen werden nicht leichter, meine Füße sind platt und kurzzeitig spiele ich mit dem Gedanken, die vor Ort angebotene Shiatsu-Massage in Anspruch zu nehmen, entscheide mich aber dann ob der Länge (20 Minuten) doch dagegen. Tütenbepackt mache ich mich auf den Heimweg. Und jetzt, auf dem Weg nach draußen, sehe ich auch die Garderobe.


Da Kopfhörerhund erst später abgeholt wird, muss solange seine Ziehtochter, Rottweiler Lieselotte, beschmust werden.

Apropos Kopfhörerhund: Im Gegensatz zur (Pop Up halten sich die musikalischen Hunde auf der Popkomm bis auf Simon White’s White Dog Media Ltd mit dem selbstformulierten Anspruch, „der Body Shop der Musikindustrie“ zu werden, sowie einer Ozella-CD, die nach Auskunft des Label-CEOs „groovt wie Hund“, eher bedeckt. Dafür gibt es einige zwischenmenschliche Begegnungen, die einem schon fast wieder den Glauben an die Musikindustrie zurückgeben können – bezeichnenderweise gehen diese Impulse eher seltener von den Multis und den staatlichen Einrichtungen aus, sondern wie gehabt von jener handvoll Enthusiasten, die trotz aller widrigen Umstände ihre Ideale hochhalten, an eine kompromisslose Musik glauben und ihren Traum nicht aufgeben. Dafür gebührt ihnen allen Respekt und Dank.


Und so sieht das dann aus, wenn man frisch von der Messe kommt. Das muss jetzt alles nur noch gehört und verarbeitet werden … Von den Highlights, die ich sicherlich darunter finden werde, lesen Sie zuverlässig in Victoriah’s Music auf fairaudio.de

10. Juli 2010

Happy Birthday!
Fundstück des Monats: Mavis Presented By Ashley Beedle

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , — VSz | Klangverführer @ 10:00

Nicht nur ich habe heute Geburtstag, sondern auch eine der großartigsten Soul- und Gospelsängerinnen alles Zeiten: Mavis Staples! Allerdings feiert die Dame bereits ihren Einundsiebzigsten, das ist bei mir dann doch noch eine Weile hin … Wer Frau Staples nicht aus seligen Staples-Singers-Zeiten der Stax-Ära kennt, dem ist sie vielleicht seit Prince‘ 1990er-Album Graffiti Bridge ein Begriff, wo sie Songs wie das wunderbare Melody Cool mit ihrem gewaltigen Organ veredelte. Auch veröffentlichte sie auf dem Label des Meisters, Paisley Park Records, zwei eigene Alben: Time Waits For No OneThe Voice (1993). Ihre mehr als 40-jährige Karriere gipfelte voriges Jahr in der Veröffentlichung des grandiosen Albums Live: Hope at the Hideout. Am 14. September 2010 wird ihr neues, von Jeff Tweedy produziertes Soloalbum You Are Not Alone, auf Anti erscheinen. Es ist ihre zweite Studio-Veröffentlichung für das Label; doch schon die Feuerprobe We’ll Never Turn Back dürfte 2007 bei dem einen oder anderen dafür gesorgt haben, mal wieder die alten Stax-Scheiben zu entstauben.

Zumindest ging es dem Produzenten und DJ Ashley Beedle so. Als dieser sich mit seinem musikalischen Partner Darren Morris vor drei Jahren durch die alten Staples Singers-Platten hörte, war er so beeindruckt, dass er anschließend direkt ein vom Staples-Sound inspiriertes Instrumental einspielte – schließlich war Mavis Staples für Beedle schon immer eine Ikone: „Sie ist wie Klebstoff, der unsere musikalische DNA zusammenhält.“ Und so schickte er das fertige Instrumental an etablierte Vokal-Künstler wie Lambchop’s Kurt Wagner, Candi Staton, Ed Harcourt, Edwyn Collins, Cerys Matthews und die göttliche Sarah Cracknell (Saint Etienne), aber auch an junge Talente wie Danielle Moore, John Turrell von Smoove & Turrell, Disa aus Reykjavik oder Dear Reader’s Cherilyn MacNeil aus Südafrika, damit sie dem Stück ihren ganz persönlichen Stempel aufdrücken können. Danach passten Ashley und Darren die Musik jedes Tracks der von dem jeweiligen Sänger kreierten Stimmung an. Herausgekommen ist das Album Mavis Presented By Ashley Beedle, von dem ich nicht gedacht hätte, dass es so gut ist, als ich darüber las!

Beedle ist nicht weniger gelungen, als den Spirit der Staples ins neue Jahrtausend zu tragen. Wenn dieses Jahr nichts mehr kommt, hat Mavis das Zeug, meine Lieblingsplatte des Jahres zu werden. Damit stünde sie in einer Reihe mit The Blue God von Martina Topley Bird (2008) und Live in London von Leonard Cohen (2009). Wohl nicht die schlechteste Fortsetzung … Alle Tracks auf Mavis sind uneingeschränkt hörenswert. Ein drei-Uhr-morgens-Album mit einem langsamen, basslastigen, bekifften Sound, das sich der sanfteren – ja, ich möchte sagen: romantischen – Seite der Staples widmet. Kurt Wagners Interpretation von Gangs of Rome geht ebenso unter die Haut wie Sarah Cracknells Heartbreak Song. Am allerliebsten mag ich persönlich allerdings Candi Stations Revolution. Das scheint den Jungs bei !k7 auch so gegangen zu sein, haben sie davon doch liebenswürdigerweise gleich zwei Versionen auf das Album gepackt – nämlich zusätzlich zur Albumversion auch noch den Heavy Soul Extendes Mix. Toll! „Hör zu“, schreibt der englische Musikjournalist und -produzent Paul Morley über Mavis, „Träume von Mavis, viele Sänger, verwandte Seelen, mit liebevoller Hand verlesen, nie zuvor gesehen, Gefühle tauschend, von LIed zu Lied, von Ort zu Ort, ihre Mavis findend, sie liebend, preisend, die Art wie ihre Hände wippten, wie ihr Atem floss, ihre rebellische Klugheit, ihr Glaube, ihre Trauer, ihr Vertrauen, ihr inneres Geheimnis; die Stadt, welche sie baute; die Berge, die sie versetzte; die starken schönen Songs, welche sie sang; aus dunklen Schatten und grellem Licht, Ruinen und Fragmenten.“ Dem bleibt nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht: Vielen Dank für dieses schöne Geburtstagsgeschenk.

Und noch etwas habe ich bekommen: Ein Konzertkarte für Leonard Cohen.
Weshalb es davon aber höchstwahrscheinlich trotzdem keine Live-Kritik geben wird, steht hier.


Wenn schon nicht die ganze Welt, so spiegelt sich in Cohen zumindest der Alexanderplatz!

14. Juni 2010

He’s a Soul Man!
Fundstück des Monats: Seal, Soul Live

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 11:09

Haben Sie es schon gehört? Seal und Heidi Klum planen eine Eheberatungs-
show im TV. Wie weit muss es mit einem gekommen sein, wenn man sich zu so etwas hinablässt? Noch dazu, wenn man – eigentlich – einer der groß-
artigsten Sänger unserer Zeit ist bzw. es zumindest einmal war? Wie oft schon habe ich dem Seal der Anfangsjahre hinterher getrauert, jener ehrfurchtgebietenden musikalischen Ausnahmeerscheinung, die, nicht zuletzt dank Produzent und Co-Autor Trevor Horn, in eine Reihe zu stellen war mit Künstlern, die man gemeinhin als „a musician’s musician“ bezeichnet! Neneh Cherry mit Woman gehört dazu, Taja Sevelle mit ihren Toys of Vanity, Helicopter Girl mit eigentlich allem, die Topley-Bird natürlich, stellenweise auch Macy Gray oder Prince … solche Leute eben. Man denke nur an Seal-Songs wie Crazy, Future Love Paradise, Kiss From A Rose oder gar die Akustikversion von Whirpool. Lange bevor Nu Soul in aller Munde war, hatten wir hier anbetungswürdigen einen Halbgott. Jetzt haben wir einen Schnulzensänger mit Tendenz zur Moppeligkeit. Ach, Trevor! Ach, Seal!

War es Zufall, dass sich der Künstler einen neuen Produzenten suchte, als
er ein gewisses Top-Model kennenlernte? Das erste Album dieser Phase,
Seal IV, ist jedenfalls auch das letzte, das es in meinen privaten Platten-
schrank geschafft hat. Geprägt von der Aufbruchsstimmung einer noch frischen Liebe finden sich auch hier noch einige wunderschöne Songs, wenngleich sie weniger kantig und roh daherkommen als ihre Vorgänger. Die nur schwer erträgliche, überzuckerte Ballade Love’s Divine wies jedoch schon in die ebenso ästhetisch bedenkliche wie hochkommerzielle Richtung, die der Londoner einschlagen sollte; gleichzeitig trieb sie ihm ein Publikum in die Arme, welches vor den alten Indie-Sachen schreiend davongelaufen wäre. Und dann kam, was kommen musste: Seal und Ms Topmodel gründeten eine glückliche Familie mit vielen Kindern, er gab den Prinz Karneval, wurde ob der deftigen deutschen Küche seiner Schwiegereltern deutlich rundlich und sang gar im Duett mit seiner in dieser Hinsicht nur leidlich talentierten, dafür jedoch mittlerweile angetrauten Frau (Wedding Day, 2007 auf System). Das ganze Glück gipfelte 2008 in einer Coverplatte alter Soulsongs, schlicht Soul betitelt, man hätte die Zuckerkrankheit kriegen können vor so viel süßlichem Gedöns!

Dann aber, vor genau einem Jahr, nämlich am 19. Juni 2009, veröffentlichte der, den ich mittlerweile musikalisch nicht mehr ernst nahm, ein Live-Album. Soul Live hieß es. Und bewies, dass man den Soul-Klassikern durchaus noch einen musikalisch interessanten Anstrich geben kann. Und auch wenn ich eigentlich ein Problem damit habe, wenn sich Religion und Kunst, in diesem Falle Religion und Musik, miteinander vermischen, kann es wohl selbst der hartgesottenste Atheist Seal nicht übelnehmen, wenn er aus der Impressions-Nummer People Get Ready einen gigantischen Gottesdienst macht. Das hat Herz, Blut und ganz viel Seele!

Soul Live beweist ohne Zweifel: Seal ist ein Soulman. Und trotzdem ist es bemerkenswert, wie sich seine Stimme – zum noch größeren Vorteil – ändert, weniger selbstverständlich wird (denn klar, er weiß, dass er’s kann), sondern zurückhaltender, verletzlicher, dafür mit umso mehr Gefühl, wenn er in der Zugabe eine Gänsehautversion von Kiss From A Rose zum Besten gibt. Das ist der Seal, wie ich ihn will. Von dieser Zerbrechlichkeit ist bei der zweiten Zugabe Crazy zwar nichts mehr zu spüren – stimmgewaltig und voller Energie präsentiert hier ein wahrlich großer Sänger seinen ersten Solohit aus dem Jahre 1990. Ich kann mir nicht helfen, ich halte den Seal der frühen Neunziger für den wahren Seal. Oder will ich ihn nur dafür halten?

In jedem Falle aber danke ich Gott auf Knien, dass Soul Live veröffentlicht wurde. Es hat mir den Glauben an das überragende Talent des Seal Henry Olusegun Olumide Adeola Samuel zurückgegeben. Und falls Sie noch kein Exemplar davon Ihr eigen nennen, sollten Sie das ganz schnell ändern.

23. April 2010

tango 3.0

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 14:28

Seit dem 19. April zu haben, liefern sich die Tangueros das Wettrennen um die schnellste Rezension. Soooo sensationell ist das neue Album der französisch-schweizerisch-argentinischen Musikerkollektivs Gotan mit Homebase in Paris dabei gar nicht. Schön ja, spektakulär nein. Vor zehn Jahren, klar, da war Gotan eine Sensation: Auf
La Revancha Del Tango wurde in der öffentlichen Wahrnehmung erstmalig traditionelle Tangomusik mit elektronischen Beats gemixt. Die Pionierarbeit, Folkloristisches mit Elektronischem zu verbinden, hat sich gelohnt: In den Lounges und Chill-out Areas der Clubs war Electrotango der letzte Schrei; Nachahmer en masse folgten. Die Qualität von Gotan erreichten sie – vielleicht mit Ausnahme vom Bajafondo Tango Club – allerdings nie.

Jetzt legen die Originale wieder nach. Tango 3.0 heißt das Album und hat,
das sei vorweggenommen, nicht viel Neus zu bieten. Hat man erst einmal ein Genre mit spektakulärem Knall begründet, wird man seinem Erstling auch nie mehr das Wasser reichen können. Allein des Überraschungseffekts wegen. Das heißt jetzt nicht, dass Tango 3.0 langweilig wäre. Im Gegenteil. Denn dazu sind allein die Musiker viel zu gut. Und auch wenn Philippe Cohen-Solal, Eduardo Makaroff und Christoph Müller ihrem Gründungsprinzip treu bleiben, lässt sich innerhalb des Gotan’schen Werkes durchaus eine spannende Entwicklung zu verfolgen. War das Debüt noch sehr in der DJ-Szene angesiedelt, ist der Elektronikanteil auf Tango 3.0 spürbar reduziert. Am prägnantesten sind vielmehr die dubbigen Bässe, und man schreckt – Debelah Morgan hat es vorgemacht – selbst vor Ausflüge in HipHop- und R’n’B-Gefilde nicht zurück. „Es ist“, so der legendäre Acid-Jazz-DJ Gilles Peterson auf beatsinternational.com, „sehr aufregend, dem gemächlichen, traditionellen Beginn des Albums zu lauschen und dann zu hören, wie die ganze Bandbreite klassischer Americana-Sounds und -Elemente behutsam in den Gotan-Melting-Pot eingeführt werden“: vom New Orleans-Begräbnis-marsch über Blues, Swing, Walzer, Rockabilly hin zu Surf.

Zudem: Im Gegensatz zu vielen anderen Ambient-Acts, die um das Jahr 2000 gemeinsam mit ihnen an den Start gingen, ist Gotan seither stets präsent gewesen. Mit dem Zweitling Lunático mäanderten sie auf jazzigen Fluren, es folgten Touren, Remixalben, Live-CDs – über eine zu geringe Auslastung konnten die Musiker nie klagen. Wahrscheinlich muss das so sein, wenn man einst derjenige war, der ein ganzes Genre revolutioniert hat.

Mehr über Gotan von mir gibts hier und hier

5. September 2009

Trink, Schwester, trink!

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 09:37

Gibt es etwas Schlimmeres als einen Nachbarn mit schlechtem Musik-geschmack? Ja – einen lauten Nachbarn mit schlechtem Musikgeschmack! Jedermann seien seine musikalischen Vorlieben gegönnt, von Herzen sogar, nur: Ich möchte davon nichts wissen. Nichts sehen. Und vor allem: Nichts hören. Wer also schon, ganz ohne sich dafür zu schämen (denn meiner Meinung nach sollte man dies nur heimlich tun!), unbedingt die Scorpions und Konsorten hören muss, dem möchte ich folgenden Rat mit auf den Weg geben:


Diesen charmanten Aufkleber, der sein unverzichtbares Dasein mittlerweile an meiner Wohnzimmertür fristet, habe ich neulich unterwegs entdeckt. Leider kenne ich den Urheber nicht. Sollte er dies hier lesen, würde ich mich freuen, wenn er sich bei mir meldet.

Am Rande: Wenn schon laut, dann bitte mit beispielsweise der gestern auf Four Music erschienenen Neuen von Miss Platnum, The Sweetest Hangover – eine explosive, temporeiche Mischung aus energisch synkopiertem Balkan-Beatz mit knallenden Gypsy-Bläsersätzen und R’n’B. Anspieltipp ist Drink, Sister, Drink mit She Raw – fast so ein Kracher wie das herrliche Come Merry Me mit Peter Fox von Miss Platnums 2007er-Album Chefa, bis heute einer meiner All-Time-Favorites!

Weiterhören: Wem in moderne Tanzmusik übersetztes Balkan-Idiom gefällt, dem möchte ich dringend Beirut mit Gulag Orkestar ans Herz legen. Unglaublich, aber wahr: Diese Balkan-Kapelle heißt mit bürgerlichem Namen Zack Condon, stammt aus New Mexico, Texas, und ist zum Zeitpunkt der Aufnahmen erst 20 Jahre alt. Was kurios anmutet, sollte eine der wichtigsten Platten des Jahres 2006 werden: Ob Ukulele, Mandoline, Akkordeon, Violine oder diverses Schlagwerk – Condon spielt nicht nur alle Instrumente selbst, sondern ist auch ein virtuoser Sänger. Unterstützung holte sich das Ein-Mann-Orchester lediglich während der abschließenden Aufnahmen in New York bei Jeremy Barnes (Neutral Milk Hotel) und Heather Trost (A Hawk And A Hacksaw). Melancholisch, schräg und definitiv nicht zu finden in der für demonstratives Gutmenschentum reservierten Multikulti-Abteilung im CD-Regal bräsiger Intellektueller!

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