11. Mai 2021

Close together from afar – jazzahead! digital

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Fünfzehn Jahre jazzahead!, zehn Jahre jazzahead! Festival – dieses Doppeljubiläum sollte eigentlich 2020 begangen werden, aber aus allseitig bekannten Gründen wurde nichts daraus. Diesjahr dann also digital. Hatte man sich schon längst auf der entsprechenden Plattform registriert und auf gemütliche Sofatage mit Live-Stream eingerichtet, hieß es in letzter Minute doch noch: zwanzig Journalisten können pro Produktionstag in Bremen unter Einhaltung eines strengen Hygienekonzepts live dabei sein. Am 22. April – exakt eine Woche vor Festivalbeginn also – rauschte die Einladung durch den Presseverteiler.

Eingedenk der Tatsache, dass ich zu meiner ersten jazzahead! dank genau so einer Spontanaktion gekommen war (und wir alle wissen: wer einmal dabei war, ist ab jenem Moment Teil der Familie und künftig immer dabei, da gibt es keine Ausreden – zum einen, weil man selbst Blut geleckt hat und immer wieder auf der Suche nach einer Wiederholung des allerersten Geflashtseins ist, zum anderen, weil einen die Sippe nicht mehr entkommen lässt), meldete ich mich kurzentschlossen an, nahm einen Urlaubstag im Parallelgewerbe, brachte den eigentlich ununterbringbaren Hund unter – und bin nun also hier: Good morning Bremen, my love!

Wobei es recht eigentlich Abend ist. Aufgrund unvorhersehbarer Terminkollisionen, wie es im Businessdeutsch so schön heißt, was alles und nichts bedeuten kann, in meinem Falle jedoch, dass das Parallelgewerbe mehr als einen Urlaubstag nicht gewähren konnte, fuhr ich erst am Freitagabend in die Hansestadt ein. Dabei war auch diesjahr der Donnerstag, der klassischerweise Eröffnungsreden, diversen Check-ins, ersten (Re-)Meets&Greets und der Showcase-Nacht des jeweiligen Partnerlandes vorbehalten ist, schon Produktionstag. Ich verpasse das Eröffnungskonzert von Markus Stockhausen ebenso wie das dänische Pianosextett Red Kite und drei niederländische Gruppierungen: Sun-Mi Hong Quintet, Guy Salamon Group und Rembrandt Frerichs Trio.

Auch am Freitag hat bereits Heidi Bayers „Virtual Leak“ gestreamt, bevor ich auch nur am Bahnhof bin, hat der Zug aus Hamburg doch Verspätung. Der – wie immer – vorzüglichen Pressebetreuung gelingt es jedoch, mich derart schnell mit Bändchen & Badge zu versorgen, dass ich, 17:50 Uhr am Hauptbahnhof angekommen, zu 17:55 Uhr der Livestream-Produktion des Kölner Quartetts NIAQUE beiwohnen kann. Um den tagesaktuellen Corona-Negativ-Test, ohne den niemand in die Messehallen gelangt, hatte ich mich schon am Vormittag in Berlin gekümmert.

Apropos Halle. Da wir es diesjahr mit einer Messe ohne Messe zu tun haben, wird nur eine Bühne gebraucht. Und weshalb nicht die größte und schönste nehmen, die die Messe Bremen zu bieten hat? Was sonst immer auf die Messehallen 7.1/7.2 und den Schlachthof verteilt ist, findet nun in der ÖVB-Arena statt. Das ist eine Halle für bis zu 14.000 Menschen. Wir sind zu zehnt: drei Journalisten, zwei Leute von der Messe, eine Kamerafrau, zwei Kameramänner, ein Licht- und ein Tontechniker. Plus das Quartett auf der Bühne.

Es ist spooky. Vor allem aber wahnsinnig spannend. Ich fühle mich an das Messejahr 2017 erinnert, wo mir das Presseteam den uneingeschränkten Zugang hinter die Kulissen von Festival und Messe ermöglichte, um meine Abschlussreportage „180 Minuten – Countdown zur Eröffnung der jazzahead!“ nebst Recherchedokumentation für das Deutsche Journalistenkolleg zu schreiben. Nicht weniger geisterhaft ist die Stadt selbst, der ich noch am selben Abend einen Besuch abstatte. Bremen hat, im Gegensatz zu Berlin, eine Ausgangssperre ab 21:00 Uhr verhängt, und damit die Pandemie zwar strenger, aber auch deutlich besser im Griff als die Hauptstadt. Der Marktplatz: verlassen. Wo sonst auch um diese Zeit noch Touristentrauben drängen, um sich vor den Stadtmusikanten ablichten zu lassen oder dem Esel einen Wunsch mitzugeben, herrscht gähnende Leere, und das, obgleich einzelne Klimaschützer auf dem Marktplatz protesthalber dauerkampieren. Ein paar Polizeiwannen, ein paar versprengte Aktivisten – und eine Handvoll jener, die berufsbedingt unterwegs sind. Auch wir jazzahead!-Arbeiter haben eine entsprechende Sondergenehmigung in der Tasche. Ich stehe mitten in der Stadt in der Fußgängerzone auf den Straßenbahngleisen. Kein Mensch, nirgends. Allein für dieses dystopische Erlebnis hat sich die Reise gelohnt.

Auch die Glocke, traditionsreicher Austragungsort des jährlichen jazzahead!-Galakonzertes: zu.

Wiese nicht die eine oder andere einsame Leuchtreklame auf sie hin, stolperte nicht der eine oder andere Musiker spätnächtlich zu den wenigen geöffneten Versorgungsquellen – es gäbe keinen Hinweis auf die Messe.

Obwohl am nächsten Tag der 1. Mai und somit Feiertag ist, stehen sechs Produktionen auf dem Plan. Nach dem tagesaktuellen Test in der Messe, der nach meinem Empfinden ebenfalls bedeutend strenger organisiert ist als in Berlin, erlebe ich – und entdecke für mich neu – das niederländische MAKA Kollektiv um die finnische Sängerin und Trompeterin Kirsi-Marja „Kiki“ Harju im Rahmen des European Jazz Meetings, denn seinen vertrauten Formaten ist das Festival weitestgehend treu geblieben. Es gibt neben dem erwähnten European Jazz Meeting die Canadian Concerts des Partnerlandes, die Overseas Night und die German Jazz Expo. Nicht alle davon werden in den Messehallen produziert. Heute stehen nach dem KAMA Kollektiv noch folgende Acts an: Tilo Weber Quartet „Four Fauns“, The True Harry Nulz, Nau Trio, Neferititi Quartett und Tobias Meinharts „Berlin People“. Ich konzentriere mich auf Weber und Meinhart, muss ich doch, wie so oft, extra die Hauptstadt verlassen, um den Berliner Schlagzeuger, Komponisten und Malletmuse-Labelgründer Weber sowie den Saxophonisten und Teilzeithauptstädter Meinhart zu treffen und sprechen. In Bremen ist endlich Muße dafür.

Tilo Weber hat mit seinem All-Star-Quartett Four Fauns gerade das Zweitwerk Faun Renaissance veröffentlicht, wobei sich der Titel nicht auf die Wiederkunft des Quartetts bezieht, sondern tatsächlich auf die Musik der Renaissance, die Weber hier eigenen Worten zufolge „durch den Wolf gedreht“ hat. Dabei hört man schon vom ersten Ton des Openers, der Gesualdo-Komposition „Se la mia morte brami“, dass es sich um das Album eines Schlagzeugers Handelt, denn auch, wenn Bass, Klarinette und die sich sehr ins Soundgefüge flechtende, überraschend WahWah-lose Trompete Richard Kochs über allerlei Tempiwechsel zart Kontra geben – vor allem klappert’s, rührt’s und scheppert’s hier. Erst mit der darauf folgenden Ockeghem-Komposition „O Rosa Bella“, deren Schlagwerk immer etwas enorm Rührtrommelartiges, Marschbegleitendes aufweist, wird dem Hörer bewusst, dass er es mit – bekannten und weniger bekannten – Reinterpretationen von Melodien der Renaissance zu tun hat, hätte das erste Stück doch durchaus auch als Eigenkomposition Webers durchgehen können. Schön: „Calextone, qui futdame d’Arouse“ mit seinem sekundenbruchteilkurzen Intro von gestrichenem Kontrabass, über dem Kochs – immer noch ungewohnte, weil ungedämpfte – Trompete die Fanfare gibt, bis eine gequälte Klarinette den Eindruck erweckt, hier wäre mindestens ein Synthesizer mit am Start, was aber nicht sein kann, weil die Fauns ein Akustikquartett sind. Und das hat offenkundigen Spaß an der Klangauslotung sowie der mal vollendet harmonisch parallelen, mal kunstvoll gegenläufigen Stimmführung.

Seite A der Platte endet mit dem „Canon Couperin“, von dem man annehmen könnte, dass er ins Repertoire der Alten Musik gehört, derweil er tatsächlich eine Neukomposition Webers ist, der hier das Metronomische von Barock und Renaissance, das hier vor allem vom (Walking?)Bass kommt, betont, das sich wiederum mit etwas Oh-So-Luftigem der Klarinette verbindet, zu der sich in perfekter Zweistimmigkeit die Trompete mal hinzugesellt, mal quietschend ausschert, derweil Weber besensanft begleitet, um bald schon wieder in Klappergeräuschexperimente abzudriften, sich insgesamt aber ungemein zurücknimmt, was das Ätherische der Komposition einmal mehr aufblühen lässt. Auf der digitalen Version gibt es jetzt noch „Mesomedes‘ Hymn to the Muse“, ein Jazz-Jazz-Stück – was das ist, steht hier unter der Rezension von Peter Schwebs Quintet – in Reinform, das es nicht aufs Vinyl geschafft hat.

Dessen Seite B startet mit einer weiteren Weber-Komposition: „Kyrie V“. Und als hätte er das Dystopische der leeren Stadt geahnt, ist sie ihm ein bisschen gespenstisch geraten. Da läuten Totenglocken. Nicht ohne Grund gibt es in jedem Requiem eine Kyrie. Ganz, ganz zart schließt sich eine weitere Eigenkomposition namens „Here Comes Everybody“ an, die eine Tür im Hörer zu öffnen versteht, sodass er sich ab 4:20 gern von der einmal mehr alarmistischen Fanfare zum Appell rufen lässt. „Ma fin est mon commencement“ besticht, um nicht zu sagen: erschreckt mit Störgeräuschigem, Electro-Clashigem, und wieder ist da diese Synthesizer-Anmutung, die zum munteren und dabei irgendwie auch pastoral-beschaulichen (Kreis-)Tanz ruft, der zum wilden Gypsie-Swing gerät, bis wir ganz zum Schluss dann auch die Koch’schen WahWahs sowie allerlei anderes Distortion hören. Mit der sehr getragenen, nahezu zeremoniellen „Kyrie“ aus Palestrinas „Missa Papae Marcelli“ entlässt das Album den Hörer … fast möchte ich schreiben: geheiligt. Doch wirkt sie nicht nur erhebend nach, sondern vor allem auch besänftigend, beruhigend, Ja: Ruhe gebend. Geistesruhe. Seelenruhe. Schön, das.

Ich spreche mit Tilo Weber über das Album, klar, aber auch darüber, dass das Tiefe in der Kunst nicht durch Leiden entsteht, sondern durch Hingabe, sowie über die Situation des Jazz im Lockdown. Natürlich gehört auch die Verortung des Gefühls, in die leere Riesenhalle hineinzuspielen, dazu. Zu diesem befrage ich auch den mittlerweile seit dreizehn Jahren in New York lebenden, seine Sommer aber immer in Berlin verbringenden Saxophonisten Tobias Meinhart. Der hatte 2019 mit einer Handvoll Berliner Musiker das Album „Berlin People“ aufgenommen, die Releasetour und ein paar weitere Konzerte gespielt, bevor er vom Lockdown ereilt wurde. Unter dem Motto „ECM trifft Blue Note“ unterhalten wir uns über die europäische und die amerikanische Jazz-Tradition, über Meinharts musikalische Familiengeschichte und das erhoffte baldige Ende der Pandemie.

Das sehnen alle Musiker in Bremen herbei. Manche fragen ängstlich, ob man ihnen angehört hätte, dass sie so lange nicht mehr aufgetreten wären – aber insgesamt überwiegt die Freude darüber, endlich wieder spielen zu dürfen, wenn auch vor leeren Hallen. Vor den Bildschirmen indessen haben neunhundertzwei Teilnehmer aus fünfzig Nationen sowie neunzig Aussteller aus einundvierzig Ländern an der digitalen Fachmesse teilgenommen, zu der auch die Live-Streams der Showcases gehören. Einige Wochen später wird man sie auch einem Nicht-Fachpublikum zugänglich machen. Wie es war, sich auf einer Messe, die von der persönlichen Begegnung lebt, rein digital zu tummeln, müssen indessen die Menschen vor den Bildschirmen beurteilen. Die Live-Produktion ließ wenig Zeit, mich in die bereit gestellte Plattform einzuloggen. Allerdings steht auch diese den Registrierten noch bis Ende Juli offen, sodass das Weiterspinnen des Jazznetzes auch unabhängig von den tatsächlichen Messetagen möglich ist.

31. Juli 2012

In eigener Sache #5
Klangverführer steht Rede und Antwort

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 11:06

Woran es liegt, dass mein Arbeitsbuch „Juden im Tango = jüdischer Tango? Über die (Un-)Möglichkeit eines explizit jüdischen Beitrages zum Werden und Währen des tango argentino“ aus dem Klangverführer-Textladen plötzlich Interesse erregt? Darüber kann ich nur spekulieren.

Fakt ist, dass das Berliner Onlinemagazin aviva-berlin.de ein kleines Interview mit mir dazu gemacht hat, welches ich den Klangblog-Lesern natürlich nicht vorenthalten möchte. Wer schon immer mal wissen wollte, wie man eigentlich darauf kommt, einen (un-)möglichen Zusammenhang zwischen jüdischer Musik und argentinischem Tango zu untersuchen und weshalb ich mich trotzdem entschieden habe, der Musikwissenschaft bis auf weiteres den Rücken zu kehren, der wird in meinem Gespräch mit aviva-berlin-Herausgeberin Sharon Adler fündig.

Viel Freude beim Lesen!

16. Dezember 2011

Voll auf die Nuss: BossHoss-Interview online

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 08:41

Cowboys und Cowgirls! Jetzt ist auch das vollständige Interview zur neuen Platte von The BossHoss online – wie gehabt auf Eurem Lieblings-Online-HiFi-Magazin fairaudio.de. Viel Freude damit! Und auch wenn die Platte erst in der kommenden Ausgabe von Victoriah’s Music besprochen wird, macht man mit ihr unterm Weihnachtsbaum nicht viel falsch. Yee Haw!

11. Oktober 2011

Was Schönes zwischen Röhrenverstärkern – Jasmin Tabatabai im Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , — VSz | Klangverführer @ 10:51

Eine Geschichte, an der man seit Ende August arbeitet, die immer wieder redigiert, freigegeben, re-redigiert und weiter gekürzt wird, braucht einfach einen Kick, um ein gutes Ende zu finden – oder überhaupt ein wie auch immer geartetes Ende. Wenn dann irgendwann der Lieblingsherausgeber anruft und charmant drängelt – „Kannst du das bis heute Abend fertig machen? Wir brauchen mal wieder was Schönes zwischen all den Röhrenverstärkern!“ –, ist das genau der richtige Katalysator, die unendliche Geschichte zu einem Abschluss zu bringen. Et voilà!

Zum Gespräch über ihre neue, gemeinsam mit David Klein herausgebrachte Platte, habe ich die Sängerin und Schauspielerin Jasmin Tabatabai Ende August in Berlin getroffen. Ich war leicht erkältet, was mir den mütterlichen Rat „Kind, steck bloß die Dame nicht an!“ einbrachte. Habe ich nicht, sondern stattdessen ein wirklich nettes Gespräch jenseits des üblichen Frage-Antwort-Spiels gehabt. Das daraus gestrickte Interview sowie die Rezension der Platte finden Sie, wie immer, auf fairaudio.de. Wobei – „wie immer“ stimmt diesmal nicht, denn es ist mein erstes Interview, das ich für fairaudio geführt habe. Es sind aber auch noch genügend O-Töne für den Klangblog abgefallen. Eine kleine Resteverwertung:

Tabatabai und ich sprechen gerade über David Klein, Gründer und damaliges Mitglied der schweizer Klezmer-Kombo Kol Simcha, der schon den Soundtrack zu Tabatabais 2000er-Film Gripsholm lieferte und damit die Zusammenarbeit an der aktuellen Platte begründete – auch wenn Eine Frau mehr sein will als die bloße Fortsetzung von Grispholm. Auf mein vermutlich allzu beharrliches Herumreiten auf dem zehn Jahre alten Film und seiner Musik meint die Schauspielerin nur lapidar: „Endlich mal jemand, der den Film gesehen hat!“

Klangverführer: Ich fand den Soundtrack genial, und da ich ein großer Kol Simcha-Anhänger bin, war der Film Pflicht …

Jasmin Tabatabai: Heißen die jetzt eigentlich wieder Kol Simcha? Die hießen eine Weile World Quintet …

Jetzt wohl wieder Kol Simcha, ja, aber in zwei Worten. Als sie in den Achtzigern angefangen haben, hießen sie wohl Kolsimcha in einem Wort, wenn ich richtig informiert bin. Damals waren sie ja noch ein Duo, David und der, der das jetzt managt …

Ich weiß nur, dass David Gründungsmitglied war und jetzt nicht mehr dabei ist.

Schlagzeuger damals …

Bei Gripsholm war er auch Schlagzeuger …

Aber eigentlich ist er Saxophonist, oder?

Er ist auch Saxophonist. Aber in erster Linie ist er Musikverrückter, mit so hohem Anspruch – auch an sich -, dass er auf der Platte weder Schlagzeug noch Saxophon gespielt hat, weil … es gab ja jemanden, der es besser kann. Und die Musiker, die er für die Platte geholt hat, sind wirklich ein Traum.

Natürlich sprechen wir auch über ihren Gesang. Tabatabai freut sich, dass sie diesmal nicht produziert und sich „ganz egoistisch mal aufs Singen“ konzentrieren kann. Zudem ist es ihre erste Platte komplett auf Deutsch.

Auf deiner Fanpage jasmin-tabatabai.com wirst du mit der Aussage zitiert, dass es sich auf Englisch schöner singe, da Deutsch nicht unbedingt leicht sei, und zudem schnell profan wirke. Hat sich deine Einstellung dazu mit der Arbeit an Eine Frau geändert? Immerhin ist es dein erstes komplettes Album auf Deutsch, sogar der ursprünglich französische Text von Un Homme Heureux hat eine Übersetzung ins Deutsche erfahren …

Also, „schöner“ kann man nicht sagen – und das habe ich bestimmt auch so nicht gesagt. Was ich gesagt habe und wozu ich auch stehe: Ich finde, für Popmusik und auch Rockmusik ist Englisch die dankbarere Sprache, in dem Sinne, dass in unseren Ohren „I want you“ weniger profan klingt als „ich will dich“. Es ist sicherlich schwieriger, einen guten deutschen Text zu schreiben, weil einem weniger durchgeht. Und weil die Leute viel genauer zuhören – weil es eben die eigene Sprache ist.

Und weil man ehrlicher zu sich selbst sein muss?

Vielleicht auch das – dass du noch tiefer graben musst und noch genauer sein musst, um …

… um Phrasen zu vermeiden?

Genau.

Mit dem „dankbarer“ stimme ich dir auf jeden Fall zu, aber mit dem „leichter“ … seitdem Deutsch den HipHop erobert hat und ich sehe, was man damit machen kann, vielleicht aktuell nicht mehr, aber vor ein paar Jahren noch …

Ja, es gibt auch viele, die da ganz großartige Sachen machen. Wobei sehr selten die Qualität erreicht wird, wie sie den Hits der Zwanziger- oder Dreißigerjahre innewohnt – woran das auch immer liegt.

Weil sich die Sprache generell geändert hat?

Ganz sicher auch deswegen.

Ich habe gehört, dass du im Zusammenhang mit deinem Solo-Debütalbum Only Love (2002) gesagt haben sollst, a-Moll sei für dich „der Inbegriff von Traurigkeit“, weshalb auch immer ein bisschen a-Moll in jedem Lied stecke …

Ja, es sollte ja auch ursprünglich Songs Around A-Minor heißen – und dann kam Alicia Keys! Ich war so erschüttert. Im Nachhinein habe ich mich total geärgert, ich hätte meine Platte trotzdem so nennen sollen!

In jedem Fall erweist du dich damit als Anhängerin der – heiß diskutierten – Tonartencharakterlehre. Hat dies auch Einfluss auf Eine Frau genommen?

Nein, ich habe dafür nichts geschrieben, ich bin jetzt nicht Komponistin auf dieser Platte. Live werden wir ein paar von meinen alten Sachen spielen – im jazzigen Gewand. Aber auch Banditssongs, wie Catch me.

Ich mag After You Killed Me von deinem Solo-Debüt sehr gern …

Ja, das machen wir als Swing!

Einer der Tucholsky-Songs deines neuen Albums, Augen der Großstadt, wurde vor dir ja bereits von Udo Lindenberg vertont – das Lied schaffte es 1987 auf die B-Seite von Ich lieb‘ dich überhaupt nicht mehr, was ja zu einem von Lindenbergs größten Hits werden sollte. Kanntest du seine Interpretation – und wenn ja: Wie konntest du dich davon freimachen und einen völlig neuen, unabhängigen Zugang finden?

Ich kenne Udo Lindenbergs Interpretation nicht, aber selbst wenn, es hätte keinen Unterschied gemacht. Ich habe schon immer gerne gecovert, die Cowgirls waren ja zum Beispiel anfangs eine reine Cover-Band. Ich habe mir sehr früh angewöhnt, ganz wenig in das Original reinzuhören. Zum Beispiel bei Bandits, All Along The Watchtower, das ist eines der bekanntesten Lieder von Bob Dylan, und es gibt natürlich die berühmte Interpretation von Jimi Hendrix … Ich habe mir wirklich nur das Original von Bob Dylan ein-, zweimal angehört, um den Song zu kapieren – und dann nie wieder. Nur so kann ich meine spezielle Art, meinen eigenen Zugang zu einem fremden Text finden.

Auch, um keine Angst aufzubauen vor der übermächtigen bekanntesten Interpretation?

Also, vor Covern darf man eigentlich sowieso keine Angst haben. Wie heißt es so schön? „Wenn man auf die Bühne geht, darf man keine Angst haben etwas zu tun, weil es sowieso anders sein wird als das, was alle anderen davor gemacht haben.“

Irgendwann kommt das Gespräch natürlich unvermeidbar bei der aktuellen Situation der Musikindustrie an. Tabatabai selbst hat 2001 als Frustreaktion
auf die Behandlung der Künstler durch die Industrie ihr eigenes Label Polytrash gegründet. Und noch immer kann sie sich ereifern:

Und es ist auch so, also, die Musikbranche … und wie die mit Künstlern umgeht, im Allgemeinen ein langweiliges Thema – aber die brauchen sich auch echt nicht zu wundern!

Stimmt, aber ich denke, dass es auch da besser wird, eben weil sie gesehen haben, dass sie es so gegen die Wand gefahren haben …

Ja, zum Beispiel hat uns Edel „full artistic control“ gegeben. Das wäre vor einigen Jahren nicht möglich gewesen.

Abschließend machen wir noch einen Abstecher in Sachen jüdische Kultur:

Was man in deiner musikalischen Arbeit, wenn man jetzt die Dinge betrachtet, die du mit David gemacht hast, immer wieder als verbindendes Element findet, sind Hommagen an deutsch-jüdische Textdichter aus der Weimarer Zeit. 2005 hast du in Zusammenarbeit mit David Kleins World Quintet ein Gedicht der jüdischen Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger, dass diese als 18-jährige 1942 geschrieben hat, aufgeführt; jetzt im September wirst du mit dem David Klein Quintett im Rahmen der Jüdischen Kulturtage in der Synagoge Rykestraße spielen … Woher kommt dieser Bezug zur jüdischen Kultur?

Ach, den muss man jetzt gar nicht speziell haben. Die besten Textdichter der Zwanziger und Dreißiger waren nun mal jüdischer Herkunft. David ist, so weit ich weiß, selber Jude, aber das ist zwischen uns auch nie ein Thema jemals gewesen, weil es mich persönlich überhaupt nicht interessiert, welcher Religion jemand angehört.

Das wäre jetzt meine Frage gewesen, ob das etwas ist, was einfach aus dem Sujet selbst kommt.

Ich glaube schon. Es ist einfach so. Genauso wie es in Hollywood immer schon unglaublich viele kreative Leute aus der jüdischen Kultur-Szene gab und eben vor der Nazizeit auch bei uns, diese ganz tolle Kombination mit den Deutschen zusammen, die ja dann leider gewaltsam aufgelöst wurde. Und davon hat sich auch unsere Kultur nie wieder erholt. Ein Jammer.

Das vollständige Interview mit den Hintergründen zur neuen Platte sowie deren Rezension finden Sie hier.

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