26. November 2013

Eine disziplinierende Angelegenheit. Wladimir Kaminer im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 19:35

Als Autor des Romans Russendisko schrieb sich Wladimir Kaminer im Jahr 2000 in die Herzen des hiesigen Publikums und gilt mithin als der Deutschen „Lieblingsrusse“. Seitdem hat er nicht nur 19 (!) weitere Romane verfasst, sondern ist vor allem auch als DJ der gemeinsam mit Yuriy Gurzhy im Kaffee Burger veranstalteten Discothekenreihe Russendisko, bei der er moderne, (nicht nur) russische Popmusik mit folkloristischen Elementen auflegt, zur Kultfigur geworden.

Aus der Russendisko ist eine Compilation-Reihe hervorgegangen, die jüngst mit Die Lieblingslieder der deutschen Taxifahrer Zuwachs bekam. Klangverführer sprach mit Compilator Wladimir Kaminer über das Politische in der Kunst, den Stinkefinger der Gesellschaft und die Idee, endlich mal eine Rap-Band für ältere Menschen zu gründen.

gmo_kaminer_digipak.indd
Fahrgast Kaminer …

Klangverführer: Das aktuelle Russendisco-Album trägt den Titel Die Lieblingslieder der deutschen Taxifahrer. Was haben die deutschen Taxifahrer mit dieser doch sehr Balkan-lastigen Musik zu tun?

Wladimir Kaminer: Wir haben immer nach einer Musik gesucht, die als verbindendes Element dienen kann, die im Stande ist, verschiedene Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenzubringen. Und der deutsche Taxifahrer – das ist eine Metapher, ein Bild. Ich weiß, dass überall in Deutschland sehr unterschiedliche Menschen Taxi fahren, also sehr viele Menschen aus anderen Ländern, die sich inzwischen aber besser hier in Deutschland auskennen als die Einheimischen und die, die hier aufgewachsen sind, weil sie ja Taxifahrer sind.

Die Idee dieser Platte war es, zu demonstrieren, wie Menschen aus der ganzen Welt auf Deutsch singen, denn sie machen das aus sehr unterschiedlichen Gründen. Zum Beispiel dieser Finne, Numminen, der singt auf Deutsch, weil er aus dieser Achtundsechziger Generation kommt – und in Finnland war Deutsch lange Zeit die Sprache der Linken, eben weil Karl Marx sein Kapital auf Deutsch geschrieben hat! Das war quasi die Sprache der europäischen Sozialdemokratie. Die Russen singen auf Deutsch … zumindest dieser Sänger von der Band Megapolis, das ist einer, den ich persönlich gut kenne … Ich glaube, dass er Deutsch einfach in der Schule hatte. Bei uns in der Sowjetunion wollte eigentlich niemand Deutsch lernen. In der Schule standen zwei Sprachen zur Auswahl: Englisch und Deutsch – und alle wollten Englisch. Aber irgendjemand musste auch Deutsch lernen, klar, es war ja Planwirtschaft! Deswegen hat man die Rebellen, „Hooligans“ und die schlechten Schüler zum Deutschunterricht verdonnert!

Sie sagen, dass Deutsch für die Musiker auf dem Album eine jeweils unterschiedliche Bedeutung hat – für manche ist es die Sprache der neuen Heimat, manche mussten es in der Schule lernen, für manche ist es die Sprach der sozialen Gerechtigkeit …Was verbinden Sie persönlich mit der deutschen Sprache?

Ich bin vor dreiundzwanzig Jahren aus der Sowjetunion nach Deutschland gekommen und habe mir aus diesem Sprachproblem ehrlich gesagt nie etwas gemacht. Das war ein Kommunikationsmittel, das war eine Notwendigkeit! Ich wollte mich verständlich machen für die anderen – das war auch für mich als Schriftsteller nie eine Frage, ob ich jetzt in meiner Muttersprache oder auf Deutsch schreiben sollte. Ich war von Anfang an an breiten Leserschichten interessiert und deswegen hab‘ ich auf Deutsch geschrieben. Außerdem ist es eigentlich auch eine sehr disziplinierende Angelegenheit, wenn man sich in einer Fremdsprache äußert.

Inwiefern?

Naja, also, man denkt mehr nach bevor man etwas sagt. Man prüft irgendwie jedes Wort und jeden Satz – also, zumindest beim Schreiben tu‘ ich das –, ob alles richtig ist, ob alles stimmt. Wenn ich zum Beispiel auf Russisch geschrieben hätte, wären meine Bücher bestimmt viel dicker!

Ich verstehe! Sie sprachen vorhin von der Metapher des deutschen Taxifahrers. Dass sich der, der von weither kommt, besser auskennt, heißt im übertragenden Sinn ja auch, dass er ein besserer Beobachter von landestypischen Marotten ist …

Und vor allem entsteht aus dieser Verschmelzung der Kulturen etwas Neues, Interessantes. Ich glaube, dass man in dieser Art von Musik die Zukunft Deutschlands erkennen kann. Das klingt jetzt vielleicht sehr pathetisch und abgehoben, aber ich sehe das bei diesen Tanzveranstaltungen in der Tat, wie die Musik Menschen hilft, zusammenzukommen. Und eigentlich ist ja jedes Land, jede Staatlichkeit auf Dauer nur dann überlebensfähig, wenn sie offen ist und wenn sie auch die Kraft hat, dieses Neue aufzunehmen. Und das geht niemals ohne Reibungen, ohne zwischenmenschliche Konflikte, und da kann die Musik eigentlich sehr gut helfen. Das sieht man zum Beispiel auch an diesem EU-Projekt, an dieser Europäischen Union, die ja unglaublich viel Kritik erntet und beinahe gescheitert ist – auf allen möglichen Ebenen, ob jetzt finanziell, politisch, wirtschaftlich … Aber kulturell hat diese Union inzwischen jetzt schon enorm viel gebracht. Die Menschen in Europa sind viel näher zueinander gerückt, haben einander besser kennengelernt, die sind keine Nachbarn mehr, sondern das ist schon eine WG, die haben inzwischen schon viel mehr voneinander erfahren!

Das ist ja jetzt schon als politische Aussage zu werten – verstehen sich die Lieblingslieder der deutschen Taxifahrer politisch, ist das eine politische Platte?

Wissen Sie, ich glaube, wir leben in einer Zeit, wo jede Aussage eine politische Aussage ist. Jedes muss sich mit Politik beschäftigen, sonst beschäftigt sich die Politik mit ihm – und die erste Variante finde ich besser. Ich habe gerade die Nachrichten gelesen über die Unruhen in der Ukraine, wo seit drei Tagen schon Hunderttausende in Kiew auf dem Platz stehen – sie fühlen sich verarscht von ihrer Regierung. Sie haben darauf gehofft, näher zu Europa zu kommen, und ihre Regierung hat ihnen jetzt den Weg in die Europäische Union versperrt. Das ist sehr interessant. Also, diese Bündnisse, diese neuen, stehen. Die Russen machen vierundzwanzig Stunden am Tag Propaganda gegen die Europäische Union, sie sagen, die Europäische Union ist am Ende. Das kann man jeden Abend in den russischen Nachrichten hören: Die Schwachen hätten die Starken kaputtgemacht, Spanier, Griechen und so weiter … Gleichzeitig aber wollen sie ihre euro-asiatischen Bündnisse stärken. Hier hört man dann das Gegenteil: Es sei alles in Ordnung mit der EU, sie wolle sich vergrößern und neue Länder aufnehmen … Sehr interessant! Und ich glaube, dass diese Art Politik wirklich jeden angeht. Das war in meiner Heimat, der Sowjetunion, anders. Damals hatte es wirklich keinen Sinn, sich mit Politik zu beschäftigen – man hatte ja überhaupt keine Einflussmöglichkeiten auf die politische Situation. Aber heute ist das sehr spannend.

Bleiben wir noch ein bisschen beim Stichwort Politik. Als ich mich auf dieses Gespräch vorbereitet habe, bin ich auf ein Interview mit Ihnen gestoßen, wo Sie sagen: Ohne Politik, ohne Verantwortung für das Leben da draußen zu übernehmen, kann Musik nicht richtig passioniert sein. Können Sie das genauer erklären?

Es gibt tatsächlich zwischen der politischen und der musikalischen Entwicklung eine Verbindung. Wir haben zum Beispiel bei der Arbeit zu unserer vorletzten Platte Ukraine Do Amerika, die nach der Orangenen Revolution entstanden ist, festgestellt, dass der Aufbruch politisch genau genommen nicht viel Neues brachte – außer einer neuen Regierung, die der alten ziemlich ähnelte –, aber kulturell, musikalisch brachte dieser damalige Widerstand unglaublich viele neue Kollektive, neue Bands hervor, die phantastische Musik machten! Klar, das war in Russland auch so: nach den Protesten vor einem Jahr sind mehrere Platten entstanden, zum Teil von Bands, die ich früher überhaupt nicht kannte. Und viele Kunstarten – zum Beispiel diese Rapmusik, die, glaube ich, erst später kommerzialisiert wurde, aber am Anfang als eine Art Stinkefinger der Gesellschaft gedacht war. Plötzlich wurde dann in Russland diese Rapmusik neu erfunden, und sie singen dermaßen enthusiastisch und tagesaktuell, dass man dann zwangsläufig anfängt, diese Verbindung zwischen Politik und Kunst überall zu suchen.

8.1_Backcover
… und Steuermann Gurzhy

Apropos Rapmusik: Sie haben auf den Liebesliedern ja zum ersten Mal auch das Mikro in die Hand genommen und zusammen mit Gurzhy auf dem Russkaja-Track „Radost“ gerappt …

Ah, ich bin nicht zufrieden mit diesem Ergebnis. Man versteht kaum, was ich eigentlich singe. Das ist alles viel zu schnell! Ich wollte schon früher eine Rap-Band für ältere Menschen organisieren, wo man langsam rappen kann und wo der Akzent mehr auf Inhalte gelegt wird. Aber vielleicht kommt’s irgendwann noch dazu!

Die Lieblingslieder sind aber nicht einfach nur eine weitere Russendisko-Compilation, sie sind auch Teil Ihres aktuellen Buches Diesseits von Eden und gehen mit Ihnen in einem moderner Cross-Promotion-Ansatz auf Lesereise …

Ja, wir haben einfach festgestellt, dass man mit dieser Musik die Menschen überall auf der Welt zum Tanzen bringen kann – auch in meinem Garten in Nordbrandenburg! Aber auch überall sonst. Wir waren jetzt im Herbst mit der Disco in vielen Ländern, in Frankreich, in Finnland … in Helsinki habe ich in einem Club namens „Dubrovnik“ aufgelegt …Dann waren in Brasilien, in Rio …Und auch dafür war die Platte gut, die hat überall funktionier!

Im Dezember gibt es dazu noch einen ganz besonderen Auftritt in Berlin – können Sie uns hierzu schon ein bisschen mehr verraten?

Am 12. Dezember treffe ich im Heimathafen mit der Band RotFront – das ist die Kombo von Yuriy Gurzhy – zusammen. Das machen wir zum ersten Mal, dass ich meine Texte zu Live-Musik vorlese, und ich bin sehr aufgeregt wegen dieses Auftritts. Ich glaube, es wird ein unvergesslicher Abend!

19. November 2013

Wieder mal die Liebe. FrauContraBass im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 12:18

Nach fünfjähriger Zusammenarbeit muss es endlich mal erwähnt werden: Wenn Musikpromoter Uwe Kerkau anruft und meint, es gäbe da etwas, das unbedingt hörenswert sei, dann hat er – meistens – recht. Im Sommer 2009 war es mal wieder so weit: Es gäbe da „ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Ensemble“, ganz reduziert, nur Bass und Gesang, das 2mit Wurzeln im Jazz das Prinzip der jamaikanischen version auf ganz eigene Art interpretierte und sich auf diese Weise quer durch das weite Universum von Soul, Jazz und Pop covere, wobei die Bearbeitung zur eigentsändigen Kusntform erhoben“ würde. Kontrabass- und vokalfixiert, wie ich bin, reichte das, mich neugierig zu machen. Ich forderte das beworbene Werk an und bekam Saal 3, ein Album, dass mich einerseits veranlasste, ganz privat den selbstbetitelten FrauContraBass-Erstling nachzukaufen, und mich andererseits mit einem der Lieder versorgte, die ich auswählen würde, wenn ich mein restliches Leben lang nur noch drei Lieder hören dürfte: Corner of the Earth. Die anderen beiden sind übrigens Feeling Good von Nina Simone und Hallelujah von Leonard Cohen.

Gut vier Jahre nach Saal 3 dann überraschen die Frau und der Kontrabass, also Sängerin Katharina Debus und Bassist Hanns Höhn, mit dem Vorhaben, ihr Drittwerk ganz dem Repertoire des Great American Songbook zu widmen. Dass das auch heutzutage noch gutgehen kann, haben wir ja gerade erst bei Kat Edmonson erlebt. Trotzdem … Sollte FrauContraBass etwa eine bloße Retro-Platte produziert haben? Hat sie nicht, denn auch die Bearbeitung der Songklassiker lässt die lieb gewonnene, Debus-Höhn’sche Herangehensweise nicht missen. Man nehme einen Song, verstehe einen Song, entkleide einen Song bis auf die Haut – und lege so sein Wesen offen. Das hat viel mit Respekt, oder, wie Hanns Höhn es im Interview ausdrückt, Ernstnehmen zu tun, eine Fähigkeit, die im Ironie-Zeitalter zunehmend in Vergessenheit gerät. Dafür nimmt man schon mal in Kauf, dass bei einem Live-Auftritt schon mal – wie jüngst im Berliner Naherholung Sternchen, wo auch die Konzertfotos entstanden sind, geschehen – die Heizung ausfällt. Ich verkneife mir an dieser Stelle alle Wortspiele zum Thema einheizen & Co. und lasse Sie stattdessen lieber Zeuge eines Gesprächs werden, in dessen Verlauf Sie erfahren können, was es mit der „Moll-Falle“ auf sich hat, warum „so ein Jazz-Studium ja eigentlich nicht wichtig“ ist und weshalb die Liebe auch hier – wieder mal – den Ton angibt.

fraucontrabass_photo_joerg_steinmetz__1 - Kopie

Klangverführer: Auf euren letzten beiden Platten habt ihr euch vor allem der Neuinterpretation von Popsongs, von Stevie Wonder und Michael Jackson über Jamiroquai und Udo Lindenberg bis hin zu Britney Spears und Alicia Keys, verschrieben. Comes Love dagegen schöpft ausschließlich aus dem Repertoire des Great American Songbook …

Hanns: Wir hatten das eigentlich auch vorher schon immer im Kopf, und dann haben wir gemerkt, dass es Songs gibt, die noch viel älter sind … Und bei der dritten CD mit Pop-Stücken von 2011 weiterzumachen, fand ich einfach nicht interessant! Also dachte ich mir, lass uns doch ein bisschen zurückgucken. Wir hatten in der Zwischenzeit auch schon ganz andere Plattenideen, die wir vielleicht in den nächsten zehn Jahren noch umsetzen werden …

Eine Stevie-Wonder-Tribute-Platte?

Hanns (lacht): Ah, zum Beispiel! Vielleicht …

Katharina (stimmt ins Gelächter mit ein): Die wird noch kommen, aber darüber sprechen wir jetzt auf gar keinen Fall, das ist ganz geheim! (lacht wieder)

Hanns: Jedenfalls, was mich bei vielen Jazz-Standards schon immer genervt hat, zum Beispiel wenn sie von den Leuten im Studium gespielt wurden, dass da der Song gar nicht als Song gesehen wird, sondern einfach nur als Hülle, worüber man improvisieren kann. Auch deswegen hat sich dieses Album für uns ganz gut angeboten.

Katharina: Es ist ja auch eigentlich etwas, dass bei der Besetzung, die wir haben, erstmal sehr nahe liegt. Kontrabass und Gesang ist ja eine klassische Jazz-Besetzung, man denke zum Beispiel nur an …

Beide, wie aus einem Mund: Sheila Jordan!

Katharina: Und das Gute liegt manchmal eben so nah – und trotzdem geht man dann erstmal andere Wege. Das haben wir jetzt jahrelang gemacht und das war auch super, aber es ist jetzt auch mal total angenehm, sich das, was sozusagen am nächsten liegt, anzugucken und zu merken, es ist trotzdem noch ganz eigen. Es klingt jetzt nicht plötzlich nach viel mehr Jazz, die Platte ist trotzdem noch unser eigener Sound! Und eben, was Hanns gerade gesagt hat, der Song an sich ist wichtig.

Kann man das Album in dem Sinne auch als eine Art Rückkehr zu den Wurzeln beschreiben? Wie viele eurer persönlichen musikalischen Wurzeln liegen im Great American Songbook?

Katharina: Tatsächlich ist es so, dass Hanns natürlich Jazz-Bass studiert hat, während ich gar nicht Jazz-Gesang oder so studiert habe. Bei mir ist es eher so, dass ich mit dieser Musik aufgewachsen bin. Ich habe sie immer im Ohr gehabt und sie hat mir total viel bedeutet, ohne dass ich wusste, was das eigentlich ist. Insofern könnte ich auch sagen, es sind Wurzeln von mir, ganz andere.

Hanns: Eigentlich sogar viel tiefere Wurzeln! Ich meine, so ein Jazz-Studium ist ja eigentlich nicht wichtig. Also … für mich natürlich schon, ich habe sehr viel gelernt – aber ich habe eben auch gelernt, dass da die Stücke meistens nicht ernst genommen werden, sondern einfach nur gespielt, gedudelt, und fertig. Ich habe mit zehn schon mal in einer Jazzband gespielt und deswegen sind es Songs, die ich auch schon seit meiner Kindheit kenne, aber eben ganz anders als bei Katharina.

Katharina, du hast gerade gesagt, du bist mit den Stücken aufgewachsen – du bist ja auch ein endsiebziger Jahrgang, da lief so etwas ja nicht unbedingt im Radio, und auch die Plattensammlung der Eltern sah zu dieser Zeit meistens anders aus …

Katharina: Nee, im Radio lief das gar nicht, das stimmt. Zum Bügeln lief bei uns „Es fährt ein Zug nach nirgendwo“, ich weiß nicht mal, von wem das ist! Aber es gab bei uns eben auch so ein paar Platten – ich weiß gar nicht, wer uns die mitgebracht hat –, die liefen sozusagen im „Oldie-Modus“, wobei es dann letztendlich Frank Sinatra war, oder Aretha Franklin und Ella Fitzgerald. Und obwohl ich „Es fährt ein Zug nach nirgendwo“ immer noch mitsingen kann – klar, so etwas brennt sich eben ein! –, habe ich bei den anderen Songs Gott sei Dank aufgehorcht und schon als Kind gesagt, geil, was ist das denn?! Es hat mich wirklich berührt.

Was genau fasziniert euch denn so an diesen Stücken, dass ihr ihnen gleich ein ganzes Album widmet?

Hanns: Es sind in erster Linie Songs, die etwas erzählen. Und das muss man einfach ernst nehmen. Wenn ich früher mit Katharina einen Song spielte, habe ich gelernt, auch schon mal zu gucken, worum es da eigentlich geht. Und bei diesen Songs ist das auch so. Zum Beispiel Love for Sale, das wird oft so Happy-Sound-mäßig gespielt, so (singt): Loooove for sale, düp-dü-düp-dü-dü, und wie schön das alles ist … Dabei ist das eigentlich ein ganz bitteres Thema! Und das finde ich total reizvoll, das mal wirklich musikalisch umzusetzen.

Es geht euch also gar nicht so sehr um die vielbeschworene Zeitlosigkeit der Songklassiker, die bei den meisten Künstlern als Argument für die eigene Interpretation herhält …

Hanns: Da haben wir eigentlich gar nicht so drüber nachgedacht, das hat keine große Rolle gespielt.

Katharina: Nee, irgendwie nicht.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Neulich habe ich ein Interview mit dem norwegischen Musiker Thomas Dybdahl gemacht, der meinte, er gäbe ihm überhaupt keinen Kick, Jazzstandards neu zu interpretieren, das sei alles „durch“. Was glaubt ihr, warum braucht man von einem fünftausendmal gecoverten Stück noch eine fünftausendunderste Version? Oder, anders gefragt: Was gibt euch den Kick bei der Sache?

Hanns: Also, ich finde es total interessant, den Song noch einmal anders zu beleuchten, als er schon fünftausendmal beleuchtet wurde. Und auch, ihn in unserem minimalistischen Sound und, jetzt ganz persönlich gesehen, gerade auch mit Katharina zu spielen. Es geht auch gar nicht darum, die Sache jetzt neu zu erfinden, aber dadurch, dass wir es so machen wie wir es machen, ist es einfach anders, und deswegen ist es für mich sehr interessant gewesen, diese Platte aufzunehmen – und das Repertoire jetzt auch live zu spielen. Darum geht es. Wir wollen einen Song jetzt ja nicht entstellen, sondern einfach auf unsere Art spielen. Und die Reaktionen darauf sind bis jetzt auch alle positiv, bis jetzt sagen die Leute alle: toll, super!

Katharina: Geht mir genauso. Mir persönlich geht es eigentlich gar nicht so sehr darum, ob das jetzt Jazz ist, oder was es überhaupt ist, ob das nun Standards sind – klar, da gibt es sowas wie Fever, und das macht man dann eben nicht mit Gesang, gerade deswegen nicht, weil es jeder so erwartet –, sondern es geht um Songs, die wir lieben und die uns etwas geben, was wir weitergeben können. Auch bei unseren älteren Covern, dem Britney-Spears-Stück oder der Udo-Lindenberg-Nummer, die wir immer noch live spielen, sagen uns die Leute manchmal, krass, ich habe nie auf den Text gehört, aber jetzt verstehe ich, worum es geht. Und das finde ich toll, dass auch jetzt im Nachhinein, wo wir live gespielt haben, Freunde von mir, aber auch wildfremde Personen, zu mir kommen und sagen: Ich steh‘ eigentlich nicht so auf Jazz, aber jetzt find‘ ich’s grad geil! Das ist natürlich super.

Dann seid ihr quasi so eine Art Übersetzer oder Mittler zwischen den Geschmäckern bzw. Genres … Apropos Genres: Hat euch euer neues, jazziges Repertoire zum Labelwechsel bewogen? Die ersten beiden FrauContraBass-Platten sind ja bei Klangraum erschienen, Comes Love jetzt auf Contemplate, wo auch Lisa Bassenge veröffentlicht …

Katharina: Nee, das hat sich einfach so ergeben, dass wir gesagt haben, so, jetzt ist es mal Zeit für neuen, frischen Wind!

Hanns: Und wir hatten Kontakt zu Ulla und Sebastian (Binder und Studnitzky, Labeleigentümer), das hat mit der Stilistik gar nichts zu tun. Einfach mal eine neue Tür aufmachen und gucken, was sich dahinter für neue Möglichkeiten verbergen.

Stichwort neu: Neu ist bei eurem dritten Album ja nicht nur das Jazz-Repertoire und die Plattenfirma, ihr habt auch zum ersten mal die gesamte Postproduktion per Crowdfounding finanziert – und zwar erfolgreich. Die veranschlagten 8.000 Euro sind dank der Hilfe von 62 Supportern zusammengekommen. Wie seid ihr auf die Idee des Crowdfounding verfallen und welche Möglichkeiten eröffnet es den heutigen Künstlern?

Hanns: Ich habe das auch erst vor ungefähr einem Jahr kennengelernt. Es ist einfach eine tolle Möglichkeit, verschiedene Dinge unter einen Hut zu kriegen. Erst einmal natürlich, die Platte zu finanzieren – schließlich ist es ja nicht so, dass irgendwelche wichtigen Plattenbosse einfach so sagen, komm, mach mal, wir bezahlen dir alles! Auf der anderen Seite gab es ein tolles Gemeinschaftsgefühl: Man merkt, es passiert was, und die Leute freuen sich auch, mitmachen zu können. Obwohl sie ja auch bezahlen, haben sie dieses positive Gefühl. Und jeder hat was davon! Also, wir haben eine tolle Platte, und die Leute – auch. Deswegen war es eine tolle Energie, die da für uns entstand, das hat uns viel Kraft gegeben. Ich würde jedem Künstler empfehlen, das einmal zu versuchen.

Katharina: Die Zeiten haben sich einfach geändert. Man hat nicht mehr den Plattendeal bei einem Riesenlabel, das vorstreckt – und vielleicht will man das auch gar nicht mehr. Vielleicht will man gar nicht zu einem Riesenlabel hecheln und sagen, wie machen alles, was ihr wollt. Man will sich nicht verbiegen! Und durch Crowdfounding hat man die Möglichkeit zu versuchen, dass die Leute, die unsere Musik lieben, uns unterstützen. Klar ist das erstmal ein Schritt, weil man damit ja quasi sagt: Wir sind bedürftig. Davor hatte ich ein bisschen Angst. Aber als das startete, war das für uns dann sofort ein anderes Gefühl. Es war überhaupt nicht mehr, wir müssen, oder wir brauchen, sondern es war so … so … geil, ihr seid alle dabei, und das ist cool! Das war total schön.

Hanns: Und es wäre auch kein Problem gewesen, bedürftig zu klingen, denn es wird jetzt für Jazzmusiker allgemein auch nicht einfacher: Keiner kriegt Subventionen, keiner wird irgendwie staatlich unterstützt. Deswegen, selbst, wenn wir jetzt sagen würden, wir können nicht anders, wäre das auch legitim, finde ich.

Abgesehen von den monetären Zwängen gibt einem dieser Weg doch auch mehr künstlerische Freiheit, oder?

Hanns: Ja, klar, es gibt ja Labels, die einem alles vorschreiben wollen. Das geht mit dem Cover los. Da machst du einfach deine Musik, und mit einem Mal hast du da so ein komisches Bild vorne drauf, das du gar nicht haben möchtest, während unser Cover in unserem Freundeskreis entstanden ist. Und auch bei allen anderen Dingen wird einem unter Umständen mehr reingequatscht, von wegen neu mischen oder nehmt das in dem und dem Studio auf. Wir konnten alle diese Dinge selbst entscheiden.

Heißt das, dass ihr, auch wenn es nicht immer einfach ist, über die von Katharina angesprochenen geänderten Zeiten im Grunde ganz glücklich seid?

Hanns: Ja, ich meine, es macht natürlich kreativ und man bleibt flexibel. Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn jetzt Warner Brothers anrufen und sagen würde, wir haben hier dreihunderttausend Dollar, nehmt die und macht ein Album damit!

Katharina (lacht): Das kannst du auch schreiben, falls das jemand von Warner liest …

Hanns: Um auf deine Frage zurückzukommen, es war eine tolle Erfahrung. Wir wussten ja nicht, ob das überhaupt funktioniert, und es ist natürlich ein tolles Gefühl, dass wir so viele Leute dafür begeistern konnten.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Wir haben jetzt so viel über Neues, vom Repertoire über das Label bis zur Finanzierung, geredet – lasst uns doch mal schauen, was gleich geblieben ist. Für mich ist das in erster Linie eure Herangehensweise an die Jazz-Klassiker, die der bei den Pop-Stücken der letzten Platten ähnelt. Die Songs werden bis auf die Grundfesten entkernt, um nur das Wesentliche übrig zu lassen. „Den Ursprung erfassen“, nennt ihr das auf Startnext, während Jazz thing von „sensible[n] Neuorientierungen“ spricht. Wie geht dieser Prozess der FrauContraBassisierung eigentlich vor sich, wie entsteht ein typisches FrauContraBass-Arrangement eines Songs?

Hanns: Das ist verschieden. Es gibt Stücke, die … Nein, von vorn. Erst einmal geht es um die Idee der Auswahl, also darum, dass wir einen bestimmten Song überhaupt nehmen, da gibt es ja tausende Möglichkeiten. Nach diesem ersten Schritt, der ein sehr wichtiger ist, probieren wir damit rum. Das heißt, wir spielen den Song erstmal zum Beispiel als Bossa und merken, das ist totale Scheiße, wie wir es vorher auch schon wussten (allgemeines Gelächter). Und dann geht es weiter mit einer Soundidee. Bei Windmills zum Beispiel hatte ich im Kopf, es müsste einfach klingen wie so ein Windrad …

Katharina: Wie etwas Monotones!

Ja, das leiert ja auch so …

Beide: Genau!

Hanns: Und auf der Platte ist ja da noch dieses Rascheln dabei, das wie irgendetwas Kaputtes klingt …

Katharina: Da hatten wir am Bass und an Hanns selbst Plastiktüten befestigt – das können wir aber auf der Bühne schlecht machen, weil: Sieht einfach nicht aus! (lacht)

Hanns: Und diese Soundidee entwickelt man dann weiter. Oder …

Katharina: … man beschäftigt sich, wenn man jetzt rein musikalisch nicht weiter kommt, nochmal mit dem Text und fragt sich, worum geht es denn hier eigentlich? Früher haben wir gern ein blöde Bossa-Version auf Deutsch gemacht, wobei ich quasi spontanübersetzt habe, und dann haben wir uns darüber unterhalten, worum es hier geht und was das für uns heißt – und dann sprudelt es meistens schon aus Hanns heraus!

Hanns: Genau, ich brauche immer die Idee vom Text und dann das Gefühl, was da eigentlich dahinter steckt. Love for Sale oder Windmills sind solche Beispiele, wo ich eigentlich in Bildern denke oder in Gefühlszuständen.

Das Ernstnehmen des Songs, das du vorhin angesprochen hast.

Hanns: Ja, einfach ernst nehmen!

Du hast eben auch gesagt, dass der erste Schritt im Prozess die Auswahl des Songs ist. Heißt das umgekehrt auch, dass ihr keinerlei Ambitionen habt, Eigenkompositionen zu veröffentlichen?

Katharina: Doch, das haben wir auch schon mal angefangen. Einen Song haben wir mal auf ein Gedicht geschrieben, einen anderen Song hat uns ein Freund geschrieben …

Hanns: Ja, eigene Songs haben wir schon gemacht. Aber das ist noch einmal … das ist einfach wesentlich schwieriger, da einen Weg zu finden, der so komplett ist wie das, was wir jetzt machen. Das ist ein Prozess, in dem wir wahrscheinlich immer noch drin sind und drin bleiben werden. Jetzt war es aber erst einmal an der Zeit, etwas zu machen, was greifbar ist – auch für uns. Das hatte eine tolle Energie, weil wir das Programm sehr schnell, innerhalb von einem halben Jahr, fertig gehabt hatten. Was sehr schnell ist. Und deswegen war es auch ganz gut.

Katharina: Ich glaube auch nicht, dass die Idee komplett verworfen wurde, die gibt es schon noch. Aber vor unserer aktuellen Platte haben wir so eine kleine Pause eingelegt …

Hanns: Naja, das stimmt eigentlich gar nicht! Vielleicht eine Pause vom Spielen her, aber gearbeitet haben wir wie die Tiere! An zwei Programmen.

Katharina: Ja, das stimmt – du hast recht!

Hanns: Wir haben zwei Programme ausprobiert …

Katharina: … und es war irgendwie klar, wir wollen eine neue Platte machen und wir wollen wieder spielen, spielen, spielen! Wir haben beide gespürt, dass es jetzt nicht angesagt ist, sich alle Zeit der Welt zu nehmen und zu sagen, okay, wir gehen das jetzt ganz locker an und gucken mal, was aus uns rauskommt. Das hätte wahrscheinlich viel länger gedauert!

Hanns: Und noch länger, weil wir ja schon zwei Programme in der Leitung hatten – da muss man dann auch vorankommen. Deshalb die Idee, das machen wir jetzt so – und das war auch gut so. Aber die Sache mit den Eigenkompositionen – die existiert nicht nur im Hinterkopf, die existiert auf irgendwelchen Computern, in irgendwelchen Demoversionen … Ein andermal, vielleicht.

Ich bin sehr gespannt darauf! Von eurem aktuellen Album mag ich den Titelsong Comes Love am liebsten und freu mich, dass ihr ihn vorhin gespielt habt! Natürlich frage ich mich, welche Bedeutung der Song für euch hat, dass ihr gleich das ganze Album unter dieses Motto gestellt habt?

Katharina: Es geht einfach um die Liebe (seufzt). Wieder mal. Immer wieder kommen wir darauf zurück. Wenn man sich fragt, worum geht’s denn eigentlich im Leben? Ah ja, die Liebe, bumm. Und deswegen war es einfach dieser Song, nach dem wir das Album benannt haben.

Du sagtest das gerade mit so einem Seufzer, und auch vorhin auf der Bühne meintest du, es gäbe ja nun nicht wirklich viele fröhliche Songs über die Liebe. Auch Comes Love lässt sich nicht gerade als fröhlich bezeichnen; und mit eurer Interpretation von Nature Boy, einem Stück, das 1948 vom Spiegel als „Lied mit tödlicher Wirkung“ bezeichnet wurde, klingt das Album dann auch sehr melancholisch aus und macht es passend zum VÖ-Termin zu einer typischen November-Platte. Leidet FrauContraBass zum zehnjährigen Bandjubiläum an akuten Depressionen? Warum ist diese Platte so traurig?

(allgemeines Gelächter)

Hanns: Ich sehe es gar nicht nur als traurig an, sondern eher als nachdenklich. Für mich hat das dann immer eine andere Tiefe, weil die Leute, glaube ich, dann nochmal mehr zuhören. Es öffnet ein bisschen mehr, dieses Melancholische.

Die Leute per Mollakkord zum Zuhören zwingen?

Hanns: Ein bisschen auch, aber das war auch eher Zufall. Es war nicht so, dass wir uns vorgenommen haben, wir machen jetzt Moll, damit die Leute da sitzen und zuhören …

Katharina (lacht): Die Moll-Falle!

Hanns: Es kann ja auch sehr schön sein. Ich sehe es gar nicht als traurig an, sondern ehr als tief.

Katharina: Ich persönlich hatte nach diesen Platte mit den Popsongs, die total cool sind und die wir immer noch spielen und total lieben, auch einfach Lust auf Entspannung. Auf eine totale Entspannung. Und sogar in unserer Reduktion, die wir sowieso haben, nochmal zu sagen, wir müssen niemandem nichts beweisen, sondern einfach nur das machen, was uns jetzt gerade bewegt und gefällt. Und das dann auf die Platte zu nehmen. Ich glaube, das haben wir auch geschafft. Die neue Platte ist unaufgeregter.

Hanns: Im Nachhinein ist die Saal 3 stellenweise ein bisschen zu …

Akademisch?

Hanns: Ja, so wir-zeigen-euch-jetzt-allen-was-abgeht. Aber trotzdem mag ich die auch, es war auch eine tolle Sache, da aufzunehmen … Aber die aktuelle Platte hat einfach mehr Ruhe. Und diese Reduktion finde ich auch noch ein bisschen reifer.

Aber die Reife ist ja ein natürlicher Prozess, der zwangsläufig mit der Zeit kommt und von Album zu Album weiter voranschreitet … „Abgeklärt“ ist ein blödes Wort, aber vielleicht trifft es das?

Hanns: Vielleicht. Kann sein. Ich finde es auf jeden Fall runder, auch als Gesamtidee.

Katharina: Abgeklärt trifft es für mich nicht. Aber entspannter trifft es. Und reifer. Ja, reifer!

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Lasst uns „Entspannung“ als Stichwort für meine letzte Frage nehmen. Nach zehn gemeinsamen Jahren braucht man doch sicherlich auch mal Entspannung oder Ruhe voneinander, oder? Anders gefragt, was macht ihr, wenn ihr nicht FrauContraBass seid?

Hanns: Dann sind wir ganz traurig! (Gelächter)

Katharina: Also, dass wir uns jetzt irgendwie auf die Nerven gehen würden – coolerweise ist es nicht so. Wirklich nicht. Wir sind zu zweit so hochmotiviert unterwegs, das ist großartig! Und ich erzähle immer allen, mit dem Hanns zu spielen ist total toll, und er erzählt allen, mit der Katharina zu spielen, ist total toll – und es ist wirklich großartig, dass das nach zehn Jahren noch so ist. Nicht, dass wir uns nicht streiten … (lacht) Um auf die Frage zurückzukommen: Hanns hat eine tierische Combo namens Tango Transit …

Hanns: Ein Trio mit Akkordeon, Schlagzeug und Bass.

Katharina: Total schön!

Hanns: Wir spielen sehr viel, auch jetzt wieder an Weihnachten – die Weihnachtsplatte kommt jetzt raus, da ist dann auch immer irgendwas … Aber ich glaube, FrauContraBass hat schon eine besondere Stellung für uns beide, weil es so besonders konzentriert ist. Ich meine, das sieht man ja, wenn man hier auf so einer kleinen Bühne steht, das ist sehr intim, und ich würde das wahrscheinlich auch das ganze Jahr über machen. Es gibt dann aber noch ein paar andere Projekte, ich spiele noch mit einem Kabarettisten als Sideman – solche Sachen eben, die ganz normal zum Berufsleben eines Musikers, der nicht weltberühmt ist, dazu gehören. So ist das bei mir. Und Katharina ist ja mit Slixs international unterwegs.

Katharina: Das ist diese Vokalformation, in der ich mitsinge, aus Halle an der Saale. Und das ist auch großartig …

Hanns: Tierisch ist das!

Katharina: … da kann ich mich als Sängerin einfach in so eine Gruppe einbinden. Ich bin da zwar die einzige Frau, aber trotzdem muss ich nicht immer solo singen, was auch mal total angenehm ist, sich da hineinfallen zu lassen. Aber natürlich ist es toll im Duo, das ist einfach so pur! Und man kann sich nicht verstecken. Die Angst, die man davor hat, ist aber genau das, was es dann so toll macht.

Hanns: Es wird immer neue Programme geben und vielleicht auch ein paar Experimente mit Sounds, aber im Grunde wird das mit uns immer so weitergehen.

Das heißt, ihr habt mit FrauContraBass eure Herzformation gefunden.

Beide: Ja, absolut!

Hanns: Ich glaube, das merkt man auch. Es ist nicht normal, dass man sich da hinstellt, beziehungsweise, wir denken manchmal, gerade, wenn wir vor vielen Leuten spielen, wie krass sind wir eigentlich drauf, dass wir uns jetzt hier hinstellen, quasi nackt, und den Leuten, die wir noch nicht kennen, unsere Songs vorspielen? Das Tolle dabei ist, dass wir immer für uns beide wissen, es darf alles passieren. Es kann nichts schief laufen, das heißt, es wird jetzt keiner auf einmal ohnmächtig vor Angst oder so, sondern wir stehen da und wir wollen das beide gut machen zusammen, tolle Musik machen. Das ist etwas, was auch nicht mit jedem so intensiv möglich ist.

Katharina: Es ist auch schön zu wissen, dass man zu zweit mittlerweile so eingespielt ist, dass man, selbst, wenn etwas passieren würde, gar nicht so tief unter das gegebene Niveau fallen kann. Es kann eigentlich nicht viel passieren, und selbst, wenn man selber das Gefühl hatte, oh Mann, heute war das aber nicht so toll, haben die Leute im Publikum trotzdem immer noch das Gefühl, es war ein guter Abend. Das entspannt uns auch ein bisschen vorm Konzert.

Hanns: Stimmt. Es kann nichts passieren.

Weil der andere da ist , der einen auffängt?

Hanns: Ja, klar.

Katharina: Genau. Ich weiß, wenn ich mal einen kompletten Text versemmel und nichts mehr weiß – das ist egal, weil Hanns dann eben kurz mal solo spielt. Oder er macht den Groove weiter, und ich komme dann halt irgendwann wieder rein.

Hanns: Vor Jahren ist mir mal passiert, dass ich einen Song in einer falschen Tonart angefangen habe, eine Quarte zu hoch …

Katharina (kichert): Das war die Hölle! ‚Ne Quarte höher!

Hanns: Take Me Home, der ist auf der letzten Platte drauf … Ich hab’s dann irgendwann gemerkt, aber ich wusste dann auch nicht mehr genau, wie ich da jetzt wieder rauskomme …

Klammheimlich zurückmodulieren …

Hanns: Ja, das haben wir, glaub ich, sogar so gemacht.

Katharina: Nee, wir haben das nicht gemacht. Wir haben die komplette Nummer ’ne Quarte höher gespielt. Und eigentlich geht die so (singt in Originaltonart): Take me home …, so ganz entspannt, aber ich war die ganze Zeit so (singt höher): Take me home … haaaaaa, und dachte mir so, egal, ich bin ein Engelchen! (Gelächter)

Hanns: Also, es geht alles. Und auch Situationen, in denen es brenzlig wird, weil man im Stau stand und erst fünf Minuten vorher ankommt oder wo auf einmal ganz viele Leute sitzen – das geht alles. Oder auch, wenn nur drei Leute da sitzen. Wir haben nie ein Problem damit, wir wollen es immer gut machen.

fcb3_digipak.indd

Comes Love ist am 1. November 2013 auf Contemplate/Edel erschienen. Klangblog-Leser können ein signiertes Exemplar gewinnen. Einfach eine Mail an kontakt@klangverfuehrer.de schreiben und auf etwas Losglück hoffen.

11. November 2013

Subtext im Märchenland: Mira Falk im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , — VSz | Klangverführer @ 13:56

Gerade hatte ich dem Hund in der Küche sein Futter hingestellt und mich ins Wohnzimmer verzogen, als das Telefon klingelte. Unbekannte Nummer. Ich gehe trotzdem ran. „Hallo, hier ist Mira“, tönt es aus dem Hörer, den ich vor Schreck beinahe fallen lasse. Hat sich der Hund heimlich ein Handy besorgt und ruft mich jetzt aus der Küche an, um mir mitzuteilen, dass er noch gern einen Nachschlag hätte? Mit der Einsicht „Die letzte Nacht war zwar lang, aber so lang nun auch wieder nicht“ schwindet auch der Schreck und es klärt sich, dass nicht etwa mein Mira-Hund telefonieren gelernt hat, sondern Sängerin Mira Falk anruft, um sich mir mir zum Interview zu verabreden.

Und das wird dann auch sehr schön. Entführt ihr Debütalbum Enchanting Land den Hörer in die fabelhafte Welt der Mira Falk irgendwo zwischen Kreuzberger Kindheit und der Multikulturalität Amsterdams, in der das Mira Falk Quartet zum Leben erwacht ist, fasziniert im Gespräch vor allem, wie offen und wortreich die Halb-Italienerin darüber spricht, dass es für junge Musiker nicht immer ganz so einfach ist und wie sie dem mit einer Art Nachbarschaftshilfe unter Kreativen zu begegnen weiß, warum man es sich nicht auch noch gegenseitig schwer machen sollte und weshalb sie sich selbst „nicht als totale Jazzsängerin bezeichnen“ würde, Enchanting Land aber durchaus als Jazzplatte. Viel Freude damit!

OLYMPUS DIGITAL CAMERA
Mira & Mira auf dem Klangverführer-Sofa

Klangverführer: Enchanting Land ist dein erstes Album. Von einem wirklichen Debüt kann man aber eigentlich gar nicht sprechen, denn das Mira Falk Quartet hat 2011 schon eine EP gemacht, richtig?

Mira Falk: Genau. Ich habe 2010 meinen Abschluss gemacht und mein Traum war immer, ein ganzes Album aufzunehmen. Ich hatte zwar schon zig Demos aufgenommen oder mal bei Freunden was eingesungen, aber dass es so wirklich meine CD ist, mein Name, meine Lieder – das hatte ich noch nicht. Nach dem Studium wollte ich mir dann aber erstmal so etwas wie einen Probelauf dafür geben und hab‘ dann eben diese EP gemacht. Ich hatte kurz vorher eine Rückzahlung von der Steuer gekriegt, was sehr schön war, und dachte, investiere ich das doch mal sinnvoll! (lacht) Bei der EP war wirklich alles handgemacht, sie wurde bei einem Studio um die Ecke aufgenommen, was zwar schon eines der besseren war, das aber trotzdem noch über diese Wohnzimmeratmosphäre verfügte, ein Studienkollege hat es gemixt, mein Freund das Artwork gemacht … Das war jetzt nicht mehr völlig auf dem Level eines Demos – immerhin haben wir die EP auch richtig verkauft –, aber es war noch viel „Try-Out“ dabei.

Für die CD wollte ich das Ganze dann etwas größer angehen. Ich habe mit der EP im Gepäck einige Labels angeschrieben, und zwei waren auch sehr interessiert, darunter auch das Label, bei dem zwei befreundete Kolleginnen, Simin Tander und Julia Oschewsky, ihre CDs rausgebracht haben. Mir war es zunächst wichtig, meine CD bei einem deutschen Label herauszubringen – nicht nur, weil ich Deutsche bin, sondern auch, weil der deutsche Markt größer ist. Zu der Zeit habe ich noch in Amsterdam gewohnt und wollte lieber von Deutschland aus in den niederländischen Musikmarkt vordringen als andersrum.

Zeitgleich kamen mir aber grundsätzliche Zweifel an der ganzen Label-Idee, weil Labels, wenn man jetzt nicht gerade bei Blue Note & Co. veröffentlicht, kein großes Budget für Promotion haben, und wenn sie in dem Monat, wo deine Platte veröffentlicht wird, auch noch fünf andere Alben veröffentlichen, kann es sehr schnell sein, dass du einfach hinten runter fällst. Dann hast du investiert – und keiner hört’s! Ich fand es dann viel zeitgemäßer, mir direkt einen Promoter zu nehmen. Also habe ich mich mit einer Promoterin bei „Initiative Musik“ beworben, und dort hieß es, sie fänden zwar die EP musikalisch super – was auch erst einmal sehr schön zu hören war! –, aber ohne Label im Hintergrund ist ihnen das, gerade bei einem Debüt, nicht stark genug. In den Niederlanden ist das anders, aber in Deutschland scheinen noch etliche Traditionen im Weg zu stehen. Ich habe den Eindruck, hier mahlen die Mühlen in der Hinsicht etwas langsamer.

Letzten Endes bin ich aber bei meiner Meinung geblieben und habe meinen Fokus mehr auf die Zusammenarbeit mit einem Promoter gelegt. Mein Label Record Jet, für welches ich mich zum Schluss entschieden habe, ist ja eigentlich hauptsächlich für die Distribution verantwortlich. Ein renommiertes Label hätte mich eventuell künstlerisch auch zu sehr eingeschränkt. So beispielsweise war es mir wichtig, mit Künstlern aus meinem Umfeld zu arbeiten. Ich wollte mit einem ganz bestimmten Fotografen arbeiten, ich wusste, von welcher Designerin meine Kleidung stammen sollte – für all dies und noch viel mehr gibt es bei Labels ja sonst Vorgaben. Ich hatte an mein Debütalbum den Anspruch, alles selbst zu bestimmen, das wäre in Zusammenarbeit mit einem größeren Label weitaus schwieriger umzusetzen gewesen. Auch das Studio wird einem oft vorgegeben – und die Bauer Studios sind natürlich super, da will jeder aufnehmen! –, aber ich hatte immer den Traum gehabt, mein erstes Album in der Fattoria Musica aufzunehmen. Und wenn man sich den Traum vom ersten eigenen Album schon erfüllt, dann muss man ihn sich auch richtig erfüllen, ist meine Meinung. Dieser Freiheitsgedanke spielt für mich eine wichtige Rolle.

Wahrscheinlich betrachtet man das Album dann auch umso mehr als wirklich eigenes, je mehr Anteil man an seiner Entstehung hat! Jetzt ist es ja geschafft. Wann und wo und wie habt ihr eigentlich als Quartett zusammengefunden?

Wir haben alle am Conservatorium van Amsterdam studiert, kannten uns also aus dem Studium. Natürlich hätte ich auch gern am JIB in meiner Heimatstadt Berlin studiert, bin dann aber über den Umweg eines kombinierten Klassik- und Popularstudiums an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock in Amsterdam gelandet. Ich will die Klassik zwar nicht missen, aber letzten Endes wollte ich Jazz studieren, wozu ich ans Conservatorium van Amsterdam gegangen bin. Letztendlich hat sich die Stadt für mich als total wundervoll herausgestellt. Ich meine, mittlerweile ist Berlin ja auch viel internationaler geworden, aber an dieser Riesenschule in Amsterdam kamen etwa drei Viertel der Leute aus der ganzen Welt! Ich bin selbst Halb-Italienerin, ich bin in Kreuzberg großgeworden – ich mag einfach diesen Mix, der gibt mir ganz viel. So setzt sich auch das Mira Falk Quartet aus einem Isländer, einem Engländer, einem in Australien großgewordenen Deutschen und mir zusammen. Jeder bringt seine eigene Geschichte mit, doch die Musik vereint das dann alles.

Wie sehr prägt denn dieser multikulturelle Background euren Stil?

Jetzt spiele ich live ja mit anderen Musikern, als mit denen ich die CD aufgenommen habe. Dazu will ich aber nachher noch mehr sagen. Für mich persönlich bedeutet Multikulturalität, dieser Mix, dass ich gar nicht anders leben könnte. Ob das jetzt mein Freundeskreis ist oder die Leute, mit denen ich spiele – das finde ich mit am inspirierendsten. Das mag jetzt vielleicht etwas idealistisch klingen, aber egal, wo jemand herkommt, wo er aufgewachsen ist – was zählt, ist die gemeinsame Leidenschaft, die einen vereint. Und was man dafür alles in Kauf nimmt – von schlecht bezahlten Gigs zu künstlerischen Krisen – da wird die Herkunft sehr schnell egal, denn alle müssen da durch, egal, woher sie kommen. Die zweite Hauptsprache in Amsterdam ist Englisch, was noch einmal mehr Internationalität dahin bringt.

Ich habe mal gelesen, es gibt auf der Welt hundertdreiundachtzig oder so ähnlich – halt mich da jetzt nicht an den Zahlen fest – Nationen, und hundertachtzig davon sind in Amsterdam vertreten. Und genau so ist auch das Lebensgefühl, wenn man dort ist.

Lass uns mal einen Blick auf deine Zeit vor Amsterdam und vor dem Mira Falk Quartet werfen. Du bist ja schon eine ganze Weile musikalisch unterwegs. Bei der Recherche zu diesem Interview ist mir auf YouTube eine Aufnahme von 2004 aus Rostock in die Hände gefallen, wo du gemeinsam mit einem Gitarristen Cindy Laupers Time after Time coverst. Spielt Pop für dich noch eine Rolle?

Ja, auf jeden Fall! Ob das jetzt Regina Spektor ist oder Tuneyards oder Tom Waits, den ich über alles liebe, bis hin zu den Beatles … also, total! Für mich war relativ früh klar, ich will eigene Musik schreiben, auch wenn es ewig gedauert hat, bis es endlich so weit war. Und für mich ist eigentlich alles, ob das die Klassik ist, ob das Pop ist, ob das Jazz ist, wichtig, um Musik zu schreiben. Ich liebe halt Musik einfach! Letzten Endes fand ich es am geschicktesten, Jazz zu studieren, da mir Klassik zu perspektivenlos war, es ging dann eben doch immer nur Richtung Opernbühne, und Pop war mir ein bisschen zu flach, auch wenn sich die Studiengänge da gerade auch wandeln. Jazz hat sich da am meisten angeboten, wobei ich mich nicht als totale Jazzsängerin bezeichnen würde.

Enchanting Land ist in deinen Augen aber eine Jazz-CD?

Doch, schon. Als Grundtenor auf jeden Fall. Ich liebe Jazz auch total! Ob das jetzt die ganzen alten Sängerinnen sind, Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan, über den Jazz-Folk von Joni Mitchell bis hin zu Becca Stevens, die liebe ich sehr, und Gretchen Parlato. Aber die Platte ist irgendwie ein Mix, Chanson ist da ja auch zu hören, den mag ich auch total gern, und die deutsche Sprache, mit der ich in vielerlei Hinsicht am Anfang Berührungsängste hatte. In meinem Live-Programm sind jetzt auch mehr deutsche Stücke dabei als auf der CD. Anfangs wusste ich nicht, ob das jetzt überhaupt geht, ob das massentauglich ist, weil wir ja auch viel international spielen, ob man das seinem Publikum zumuten kann.

Und klar ist es dann auch noch einmal ein bisschen anders, in der eigenen Sprache zu singen, man macht sich noch einmal mehr angreifbar. Auch die Kombination Jazz und Deutsch war am Anfang fraglich. Roger Cicero, der auch bei mir an der Hochschule studiert hat, macht das ja mit großem Erfolg. Zwar wäre der Stil, wie er es macht, allein von der Sprache her überhaupt nichts für mich, aber ich habe Respekt davor und er hat gezeigt, dass das geht. Und wenn man live spielt, ist es toll zu merken, dass viele Leute gerade das total gut finden. Dieses Jazz-Folk-Pop-mäßige auf Deutsch scheint relativ viele Leute anzusprechen! Ich fühle mich jetzt auch total wohl darin.

Ich liebe schreiben, ich liebe Worte. Meine Hochschule war auf Englisch, die letzten sechs Jahre habe ich eigentlich fast nur auf Englisch gelebt, auch in meiner Beziehung – ich fühle mich im Englischen zu Hause und kann mich da auch ausdrücken, aber auf Deutsch schreibe ich eben für mich selbst schon ewig, wenn auch mehr privat, und es ist sehr schön, dass ich dafür jetzt so ein gutes Feedback kriege. Dadurch fühle ich mich auch ermutigt, in diese Richtung weiterzuarbeiten.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Du hast gerade den Aspekt „Chanson“ angesprochen – auf Enchanting Land gibt es ja auch eine Interpretation von Whatever Lola Wants im Salon-Tango-Stil, das ist das einzige Cover auf der CD. Warum gerade die Lola, welchen Bezug hast du zu dem Stück?

Wir hatten eigentlich noch ein Tom-Waits-Stück, das hat es leider nicht auf die CD geschafft, da es einfach zu schwierig war: Ich spiele da Kalimba, und mit der Intonation ist da so eine Sache, auch aus technischen Gründen, weil das sehr offen gespielt ist und kaum Nachbearbeitung zulässt. Die Lola … ich finde erstmal den Text super. Es gibt eine grandiose Version von Sarah Vaughan, die ich sehr liebe. Und mit Kristján, meinem Pianisten, der da Akkordeon gespielt hat …das hat einfach total etwas in mir angesprochen! Auch dieses Laszive … Ich habe ja sonst eher dieses Träumerische, Zarte, Sensible, aber diese Seite habe ich in jedem Fall auch in mir und kann sie bei diesem Stück mal kurz ausleben! (lacht)

Eben hast du ein Tom-Waits-Stück erwähnt; und auch deiner aktuellen Pressemitteilung kann man entnehmen, dass ihr euch gern mal an Neuarrangements seiner Stücke, aber auch der von Kurt Curbain und sogar Benjamin Britten versucht – was macht da für dich die Herausforderung aus, im Gegensatz zur Interpretation von Eigenkompositionen?

Ich würde sagen, dass ich den Großteil meines musikalischen Werdegangs der Interpretation von fremden Stücken gewidmet habe, klar, da waren im Jazz erstmal die Standards, aber natürlich auch in der Klassik, obwohl man hier strenger an Vorgaben à la „Den Bach singt man so“ gebunden ist, aber trotzdem natürlich auch seine interpretatorische Freiheit hat. Für mich ist es immer eine schöne Herausforderung, dass man so sich darin findet. Im Klassikstudium zum Beispiel hatte ich auch Schauspiel, und da hieß es immer: der Subtext. Und genau darum geht es, dass es egal ist, was man macht, wenn man seinen persönlichen Subtext darin findet. Es gibt Stücke, ob das nun ein klassisches Lied von Benjamin Britten ist oder ein eher derber Song von Tom Waits, wenn ich mich darin finde, ob in den Akkorden oder in dem Text, und meistens ist es der Text, weil ich Worte sehr wichtig finde, dann klingt da etwas in mir an, was ich dann auch erzählen will, auf meine Art. Und daraus ergibt sich dann unser Arrangement. Es ergibt sich nicht alleine nur daraus, aber sicher das ist dann der Boden dafür.

Lass uns auch über die Eigenkompositionen sprechen. Bis auf die Lola stammt Enchanting Land ja komplett deiner Feder. Erzähl mir doch ein bisschen mehr über dieses zauberhafte Mira-Falk-Land, in das du deine Hörer entführst …

Ich finde das Wort „Märchen“ total schön. Märchen kommt ja von Mär bzw. Mar oder Mahr, und das ist ein mythologischer Dämon, der sich bei den Leuten, wenn sie geschlafen haben, auf die Brust gesetzt und ihnen (sexuell aufgeladene) Träume eingegeben hat. Das hat also auch so einen kleinen moralischen Aspekt. Im Englischen gibt es ja noch das Wort „nightmare“ …

… und im Deutschen entsprechend die „Nachtmahr“, auch wenn sie leider nicht mehr ganz so gebräuchlich ist …

Ja, aber eben auch die mittels Diminutiv verkleinerten „Märchen“. Und die deutschen Märchen sind ja im Grunde oftmals auch unheimlich. Disney hat sie ja leider in diesen Superkitsch umgewandelt. Ich liebe aber diese ursprünglichen deutschen Märchen, mit denen bin ich auch aufgewachsen. Meine Mutter hat sie mir noch aus einem Buch der Urgroßmutter vorgelesen, das hatte auch unglaublich tolle Bilder! Dieses Szenario hat mich extrem geprägt, die Ofenheizungswohnung in Berlin-Kreuzberg und diese Märchenbücher, das bildet den Grund meiner Persönlichkeit.

Ich hatte lange überlegt, der CD einen deutschen Titel zu geben. Als ich mich dann doch dafür entschied, dem Album einen englischen Titel zu geben, wollte ich nichts mit „fairy tale“ machen, denn ich finde, dieses Wort ist total abgenudelt und weckt gleich Assoziationen zu Tinkerbell und dem Disneyschloss, das wollte ich auf gar keinen Fall! Denn das Album ist zwar oft sehr träumerisch und leicht, hat aber auch eine dunkle Seite. Die ist auch da. Und die brauche ich auch.

Als ich dann nach dem Pendant zu „Märchen“ suchte, kam ich irgendwann auf dieses „Enchanting Land“ – das ist jetzt nicht verzaubert, nicht „enchanted“, sondern „enchanting“. Ein bisschen wie bei Amélie …

Die fabelhafte Welt der Mira Falk!

So ungefähr! Und die ist für mich auch immer da. So träume ich mich im Alltag auch oft weg, zurück in meine Kindheit. Also, meine „kleine“ Kindheit. Als ich dann in der Schule war, wurde alles anders! (lacht) Aber diese „kleine“ Kindheit in Kreuzberg … darüber erzähle ich ja auch in My Wondrous Little House.

Dieses Verzauberte wird auch noch einmal durch das Instrumentarium, das auch Mini-Piano und Glockenspiel umfasst, verstärkt – das sind ja alles fragilere Sounds, denen man Schönheit und Süße zuschreibt. Jenseits vom klanglichen finde ich es für mich auch spannend, diese Instrumente auf der Bühne zu bedienen. Da spiele ich auch Kalimba, auch als Daumenpiano bekannt. Früher wusste ich oft nicht, was ich auf der Bühne mit meinen Händen machen soll – als Instrumentalist hat man da immer was zu tun, während man als Sängerin nur das Mikro hat. Das gibt mir rein haptisch ein anderes Gefühl auf der Bühne; und auch diese leichten Veränderungen von Lied zu Lied – also, dass man erst da und da steht und das eine Extrainstrument spielt, sich dann aber dort und dort hin begibt – finde ich spannend. Ich beweg‘ mich halt gerne.

cover-high resolution

Wenn aber Enchanting Land so sehr um deine zauberhafte Welt, um deine Person kreist – welche Rolle kommt dann den Jungs vom Mira Falk Quartet zu?

Ja, ich fand es auch lange Zeit schwierig, ob ich das Album nur unter dem Namen Mira Falk laufen lassen soll. Jetzt läuft es unter Mira Falk Quartet; aber letztendlich sind die Texte von mir und müssen völlig „in tune“ mit mir sein. Ich komme dann in den Proben mit den Akkorden, der Melodie etc. an und das generelle Gerüst steht, aber ich brauche Jungs, also das ganze Quartett, die da auch viel von sich reinbringen, nicht nur an Improvisation, das ist im Jazz ja selbstverständlich, sondern auch beim Arrangement. Das ist mir dann auch sehr wichtig, sie zu haben und ihnen musikalisch völlig zu vertrauen.

Sind sie austauschbar im Sinne von: Hauptsache, irgendjemand kümmert sich um das Arrangement?

Also, ich hänge schon sehr an meinen Musikern, aber der Umzug von Amsterdam nach Berlin hat das jetzt leider ein bisschen erschwert. So doll bezahlt sind Jazz-Gigs jetzt ja nicht und extra Reisekosten kommen ja auch noch dazu, wenn nicht alle in einer Stadt leben, weshalb es sich dann doch mehr angeboten hat, mit Berlinern zu spielen, die auch total super sind und um die ich sehr dankbar bin, aber wenn du jetzt fragst, wie sehr ich an meinen Musikern hänge: eigentlich sehr. Ich habe mich schon mit einem sehr großen weinenden Auge von ihnen getrennt, denn ich bin eigentlich sehr loyal.

Wo wir gerade beim Stichwort Jungs sind: Auch dein Quartett setzt sich ausschließlich aus männlichen Musikern zusammen. Was glaubst du, warum nehmen Frauen im Jazz bis heute meist den Part der Sängerin ein und spielen als Musikerinnen eine prozentual vernachlässigbare Rolle?

Für mich persönlich ist erst einmal der Pianist sehr wichtig, das ist für mich der Grundstock einer Band. Bei mir an der Hochschule gab es auch viele Jazz-Pianistinnen, die kamen aber alle fast durchweg aus Korea. Und es war dann auch klar, dass die wieder zurückgehen. In der Klassik ist das ja sehr weit verbreitet, aber auch im Jazz, dass so ein Studium in Europa so eine Art Adelsschlag ist – aber dann geht man wieder zurück. Und ich wollte Leute, die zumindest in Europa sind – und jetzt merke ich, am liebsten sogar in der eigenen Stadt, weil es sonst logistisch einfach zu schwierig ist.

Generell Frauen im Jazz: Das ist eine gute Frage! Es gibt ja immer wieder Hornspielerinnen in Bigbands und auch mal Pianistinnen, aber es stimmt schon, in der Rhythmusgruppe gibt es fast nie welche! Ich weiß auch nicht genau, warum das so ist. Ich hätte auch überhaupt nichts dagegen, mit Frauen zu spielen, um das in die Richtung zu beantworten. Ich habe auch eine Zeitlang mit einer Pianistin gespielt, was dann leider persönlich nicht so gut geklappt hat, aber musikalisch fand ich das total toll!

Komischerweise habe ich aber auch die Erfahrung gemacht, dass – da ich oft zeige, dass ich etwas sensibler bin – Frauen im Jazz doch ein bisschen tougher sind oder meinen, es sein zu müssen. Zumindest vor den Jungs. Ich empfinde es in der Zusammenarbeit als schwierig, wenn dann in so einer Probensituation der halbe Macho rausgelassen wird – sogar mehr noch als bei den Jungs. Wobei ich jetzt auch nicht mit solchen Macho-Jungs spiele, das kann ich auch überhaupt nicht, das sind dann eher so die netten Typen von nebenan, die dann mit mir auch noch einmal ein bisschen sensibler sind. Wobei: Am Ende sind ja alle schüchtern und sensibel, das ist es ja klar!

Ich kann nachvollziehen, warum Frauen im Jazz so sind, wie ich gerade beschrieben habe, aber ich bin halt überhaupt nicht so und finde das in der Zusammenarbeit dann ein bisschen anstrengend. Ich habe es mit meiner Art auch nicht immer leicht, das weiß ich auch, aber die es dann mögen, die freuen sich dann auch wirklich darüber. Und ganz ehrlich, ich möchte auch nur noch mit solchen Leuten zu tun haben. Ich mach‘ mein Ding und ich hab‘ mein Zeug zusammen, aber ich bin jetzt nicht so eine Ellenbogenperson – will ich auch nicht sein!

Zwischen Sängerinnen herrscht aber leider oft so ein Grundtenor der „Stutenbissigkeit“, einer anderen etwas nicht zu gönnen, bedingt auch durch Unsicherheit. Und das finde ich immer total schade, weil ich generell immer toll finde, wenn Frauen etwas machen. Das ist immer so ein blöder Satz, dass eine Frau sich „verwirklicht“, aber ich finde das echt wirklich toll! Und auch, wenn ich jetzt nicht so eine Toughe, Harte bin, kann ich mich verwirklichen; ich mach‘ trotzdem mein Ding und ich weiß genau, was ich will. Vielleicht brauche ich dann auch mal länger – aber das ist ja auch alles in Relation zu sehen, denn was heißt schon länger, was heißt kürzer? Letztendlich mach‘ ich’s jetzt, Punkt.

Und das ist vielleicht etwas, was ich mir gerade von Kolleginnen manchmal mehr wünschen würde: gönnen können, sich mitfreuen, sich inspirieren lassen. Dass man den positiven Aspekt dahinter sieht und nicht nur die Konkurrenz. Dass man sieht, Mann, die macht das so und so, das ist ja total cool, das probiere ich doch auch mal! Auf der anderen Seite wünsche ich mir, dass man mehr ein offenes Ohr hat, wenn jemand an einen herantritt – was mir immer mehr passiert und wo ich mich dann geehrt fühle. Wenn da eine Sängerin kommt, teilweise jünger, teilweise auch älter, und sagt, hey toll, wie hast du das denn gemacht?, da gibt es gar keine Frage, da erzähle ich gern, wie ich das gemacht habe. Und sage dann auch, dass ich nicht weiß, ob es richtig ist, aber ich habe es so gemacht, bei mir funktioniert es gut – vielleicht funktioniert es bei ihr auch. Dann hat man nämlich etwas, was ich auch schön finde: dieses Stärken von allen miteinander.

Denn letztendlich ist man ja nicht nur Musikerin – also, man ist natürlich Musikerin, aber dass diese ganze Musikwelt untereinander funktioniert, da hängen Journalisten drin, da hängen Promoter drin, da hängen Designer drin. Es sollte darum gehen, und das habe ich bei meiner CD auch probiert, dass man eine ganze Generation stärkt, denn letztendlich haben wir es im Kultursektor alle nicht einfach, das ist nun mal so. Man hat ja schon gegen die Tante so-und-so zu kämpfen, die immer noch nicht versteht, was genau man da jetzt macht, oder gegen irgendwelche alten Schulkameraden oder das Amt. Ich meine, man hat doch schon genug Stellen, denen gegenüber man sich rechtfertigen muss, dass man jetzt so einen komischen Job ergriffen hat – das ist jetzt so ein idealistischer Gedanke, aber da muss man es sich doch nicht auch noch gegenseitig schwer machen! Man muss ja auch jeden Morgen, an dem man aufwacht, schon ein stückweit mit sich selber kämpfen. Es ist ja auch alles gar nicht so einfach, und man braucht viel Kraft und muss viel an sich arbeiten, dass man das auch über einen längeren Zeitraum durchhält. Auch wenn ich mir vorerst gar kein anderes Leben vorstellen kann, freue ich mich, auch mal von einer Kollegin oder auch einem Kollegen natürlich ein nettes Kompliment zu hören. Die muss ja auch gar nicht alles hundert Prozent geschmacklich toll finden, aber einfach das Ding an sich respektieren.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Enchanting Land ist am 4. Oktober 2013 auf recordJet erschienen. Klangverführer verlost unter all denen, die eine Mail an kontakt@klangverfuehrer.de schreiben, ein von Mira Falk signiertes Exemplar. Viel Glück!

6. November 2013

Die Liebe, die mir entgegengebracht wird, haut mich um! Nils Wogram im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 07:47

Am Sonntag erhielt der Ausnahme-Posaunist Nils Wogram in Berlin die höchste deutsche Auszeichnung im Jazz, den Albert-Mangelsdorff-Preis. Seitdem versinkt er in Glückwünschen, Lobeshymnen – und vermutlich auch Interviewanfragen. Umso mehr freut es mich, dass er sich die Zeit genommen hat, dem Klangverführer Rede und Antwort zu stehen!

Wogram spricht im Klangverführer-Interview über die Erwartungshaltung, die seit der Preisverleihung an ihn herangetragen wird, erklärt, weshalb er sein aktuelles Album Riomar, das mit einem Streichertrio aufwartet, nicht, wie die Kritik es gern möchte, irgendwo zwischen Neuer Musik und Avantgarde angesiedelt sieht und gibt stattdessen als Einflüsse unter anderem zwei Miles-Davis-Platten sowie Musik von Serge Ginsberg an, hätte aber auch nichts dagegen, es als zeitgenössische Fortsetzung von Charlie Parker with Strings zu betrachten. Nicht zuletzt verrät der frischgebackene Preisträger, weshalb er trotz seines eigenen Labels nWog Records ein Angebot von ECM nicht ausschlagen würde – und was es mit der Katze auf dem Riomar-Cover auf sich hat.

Nils_Wogram_Root70_Strings_01_2013_c_Laurence_Voumard

Klangverführer: Herzlichen Glückwunsch, du hast am 3. November den nach Albert Mangelsdorff benannten Deutschen Jazzpreis und damit die renommierteste Anerkennung, die es im deutschen Jazz gibt, entgegengenommen. Damit schreibst du als jüngster Mangelsdorff-Preisträger aller Zeiten Geschichte. Wie fühlst du dich im Kreise der ansonsten um die siebzigjährigen Preisträger?

Nils Wogram: Es gibt Preise, die wirklich aussagekräftig sind und sich auf eine künstlerische Leistung beziehen. Der Albert-Mangelsdorff-Preis gehört dazu. Deshalb fühle ich mich sehr geehrt. Die Jury ist kompetent und spartenübergreifend besetzt. Wenn die sich einstimmig auf mich einigen können, sagt das viel aus.

Mein Ziel ist es seit jeher, zeitlose Musik zu schaffen. Dass ich jetzt in einer Reihe stehe mit Musikern, die dieses erreicht haben, ist eine tolle Auszeichnung und bestätigt mich in meinem Schaffen.

All der Lob, Respekt und die Liebe, die mir entgegengebracht wird, haut mich um. Man kommt sich fast vor wie ein Heiliger. Dieser Erwartung stand zu halten ist nicht leicht. Ich versuche, mich weitestgehend davon zu befreien und mich nicht unter Druck zu setzen.

Der Mangelsdorff-Preis macht dich zum wichtigsten deutschen Jazzmusiker dieses Jahres und wird auch viel Aufmerksamkeit auf dein Anfang Oktober veröffentlichtes Album Riomar lenken. Ich bin allerdings schon bei der diesjährigen Jazzahead! in Bremen darauf aufmerksam geworden – einfach aufgrund des ungewöhnlichen Covers, und das sage ich jetzt als bekennender Nicht-Katzenfan. Wie um alles in der Welt hat es ein Katzenbild auf das Cover eines Wogram-Albums geschafft? ?

Ja, es gab sogar eine DPA Meldung zum Preis mit dem Album und ich glaube, es ist eine meiner besten CDs. Von daher ist das gutes Timing und viel Glück dabei.

Zum Cover: Wenn man genau hinschaut, spielt die Katze mit ihren Barthaaren, wie ein Pizzicato bei einem Streichinstrument. Das Ziel dieses Albums war es, romantische, emotionale und verspielte Musik aufzunehmen. Es gibt gewisse Anspielungen an Charlie Parker with Strings. Auf dem Cover sind Vögel (= Charlie „Bird“ Parker). Ein Tiermotiv zu nehmen, was viel mit Jazzmusikern zu tun hat (= „the cats“), lag also nahe. Es hat aber nichts mit dem Charakter dieses Tieres zu tun. Wenn man den auf freiheitliebend und individualistisch beschränken kann, ist es aber gar nicht so schlecht getroffen.

Kommen wir von der Hülle zum Inhalt, der zunächst überrascht, wenn man sich deine beiden letzten Veröffentlichungen mit Root 70 vergegenwärtigt: Da hatten wir einen Ausflug in Mikro-Tonalitäten (On 52nd and 1/4 Street, 2008) und ein Blues-Album (Listen To Your Woman, 2010) – und jetzt finden wir uns irgendwo zwischen Groove-betontem Avantgarde-Jazz und Neuer Musik wieder, gekrönt von einem Streich-Trio …

Ich bin nicht der Meinung, dass dieses Album zwischen Groove-betontem Aventgarde-Jazz und Neuer Musik anzusiedeln ist. Einflüsse sind eher: Birth of the Cool, Sketches of Spain, Mendelsohn, Alban Berg, Barock und Filmmusik, zum Beispiel die von Serge Ginsberg. Es ist eine sehr harmonische, konsonante Musik mit Formen, funktionsmäßigen Akkordverbindungen und größtenteils gesanglichen Melodien mit Anspielungen auf diverse Musiktraditionen. Mit Neuer Musik und Avantgarde hat das gar nichts zu tun. Die Intro zu Vacation without Internet entspringt der zweiten Wiener Schule (Webern etc.) die auch schon hundert Jahre alt ist.

Im Gegensatz zu sogenannten Crossover-Projekten sind die Streicherparts bei Riomar aber nicht nur eine Art drüber gekippter Zuckerguss, vielmehr scheinen sie schon ein integraler kompositorischer Bestandteil zu sein. Ist es das, worum es dir geht, wenn du sagst, dass sich die Streicher auf Riomar „ein Stück weiter auf die Jazz-Seite [begeben], als das in einem solchen Projekt normal wäre“?

Mir kam es darauf an, einen Bandsound zu gestalten. Also keine Gegenüberstellung von klassischen und Jazzmusikern, sondern ein gemeinsames Ding. Die Streicher haben Stellen, an denen sie so fungieren wie in klassischer Musik, aber größtenteils spielen sie in time mit der Rhythm Section. Also keine Agogik, sondern metrische Musik. Die musikalische Sprache kommt größtenteils aus dem Jazz. Die Root 70 Band versucht nicht Stockhausen oder andere E-Musikkomponisten zu imitieren. Insofern gehen die Streicher mehr auf den Jazz zu als wir auf die Klassik. Obwohl es, siehe obige Beispiele, auch Anklänge an diese gibt.

Dem Fachmagazin für Blasmusik Clarino hast du 2011 auf die Frage „Wann war das letzte Mal, dass Sie wünschten, in einer anderen Zeit/Epoche geboren worden zu sein?“ geantwortet: „Immer wenn ich Charlie Parker with Strings höre.“ Hast du dir mit Riomar jetzt deine persönliche Zeitreisemaschine geschaffen?

Es ist natürlich gefährlich, sich stark auf die Vergangenheit und auf ein bestimmtes Album zu beziehen. Man wird bestenfalls eine relativ gute Kopie der Zeit und eines Albums erreichen ‒ und selbst das ist äußerst fragwürdig.

Bei fast allen meiner Alben gibt es einen historischen Bezug und einen starken Einfluss aus der Jazztradition. Ich bin es gewohnt, bekanntes Material zu verwenden und dabei meine eigene Sprache mit einfließen zu lassen. Es ist also eher so, dass man sich erinnert fühlt, aber dann eben genau doch nicht, da viele Elemente komplett anders sind. Andere Melodieführungen, andere Formen und Akkorde.

Wenn man Riomar als eine Art zeitgenössische Variante bzw. eine Weiterführung von Charlie Parker mit Strings sieht, würde mich das freuen. Romantik, Tradition, Stimmungen und Spielfreude stehen im Vordergrund dieses Albums.

nils_wogram_c_Corinne_Haechler

Die Platte entführt den Hörer auf eine – internetfreie – Reise, ausgehend von Lissabon über das bluesgetränkte Riomar nach Kalifornien, macht einen Zwischenstopp bei Duke Ellington vorbeigehört, um dann eindruckserfüllt wieder zu Hause anzukommen. Welche Eindrücke, persönlich wie künstlerisch, verbindest du mit den einzelnen Stationen dieser Reise, die Jazzthetik als „ein großes Wunder“ bezeichnet?

Das Album als Reise zu begreifen, finde ich eine schöne Anspielung. Jedenfalls ging es mir darum, einen Bogen zu spannen, der abwechslungsreich und trotzdem thematisch ist. Orte spielen auf diesem Album eine große Rolle, weil ich damit tiefe und starke Stimmungen verbinde. Und darum geht es hier: den Hörer auf eine emotionale Reise mitzunehmen, auf der man viel entdecken, aber sich auch einfach treiben lassen kann.

Zu den einzelnen Stationen: Riomar liegt im Ebro-Delte in Katalonien. Ich war dort mehrmals im Urlaub. Es ist eine eindrucksvolle Landschaft mit Reisfeldern, Meer … Der große Fluss Ebro, die schwüle und langsame Stimmung ‒ alles passiert hier in Zeitlupe und ist irgendwie zeitlos, verlassen (im guten Sinne).

Lissabon ist eine große Stadt, die ebenso eine Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt. Immer, wenn ich dort bin, fühle ich die Tradition und Romantik dieses Ortes. Das habe ich versucht im Stück zu transportieren.

Das Stück Vacation without internet basiert auf einer Anzeige, die ich in einer Zeitung gesehen habe. Ich fand es erstaunlich und symptomatisch, dass man jetzt schon Geld mit internetfreien Ferien verdienen kann, in denen die Teilnehmer zu ihrem Glück gezwungen werden müssen. Die Frage ist: Wieso lassen sich die Menschen durch das Internet so stressen? Und: Wie muss ein Stück klingen, dass sich die Befreiung von diesen Zwängen zum Thema macht? Meiner Meinung nach fröhlich, locker und beschwingt.

Duke Ellington ist eine wichtige Person für fast alle Jazzmusiker, weil er Tradition und Moderne wie fast kein andere verbinden konnte. Außerdem ist er für mich ein Vorbild, was seine Haltung zu Gesellschaft, Menschen und Kunst angeht. Das ihm gewidmete Stück ist jedoch nicht durch seine Musik, sondern durch einen Ausspruch inspiriert in dem er erklärt, dass man sich durch mentale Isolation an jedem erdenklichen Ort zu einem neuen Stück inspirieren kann.

Riomar wurde auf nWog Records veröffentlicht, deiner eigenen Plattenfirma. Was hat dich vor drei Jahren zu dem Schritt der Labelgründung bewogen? Immerhin hattest du davor auf renommierten Labels wie beispielsweise Enja, Intuition oder Act veröffentlichen können, wofür andere Jazzmusiker töten würden … Und was hat sich mit dem eigenen Label geändert, aus künstlerischer Perspektive?

Zu ACT hatte ich nur als Mitspieler eine Beziehung, aber nie einen Plattenvertrag. Enja und Intuition waren für mich wichtige Stationen. Beide Labels haben mir sehr geholfen bei meiner musikalischen Laufbahn. Jedoch entließ Intuition, bei denen ich damals einen Optionsvertrag für weitere Alben hatte, seinen Labelmanager und speckte sein Programm radikal ab. Als ich nachfragte, wie es um meinen Vertrag stände, bekam ich zu hören: „Wir mögen deine Musik sehr und möchten weiter mit dir arbeiten, können dir jedoch nicht die bisherigen Konditionen erhalten“. Diese Konditionen waren damals schon schlecht, und es war für mich schwierig, die Produktionskosten wieder herein zu holen. Also machte ich aus der Not eine Tugend und fragte den damals entlassenen Labelmanager Andreas Schaffer, ob er für mich ein eigenes Label managen würde. Schließlich sagte er zu und wir gingen in die Planung.

Für mich hat sich dieser Schritt sehr gelohnt. Zum ersten Mal verdiene ich nun ‒ wenn auch nicht viel ‒ Geld mit meinen Alben und kann eine künstlerische Stringenz verfolgen. Ich kann den Zeitplan für eine Veröffentlichung genau planen und mit Konzerten koordinieren. Ich kann Alben aufnehmen, die mir in der Zeit künstlerisch wichtig erscheinen und zu denen ich inspiriert bin. Ich kann auf langfristige Entwicklungen meiner Bands setzten und muss keine kommerziellen Kompromisse eingehen. Ich muss mich mit niemandem absprechen beziehungsweise mich vor niemandem rechtfertigen, was ich für eine Musik aufnehme. Das ist eine große Freiheit, die ich sehr zu schätzen weiß. Dafür nehme ich gerne auch etwas mehr Arbeit in Kauf.

Ideen, die mit der Veröffentlichung zu tun haben und deren Bekanntmachung dienen, aber auf den ersten Blick nicht immer hundertprozentig nachvollziehbar sind, kann ich nun einfach auf eigenes Risiko umsetzen. Es gibt also auch hier keine Bremse, was irgendwelche Investitionsvorhaben angeht. Dadurch erfahren viel mehr Leute von meinen Alben und generell meinem musikalischem Schaffen.

Ich möchte aber auch sagen, dass ich die Zusammenarbeit mit einem renommierten Label nicht grundsätzlich ausschließe. Wenn jemand mir Bedingungen bietet, die besser sind als das, was ich mit nWog records geschaffen habe, würde ich ein Angebot annehmen. Ich weiß aber, dass das sehr schwer ist zu toppen, denn das, was wir bereits haben, ist eine gut koordinierte internationale Pressearbeit, absolute künstlerische Freiheit, Zusammenarbeit mit Top Leuten im Studio und Grafikbereich. Da kann man sich eigentlich nur mit einem besseren internationalen Vertriebsweg, Renommee und guten Verbindungen verbessern. Da fällt mir spontan nur ECM ein.

Neben nWog Records und der Band Root 70 leitest du auch noch die Ensembles Nostalgia und das Nils Wogram Quartett bzw. Septett (und ich meine, sogar von einem Sextett und einem Oktett gelesen zu haben …), spielst im Simon-Nabatov- Duo, im Conny-Bauer-Duo, im Türköz-Wogram-Duo sowie mit der NDR Big Band – und da ist ja noch das Studioprojekt „Lush“ und die Lehrverpflichtung an der Musikhochschule in Luzern … Gibt es für Nils Wogram auch noch ein Leben neben der Musik?

Absolut! Wenn Musiker so wie ich all ihre Projekte auflisten würden, kämen sie oft auf eine weit höhere Anzahl. Der Unterscheid ist nur, dass ich auf langfristige Entwicklung und Kontinuität setzte. Das heißt, auch eine Band, die manchmal nur zwei bis drei Auftritte im Jahr hat, ist nicht weg von der Bildfläche, sondern kann jederzeit wieder mehr in den Fokus rücken. Im Moment gibt es auch einige Veränderungen ‒ zum Beispiel arbeiten Simon Nabatov und ich nicht mehr zusammen.

Ich versuche soviel wie möglich Rücksicht auf mein Privatleben zu nehmen, denn ich habe eine Familie mit einer Frau und drei Kindern. In der Regel bin ich vier Monate im Jahr unterwegs. Das bedeutet aber auch gleichzeitig, dass ich acht Monate im Jahr zu Hause bin und wahrscheinlich viel mehr Zeit mit meiner Familie verbringe, als manche Personen, die einen „9 to 5 Job“ haben. Ich spiele auch gerne Fußball und halte mich viel wie möglich in der Natur auf.

Dann hoffe ich, dass du auch jetzt noch ausreichend Zeit dafür findest. Ganz herzlichen Dank für das Interview!

cover_N.W.Root70_strings_Riomar_klein
Riomar ist am 11. Oktober 2013 auf nWog Records erschienen

9. Oktober 2013

Wenn ein Song für dich eine Bedeutung hat, dann ist das seine Bedeutung. Julia A. Noack im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 07:22

Julia A. Noack, die sich mit ihrem neuen Album The Feast vom verträumten Folk-Image befreit und einen gewaltigen, nicht zuletzt illute-Produzent Alexander Nefzger zu verdankenden Schritt Richtung Indie-Pop wagt, bereitet gerade eine kleine Tour vor. Los geht’s am 10. Oktober in ihrer Wahlheimat Berlin, wo sie in der Reihe melodie & rhythmus live im Maschinenhaus spielt, gefolgt von Haldern (31.10., Haldern Pop Bar), Witten (01.11, Werkstatt), Köln (03.11, Lichtung), Aachen (04.11., Domkeller), Salzburg (15.11., Denkmal) und Wien (16.11., Blue Bird Festival) – und das, obwohl sie erst am 11. September im Berliner Privatclub die große Record Release Sause geschmissen hat und seitdem in Hamburg und Magdeburg Station machte. Ganz schön viel los bei der Sängerin/Songwriterin! Umso schöner, dass sie ein bisschen Zeit auf einen Tee gefunden hat, wo sie nicht nur von der inspirierenden Plattensammlung ihres Vaters erzählt, sondern auch darüber redet, weshalb ihre Musik jetzt urbaner klingt als früher und welche Auswirkungen Ortswechsel im allgemeinen haben, was Geräteturnen mit Plattenmachen zu tun hat – und natürlich auch über ihre surreale Begegnung mit Bob Dylan.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Klangverführer: Als wir uns zum Interview verabredet haben, standest du ganz schön unter Terminstress. Sind das noch die Nachwehen deines Albumreleases vom 13. September? Was steht bei dir gerade alles auf dem Programm?

Julia A. Noack: Ein Album herauszubringen, ist natürlich auch mit viel Stress … was heißt hier Stress: mit viel Arbeit verbunden. Ich neige auch einfach dazu, leicht gestresst zu sein, oder auch leicht hektisch zu werden. Ein Album herauszubringen, bedeutet auch, viele Termine zu koordinieren. Ich hab’ zwar schon auch eine ganze Reihe Leute, die mit mir zusammenarbeiten und zum Glück einige Sachen für mich machen, aber Vieles mache ich eben trotzdem auch noch selbst, wie zum Beispiel das Booking. Ich habe jetzt also nicht den kompletten Apparat um mich herum, der alles für mich erledigt. Leider! Ich würde gern einfach nur irgendwo hingehen und spielen. Aktuell kümmere ich mich um einen Ersatz an den Tasten, weil meine Keyboarderin für ein paar Konzerte nicht kann. Dann habe ich jetzt im Oktober noch ein Konzert, das ich vorbereite, ich bereite die November-Tour vor und gerade treffe ich mich zu einem Interviewtermin … (lacht)

Von diesem ganzen Stress merkt man dem Album selbst allerdings nichts an, das kommt total tiefenentspannt rüber. Ist da mit Summer Something nicht sogar ein relaxter Bossa drauf?

Vom Beat her? Das ist eines der wenigen Stücke, wo wirklich ein Beat programmiert ist, wo aber der Schlagzeuger trotzdem auch noch drüber spielt. Es gibt zwar einige Programmings auf der Platte, aber bei „Summer, Something“ steht der elektronische, programmierte Beat schon sehr im Vordergrund. Es ist aber schön, wenn das so entspannt wirkt!

Apropos Beat – ich finde, dass auf The Feast Beats oder Rhythmen ohnehin eine viel größere Rolle zu spielen scheinen, als ihnen gemeinhin im Singer/Songwriter oder sogar auch im Indiepop zugestanden wird.

Echt? Mehr, als man es auch Indiepop zugesteht? Aber es stimmt schon, Beats oder auch Rhythmen sind für mich schon wichtig, und sie sind auch bei dieser Platte wichtig. Und ich glaube, der Fokus lag tatsächlich auch auf der Stimme und dem Rhythmus. Obwohl ich selber sehr melodieaffin bin, liebe ich es, mit Band im Rücken zu spielen, mit Schlagzeug im Rücken. Und auch Songs zu machen mit Beats.

Du kommst aber ursprünglich von der Akustikgitarre, oder?

Ich komme ursprünglich von der Akustikgitarre, ja. Ich spiel’ ja auch viel Akustikgitarre – und ich spiel’ ja auch die E-Gitarre so, wie ich die Akustikgitarre spiele.

Schreibst du auch auf der Akustikgitarre?

Ja und nein. Das war diesmal ein bisschen anders. Ich habe die Stücke sonst immer wirklich mit der Akustikgitarre geschrieben, aber diesmal hatte ich teilweise nur mit der Stimme angefangen, einfach ein paar Loops gemacht, oder ich hab’ etwas auf der E-Gitarre geschrieben, oder ich hab’ einfach nur so ein Riff eingespielt und hab’ dann dazu was gebastelt, was einfach eine andere Herangehensweise war als sonst. Ich habe nicht mehr mit der Gitarre dagesessen und von vorn bis hinten ein Stück geschrieben, sondern mehr collagenartig gearbeitet. Und mehr mit Aufnahmetechnik – zwar mit einfacher, nämlich einem kleinen Hand-Vier-Spur-Rekorder –, die dafür sorgt, dass man ganz anders arbeitet, als wenn man nur mit der Gitarre dasitzen würde. Das war der wesentliche Unterschied zum Songwriting bei den Vorgängeralben. Und was beim Songwriting auch noch anders war, ist, dass sich die Stücke zum Teil auch erst im Produktionsprozess entwickelt haben – ich hatte zum ersten Mal einen Produzenten dabei! Das war dann eben so, dass ich diese Stücke fast fertig hatte oder eben auch noch gar nicht fertig, sondern eher so angedacht hatte, und dass wir die dann zusammen weiterentwickelt haben.

Wie ist es überhaupt zu der Zusammenarbeit mit dem Produzenten Alexander Nefzger gekommen?

Eigentlich habe ich zunächst nur jemanden gesucht, der programmieren kann. Und dann hab’ ich mir so ein paar Sachen angehört – darunter auch etwas von illute, die ja jetzt bei mir live auch manchmal Keyboard spielt, was ich ganz, ganz toll finde, und bei einem der Songs dachte ich dann, der ist ja klasse, wer hat denn da überhaupt mitgespielt, wer sind denn diese Musiker? Das hab’ ich dann zwar nicht so richtig rausgefunden, aber ich habe rausgefunden, dass sie die Platte mit dem Nefzger gemacht hat, woraufhin ich ihn gegoogelt und ausgecheckt habe und dachte, ach guck mal, das wär’ doch vielleicht auch etwas für mich, mal mit einem Produzenten zusammenzuarbeiten. Ich hab’ ihn dann angeschrieben und er hatte auch Interesse – ja, und dann haben wir uns getroffen und so ist das eben gekommen.

illute spielt bei dir ja nicht nur Keys, sie hat auch das Artwork deiner CD gemacht, richtig?

Genau, das hat sich so ergeben. Ich habe irgendwann mal etwas bei ihr aufgenommen, und wir haben uns gefragt, ob wir nicht mal was zusammen machen wollen, so nach dem Motto: Willst du nicht mal bei mir zweite Stimme singen? Und genau das hatte ich sie dann auch gefragt, und dann fiel mir ein, dass ich ja eigentlich auch jemanden für Keyboard suche – warum frag’ ich sie also nicht auch! Und mit dem Artwork ist das eigentlich genauso gekommen. Ich habe mich umgeguckt, wen ich fragen könnte, denn ich hatte schon eine Idee im Kopf und habe jemanden gesucht, der sie umsetzt. Ich habe dann verschiedene Grafikdesignerinnen angeschrieben, bevor mir eingefallen ist, dass illute ja auch Illustratorin ist. Und warum auch nicht unter sich das Netz spinnen? Ich mag das gerne, wenn man so untereinander arbeiten kann.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Bei der Recherche zu diesem Interview habe ich festgestellt, dass es eigentlich kaum einen Artikel über dich gibt, der nicht auch deine 2003-er Begegnung mit Dylan zumindest erwähnt – und auch die Pressemitteilung zu The Feast reitet darauf herum. Hängt dir das jetzt sehr nach? Kannst du das überhaupt noch hören, wenn man dich darauf anspricht? Ist das jetzt mehr Fluch als Segen?

Nee, das ist ja jetzt ganz neu. Also, ich hab’ das jetzt in diesem Pressetext der Welt zum ersten Mal erzählt. Es war schon ein sehr intensives und sehr beeindruckendes Erlebnis, und meine Freunde haben mir immer schon gesagt, Mensch, da musst du doch was mit machen! Ich wollte das bis jetzt aber nicht, weil mir das eigentlich zu persönlich war. Was heißt „zu persönlich“ – ich wollte das einfach nicht vermarkten. Aber das ist jetzt eben auch schon ein Weilchen her, sodass ich gedacht habe, ach, mein Gott, warum nicht, und der Journalist, der meinen Pressetext geschrieben hat, fand die Story so spannend, dass er überzeugt war, dass sie bestimmt schon noch ein paar Leute interessiert. Natürlich spricht mich dann jeder darauf an, aber damit muss ich ja rechnen, wenn ich das in den Pressetext nehme, das ist schon okay.

Na, dann kann ich die Frage jetzt ja guten Gewissens stellen: Wie war das damals mit Dylan?

Sehr beeindruckend! Sehr surreal, auch. Ich wusste, in welchem Hotel die sind und bin dann hin und hab’ ihn einfach angesprochen. Ja, und dann haben wir zusammen Musik gemacht, das war tatsächlich so, wie es im Pressetext steht! Das war schon sehr surreal. Aber auch schon sehr … also, nicht nur einfach so toll, sondern auch vom Prinzip her toll. Einfach, dass man weiß, wow, so etwas ist auch möglich! Es muss nicht immer nur über Presseausweis, Backstagepass, Management oder so laufen. Mir ging es auch darum, dass ich das so schaffen wollte und auch geschafft hab’, das war irgendwie cool.

Wenn man dein neues Album in den CD-Player legt, überrascht gleich der Opener Want/Be mit extrem rockigen Tönen – wolltest du dich damit auch ein stückweit von deinem bisherigen Image als Folklady emanzipieren?

Ja, genau. Mit dem ganzen Album, eigentlich. Das erste Stück ist natürlich auch extrem und passt deshalb auch ganz gut an den Anfang. Der Rest des Albums ist ja dann nicht mehr so extrem wie das erste Stück, mittendrin wäre das eher rausgefallen. Vielleicht ging es auch darum, ein Statement zu setzen, zu sagen, so, jetzt geht es hier mal ein bisschen anders los.

Ich gebe zu, es ist das Stück, was mir persönlich am wenigsten gefällt …

Oh, meinem Vater auch! Dir und meinem Vater gefällt das erste nicht so gut! (lacht)

Dafür gefallen mir besonders die drei letzten Stücke: Ich mag den Titeltrack mit diesem Bläsersatz sehr gern, ich mag Matter of Me, weil es trotz der Rührtrommeln am Anfang so unglaublich zärtlich daherkommt, und ich mag The Inconceivable mit diesem düsteren, David-Lynch-artigem Rummelplatzambiente … Oh, und What’d She Say find’ ich auch super! Da frag’ ich mich natürlich, hast du auch den einen oder anderen heimlichen Favoriten?

Ja, den hat man, glaube ich, eigentlich immer! Wobei meine Lieblingssongs dann eher damit zusammenhängen … da geht es ja nicht ums Hören, sondern ums Spielen. Man hört ja seine eigene Musik eigentlich nicht, oder? Darum ist das dann so schwer zu sagen. Also, The Feast mag ich schon auch sehr gerne. Ach, ich mag sie natürlich alle, ist ja klar. Wobei, zum Beispiel Name For This höre ich fast lieber als ich es spiele. Ich musste das oft mit der Gitarre als Hauptinstrument spielen, weil ich keine Tasten hatte. Jetzt, wo ich wieder Tasten hab’, spiele ich es wesentlich lieber. Aber ganz ehrlich gesagt, es fällt mir schwer, bestimmte Lieder herauszuheben. Jedes hat so seine eigene, auch für mich persönlich seine eigene Geschichte, seine eigene Stimmung. Vielleicht ist das darum stimmungsabhängig, welches mir gerade am besten gefällt.

Ja, das geht mir auch so. Aktuell gefällt mir Everything is Sexuality sehr gut – ich kann mir vorstellen, zu diesem Song eine der langen Berliner Straßen entlang auf den Fernsehturm zuzuradeln, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich verstehe, wie du den Text meinst …

Das macht ja nichts. Hauptsache du hast etwas, was es für dich bedeutet.

Es stimmt also, dass du deine Lieder nicht erklären magst?

Ja, das stimmt. Aber was ich mit so einem Song meine, das ist wie in der Literaturtheorie, wo der Text ja auch irgendwann losgelöst vom Autor erscheint. Und wenn du ein Stück hörst oder dir den Text durchliest und für dich hat das eine Bedeutung – dann ist das die Bedeutung! Auch wenn ich dabei vielleicht etwas anderes gedacht und empfunden habe.

Dann musst du als Schöpfer des Textes aber auch damit leben, unter Umständen fehlinterpretiert zu werden.

Nein, ich muss nicht damit leben, denn ich empfinde das nicht als ein Müssen. Ich finde das völlig okay! Ich finde das spannend. Weißt du, wenn ich Stücke schreiben würde, die eine politische Botschaft hätten, dann wär’ das etwas anderes. Wenn ich jetzt ein Stück schreiben würde zum Thema … keine Ahnung …

„Rettet den Regenwald“?

(lacht) „Rettet den Regenwald“, genau, und dann interpretiert einer da rein …

… „Holzt den Regenwald ab“?

Ja, oder „Schwule bitte ins Gefängnis“, dann hätte ich ein richtiges Problem damit. Aber solche Aussagen habe ich ja in meinen Liedern nicht. Und deshalb finde ich es auch spannend und völlig gut, wenn jemand etwas damit anfangen und es irgendwie auf sich beziehen kann. Für mich heißt es ja etwas Bestimmtes – und für jemanden anderen kann es gerne etwas Anderes heißen.

Das hört man sehr selten – die meisten Künstler wollen ja vor allem verstanden werden!

Ja, das will ich tatsächlich irgendwie auch. Aber das heißt nicht … Meine Songs sind eigentlich immer sehr persönlich. Nicht immer autobiographisch, aber sehr persönlich. Und die kann man dann auch gar nicht immer verstehen. Solche Fetzen aus Gedanken und Assoziationen kann ein Außenstehender nicht verstehen. Manchmal ist es wie eine Fata Morgana, da spiegeln sich Sachen, die zum Teil von woanders herkommen oder die der Betrachter da selbst noch hineinlegt … Ich könnte das natürlich alles Zeile für Zeile erklären, aber das würde ich niemals machen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Wir sprachen gerade von Resonanz, davon, wie Leute etwas auffassen – da gehört natürlich auch der Bereich der Musikkritik dazu. Die Kollegen von Kulturnews haben dir ja diesen „hauchzarten deutschen Akzent bescheinigt. Dazu zwei Fragen: Wie gehst du mit so etwas um? Und warum hast du dich eigentlich dafür entschieden, auf Englisch zu schreiben und zu singen?

Wenn man im Vergleich zu Kulturnews den Blog Gästeliste liest, steht da das genaue Gegenteil, da wird explizit gesagt, ich sei eine der wenigen in Deutschland, die mit englischer Sprache vernünftig umgehen können und eben nicht dieses Deutsche haben. Aber ob ich jetzt tatsächlich einen „hauchzarten deutschen Akzent“ habe – ja, mein Gott, weiß ich nicht! Vielleicht. Das hat mich jetzt aber nicht so getroffen, ehrlich gesagt. Es gab auch eine Rezension, die war halbwegs okay, aber dann kam der Satz: „Was gewaltig stört, ist Noacks schräger Gesang“. Ich dachte gut, dann soll es halt stören. Ich finde jetzt nicht, dass der Gesang „schräg“ ist – aber es kann halt nicht allen gefallen.

Und warum ich englisch singe? Es ist einfach so, dass ich von englisch-sprachiger Musik inspiriert worden bin. Als ich angefangen habe … man fängt ja im Grunde damit an, zu imitieren. Und als ich angefangen habe, Gitarre zu spielen und zu singen, habe ich im Grunde das imitiert, was ich gehört habe, da war ich vielleicht so elf, zwölf oder dreizehn. Und das waren dann eben Bob Dylan, Neil Young, Cat Stevens und so.

Das ist ja nicht gerade das, was während deiner Kindheit im Radio lief. War das ganz klassisch die Plattensammlung deines Vaters?

Jaja, ganz klassisch! Von ihm hab ich diese ganzen Folk- und Folkrock-Sachen, aber auch Janis Joplin. Jimi Hendrix hatte er auch, hab ich aber nie gehört.

Lustig, dass du das sagst, weil mich die Retro-Gitarren in Want/Be schon sehr an seinen Sound erinnern!

Ah ja? Okay, kann sein. Zur Plattensammlung meines Vaters gehörte außerdem auch Black Sabbath. AC/DC hatte er auch, aber ich habe vor allem von Black Sabbath eine Platte sehr oft gehört Ich habe einfach mit englischsprachiger Musik angefangen, ich habe die Songs nachgespielt, die ich gehört habe. Klar, ich hab‘ auch BAP gehört – aber mehr eben noch das Englisch-sprachige. Außerdem war ich dann noch für eine Weile in den USA, wo ich meinen ersten Song geschrieben habe. Das heißt, ich war einfach in so einem englisch-sprachigen Kontext drin.

Hast du jenseits von der Musik, die dich sozialisiert hat, auch das gehört, was damals gerade so im Radio lief?

Gute Frage! Als Jugendliche habe ich zwar auch zeitgenössische Musik gehört, aber eigentlich kaum Radio. Viel lieber habe ich dem alten Woodstock-Kram gelauscht, aber Herbert Grönemeyer und BAP waren schon auch ein Teil meiner musikalischen Sozialisation. Auch die Neue Deutsche Welle, wobei ich mir die Platten nicht gekauft habe.

Und wen hörst du im Moment gerne?

Florence and the Machine, Laura Veirs – die ist eine große Inspirationsquelle für mich! – oder Klassiker wie Aimee Mann oder Van Morrison. Die machen mich immer sehr ausgeglichen. Leider höre ich immer weniger Musik.
Wenn ich von „Inspirationsquelle“ spreche, meine ich das übrigens nicht im Sinn von Vorbild, sondern eher … Seine Stimme kann man eh nicht richtig ändern. Man kann sie zwar ausbilden und daran arbeiten, aber ich kann jetzt nicht sagen, ich möchte singen wie So-wie-so. Aber manche Gesangstechniken kann man adaptieren, da kann man sagen, oh, das möchte ich auch gern so lernen! Zum Beispiel die deutliche Aussprache von Laura Veirs, während Aimee Mann ja sehr nasal singt. Generell höre ich Frauen sehr gern singen, ich mag Stimmen sehr gerne, und ich mag vor allem Frauenstimmen sehr gerne.

Welchen Stellenwert hat der Gesang für dich in deiner Musik? Bei Leuten wie Dylan geht es ja eher um die Geschichten, die sie erzählen …

Ich denke, ich kann meine Lieder nicht von der Interpretation trennen. Ich empfinde mich auf jeden Fall nicht als Geschichtenerzählerin, das wäre mir dann wieder zu sehr auf den Folk bezogen. Ich empfinde mich allerdings viel mehr als Sängerin als als Gitarristin. Singen und Schreiben dagegen ist für mich gekoppelt. Auf den Gesang lege ich im Allgemeinen sehr viel Wert, und bei dieser Produktion stand die Stimme absolut im Mittelpunkt. Der Nefzger hat mit mir auch sehr viel … nicht gerade Vocal Coaching gemacht, aber wir haben sehr, sehr viel an der Stimme gearbeitet. Nicht nur technisch, denn wie beim Tanzen oder beim Geräteturnen ist es ja nicht nur die Technik, sondern auch der State of Mind. Je nachdem, ob ich etwas beispielsweise traurig oder zornig singe, klingt die Stimme ja anders. Und an diesem Klang haben wir sehr viel gearbeitet, Stimme als Instrument war uns sehr wichtig.

Die Arbeit hört man definitiv nicht, dein Gesang klingt sehr unprätentiös, sehr unangestrengt, sehr beiläufig, das mag ich.

Es ist natürlich das Ziel, dass es leicht klingt – auch, wenn es das gar nicht war. Wenn man dem Album anhören würde, wie viel Arbeit darin steckt, dann wäre es ja nicht gut. Das Ergebnis soll ja einfach nur schön sein, und wenn man die Mühe hört, dann hat das nicht geklappt.

Im tip wirst du mit der Aussage zitiert, Orte seien sehr wichtig. Da frage ich mich natürlich, welche Rolle sie für deine Musik spielen. Welche Rolle spielt Berlin für dein Album, welche, dass es in Wien aufgenommen wurde?

Das ist eine gute Frage. Ein Rezensent hat über das Album gesagt, dass Berlin hier überhaupt keine Rolle zu spielen scheint, dass es keine urbane Platte sei, dass die Stadt eigentlich nirgendwo vorkommt.

Dem muss ich vehement widersprechen! Ich finde, Everything is Sexuality klingt schon sehr nach Berlin, das ist elektropoppig, vielleicht sogar mit einem Schuss Neuer Deutscher Welle …

Ich selbst weiß es gar nicht, wie sehr sich die Stadt letztendlich in der Musik widerspiegelt Ich meine, klar ist es wichtig, dass ich in Berlin lebe. Ich würde mich anders fühlen, wenn ich zu Hause auf meinem Dorf leben würde und da dann die Platte aufgenommen hätte. Aber ich wohne ja jetzt auch schon seit ein paar Jahren in Berlin, weshalb ich wahrscheinlich schon zu sehr „drin“ bin, um sagen zu können, die Stadt hat mir jetzt genau diesen Impuls oder genau jene Inspiration gegeben.

Ich glaub‘, was ich in dem von dir angesprochenen tip-Interview auch gesagt habe ist, dass nicht nur Orte, sondern vor allem Ortswechsel wichtig sind, weil die noch einmal so einen Aufbruch bedeuten und noch einmal so eine ganz andere Perspektive bieten. Dass ich das Album in Wien aufgenommen habe, hat glaube ich einfach den Effekt des Ortswechsels. Es geht also nicht primär um Wien als Stadt, sondern um das Reisen. Ich kann beim Reisen sehr gut Songs schreiben oder Ideen verarbeiten – und nach Wien zu reisen bedeutet eine zehn-stündige Zugfahrt. Und wenn man angekommen ist, ist man völlig aus dem Alltag rausgelöst. In diesem anderen Kontext kann man sich ganz auf die Musik konzentrieren, das ist schon sehr förderlich!

Nicht zuletzt habe ich durch Nefzger und andere Leute auch so ein bisschen die österreichische Mentalität kennengelernt, und die ist ja schon auch sehr anders als die deutsche. Vorher hatte ich überhaupt keinen Bezug zu Österreich, das war schon sehr interessant – und wahrscheinlich auch irgendwie beeinflussend. Wie genau, kann ich gar nicht sagen, aber das Kennenlernen einer anderen Mentalität ist ja immer auf eine gewisse Weise beeinflussend und inspirierend.

Eine konkrete Wiener Atmosphäre ist aber nicht auf dem Album zu finden – ebensowenig wie eine konkrete Berliner Atmosphäre, es sei denn, ich habe Berlin schon so sehr im Blut, dass es einfach automatisch mit drin ist. Das ist dann schon einfach so mit eingewoben. Allein die Tatsache, dass ich jetzt weniger folkige Sachen mache, hat damit zu tun. Meine Musik ist jetzt urbaner als noch auf dem ersten Album, das ist so eine ganz zarte Beeinflussung. Auch, weil ich hier mit ganz anderer Musik in Kontakt gekommen bin.

Bist du hier Teil eines bestimmten Künstlerkollektivs, einer Initiative, Szene?

Nee, irgendwie nicht so richtig, glaub‘ ich. Man kennt sich zwar untereinander und es gibt immer mal wieder ein paar Verknüpfungen, aber ich bin jetzt nicht das totale Szenehäschen! Ein paar Zusammenarbeiten gibt es aber schon immer, die dann auch jedes Mal super sind …

Wie die mit illute?

Wie die mit illute, genau. Und als K.C. McKanzie noch in Berlin gewohnt hat, war das auch eine sehr besondere Freundschaft. Sie war und ist eine große Inspiration. Auch auf der Platte (nimmt das CD Cover in die Hand) singen ein paar Leute mit, die man immer mal wieder trifft, Andreas Laudwein oder Jovanka von Wilsdorf, zum Beispiel, aber auch der Italiener Stead oder die Wienerin Mika Vember, die auch von Alexander Nefzger produziert wird. (betrachtet die CD und lächelt versonnen) Lange nicht mehr in der Hand gehabt, das gute Stück!

TheFeastJuliaNoack
The Feast ist am 13. September 2013 auf Timezone erschienen

5. Oktober 2013

Ein sehr schönes Grau oder: Das Duo als „relativ nackte Art“ – Mara & David im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , — VSz | Klangverführer @ 17:44

Es hat drei ganze Alben sowie den Umzug der Sängerin von Dresden nach Berlin gebraucht, bis ich das Duo endlich an meinen Wohnzimmertisch zum Interview bitten konnte. Schön, dass es geklappt hat, denn die aktuelle Veröffentlichung von Mara & David hat mindestens genausoviel Charakter und Tiefe, wie die beiden Musiker, die jenseits aller Presse-trifft-Künstler-Konventionen selten offen und unglaublich poetisch darüber sprechen, dass man sich manchmal ausdünnen muss, um sich wiederzufinden, dass ihre Musik, „auf die man schon ein bisschen zugehen“ sollte, ein schönes Gegengewicht zur Zeit ist, und nicht zuletzt darüber, dass es irgendwann dann auch mal mit dem Herzschmerz reicht. Wäre es kein so furchtbares Klischee – wie gern würde ich schreiben, dass die Stärke von Mara von Ferne und David Sick in ihrer Verletzlichkeit begründet liegt! Sie nennen es Freiheit – ich nenne es ein rundum gelungenes Interview, das gleichzeitig auch den ersten „Arbeitstag“ von Linaliebhundnachfolgehund Mira, im Folgenden: Mademoiselle Mirabelle, markiert. Viel Freude daran!

Mara_David_und_Mira
Peter, Paul & Mary – pardon: Mara, David & Mira, die den Bettvorleger gibt, in meinem Wohnzimmer

Klangverführer: Wenn etwas veröffentlich wird, was ich vor einiger Zeit geschrieben habe – und das ist ja der Regelfall, das von der Abgabe des Manuskripts bis zur Publikation eine Weile ins Land geht –, ist das für mich immer ein seltsames Gefühl, weil ich mit Kopf und Herz ja schon wieder an einer ganz anderen Sache arbeite. Geht euch das auch so, anders ausgedrückt: Wie emotional verbunden seid ihr mit Call It Freedom zum Erscheinungszeitpunkt noch? Geschrieben und aufgenommen habt ihr das Album ja vor etwa einem Jahr, oder?

David: Victoriah, Du fängst mit einer Frage an!

Mara: Es stimmt, es ist schon etwas länger her – wir gehen mal nicht ins Detail, wie lange …

David: Lass uns mal 2010 nehmen als Zeitpunkt des Songschreibens, oder?

Mara: Ja, geschrieben haben wir die Songs 2010, zum Teil 2011 …

David: 2009 sogar, oder? „Wanderlust“ ist wann entstanden? Jedenfalls sehr früh …

Mara: Und aufgenommen wurde es 2011, komplett war alles schon Ende 2011 fertig.

Wie fühlt es sich dann für euch an, wenn man jetzt überall lesen kann, es ist das *neue* Mara&David-Album?

Mara: Also, für mich fühlt es sich trotzdem relativ neu an, weil wir die Songs ja nicht so viel gespielt haben, eben um sie frisch zu halten.

David: Das ist es, was ich auch gerade dachte. Ich finde auch, dass es sich darum neu anfühlt, weil wir die Songs einfach nicht gespielt haben. Und das Album gefällt mir auch sehr gut! Wenn ich es so höre, denke ich: schönes Album! Dieser Abstand ist ja sonst nicht gegeben. Normalerweise nimmt man es auf, und dann spielt man es die ganze Zeit und dann denkt man irgendwann, diese Songs kann ich nicht mehr hören! Man steckt viel zu tief drin. Und das ist bei uns jetzt durch diesen Abstand alles so ein bisschen … schöner.

Das heißt, du siehst es sogar als Vorteil, wenn man emotional nicht mehr so sehr daran bzw. darin hängt?

David: Ja, wir hatten eine sehr intensive Zeit in Dresden, und jetzt ist das anders: Wir haben jetzt zwei verschiedene Städte und sind nicht mehr so eng, was das angeht, und das ist meiner Meinung nach auch für so einen Abstand ganz gut. Der räumliche Abstand tut uns immer noch gut …

(großes Gelächter)

Mara: Nein, im Ernst: Natürlich ist es so, dass man durch die verstrichene Zeit schon einen emotionalen Abstand zu den Songs hat, aber es ist wirklich so, dass, wenn man sie dann wieder hört, man ganz überrascht ist, wie schön sie eigentlich sind! Nicht, dass ich jetzt vorher gedacht hätte, sie wären nicht gut, aber nach einer Weile hauen sie mich dann doch noch einmal neu um!

David: Ja, man hört sie dann manchmal so wie ein Fremder, und das ist gut. Trotzdem kann man sich noch mit den Gefühlen, die man damals hatte, identifizieren; und die Musik trifft ja auch meinen und Maras Geschmack – wir haben sie ja immerhin geschrieben, da kommt man jetzt nicht auf die Idee zu fragen, was ist das denn für’n Zeug?

Abstand ist ohnehin ein gutes Stichwort: Euer letztes Album, Once We Were Gods, ist 2009 erschienen. Was habt ihr in den letzten vier Jahren bis zum Erscheinen eures aktuellen Albums musikalisch getrieben

David: Ich hatte eine Krebserkrankung und war dann auch emotional weiter weg. Ohnehin hatten wir beide da gerade so eine Phase, wo es sich etwas entspannt hat. Und das ist auch wichtig gewesen, denn wir hatten davor so eine intensive Zeit, es musste dann einfach ein bisschen … Wie nennt man das, sag du!

Mara: … ein bisschen … ausdünnen für eine Weile. Um sich dann wiederzufinden.

David: Wie auch immer! Also so eine Phase wie in einer Beziehung, man schnuppert mal woanders rein, und wenn man sich dann wieder trifft, dann hat man wieder dieses Gefühl, und dann kann man das auch wieder machen.

Mara: Es entwickelt sich auch jeder auf seine Art weiter!

David: Das ist ein gutes Stichwort für mich. Jeder für sich entwickelt Bereiche, die er noch braucht, um weiter Duo spielen zu können, intensiv weiter.

Damit hast du schon so ein bisschen meine nächste Frage vorweggenommen: In meiner Rezension eures Albums für fairaudio habe ich festgehalten, dass dieses Album für mich ernsthafter, erwachsener klingt als die beiden Vorgänger. Einmal musikalisch, da es sehr Blues-lastig ist, andererseits aber auch von den Texten her, die sich nicht mehr so sehr der Introspektion widmen, sondern auch schauen, was in der Welt vor sich geht. Was ist eurer Meinung nach in dieses Album eingeflossen, dass es sich von den Vorgängern abhebt?

David: Genau das.

Mara: Die Vorgänger waren auch noch vielmehr introspektiv auf uns im Sinne von auf das Duo bezogen. In der Phase ist für uns beide total viel passiert, Gutes und Schlechtes, und dann sind auch noch mehr äußere Einflüsse dazugekommen.

David: Es hat sich nach außen geöffnet.

Auch in dem Sinne, dass ihr beide mehr zu Individuen geworden seid?

David: Ja, sowieso! Das habe ich schon auf der Bühne gemerkt, dass man jetzt völlig bei sich selbst ist. Ich zumindest fühle mich so, wenn ich spiele. Und trotzdem völlig beieinander.

Mara: Weil man sich mittlerweile so gut kennt, dass man das sein kann. Und sich trotzdem nicht verliert.

David: Genau. Es ist zwar natürlich immer eine Gefahr, wenn man so völlig bei sich selber ist, da kann man sich auch mal verlieren, aber an sich ist das eine schöne …

Mara: Man findet sich dann auch wieder!

David: … ja, und das Finden ist auch ein schöner Prozess. Wir haben da schon so eine Selbstverständlichkeit, mittlerweile, dass es in Ordnung ist, auch mal so eine Zeit zu haben, oder Momente zu haben, wo man bei sich ist. Aber man ist irgendwie trotzdem verbunden, weil es schon so gewachsen ist! Wir haben durch dieses Intensive – und ich muss das immer wieder sagen, weil es echt intensiv war in Dresden: wir haben so viel gespielt, wir haben es auch übertrieben zum Teil und zu oft geprobt, es gewissermaßen totgeprobt; trotzdem hat sich das dadurch … mehr vereint.

Dass ihr eure Duo-Beziehung auch weniger hinterfragt?

Mara: Das Gefühl habe ich eigentlich nicht. Wir hinterfragen eigentlich schon und wir reden oft über uns.

David: Das ist auch klar. Man fragt sich ja schon, wie geht das jetzt weiter?

Mara: Durch die unterschiedlichen Städte ist das ja jetzt auch recht schwierig. Man muss es wirklich wollen und dranbleiben, damit was passiert. Man kann nicht mehr alles einfach so laufen lassen, man geht nicht mehr fünf Minuten rüber zum anderen und probt. Jetzt muss man alles organisieren und planen, das ist ja auch irgendwie erwachsener. Und man hat jetzt ja auch noch mehr Verpflichtungen! Man ist ja nicht mehr Student und kann einfach nur proben.

David: Das ist natürlich schade, das muss ich schon sagen.

Mara: Ja, das ist ein bisschen schade.

David: Man hat dann eben einen Job – wie du ja auch einen Job hast, der dich grundsichert, und dass man dann noch so was macht, und dann will man aber auch noch so was machen … Man will heutzutage so vieles so gut machen, das ist ja das Problem unserer Zeit! Ich will dann super solo spielen, ich will mit einer Frau zusammen sein, mit der alles schön läuft, mit der man sich aber auch entwickelt, was ein Haufen Arbeit ist, und dann will ich plötzlich wieder auch noch ganz viel Klassik üben, und dann ist da noch Mara, und dann spielen wir Konzerte , dann kommt die CD raus …Das ist total toll, da ist viel los, aber das ist jetzt eben nicht wie früher, wo man sagt, hey, ich hab gerade ‘nen Stipendium bekommen, ich hab jetzt ‘ne Woche Zeit …

Mara: Genau, wo man sich die ganze Zeit so völlig darauf fokussieren kann!

Das war der Vorteil des Studiums, dass man so eine Art geschützten Raum hatte, um sich auszuprobieren?

Mara: Genau, und das ist ein Luxus, den man oft erst …

David: … hinterher erkennt. Und es war ja nicht nur im Studium. Mara hatte noch studiert, ich nicht mehr, da hatten wir ja wahnsinnig intensiv geprobt und getan … Und es ist einfach gut, wenn man das macht, das kann man eigentlich gar nicht in Frage stellen. Dieses Intensive ist es eigentlich. Da entwickelt sich das Zeug weiter. Aber was jetzt bei dem neuen Album eben ist, diese Öffnung nach außen, da hab‘ ich auch gedacht, dass wir das mal machen müssen. Ich habe das auch schon beim Songschreiben so gesagt, und Mara hat das auch so gesagt, und dann haben wir das auch so gemacht. Das war nicht nur ein Gefühl, sondern auch so ein bisschen ein Konstrukt, also, dass wir das so wollten!

Mara: Ich finde aber auch, dass man in den Aufnahmen hört, dass es für uns beide so eine besondere, so eine krasse Zeit war. Ich finde, man hört in uns beiden so eine gewisse Verletzlichkeit – die mir total gut gefällt und von der ich weiß, dass man die so nicht mehr reproduzieren kann.

David: Schön gesagt. Ja, genau. Also ich finde auch, man hört so etwas Graues. Ein sehr schönes Grau. Und ich finde ein Song, dieser ruhige Tango, wie heißt der? …

Mara: Winter Sky.

David: … Winter Sky der ist so bezeichnend für die Platte. Oder auch der letzte Song. Die sind alle so ein bisschen …

Melancholisch?

David: Nee, das ist so ein Gefühl … Das kann man nur hören! So ein grauer Himmel, eigentlich. Und so eine Welt, die sich verändert. So ein bisschen Endzeitstimmung. Leicht. Latent. So ein bisschen: Was passiert denn auf der Welt? Man guckt sich auch um.

Ihr habt diesem „grauen“ Album ja den Titel Call it Freedom gegeben – was ist es, das ihr Freiheit nennt, und was bedeutet Freiheit für euch?

Mara: Der Titel hat natürlich mehrere Aspekte. Zum einen bezieht er sich auf den Titelsong, da geht es darum, dass der Begriff „Freiheit“ heutzutage auch ja oft total pervertiert verwendet wird …

Also politisch?

Mara: Ja, im Weltgeschehen. Für uns persönlich hat der Titel dann noch die Bedeutung, dass es das letzte Album ist, was wir mit unserer aktuellen Plattenfirma machen.

Bleiben wir beim politischen Aspekt des Titels: Jazz thing hat den Titelsong ja als „gutmenschelnd“ bezeichnet … Wie geht ihr generell mit Kritik um?

David (zu Mara): Mach du!

Mara: Also, naja … Ich erinnere mich, dass das zweite Album ein paar zum Teil richtig fiese Kritiken gekriegt hat, die mich dann doch getroffen haben.

David: War das das, wo man geschrieben hat, wir sollten mal ‘ne Querflöte dazu nehmen, oder war das das erste Album?

Mara: Das war das erste Album, aber das war so’ne kleine Zeitung, da hab ich dann gedacht, naja (macht eine wegwerfende Handbewegung). Aber das zweite Album, das hatte zum Beispiel auch eine Mini-Kritik im Rolling Stone, wo wir nur zwei Sterne hatten und darauf rumgeritten wurde, dass wir studiert haben, das war ein bisschen gemein. Klar, als ich das gelesen habe, hab‘ ich mich schon aufgeregt. Aber was soll man denn machen, ich meine: Wenn man über Liebeskummer schreibt, dann ist das alles zu introspektiv, und wenn man dann halt über Politik schreibt …

… ist es wieder zu gutmenschelnd.

Mara: Genau.

David: Dabei ist das Album gar nicht so politisch. Ich meine, es ist ein bisschen Politik dabei, aber gar nicht so krass – da gibt es ja ganz andere Leute, Ani DiFranco oder so!

Mara: Ja, wir sind relativ poetisch geblieben, auch in der politischen Diskussion.

David: Es ist vielleicht mal der Versuch gewesen, dass das ein bisschen mehr ist, aber das ist halt auch nur ein Song! Es ist ja sowieso alles Politik, was man macht, aber so ein Song ist eben trotzdem noch Poesie.

Mara: Und ich finde ihn auch nicht gutmenschelnd.

David: Nee, gar nicht!

Find ich auch nicht. Heißt das, Kritik berührt euch gar nicht, wenn sie offensichtlich danebenliegt?

Mara: Naja, erstmal ist man natürlich trotzdem so ein kleines bisschen gekränkt.

David: Ich hab mich schon dran gewöhnt. Wie gesagt, beim Vorgängeralbum gab es mehr von wirklich harter Kritik.

Mara: Ja, das war mehr gespalten. Und jetzt hab‘ ich das Gefühl, das Gros der Meinungen ist uns wohlgesonnen – wobei ich auch schon ein paar andere Rezensionen gesehen habe, wo definitiv nichts Schmeichelhaftes drinstand, zum Beispiel, ich sollte doch lieber Deutsch schreiben, dann müsste ich im Englischen nicht so viele einfache Worte benutzen …

Oh, das ist wirklich ziemlich gemein!

David: Das hast du ja noch gar nicht erzählt!

Und wie gehst du damit um, wenn du so etwas liest?

Mara: Das ist natürlich schon ein bisschen schwierig. Man muss erst einmal gucken, wie man dazu steht. Ich hab‘ da schon drüber nachgedacht. Aber dann hab‘ ich mir wiederum überlegt, dass ich meine Songs vor der Veröffentlichung auch einigen Native Speakern gezeigt habe, die sie auch für gut befunden haben. Ich schäme mich eigentlich nicht für mein Englisch und finde auch nicht, dass ich nur einfache Worte verwende. Ich bin zufrieden mit den Texten, ich mag das Album sehr.

Du überprüfst Kritik also sogar darauf, ob sie einen wahren Kern haben könnte.

Mara: Ja.

Mara&David

Anderes Thema: Als ich für dieses Interview recherchiert habe, bin ich im Zusammenhang mit eurem Debüt Sixteen Secrets darauf gestoßen, dass ihr eure Musik als „acoustic passion“ versteht …

David: Ach, um Gottes willen!

(kollektives Aufheulen)

Moment, das war noch nicht die Frage! Die ist: Was macht für euch die Faszination akustischer Musik aus, weshalb sollte man sie im von elektronischer Musik dominierten Zeitalter hören?

David: Na, sie ist einfach phantastisch! Ich finde es total geil, akustische Gitarre und Gesang – diese Luft, die dazwischen ist, und diese Freiräume … Das ist auch ein schönes Gegengewicht zu der Zeit, und dabei sind wir trotzdem so nah dran, denn ich verwende die Gitarre so hart, dass die Bässe aufgedreht sind. Ich biedere mich der Zeit mit meinem Gitarrensound also trotzdem an. Und Maras Texte auch …

(widersprüchliches Gemurmel von Mara)

… dazu kann sie ja gleich selber noch was sagen, aber ich finde vor allem, dass diese Luft und dieses Akustische und dieses Puristische, ich finde es total schön, dass wir da auf wenig Effekthascherei setzen. Ich würde so eine Musik auch selber gern hören. Einfach so als Ausgleich zu diesem anderen druckvollen, komprimierten, heftigen Zeug. Ich meine, wir komprimieren unsere Songs ja auch, aber mit Augenmaß!

Luft auch im Sinne von Raum?

Mara: Ja.

David: Ja. Also auch Zwischenraum, aber auch Raum, der beim Spielen entsteht – und aber auch einfach Stille. Mehr Stille. Nicht alle Frequenzen sind abgedeckt.

Um die Hörer auch wieder vermehrt zum Zuhören zu zwingen?

David: Zwingen wollen wir die Hörer nicht!

Mara: Naja, aber es stimmt schon. Zwingen nicht direkt … aber es erschließt sich Vieles ja auch nur, wenn man wirklich zuhört. Es ist ja keine Musik, die man einfach so laufen lassen kann, weil sie so voll ist und einen einfach so irgendwohin mitnimmt. Man muss schon ein bisschen drauf zugehen, hab ich den Eindruck.

David: Den Eindruck hab ich auch.

Mara: Ich glaube aber auch, dass das mit dem akustischen Sound und so einfach etwas ist, was uns gefällt und was wir können. Ich hab‘ das Gefühl, wir brauchen da nicht viel anderes, aber trotzdem hab‘ ich nicht den Eindruck, dass jetzt diese Musik auch 1960 schon hätte entstehen können. Ich finde, man hört doch irgendwie den Einfluss von heute.

Es geht hier also nicht um den zeitlosen Aspekt von Stimme und Gitarre …

David: Der spielt da sicher mit rein …

Mara: Doch, schon, wir versuchen schon irgendwie zeitlos zu sein. Aber gleichzeitig leben wir ja auch in dieser Welt und finden das auch gut so!

David: Ich finde, es ist eine relativ nackte Art, dieses Gesang-Gitarre. Und das gefällt mir gut. Ich komme da schneller in ein Gefühl rein, weil die Stimme so nackt ist, die wird nicht von einem Kontrabass oder so getragen. Es ist auch ein bisschen schwierig, damit jetzt erfolgreich zu sein, weil es eben der gängigen Frequenzabdeckung zuwiderläuft, auf die das Gehör schon abgerichtet, schon konditioniert ist. Der entspricht das eben nicht.

Mit dieser, wie du sagst: Nacktheit, macht man sich dann aber auch extrem verletzlich … Wenn ich mich jetzt ins Studio stelle und auf irgend so einen krassen Monsterbeat singe, zeige ich mich ja auch viel weniger!

Mara: Ja. Aber trotzdem. Gerade deshalb!

David: Das Verletzliche geht auch irgendwie weg, wenn man zu zweit ist, weil man ja mit sich schon eine Einheit bildet und dadurch auch sehr verletzlich spielen kann, aber man ist in dem Moment aufgehoben und warm.

Mara: Und die Verletzlichkeit ist ja auch ein Schatz. Damit, dass man von sich selbst so etwas Verletzliches nach außen trägt, gibt man dem Hörer ja auch die Chance, sich zu öffnen.

David: Ja, das finde ich auch. Wir sehen das als kleine Schatzkiste an und nicht als fettes Projekt, was jetzt in allen Charts oder auf allen Radiostationen in einer Super-Schleife, in der Heavy Rotation, läuft, ist ja klar. Und das ist aber auch schön, das ist was Gutes!

Machen wir einen Themensprung. Mir brennt da noch eine Frage unter den Nägeln, die sich bei einem Duo automatisch aufdrängt – und nein, keine Angst, es ist nicht die „Seid ihr eigentlich auch privat ein Paar?“-Frage …

(großes Gelächter)

… Vielmehr will ich wissen: Gab es irgendwann so eine Art Mara&David-Schlüsselmoment für euch, den ihr ganz klar benennen könnt, wo völlig klar war, das ist es jetzt, wir bleiben zusammen?

David: Es gab viele kleine Schlüsselmomente, der eine große fällt mir jetzt nicht … dir?

Mara: Doch, ich muss spontan sagen, bei mir war das eigentlich schon so, als wir das erste Mal geprobt haben und als wir diesen Song geschrieben haben, der war irgendwie noch so total unfertig und komisch und roh, aber irgendwie habe ich da gewusst: Okay, das will ich weitermachen, diesen Gitarristen will ich mir warmhalten. (lacht) Den muss ich bezirzen, dass das was Richtiges wird!

David: Klar, da war von Anfang an Magie drin, aber …

Mara: Oder als wir „Masquerade“ geschrieben haben! Weißt du das noch?

David: Ja, eben! Das wollte ich auch sagen: Bei jedem Song, den wir geschrieben haben, gab es eigentlich so einen magischen Moment! „Weeping Clown“ – total magischer Moment …

Mara: Ja, krass!

David: … oder „What Is There“ von der neuen CD, ein magischer Moment, der plötzlich im Raum war – das ist halt einfach dieses Kreative, was einen zusammenschweißt! Das Songschreiben. Das ist das Elementare an unserem Duo.

Wie muss ich mir das denn vorstellen, wenn ihr zusammen Songs schreibt? Mara, du schreibst die Texte allein. Sind die dann erstmal als eine Art Gedicht fertig und David vertont den fertigen Text oder wie sieht das aus?

Mara: Nee, so überhaupt nicht. Es ist eher so … Manchmal hab ich irgendwie schon eine Textidee, aber das ist eher selten. Meistens improvisieren wir so vor uns hin … und alles ist blöd … und wir denken nur, Gott, wir sind total unkreativ, nichts geht mehr, die Magie ist weg …

David: Alles ist doof, wir wälzen uns im heißen Sommer auf dem Teppichboden …

Mara: … schließen uns ein, trinken Kaffee …

David: … und bauen einfach immer wieder an dieser einen Idee rum, das ist schlimm, das dauert Tage! Ein Zustand der völligen Lethargie, nichts geschieht – und dann kommt eben dieser Moment …

Mara: … dabei machen wir zwischendrin immer wieder „Pep-Talk“, so nach dem Motto, naja, es ist ja normal, drei Tage muss man sich quälen, und dann …

David: Dabei ist das gar nicht immer so! Manchmal ist es auch richtig fies, dann geht es sogar sechs Tage so!

Mara: Manchmal geht es auch schneller. Ab und zu hat man mal Glück und es zündet direkt – aber das ist selten.

Ihr sitzt also nicht mit einem vorgefertigen Konzept da, nach dem Motto, wir möchten jetzt einen Song über das Thema xy schreiben …

Mara: Nee, überhaupt nicht!

David: Null!

Mara: Sehr intuitiv …

David: Bauchgefühl regiert! Aber nicht beim Song-Machen, da überlegen wir schon genau.

Mara: Nur beim Schreiben! Sobald der Song fertig ist, wird er sehr bewusst …

David: … arrangiert.

Es ging mir ja auch darum, wie eure Songs überhaupt entstehen. Wenn Mara aber die Texte quasi in Eigenverantwortung schreibt, mischt du dich, David, da auch mal ein und sagst, sorry, diese Zeile hier geht gar nicht? Hast du da eine Art Vetorecht oder hältst du dich da total raus?

David: Ich habe absolut ein Vetorecht und hab auch schon zwei-, dreimal gesagt, hey Mara, also diese Zeile ist jetzt doof.

Mara: Das macht er vor allem, wenn ich anfange, von irgendwelchen Fabelwesen zu schreiben …

David (lacht): Das geht immer schief! Wir haben ein paar Songanfänge von Fabelwesen, und die sind immer für die Tonne!

Mara: Oder irgendwelche komischen Tiere …

David: Also, wenn schon irgendwas mit so’nem Viech kommt …

Mara: Wobei, Tiere gehen ja noch, das geht manchmal klar …

David: Stimmt, Möwen und so … aber Fabelwesen – da ist der Ofen aus! Das haben wir aufgegeben.

Und du hörst dann auch auf David?

Mara: Klar. Gestritten haben wir uns da eigentlich noch nie. Ich finde ja auch oft Sachen, die er spielt, doof …

(wieder großes Gelächter)

Mara: … aber ich weiß mittlerweile schon, dass ich dann ein bisschen warten muss und es dann meistens wird! Was allerdings blöd ist, ist oft, dass gerade die Teile, die mir am besten gefallen, irgendwie rausfallen, weil sie dann nicht mehr passen. Das passiert häufiger. Manchmal kann man daraus aber einen neuen Song machen!

Oder die B-Sides, für später!

David: Es gibt eigentlich gar nicht so viele B-Sides, weil wir dieses System entwickelt haben, dass wir immer bis zum Ende schreiben …

Mara: Ich meinte jetzt auch eher so bei ’nem Song, wenn man dann noch so ein Teil übrig hat … So wie dieser schöne Anfang, der nach „Winter Sky“ kommen sollte und wo du jetzt einen eigenen Solo-Song draus gemacht hast …

David: Ja, also, ich verwurste das dann auch manchmal solo, das Zeug! (lacht)

Auf die Solo- bzw. Nebenprojekte will ich in meiner nächsten Frage, die dann auch die letzte sein wird, noch einmal zurückkommen. Jetzt möchte ich aber erst einmal noch bei euren Songs bleiben. Euer letztes Album bestand ausschließlich aus Eigenkompositionen. Auf eurem Debüt gab es schon mal ein Ani DiFranco-Cover und eins von den Smashing Pumpkins. Call It Freedom wartet auch mit zwei Coverversionen auf, einmal von Portisheads Glory Box und einmal von Fleetwood Macs Little Lies. Welche besondere Verbindung habt ihr zu diesen Songs, dass sie es auf eure Platte geschafft haben?

David: Fleetwood Mac habe ich halt als Kind rauf und runter gehört, also, gerade diesen Song …

Mara: Ja, das war definitiv dein Vorschlag, ich kannte den gar nicht so gut, nur so aus dem Radio. Aber irgendwie dann – mochte ich ihn auch.

David: Ich hatte schon als Kind gedacht, dass ich ihn irgendwann mal covern will. Intuition. „Glory Box“ hingegen – ich weiß noch, ich habe ein YouTube-Video gesehen, wo Beth Gibbons das live gesungen hat, und ich dachte nur, ey, das passt wahnsinnig gut zu Mara! Das fand ich cool.

Die beiden Cover-Geschichten waren also beides deine Ideen …

David: Bei Glory Box weiß ich nicht mehr so genau. …

Mara: Bei Glory Box bin ich mir auch nicht mehr so sicher. Zu dem Song habe ich schon auch eine Beziehung, den habe ich auch in so einer bestimmten Phase in meiner komischen ersten WG in Berlin recht viel gehört und mochte so dieses Verruchte! Aber wer genau den jetzt vorgeschlagen hat, kann sein, dass du es warst.

David: Ich weiß nur noch, wie ich vor diesem Video saß! Wir haben übrigens auch andere Sachen gecovert, die nicht auf dem Album sind. Dafür haben wir die zwei genommen, von denen wir dachten, sie passen am besten rein. John Lennon oder Nirwana haben wir nicht mit aufs Album genommen, obwohl die live manchmal sogar stärker sind, Sachen eben, die man von früher als Kind oder Jugendlicher kennt, mit denen wir aufgewachsen sind.

Wir haben es vorhin schon mal angesprochen: Ich weiß, dass ihr neben dem Duo auch noch Solo- bzw. Nebenprojekte macht und Lehraufträge habt – gibt es auch noch ein Leben jenseits der Musik für euch?

Mara: Ich lauf ja Marathon jenseits der Musik. Das ist dann für mich auch mein Leben.

David: Es ist schon viel Musik bei mir. Ich treff‘ auch gerne Freunde oder bin mit meiner Freundin zusammen, aber ansonsten … Das Private ist eben privat.

Mara: In Dresden haben wir uns viel mehr eingeschlossen, aber seit ich in Berlin bin, habe ich ein bisschen mehr verstanden, dass auch zu der Musik dazugehört, dass man sich auch anderen Musikern und anderen Leuten mehr öffnet.

Du meinst, es tut dann auch der Kunst wieder gut, wenn man außerkünstlerischen Aktivitäten nachgeht?

Mara: Ja, irgendwoher muss man ja auch wieder seine Inspiration nehmen – man hat ja nicht immer so starke Gefühle aus sich selbst heraus!

David: Und selbst wenn, dann würde es ja immer nur klingen wie etwas aus sich selbst heraus, das man nach außen lenkt …

Mara: Ja, irgendwann ist auch genug mit Herzschmerz!

David: Wobei das natürlich immer ein Thema ist …

1.0_M&D_Cover

Call It Freedom ist am 30. August auf Ozella Songways erschienen. Klangblog-Leser können ein Exemplar gewinnen – einfach eine Mail an an kontakt@klangverfuehrer.de schreiben. Viel Glück!

17. September 2013

There is no possible way of faking a feeling. Thomas Dybdahl im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 12:11

Der norwegische Musiker Thomas Dybdahl gilt hierzulande immer noch als Geheimtipp, obgleich er auf eine umfangreiche Diskographie zurückblickt – und das nicht nur solo: Mal leiht er seine Stimme den Downbeat-Pionieren von Morcheeba, mal hilft er als Gitarrist bei den Quadraphonics aus, und bei der Supergroup National Bank mischt er auch noch mit. Vor gut zwei Jahren schickte Dybdahl sich an, mit einer schlicht Songs getauften Kompilation seiner bisherigen Stücke auch die Musikliebhaber jenseits von Skandinavien zu erobern. Diesen Feldzug setzt er nun mit seinem neuen Album What’s Left Is Forever fort – seinem ersten international bei einem großen Label veröffentlichten Soloalbum.

Und gleich mit dem Titeltrack gelingt es dem sensiblen Künstler, der sich aufgrund seines fragil-introvertierten Vokal-Stils schon mal Vergleiche mit Nick Drake, James Blake & Co. gefallen lassen muss, das Befinden einer ganzen Generation auf den Punkt zu bringen. Die Quarter-Life-Crisis weit hinter sich, die Midlife-Crisis noch längst nicht in Sicht, sei es recht eigentlich die Zeit zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Lebensjahr, in der das eigene Leben mehr als sonst auf dem Prüfstand steht: Bin ich froh damit, was ich bis jetzt erreicht habe? Waren die Entscheidungen, die ich getroffen habe, richtig? Mag ich die Dinge, mit denen ich mich umgebe, tun mir die Menschen in meinem Umfeld gut? Denn jetzt ist auch die – vielleicht letzte – Chance zur radikalen Kurskorrektur. Was danach übrig bleibt, ist für den Rest des Lebens gemacht: What’s left ist forever.

Anfang September hat mir Thomas Dybdahl aber nicht nur verraten, was es mit dem Titelsong seiner neuen Platte auf sich hat, sondern auch, warum er keinen Sinn darin sieht, dem großen Reigen der aktuellen Alben, die das Repertoire von Great American Songbook & Co. beinhalten, eine weitere hinzuzufügen, und weshalb er sich in erster Linie immer noch als Gitarrist und nicht als Sänger betrachtet. Ich wünsche beim Lesen dieses Interviews viel Freude!

Thomas-Dybdahl5

Klangverführer: Alright then, let’s talk about your new album …

Thomas Dybdahl: Uh, let’s talk about something else! (laughs)

Okay! What about dogs?

Yeah, let’s do an interview about dogs!

Do you have a dog?

I do not.

Well, I’m afraid in this case we better talk about your album. Let’s start with a rather philosophical question. Your new album is called What’s Left Is Forever. Tell me, what is it that will remain forever when we’re gone, according to your opinion?

I was thinking of it more sort of … you know, I feel I have to make a few choices regarding sort of the rest of my life, sort of my goals: What kind of things my life brings and is there anything in my life that I don’t wanna continue doing or having or seeing, because I feel it’s sort of life’s crossrads time, in the sense that I’m thirty-four years old, so I’m not old – but I’m not young, either. It’s sort of an in-between age. I feel that there were some choices I had to make in order to feel that I’m spending my time on the things I wanna spend my time on. I think when you get older it’s just natural to feel that time is a little bit different, you know, a little bit more precious, you wanna fill it with stuff that gives you a meaning. That whole title is just basically a sort of hope that I’ve done the right choices. I feel that what I have now in my life is what I will have, going forward, and it’ll stay that way. Because I like my life like it is right now, I like the choices that I made … some choices I regret, obviously, but I am all the things that make up my life rigth now and I’m really happy about it. And also, it’s just a variation of that other title which has been used so many times, When the dust settles. That sort of thing. What do you see after a big fight. Yeah, that’s it!

Rising like Phoenix from the ashes …

(laughs) My new life! Life 2.0!

Your previous album Songs was more or less a selection of your previously released music. So What’s Left Is Forever is your first original album that will be released outside of Scandinavia, your first international solo album, so to say …

Well, I think the three first albums were released but they were all on really small labels – but they were out there, you know. But it’s the first in a while.

What I was getting at is: What went into this album that is different from Songs and what kind of opportunities are you looking forward to by the release?

To be honest, I’m really really really just hoping to get an audience in parts of the world where I haven’t had it before, for example in Germany. I mean, I’ve had an audience in Germany, in the sense that I could go on tour and I could play in clubs and have lots of people coming, but it limits itself to playing in four or five places and that’s it. But Germany is such a big country, there is more audience to meet. So I’m just really really hoping to meet a bigger audience because I think I’ve got something now with this album that I’m really hopeful about people – if they just get a chance to listen to it, I think they can like it! -, which is a good feeling. So yeah, I’m just hoping to really meet a new audience and to kinda get a new group of people to give it a chance, to give it a listen.

And it’s the first album in a little while that I’ve done with these kind of songs, very clear cut songs. It’s a pretty straight album, I think as well, in comparison to what I’ve done before. I’ve done more like music for films and scores and stuff like that, so I’ve been working with lots of different things and it was great to go back to that format of writing songs again because it’s such a great tradition. The four-minute-pop-song is such a simple little thing but it’s so hard to get the right ingrediences in there, to not overload it, to not make it too difficult or whatever.

And I worked with a great producer called Larry Klein who’s done a lot of cool stuff, you know, he’s done Joni Mitchell, he’s done Herbie Hancock, he’s done Tracy Chapman … a lot of stuff that I’ve listened to, you know. And it was a good thing cuz I had to let go a little bit, I had to let go a little bit control – cuz if I was working with a producer, there was no point in doing it half-way, so I sort of had to trust him!

Does that mean that your albums which you have released before were self-produced?

Yes.

So it’s the first time you’re working with a producer. Tell me, how did this cooperation come about?

Like all other things – it was just a long series of coincidences that sort of suddenly materialized into this. He’s gotten the song from a friend of his almost four years ago, a song called Love Story which is on a different record that I made. And that friend has gotten it through another friend, a French photographer called Jean Baptiste Mondino, so this song sort of passed through a whole chain of friends and ended up on Larrys desk in Los Angeles. Initially, he didn’t really know what to do with it – but he loved it. But then he got the chance to start his own little label under Universal, a label called Strange Cargo. When they set up this little label for him, they said: Go and work with the people you wanna work with and release the records that you wanna release – and the first thing that came into his mind was the song that he’s been keeping on his desk for a long time and he thought like, yes, there’s finally an opening to do something with it. So he called me and then came to Norway and saw a show and it was it! And then we started working.

So you’ve been the first signing of Strange Cargo?

Yeah, I think maybe I was!

Wow. How does that feel if somebody from Los Angeles calles you and tells you he wants to sign you for his label which is under the roof of Universal Music?

I’m glad you said the latter cuz sometimes you get called from labels that … you know, anyone can have a label! I can start a label and call someone! It doesn’t mean it’s a good thing. But this was serious, so it was great. It feels very coincidental, sometimes, because you know there are so many odd twists and turns before it turns out the way it turns out.

Maybe it’s some sort of destiniy, who knows … Well, let’s talk about the individual songs on the new record. Love Is Here To Stay sounds a bit like Prince-goes-Curtis-Mayfield to my ears … How much is your vocal style influenced by Classic Soul, how much by Contemporary R&B?

Well, I was raised on Prince. I have two older brothers who were massively into Prince, so I started listening to Prince when I was very young, maybe by the age of seven. So Prince has always been a part of my musical life. And then I always gravitated towards great Soul singers, and for me one of the greatest albums of the Two-Thousands is Voodoo by D’Angelo which is such a massively cool record!

I love his debut Brown Sugar

Yeah, that’s great, too, but …

… you are into Voodoo!

Yeah. So Soul singers have always appealed to me, I like the way they can sort of … even if there’s a full blaring band and a big production behind it, they can go on top of that, sort of very carelessly flow on top of it, they don’t barge to it. I have one of those voices whereas I try to make it big it becomes small. So I think it’s richer when I just hold back. And that’s just because of what I’ve been listening to, I think.

Like finding your own style through imitating other’s styles at first?

It might be. You know, everything else is very conscious in how I do it and what I wanna sound like and all these things, but vocals … it’s a weird part in the whole creation because there is no possible way of faking it, faking a feeling. So it’s sort of it either works – or it doesn’t. And basically a singer would do anything to make it work. To make it fit right so that it sort of feels like it’s part of the music and not that it’s glued on or anything like that. So right from the start we talked about doing big lush productions that then put in the vocals just right on top of it, like this little delicate thing, very careful, and we were trying consciously to do it in this way.

Thomas-Dybdahl0

We have just talked about incorporating influences from Soul. What further influences can you name, who else helped you shape your voice and your sound in general?

Obviously a million different things, but there is no way I can get past without saying it’s some of the great songwriters like Bob Dylan, Neil Young, Tim Buckley, Jimmy Webb, Paul Simon – all these classical songwriters that shaped the Sixties and Seventies in such a way that they did. But then, also more classic stuff like Serge Gainsbourg who is really a big influence. I like the way he’s … sometimes you might have a melody, but rather as a guidline and then you can sort of meander around it, you can wander around that a little bit. So he’s a big influence on that kind of thing. And then, there’s other stuff, like Milton Nascimento, and also newer bands, of course, like Beach House, Dirty Projectors, White Denim … All bands that kind of mix new sounds with the old way of thinking melody. It’s like a little puzzle there with old pieces and new pieces and I really like some of the stuff that they’ve bee doing. Sometimes it sounds quite normal but there’s a little glitch in the matrix, little things that make you go like: What? What’s just happened? I like the subtle things that people do sometimes when they take something and they flip it just a little bit, you know, it’s not massive but it’s a little thing.

Yeah, but these are the things that make music interesting and engaging! Well, we’ve been talking about the Soul-influenced Love Is Here To Stay. On the other hand, there are songs like Easy Tiger which I would describe as rather folky. How would you best describe your kind of music? Soulful Singer/Songwriter? Folkgroove? I think MTV used to call it „Widescreen Folk“ or even „after-hours folk“ …

I have no idea! First of all, I would think it’s pop music. And then it’s … it’s in a singer/songwriter tradition but I try to have elements what some people would call „Art Folk“ – like Folk influences but with a little bit of a twist in there. I try to make sure that all of the time the arrangements are interesting, and even when they are very straight forward we try to add another dimension to it, even though it’s subtle things. I like to think that we are constantly trying to make sure that the arrangements are rich and that they’re layered, so you can listen to them a lot of times and maybe find something new each time. Maybe there’s some pattern there that you didn’t listen to the first times and maybe you get it the third time … All these things just to make it interesting, I think.

Yeah, that exactly meets my listening experience. Well, if I heard it right, you started your musical career as the guitar player of the Quadraphonics – and guitar parts still seem to play an important part in your music. Do you feel rather like a singing guitar player or like a guitar playing singer?

I feel like a singing guitar player as the guitar has always been my thing and I still consider myself as a guitar player. Guitars on this record were such a big part of the whole thing cuz we did the record with the band. We did the core takes, you know, and I had a great guitar player with me for that, a guitar player called Dean Parks. But then, after that, after those six days that we had in the studio with the band, we moved the production to a smaller studio where we did all the stuff that would turn out to be the detail work, you know, all that interesting little touches to the production and to the arrangements, and for that we kind of created this role of this sort of „lazy guitar player“ who’s sort of doing his thing but without really following the rest of the band too much. Because we needed this not to be … like, very rigid and stale, we needed some of the elements to be almost sort of this buzzing electron that was going around and sort of not caring too much about the frame. So we kind of created this role of this guitar player that would go in and not give a fuck about the rest of the song but just play! And we would play maybe five or six takes of that, playing around the most whatever came into my mind … and we would go through those takes afterwards and we would pick out the little things that we liked. But I had to detach from it because sometimes you just get so obsessed about following everything, and it was such a great thing to be able to just sit there and just play. I think that really helped to loosen things up a little bit for my own part of it.

Let’s stick with the Quaadraphonics for two more questions. The sound of the band can be described as Jazz-inspired. Does Jazz as a genre still play some sort of role in your current work?

No, not really. Maybe the improvisational thing has something to do with Jazz. But other than that … it’s not something that I listen to. I mean, I listen to the classic stuff but traditional Jazz right now is something that I don’t get a kick out of. Because I sort of feel like there is no point in doing it because it’s been done, you know? So I just don’t get a kick out of it. But what I do get a kick out of is people who take it just so many steps further.

So you don’t really see a deeper sense in recording the repertoire of the Great American Songbook like it became again so popular lately?

I don’t get a kick out of it, though. But people are different, people are very different.

That’s for sure. The term „Quadraphonic sound“ also refers to what we now call 4.0 surround sound: using four channels in wich speakers are positioned at the four corners of the listening space while the reproduced signals are independent from one another. Does the audiophile aspect of music play a role for you?

Yeah, obviously it does! But more in terms of … I’m not that into gear, into equipment, but I’m very into production. To make sure that you utilze every aspect of what you would call almost a one hundred and eighty degree sound vision. For me, production is where things really really come alive and get interesting and where you can add that little dimension that I really like. So in that sense – I’m not an audiophile, but it has to sound just like the thing you want to get on tape, I think. Which is very hard because there are so many coincidences in recording – but once you get that thing you were envisioning – that’s a great feeling. So as far as being an audiophile: Not on the technical side of things, but more on the emotional side.

Thomas Dybdahl_What's Left Is Forever CD cover

What’s Left Is Forever wurde am 13. September 2013 auf Strange Cargo/ Universal veröffentlicht. Die deutsche Version des Interviews und die Rezension des Albums finden Sie bald auch auf fairaudio. Eine Kurzrezension von mir ist bereits bei Jazz thing erschienen.

14. August 2013

Bach ist immer dabei. Der Bassist Frank Herzberg im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 19:24

Es war der Tag, an dem ich herausfand, dass mein bevorzugtes Erfrischungsgetränk, welches ich nahezu jeden Morgen im Supermarkt meines Vertrauens erwarb, gar nicht „Bio Mate“ hieß, sondern „Rio Mate“. Ein geschickter Graphiker hatte mich auf die falsche Spur gelockt. Okay, seien wir ehrlich: Ich hatte in meiner allmorgendlichen Trance die auf die Packung gedruckte Brasilien-Fahne bislang schlichtweg übersehen. Vielleicht wollte ich im Grunde meines Herzens ja auch lieber an das Etikett „bio“ glauben.

Riomate

Wie dem auch sei, dieser ansonsten recht unspektakuläre, eher grau-kalte Junidonnerstag versprach indessen auch weiterhin unter brasilianischer Flagge zu stehen, war ich am Abend doch mit dem seit sechzehn Jahren in Brasilien lebenden Kontrabassisten Frank Herzberg zum Interview verabredet. Und da dies nun wirklich nicht alle Tage passiert, habe ich hier hellwach ganz genau zugehört – nicht nur Herzbergs Album Handmade, welches bislang nur als Import zu haben war und diesen Sommer nun auch endlich in Deutschland, Österreich und der Schweiz erschienen ist, sondern vor allem dem, was er zu erzählen hatte.

Ein Gespräch über das musikalische Aufwachsen in der DDR, brasilianische Musikexporte und natürlich jenen 1685 in Eisenach geborenen Deutschen, an dessen Kontrapunkt bis heute keiner seiner musizierenden Landsmänner vorbeikommt, denn schließlich habe man, so Herzberg, in der Musik ebenso wie im gesprochenen Wort, immer einen von der Muttersprache maßgeblich geprägten Akzent. Nicht zuletzt sprechen wir darüber, weshalb sich Jazz nicht wiederholen lässt, kurz: über die Magie der ersten Aufnahme, die einem Stück seinen entscheidenden kreativen Kern einzupflanzen vermag, sowie über ein gutes Ende, das alles offenlässt. Viel Freude damit!

capa_encarte_GP_III

Frank Herzberg Trio: Alexandre Zamith (Piano/Rhodes), Frank Herzberg (Acoustic Bass), Zé Eduardo Nazário (Drums)

Klangverführer: Dein Debütalbum heißt Handmade. Glaubst du, dass die Menschen nach all den Jahren der Vorherrschaft elektronischer Musik wieder das Handgemachte suchen? Ist das Prädikat „handgemacht“ eine Art Qualitätssigel?

Frank Herzberg: Für mich persönlich war es immer so, dass akustische Musik viel länger lebt. Wenn ich mir Produktionen anhöre, wo Synthesizer benutzt werden, dann kann man die immer ganz genau einer Ära zuordnen, also beispielsweise Achtzigerjahre oder Neunzigerjahre, je nachdem, welche Sounds genommen wurden. Damit kann man sicherlich auch sehr gute Sachen machen, aber wirklich zu improvisieren, auf solchen Instrumenten, die man nicht verstärken muss, das finde ich einfach viel interessanter.

Das heißt, es ist dir auch um eine gewisse Zeitlosigkeit zu tun …

Genau.

Ich hab‘ es ja in meiner ersten Frage schon angesprochen: Handmade ist dein Debüt, obwohl du schon jahrelang Musik machst. Wie kommt man zu einem Debüt mit sechsundvierzig?

Das ist ganz komisch: Ich hab‘ den Charlie Haden in Boston getroffen, der da auch Bass gespielt hat, und er fragte mich schon damals, ob ich eine CD aufgenommen hätte. Aber es gibt so viele Leute, die gute CDs aufnehmen – und manchmal braucht man das nicht. (lacht) Ich habe lange gebraucht, bis ich wirklich Musiker gefunden habe, wo ich dann gesagt habe, hier lohnt es sich wirklich, das mal aufzunehmen, weil es etwas ist, das man vielleicht so noch nicht gehört hat. Auch wegen der Kompositionen, die unsere sind, aber vor allem wegen der Chemie, die wir haben – gerade, wenn wir live spielen, ist die schon etwas ganz Besonderes!

Diese Triobesetzung ist also die erste, die es dir wert war, auch auf CD gebannt zu werden …

Genau! Ich meine, ich habe als Musiker auf weit mehr als hundert CDs mitgespielt, aber wenn man dann wirklich anfängt, ein eigenes Projekt zu machen, das heißt: Ich muss alle Musiker ranholen, dann müssen wir Zeit zum Proben finden … Meistens hat man so viel zu tun, dass man es dann sein lässt.

Wobei: Was heißt hier „alle Musiker“? Ihr seid drei …

Aber auch das ist gar nicht so einfach! Es ist einfach so, dass Leute, die gut sind, auch viel zu tun haben. Der Pianist ist zum Beispiel Professor an der Hochschule und spielt auch viele klassische Konzerte.

Das Warten hat sich ja scheinbar ausgezahlt: Mit persönlich zumindest gefällt der unglaublich gut auf der CD, der Pianist!

Nachdem ich von Boston nach São Paulo gegangen bin, habe ich angefangen, Improvisation zu unterrichten, und der Alexandre Zamith war in meiner erste Gruppe …

Ach, er war zuerst ein Schüler von dir!

Ja, der hatte studiert – und ich habe einen Haufen Schüler, die in Berklee studiert haben und jetzt zu mir kommen –, und Alexandre war einfach interessant aus der Art heraus, wie er improvisiert. Weil er kein Jazz-Musiker ist und keinen aus dem Jazz kommenden Stil spielt. Er improvisiert aber sehr kreativ, was sich dann dahin entwickelt hat, dass wir wirklich viel frei spielen, wenn wir auftreten.

Du hast gerade gesagt, dass eins der Dinge, das dir an ihm gefällt ist, dass er nicht aus dem Jazz kommt. Aber ihr seid ein Jazz-Trio. Das musst du mir jetzt mal erklären.

Naja, meistens spielt man mit guten Musikern, die aber klingen wie jemand anders. Das ist einfach der Prozess, wenn man Jazz studiert, wenn man Beebop-Lines studiert und die technische Machart der Stücke zusammensucht, dann klingt man zwangsläufig erst mal wie Charlie Parker oder wie Monk. Einerseits ist das gut, wenn man wirklich stilgetreue Sachen spielen will, aber ich glaube, in dem bestimmten Moment, wo man eigene Sachen spielt, ist es interessanter, nicht in diese Richtung zu gehen. Aber das ist immer schwer. Wenn der Alexandre spielt, kannst du sicherlich immer noch sagen, er klingt wie Keith Jarrett, viele finden das zumindest, aber ich denke, er ist einer der wenigen Pianisten in São Paulo, die sehr eigen spielen. Auch, wenn ich andere Sachen mit ihm höre, kann ich immer sagen, das ist Alexandre!

DSC05114-300dpiA

Stimmt es eigentlich, was ich über dich gelesen habe, nämlich, dass du schon während deiner Jugendjahre in der DDR immer Jazz machen wolltest, es aber der Wende bedurfte, damit du diesen Traum verwirklichen konntest?

Na, eigentlich nicht. Ich bin ja in Wandlitz groß geworden, und dort hatten wir ein Blasorchester in der Schule, das auch einen Schlagzeuger hatte. Ich fing dann mit sieben an, Schlagzeug zu spielen, denn mein Bruder, der dort Bassist war, wollte, dass wir eine Rhythmusgruppe sind. Ich hab‘ mir aber immer heimlich seinen Bass genommen und Bass gespielt …

War das auch ‘nen Upright?

Nee, ‘nen E. Jedenfalls wurde dann in dem Blasorchester die Stelle des Bassisten frei, denn mein Bruder und ich sind zehn Jahre auseinander, und ich habe dann angefangen, da Bass zu spielen. Das war ganz lustig, denn mein Bruder und ich haben die gleiche Schule durchschritten, die gleichen Musiklehrer gehabt … Mit dreizehn habe ich dann schon in Bands gespielt, die professionell waren, das war ganz toll für mich!

Hast du damals Bass-Unterricht gehabt oder warst du Autodidakt?

Ich war an der Musikschule Friedrichshain. Dann war aber nicht klar, ob ich nun Musik studieren oder lieber einen Beruf lernen sollte. Ich wollte jedenfalls kein Abitur machen! Das Musikstudium war das einzige Studium, wo man nach der zehnten Klasse vorspielen und dann direkt studieren konnte. Aber so weit war ich damals noch nicht. Dann bin ich nach Markneukirchen gefahren und habe mich als Instrumentenbauer beworben, wurde aber nicht angenommen. Man hat mir gesagt, ich solle mich im nächsten Jahr wieder bewerben. In diesem Wartejahr, mit etwa sechzehn, habe ich angefangen, Jazz zu spielen. Im nächsten Jahr dann wurde ich angenommen und habe eine Ausbildung zum Instrumentenbauer gemacht. Während der Ausbildung hatte ich auch richtig guten Kontrabassunterricht, und da habe ich gemerkt, dass ich das wirklich gern studieren würde. Das war im Osten aber gar nicht so einfach. Die haben mir gesagt: „Mensch, du hast doch ‘nen Traumjob!“ Es gab vier Leute pro Jahr, die Instrumentenbauer werden konnten.

Haben Instrumentenbauer eigentlich alles gebaut, oder gab es da eine Spezialisierung?

Ich habe Geigen gebaut. Es gab die Spezialisierung auf Geigen und die andere auf Zupfinstrumente, was dann vor allem die Gitarren waren. Beim Vorspiel an der Hochschule für Musik Hans Eisler haben sie mich jedenfalls nicht genommen, weil ich diesen Job hatte. Und dann habe ich auch da wieder ein Jahr gewartet, habe als Instrumentenbauer gearbeitet, bis ich beim nächsten Vorspiel angenommen wurde. Dieses Eine-Jahr-Warten zieht sich durch meine Biographie!

Hast du dir auch schon mal einen Kontrabass selbst gebaut?

Ich habe in einer Reparaturwerkstatt gearbeitet, wo die repariert wurden. Das war dann aber so ein Kapitel meines Lebens, das ich beiseitegelassen habe, weil ich am Anfang immer zwischen den Stühlen stand: Bau ich jetzt oder spiele ich?

Nach der Eisler bist du dann ans Berklee College in Boston gegangen …

Also, ich hab‘ zuerst so ein Austauschjahr gemacht. Das konnte man im zweiten Studienjahr machen, und es war wirklich mein großes Glück, dass ich diese Möglichkeit hatte!

Dazu musste man ja schon reisen können. Das heißt, du hast noch zu DDR-Zeiten angefangen zu studieren und während deines Studiums kam die Wende?

Eigentlich war es so, dass ich mich zu DDR-Zeiten beworben habe und auch angenommen wurde – und dann zur Armee musste. Dann war ich im Erich-Weinert-Ensemble, was auch noch relativ glücklich war, weil ich dort Musik machen konnte. Dann kam die Wende und ich fing an zu studieren – und innerhalb des nächsten Jahres konnte man sich mit einem Mal für ein Austauschstudium bewerben! Interessant war auch, dass an der Hans Eisler mit einem Mal viele westdeutsche Lehrer waren. Darunter auch solche, die in Berklee studiert hatten und mir dann gesagt haben, wenn du da bist, geh mal zu dem und dem, und mir auch noch andere Tipps gegeben haben, das war wirklich gut! Dann bin ich mal vorab nach Boston gefahren, habe mir die Schule angeschaut, hab mit den Leuten geredet und hab mich auch bei Charlie Banacos, dem Improvisationslehrer, der eine Warteliste von fünf Jahren hatte, schon mal eingetragen. Ich wurde dann tatsächlich auch in Berklee angenommen und bekam auch da ein Super-Stipendium, weshalb ich mit meinem deutschen BAföG zusammen mit einem Mal die Mittel hatte, drei Jahre zu bleiben. Das heißt, ich konnte das Studium erst da abschließen, und dann bin ich zurückgekommen und hab‘ es auch hier noch abgeschlossen. Ich hab‘ ewig studiert! (lacht)

Ich auch … Du bist dann aber nicht, wie man es von vielen deutschen Jazz-Musikern, die in den USA studiert haben, kennt, als Session-Musiker in die Staaten gegangen, sondern nach Südamerika. Man hört es ja auch Handmade an, dass Brasilien nicht nur deine familiäre, sondern auch musikalische Heimat geworden ist, was vielleicht auch vorrangig an deinem Schlagzeuger liegt. Ich kann mir vorstellen, gerade wenn man aus der Klassik kommt, dass diese „exotischen“ Metren nicht gerade das sind, worin man sich auf Anhieb zu Hause fühlt … Wie kam es zu dieser Brasilianisierung deiner Musik, deines Lebens?

Da war auch Berklee dran schuld! In der ersten Stunde, als ich dort ankam – der Kurs hieß „English for non-native speakers“ oder so ähnlich –, setzte die Lehrerin sinnigerweise Leute aus verschiedenen Ländern, die außer Englisch keine gemeinsame Sprache hatten, zusammen. Die Brasilianerin, mit der ich zusammengesetzt wurde, war eine Pianistin aus São Paolo, wir unterhielten uns viel, da wir viel Unterricht zusammen hatten … ja, und irgendwann funkte es dann. Und als ich dann zurückkam, war sie noch ein Jahr länger da, was heißt, dass ich oft nach Boston gefahren bin. Als sie dann aber nach Brasilien ging, sagte sie, also entweder wir heiraten, oder du gehst! (lacht wieder)

Das heißt, es war nie eine Option, dass ihr zusammen in Boston oder in Deutschland leben würdet?

Meine Frau hat gesagt, sie würde nie nach Deutschland kommen – es ist ihr einfach zu kalt hier! Und ich hab dann so gemacht (kreuzt die Finger) und gesagt, okay, ich verspreche, nach Brasilien zu kommen. Insgeheim hatte ich gedacht, ich bleibe so zwei Jahre und nehm‘ sie dann halt mit zurück … Dann kamen aber die Kinder, und wie das so ist, man muss sich, gerade in diesem Alter so um die dreißig, ja auch irgendwo hin entwickeln. Ich hatte dann ein festes Engagement in einem Orchester dort bekommen, und das war mit der Grund, dass ich da einfach eine Arbeit hatte …

In einem klassischen Orchester?

Na, eigentlich so eine Mischform. Die haben ein Wind-Ensemble, das auch mit Kontrabässen besetzt ist, die spielen viel zeitgenössische Musik, viele Sachen, die in den letzten fünfzig Jahren geschrieben wurden. Das ist ganz interessant, denn es gibt viele sehr gute brasilianische Komponisten, und wir spielen auch viel von dem Heitor Villa-Lobos, der den Bach verbrasilianisiert hat – und das sind dann auch die Einflüsse, die auf meiner CD zu hören sind. Diese Polyrhythmik und Kontrapunkte, die kommen nicht so sehr aus dem Jazz. Dabei bin ich an Harmonie, Kontrapunktierung, Polytonalität mehr interessiert als an vordergründig afrikanischen oder brasilianischen Rhythmen. Oft ist es so, dass der Schlagzeuger spielt und ich dann sage, nee, machen wir es lieber mal so und so. Bei dem ersten Titel beispielsweise, dem Don’t talk crazy, der klingt ja im Prinzip rockig, und ich hab‘ gesagt, versuch mal, was Brasilianisches dazu zu spielen, und solche Sachen entstehen dann beim Spielen. Mittlerweile haben wir so eine Chemie, dass wir, wenn wir live spielen, viele Sachen auch ändern. Wenn wir auf die Bühne gehen, ist noch nicht klar, wer beispielsweise das erste Solo macht. Das entsteht spontan, und diese Art der Kommunikation ist ganz interessant!

Das heißt, die Stücke, wie wir sie auf der CD hören, sind eine Art Momentaufnahme, und live sieht das jedes Mal völlig anders aus?

Die Themen vielleicht nicht. Mittlerweile spielen wir die Platte schon ziemlich so, wie wir sie aufgenommen haben, um nicht allzu sehr davon abzuweichen. Aber während des Improvisierens geht es dann doch mal in ganz andere Richtungen … (lacht)

1.2_FHtrio - Kopie

Ihr spielt jetzt schon seit mehr als zehn Jahren zusammen. Wie habt ihr eigentlich zusammen gefunden?

Ich habe mal parallel Improvisationsunterricht gegeben und Jazz im Orchester gespielt, wobei ich nicht jeden Tag zur Probe musste. Es war so ein Orchester, wo es reichte, sich drei Tage die Woche zu treffen, man hatte auch nicht so viele Konzerte, das ließ sich ganz gut einrichten. Als Improvisationslehrer habe ich auch viele Workshops gegeben, auf Festivals und so – und auf einem dieser Festivals hab‘ ich auch den Zé Eduardo Nazário, meinen Schlagzeuger, kennengelernt. Und der Alexandre, der war ja wie gesagt in meiner ersten Improvisationsschülergruppe, aber er war auch Lehrer auf dem Festival. So kam es, dass wir dann dort zu dritt irgendetwas gespielt haben, und ich dachte, klingt ja interessant! Es dauerte dann aber noch mal zwei, drei Jahre, bis wir regelmäßig zusammen gespielt haben.

Aber das auf dem Festival war also wirklich so ein Moment, wo es gefunkt hat und du gedacht hast, das ist jetzt eine Formation, für die es sich lohnt?

Nein, auch das hat ein bisschen gebraucht. Der Schlagzeuger dachte am Anfang oft, dass Alexandre nicht jazzig genug spielt. Das ist ja auch eine Frage der Stilistik. Wenn er beispielsweise einen Jazz-Beat vorgegeben hat – und er hat ja auch Jazz studiert –, dann dachte er, es funktioniert mit Alexandre nicht. Für mich war das aber auch schon damals interessanter, dieser Sound, den Alexandre produziert, weil er so … so …

… außergewöhnlich ist! Aber als Bassist musst du in erster Linie mit dem Schlagzeuger auskommen, oder?

Naja … (überlegt) Doch, das stimmt auf jeden Fall: Ich spiele lieber ohne Schlagzeug als mit einem schlechten Schlagzeuger! (lacht) Ich selbst habe aber Glück gehabt, ich habe schon mit tollen Schlagzeugern gespielt, Antonio Sanchez beispielsweise, Bob Moses oder Sebastiaan De Krom, der spielt jetzt bei Jamie Cullum, tolle Leute! In Brasilien gibt es erstaunlicherweise nur wenige Schlagzeuger, die Jazz spielen. Der Zé ist da wirklich einer der wenigen, der richtig Jazz spielen kann. Wir machen auch Touren mit amerikanischen Musikern, wo wir beide mitspielen, und wo es dann auch wirklich wie Jazz klingt.

Und woran liegt das? Weil die Musik des Landes eher aus der percussiven Tradition kommt?

Das ist einfach eine Frage der Stilistik der Sprache. Jazz und Englisch, das harmoniert einfach. Wenn eine brasilianische Bigband daherkommt, das klingt zwar gut, aber man hört einfach keinen echten amerikanischen Jazz. Das liegt daran, dass du, wenn du Englisch sprichst, anders phrasierst als wenn du Portugiesisch sprichst.

Willst du damit sagen, dass die musikalische Phrasierung eng mit der Phrasierung der Sprache, des gesprochenen Wortes, verknüpft ist?

Ja, ganz klar! Das ist ganz ähnlich. Ob man nun Sprachen unterrichtet oder Musik unterrichtet, man hört, wie eng das verknüpft ist. Wenn jemand aus Lateinamerika kommt … Danielo Perez hat mal gesagt, er wird nie wie ein amerikanischer Jazzpianist klingen können. Er kommt aus Panama und kann beim Spielen darauf zurückgreifen. Man kann nur spielen, was man weiß, und das ist ja auch okay so! Das ist auch bei Europäern so: Wenn europäische Jazzmusiker versuchen, amerikanischen Jazz zu spielen, haben sie einen unheimlichen Akzent. Das ist genauso wie wenn ein Deutscher Englisch spricht, man hört eben, dass er Deutscher ist.

Wenn deine Theorie stimmt und der musikalische Akzent an die Muttersprache gebunden ist, dann müsstest du am Bass ja einen deutschen Akzent haben …

In gewisser Weise habe ich den. Bach ist immer da! Bei den Deutschen ist es die barocke Musik und gerade Bach, was den Kontrapunkt angeht, der größte Einfluss der immer mitschwingt. Es war auch ganz toll, das letzte Konzert, das ich jetzt vor meiner Abreise am Sonntag gespielt habe – ich hatte Sonntag früh noch ein Konzert! –, das waren die Bachianas von Villa Lobos, dann bin ich hier angekommen und wir sind ins Bach-Museum gegangen. Das begleitet mich einfach irgendwie. Ich versuche auch ab und zu, die Cello-Suiten zu spielen …

Oh, die mag ich sehr gern! Ich höre wenig klassische Musik, aber wenn, dann Bachs Cello-Suiten. Ich habe das Gefühl, dass sie irgendwie den Geist aufräumen.

Die sind einfach technisch … Die sind für ein Instrument geschrieben, haben aber eben doch einen Kontrapunkt!

Spielst du auch Cello?

Ich spiele sie auf dem Bass, die gibt es auch im Bass-Schlüssel. Bach war es relativ wurscht, worauf man sie spielte …

Das waren damals eh alles Gamben, meinst du?

Genau, und so richtig hat sich Bach auch keinen Kopf darum gemacht, wer sie nun spielt. Aber noch einmal zurück zu der Sache mit dem Akzent: Ich war auf einem Kindergeburtstag und sprach dort mit einem Radiodirektor, zu dem ich gesagt habe, Mensch, es wär‘ doch toll, wenn hier in São Paolo mehr Jazz käme im Radio. Und er meinte, ist ‘ne gute Idee, mach doch mal ‘nen Pilot! Und ich habe zu ihm gesagt, dass ich so einen furchtbaren Akzent habe, aber er meinte, das wäre vielleicht gerade lustig. Also habe ich den Piloten, den ich selbst moderiert habe, aufgenommen. Der Radiodirektor fand ihn toll und sagte, komm mal her, wir reden da mal drüber! Du kannst ihn nämlich leider nicht moderieren, man versteht kein Wort! (lacht) Er wollte dann einen Moderator vom Radio, aber wenn die keine Ahnung von Jazz haben, ist das auch nichts, dann bringen die alles durcheinander. Also haben wir beide gesucht und letztendlich einen Bassisten gefunden, der seit über sechzig Jahren beim brasilianischen Fernsehen arbeitet, mit achtzig Jahren spielt der immer noch in so einer Fernseh-Band! Der hat sich interessiert, und da er auch eine tolle Geschichte hat, habe ich ihn dann einmal die Woche da und wir nehmen eine Sendung auf. Das ist etwas, was mir wichtig ist, dass Jazz mehr präsent ist.

Ist das ein Privatsender oder ein öffentliches Radio?

Privat.

Ich frage, weil ich gehört habe, dass es in Brasilien viel mehr staatliche Jazz-Förderung als bei uns geben soll …

Es gibt Fördergelder, das ist aber ganz ähnlich wie hier. Ich habe mir neulich gerade mal hier in Berlin einen Förderantrag angeschaut, wie das funktioniert und so, und das ist genau so wie in Brasilien, dass man eben für ein konkretes Projekt, die Aufnahme einer CD oder so, Fördergelder beantragen kann. Was aber stimmt ist, dass es in Brasilien viel Geld dafür gibt.

Ich hatte immer die Vorstellung im Hinterkopf, dass sich Brasiliens Kulturförderung nicht nur um die sogenannten hohen Künste kümmert, sondern auch um die populäre Kunst, Unterhaltungsmusik und so.

Das Problem in Brasilien ist, dass die Medien wirklich sehr, sagen wir mal: populistisch sind. Die verkaufen ein Image von Brasilien, das eigentlich ziemlich traurig ist, ziemlich billig. Die Musik aus Brasilien, die man hier in Europa hört, ist im Grunde ganz furchtbar!

Ich glaube, das letzte, was ich bewusst gehört habe, war Bebel Gilberto …

Das ist dann aber schon die bessere Variante. Sonst gibt es eher so was wie Daniela Mercury, das ist dann so mehr Pop. Manches klingt im Grunde auch wie Reggae. Mit ganz schlimmen Texten. Für das Kulturministerium ist Kino und Musik eines der wichtigsten Exportgüter, denn es werden sehr gute Filme gemacht – und eigentlich auch sehr gute Musik! Leider ist es so, dass die meisten Musiker dann nach Amerika oder Europa ziehen. Wahrscheinlich leben mehr brasilianische Musiker außerhalb Brasiliens als in Brasilien.

Und spielen dann oft auch keine brasilianische Musik mehr.

Doch, oft spielen sie diese noch. Ich habe gerade neulich jemanden kennengelernt, der schon seit vierzig Jahren in München lebt und dort brasilianische Musik macht und immer schon gemacht hat. In Brasilien gibt es ja auch diese nationale Vor-Bossa-Nova-Musik, Choro, traditionellerweise Chorinho genannt, eine brasilianische Erfindung, die zum Teil noch mit klassischen Instrumenten gespielt und auch teilweise improvisiert wird. Das ist eine rein instrumentale Musik, die sich um 1870 aus einer interessanten Mischung aus europäischer Tanzmusik und afrobrasilianischer Musik entwickelte. Aktuell gibt es in Brasilien eine Chorinho-Welle, die die jungen Leute wieder begeistert.

Nach Bossa Nova bzw. Neo Bossa also Chorinho nuovo … Bei uns gab es 2008 zum fünfzigsten Geburtstag des Bossa Nova eine Riesen-Bossa-Welle, aber der Chorinho ist noch nicht wieder rübergeschwappt.

Musst du mal auf YouTube reinhören, da sind auch ein paar ganz bekannte Sachen dabei, die du sicher auch kennst, zum Beispiel dieses Tico-Tico no Fubá von 1943. Das hat 1976 sogar Charlie Parker aufgenommen, eine ganz bekannte Melodie! Die Chorinho-Renaissance ist auf jeden Fall schon in Frankreich angekommen. Frankreich war komischerweise schon immer eine Art „Auffangbecken“ für brasilianische Musiker, die studieren in Frankreich, bleiben dann dort und spielen ihre Musik. Es gibt aber auch Musiker, die zurückkommen, und in Brasilien dann die französische Variante ihrer Musik vorstellen, das ist schon interessant!

DSC05145-300dpi

Ich werde auf jeden Fall mal reinhören! Kommen wir aber mal zu deinem Album selbst, wir haben jetzt so viel über brasilianische Musik geredet, aber noch überhaupt nicht richtig über Handmade. Ich gebe zu, dass ich persönlich ein bisschen gebraucht habe, in das Album reinzukommen, mich hattest du erst mit dem vierten Stück, diesem odd-meterigen Lorca. Das angezerrte Bass-Solo darauf finde übrigens ganz ich toll! Was ist das eigentlich für ein Effekt, der da drüber liegt?

Gitarren-Distortion und ein Octaver, der den Bass zwei Oktaven nach oben hebt. Das war eine Sache, die im Grunde während der Aufnahme entstanden ist, zwischen Schlagzeug und Bass. Wir haben dem Pianisten nicht gesagt, was wir da vorhaben, ich habe das ganz normal eingespielt. Und im Studio ist das ja ganz einfach, es dann zu verzerren. Er hat zuerst ziemlich geguckt, als er es gehört hat, fand es aber hinterher ganz toll.

Man muss ja auch den inneren Jimi Hendrix mal rauslassen … Ich mag aber auch das nächste Stück, Too Much, sehr gern, besonders den Groove! Der Titel geht ja auf einen Ausdruck von deinem Lehrer Charlie Banacos zurück …

Ja, der Charlie hatte einen recht großen Einfluss auf mich. Ich war ja erst in Boston und habe ihn besucht. Danach habe ich sogenannte Correspondence Lessons bei ihm genommen, das heißt, er hat Übungen nicht nur aufgeschrieben, sondern auch auf ein Tape aufgenommen und mir zugeschickt. Ich habe sie dann geübt, das Ergebnis aufgenommen und zurückgeschickt. Wir haben vielleicht einmal pro Monat so ein Tape hin und hergeschickt. Als ich dann fest in Boston war, habe ich dadurch gleich bei ihm studieren können. Charlie, der leider schon verstorben ist, war eine Person, die unheimlich spirituell war und eine gute, positive Ausstrahlung hatte. Er wohnte außerhalb von Boston, man musste einen Zug nehmen – und Boston im Winter war wirklich manchmal meterhoch verschneit! –, ich bin also mit meinem Bass eine Stunde mit dem Zug gefahren und dann noch einmal zehn Minuten durch den Schnee gestapft und kam dann in sein Studio. Dort hatte man dann dreißig Minuten Unterricht, aber man ist hinterher rausgekommen und war wie: Yeah! Er war einfach so positiv! Und er machte auch immer kleine Späße. Zum Beispiel war vor mir normalerweise ein anderer Student da, und ich habe im Vorraum gewartet und dem anderen noch zugehört. An einem Tag war es aber ruhig, also klopfte ich an die Tür, in der unten eine Hundeluke eingelassen war, und plötzlich geht die Hundeluke auf und Charlie ruft „Hey, man!“, um mich zu erschrecken. Das waren so seine Späße. Und „Too much“ geht darauf zurück, dass er, wenn man gut gespielt hat, eben „too much!“ rief.

Also im Grunde ein Kompliment. Gratulieren kann man dir auch zu deinem Mut, auf deine CD noch eine komplette viersätzige Suite zu nehmen, was auf den ersten Blick recht ungewöhnlich scheint. Den ersten Satz The Drums, bevor die Band einsetzt, finde ich dann auch schon etwas sehr special interest, das ist schon ‘ne harte Nummer, aber The Piano gefällt mir wieder unheimlich gut, das ist sehr sexy! Die ganze Suite experimentiert mit – für den westeuropäischen Hörer – untypischen Metern. Was reizt dich so daran, beispielsweise eine Blues-Melodie auf eine ungerade Taktzahl zu verteilen?

Naja, das war so, als ich das komponiert habe, hatte ich auch gerade mit meinen Schülern Übungen in allen Tonarten gemacht, da gibt es eine Seite, wo ich alle zwölf Tonarten durcheinander aufgeschrieben habe, ganz aleatorisch ohne Verbindung zueinander, und mit dieser Seite übe ich auch immer. Und plötzlich dachte ich, eigentlich ist das ein Blues. Zwölf Töne, zwölf Takte, das ist ein Blues. Und dann habe ich angefangen, über diese zufällig verteilten Tonarten eine Melodie, einen Kontrapunkt drüberzuschreiben. Dann habe ich mir gedacht, jetzt schreibe ich auch noch einen zweiten Kontrapunkt dazu, und irgendwann war dann das erste Stück fertig. Die anderen Stücke kamen dann wie von allein, denn ich dachte, wenn man etwas für Schlagzeug geschrieben hat, muss man auch den anderen ein Solo geben. Das Bass-Stück habe ich aber komischerweise nicht am Bass geschrieben, sondern richtig auf Papier auskomponiert. Und das Pianostück ist im Grunde ein harmonisierter Blues, weshalb dann einfach die Idee da war, mal zu gucken, was man mit einem Blues machen kann. Das war komischerweise alles schnell geschrieben. Normalerweise schreibe ich langsam. Wir waren aber zu einem Festival eingeladen und wollten das dort spielen, also habe ich schnell gemacht.

Die CD wurde ja auch unheimlich schnell aufgenommen: innerhalb von nur zwei Tagen!

Ja, in acht Stunden insgesamt, zwei Tage à vier Stunden. Das war eine unheimliche Rennerei, denn der Pianist war gerade in der Jury bei einem Klavierwettbewerb, und der Schlagzeuger lebt in einer anderen Stadt. Als er gerade vor Ort war, weil er hier Unterricht gegeben hat, hatte er mal kurz Zeit, also machten wir das dann mal. Das war wirklich eher wie eine Sache für mal so nebenbei. Das hat dann auch richtig gedauert, die CD zu mixen! Als ich sie aufgenommen habe, empfand ich, dass wir live wesentlich besser spielen. Ich habe wirklich ewig gebraucht ehe ich die Muse hatte, mich da erst einmal durchzuhören und alles zu mixen, aber als sie dann fertig war, war mit einem Mal alles okay. Wir haben sie also schnell aufgenommen, aber es hat gedauert, bis sie dann fertig war. Was man auf der CD hört, ist auch zum Großteil jeweils der erste Take. Wir haben von allen Stücken zwei Aufnahmen gemacht, weil wir schnell gespielt haben, aber … Ich arbeite oft mit Aufnahmen und muss immer wieder feststellen, dass es oft so ist: In dem Moment, in dem man das Stück zum ersten Mal spielt, setzt man sich damit auseinander. Wenn du es dann wieder spielst, fehlt dir der entscheidende kreative Kern. Das erlebe ich ganz oft.

Ich hätte jetzt geglaubt, man wird besser und besser, je mehr Versuche man hat und je mehr Zeit man sich lässt …

Auch bei Aufnahmen, für die du eine Woche Zeit hast – das habe ich jetzt gerade in Rio erlebt, da hatten wir eine Woche Zeit um etwas aufzunehmen, mit einem Gitarristen, der hat da ein großes Studio, das war ganz toll – aber oftmals waren auch da die ersten Takes die kreativsten. In dem Moment, wo du sagst, mach es noch mal, das können wir besser: Wiederholen von Jazz (macht ein verneinendes Geräusch).

Weil die Naivität des ersten Mals weg ist?

Naja, bei bestimmten Sachen kommt man dann einfach zu so einem Punkt, wo man anfängt, immer das Gleiche zu spielen. Da spielt man dann schon mal die gleiche Einleitung für sein Solo. Wenn man es aber zum ersten Mal spielt und sich vielleicht auch gar nicht unbedingt so viele Gedanken dabei macht, kommt oft etwas dabei heraus, was man so noch nie gespielt hat.

Der improvisatorische Moment ist dir also wichtiger als Perfektion. Vorhin hast du erwähnt, dass du das Bass-Stück der Suite gar nicht auf dem Bass geschrieben hast. Wie ist das generell bei dir? Orientierst du dich viel an Bass-Spielern oder lieber an anderen Sachen?

Ich höre ganz wenige Bassisten, ich höre tatsächlich lieber Saxophonisten. Mein Lehrer Charlie Banacos war Pianist, und ich selbst habe viele Geiger als Schüler. Wenn man Improvisation unterrichtet, setzt man voraus, dass der Schüler sein Instrument schon spielen kann, denn er lernt hier keine Technik, sondern wie man improvisiert. Man lernt zwar auch im Jazzstudium Technik, denn im vorangehenden Klassikstudium hat man sein Instrument erst auf eine klassische Art und Weise spielen gelernt, aber bei der Improvisation geht es darum, dass du die harmonische Struktur eines Stückes verstehst und später dann Sachen darüber spielen kannst, die eine bestimmte Färbung hervorrufen. Man geht erst einmal die Organisation eines Stückes durch, sagt dem Schüler beispielsweise, hör dir mal an, wie es klingt, wenn du das von der ersten oder von der dritten Stufe ab spielst. Es geht darum, dass sie erst einmal sehen, was sie für Möglichkeiten haben. Unter meinen Schülern sind Bläser, Pianisten – aber komischerweise wenig Bassisten. Vielleicht gibt es wenig grundlegenden Bass-Unterricht, vielleicht liegt es daran.

Mittlerweile hast du ja sogar Online-Schüler, denn du gibst Online-Improvisationskurse. Basiert das auf deiner Erfahrung, wie du mit Charlie Banacos Tapes ausgetauscht hast?

Genau. Ich habe das schon lange gemacht, bevor die in Berklee offizielle Online-Kurse angeboten haben. Die Idee ist ganz einfach: Du machst ein paar Übungen mit einem Schüler, lässt ihn ein bisschen spielen und siehst erst mal, wie weit der ist. Dann schickt der dir das per E-Mail …

Ach, das läuft gar nicht über Skype oder eine andere Live-Schaltung?

Nein, als Videodatei. Die gucke ich mir auf meinem Monitor an um zu sehen, wie der spielt, manchmal spiele ich auch mit, und dann kann ich ihm sagen, an welcher Stelle er ein bisschen mehr dazugeben oder wo er bestimmte Sachen vereinfachen muss. Das funktioniert ganz gut. Wobei natürlich so ein Live-Unterricht besser ist, weil wir da in einer Stunde Unterricht wirklich fast eine Stunde lang spielen. Da gibt es dann die Übungen und wir sagen, spielen wir mal! Denn es dauert immer eine ganz schöne Zeit, bis du theoretisch verstanden hast, welche Sachen in deinem Spiel auftauchen.

Lass mich zum Abschluss noch mal auf deine CD, insbesondere auf die Suite am Ende deiner CD, zurückkommen. Wenn man sich die Liner Notes ansieht, die du dazu geschrieben hast, liest man, dass dein Album mit einem verminderten G7-Akkord endet, „der alles offenlässt“. Möchtest du den Hörer damit anregen, selbst über eine mögliche Weiterentwicklung nachzudenken?

Das ist jetzt mehr eine philosophische Frage. Man kennt ja die Geschichte von Mozart, der einen spielen hörte …

… den, der den Akkord nicht auflöst? Ich kenne die Geschichte mit Bach. Sein Sohn sollte ihm zum Einschlafen etwas auf dem Cello vorspielen, und sobald der dachte, dass sein Vater jetzt schliefe, hörte er mitten im Stück auf. Bach sprang aus dem Bett, stürzte erst ans Cello, löste den Akkord auf, und verprügelte dann seinen Sohn!

Ich kenne es so, dass Mozart bei irgendeinem Fürsten eingeladen war und im Nebenraum jemand Klavier spielte. Und dieser jemand hörte auf der Dominante auf zu spielen. Mozart lief schnell in den Nebenraum und führte das Stück zur Tonika zurück.

Scheint ja eine Art musikalische Urban Legend mit austauschbaren Protagonisten zu sein!

Jedenfalls endet der Blues aber immer dominant und löst sich nie auf. Dabei kommen die Leute, das merkt man auf Konzerten, damit nicht klar, die warten nach dumm-dumm (singt zwei Dominanten) auf domm (singt eine Tonika).

Das heißt, wir sind schon so versaut von dem Tonika-Dominante-Subdominante-Tonika-Schema des Formatradios, dass uns alles darüber hinaus schon stresst?

Ach nein, darauf wollte ich gar nicht hinaus. Für mich ist so ein offenes Ende einfach eine philosophische Sache. Im Leben ist es ja auch so, man weiß ja nie, was noch kommt. Daher denke ich, dass das ganz gut getroffen ist. Das war mehr ein Zufall, dass wir das Ende nicht aufgelöst haben.

Also kein konzeptioneller Verweis auf das potenzielle Folgealbum …

Nee, nee. Wobei … Vielleicht! Manchmal läuft so was ja eher unbewusst. Und wenn ich jetzt so drüber nachdenke: In gewisser Weise hast du Recht. Wir hatten nämlich ursprünglich noch einen Song mehr aufgenommen, der mit auf das Album sollte, den ich dann aber nicht mit draufgenommen habe, weil ich gesagt habe, den können wir besser spielen. Der hätte die Geschichte im Grunde auch aufgelöst, da fehlt hinten jetzt noch ein Stück, das stimmt schon. Wir haben aber jetzt live so viel gespielt, dass wir auch schon das Repertoire für eine neue CD zusammen haben. Ich habe aber vor, da noch ein paar weitere Mitmusiker einzuladen. Ich werde das Trio zwar in seiner jetzigen Form weiterführen, aber für die CD hätte ich gern noch weitere Musiker. Ich habe zum Beispiel ein paar sehr gute Schüler, die sehr eigen spielen und wirklich Persönlichkeit haben. Und natürlich würde ich auch gern jemanden Bekannten einladen, wie Branford Marsalis.

Darauf bin ich schon sehr gespannt! Erst aber einmal danke ich dir für dieses Interview.

Handmade Cover

Handmade ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz am 12. Juli 2013 bei Mvh-Music erschienen. Sie wird in Kürze auf fairaudio.de als Platte des Monats August vorgestellt.

9. Juli 2013

Popular music from bygone eras. Kat Edmonson im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 11:01

Kat Edmonson gehört einer schützenswerten Spezies an. Wo andere junge Sängerinnen dem neuesten Trend hinterherjagen, um baldmöglichst berühmt zu werden, macht sie eigentlich alles falsch, was man auf dem Weg zum schnellen Ruhm falsch machen kann. Sie schmiss ihren sicheren Platz bei American Idol – der US-Entsprechung zu Deutschlang sucht den Superstar hin, um 2009 in Eigenregie ihr Debütalbum Take To The Sky aufzunehmen – eine Sammlung ihrer Interpretation von Great American Songbook-Klassikern wie Summertime, Night and Day oder Just One Of Those Things.

Anscheinend hat Edmonson mit ihrer unpopulären Entscheidung dann aber doch alles richtig gemacht. Ihr Debüt erreichte einen Platz unter den Top 20 der Jazz-Charts in Billboard, und bald schon wurden die Country-Größen Willie Belson und Lyle Lovett auf sie aufmerksam, die gemeinsam mit ihr auftraten. Mit Lovett ging sie sogar auf Tour, wo sie das Vorprogramm des Stars bestritt – und jeden Abend vor tausenden Leuten gemeinsam mit ihm das Duett Baby It’s Cold Outside sang. Der Song schaffte es auch auf die aktuelle Platte Lovetts. Hiernach fühlte sich Kat Edmonson endlich selbstbewusst genug, ihn zu fragen, ob er nicht auf ihrer neuen Platte singen wolle. Er wollte. Das Duett Long Way Home gehört zu den Stücken ihres neuen Albums Way Down Low, auf die Kat Edmonson besonders stolz ist, denn es stammt aus ihrer eigenen Feder. Es war tatsächlich ein langer Weg nach Hause, aber, wie die sympathische Sängerin im Interview verrät, „es wird mit jedem Jahr besser“!

KLangverführer sprach mit Kat Edmonson über erste Einflüsse, die einen nie verlassen, über die Popmusik vergangener Zeiten und weshalb die auch für heute genau richtig ist, wo ein Wettbewerb allein ob des lautesten Masterings zu herrschen scheint, weshalb es nicht funktioniert, wenn man versucht, etwas anderes darzustellen, als man ist, und warum sich die Sängerin darauf freut, endlich dreißig zu werden.

1.1_Kat_Edmonson01

Klangverführer: One of the songs on your new album is called I Just Wasn’t Made for these Times. Listening to the music on Way Down Low and especially your vocal style, one could really start to believe that he’s listening to a record of his father’s or even grandfather’s collection … What’s the story of your fascination with these retro sounds?

Kat Edmonson: It’s the first music that I came to know. I learned music through old movies that I’ve been watching and the songs that were written for these movies that would later become the American Songbook, Harold Arlen and Cole Porter and George Gershwin and all these great writers, and of course all those artists like Fred Astaire, Gene Kelly, Bing Crosby, Frank Sinatra … And I fell in love with the songs. So that was my first influence and your first influence never leaves you. It will stay the most prominent. My mother was a single mom, working all the time; and she needed something to preoccupy me, so she would put a VHS on and I would sit and watch it. And I was enamored with them, so it worked!

There’s even not a single electronic sound on Way Down Low – and sometimes you even go without any drums, like on Lucky. Why did you decide to make a purely acoustic record and how to you try to make it accessible to the younger audience who is used to electronic dance music from the radio and the clubs?

Let me reply to the latter question first, how do I make it accessible: I believe that if you try to be something that you’re not, then people will realize it. It never worked for me. When I’m honest, I have the most access. I feel fortunate that a lot of magical things have happened, that the musicians I have met in my life, some really famous musicians that I admire, like Lyle Lovett or Willie Nelson, have shown me their support. They appreciate what I’m doing, musically, because they feel it is authentic. I made an acoustic record because it mirrored where I was at that time. My next record will have electronic instruments on it. It won’t be like Dance, Techno or anything like that, but it may sound more … modern, if you will. But I think anyone will argue that it’s going to be very retro sounding, I can’t stray from that, it’s the music that I love the most: popular music from past eras.

Is there also any contemporary music that you love?

I’m not listening too much to the mainstream radio, actually. The only thing I’m … well, not the only thing, but … I was really into the Gotye song that recently came out, a really cool song called Somebody that I need to know, and then I always love checking out whatever Radiohead is doing, whatever Björk is doing, but she’s not mainstream. And a lot of old artists came out with new albums, so I buy them: Paul Simon, Paul McCartney, Tom Waits, Bob Dylan … You know I’m a bit of an old folkie. It’s a bit embarrassing, but it is what it is.

And it’s even kind of hip, considering the folk-pop revival … it’s a giant wave! You have all these guys with their beards looking alike and stuff … But let’s keep talking about I Just Wasn’t Made for these Times that we’ve just touched on in the first question. This song is one of the few cover songs on your new album, more precisely, it was written by Brian Wilson and Tony Asher for the Beach Boys in 1966. What kind of connection do you have with the Beach Boys, musically speaking?

Well, that Beach Boys album was one of the first albums that I’ve got. In fact, I think it was the first CD I’ve ever received as a gift, when CDs came out. Until then I used to listen to tapes, and I will never forget my first CD, it was Beach Boys Greatest Hits, I think it was called Made in the USA. I listened to it constantly and then I really got into Pet Sounds

… the Beach Boys album from 1966 …

… the year when the Beatles came out with Yesterday and Today in the States, and Paul McCartney was obsessed with it! I loved the album and never really stopped listening to it. And then, one day I was sitting all by myself, listening to the album again and I heard the songs and then I … completely knew it! It was like it spoke to me. I heard it and I never felt so strongly about … covering a song. I felt I needed to express my interpretation because I felt I could have written it, I identified so much with it feeling like I’m in the wrong era.

1.3_Kat_Edmonson03

I believe Brian Wilson wrote it to express he felt to advanced for his times … Is that what you are trying to say, too, or do you rather feel you would have better fit in the past times?

I think I was saying that I would better fit in the past times, perhaps, but the thing is what I’ve learned through this process is that perhaps I’m perfect here in this time because I have a niche, you know, not many people are doing it. So perhaps that’s just right for me. And maybe no one would have noticed me if I were in Brian Wilson’s time or before that. That would have been a pretty tough competition. I mean, from what era would you prefer to be from? You’ve got Billie Holiday, Etta James, Frank Sinatra – all these fantastic singers, and I think I would have probably simply disappeared in the fog. So it’s probably better for me know.

You’ve just mentioned names like Billie Holiday or frank Sinatra … Do you think that these artists were better than nowadays artists?

They are definitely my preference. But indeed I tend to think that people were more musical, I tend to think that they were better on their feet … at improvising, going to play a live show. I think it took a lot more. I mean, in every era it’s just show business, people coming in and trying to do something with the trend, trying to get famous as quickly as possible – this has always been the case. Maybe the landscape is just broader now, and the speed is higher.

So it’s not something like a … let’s say: devotedness … that you miss in nowadays music?

No. Things that are popular now are super overt. It’s like … it’s loud. I mean, just on a technical side, when they master a CD these days they master it so much louder than they used to. It’s a competition of who gets the loudest track which can be heard from further away, you know? And the thing I love in the music that I make is that it’s very settled, full of nuance and I’m begging the listener to notice things. They might be hard to notice if you’re not listening, so I’m not necessarily making it easier for on self when it comes to marketingness, but what can I do? It’s like I said, trying to be anything else would make me come up like a fool.

Yeah, it’s all about authenticity … Well, apart from that Beach Boys song you recorded a version of Whispering Grass (Don’t Tell The Trees) which was written in the 1940ies and became quite popular in 1975 through the interpretation of Windsor Davis and Don Estelle – and of course through Ringo Starr who featured it on his album Sentimental Journey in 1970. What does this song mean to you?

Well, the version that I knew very well was The Ink Spots version, I think it was late-30ies. I know it became very popular as a theme song for a television show in England, but I never knew about that. I knew it as a song that The Ink Spots sang and that was very ambiguous, I really didn’t understand it. And The Ink Spots were the first band that I ever heard live. I saw these very old men play – and then, much later, I happened to run into this wonderful former head of Blue Note Records, named Bruce Lundvall, and he said you know, you should actually sing that song. And so I did. I did my own interpretation and Danton Boller, my bass player, arranged it. And he would have this (sings) bom-bom, bom-bom, which sounds very intensive, almost dark. So I totally went into that brooding, dark direction and instructed the band to play it as if it was a very cold, snowy, isolating experience. And this is what we came up with.

1.4_Kat_Edmonson_04_2013_c_Florence_Montmare

Well, lastly the Gershwin classic S’Wonderful lets the album fade away with a lively, almost cheery mood which kind of counteracts with the record’s folk pop spirit and especially that of the two preceding songs … How would you yourself describe the music on Way Down Low? Is it Folk? Is it Jazz? Is it Easy Listening? Singer/Songwriter? Something in-between? Something else?

I don’t know! I don’t know what to call it. It’s folk, it’s Jazz, it’s Acoustic Rock, it’s Pop, it’s Country … It’s popular music of bygone eras! You know, when they used to turn the radio on in the Fifties, you would hear a country song and a pop song on the same station. Even the very same song would be sung by a Jazz vocalist and a Pop singer, and you would hear a Folk singer as well. And it all kind of went together. And now, things are labeled differently, but those are my influences and that’s how it comes out.

Obviously you’re not an apologist of nowadays genres, sub-genres and sub-sub-genres …

Oh, I created my own genre called „Vintage Pop“!

Nice, I like it! And while we’re on the subject of like and dislike: I really do like Hopelessly Blue and I Don’t Know on your album. Do you have something like a favorite tune, too?

Thank you. My favorites keep changing every single time, but I love Hopelessly Blue. My friend Miles [Zuniga] wrote that song. We had one hour left in the studio – the session was already paid for, so we didn’t want to waste the time and that’s when we pulled out Hopelessly Blue. And I … I just love that song. I’m definitely going to record some more of Miles‘ songs on my next record.

Did he write Hopelessly Blue for you or did you do a cover version?

It was originally written for his solo records, but then he called me from the studio and said, I left it out because I hope that you would record it. And I didn’t think that I would get there, but in the last hour of the entire session I could finally say, oh good, we ca do it! And then I called Miles and told him that I did it, that we recorded it.

That’s amazing, because for me it’s the most touching song on the whole album, sad and heart-breaking just like a classic torch song … and that’s why I’m not sure whether to be glad about the mood-lifting and cheery Gershwin or to be a bit disappointed for it destroys the feel that Hopelessly Blue and the I Don’t Know reprise leave behind …

Well, I would have preferred the album to end with the I Don’t Know reprise, but Sony added S’Wonderful.

It actually feels like some sort of bonus track …

It is!

But though it’s not part of the actual album, I think I like the idea to dismiss the listener with this spirit-lifting song.

Of course, when you work with a team, you make some compromises and it’s all hopefully for your benefit, so it’s not how I designed the album, but I did record that song and it had to go somewhere, and I like the notion of a happy ending. I’m a romantic. And also an optimist. Regardless of how sad it’s getting and how incapable I seem to be, I always see the silver lining.

Did I get it right that only your album’s version for the European market comes up with this happy ending?

Yes, the American version ends with I Don’t Know. S’Wonderful is for Europe only – ‚cause you are so special! You get an extra track! (laughter)

I heard about people putting an extra track on the vinyl version to animate the crowd to buy them …

I’m usually recording so many songs that in the end I have to take something off in order to release a record … I didn’t release this album as a vinyl, but my previous album I did, and it was a labor of love. I also released it as 180 gram audiophile vinyl pressing, but you know, it costs so much money doing it! But as soon as I will have the opportunity releasing my current album on vinyl, I will.

I think it would fit your music like a glove and I would definitely think about buying one!

Thank you.

1.6_Kat_Edmonson_06_2013_c_Florence_Montmare

Moving towards the last question, there’s another very special song on it: I’m thinking of Long Way Home, a duet with Lyle Lovett. How did you get to know him and how did it feel to work with him on an song that you’ve written?

Huge honor! Massive honor! This is actually my first album to present my original music. My previous album was all covers. And it gives confidence to present my own songs. I wasn’t sure if they worked, but with every bit of participation from my band, from the listeners, my confidence grew. And to have Lyle want to come and sing that song with me was a great affirmation. He told me how much he enjoyed it in the studio what meant so much to me! He sought me out upon hearing my album and hearing me live …

Your previous album?

Take to the Sky, yeah. And he asked me to come to sing with him. In Austin we played a show for several thousand people, perhaps. At that time it was the most people I’ve ever played for! And … (whispers) I was so nervous!!! He ask me to sing Baby It’s Cold Outside, so we did it. And then, shortly after that, he asked me to go on tour with him and open for him, and every night we would sing Baby It’s Cold Outside. And then he asked me to record this song on his record, so … at that point I felt comfortable enough to ask him if he might record on mine. And he’s been a great friend and primarily mentor. He’s been such a great mentor to me, very generous with what he has.

Apart from him, do you have other heroes, maybe whom you have never met yet?

Oh, Tony Bennett! He really appreciates the song in the way that I do. Because the song – and the songwriters – is where my love of music really lies. It would make my whole life to meet him … and sing with him, maybe. And there’s tons of others. I had the chance to meet Eric Clapton. That was huge for me. I’ve become friendly with Willie Nelson, gotten to know him well. He’s very sweet and, again, another great songwriter! It doesn’t get any better than just meeting the people that I admire, that’s really my greatest aspiration.

Among your heroes – are there also women?

Oh, you’re right, everyone I mentioned is male. But I, I don’t‘ know, I’m almost more afraid to meet women, I don’t know why. Carly Simon – oh my Gosh! Barbra Streisand …

… Oh, I’ve just seen her show that she played here in Berlin a few days ago. Have you ever experienced her live?

No.

I think she’s seventy-one by now, and she has brought her son with her and her sister, she had a sixty man-strong orchestra, a big band, a huge choir … it was truly an overwhelming production.

Wow. She’s incredible.

Definitely! And she was playing a lot of songs from the American Songbook …

She knows the songs! And then, of course, Björk. She’s inspired me a lot.

Really? I don’t really seem to find access to her music …

I can understand. I’m more fascinated with her. Have you seen her MTV acoustic performance?

Unfortunately not.

If you can ever … I think you can watch in on YouTube, it’s MTV Unplugged …She has a crazy instrumentation and just beautiful arrangements of her songs. I love to see people that embrace their uniqueness. I still keep learning how to do it because that’s the thing I admire most in people. It could be in music, but anything and anyone in the world who has that is an inspiration.

I think to really accept your own uniqueness and not trying to be like others want you to be, you have to become thirty. The twenties are, especially for women, a time of great insecureness … It’s a long way.

Perhaps, and I’m turning thirty next year. People keep asking me if I become nervous on turning thirty, but – no! With every year it’s getting better. I don’t wanna go back.

1.0_Cover_Kat_Edmonson_way_down_low
Way Down Low erscheint in Europa am 12. Juli 2013

19. Juni 2013

When we fall in love we don’t decide, be it a song or a man. Yasmine Hamdan im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 07:17

Nach fünf Jahren Victoriah’s Music auf fairaudio.de und drei Jahren Klangblog auf Klangverführer.de – in der Blogosphäre ein nachgerade biblisches Alter –, insbesondere angesichts der Tatsache, dass befreundete Blogs wie Musik am Montag reihenweise an der Erkenntnis „Musik gibt es jedenfalls mehr als genug; es ist eher die Zeit, die das knappe Gut ist“ resignieren –, ist zwar einerseits mein Jugendtraum von Musik ohne Grenzen wahr geworden – andererseits hat die schiere Musikmasse mittlerweile solche Ausmaße angenommen, dass der unbearbeitete CD-Stapel unhörbar geworden ist.

Musste ich am Anfang noch um Zusendung des gewünschten Rezensionsexemplars betteln – fairwhat? Klangwas? Kenn‘ wa nich, bemusta’n wa nich –, ist die Anzahl der (vor allem unverlangten) Zusendungen an Promo-CDs zur Freude von Deutscher Post und Benno-Regal-Produzent IKEA auf ein Vielfaches des Erwarteten gestiegen. Ein bisschen wie mit „Töpfchen koch“ und dem süßen Brei, oder „Walle walle“ und Zauberlehrling. Bei mir flutet es auch, und zwar silberne Tonträger. Man soll eben aufpassen, was man sich wünscht, es könnte wahr werden. Denn wo ich früher tatsächlich noch jedes Album, das mir ins Haus geschickt wurde, gehört habe, um zu entscheiden, ob das was für meine Leser ist oder eben auch nicht, bin ich mittlerweile gezwungen, eine Vorauswahl zu treffen, was überhaupt gehört wird. Und die geschieht, so oberflächlich das nun einmal ist, vor allem anhand des Covers.

Ya Nass der libanesischen Künstlerin Yasmine Hamdan gehörte ursprünglich nicht zu dieser engeren Auswahl. Nicht nur, dass arabische Popmusik bis auf wenige Ausnahmen nicht so unbedingt meins ist – auch das Cover erinnerte mich ungut an die harmlosen R&B-Liedchen von „Perserkatze“ Jasmin Shakeri. Aus diesem Grund lehnte ich auch die Anfrage zum Hamdan-Interview erst einmal ab. Wie gut ist es dann, wenn es Promoter gibt, die für ihr Produkt wirklich brennen! Okay, es gibt auch welche, die brennen, einen überreden und dann ist die Musik schlecht – denen vertraut man dann aber auch nur genau dieses eine Mal. Uta Bretsch ist nicht so eine. Sie akzeptiere zwar meine Ablehnung, schrieb sie, doch würde ich mich hinterher sicherlich ärgern, führe einen die Stimme Yasmin Hamdans doch „direkt in eine andere Welt“. Damit hatte sie mich. Dazu kommt noch, dass ich fest daran glaube, dass man nur Dinge, die man nicht gemacht hat, bereut – und nicht solche, die man gemacht hat.

Also habe ich Ya Nass rausgekramt, reingehört – und es hat mich umgehauen! Es geht nicht einmal so sehr um die Musik, obgleich die auch sehr angenehm ist, es geht um eine Jahrhundertstimme, so speziell wie vielleicht die von Lana Del Rey oder Gemma Ray. Die Assoziation zur Perserkatze ist dann auch gar nicht so falsch, denn Yasmine Hamdan klingt wie eine faule, satte Katze, die gerade ihren Kater zum Frühstück verspeist hat, mokant grinsend und sehr sehr sehr zufrieden, dunkel, rauchig und immer einen Tick zu spät um auf den Punkt zu sein, und ein bisschen Scheiß-egal-Attitüde schwingt auch immer mit. Ya Nass ist sogar noch eine Spur lazier als die Musik ihres ehemaligen Indie-Electro-Pop Duos Soapkills, dass die französische Presse nicht grundlos als „Trip hop à l’orientale“ beschrieben hat. Kein Wunder, dass Yasmine Hamdan mich ein bisschen an Martina Topley-Bird erinnert – und auch ein bisschen an Claudia Brücken. Und ebenso wie letztere für eine ganze Generation von Männern als der Inbegriff der kühlen Diva gilt, vergleichbar höchstens einer Marlene Dietrich, wird auch Hamdan von der arabischen Welt als eine Art subkulturelle Ikone der elektronischen Musik verehrt.

Auch das nicht ohne Grund. Wofür sie mit Soapskills Duo-Partner Zeid Hamdan den Grundstein legte und was sie mit Madonna-Produzent Mirwais im Rahmen des Projektes Y.A.S. weiterverfolgte, kommt auf Ya Nass zu voller Blüte. Und die kann auch mal darin bestehen, allzu Überproduziertes über Bord zu werfen und sich wieder ganz aufs klassische Songwriting zu besinnen, alles etwas herunterzufahren und einfach relaxter angehen. Nicht ganz unbeteiligt daran ist Co-Schreiber und Produzent Marc Collin, der sonst mit dem Kult-Kollektiv Nouvelle Vague sein New Waviges (Un-)Wesen treibt. Wo Yasmine Hamdans Melodien eher einen Folk-inspirierten, zutiefst romantischen, verträumten und intimen Ansatz verfolgen, kleidet Collin sie in seine elektronischen Vibes, die vom Sound seiner gigantischen Sammlung an Vintage-Synthesizern wie dem Roland Jupiter 8 oder dem Chroma Polaris dominiert werden, dabei aber nie Hamdans Stimme und Erzählhaltung aus dem Auge verlieren. Einen tiefenentspannteren Produzent kann man sich wohl kaum wünschen. Und auch eine tiefenentspanntere Platte, die jedoch mitnichten in seichten Chill-out-Gefilden dümpelt, wird man diesen Sommer kaum hören, so ätherisch, losgelöst und vor allem un-de-chiffrierbar wie die Musik der Cocteau Twins, deren einziger Zweck nach Max Goldt die „unbedingte Erzeugung von Pracht und Eleganz“ ist, kommt Ya Nass rüber. „Es war“, erzählt Yasmine Hamdan im Interview, „wirklich sehr smooth und harmonisch im Studio“.

Was sie sonst noch so zu erzählen hat, wobei der Bogen von den klassischen arabischen Sängern der sogenannten Goldenen Ära über Fragen der Identitätsfindung bis hin zur Darstellung der arabischen Welt in den westlichen Medien gespannt wird, steht im folgenden Interview. Vor allem geht es aber immer um die unbedingte Liebe zu bestimmten Liedern, mit der es sich verhalte wie mit der Liebe zu einem Mann: Wer liebt, trifft keine bewusste Entscheidung, es passiert ihm einfach. Wir trafen uns Mitte April in einem atmosphärischen Café voller Bücher nahe des Berliner Ensembles, wo auch schon mal der ein oder andere nette Hund unter dem Tisch herumliegt.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Klangverführer: You have been quite successful with the Lebanese indie electro-pop band Soapkills and after that with the Paris-based electronic music duo Y.A.S. What made you start your solo career?

Yasmine Hamdan: I don’t see it like a solo career. It’s my first, let’s say, solo album – but it’s a journey. Soapkills and Y.A.S. are part of the journey, part of my getting to know more and better what I want in music, what I wanna do. So after Y.A.S., I wanted something that was more intimate, resembling more what I was; and in the voice, in the songs I wanted something more acoustic. So I started working on this idea, and then I met Marc Collin, the producer – I mean I knew him before, but then I went to see him with some demos, and we started to work very … very step by step. I like to work on drafts, like … I have the melody, but I don’t always have the final lyrics when I start recording. I have some structure, but I like to keep it open, because when we are in the studio – anything can happen. So this is how we started working on this album.

You’ve just mentioned Marc Collin of Nouvelle Vague who has co-written and produced your new album Ya Nass. How did this cooperation actually come into existence?

Well, I met him in maybe 2005 or 2004 when he was working on the Nouvelle Vague project and I was starting to work with Mirwais, so we didn’t really … We tried some stuff in the studio but we said we’d postpone it. And four years ago – five years later – I came back. We were still in touch, we had dinners and we went to parties together, but not always meeting. And when I knew exactly what I wanted, I went to him – and he was perfect, because we had so much fun in the studio and he’s a very inspiring person because he trusted my intuitions and he trusted me. So we never really had conflicts when we started working. It was really smooth and harmonic.

Did you already live in Paris at that time?

Yes. I started to be on and off in Paris … I think in 2002. I left Beirut in 2002. I wanted to come to a bigger city, meet musicians and enlarge my world, and because I did this degree in psychology I wanted to pursue my studies – which I didn’t. But in the beginning I came as a student. I started to study psychology in Beirut, and parallely I had my musical career going on. And … you know, I was born in the middle of civil war. So through all my childhood I was living between many different countries and cities, like Beirut, Abu-Dhabi or Kuwait. And then my family and I came back to Beirut in the Nineties because of the end of civil war, and I stayed in Beirut from the Nineties to 2002. Then I moved to Paris.

And you still live there …

Yes, but I travel a lot and I go back to Lebanon a lot. I can say that I don’t see a lot from Paris and I can also say that my apartment is my country, because I spend a lot of time in solitude or with my boyfriend – I spend a lot of time in my space.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Let’s talk about your new album. On your self-titled solo debut from last year you were using folk songs from Lebanon, Egypt, Palestine, and Kuwait. Now on Ya Nass, the melodies and lyrics are inspired by the attitude of the classical Arab songstresses from the so-called “Golden Age”, and in addition, there are some interpretations of rare old songs, like In Kani Fouadi that was originally recorded by Egypt singer and actress Leila Mourad …

Well, it’s not exactly that. When I start working … I nourish myself before. I need to get in touch with a lot of things that inspire me. So I collect a lot of old music and I listen to a lot of music. And when I started to work on this album, I knew that I wanted to do some cover songs because I fell in love with these songs – it’s like I have crushes on a song and I feel like it was written for me! And I take all the freedom to re-appropriate the song. So I knew exactly that there were some songs that I wanted to sing though it’s sometimes challenging for the voice. The melodies in these songs can be extremely sophisticated – and it’s also challenging for me to take them somewhere else. And also sometimes it’s challenging for me to bring them from a past when they had something like a social or a political layer. So I knew that I wanted to sing some of these cover songs– but completely transformed. Sometimes my version has nothing to do with the original. But these artists, they are my …

Heroes?

No! Rather my big … my inspiration, my love. You know, I fall in love with artists, I get obsessed with them, I live with them. And they live with me – in my house (laughs). So I have this part on the album. The other part is my compositions. Here it’s different. I have to get in touch with myself in order to write the lyrics or to find the right words or to find the right ways to the words and to find the right meaning to articulate the self. So for me, melodies are very easy. I can grab them easily. But the lyrics are more difficult to find. It’s another part of the work, so I really have to write the songs and know why I’m writing them and therefore get in connection with my desires and myself. In this moment I have to try to be sincere and coherent of what I want. So I try to make a balance within the album between some of the cover songs that are inspirations from the past and some of the new ones. In my melodies, there are things that are more pop, or more … for example, a song like Samar is more Indian …

Yeah, it really sounds a bit Bollywood!

… and Deny for example is something … I wanted something really grave and a little bluesy.

It indeed sounds a bit like Southern Jazz – to be honest, it’s my favorite track on the album!

Oh, thank you!

When you put the CD into the player and hear those guitars and your rich throaty voice, you really start to believe that you’re listening to a Cassandra Wilson album – despite the Arabic lyrics!

Thank you. You know, what I feel I’m lucky with is that I can understand and speak many dialects because I lived in the Gulf so I have access to the Gulf music, to the Iraqui, Kuwaiti dialect and it’s different! I also have access to the Palestinian dialect – I live with a Palestinian guy –, the Lebanese, the Egyptian … I live with a lot of old Egyptian music … And you can feel the difference without knowing Egyptian, because some words sound different in the different dialects, and even the fluidity or the rhythm in the lyrics is different because I change the dialect. I’m very lucky to have so many choices. And because I have desires to try many different things, there is something very exciting about the idea that it’s a very raw material.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

You have just explained that you were trying to find a balance between your own compositions and these kind of cover songs of the old Arab tunes …

Well, you wanna know how I do that?

No, I’m just wondering … in the context of these old songs …What’s the story of your fascination with the veteran sounds?

Well, you know, when I started with Soapkills, I was singing in English, in the beginning. And I struggled about what I wanted to be, the choices I wanted to make and the life I wanted to have. You know, I was in Beirut, end of the Nineties, end of civil war … It was a very special moment at this time because you lived in a city where half of it was destroyed and you don’t know why. And you are from a generation that’s having ruptures. I didn’t have a clear answer to what was my identity, where I came from, because I have lived in many places and I didn’t feel really that I was at home. So, at some point, all of this made me … got me a passion. Through this music, through discovering these artists, I started to discover people that I would identify to, culturally and artistically. So I started to research these people and I started to find my own leaders and to feel how I could create my own narratives and my space. This was where my … let’s say: desire … went. It came to me naturally. I started to listen to the first woman which was Asmahan, and Asmahan has incredibly beautiful songs and an incredibly beautiful voice – and she also has very edgy songs, because she was a … very edgy woman! You can feel that in the songs she is performing. And from her I went on to others and others and others, so I started to have this big collection of old Arabic music. It really came naturally, I don’t know why!

Like … as a kind of spiritual home, maybe?

Yes. And also in the sense of a teaching context. I’m an autodidact. I never really learned music. I mean, I did – I spent three years in conservatory. But I could never be rational with it. So for me, these people initiated me. And part of the initiation or part of my experimentation or of my learning music was to go and find. For example, I would find myself in Damascus and go to a place where I knew they had old music and I would buy many cassettes and then I would come back home and listen, and then one of the musicians would give me something or open my eye or give me a desire, a desire to do things, and this is part of the whole process of initiation. Maybe … I think it’s a spiritual thing but I come out of it with something. You know, in my tradition, music was always oral music. It was not written music. It’s only started to be written in I think 1932 or somewhere in the Thirties, this was when through the Conference in Cairo the Arabs adapted to the international language of music. So we come from an oral culture. And some of the songs I sing – I never heard them on record. It was my grandmother who used to sing them for me. So I come from a place where music is a very … organic material.

In the sense of that it constantly changes and everybody adds something to it?

Sometimes, yes. And also I think it’s alive.

Is keeping the old songs alive something you are aiming at?

It’s not a strategy. It’s normal. It’s part of my desire to bring these people alive – for me, they are alive!

So you’re not pursuing any educational intentions …

No. Like I said before, it’s not a strategy. It only comes from … hope. You know, these people gave me hope. Sometimes I feel like a passeur … a passeur de cultures. And I think all artists are like that. Actually, every human being is like that – I mean, you’re like that to your children, you are like that to your family, you are like that to your world, and it’s a normal thing. It’s life!

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

You just mentioned that in the beginning you were singing in English. I have just come across another interview with you where you are quoted to have said, singing in Arabic later for you has been “a statement“ …

Well, I don’t know if I used the word „statement“. But let’s say, for me, I have been searching for something and I found it when I used the Arabic language. Like, I was a bit confused about my identity, having lived in so many places and not really feeling anywhere at home. And singing in Arabic was also very taboo when we started Soapkills because it was not cool. And also, there was no underground scene. So we were one of the first bands to do anything that was not socialized with what was happening. For example when I started to sing in small bars and other very little places, it was not very common to have performance places. And singing in Arabic for me was very important because it’s a statement by itself, but I didn’t do it for that. I could sing in English, I could sing in any language … but for me it was where my feeling, where my being was. That’s why I started to sing in Arabic. Because it felt right.

So it was kind of a personal decision because it gave you the freedom to express yourself just how you were and find your identity and not because you wanted to change the image of how the Arabic world is portrayed into something more positive?

It’s not this or that. It’s both. On the one hand: It didn’t exist and I felt so thrilled by the idea of being part of something that would change, that would initiate changes. And also, because I fell in love with Arabic music and it allowed me to express my emotions the light way. And when we fall in love we don’t decide. So this was like falling in love with a man. And also, because for me it was like an evidence. An evidence that I should sing in Arabic because this is where my voice is and this is where I come from and where my roots come from. And there’s something about it that has also a political meaning in the sense that it’s possible to propose, that there can be alternatives, open spaces of dialogue. So singing in Arabic is also like if you want to fight for something, if you feel this is the right fight. And of course it’s about what you have said about media and portraying Arabic culture. We are living in difficult times that can be very annoying – for both sides. When I watch the news and see how Arabs are portrayed, it can be very annoying. And sometimes it’s also very annoying how Arabs respond to this and how they argue. So I don’t feel comfortable with each … you see, I don’t think it’s this or that. In the Arabic world we’re living in changing times, things are going to progress and there are still many fights to be fought. And even I fight with myself to find the best way to be free. And this is a fight you’re having in yourself. It’s not about the outside world, it’s about yourself and what you think is right or wrong. It’s important that I come from a part of the world where changes are happening. In the Arab countries I think that a lot of artists think that now we are responsible … we have a voice and so we are responsible for what will happen. I think all artists feel that but of course I’m speaking only for myself.

Talking about identity … Your album contains a song called Beirut

Yes, Beirut is a song that contains the lyrics of Lebanese lyricist Omar el Zenni. Although he wrote them in the 40ies, for me it felt like it was about my story with Beirut. It’s very modern; one could think it’s talking about today. It mirrors a lot of how Beirut is today – but above all it says a lot about my relationship to Beirut. For me, it’s a love-and-hate affair. I’m more detached now. But it’s a very beautiful place, a very inspiring place – but it’s also an annoying place where lots of things I’m not okay with happened or are still happening, like for example a lot of corruption, things that I just don’t synchronize with and that create this love-and-hate thing. But a very beautiful thing about Beirut is that you can find these places where you can have a very special time, very special moments with very charming people. Another reason, or let’s say: one of the desires why I had to sing this song, too, was because it has a lot of emotional layers. It means a lot of different things to me.

Being a non-Arabic speaker, for me of course it’s almost impossible to reproduce these meanings. Let’s talk about that language barrier. I think the majority of your western audience doesn’t understand your lyrics. How do you compensate for this?

Well, I don’t think I need. Do you feel something?

I do for sure – but without the liner notes I don’t know what you are singing about.

Do you need to know?

That’s an interesting question. For me, your music, your record works. But would it work for everybody else?

I’m not sure. But let’s go to the rough. For example, if you take the Cocteau Twins … They sing in English but sometimes you get the feeling they would sing in their own language. And nobody’s asking or questioning. For me, it’s rather the emotion that is the most important thing. I never thought that Arabic language or language at all is a barrier. It’s not a ghetto. I fall in love with singers singing in Chinese or Pakistani or Indian … and even when I listen to English pop music or even German music that I listen to sometimes … I might not really have access to the meaning but I have access to the organic or to the vital … to the living thing that creates an emotion. So I rely on that a lot. When you can open your heart and create magic or be in the moment, you can find ways to communicate and people will receive your communication. It’s like a bottle you send in the Sea – somebody maybe will find it.

Because music is a universal language?

I think so! And you know, I think that Arabic people that listen to my music – they get the music in a different way. And the ones that don’t understand it – they get it in another way. And it’s okay. It’s different – but it’s okay with me. And it’s also for very different reasons that I love the songs I listen to. Some songs give me joy. Some have this melancholic aspect that I’m hooked on etcetera. It’s only accepting the complexity of the world we are living in.

I know you gotta hurry because tonight you are invited by indie duo CocoRosie to the Berliner Ensemble where Robert Wilsons Peter Pan that features CocoRosies music is on. Apart from the friendship – do you have any musical connection to the Casady sisters?

I’m not sure if I want to answer this because I don’t want it to sound … I don’t want to sound using because they are my friends and inspire me. And when a fried or a person is inspiring to you … you know, it can even be your grandmother who gives you change, who gives you hope, who gives you love … Maybe not everybody will function this way but for the way I live my life I constructed a parallel world I live in. A reality that is very linked to my emotions, my desires and the things I need, the people I need and the things that I especially identify to, where I feel inspired and happy. And so I try to be around people that are inspiring me all the time. In their work, in the way they are, in the cooking, in the reading, in the writing. So, these girls have been very inspiring to me and I love them.

6.0_Yasmine-Hamdan-Ya-Nass-Album-Cover

Ya Nass ist am 31. Mai 2013 bei Crammed Discs erschienen. Eine Rezension können Sie in der aktuellen Ausgabe von Victoriah’s Music auf fairaudio.de lesen.

16. April 2013

A certain will to be independent from clichés: die Dirty Honkers und ihr Futurist Retro Swing Tech im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 08:09

Schon einen Tag, nachdem wir uns mit Louise Gold zum Interview getroffen haben, stehen wir auch schon wieder mitten in Neukölln, denn auch die Dirty Honkers, vielen bekannt als Kings & Queen of Retro Futurist Electro, haben hier ihre Headquarters aufgeschlagen. Eigentlich hätten wir also gleich hier übernachten können. Indessen hätte dies Lina Liebhund um einen weiteren Versuch gebracht, den gestrengen Herren Polizisten in Schwarz, auf die sie aus welchen Gründen auch immer total abfährt, auf dem Alexanderplatz eine Streicheleinheit zu entlocken.

Leider wollten die Beamten auch diesmal nicht mit Lina kuscheln – doch Ersatz fand sich schnell in Gad Baruch Hinkis, dem musikalischen Kopf der Dirty Honkers, und auch Sängerin Andrea Roberts und Saxophonist Florent Mannant sparten nicht mit Streicheleinheiten. Vollends versöhnlich gestimmt war das Tierchen wieder, als es in der Honkers-Küche diesen tollen, deckellosen Mülleimer entdeckte – im Liebhund’schen Universum ein unwiderstehlicher Genuss, für den man Ärger mit seinem Menschen gern in Kauf nimmt.

Und während die drei Musiker und ich dem Hund abwechselnd leere Streichholzschachteln, gebrauchte Teebeutel & Co. wieder aus der Schnauze operieren, gelingt es uns nebenbei, über die Songs ihres neuen Albums Superskrunk zu sprechen, die sich oft aus den Live-Shows entwickeln, über die Berliner Electro Swing-Szene und den unbedingten Willen, sich nicht darauf limitieren zu lassen, und nicht zuletzt über das Superhelden-Image, das sich die Honkers kürzlich verpasst haben. Viel Vergnügen damit!


Honkerfied: Wenn Lina Liebhund nicht weiß, wie ihr geschieht, sind – v.l.n.r. – Andrea, Gad und Florent von den Dirty Honkers daran Schuld!

Klangverführer: When I first heard about you, the first thing that attracted my attention was your band name. I wondered – and I still do – what in the world made you name yourself “Dirty Honkers”?

Florent: I guess it was a little bit of a brainstorm. We started doing music before we had a name.

Andrea: Yeah, we started collecting a lot of words that we associated to, and „dirty“ was one of them, and the word „honkers“ sounded very cartoonesque and we were quite Swing-orientated and thought about cartooney music … And it also can mean „a big nose“ or „big boobies“, or the sound that a goose make – we have two saxophones and they really sound like ducks or geese.

Gad: And it’s a good combination– like, „Dirty Honkers“ is what we sometimes like to direct our sounds to, like a really explosive horn, like the horn of an old, loud car.

Listening to your new album, the first impression is: Oh, this is just another act riding on the Electro Swing wave. But soon the music turns out to be going beyond that and you hear vocal big band with a Rock’n’Roll attitude and techno beat, which is retro and futuristic at once and which I would describe best as “Swingtech” … How would you yourself describe your kind of music?

Andrea: Dirty Honkers!

Gad: Thanks a lot for the compliment, first of all! Well think, for a long time we used to describe our music as „Dirty Swing Tech“.

Andrea: Yeah, the vibe is sometimes more Swing, then we actually do have more of a Rock vibe in it, there are some songs on the album which have a surf vibe and really go away from the genre, so it also became tricky for us to just put a title on our music. Basically, we really like to take retro sounds and mix them with new-timey beats like techno or Drum&Bass …

Gad: You can also call it skrunk, skrunk music!

Florent: We develop the music rather from the stage than from the studio, always thinking about what we can do to make the concert exciting, to make it a really vibrant experience, and that’s why we always think of dance music, that makes a lot of sense.

Andrea: It’s a constant development because when we first started, we had a lot of songs, and then we found out what we really wanted to do: to make the kids dance. That was really a huge requirement. So the music definitely went a bit in the direction of electro and techno so we could create songs that the kids will move their hands and shake their heads to, pretty upbeat music.

Which makes it quite difficult listening to it in your living-room! Talking about Electro and Techno, your music sounds, at least to my ears, very metropolitan – not to say, very Berlin. Which role does this city play for the way you sound or for the Dirty Honkers, in general?

Gad: It’s hard to say how Berlin influences us. I think mostly it just influences us in the sense that we can do our thing here, that we can be ourselves. And maybe because each one of us can be more his- or herself, the combination between all three of us is less influenced by Berlin, you know? Because Berlin is so very much letting you be who you actually are you are less influenced by Berlin. Like, if I imagine that something like this would happen in London, for example, then maybe we would – because we would be forced to fit into the scene because it’s so hard there – sound more like London. But because we live in Berlin, each of us can really bring his or her own influences and create something that doesn’t sound like anything else for us.

Does that mean that Berlin, compared to London for example, gives you a unique artistic freedom by letting you be who you are?

Gad: I would say it’s freedom on an individual level for us to bring our own influences, but we definitely do have a relationship with the German and in particular with the Berlin Electro Swing scene. I think we helped a lot to bring Electro Swing into Germany before it was popular here.

Andrea: I definitely think that the fact that Berlin is not an expensive capital city definitely plays a role on the freedom you have. You don’t have to push yourself in a certain genre and can afford to be more experimental and more open. But there are definitely small vibes of minimal techno that you hear on songs like for instance „Party People“, and minimal techno definitely comes from the Berlin techno scene – you can hear it in all the clubs … So I would definitely say that Berlin, at least unconsciously from hanging out in clubs, influences the sound that we make.

Florent: Well, I think Berlin has influenced us in a way … for me personally, I grew up here for ten years, and when I first came here I really discovered a wide spectrum of how you can make music. I think Berlin has this very strong call of musicianship. All levels, all backgrounds, street musicians, very high-end musicians, there is really everything here. And it also clashes together very intensely. And I think this also brings this wide range of sound and music and inspiration you cannot find everywhere. In summer for instance, in Berlin you have music everywhere, outside, inside, late, early and this naturally influences us.

Andrea: Plus, on a show aspect level, we have a bit of a Punk Rock attitude that’s coming out of Berlin, kind of „Ach, scheißegal, let’s get drunk“, this kind of party vibe that you can do what you want. When my brother came here from Canada he was like, wow, I’m drinking a beer on the street – it’s a huge thing! Canada is really strict about this, you can get in jail. And here you can feel like you can party all hours to, whatever, eight in the next morning, and this kind of brings this Punk Rock attitude into your stage vibe, like „I’m partying in a cellar, in a dirty club and it’s ten o’clock in the morning, I’m pretty drunk“, you know? It’s not so detectable in our music but in the stage attitude.

Gad: Maybe an interesting point is that there is this contrast in the electro scene and in the live scene, whereas the electro scene is very, very specific, divided into sub-genres and sub-sub-genres, and you can’t go too wild in that. But, in contrast to the live scene which is very free and displays a more Punk Rock attitude by letting people do interesting things, the electro scene influenced us in the way that we all come from that scene individually and it’s a good place to come from.

Your first hit song was “Gingerbread Man” from your first album, an almost “classic” Electro Swing track. The songs of your new album sound much more freaky, overexcited, and, yeah, simply “superskrunk”. What has changed, musically speaking, and why?

Florent: I think „Gingerbread Man“ already stands out on our first album if you listen to the whole thing, it has more Electro Swing sounds …

Andrea: Yeah, more of a pop vibe …

Florent: It’s definitely more poppy with that Jazz guitar …

More acoustic!

Florent: True. But meanwhile due to the fact that we played a lot we play a lot of big sounds. We came to develop the sound towards larger audiences, you know, we tend to play late shows and big parties, and that influenced the way we develop our music. We still have the playfulness of our acoustic side, but the sound is cultivated differently.

Andrea: We’re really sensitive to our audiences, we roll with the punches here for we are very flexible people. We love to make music and we still have the same instrumentation, but if we’re playing at two in the morning or at midnight in place of a live show at nine or ten o’clock, then you have to conduct yourself a bit differently. We are doing more and more of this late-night stage shows where people expect some freaky fun dance music, so we went into the direction that we like to dance on stage ourselves. Our set is quite dynamic; it starts a bit more songey, then it’s going quite techno in the middle and at the end it’s a big mash-up of party-hardy music … So our new album is definitely party music.

Talking about your musical roots, I think Gad’s lay in the Tel Aviv HipHop scene …

Gad: … and Rave! HipHop and Rave!

… whereas Andrea and Paul played Swing and Rock’n’Roll with the Berlin-based “Haferflocken Swingers”. What would you say, how does the musical background of each of you influence the Dirty Honkers?

Andrea: Just exactly as how it is, of course!

Gad: Definitely, I’m the one with sounds, like I bring a lot of rave into the whole thing, and hiphop with the rap, and Florent is definitely the jazzer, he brings rich harmonies, arrangements and improvisations … A lot of the songs come from Jazz and a lot of the themes we wrote were developed in the show by just improvising on something. And on this Album, Andrea has brought a lot of this Rock’n’Roll edge, that’s something she really pushed for.

Andrea: I like Rock’n’Roll – and Pop.

Gad: Yeah, she’s really on top of the arrangements, like getting everything not too much, like pop structures, coupled with her Rock’n’Roll attitude.

Florent: And, what is more, that we don’t come from the same places. That means from before we met we only shared specific influences. The only thing we really had in common was that we wanted to work around Swing. That was the base.

Andrea: I think another huge thing is that it’s not just about Swing music, it’s really about Jazz music where our music comes from, playing a theme together as well as going for the solo improvisations … It’s more like the soul of the music. We’re not just doing cliché swing. For instance, with the Haferflocken Swingers it was really like going to where Swing music came from, like New Orleans traditional Jazz, Blues, Dixieland, but more about the idea of how the music was played and not too much …

Gad: … more like the raw energy! And I think this energy is also very much in the Dirty Honkers.

Like you’re trying to extract the soul or spirit or energy of that music and translate it into something more contemporary?

Florent: Definitely. And also in the attitude and a lot of times in the groove itself we extract these old grooves, like just sampling a riff and putting it on a house beat.

Andrea: We like it when it actually swings.

Florent: But when it comes to production, we don’t use samples, that’s why we also sound kinda different. We actually record the horns by ourselves that we put on our beats.

Gad: And through the Swing network – Berlin actually has a big underground scene – we know a lot of musicians who are always happy to participate. We prefer to have a real musician playing on the track rather than using a sample. It’s more soulful.

Let’s move on to the subject of favorites. My favorite track on your new album is “Back to the jungle”, I like its oriental approach, and I like “Dirty Looks” for its laidbackness – is there one of the songs that you like best?

Andrea: I’m starting to become a pretty big freakin‘ fan of „Oh Doctor“.

Gad: It’s surprising, it’s refreshing – it’s the last song we did for the album. And it was a mess! We had it for a long time, this song, we had to re-arrange it for the album and it was like mission: impossible. But everything fit together in the end and now we are just so happy with it.

Andrea: It’s really retro, but it’s more than cliché Electro Swing. People that only know us from „Gingerbread Man“ are looking for that and will not find it. Maybe they are disappointed, but we don’t care, because we admit to the evolution of music and maybe the next album will be one hundred percent different from this one! Now, this is our second full-length album, and with every time that we play together or recording together we’re learning so much more about each other, or how the music works or how to record – it’s a huge learning process.

Gad: We have a certain will to be independent from clichés. So people who know us for Electro Swing – and don’t get me wrong, „Ginger Bread Man“ is a great track, but it’s not necessarily the music we want to be identified with. We have a lot more to say. And because this whole Electro Swing movement … I think it’s great, but it also puts limitations on the directions and on the way you do it. And we don’t want that. We want to keep some freedom. So that’s also why we take different directions, as a kind of statement, saying: We’re not what you want us to be. We are gonna be wild and we are gonna be experimental and we want to try to sound unique. And I think we do and I think this uniqueness is our strength.

I understand that being associated with a certain genre puts limitations on a musician, but I think for the audience, especially the younger one, Electro Swing is a great thing because it lets them discover some classics, for instance Ella Fitzgerald records which they probably wouldn’t have heard otherwise!

Gad: Yes, and I think Electro Swing is also nice because it connects to Swing dancing – and for me it’s also like a gateway for … first of all, like you said, for getting to know some of the roots of modern dance music, and secondly for changing the attitude that is going on on the dancefloor in the clubs. In Electro Swing, you can actually couple dance, or pretend to couple dance which is sometimes good enough but is something that was not done for decades! So this is maybe like a gateway to something else.

Florent: Yes, that’s a very good point, I also think. Because if you go to any club nowadays, people are dancing in their bubble, not paying attention to the other.

And it takes people away from this monotonous four-to-the-floor thing because it operates with off-beats and stuff. So I think it brings a bit more musicality into music.

Florent: Yes, it can be very musical! But again, it depends on how you do it, but it can definitely be very musical.

Andrea: This is the most important thing for us, I think we don’t want to be a too much classified genre because each of us has so many musical ideas from so many different genres that it’s impossible that they know where each of their ideas come from.

Gad: And only in the last year we have kinda decided with ourselves that we’re gonna try to get this balance of making music that people would want to hear but being true to ourselves and not being too much in this Electro Swing …

Alright, completely different question: If I look at your promo pictures, I experience style seems to play an important role for you. Can the Dirty Honkers be described as a kind of Gesamtkunstwerk, a total work of art?

Andrea: We’re definitely very do-it-yourself, D.I.Y. I’m making the costumes, Gad is producing the music and Florent is doing the graphics and the website. We’re not really hiring people to do our dirty work. So it’s that we really create this superhero vibe image by ourselves, come up with concepts and develop our image around it – though it changes quite often.

Talking about this superhero thing – do you enjoy slipping in this role from time to time?

Gad: Yes, but it’s not about creating a totally different alter ego but having our own characters – only bigger. This is the first time we really put on these characters with the pictures and the video. It’s actually the first time we’re going for this superhero thing. We will not go on stage and pretend to be someone who we are not – it’s always gonna be us, you know? Our real characters can always be identified on stage.

Florent: But yes, it’s definitely like a “Gesamtkunstwerk” because I think it’s far beyond only the music . We have a lot to show, so during the concert itself it’s not only about the music, definitely not. It’s like we interact with the audience. For instance, Gad made some custom-made joy sticks … There’s a lot going on in the show, and we are very aware of the impact of the image and we play with that, I think. We want the people to scream when we come on stage – we want to make it Hollywood-style, you know?! Hollywood-Las Vegas.

It must be therefore that the Dirty Honkers are kind of notorious for their live shows! Talking about the synthesis of arts … . You just mentioned that Gad has created some kind of a self-constructed joystick controls to generate certain special effects?

Gad: Basically it’s because I have to apply a critique on electronic music. If you want to play live – you need some instruments to do that. And the instruments that are on the market are not at all good for being in a live band, cuz it’s no instruments that you can hold and go to the public and play on. Usually it’s like a box.

Using a laptop on stage is not an option?

Gad: Oh, we have a laptop, it’s there. But I’m not gonna go behind the laptop and work on it during a live show! And even if it’s an instrument, it works like a laptop: It’s a heavy box with buttons and knobs and you can’t do anything with it! So taking a joy stick or a game controller is a cheap and easy way to do it. They are already built for control – you just gotta connect them to your computer and you can control basically anything you want!

It gives you the freedom to move.

Gad: The freedom to move – and I don’t have to look at its screen. I can make sound effects, or now I only started to play melodic solos, Andrea is controlling her vocal effects – there’s a lot you can do with a game controller! Florent now has a dance mat. We used to have a foot station with pedals and buttons, but that was way too heavy …

Florent: And it was much less fun than the dance mat. You can make loops, you can make effects … If we want, we can sound like a wall of sound, we can improvise …

Andrea: That’s when it comes back again to the spirit of Jazz music, of improvising … The controllers give us a lot of freedom to improvise and to have fun. It’s cool when you have this option.

And I think its playfulness is also a big part of it, isn’t it?

Gad: Definitely the playfulness! And I think in this band, we have in each category – the music, the image, everything – we have a lot of important subjects to say, but on top of everything, it’s just fun. We’re just about having fun. And having people together, having fun together – and lose your inhibition. I think one of the best compliments we have ever got is in our shows … we want people to dance … and the girls dance without noticing what’s going on, like completely losing themselves in music.

Florent: Amen.

Once again, talking about your live shows … You’ll be celebrating the album release on the 19th of April at Festsaal Kreuzberg. What can your audience expect?

All: Should we tell her?

Florent: I think we want to make it definitely special because we play in Berlin a couple of times in a year, that’s why it must be extra-special, for sure. So we are gonna have a couple of surprises like …

Gad: We’re gonna have guests. Beautiful guests.

Florent: Without being too detailed, because we want to save some surprises … It will be flashy.

Andrea: It’s gonna be flashy, it’s gonna be fun.

Florent: We will also be screening our latest video for “Static” on an big screen behind the band.

Well, we’re almost done. Is there anything left you would like the world to now?

Andrea: Be prepared to dance.

Gad: And give us all your virgin daughters!

Florent: Yeah, be prepared to be honkerfied.

Gad: Warm up your nipples …

Andrea: … it’s gonna be a honkin’ good time!

Superskrunk erscheint am 19. April 2013 – klar, dass das mit einer Superrecordreleaseparty gefeiert wird: Im Festsaal Kreuzberg in der Honkers-Wahlheimat Berlin. Gehen Sie hin, wenn Sie können!

7. April 2013

Musik für eine gewisse Ewigkeit: Louise Gold im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 16:20

Lina Liebhund, deren Umbenennung in Kira Chaosköter nur noch eine Frage von Tagen ist, ist nicht gut drauf. Anstatt ihrer Vorliebe für Männer in Uniform bei den nicht wirklich amüsierten Polizeibeamten auf dem Alexanderplatz nachgehen zu können, musste sie betreffs Streicheleinheiten mit dem weitaus willigeren Security-Mann der Sparkasse vorlieb nehmen. Louise Gold ist dagegen ziemlich gut drauf, als sie uns zum Interview in einer kleinen Café-Kneipe in jener Gegend trifft, die von Leuten, die sich für hip halten, immernoch gern als „Kreuzkölln“ bezeichnet wird, wo wir über das Debütalbum von ihr und dem Hans-Quarz-Orchester sprechen wollen. Ihren Humor verliert sie selbst dann nicht, als Lina zeigt, wie man mit einer einzigen beiläufigen Schwanzbewegung den Couchtisch elegant abräumen kann. Ich verliere meine gute Laune allerdings beinahe, als ich bei der Abschrift des Interviewbandes feststelle, dass manche Stellen durch ein ostblockagentenmäßiges Knirschen und Knacken nahezu unhörbar gemacht wurden – nämlich in jenen Momenten, als Lina während der Aufnahme versucht, unter dem Couchtisch hindurchzukriechen um sich von Louise streicheln zu lassen. Das tut diesem schrecklich charmanten Interview allerdings keinen Abbruch – und gestreichelt wurde Lina von Louise schlussendlich auch noch.

Lesen Sie über stilechte Fünfziger- und Sechzigerjahre-Sounds inklusive Elvis-Echo vom Band-Hall-Gerät, die Jazzpolizei, warum der Bossa Nova nun einmal Schuld und Debut, auch wenn es (auch) auf CD erscheint, eigentlich eine dem Albumkonzept folgende Schallplatte ist, erfahren Sie, was es mit dem Singenlernen durch Hören auf sich hat und begleiten Sie Louise Gold auf einer ihrer Bergtouren durch Südtirol, die ihr die Inspiration für eines iher Stücke eingegeben hat, dessen Hintergrundgeschichte man nie vermutet hätte, wie es da so locker im Easy-Listeing-Gewand daherkommt. Letzten Endes geht es nämlich auch bei Louise Gold um nichts Geringeres als die Besessenheit von der Idee, ein Stück weiter, ein Stück höher zu kommen als jeder andere Mensch zuvor. Und dort eine nahezu himmlische Ruhe zu finden.

Ein Stück weiter gegangen ist auch Freddy Mercury mit seinen symphonischen Rocksongs, die die Klanglandschaft der späten Siebziger revolutionierten. Von Louise Gold wird er als Songwriter und Entertainer zu dem Maße verehrt, dass sie auf der Vinylversion von Debut eines seiner Lieder covert – und zwar im typischen Retro-Bigband-Gewand von Louise Gold & the Quarz Orchestra. Sie als treuer Klangblog-Leser können ein handsigniertes Exemplar davon gewinnen – und zwar pünktlich zum Erscheinen des Albums am 26. April 2013. Weitere Infos dazu folgen später. Erst einmal aber viel Spaß mit dem Interview!


Das große Gähnen täuscht: Was Louise Gold zu erzählen hat, ist alles andere als langweilig!

Klangverführer: Ihr habt das aktuelle Album von Louise Gold & The Quarz Orchestra schlicht „Debut“ genannt. Wolltet ihr damit alles, was euch als Einzelpersonen bislang musikalisch ausgemacht hat, auf null setzen?

Louise Gold: Es hat eigentlich eher etwas damit zu tun, dass ich persönlich noch gar keine Platte veröffentlicht habe. Ich fand es insofern lustig, weil ich mittlerweile nicht mehr so superjung bin – dieses Debüt mit achtunddreißig war mir wichtig. Und bei Hans Quarz ist das ja im Grunde genommen genauso: Genau wie ich hat er auf ein paar Platten mitgespielt und ist auf ein paar Compilations vertreten, aber so eine richtige eigene Platte … Das ist für uns beide die erste, das heißt, „Debut“ ist wirklich unser Debüt! Außerdem ist es ja natürlich so, dass dieser Titel so auftrumpft, nach dem Motto: Debut – hallo, hier sind wir. Das war mir wichtig.

Es ist ja auch definitiv ein guter Titel! Du hast vor ein paar Tagen auf Facebook das Lob der, Zitat: „deutschen Jazzpolizei“ Jazzthing, gepostet. Die schreibt unter anderem, dass euer Album wunderbare Musik bietet und leider viel zu kurz ist. Ist es dir, als jemand, der vom Pop kommt, wichtig, auch von den Jazzern anerkannt zu werden?

(Überlegt) Ja klar, schon, absolut. Ich würde mich halt nicht als klassische Jazz-Sängerin bezeichnen, denn meine Kolleginnen, die ganz konkret aus dem Jazz-Bereich kommen und auch studiert haben, besitzen letztendlich technisch eine viel größere Versiertheit. Ich singe wirklich Pop-Gesang, ich improvisiere im Grunde genommen auch nicht. Ich improvisiere, wenn ich Songs schreibe, da versuche ich, verschiedene Melodien auszuprobieren und vielleicht auch noch in den Proben – aber live mache ich das eigentlich nicht, weil es mir auch gar nicht entspricht. Aber doch, natürlich ist mir das wichtig – ich arbeite mit Jazz-Musikern zusammen, und mir ist es natürlich wichtig, dass die akzeptieren und gut finden, was wir da zusammen machen! Andererseits finde ich es auch toll, dass es diese Fusionen gibt, dass ich mich dennoch nicht so sehr verändert habe in dem, was ich mache und wie ich singe, und der Hans eben auch nicht: Dann entsteht etwas dazwischen, etwas, das aus dem zusammengesetzt ist, was wir beide erschaffen.

Du hast gerade Hans erwähnt, und das führt mich dann auch gleich zu meiner nächsten Frage: Wie hast du eigentlich mit dem Quarz Orchestra, also vor allem mit dem Jazz-Posaunisten und Arrangeur Hans Quarz, zusammengefunden?

Das war ganz lustig. 2008 haben wir ja diese Band gegründet – oder eher eine Vorstufe dieser Band, denn das Ganze hat sich sehr entwickelt. Ich wurde Hans von einem anderen Musiker, der zu jener Zeit in der Band war und jetzt nicht mehr dabei ist, vorgestellt. Beziehungsweise, ich wollte mit diesem anderen Musiker, der Bassist ist, eine Band gründen, und der meinte, „Ich kenn‘ den Hans Quarz, das ist ein ganz toller Arrangeur und Posaunist“, ja, und so hat er uns zusammengebracht. Es hat dann auch gleich gefunkt, wir mochten uns sehr gerne und haben auch festgestellt, dass wir einen ähnlichen Geschmack und ähnliche Vorstellungen haben. Angefangen haben wir als Swing-Quartett, haben Jazz-Standards gespielt und wollten mit den Gigs ein bisschen Geld verdienen – über die Zeit hat sich das aber stark verändert: Hans und ich haben angefangen, eigene Songs zu schreiben, weil es uns ein bisschen langweilig wurde, dann sind die beiden anderen Gründungsmitglieder ausgestiegen, für die zwei andere kamen, sodass wir wieder eine Zeitlang als Quartett weitergemacht haben … Ja, und irgendwann wurde es eben dieses Sextett, wir haben festgestellt, dass wir gut zusammen arbeiten können, und es ist etwas Schönes dabei herausgekommen.

Wenn man eure Platte einlegt, ist das erste, was einem begegnet, dieser weiche Bossa-Nova-Klangteppich. Es gab ja vor etwa zehn Jahren mal eine richtige Bossa-Nova-Welle, die mit dem 50. Jubiläum des Bossa Nova 2008 wohl ihren Höhepunkt erreicht hat. Damals kam kein Stück Popmusik, das etwas auf sich hielt, ohne die brasilianischen Rhythmen aus. Danach ebbte die Welle aber ab, und in den letzten Jahren war vom Bossa kaum noch etwas zu hören gewesen. Und dann kommt ihr und macht eine Platte mit Bossa-Nova-Elementen … Warum jetzt?

Schuld war nur der Bossa Nova, fällt mir da ein (lacht). Mir ist es ehrlich gesagt gar nicht so aufgefallen, dass es diese Welle gegeben hat, wobei ich jetzt, wo du es erzählst, so ein bisschen etwas erinnere … Bei uns sind das auf jeden Fall in erster Linie musikalische Überlegungen. Wir haben ursprünglich Swing gemacht, sodass auch die eigenen Songs, die wir geschrieben haben, zunächst sehr Swing-lastig waren. Irgendwann habe ich gesagt, dass ich gern auch meine Popsongs einbringen will, damit das ein wenig aufgebrochen wird. Der erste Song von diesen Popsongs, den wir gemeinsam gemacht haben, war „If I don’t have love“, welcher dann zum ersten Song unseres Albums geworden ist. Jedenfalls: als Hans ihn arrangierte, fiel ihm auf dass da einfach kein Swing-Rhythmus dazu passt und wir überlegten, wie wir damit umgehen. In der Probe, als wir es zu dritt mit Florian, dem Gitarristen gespielt haben, ist dann aus der Situation heraus ein Bossa Nova entstanden, und ich fand das total schön! Insofern war es bei uns weniger eine konzeptionelle, sondern tatsächlich eine musikalische Entscheidung. Der Bossa passte zu dem Song, und dem ersten folgten weitere: „Tillerman & Comrade“ ist auch ein Bossa …

… der Song, von dem es euer erstes Video gibt! Schuld war also nicht der Bossa, sondern Schuld war der Hans!

(lacht) Kann man so sagen. Aber es ist natürlich auch so, dass wir beide totale Fans der Sechzigerjahre sind, und damals gab es nunmal sehr, sehr viele Bossa Nova-Elemente, bei Burt Bacharach und diesen Easy-Listening- Geschichten… Ist also durchaus auch eine Vorliebe von uns.

Hast du das von Zuhause mitbekommen, von den Platten deiner Eltern?

Die haben zwar viele alte Sachen gehört, aber lustigerweise eher Country. Sie waren totale Musik-Freaks, mochten aber eher Hank Williams oder Glen Campbell, der in den Siebzigern aufkam, aber auch die Stones und sowas. Mit diesem Sechzigerjahre-Sound habe ich mich dann selber beschäftigt, weil ich viele alte Filme gesehen habe, Musicals, in denen Jazz-Songs verwendet wurden. Klassik dagegen haben meine Eltern gar nicht gehört; das habe ich mir später angeeignet, als ich eine Zeitlang fast ausschließlich Klassik gehört habe und auch Pianistin werden wollte. Also, als eine von meinen zehntausend Ideen, was ich mit meinem Leben so alles anfangen könnte!

Als ich vorhin gefragt habe, warum Bossa Nova, hast du ja gemeint, es sei eine musikalische Entscheidung gewesen. Wenn man eure Platte hört, fühlt man sich jetzt aber nicht nur von der Musik, sondern auch vom Klang her in die 50er-Jahre zurückversetzt. Ich stelle mir vor, dass unsere Großeltern so etwas auflegten, wenn sie zu einer mondänen Dinnerparty mit Tanz luden … Ihr habt das alles sogar auf originalem Equipment aufgenommen, richtig?

Ja, genau. Wir haben bei den „Lightning Recorders“, so heißt dieses Studio in Berlin-Rummelsburg, das in der Nähe vom Funkhaus Nalepastraße ist, aufgenommen – und mit den Jungs haben wir auch schon eine Vorgeschichte, denn wir sind etwa 2008 das erste Mal in diesem Studio gewesen – aus praktischen Überlegungen, weil wir uns da zu viert reinstellen und einfach spielen konnten. Wir waren sehr gut eingespielt, weil wir unheimlich viel aufgetreten sind, und man musste dann nicht irgendwelche Overdubs machen, was alles unheimlich lange gedauert hätte, sondern konnte das aufnehmen und fertig.

Das heißt, es ist alles auf einer Spur? Also eine Art Live-Mitschnitt?

Im Grunde genommen ja, aber „Live-Mitschnitt“ wäre ein bisschen tiefstaplerisch. Die Toningenieure haben z.B. ein Bandecho benutzt, das heißt, die Stimme wird mit einem Band aufgenommen und dabei aber gleichzeitig mit einem anderen Band um Bruchteile zeitlich versetzt noch einmal hörbar gemacht und wiederum aufgenommen – und zwar ebenfalls in Echtzeit. Der Effekt, der dadurch entsteht, ist ein analoger Hall, ein typisches Fünfzigerjahre-Echo, das beispielsweise auch Elvis Presley verwendet hat. Ich find die Toningenieure bei Lightnings unheimlich toll. Man kann mit ihnen gut zusammenarbeiten, weil sie sehr gute Ohren haben. Die sind auch selber Musiker und kennen sich mit Equipment und Sound sehr gut aus. Mich hat beeindruckt, dass man sich da einfach so hinstellt, das aufnimmt, und dass es dann so gut klingt! So warm klingt! Klar, bei dieser Herangehensweise muss man natürlich die Aufstellung der Musiker besprechen. Du brauchst schon einmal einen halben Tag, bevor du weißt, wo welcher Musiker steht, damit der Sound eine Räumlichkeit hat, die funktioniert.

Wenn man die Stücke wie ihr in Echtzeit aufnimmt, heißt das ja auch, dass man im Nachhinein keine Chance hat, etwas nachzubearbeiten, außer vielleicht soundtechnisch …

Also, wir haben das fertige Band tatsächlich mastern lassen. Du kannst damit keine Einzelspuren bearbeiten, aber du kannst den Gesamtsound etwas anheben. Wenn jetzt aber einer einen falschen Ton spielt oder ich einen falschen Ton singe, könnte man das nicht mehr ändern. Das bedeutet, man macht normalerweise so fünf bis zehn Takes von einem Song.

Und zwar nicht wie heute üblich, nur von der fraglichen Stelle, sondern ihr müsst das Ganze dann von hinten bis vorn wieder und wieder durchspielen!

Ja, aber ich wollte das so. Uns allen war das wichtig. Dabei kommt es natürlich erstmal darauf an, dass Musiker aufeinander hören. Du bist so auch abhängig von dem anderen, denn wenn der das irgendwie vergrützt und wenn er es dann das zweite oder dritte Mal vergrützt, dann denken die anderen beizeiten: hey, jetzt konzentrier dich mal!

Ich stelle mir das gerade als Sängerin schwierig vor, wenn ich an den Spannungsboden denke. Kannst du den auch beim zehnten Mal noch aufrechterhalten?

Klar, irgendwann wird es dann schwierig. Man muss sich immer wieder motivieren und sich einen Untertext schaffen. Und es ist tatsächlich so, dass an solch einem Tag irgendwann der Punkt kommt, wo es dann nicht mehr geht. Wenn man den Peak erreicht hat, geht es wieder runter. Dann muss man sich eben für eine der Versionen entscheiden – oder man macht es am nächsten Tag noch einmal. Hinterher hören wir die Versionen dann gemeinsam an und entscheiden, welche die beste ist.

In einem demokratischen Prozess?

Naja … (lacht) Nee, ich glaube, ich bin da schon ziemlich genau, was meinen Gesang anbetrifft. Oder sagen wir mal so, was die Posaune und den Gesang anbetrifft. Die sind ja schon sehr prägnant, und wenn sich der Hans da jetzt total verhupen würde und ich mich irgendwie komplett versinge, dann geht das nicht. Dann muss man eine Version nehmen, wo dafür vielleicht das Piano nicht so euphorisch glänzt. Aber klar, wenn einer jetzt mit seiner Leistung überhaupt nicht zufrieden wäre, dann würde ich auch nicht darauf bestehen, dass wir das nehmen. Dann macht man’s halt nochmal.

Wo wir über Vintage-Aufnahmetechnik sprechen – euer Album wird nicht nur auf CD erscheinen, sondern auch ganz stilecht auf Vinyl, was heutzutage ja nicht unbedingt ein preiswertes Vergnügen ist. Ihr müsst ein besonderes Verhältnis zur Schallplatte haben, oder?

Ja, das haben wir mit unserem Label Skycap Music so abgesprochen, denn es war von vornherein klar, dass diese Musik absolut Sinn macht auf Vinyl. Gerade die Vinyl-Liebhaber sind Leute, die diese Art von Musik sehr gern mögen. Es sind zum Teil auch DJs – von denen haben wir schon viele Anfragen, dass sie das unbedingt spielen wollen. Macht einfach Sinn.

Außerdem ist es ja so, dass man sagt, dass die CD eine viel kürzere Lebenszeit hat. Wenn ich dann achtzig bin und irgendwelche kleinen Enkelchen vorbeikommen und etwas hören wollen und die CD existiert nicht mehr …! Man weiß ja nicht, was mit diesen digitalen Dingern passiert. Vinyl ist mehr oder weniger unkaputtbar, es sei denn, du kratzt drauf rum … Das hat so eine gewisse Ewigkeit.

Vinyl ist uns allen in der Band wichtig, damit sind wir ja aufgewachsen, mit den Schallplatten. Ich sag auch immer noch: eine Platte machen. Der Gedanke eines Albums ist auch auf Debut ganz klar zu erkennen. Die Song-Reihenfolge habe ich auch tatsächlich in Hinblick auf ein Album mit einer A-Seite und einer B-Seite ausgewählt. Die A-Seite schließt ab mit dem Instrumental „Lullaby of Moabit“, und die B-Seite fängt dann mit „Footloose Fancy-Free“ an. Find ich extrem stimmig und sinnvoll.

Das ist lustig, denn für mich persönlich kommt der Break ein Lied vorher, denn – auch, wenn man das einer Sängerin jetzt wahrscheinlich besser nicht sagen sollte – mir gefällt das Instrumental am besten und ab da gefallen mir alle Songs gleich beim ersten Hören, was ich von den ersten paar Songs nicht behaupten kann, da brauche ich länger zum Warmwerden …

Ach, echt? Die beiden Seiten sind schon sehr unterschiedlich – und es gibt darüber auch unterschiedliche Meinungen; viele mögen vor allem den ersten Teil.

Wo wir schon mal beim Stichwort „mögen“ sind – ihr kokettiert auf eurem Album mit Miles Davis’ „Fahrstuhl zum Schafott“, und bei „Boys are Heroes“ höre ich eine dezente Annäherung an einen James-Bond-Soundtrack … Seid ihr alle glühende Cineasten oder woher kommt diese Vorliebe für Filmmusikalisches?

Also, ich kann jetzt natürlich nicht für alle anderen sprechen, aber für mich und Hans. Ich weiß, dass er sehr filmisch arrangiert – und ich bin absolut ein Filmfreak. Ich habe vor allem Bilder im Kopf und ich beschäftige mich sehr viel mit Film.

Bleiben wir noch etwas beim Stichwort „mögen“: Mir persönlich gefällt auf eurem Album „Lullaby of Moabit“ mit seiner swingenden Retro-Solo-Gitarre am besten, dicht gefolgt von „Hush Hush Bolero“ und „Footloose Fancy-Free“, wo du klingst wie Ella Fitzgerald mit Big Band. Dazu zwei Fragen: Hast du auch einen besonderen Favoriten auf dem Album? Und: Wie muss man sich ein Wiegenlied in Moabit vorstellen? Irgendwie ist das der letzte Stadtteil Berlins, den ich jetzt mit Ruhe verbunden hätte …

Das kann ich dir gar nicht richtig beantworten, weil das Hans‘ Song ist, und zwar der einzige, den er auf diesem Album ganz allein komponiert hat. Ich vermute – denn ich weiß, dass er manchmal im Moabit probt –, dass er irgendwann nachts, wie das so seine Art ist, aus dem Probenraum kam und dort rumtigerte und dabei irgendetwas im Kopf hatte, eine Melodie, die er dann aufgeschrieben hat.

Die Frage nach meinem Favoriten auf dem Album finde ich total schwierig, ehrlich gesagt, weil das immer wechselt. Also … (überlegt) … ich würde sagen, um die Essenz zwischen dem, was Hans und ich gemacht haben, zu nennen, dann ist das „Boys are Heroes“, der mir vor allem auch inhaltlich sehr wichtig ist. Der Prozess, diesen Song zu schreiben, war sehr aufregend für mich, und ich finde, dass Hans etwas absolut Großartiges daraus gemacht hat von den Arrangements her, wie du gesagt hast, dieser James-Bond-Sound …

… du singst da ja auch etwas in der Art von „they turn wives into widows“. Sind die Boys in deinem Stück Kriegshelden, wobei „Helden“ hier durchaus verächtlich zu verstehen ist, denn was für Helden sind das schon, denen ihr Kriegsspiel wichtiger ist als ihre Familien?

Nein, das hat mit Krieg nichts zu tun. Sondern damit, dass ich schon öfter in den Alpen wandern gewesen bin. Ich mache das recht regelmäßig und dann auch immer gleich so eine Hüttenwanderung über mehrere Tage. Und beim ersten Mal – ich hatte vorher gerade den Film „Nordwand“ gesehen; es gibt ja da viele Geschichten gerade aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren, wo diese Bergsteigerei erst so richtig populär wurde –, meine Geschichte ist eigentlich genau so eine Story: Es geht um zwei Bergsteiger, die gehen in die Berge und lassen ihre Mädchen zurück im Dorf, und nur einer kehrt zurück. Darum geht es. Um diese Haltung, die oft bei jungen Männern zu finden ist, dieses testosteron-gesteuerte „Ich mach das jetzt“, ohne Rücksicht auf Verluste.

Der Song spielt auch mit der Frage, ob das etwas typisch Männliches ist und was Heldentum und Held-sein eigentlich bedeutet. Als ich auf dieser Hütte war, habe ich mit einem Bauern gesprochen, der seine zwei Söhne durch einen Absturz beim Bergsteigen verloren hat, das hat mich tief beeindruckt. Einerseits ist es so ein ganz sonniges Land, dieses Südtirol, charmante Leute, charmante Männer, die so eine bestimmte Art von Galanterie haben, die man hier nicht mehr oft antrifft, sehr traditionsbewusst auch. Andererseits haben sie einen seltsamen Stolz. Es gibt dort allerorts diese Erinnerungsmarken mit Aufschriften wie „Hier stürzte unser Sohn soundso in die Tiefe – zu Gott“. Für mich hatte das Ganze einen merkwürdigen Beigeschmack, weil es ja eben auch schön da ist.

Andererseits kann ich das auch verstehen, diese Besessenheit, etwas Bestimmtes zu erreichen, an einen bestimmten Punkt zu kommen der geografisch über allem liegt. Wenn man da oben auf dem Ortler, dem höchsten Berg Südtirols, ist – und jetzt nicht gerade mit einer Reisegruppe unterwegs ist –, dann herrscht dort die totale Ruhe, eine Ruhe über der Welt. Und wenn man dann über diese ganzen kleineren Berge schauen kann, gibt einem das natürlich auch so ein fast kindliches Allmachtgefühl. Das hat mir gefallen.

Vor allem auch eine Geschichte, die man jetzt nicht unbedingt hinter dem Song vermuten würde …

Für viele Mitteleuropäer geht es heute wohl darum, eine gewisse Spannung im Leben künstlich zu erzeugen. Weil es möglich ist. Und weil es uns an wenig mangelt.

Wobei das für mich eher eine Frage des inneren Reichtums ist. Wenn der vorhanden ist, muss ich mir keine künstliche Spannung von außen hinzuführen – ich denke jetzt an Leute, die Bungee-Jumping machen oder so … Also, ich verspüre dieses Bedürfnis überhaupt nicht!

Doch, ich kann das schon ein bisschen nachvollziehen. Ich trage auch so eine Tendenz in mir – aber ich stelle sie natürlich gleichzeitig auch in Frage.


Hans Quarz

Und „Frage“ nehme ich jetzt als Stichwort, denn zu dem, was ich vorhin gefragt habe, fällt mir noch etwas Drittes ein. Es ging ja um Lieblingsstücke und das ich eines so mag, weil ihr da nach einer gefühlten Bigband klingt, und ich frage mich: Wie habt ihr diesen unglaublich dichten Bandsound hinbekommen?

Bei vier Songs haben wir tatsächlich eine Bigband, und zwar bei „Boys are Heroes“, „Footloose Fancy-Free“, „Hush Hush Sweet Baby“ und – ach, das sind ja sogar nur drei! Da wurde unser Sextett zum Tentett, denn der Hans wollte in seiner Eigenschaft als Arrangeur natürlich Bläser, Bläser, Bläser! Wir treten in dieser Besetzung teilweise auch tatsächlich auf, und nach oben hin ist das erweiterbar. Es ist so gedacht, dass wir sechs die feste Besetzung sind, und dann, je nachdem, was wir machen wollen, kommen – gerade im Studio – noch weitere Musiker dazu.

Und der Sound auf den anderen Songs – das ist einfach das Talent von Hans! Der kann wahnsinnig gut arrangieren. Er sagt immer, also, eigentlich bräuchten wir ja viel mehr Bläser, aber er kann die Stimmen auch so setzen, dass es eine Dichte ergibt, wenn es an der Menge der Instrumente mangelt. Außerdem gehe ich davon aus, dass das auch etwas mit dem musikalischen Ohr jedes unserer Musiker zu tun hat: Wenn man aufeinander hört, ergibt das ein stimmiges Sound-Bild. Aber es stimmt, eigentlich sind das gar nicht so viele Musiker.

Wenn wir jetzt gerade die Lieder durchgezählt haben und auf drei Bigband-Stücke kommen, während ihr auf sieben anderen im Sextett spielt, dann ergibt das ein klassisches zehn-Song-Album. Ich weiß aber, dass die Vinylversion mit einem elften Track aufwarten wird …

Das wird eine Coverversion sein, und zwar „Don’t Stop Me Now“ von Queen.

Das ist spannend, denn das ist ja etwas völlig anderes! Queen im Bigband-Gewand! Warum gerade Queen?

Die Idee war eigentlich … Hans hat das Stück schon vor zwei oder drei Jahren für uns arrangiert, weil ich das gerne wollte, denn ich bin ein totaler Freddy-Mercury-Fan. Und weil ich finde, dass der ja auch sehr symphonisch komponiert hat, obwohl das Rock- und Popmusik war. Ich hatte totale Lust, dieses Lied zu singen – und vor allem, diesem Lied einen anderen, nämlich meinen Drive zu geben. Denn eigentlich ist das ja ein Testosteron-Song, so hey und wäh und so – und das mit ein bisschen Abstand zu singen, etwas entspannter auch, hat mich interessiert. Zwar schon zu sagen, ich will Spaß haben – denn genau das sagt „Don’t Stop Me Now“ ja aus: Ich will jetzt feiern“ und ich nehme mir jetzt alles“ –, aber dass man das vielleicht auch mit so einem Augenzwinkern machen kann anstatt sich an beiden Enden mit hundert Prozent Flamme abzubrennen.

Vor allem aber wollte ich dieses Lied singen weil Freddy Mercury für mich ein toller Songwriter und Entertainer war.

Auf jeden Fall ist das ein großer Anreiz, sich die Vinylversion zuzulegen! Wir haben vorhin ja von den Lieblingsstücken des Albums gesprochen, und es gibt noch eines, das ich total mag: diesen Schleicher „Any Human Heart“, der dann vollends wie das Cover eines Jazzklassikers aus den Vierzigern klingt und in jedem Realbook auftauchen könnte. Wie kommt es dass du dich nicht nur als Vokalistin, sondern auch als Texterin so sicher in dem alten Jazz-Idiom bewegst?

Das weiß ich nicht – das ist einfach so! An diesem speziellen Song hat Hans tatsächlich musikalisch einen sehr großen Anteil. Er kommt ja aus dem Jazz. Ursprünglich hatte ich ihm das Stück in einer Art Rockabilly-Version angeboten, vom Drive her, aus der er dann diesen Jazz-Drive gemacht hat. Und mit dem Text … Findest du das denn so …?

Naja, es gibt da diese Wendungen wie „come rain or come shine“, die so altmodisch und so typisch sind …

Ja, come rain or come shine … Da gibt es doch diesen Klassiker aus diesem Musical … (singt) „High as a mountain/deep as a river/come rain or come shine … Happy together, unhappy together” …

„St. Louis Woman“ von 1946“ … Der wurde in den Fünfzigern zum Standard und zum Beispiel durch Interpreten Sinatra oder Billie Holiday bekannt.

Ja, manchmal ist das bei mir auch so ein Zitat-Fimmel, einfach aus Spaß. Manche Wörter, weil ich eben viel Jazz gehört habe, kommen dann wieder und ich denke, hm, das passt da jetzt irgendwie gut rein. Ich finde das auch witzig, daraus so einen Mashup zu kreieren – oder ich bediene diese Elemente, um bei mir selber, im eigenen Flow, eine kleine Lücke aufzufüllen. Aber ich habe dafür keine Schule besucht. Ich schreibe Songs, seitdem ich vierzehn bin, und irgendwie hat es sich so entwickelt.

Ist denn Hans ´ Musik zuerst da, auf die du dann die Texte schreibst?

Nee, das ist unterschiedlich. Sehr oft ist es so, dass ich ihm etwas anbiete, mit Text, den ich immer selbst schreibe, und er verändert dann etwas. Bei „Hush Hush Sweet Baby“ zum Beispiel …

… das ist die Ballade?

Ja, bei der Ballade, da hat er sehr viel verändert in der Strophe. Der Refrain ist mehr oder weniger auf meinem Mist gewachsen, aber bei der Strophe hat er ziemlich viel Einfluss gehabt.

Das ist lustigerweise das einzige Stück eures Albums, mit dem ich überhaupt nicht warm werde!

Ach, echt? Ist halt eine Ballade …

Was ja auch völlig legitim ist. Aber ich finde da irgendwie keinen Zugang. Was schade ist, denn ich bin ein großer Freund der neun anderen Stücke. Darunter ist ja auch eine Coverversion, nämlich „A Zoot Suit For My Sunday Gal“, das 1942 von Wolfe Gilbert und Bob O’Brian geschrieben wurde. Es gibt viele berühmte Interpretationen davon, u.a. von den Andrews Sisters oder von dem legendären Bandleader Kay Kyser und seinem Orchester. Wie hat der „Zoot Suit“ seinen Weg auf euer Album gefunden?

Eigentlich war das so, dass ich mit Cherry Casino, der das mit mir zusammen singt, ein Duett machen wollte – aber wir hatten keinen Song. Dann habe ich so ein bisschen recherchiert – ich weiß gar nicht mehr, wer das angebracht hat, irgendeiner von den Musikern, und ich habe mir dann so eine Version angeschaut von Dorothy Dandridge und Paul White, da gibt es auf YouTube ein total süßes Video, wo die beiden sich schick machen und dann zum Rendezvous treffen. Ich konnte mir das sehr gut mit Cherry vorstellen und hatte auch gleich irre Bilder im Kopf falls wir mal ein Video daraus machen sollten.

Wir haben den Song ein bisschen probiert und ihm lag das auch. Und ich hatte mein Duett.

… da hätten ja Ella Fitzgerald und Louis Armstrong nahe gelegen …

Ja, wobei ich solche sehr naheliegenden Dinge meist auch ein bisschen langweilig finde. „Zoot Suit“ wurde zwar oft gecovert, ist aber trotzdem nicht bekannt, das fand ich reizvoll.

Auch im Sinne einer Wiederentdeckung für das heutige Publikum?

Ja klar. Ich finde, es ist in jedem Falle wert, Dinge neu und wieder zu entdecken, anstatt zum hundertzwanzigsten Mal dasselbe zu singen. Ich als Konsument würde mir das wünschen. Ich frage mich auch immer nach der Intention, wenn man Stücke wie „Girl from Ipanema“ zum hunderttausendsten Mal aufnimmt …

…was ja ein klassischer Bossa wäre!

Ja, aber er ist so derartig bekannt! Mir ist es auch wichtig, dass ich einen persönlichen Bezug zu einem Stück habe.

Wenn man eure Platte hört, klingst du von der ersten Silbe, die du singst, angenehm aus der Zeit gefallen – wie zu jener Zeit, als auch Schlagersängerinnen noch eine klassische Gesangsausbildung haben mussten (beispielsweise auf „Hush Hush Sweet Baby“, das auch von einer Gershwin-affinen Opernsängerin gesungen worden sein könnte) … Erzählst du mir zum Abschluss ein bisschen von deiner Ausbildung?

Ich habe gar keine, wirklich nicht. Ich habe sehr früh angefangen zu singen, aber ich habe das immer so gemacht, wie ich denke. Ich hab auch mit ganz anderen Sachen angefangen, nämlich mit Punkrock. Später habe ich viel Popmusik gemacht und hatte immer mal wieder ein bisschen privaten Gesangsunterricht – irgendwann hatte ich dann eine richtig gute Lehrerin, Eugenia Visconti. Ein paar Jahre zuvor hatte ich mit einem New Yorker Gesangslehrer gearbeitet – ja, ich habe mit vielen Leuten gearbeitet, aber nicht in einem universitären Rahmen. Ich würde schon sagen, dass ich zum größten Teil Autodidaktin bin. Ich habe halt viel gehört – habe mir unheimlich viele Sängerinnen angehört, und die, die mir gefallen haben, habe ich als Teenager und dann als junge Frau, imitiert, und daraus dann peut a peut meinen eigenen Stil entwickelt.

Louise, ich danke dir für dieses ausführliche und angenehme Gespräch!

Louise Gold & the Quarz Orchestra live erleben? Können Sie! Und zwar beim Record Release am 26. April im Roten Salon der Volksbühne Berlin! Sie können nicht dabei sein? Schade, aber notieren müssen Sie sich diesen Termin trotzdem, denn ab da steht Debut in den Läden oder bei Ihren favorisierten Online-Bezugsquellen bereit. Ein ganz besonderes Exemplar können Sie hier auf klangverführer.de gewinnen – schauen Sie dann einfach noch einmal vorbei oder abonnieren Sie den RSS-Feed vom Klangblog, der hält Sie ganz automatisch auf dem Laufenden. Bis dahin wird es auch eine Rezension auf fairaudio.de geben – in Form der Platte des Monats April!

3. März 2013

If you have something special, people will notice and spread the word. Retro-Soul-Sänger Allen Stone im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 16:33

„The only one who could ever reach me was the son of a preacher man, the only boy who could ever teach me was the son of a preacher man. Yes he was, he was, ooh, yes he was“, jubelte Dusty Springfield schon 1968, und man könnte meinen, sie hätte hellsichtig Predigersohn und Soulsänger Allen Stone im Auge gehabt, der von Kritikern und Fans einmütig als irgendwas zwischen neuem Messias und unehelichem Kind von Stevie Wonder und Amy Winehouse gefeiert wird.

Fakt ist, Allen Stone hat die Fähigkeit, Menschen glücklich zu machen. Diese Stoneifizierung des Publikums kommt vor allem in seinen Live-Shows zum Tragen, denn schließlich macht er seit Jahren nichts anderes, als Konzerte zu spielen, wo er nicht nur mit seinem mitreißenden Retro-Sound beeindruckt, sondern auch mit seiner einnehmenden Sonnenschein-Persönlichkeit. Zum Phänomen Allen Stone gehört natürlich auch, selbst wenn der Künstler das nicht mehr hören mag, der verblüffende Kontrast zwischen seinem blondgelockten, erzengelhaften Hippie-Äußeren und dieser seelenvollen Stimmkraft, die ohne Schwierigkeiten ihren Weg auf alte Motown- oder Stax-Aufnahmen hätte finden können.

Allen Stone ist eben ein Anachronismus. Moderne, computergenerierte Musik mag er nicht. Allen Stone ist aber auch ein wandelnder Widerspruch, der mit seiner Abhängigkeit vom schnell-noch-hundertachtundvierzig-Mails-Checken hadert uns sich sehr bewusst ist, dass die sozialen Medien für ihn Segen wie Fluch sind. Im Klangverführer-Interview verrät er, wie er über die Retro-Soul-Welle denkt, was die Faszination an den alten Sounds aus heutiger Sicht ausmacht und wann sich Musik eigentlich Musik nennen kann. Nicht zuletzt beantwortet er die von keiner Geringeren als Chantal de Freitas – die sich nicht nur selbst auf den Weg von der Schauspielerin zur ernstzunehmenden Sängerin gemacht hat, sondern auch Stones weltgrößter Fan ist – gestellte Leserfrage nach dem Geheimnis des Sounds im Wohnzimmer von seiner Mutter.

Da man Allen Stone aber nicht erfassen kann, ohne ihn – und seine unglaublich gute Band – auf der Bühne gesehen zu haben, gibt es hier auch noch das große Finale aus seiner Show im Berliner Lido vom 27. Februar 2013 zu sehen. Erst einmal aber viel Spaß mit dem Interview, zu dem wir uns nach Allen Stones Berlin-Konzert trafen.


Halb-taub, halb-betrunken, voll glücklich. Das Stone-Fieber macht auch vor Kritikern nicht halt.

Allen Stone: Did you enjoy the show?

Klangverführer: Definitely! I admit I was located too close to one of the speakers, so I’m kind of half-deaf now, but it was worth it!

Oh, I speak loud, I know … (laughs)

Anyhow, it was an amazing show! Is this actually your first time in Berlin?

The second. Yesterday we got the chance to go around and see a little bit of the city. Unfortunately, I lost my voice in London about two weeks ago and I’m struggeling to get back my falsetto, so I’ve been forced to rest. I wanna go out and party and have a good time, but everybody else makes me rest. They take care of me and make sure that I can sing.

Talking about singing … When you were 15 or 16, someone handed your first Stevie Wonder record to you. You are reported to have said: „Stevie Wonder is the reason why I sing soul music.” What’s the story of your fascination with Stevie Wonder?

Well, I think what I first heard in Stevie’s voice was his vibrato and how high he could sing. And I grew up singing pretty high, too. And I think it’s the spirit of his music. Like Stevie … if you’ve ever seen him, if you’ve seen interviews with him – he’s a very soft spirit, a very warm and welcoming spirit. And I think that drew me to him as well. Even if I’m on stage and having a good time, I’m very soft-spirited, I like that sort of energy.That’s what drew me to him in his music beyond melody.

Actually the New York Times recently headlined: “If you like Stevie Wonder – listen to Allen Stone!”, and indeed listening to your new album evokes the sounds of Motown and Stax, a bit of Stevie Wonder, Marvin Gaye and Curtis Mayfield. Why do you think are modern people so attached to these retro sounds?

I think it’s because that was when music was real. To me, the sixties and seventies were the golden era of music while nowadays computers have taken over music and made it possible to call yourself a musician without actually being a musician! A lot of sampling happens and a lot of stealing music, and there’s a lot less actual musicianship that happens on record now. Why I call the sixties and seventies with artists like Simon & Garfunkel, Billy Joel and Elton John the golden era of music is because I know it’s real, it’s actual musicians playing actual songs. Nowadays, I can’t even hardly listen to records because I don’t know if they’re real.

Do you draw any inspiration from nowadays’ music artists after all?

Oh, there’s plenty! I really love Jamie Lidell, I love Gery Clark Jr., I love Lianne La Havas, I’m really into The Dap Kings, Charles Bradley … There’s a lot of great artists nowadays that I really appreciate. But I had to see them live first in order to be proving that they were musicians.

So how do you feel about the state of modern pop music in general?

Some is really good, some is really bad. But that’s music always been in my opinion since the eightees … since that dico age and the glittery side of music started coming in, since the sexy side of music came in. Before that it was very much just the music. And seemingly the glittery side of music startetd the scheme, ever after there was sort of that side of pop and there was also the good side of pop, so it’s seemingly in a balance.

So you don’t see yourself on a mission to bring back the good side of pop?

Oh, yes, of course, but I’m not in any way shaped or formed delusional and thinking that I will. I just try to make music that I think people enjoy and that will make people happy.

Talking about soul music, I think caused by today’s high gloss production of modern R&B music on one side, by a glut of classic soul revivalists on the other side, a lot of people are fed up with soul music and don’t want to listen to it any more. It has gotten some negative connotation. How do you convince these people to see your show and buy your records and not make them think, oh, that’s just another soul revivalist …?

To me, the soul revivalist thing is more about production, like people dressing in the same way as they did in the fifties … That doesn’t make sense to me. Me and my band, we are just normal guys, we dress the way we are, our personalities on stage are the same than backstage … So for me, I think it’s just repetition. Going on stage every night and proving you give the best that you can. I think if you do that, then people talk about it. And if you have something special, then people will notice it and spread the word. And if you don’t, then you won’t have a career in a while!

It’s kind of a mouth-to-mouth thing?

That’s what it’s been so far! I mean, I din’t have a record out in Europe, just now I got a record out in Europe – and it’s my third tour in Europe. We sold quite a few tickets in Germany and in London, in Holland I sell a lot of tickets … It’s quite astonishing how many people know about my music without there actually being a product out for them to listen to!

That means that social media is playing a major role by making your music public?

Certainly.

I think you even dedicated one song to social media, Contact-High, which deals with today’s abundance of social media interaction …

You see, social media for me has been a blessing and a curse, because it’s the only way that a lot of people have heard my music, through YouTube, or people are sharing it on Facebook, but on the other side I saw that I was just getting so addicted to this, always checking my accounts … And I still struggle with it! I go for this contact high where I’m trying to contact so many people at one time instead of … I’m losing the opportunity to connect with people face-to-face, so yeah, I think, it needs a balance, you need to figure out what’s too much and what’s okay. For me, I’m still batteling. I’m always gawking at this stupid phone.

How do you counter this digital distraction?

Well, I mean for me it’s a huge blessing, so I don’t wanna ask anybody to stop sharing my stuff on the internet, it’s a really huge opportunity for me to get my word out. But for me personally, I turned a lot of that over to my management, to other people, so that they can do my Facebook and my Twitter and all that … I get on there once in a while to contact people and say thank you, but sometimes it can take you away from the creative process. You know, you’re writing a song – and half way you stop checking Twitter!

Then how do you feel about the digital age and its interaction with popular music in general?

Well, I don’t like that it has become such a big part in the studio. I really like people to play full songs through, but there’s a lot of cutting and pasting that goes on in the studio, a lot of dragging and dropping and people not singing the full song or playing a full song or even playing a song at all, just generating sounds from the computer. I really don’t like that. I think that’s fake, I don’t think it’s music. But it reaches on. That’s their lane and I have my lane and so … I don’t even want to discredit it, it’s just that for me it doesn’t do it.

Unfortunately we’re moving to the last question now. I’m proud to pass on a question by one of my readers, superattractive actress/singer Chantal de Freitas, who asked: “What´s the secret of the superfantastic recording sound they created in his mother´s living room?”

(laughs) I think it was a lot of luck. The whole credit goes to the guys that played on the recording and the engineers because my Mom’s house is not a recording studio and the fact that we got some good sounds out of there is quite astonishing!

7. Januar 2013

Ich gehe nie zu iTunes und kauf‘ mir nur ein Lied! Claudia Brücken im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , — VSz | Klangverführer @ 15:42

Ich habe etwas, worum mich Tausende von Männern beneiden: die Mobiltelefonnummer von Claudia Brücken. Und nicht wenige ihrer Verehrer wären für eine SMS der Diva mit dem Wortlaut „Ich warte an der Hotelbar auf dich“ wohl zu jedem Verbrechen fähig.

Die bis heute ungebrochene kulturelle Signifikanz Brückens für den Jahrgang der jetzt Anfangsvierziger speist sich aus ihrer legendären Zeit bei der Synthpop-Band Propaganda, deren Hits wie etwa Dr. Mabuse sie von 1983 bis 1986 gemeinsam mit Susanne Freytag Stimme und Gesicht lieh – die „unsmiling girls“, wie man die Sängerinnen damals bezeichnete, schafften es als düster-faszinierende Pin-ups auf die Wände und in die Träume all derer, denen der vorherrschende Mainstream-Pop zu bunt, zu seicht und zu fröhlich war. Propaganda, das war Elektronik, Wave und Avantgarde, Kälte, Dunkelheit und Abgrund, Freytag und Brücken die glamourösen Anti-Heroinen in kühlem Blond, zwei Geister in der Maschine, deren Stimmen, einmal gehört, sich unauslöschlich in den Organismus einer ganzen Generation eingruben. Das galt insbesondere für die markante Stimme Brückens, die, folgt man dem Popkultur-Magazin westzeit.de, „Dr. Mabuse tiefer in das Bewusstsein katapultiert [hat], als es die Filme über den Superverbrecher je vermocht hätten“.

Die durch den Hit Dr. Mabuse angefixten Fans von damals sind es auch, die der Brücken bis heute eine nachgerade ikonische Verehrung zukommen lassen, welche den Ruf der in Düsseldorf aufgewachsenen Künstlerin als „die Ikone der elektronischen Musik überhaupt“ festigt. Umso überraschender ist es, wenn eine sichtlich entspannte Brücken mal eben so an der Hotelbar auf einen wartet, um über die Lust und Last von Coversongs, die Magie des Liedes, das Albumformat an sich, einen musikalischen Heilungsprozess und natürlich auch ihre Zeit bei Propaganda zu plaudern, aber auch private Themen wie Mutterschaft oder Hundebesitzerstolz nicht ausspart. Ich traf Claudia Brücken kurz vor meinem Weihnachtsurlaub im verschneiten Berlin und wünsche allen Lesern neben viel Freude an diesem Interview auch ein gutes neues Jahr.

Warum zwar nicht alles immer „so happy-happy“ ist, man aber trotzdem kein Album machen wollte, „das so depressiv ist, dass man sich die Handgelenke aufschneidet“, und warum es okay ist, ein bisschen old school zu sein, lesen Sie hier. Und denken Sie erst gar nicht daran: Die Brücken-Nummer werde ich auch gegen Essenseinladungen & Co. nicht rausrücken!


Ladies in black: Brücken/Klangverführer in Berlin, 12. Dezember 2012

Klangverführer: Dein neues Album enthält Coverversionen von Künstlern wie den Pet Shop Boys, dem Electric Light Orchestra oder den Bee Gees, wobei diese Songs nicht zu deren bekanntesten Stücken gehören. Ist es das, worauf sich der Albumtitel The Lost Are Found bezieht, siehst du dich als eine Art Heberin verborgener Schätze?

Claudia Brücken: Ja, das könnte man so sagen. Dieser Titel hat irgendwie viele Aspekte. Erstmal, das letzte Lied auf der Platte, genauer: die letzte Zeile, die ich singe, ist der Albumtitel. Dann King’s Cross, da hat der Neil (Tennant, einer der Pet Shop Boys, Anm. d. Red.) auch die Zeile „I found myself lost“ hineingeschrieben – und in dem Lied No One To Blame erscheint die Zeile auch. Es ist wie ein Thema, das durch das Album geht. Und dann auch für mich, dass ich diese Lieder … also Stephen (Hague, der legendären Synth-Pop-Produzent der 80er-Jahre und Produzent des Albums, Anm. d. Red.) und ich … dass wir diese Lieder wiederentdeckt haben. Wiederentdeckt im Sinne von gefunden haben und sie auch Leuten, die sie nicht kennen, vorstellen möchten. Von der Auswahl her wollten wirklich nichts machen, das offensichtlich ist. Wir haben auch darüber nachgedacht, ob diese Lieder schon häufig gecovert worden sind oder nicht – das war auch ein Kriterium für uns.

Also auch ein bisschen mit einem pädagogischen Impetus, nach dem Motto, wir finden diese Lieder so toll – die Leute müssen sie einfach kennenlernen?

Ja, aber nicht belehrend. Einfach educational im positiven Sinne.

Das finde ich völlig okay, das mache ich auch so!

Ja, das ist legitim, aber man will ja auch nicht predigend rüberkommen. Das sind alles Lieder, die Stephen und mir sehr nahe liegen, weil sie der Soundtrack für unsere Jugend waren. Ja, der Soundtrack of Life, halt!

Und die Platte habt ihr dann nach dem stärksten Titel benannt. Ist es Zufall, dass sich dessen Thema auch in den anderen Titeln wiederfindet?

Nein, ist es nicht. Es fing mit One Summer Dream an. Stephen wollte dieses Lied unbedingt covern. Wir haben vor ungefähr vier Jahren begonnen, zusammen zu arbeiten, was von mir immer ein Wunsch war.

Das war für dein letztes Album Combinded, richtig?

Genau, für diese zwei Stücke darauf. Wir wollten eigentlich ein Album schreiben, aber der Steve ist immer so beschäftigt und ich mache auch immer so viele Sachen … Wir haben es erst einmal probiert und zwei Stücke für Combined geschrieben, Thank you und Night School, und wir mochten die Zusammenarbeit sehr, irgendwie hat das alles gepasst. Und da wir jetzt nicht erst Stücke schreiben und vielleicht darum noch acht Jahre warten, sondern einfach gleich zusammenarbeiten wollten, hatte er die Idee, einfach schon vorhandene Stücke zu covern. Wir haben, wie erwähnt, mit One Summer Dream angefangen und fanden beide, dass wir das gut hingekriegt haben, und dann dachten wir, damit müssen wir jetzt etwas machen! Also haben wir versucht, das wiederzufinden, was wir mit diesem Stück gemacht hatten, diese spezielle Stimmung, und so hat sich das Konzept für das Album herauskristallisiert. Manchmal macht man ja Sachen und man weiß gar nicht, warum man sie macht … Bis sich dann die Idee irgendwann zeigt. Und so war das in diesem Falle.

Covern, könnte man jetzt ketzerisch fragen, also als Weg des geringsten Widerstandes, denn, wie du schon sagtest, die Lieder sind schon da und man muss eben keine acht Jahre damit verbringen, neue zu schreiben …?

Ja, und ich verstehe auch gar nicht, dass Covers immer so einen schlechten Ruf haben!

Vermutlich, weil Interpretation nicht als solch eigenständige künstlerische Leistung gewürdigt wird wie Komposition …

Ja, aber wir sehen das positiver. Also, erst einmal hätte es wirklich acht Jahre gedauert, bis wir sonst etwas zusammen gemacht hätten. Es war aber auch eine Selbstfindung mit den Stücken. Es sind Sachen, die uns wirklich persönlich etwas bedeuten – und vor allem, da es Stücke sind, die nicht so bekannt sind, geben sie uns auch die Chance, ins Gesamtwerk von Claudia zu passen. Es ist eben nicht nur ein Coveralbum!

Ich persönlich bin auch ein großer Freund von Coveralben und bespreche sie gern und überdurchschnittlich viele davon. Was aber macht deiner Meinung nach für die Menschen die Faszination an Coveralben aus, was reizt das Publikum daran, was den Künstler?

Ich glaube, es ist einfach die Stärke des Liedes. Für mich als Künstlerin und Interpretin ist immer Melodie und Text das Ausschlaggebende. Ich habe damals schon mit Propaganda mit Coverversionen angefangen: Femme Fatal von Velvet Underground und Nico. Damit geht auch eine ganz spezifische Identifikation einher, denn damit sage ich den Leuten: Ich steh‘ auf Velvet Underground! Und ich stehe auf diese Band und jene Band, das sind meine Vorbilder! Zum Beispiel David Bowie … das ist eine Person, die ich wirklich bewundere. Also, ich hab‘ auch vor anderen Musikern viel Respekt, aber vor ihm … Hut ab, sehr viel Respekt! Wenn ich ihn covere, ist es für mich so, wie: Ich kann mich damit identifizieren, was du sagst. Und ich möchte auch, dass dein Stück weiterlebt, ich bringe es wieder ins generelle Bewusstsein. Also, für die Leute, die auch mich entdecken. Das ist der Sinn.

Es gibt ja auch den exakt entgegengesetzten Ansatz, dass Künstler sagen: Ich nehme mir jetzt das fürchterlichste Stück vor, das ich mir vorstellen kann, und mache etwas Wunderschönes daraus. Yael Naim beispielsweise mit Songs von Britney Spears oder Rihanna …

Okay, das gibt es auch, aber in meinem Fall: auf keinen Fall!

Du hast gerade angesprochen, dass du in deiner Zeit mit Propaganda Velvet Underground gecovert hast. Ich glaube, ein Jahr, bevor du zu der Band gestoßen bist, hatten sie ihren ersten Hit auch schon mit einer Coverversion, durch die sie viel Aufsehen erregt haben …

Mit Throbbing Gristle!

Ja, Throbbing Gristles Discipline. Über diese Version soll der damalige ZTT (Zang Tuum Tumb) Records-Manager – und dein späterer Ehemann – Paul Morely gesagt haben, es sei „almost an original new piece“. Damit spricht er den Spagat an, einerseits dem Original Respekt zu zollen und gleichzeitig auf dessen Grundlage etwas völlig Neues, Eigenständiges zu kreieren … Ist das ein weiteres Faszinosum der Coverversionen?

Absolut, ja. Ich sähe auch keinen Sinn darin bzw. würde auch nichts machen, was sich genauso anhört wie das Original. Obwohl wir in dem Falle des neuen Albums sehr respektvoll zu den Künstlern und ihren Kompositionen waren. Die sind schon genial! Und trotzdem habe ich versucht, dass sie meine eigenen Lieder werden. Ich bin da generell sehr „sensitive“ mit den Stücken, aber es kommt immer drauf an: Ich habe ein anderes Coveralbum gemacht, Another Language mit Andrew Poppy, und das war etwas vollkommen anderes! Wir haben die Songs total anders interpretiert als die Originale, da gibt es nur ein Instrument und eine Stimme. Das heißt, es kommt immer auf das Projekt an, ich habe keine allgemeingültige Herangehensweise an Coverversionen. Das mit Andrew, das war ein Avantgarde-Klavieralbum, da ging es einfach um die Idee, dass man sich auch eben nur ans Klavier setzen könnte mit mir, also diese Einfachheit, dieses Simple, dieses Nimm-dir-’ne-Gitarre-und-singe. Wir haben das gemacht, damit wir wieder einen Bezug zum Lied finden, weil das total in Vergessenheit gerät: In einer Zeit, wo es unheimlich schwierig ist, dass man seine Musik auch irgendwie hört, war das ein Heilungsprozess, der uns direkt zu den Wurzeln brachte. Jetzt bei diesem Album ist das Konzept anders. Es reflektiert auch unser Innenleben zu dem Zeitpunkt der Arbeit daran. Und was und auch wichtig war, dass man so viele Musiker so vieler Genres und Epochen – ich meine, Whispering Pines ist von 1968, und auf der anderen Seite haben wir Künstler wie Stina Nordenstam! –, dass man diese Menschen zusammenbringt und eine neue Geschichte erzählt, und ich bin der Erzähler. Aber ich liebe meine Covers immer, es ist eine Freiheit in dem, was ich tue.

Du hast es vorhin schon mal angesprochen: Wenn es einen Künstler gäbe, dem du aus Verehrung eine Kerze anzünden würdest, es wäre David Bowie. Bei mir wäre es übrigens Leonard Cohen …

Oh, dem können wir gern auch noch eine Kerze anzünden!

… Worauf ich hinaus will: Du hattest dich auch schon im letzten Jahr auf deinem Vorgängeralbum Combinded mit This is Not America an einen Bowie-Song, genauer: einen Bowie/Pat Metheny-Song gewagt; auf The Lost Are Found ist mit Everyone Says Hi wieder ein Bowie-Song dabei …

… und auf Another Language hatte ich auch einen! Gott, wie hieß der nochmal? Saturday … Saturday … Drive In Saturday!

… also dein drittes Bowie-Cover! Da fragt sich natürlich, oder da frage ich mich: Was genau fasziniert dich so an Bowie, dass du seine Songs wieder und wieder singst und was war im Allgemeinen das Kriterium, nach dem du die zu covernden Songs ausgewählt hast?

Also, erstmal sind Stephen und ich beide große Bowie-Fans. Was ich an Bowie immer so „special“ und interessant fand, ist, dass er sich immer verändern wollte. Er wollte nicht in einer Phase steckenbleiben und hat sich damit auch persönliche Ziele gesetzt, was ich immer sehr bewundernswert fand. Dann kommt noch dazu, dass man ganz genau weiß, dass es ein Bowie-Track ist, wenn man ihn hört; das ist einfach wie seine Unterschrift und das kann nur er. Und natürlich die Art und Weise, wie er singt, wie er aussah bzw. wie er aussieht und wie er sich immer präsentiert hat, dieses Selbst-Image, das hat mich schon sehr lange begleitet und fasziniert. Deshalb ist Bowie für mich immer diese hell scheinende Kerze gewesen bzw. der eine, dem man die Kerze anzünden würde oder wie du das ausgedrückt hast! Deine andere Frage war, wie diese Auswahl …

… genau, zustande kommt. Warum diese Künstler. Bei Bowie hast du gesagt, er habe dich schon immer fasziniert und lange begleitet. Nicht alle Künstler, die du coverst, sind aber schon so lange dabei bzw. überhaupt so populär – Stina Nordenstam zum Beispiel musste ich erst einmal googlen, die kannte ich gar nicht! Und ich kann mir vorstellen, dass das einigen so geht, weshalb ich mich frage: Warum gerade die?

Also, es war ja so, dass wir nach Stücken gesucht haben, mit denen wir da weitermachen konnten, wo wir mit One Summer Dream, das ja ziemlich unbekannt ist (es ist mal als B-Seite veröffentlicht worden), aufgehört haben. Ein Riesenkriterium für die Auswahl war 1.) Melodie, 2.) Text und 3.) Inhalt. Ich bin jemand – und Stephen ist auch so, weshalb unsere Zusammenarbeit auch so gut lief: wir sind einfach auf derselben Wellenlänge, wir haben dieselben Ansprüche an Lieder! –, bei dem der Text total stimmen muss. Was heißt „total stimmen“ … aber er muss schon was haben. Es ging auch darum, das richtige Lied mit der richtigen Stimmung, vor allem dieses Melancholische, zu finden, und auch Stücke, die – obwohl sie teilweise sehr traurig sind – trotzdem noch die Kraft haben, einen hochzubringen. Wir wollten kein Album machen, das so depressiv ist, dass man sich die Handgelenke aufschneidet, sondern wir wollten zeigen, dass man aus einer bedrückenden oder schmerzenden Situation etwas Positives machen kann.

Der Hoffnungsschimmer, der im Dunkeln greifbar ist …

Ja, und der war uns bei der Auswahl der Songs wichtig! Und dann war es mehr so eine Art Brainstorming: Welche Lieder magst du, welche Lieder mag ich. Mysteries of Love, beispielsweise. Wir sind beide David-Lynch-Fans, vor allem, weil er auch die Melancholie und Tiefe hat. Ich mag es nicht, wenn es bei einem Künstler immer so happy und ein bisschen oberflächlich bleibt. Ich mag es mehr, wenn es tiefer geht und wenn man raushört, dass die Leute auch bestimmte Lebenserfahrung gesammelt haben. Licht und Dunkel, das gehört ja alles zusammen! Und für mich repräsentieren das diese Künstler auf dem Album. Stina war mir auch unbekannt, und Lilac (The Lilac Times, Anm. d. Red.) kannte ich auch nicht. Da hat mir Stephen wieder was beigebracht, und ich lerne gerne! Oder zum Beispiel Memories of a Color – in den Liedern von Stina Nordenstam ist immer so ein leichter Hauch Jazz mit drinnen, ihre Eltern sind auch beide Jazzmusiker. Und ich habe gerade mit meiner Jazz-Periode angefangen, da passte das. Whispering Pines wieder hat viele Blues- und Gospel-Elemente. Das ist für mich sehr lehrreich! Dann „tackle“ ich das halt und sehe es auch als Herausforderung, so nach dem Motto: Mal gucken, was ich damit machen kann.

Wagen wir einen kurzen Rückblick auf deine Karriere: Seit der Auflösung und einigen Wiedervereinigungsversuchen von Propaganda warst du ja alles andere als untätig: Du hast ein Jahr lang in der ZTT-Band Act gesungen, bist Mutter geworden, hast mit deinem neuen Lebensgefährten, OMDs Paul Humphreys, die Band Onetwo gegründet und mit Künstlern wie Martin Gore von Depeche Mode, Andy Bell von Erasure oder eben Andrew Poppy zusammengearbeitet …Letztes Jahr dann hast du für ein Computerspiel gesungen, und außerdem ist von uns heute schon oft angesprochene die Retrospektive Combined – The Best of Claudia Brücken erschienen. Eigentlich müsste sich jemand mit solch einem Output ja auch mal auf seinen Lorbeeren ausruhen können! Was ist der Anlass, die Inspiration, wieder ein neues Album aufzunehmen und woher nimmst du die Energie dazu?

(Lacht) Für mich ist das einfach ein Teil von mir. Ich glaube, ich wäre sehr depressiv, wenn ich mich musikalisch nicht ausdrücken würde. Und ich werde das auch so lange machen, bis ich … wie die Blondie das gesagt hat, bis ich lächerlich wirke! Und wenn ich was sagen oder mich ausdrücken will, dann möchte ich das auch tun. Du hattest bei der Aufzählung übrigens noch ein Soloalbum von mir vergessen. 1991 habe ich mein erstes Soloalbum gemacht, und danach wurde es ein bisschen ruhiger, weil ich meine Tochter bekommen und dann auch allein erzogen habe. Das war ein Job für sich selbst, weshalb ich nur hier und da kleine Projekte gemacht habe. Aber jetzt ist meine Tochter im Januar auch einundzwanzig, und ich habe dann wirklich so einen frischen Wind empfangen und gedacht, so, jetzt! Ich hatte wahrscheinlich ein Nachholbedürfnis, das Gefühl, ich habe da noch etwas zu tun, noch eine Aufgabe!

Das heißt, mit Combined hast du retrospektivisch quasi abgeschlossen mit deiner bisherigen Karriere, festgestellt, ich habe aber immer noch was zu sagen, und das aktuelle Album ist gewissermaßen ein Neubeginn …

Ja.

Du hast erzählt, dass du mit Stephen Hague ja schon für Combined auf zwei Tracks zusammengearbeitet hast, und ich frage mich, ob ihr dabei eben genau das festgestellt habt: dass ihr noch etwas zu sagen habt, was über Combined hinausgeht, also dass ihr quasi noch nicht „durch“ seid mit eurer Zusammenarbeit …

Auch. Es ist richtig, wir hatten diese zwei Lieder gemacht. Ich hatte Stephen vor vier Jahren auf einer Party getroffen und er war jemand, mit dem ich schon so lange zusammenarbeiten wollte. Also bin ich zu ihm hingegangen und hab gesagt, ich möchte mit dir zusammenarbeiten. Und ich war unheimlich überrascht, wie locker er war! Das hat mir total gefallen, denn ich mag es nicht, wenn Sachen verkrampft sind oder wenn Leute irgendwie zuerst über das Geschäft reden müssen und diese ganzen Sachen, denn mir geht es wirklich erst einmal um die Zusammenarbeit und um die Musik! Das ist mein Drive, und ich habe bei Stephen sofort gespürt, dass er unheimlich viel Insight hat und auch total viel Erfahrung. Diese beiden Stücke, die wir für Combined zusammen geschrieben haben, das war … Also, ich bin nicht der schnellste Schreiber. Ich wollte aber auch was machen, und zwar nicht schreiben, und es dauert dann noch ewig, sondern ich wollte jetzt was machen, und Steve auch, da waren wir ein bisschen ungeduldig. Und so kam er dann mit der Idee zu< em>One Summer Dream – und dann war da diese See von schönen Liedern, die man covern kann, da war so viel zu schöpfen! Und davon waren wir einfach inspiriert, dieses Album zusammen zu machen, und es war auch sehr therapeutisch: Er lebt in Hastings und ich lebe in London, und ich bin dann immer mit dem Zug nach Hastings gefahren und er hat mich von der Bahn abgeholt; und während wir zu ihm gefahren sind, haben wir über das nächste Lied geredet und wie wir es angehen. Wir haben das Lied, das ich eingeübt hatte, bei ihm aufgearbeitet und dann hat er mich wieder zurückgefahren und wir haben über das nächste Lied geredet. Er hat mir einen Basic-Backing-Track gemacht, also wirklich sehr basic, gar kein großes Arrangement, sondern nur ein Beat und ein bisschen Gitarre und das war’s, und ich habe mich dann wirklich total in diese Stücke reinversetzt und auch versucht, mich in den Kopf von dem Schreiber reinzusetzen – und in den des Original-Interpreten. Zum Beispiel dieses Whispering Pines, da hab‘ ich erst wie so viele Leute gedacht, oh Gott, man kann kein Cover von The Band machen! Da darf man einfach nicht rangehen! Da habe ich wirklich lange dran gearbeitet. Oder auch an And The Sun Will Shine. Weil: Robin Gibb! Das ist ja auch so eine Person, wo man sich erst nicht traut. Da musste ich mich richtig herantasten und durchwühlen. Das ist dann natürlich ein Prozess, bei dem ich auch sehr viel lerne, also, vom technischen her, wie die Phrasen sind und was die Interpreten mit ihrer Stimme alles machen und erreichen können, das finde ich sehr interessant und daraus kann ich auch lernen.

Wenn man das Album auflegt, ist man von dem von David Lynch betexteten Opener Mysteries of Love erst einmal überrascht. Wahrscheinlich erwarten die meisten von dir immer noch tanzbaren Synthiepop à la Propaganda, dabei wirkt dieser Song durch seine Orgel und den Hall geradezu sakral. So etwas hätte ich eher einer Loreena McKennitt oder einer Susanne Sundfør zugetraut. Wie kam es zu dieser fast spirituellen Atmosphäre?

Ich glaube, das liegt erstmal daran, dass da keine Drums sind.

Was für Popmusik extrem ungewöhnlich ist!

Ja, wir wollten damit auch sofort die Richtung angeben, wir wollten den Leuten, den Hörern sagen: Also, das ist so die Schiene, die hier abläuft. Erwartet nicht, dass …

… wobei die Erwartungen zwar enttäuscht, aber durch etwas Positives ersetzt werden!

Ja, das war so unser Gedanke. Erst einmal zu sagen, hallo Leute, es ist nicht … what you expect. Das war auch ganz bewusst so, dass wir das an den Anfang gesetzt haben. Und dann hat sich die Geschichte eigentlich irgendwie ergeben: What is love? Es geht los mit Mysteries, also, das zu beschreiben bzw. wie David Lynch versucht, in Worten zu beschreiben, was Liebe bedeutet, und dann kommen wir zum nächsten Lied, Memories of a Color, denn Liebe hat ja auch viel mit Memories, mit Erinnerungen zu tun …

Es fragt nach dem Farbton zwischen braun und pink …

Ja, genau. Und dann geht es in diese ganzen kleinen Geschichten. Es ist eine Gesamtgeschichte, die aus Kleingeschichten besteht und die dann diese Wege von Hoffnungslosigkeit, also auch Liebe, die nicht erfüllt wurde, und solche bewegenden Themen anspricht. Es ist nicht einfach so happy-happy. Auch nicht bei The Road To Happiness, denn die Lyrics besagen, dass man auf der Straße zum Glück durch die Hölle gehen muss!

Die Vorstellung von Liebe auf dem Album kreist in der Tat nicht gerade um pink-farbene Elefanten und Limonade! Ich habe auch das Gefühl, dass jeder Song überdurchschnittlich viel Text für einen Popsong hat und damit eher Ballade oder gar Mörderballade als Tanzflächenbeschallung ist …

Ja, bei Crime und bei King’s Cross!

Ich empfinde das sogar schon bei The Day I See You Again so, dazu habe ich mir notiert: „Auch wenn der Track im bunten Synthiepopgewand daherkommt, erinnert er mich von epischen Erzählhabitus und der Melodieführung an moderne Murder Ballads, beispielsweise an Where The Wild Roses Grow von Nick Cave und Kylie Minogue.“ Du gast ja vorhin schon angesprochen, dass sich aus diesen vielen einzelnen Geschichten durch die Songabfolge eine große Geschichte ergibt. Was ist die Meta-Geschichte, die das Album erzählen soll? Das, was du gerade sagtest: Der Weg zum Glück führt durch die Hölle?

Ja, sowas. Wobei ich es auch schwer finde, das alles in Worte zu tun! Darum haben wir ja auch diese ganzen phantastischen Frauen und Männer, die diese Stücke geschrieben haben, zusammengeführt, denn die können das so gut in Poesie ausdrücken! Das spricht dann auch irgendwie von alleine. Und was die große Geschichte angeht: Da kann sich jeder selbst seine eigene Geschichte hineinprojizieren! Zum Beispiel, eines meiner Lieblingslieder – obwohl das jetzt alles Babys sind, an denen ich sehr sehr hänge! –, Crime von Stina, da ist was Schauriges passiert. Und ich weiß nicht, was da passiert ist.

Aber was Schauriges auf eine unglaublich coole, zeitgenössische Art!

Von der Musik her, meinst du? Das ist aber auch dem Steve geschuldet, der ist nicht in dem Achtziger-Synthiepop steckengeblieben. Und das ist es auch, was ich an ihm so richtig bewundernswert finde: Er hat den richtigen Instinkt, richtige Entscheidungen zu treffen. Er weiß, was cool ist und was nicht cool ist. Das weiß nicht jeder! Er ist für mich auch eher so ein Bühnenbildner, ein Bühnenbildner für Sound. Die Stimme oder die Geschichte ist dabei etwas, worauf er sich konzentriert. Er überproduziert das dann auch nicht, er versucht nicht – obwohl, bei King’s Cross, das ist ja vollkommen verrückt, was er da macht, das ist ja ein Pandämonium am Ende! –, es mit seiner Produktion zu killen; er tut nur dort etwas dazu, wo es halt sein muss. Er macht Bilder, Soundbilder!

Baut Kulissen für deine Stimme, die darin frei wandeln kann, ihr aber gleichzeitig den nötigen Rahmen geben?

Richtig. Und macht nicht zuviel. Und das kann nicht jeder. Auch zu wissen, wann man aufhört. Beispielsweise ist Road to Happiness von der Produktion her ja sehr karg, er ist also auch sehr vielseitig. Er hat beispielsweise ein Lied gemacht, das für mich immer sehr bedeutsam war, eines meiner Lieblingslieder, das ist 1963 von New Order. Und wenn man sich dieses Lied anhört, dann kann man auch seine Lieder hier und seine Produktion verstehen.

Wenn wir noch einmal auf den Gedanken einer Gesamtgeschichte des Albums zurückkommen und den Kontext, der durch eine bestimmte Reihenfolge ja impliziert ist, heißt das, das Album an sich ist für dich immer noch ein relevantes Format? Viele Menschen hören ja leider keine ganzen Alben mehr, sondern kaufen nur ihre Lieblingssongs. Gerade in einem Fall wie bei The Lost Are Found würde einem so aber die große Geschichte durch die Lappen gehen …

Absolut! Das ist so „Cherry-Picking“ und das ist einfach nicht meine Welt! Wir haben dieses Album auch als absolutes Album, sogar als Vinylalbum, gesehen und behandelt. Auch wenn es jetzt hier auf der CD ist, haben wir schon gedacht, bei Crime hört jetzt die erste Seite auf und ab da ist es die zweite Seite. Wir sind einfach old school – und das ist auch okay so. Das sind wir, das sind unsere Erfahrungen. Und das ist wieder diese Oberflächlichkeit von Leuten und diese Schnelllebigkeit. Ich weiß noch, als ich mir früher Alben gekauft habe, mochte ich manche Lieder am Anfang gar nicht – und dann waren es auf einmal meine Lieblingslieder! Das lag daran, dass ich sie anfangs einfach nicht zum richtigen Zeitpunkt gehört hatte – man muss ja auch in einer bestimmten Stimmung sein für ein Album … Da kann man so viel verpassen, wenn man nicht richtig zuhört. Man muss sich auch ein bisschen Zeit lassen und ein bisschen gelassener sein! Wenn man sich im Museum ein Kunstwerk ansieht, dann muss man sich ja das Bild auch genau angucken und da irgendwo reinkommen – und das passiert heutzutage nur noch so selten, die Leute sind so flüchtig geworden! So empfinde ich das zumindest. Wir haben uns davon aber nicht … eigentlich haben Stephen und ich das gemacht, was wir wollten. Und wir hoffen, dass es genug Leute ansprechen wird.

Tut ihr auch aktiv was dafür, dass The Lost Are Found bevorzugt als Album zu erwerben ist, oder bietet ihr auch den Download einzelner Tracks an?

Man kann es machen, wie man es will. Die Leute können es auf CD erhalten, die Leute können es als Vinyl erhalten. Vinyl gibt es auf unserer Website als auf 500 Stück limitierte Edition, wobei die ersten 200 Exemplare von Stephen und mir signiert und nummeriert sind, für fünfundzwanzig Pfund. Wir rechtfertigen den Preis auch damit, dass, wenn wir eine Platte nach Amerika verschicken, uns das acht Pfund kostet. Acht Pfund! Das Album gibt es aber auch auf iTunes, da kannst du dir nur einen Track downloaden …

Und da wolltet ihr auch gar keinen Riegel vorschieben, um das Albumkonzept zu erhalten?

Nee. Also, entweder picken die Leute das selbst up oder nicht. Das bleibt jedem selbst überlassen. Aber für mich ist das so: Ich kann das nicht. Ich gehe nie zu iTunes und kauf mir nur ein Lied! Ich möchte das ganze Album haben. Und ich möchte das auch in dieser Sequenz hören, wie der Künstler das gedacht hat. Ich glaube auch, da die Lieder hier sehr eingängig sind, ist es mit diesem Album auch einfach so, dass es nicht viele Lieder gibt, die man skippen möchte. Ich denke mal, man kann das als Gesamtwerk ganz gut hören.

Denk ich auch – habe ich gestern auch den ganzen Abend gemacht! Du hast vorhin angesprochen, dass alle Songs des Albums mittlerweile so etwas wie Babys für dich sind. Hast du dennoch einen besonderen Favoriten?

Ich hänge wirklich unheimlich an jedem einzelnen Stück. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich mich solange mit denen auseinander gesetzt habe. Eines hervorzuheben, fände ich schwierig, weil die Magie des Liedes in jedem von diesen Stücken enthalten ist! Whispering Pines halte ich zum Beispiel für eines der traurigsten Lieder, die ich je gehört habe. Und wenn ich dann auch noch weiß, dass Richard Manuel (der Komponist des Stückes, Anm. d. Red.) sich das Leben genommen hat, dann ist das noch trauriger. Und Everyone says Hi ist ein Lied, das hat der Bowie für seinen Freund, den sterbenden George Harrison, geschrieben. Und wenn ich so etwas weiß, gibt das dem Lied eine zusätzliche Tiefe. Man soll jetzt nicht irgendwie Tränen verströmen oder so, aber es begleitet einen schon durch schwierige Phasen. Denn wenn man in einer schweren oder schwierigeren Phase ist, dann will man ja nicht so happy Up-beat Music hören …

Wann will man schon mal happy Up-beat Music hören!? Damit sind wir auch schon fast am Schluss unseres Gesprächs angekommen. Ich würde dir gern zum Abschluss noch den Kommentar eines begeisterten Hörers vorlesen, der sich auf Amazon zu einer deiner CDs geäußert hat: „Claudia Brücken könnte von mir aus auch Hänschen klein singen, ich mag einfach ihre Stimme“. Bei meinen Recherchen zu diesem Interview bin ich immer wieder auf Leute gestoßen, die behaupten, dass sie dich damals bei Propaganda gehört haben und deine Stimme sie seitdem in ihrem Unterbewusstsein begleitet … Was ist das Geheimnis der sagenumwobenen Brücken-Stimme, die dir schon Vergleiche mit Marlene Dietrich eingebracht hat, was tust du, sie fit zu halten?

Oh, das ist aber süß von ihm! Die Brücken-Stimme? Nun, ich singe jeden Tag. Ich singe aber auch einfach nur für mich, weil es mich in eine gute Zone bringt. Wenn ich beispielsweise vor irgendetwas Panik empfinde, dann lege ich eine Pause ein, nehme mir einen Backing-Track und singe. Und das bringt mich wieder gut drauf. Manche Leute gehen ins Fitness Studio und bauen dort ihren Frust ab, und für mich ist es eben das Singen. Natürlich kommt es auch darauf an, was die Leute mit der damaligen Zeit verbinden. Die Propaganda-Fans, die sind mir einfach richtig treu geblieben. Ich war damals neunzehn und habe darum viele Fans, die jetzt so vierzig, zweiundvierzig sind. Ich glaube, wenn man Fan ist – wie ich zum Beispiel mit Bowie, das ist dasselbe in Grün –, wenn du einmal fasziniert gewesen bist von jemandem, und wenn er dich musikalisch nicht enttäuscht, dann bleibst du immer sehr attached an diese Person. So stelle ich mir das auch bei meinen Fans vor, die sind sehr loyal und das ist sehr schön. Es gab in Propaganda-Zeiten eben diese Pop-Zeiten, also Leute, die straight Pop Music mochten, und dann waren wir da. Wir waren sehr disturbing.

Ihr wart die „Abba from hell“ …

Das wurde uns mal so untergeschoben, wir haben uns nicht selbst so getauft. Aber wir waren halt eine Alternative zu diesen anderen Bands: Wir waren rebellisch, wir hatten Attitüde – und wir haben nie gelacht. Susanne und ich, wir konnten damit immer spielen, und die Leute hatten echt Angst vor uns! Wenn ich mir heute die Plattencover so angucke, kann ich das auch verstehen! (lacht)

Das heißt, es stört dich überhaupt nicht, wenn man dich auch heute noch ständig auf deine Zeit bei Propaganda anspricht …

Nein, gar nicht! Das ist ein Teil meiner Geschichte, und ich spiele jetzt auch, wenn ich mit meiner Band nach Deutschland komme, Propaganda-Sachen, alles aus meiner Vergangenheit, also nicht alles, aber vieles. Das ist mein Repertoire. Vor allen Dingen auch Secret Wish, da bin ich sehr stolz drauf, diese Erfahrung gemacht zu haben mit diesen phantastischen Musikern, die da auch involviert waren. Sowieso, meine Zeit auf ZTT, die schätze ich sehr! Ich weiß zum Beispiel noch, wie ich im Studio war – wir haben gerade Duel aufgenommen – und jemand kommt rein und es ist Stewart Copeland von The Police, und er spielt auf einmal Schlagzeug auf unserem Stück! Ich meine, auf einmal kommt Stewart Copeland rein? Das war schon eine irre Zeit für mich! Und jeder wollte damals mit Trevor Horn arbeiten. Ich glaube, das war auch darum so wichtig für mich, weil ich bis heute gern mit Produzenten arbeite, und meine erste Erfahrung war halt Trevor Horn. Damals war ich so grün, da wusste ich gar nicht, dass Platten überhaupt produziert werden. Ich war noch in der Schule, als Dr. Mabuse ein Hit war, er war Nummer sieben in Deutschland und ich war noch in der Schule und habe gerade mein Abi gemacht … Das war schon irgendwie, als ob man ein goldenes Lotterie-Ticket bekommt! Und ich glaube, weil der Trevor so hohe Ansprüche an einen hatte, dass das auch irgendwie meinen musikalischen Geschmack geprägt hat und auch, mit wem ich zusammen arbeiten möchte. Damals war mir das psychologisch nicht bewusst, aber deshalb arbeite ich auch gern mit Menschen, die ich so hoch schätze – und wenn die dann auch noch mit mir arbeiten wollen, dann ist ja alles wunderbar!

Überspitzt gesagt ist also Trevor Horn Schuld daran, dass du jetzt dieses Album mit Stephen Hague gemacht hast!

Zum Beispiel, ja. Doch, ich meine, Produzenten sind ja auch selbst unheimliche Künstler; es geht ja auch für die Produzenten um etwas Persönliches und Eigenes, was sie auf dem Recording hinterlassen, auch ein Stück Seele von sich.

Im Idealfall …

Also, in dem Fall der Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe: ja. Das gilt auch gerade für das neue Album. Das ist auch ein Stück von dieser Person.

Das heißt, du würdest The Lost Are Found gar nicht unbedingt als Claudia-Brücken-Soloalbum bezeichnen, sondern eher als Brücken-Hague-Kollaboration?

Ja, eigentlich schon. Ich hatte dem Steve die Option gelassen, habe gesagt, wir können es zusammen machen oder einen Bandnamen benutzen, du kannst mit mir auf die Bühne kommen, wie du möchtest! Ich selbst sehe das als absolute Kollaboration – das ist schon ein Team-Erfolg von uns beiden.

Auch, wenn das Cover es vermuten ließe: Die beiden hier fischen definitiv nicht im Trüben!

The Lost Are Found wird in Deutschland am 11. Januar 2013 veröffentlicht und demnächst in Victoriah’s Music auf fairaudio.de besprochen – einfach öfter mal reinschauen!

10. Dezember 2012

Klangköpfe # 4: Kein Streichtrio, sondern eine Band (2/2)

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , , — VSz | Klangverführer @ 10:11

Im ersten Teil des Interviewportraits sprach ich mit B.S.O, dem BerlinerStreichOrchester, über seinen Anspruch an seine Musik, zu der auch immer untrennbar die Live-Performance gehört – und genau hier steigen wir mit dem zweiten Teil wieder ein. Außerdem verrät uns das Streichtrio, das sich lieber als Rockband sieht, warum es eine Trennung in sogenannte E- und U-Musik für unsinnig hält, wann wir endlich sein Debütalbum in den Händen halten können und dass Familie „schon irgendwie heilig“ ist – Gänsehautmomente inklusive.


Lina Liebhund lauscht …

Klangverführer: Wir sprachen gerade davon, dass Gunnar nicht mehr den Alleinunterhalter geben, sondern auch die Celli mehr in den Show-Teil eurer Gigs einbinden möchte …

Jupp: Ich finde diese Art von Bühnenperfomance gar nicht so schlimm, muss ich sagen, sie ist nur bislang relativ schwer realisierbar gewesen – und ist es immer noch. Das liegt daran, dass wir, zumindest teilweise, hinter den großen Instrumenten sitzen, außerdem hat nicht jeder von uns ein Mikrophon – meistens haben wir gerade mal eins, um Ansagen zu machen. Uns bei allem, was größer ist, als dieser Raum hier (zeigt auf den Proberaum um sich), hört uns das Publikum nicht, wenn wir unverstärkt reden. Die technischen Voraussetzungen würde ich persönlich jetzt noch in weiter Zukunft sehen.

Gunnar: Eine Voraussetzung dafür wäre – und da sind wir jetzt in der Richtung, aus der wir musikalisch herkommen: ich habe mir neulich Apokalyptika angeschaut, und die spielen größtenteils im Stehen und laufen dabei auch rum –, dass alles wireless funktioniert. Für unser aktuelles Bandbudget findet sich in dieser Kategorie nicht allzuviel, das heißt, wir müssen noch ein bisschen warten – aber künstlerisch sehe ich das schon als nochmaligen Entwicklungsschritt, den wir irgendwann mal gehen werden.

Johannes: Ich würde das auch eher in fernerer Zukunft verorten. Momentan sind wir noch an Probleme gebunden wie „Wie rennt man mit so einem Rieseninstrument quer über die Bühne“?

Jupp: Das lernt man auch nur in den Situationen, während man es tut! Wenn beispielsweise ein Gig ansteht, wo wir geplant haben, mal aufzustehen, proben wir das vielleicht auch mal – aber live ist es immer noch etwas komplett anderes. Wir spielen jetzt anderthalb Jahre zusammen, und noch sind neunzig Prozent der Gigs „gesessen“.

Ich finde das auch nicht schlimm, im Gegenteil! Es spricht doch nichts dagegen, sich auf die Musik zu konzentrieren anstatt auf die Show …

Jupp: Das kommt auf’s Publikum an. Es gibt ganz viele Menschen, die sind erst einmal total überfordert mit diesem „Woah, was machen die mit den klassischen Instrumenten?“ – und wenn wir dann noch stehen würden, dann würde die, glaube ich, abschalten und denken, „nee, das ist mir jetzt zuviel“. Aber wenn wir uns entspannt irgendwo in Berlin hinsetzen und dann so triomäßig beeinander, nicht nur für’s Publikum, sondern hauptsächlich auch für uns selbst etwas spielen, dann finden die Leute das toll. Da bleiben die stehen, denn sie denken, „Hey, was spielen die denn da? Das kenn‘ ich doch!“ Und da kommt wieder der Wiedererkennungseffekt zum Tragen. Die haben das zwar noch nie in dieser Form gehört, aber irgendwoher kennen sie es –

Johannes: Und das ist dann unsere Chance.

Gunnar: Vielleicht merkt man es, das ist auch ein kleiner, ewiger Diskussionspunkt zwischen uns dreien: Ich fordere natürlich, dass die Jungs viel mehr stehen …

Johannes: Ja, und manchmal tut mir das auch Leid für Gunnar. Weil der muss halt schon das meiste leisten, er rennt dann rum …

Gut, er muss die Show machen – aber ihr müsst die Musik machen!

Johannes. Ja, klar, wir haben vielleicht vom Kraftfaktor her in den Händen ein bisschen mehr zu tun … Aber das Entscheidende scheint mir, dass sich das noch entwickeln muss.

Gunnar: Es ist okay, so, wie es jetzt ist, das kommt auch meinem exhibionistischen Gehabe da auf der Bühne zugute, aber es wird darauf hinauslaufen, dass wir die Last gleichmäßiger verteilen – sowohl, was die Arrangements anbelangt, als auch, was die zukünftige Bühnenpräsenz angeht.

Du meinst, dass sich die Jungs showtechnisch nicht mehr hinter ihren Instrumenten verstecken können und du in der Rolle des Alleinunterhalters gefangen bist … Andererseits bist du derjenige in der Band, der neben B.S.O einem ganz normalen bürgerlichen Job nachgeht, während die Jungs Profimusiker sind, bzw. ein Profimusiker und ein angehender Profi. Wie fühlt man sich als Laie dazwischen? Kompensierst du diesen Status mit der Betonung des Showelements?

Gunnar: Das ist eine gute Frage. Für mich ist es eine Herausforderung, auf der Geige mit der Professionalität der beiden Celli mitzuhalten. Ich gebe ganz offen zu, dass auch meine Lernkurve nicht mehr so steil ist, wie bei den beiden, wenn ich mich verbessern will und im Interesse unserer Songs auch verbessern muss. Ich hoffe und es ist auch mein Ziel, dass ich da noch so lange wie möglich mithalten kann, aber die Frage trifft natürlich des Pudels Kern: Das, was ich da auf der Bühne mache, kompensiert natürlich eine ganze Menge. Alles, was in Richtung Show und Unterhaltung und auch Interaktion mit dem Publikum geht, ist schon eine Art der Kompensation dessen, aber natürlich auch eine Bereicherung im Sinne einer Vervollständigung des Gesamtangebotes an das Publikum.


… und latscht durchs Bild …

Auf eurer bald erscheinenden Platte fällt der visuelle Teil aber weg – und das, obwohl ich gerade gelernt habe, dass das Showelement bei B.S.O nicht nur eine wichtige Rolle spielt, sondern in Zukunft auch noch stärker hervorgehoben werden soll. Welche Bedeutung räumt ihr der puren Musik ein, welche der Show, anders gefragt: Ist B.S.O in erster Linie eine Live-Band?

Gunnar: Das ist eine Ergänzung – das kann nur eine Ergänzung sein! Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Und da wir jetzt das erste Mal im eigenen Studio sind und Aufnahmen machen, haben wir erfahren, dass das Recorden richtig, richtig schwere musikalische Arbeit ist. Ich selbst bin ein Live-Mensch. Ich stehe gern auf der Bühne und kommuniziere, ich gehe auf die Leute ein, ich geh hin, geh weg, ich tanz mit denen, ich leg mich hin … Im Studio bei den Aufnahmen soll ich mit einem Mal ganz ruhig sitzen. Das liegt mir so gar nicht und hat bei den Aufnahmen auch erstmal so einiges an Selbstdisziplin gefordert. Ich weiß nicht, inwieweit wir da effektiv waren beim Einspielen, was vor allem Quantität angeht – ich hab‘ pro Tag einen Song geschafft, mehr war einfach nicht drin.

Das ist doch eine gute Quote!

Gunnar: Aber um noch einmal auf deine Frage zurückzukommen, das muss eine Ergänzung sein. Unser Anspruch ist, dass wir live genauso klingen wie auf der Platte. Aber Live ist einfach … da muss man merken, dass die Jungs, die da vorn auf der Bühne stehen, beim Spielen auch mal daneben greifen, weil sie vor allem Spaß dran haben und richtig aufeinander eingehen. Wenn man die CD in den Player legt oder das File in den MP3-Player, dann muss das Gesamtbild von der Musikalität her stimmen. Auf der Bühne ist es Musikalität plus Show.

Ihr kommt ja aus der Live-Ecke, habt da angefangen und spielt seitdem unglaublich viele Shows … Ich kann mir vorstellen, dass er schwerfällt, dieses unmittelbare Gefühl auf Platte zu pressen. Ist das ein Grund, weshalb die Veröffentlichung des Albums immer weiter aufgeschoben wird? Erst sollte es voriges Jahr zu Weihnachten kommen, dann im Sommer, jetzt heißt es, dieses Jahr zu Weihnachten …

Jupp: Unter anderem. Vor allem aber liegt das daran, dass wir viele neue Ideen haben, dass unsere Arrangements nie so einen hundert-Prozent-Status erreichen – es wird immer etwas geben, was man daran noch so ein bisschen verändern kann, und dann wird das gemacht, und man hat noch eine gute Idee, macht auch das ein-, zweimal und sagt sich, „hey, das ist ja viel besser als das, was wir bisher hatten“, oder wir stellen fest, „ach nee, doch nicht“, und machen das wieder rückgängig …

Johannes: Obwohl wir auf dem Album versuchen, wirklich diesen finalen Status zu erreichen. Das ist jetzt neu. Dazu muss man auch sagen, dass ich, oder wir zusammen, die Songs noch einmal neu arrangiert haben, sobald die Nummern feststanden, die auf die Platte kommen. Wir haben uns überlegt, dass es einfach zu banal wäre, sie so einzuspielen, wie wir sie live spielen, und das allein war schon eine langwierige Arbeit.

Das beantwortet ja auch meine Frage nach eurer Musik, wenn die visuelle Komponente wegfällt … Ihr spielt auf der Platte also anspruchsvollere Arrangements!

Jupp: Ich will noch einmal was zu dem Unterschied CD und live sagen: Du hast recht, wir kommen vom Live her – und ein Grund dafür, dass wir das jetzt aufnehmen, ist – daneben, dass wir das alle auch selber wollten –, dass wir ständig gefragt wurden, „Habt ihr eine CD, habt ihr eine CD?“ Und insofern kann diese CD nur eine Ergänzung zu unserem Live-Ding sein, denn ich weiß nicht, wass die Leute erwarten, wenn sie – nachdem sie uns live gesehen haben – eine CD von uns einlegen. Ich persönlich könnte gar nicht dasselbe erwarten. Ich würde mich freuen, wenn der Song, den die Band live gespielt hat und der mir so gut gefallen hat, da drauf ist – aber ich würde jetzt … Keine Ahnung! B.S.O lebt auch davon, dass uns die Leute sehen, dass sie die Celli sehen und nicht nur hören! Dass sie immer gefragt haben, „Habt ihr eine CD, habt ihr eine CD?“, war einer der Gründe, dass wir uns gesagt haben, okay, nehmen wir mal ein paar Songs auf. Dass es jetzt so intensiv wird, dass wir wirklich noch mal die Arrangements überarbeiten – den Anspruch haben wir uns selbst gestellt.

Johannes: Wir stehen uns selbst im Wege. Aber im positiven Sinne.

Ich kann mir schon vorstellen, dass jemand, der euch auf einem Konzert sieht, die CD kauft, weil er das Live-Erlebnis ausdehnen möchte, weil er einfach ein Stück von euch mit nach Hause nehmen will …Die Frage, die sich mir stellt, ist eher: Was erwartet Leute, die euch noch nie live gesehen haben, auf dem Album?

Johannes: Das ist eine spannende Frage! Ich denke, mal auch ein Überraschungseffekt.

Jupp: Auf jeden Fall, weil diese Sache mit dem Covern auf Streichinstrumenten ist schon rein akustisch für die meisten neu …

Johannes: Ja, schon rein soundmäßig!

Jupp: Die Frage wäre hier, wie Leute, die uns noch nie gesehen haben, dazu kommen, die CD zu kaufen. Ich habe den Eindruck, dass die meisten sie nur kaufen würden, eben weil sie uns live gesehen haben! Ich kenne keinen, der über etwas anderes auf uns aufmerksam geworden ist.

Ach, ich glaube, das kommt auf die Art und Weise des Vertriebes an. Wenn sie jetzt beispielsweise auch als digitaler Download in die großen Online-Musikdienste wie Amazon oder iTunes eingespeist wird, liegt der Empfehlungsalgorithmus der Musicstores dahinter, nach dem Motto: Wenn Ihnen Apocalyptica gefällt, gefällt Ihnen bestimmt auch B.S.O, oder so ähnlich. Das sieht natürlich anders aus, wenn ihr nur einen Privatvertrieb geplant habt.


… um mit dem Jungs zu flirten – und die flirten zurück!

Gunnar: Ist das jetzt eine Frage? Also, es ist auf jeden Fall das Ziel, dass wir auch weltweit vertrieben werden, zumindest durch die ganzen neuen Medien. Mein Anspruch ist, was Leute erwartet, die, auch wenn sie uns noch nicht live gesehen haben, ein Album von uns kaufen oder downloaden, dass auf jeden Fall ein Unterschied zu hören ist zu den klassischen Ansätzen, wie sie üblich sind, beispielsweise bei Sterling EQ, die als Streicherband mit Querflöte unterwegs sind. Ich hab ganz hohen Respekt vor den vier Frauen, die das machen, aber mein Anspruch ist, dass die Leute, wenn sie uns sehen, nicht sagen, „aha, jetzt kommt Klassik, die Bon Jovis It’s My Live als kammermusikalischen Höhepunkt inszeniert“, sondern: „Mein Gott, was machen die auf diesen Instrumenten, das klingt ja so dirty …“

Jupp: Genau! Wir wollen unsere Instrumente sozusagen, nicht nur live, an ihre Grenzen führen!

Befreien von dem angestaubten Image?

Jupp: Ja, vom klassischen Schönklang. Das soll jetzt nicht heißen, dass bei uns alles kratzig und gedroschen klingt, sondern einfach nur, dass es eben auch mal so klingen kann, denn das ist auf Streichinstrumenten auch möglich! Wenn wir das machen, ist das nicht zwangsläufig immer gut oder immer passend, aber man kann es machen – und die Instrumente halten es aus!

Gunnar: Auch das muss man klar sagen: Es soll jetzt keine Revolution gegen die Kammermusik sein oder gar gegen die Klassik – es ist am Ende einfach eine andere Sparte, die wir bedienen.

Jupp: Wir nehmen unsere Inspiration einfach überallher, Kammermusik, Rockmusik, und dann machen wir unser eigenes Ding daraus!

Gunnar: Ich weiß gar nicht, ob die Zielgruppe da so riesengroß ist, wie wir das gern hätten – denn wir machen ja kein Crossover! Crossover ist so ein Mischmasch, irgendwie beliebig.

Da bin ich ganz auf deiner Seite! Ist es bei euch vielleicht eher so, dass ihr dem Rockfan das Herz öffnet für Kammermusikalisches und den Klassikfan auch für Rocksounds zu begeistern wisst?

Jupp: Na, das ist immer schwierig. Dann müssten wir ja auch Klassik spielen. Wir haben zwar darüber gesprochen, für bestimmte Anlässe ein kleines klassisches Programm im Repertoire zu haben, die Idee aber nie weiter ausgeführt. Das ist nämlich so eine Sache: Bei klassischer Musik gibt es viel mehr Leute, die einem da auf die Finger gucken und sich fragen, „Wie ist das denn interpretiert? Das ist doch eigentlich ein Mozart-Quartett für Holzbläser, warum haben die das jetzt auf Streichinstrumente übertragen und für einer Dreierbesetzung arrangiert?“ Bei klassischer Musik wird man immer sofort auf ganz andere Weise beurteilt. Deswegen: Klassische Musik spielen – mache ich persönlich gerne. Ist aber nicht Sinn und Zweck dieser Sache hier. Und dem Rockmusiker plötzlich ein klassisches Stück vorzuspielen – das würde dem gar nicht mehr gefallen. Dem gefällt es, dass er kennt, was wir spielen! Und das wäre nicht der Fall, wenn wir jetzt einen Mozart auf irgendeine besonders abgefahrene und rockige Weise spielen würden.

Johannes: Wenn ich ergänzen darf: Ich glaube, so ein bisschen auch unsere Mission, wenn wir sie auch noch nie formuliert haben, ist auch: Der Begriff „klassische Instrumente“ ist ja schon an sich ein Frevel, denn Klassik war damals einfach die Popmusik. Und wir leben im Hier und Jetzt und versuchen auch, so zu klingen! Es gibt Spezialisten, die können Barock viel besser spielen als wir – und machen es auch. Wir machen halt, was wir können.

Jupp: Heutzutage nennt man die Instrumente eben so, und das ist ein bisschen schade.

Johannes: Ja, das ist auch gleich so einschränkend!

Wobei ich diese U-Musik/E-Musik-Unterteilung für überholt halte …

Gunnar: Genau. Als wir neulich auf einer Hochzeit gespielt haben, kam einer danach zu mir, der war ganz schick im Anzug, und erzählte, dass er üblicherweise mit seiner Harley Davidson durch die Gegend fahre. Ich konnte mir den in Leder gar nicht vorstellen! Jedenfalls hat er gesagt, dass er unsere Musik so richtig cool findet. Und auf einmal hatten wir eine Ebene in der Diskussion, wo es gar nicht mehr um die Instrumente ging, sondern um die Musik. Damit war für mich so ein bisschen der Kulminationspunkt erreicht, dass wir das, was wir als Musik rüberbringen wollen, als Message rüberbringen wollen, auch wirklich rübergebracht haben. Egal, ob wir Gitarren spielen oder mit Streichinstrumenten.

Johannes: Jetzt hab‘ ich Gänsehaut!

Das wäre auch ein wunderbarer Schlusspunkt, aber eine Frage kann ich mir einfach nicht verkneifen: nämlich die nach diesem Familiending von B.S.O. Ich habe Anfang des Jahres ein Schwesternpaar interviewen können, das miteinander Musik macht, und sie sagten „singing with your sibling is just like singing with yourself“, weil du schon aus rein genetischen Gründen eine ähnliche Stimme hast, dass du dich in deinem Gegenüber wie im Spiegelbild fühlst … Lässt sich das auf Instrumentalisten übertragen? Macht man durch einen gemeinsamen Genpool Dinge unbewusst ähnlich, spielt man harmonischer zusammen, als wenn man nur befreundet, aber nicht verwandt wäre? Im Sommer hast du gesagt, die Verwandtschaft spiele keine Rolle, euer harmonisches Zusammenspiel liege vielmehr darin begründet, dass ihr die gleiche Ausbildung hättet.

Jupp: Ich erinnere mich, dass wir im Sommer schon mal intensiv darüber diskutiert hatten …

Johannes: … aber auch keine wirkliche Antwort gefunden haben …

Wir waren ja auch ziemlich betrunken … (Das sei uns verziehen. Es war am Tag von Köpfhörerhunds Beerdigung.)

Jupp: Ich persönlich würde heute sagen, das mit der Ausbildung ist wahr. Aber vielleicht, irgendwo ganz entfernt und ganz tief unterbewusst, spielt Verwandtschaft eine Rolle. Wichtiger aber ist: Wir sind auf einer Wellenlänge und kommen gut klar. Dass wir dann musikalisch auch auf einer Wellenlänge sind, ist natürlich ein Vorteil, den wir auch zu unseren Gunsten nutzen.

Gunnar: Und dabei spielt, zumindest aus meiner Sicht, das Familiäre eine immer untergeordnetere Rolle. Spätestens seit dem Zeitpunkt, seitdem wir einen eigenen Proberaum haben und aus dem elterlichen, familienbezogenen Umfeld des Übens raus sind, seitdem sind wir drei Freunde, die hier zusammensitzen.

Ihr seid als Band also nicht Onkel und Vater, Neffe und Sohn, Cousin und Cousin, sondern …

Gunnar: Ich hoffe mal nicht! Ich versuche, hier keinerlei väterlichen Aspekte einzubringen!

Jupp: Wenn mich jemand nach meinen beiden Mitmusikern fragt, sage ich zwar immer, das sind mein Cousin und mein Vater, aber dieses Familiäre verläuft sich immer mehr. Wir sind nicht mehr das Familienprojekt, das wir am Anfang waren und das gesagt hat, hey, du spielst Geige, wir spielen beide Cello, wir können ja mal so’n bisschen Metallica covern. Es war günstig, dass es so angefangen hat, es hat uns den Start erleichtert, aber das steht jetzt nicht mehr im Vordergrund.

Gunnar: Sonst könnten wir auch den ganz am Anfang formulierten Anspruch an die Demokratie innerhalb der Band nicht aufrecht erhalten.

Jupp: Dann wärst du der Patriarch!

Gunnar: Können wir ja mal drüber nachdenken – müsste aber auch wieder mit absoluter Mehrheit dafür gestimmt werden …

Jupp: Sieht also schlecht für dich aus.

Johannes: Ich würde hier noch einmal gern etwas loswerden: Ein ganz wichtiger Punkt bei dem Thema ist Vertrauen. Und das ist etwas, das uns auch den Einstieg so leicht gemacht hat. Familie ist schon … auch ein bisschen heilig. Das stand uns nie im Wege. Es wäre auch okay, wenn wir nicht verwandt wären – aber es wär‘ schade.

Gunnar: Jetzt hab‘ ich auch Gänsehaut.


Hat eben einen guten Geschmack, der Hund!

27. November 2012

Man kommt nicht weiter, wenn man immer nur das hört, was man kennt. Jazz-Trompeter Christian Meyers im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 11:57

Wenn Neuklang Records, die Jazzlabel-Ausgründung der legendären Bauer-Studios, anfragt, ob man einen ihrer Künstler zum Interview treffen möchte, sagt man nicht nein. Noch dazu nicht, wenn einem dessen Platte so gut gefällt, dass man sie auf fairaudio.de zur kommenden Platte des Monats machen will. Mulmig wird es dem Musikjournalisten allerdings, wenn der Labelkontakt den Nachsatz „Wäre auch selbst gespannt, was du da aus ihm rauslocken kannst …“ nachschiebt. Gilt der Künstler als maulfaul, gar schwierig? Muss man ihm jedes Wort aus der Nase ziehen? Wird das Interview nach fünf Sätzen beendet sein?

Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein, denn als ich Christian Meyers treffe, um mit ihm über sein aktuelles Album East Autumn zu sprechen, wird schnell klar: Dieser Mann hat eine Mission, ob als Musiker oder als Pädagoge, wobei Musizieren und Unterrichten für ihn ohnehin nur die beiden Seiten ein und derselben Medaille sind. Werden Sie Zeuge unseres wahrlich nicht als Fünf-Satz-Interview zu bezeichnenden Gesprächs, währenddessen der mit Schäferhunden Aufgewachsene ganz en passant den unter dem Tisch randalierenden Linahund (man muss das verstehen: die Küche! die Gerüche!) bändigt, und lesen Sie über Personalentscheidungen contra musikalische Entscheidungen, die Schwierigkeit, Musik in Worte zu fassen, den Wert der Musik, den Plattenschrank seines Vaters und weshalb der Trompeter trotz Fernsehturm auf dem Cover nicht den Soundtrack der Metropole spielen möchte. Nebenbei streifen wir die GEMA-Debatte, die ECM-Symbolik und begeben uns auf modales Gebiet, wobei schon mal Sätze fallen wie: „Es bleibt unimodal, ist aber durch die Verwendung verschiedener Tonarten polytonal.“ Im Grunde geht es aber darum, dass „die Liebe schon ganz früh da war“ – nämlich die zum Jazz.

Klangverführer: Als wir unser Treffen verabredeten und ich in deiner Signatur „Meyers Nachtcafé“ las, hätte ich beinahe angenommen, dass du auch noch ein kleines Jazzcafé betreibst – dabei ist „Meyers Nachtcafé“ ja gar keine Location, sondern der Name deines akustischen Loungejazz-Projekts. Warum jetzt die Umbenennung vom Nachtcafé in das konservativere Quintett? Mit Alex Uhl (Bass), Eckhard, Stromer (Drums) Martin Johnson (Rhodes) und Rüdiger Nass (Gitarre) hast du als „Nachtcafé“ ja auch schon als Quintett, wenngleich nicht in klassischer Quintettbesetzung, gespielt …

Christian Meyers: Also das Nachtcafé ist in erster Linie eine Personalbesetzung. Das heißt, dass ich mir überlegt habe: Mit welchen Leuten will ich gerne Musik machen? Und dann habe ich die ausgewählt. Das sind Leute, mit denen ich auch sonst viel zu tun habe. Martin kenne ich als Dozent, Eckhart ist ein Kollege von mir an der Musikhochschule … Das heißt, ich habe die Personalentscheidung vor der musikalischen getroffen. Ich habe diese Leute zusammengesucht, weil ich weiß, dass einige von ihnen keine Hardcore-Jazz-Typen sind, sondern eher so aus der Funk-Rock-Ecke kommen. Wir haben uns gesagt, setzen wir uns mal zusammen und gucken, was für eine Art Musik dabei herauskommt! Und erst, als klar wurde, wo das hingeht und wo die Stärken dieser Band sind, habe ich die Musik für diese Besetzung geschrieben.

Beim Quintett ist es ein ganz anderes Konzept, denn hier war es so, dass ich zuerst die Musik im Kopf hatte. Ich habe sie aufgeschrieben und dann überlegt, mit wem ich sie umsetzen möchte. Mit Eckhard Stromer, Ull Möck und Jens Loh spiele ich zusammen bei Lilly Thornton in der Band – eine ganz tolle Sängerin aus der Schweiz! –, das ist eine eingespielte, großartige Gruppe. Die sind so wahnsinnig schnell, die Jungs, so unglaublich musikalisch! Und den Andi Maile hab‘ ich mir dazugeholt, weil ich ihn aus der Bobby Burgess Big Band kenne, der spielt jetzt beim SWR, das ging alles ruck-zuck, ein, zwei Proben, dann haben wir ein Konzert gespielt, noch ein paarmal geprobt, das lief alles wie am Schnürchen!

Die Kreise ziehen sich aber natürlich noch viel weiter: Den Jens kenne ich noch vom Studium, beim Ull wohne ich öfter mal in Stuttgart, das ist jemand, mit dem man nächtelang über Musik reden kann … Manchmal trifft man Kollegen, mit denen herrscht blindes Einvernehmen. Das ist bei Martin, dem Keyboarder vom Nachtcafé, auch so. Wir haben uns kennengelernt und uns war sofort klar, dass das funktioniert, persönlich wie musikalisch. Das sind große Freundschaften – mittlerweile mit allen. Natürlich ist es immer schwer, mit eigenen Sachen herauszukommen, aber was mich gefreut hat ist, dass die das sofort in die Hand genommen haben und es auch sofort gut geworden ist. Noch bevor ich von denen ein Feedback bekommen habe, dass sie die Musik toll finden, habe ich beim Spielen gemerkt, dass das funktioniert.

Live spielen wir viel in Berlin, und da ich die Stuttgarter Jungs nicht immer nach Berlin holen kann, werde ich zum Beispiel im b-flat im Februar Wolfgang Köhler, einen Professor vom JIB, also vom Jazz Institut Berlin, am Klavier haben, und Holger Nell, den ehemaligen Drummer von der Rias Big Band, am Schlagzeug. Ich spiele das Quintett-Programm jetzt also mit Berliner Leuten. Beim Nachtcafé ist das anders, wenn da einer von uns nicht kann, dann treten wir nicht auf.

Du sagst, ihr seid mittlerweile auch untereinander befreundet. Ich stelle mir das schwierig vor, wenn man Freundschaft und Arbeit so eng miteinander vermengt …

Es ist immer schwer, dafür ein Wort zu finden. Es ist eine sehr intime Arbeit – und Arbeit ist es natürlich! –, und sie ist insofern sehr privat, als dass ich niemals jemanden in die Band holen würde, dem ich nicht vertraue oder von dem ich wüsste, dass er nur ein guter Spieler ist, aber nicht „mitschwingt“. Wenn man sein eigenes Zeug macht, dann ist das eben alles ein bisschen sensibel. Wir sind schon befreundete Kollegen und haben eine sehr intensive Beziehung zueinander, aber nochmal: Es ist schwer, dafür Worte zu finden.

Wenn du jetzt Vertrauen ansprichst – auch, weil man bei seinen eigenen Sachen so viel von sich preisgibt?

Naja, wie bei allen Menschen gibt es auch unter Musikern Söldner, Leute, die es einfach nur machen, und solche, die ein Gespür dafür haben und deine Sachen weiterbringen. Gerade bei solchen Dingen, mit denen man noch relativ am Anfang steht und wo ich auch noch nicht viel bezahlen kann, bin ich natürlich auf jemanden angewiesen, der daran glaubt und erst einmal für mich in Vorleistung geht. Jemand, der sagt: Ich steh‘ auf die Musik, ich steh‘ auf das Projekt und brauche jetzt nicht noch eine Gehaltserhöhung, um das zu machen. Unter diesen Voraussetzungen auch noch gute Leute zu finden, ist schwer. Man muss sie mit guter Musik überzeugen, dann geht das schon!

Es gibt ja auch schon die erste Rezension … Ich habe sie auf der New Yorker Seite criticaljazz.com entdeckt!

Ja, die ist toll, oder?

Ja, die ist toll. Was mich an ihr aber am meisten frappiert hat ist, dass der Rezensent schreibt, wenn man einen Referenzrahmen für eure Musik sucht, ist der am ehesten bei ECM-meets-Oldschool anzusetzen … Ich empfinde eure Musik überhaupt nicht ECM-mäßig kühl, distanziert und intellektuell, dafür groovt ihr doch viel zu sehr und seid vor allem viel zu lebendig – bei ECM-Künstlern habe ich öfter den Eindruck, sie seien, sorry to say, gewissermaßen scheintot …

Ja, ich habe das auch gelesen. Und auch wenn wir einige Sachen, gerade die groovigen, ganz bewusst so spielen, wie man sie damals noch nicht gespielt hat, und mal abgesehen von diesem modalen Stück, ist „East Autumn“ auf eine Art schon auch eine traditionelle Platte, aber ich finde, dass gerade die Art und Weise, wie beispielsweise Andi spielt, schon sehr modern ist, wobei das ja auch so ein sehr schwammiger Begriff ist. Ich meine, was ist modern und was ist traditionell? Viele spielen heute viel traditioneller als die Musiker von damals. Ich meine, zum Beispiel Coltrane! Der war ein absoluter Erneuerer und hat ein paar ganz böse Platten eingespielt, die heute noch schwer zu hören sind – und das in den Sechzigern! Mir fällt es wahnsinnig schwer, solche Schubladen aufzumachen und nach Labeln für die Musik zu suchen. Ich habe die Platte gemacht, weil sie mir so gefällt, weil ich das spüre, weil ich das so spielen will – und ich tue mich schwer damit, da im Nachhinein was draufkleben zu müssen. Den amerikanischen Kollegen von dir habe ich insofern verstanden, dass ich glaube, für viele Amerikaner ist ECM nach wie vor ein Synonym für europäischen Jazz, etwas, das eine bestimmte Farbe hat, eine bestimmte Coolness, eine bestimmet Distanziertheit, während man in Amerika immer „heiß“ spielt, da muss man nur mal nach New Orleans gucken. Und ECM steht eben für so einen ein bisschen intellektuellen, leicht distanzierten Jazz, wo es nicht zu konkret werden darf. Also nicht, „ach guck mal, das ist ja ein Blues!“, sondern immer so ein Touch „Wir-sorgen-dafür-dass-es-nicht-so-richtig-verstanden-wird“.

Wobei er ja gerade schreibt, dass ihr eben nicht das Klischee vom europäischen Jazz erfüllt …

Das meint er wahrscheinlich mit „Old School“. Ich habe mich aber wahnsinnig über die Kritik gefreut, und der dort bemühte Vergleich mit Freddie Hubbard ist extrem schmeichelhaft, denn das ist natürlich der große Meister!

Oh ja, das kann ich mir vorstellen! Du hast deine CD „East Autumn“ genannt, weil dir der Herbst, wie du in den Liner Notes schreibst, zwar schon immer die liebste Jahreszeit gewesen ist – sich in Berlin aber leider auch wie Winter anfühle. Der aktuelle Kälteeinbruch ist da sicherlich Wasser auf deine Mühlen …

Ganz genau!

Was gefällt dir denn so am Herbst, dass du ein ganzes Album danach nennst?

In der Regel sucht man den Albumtitel nach dem stärksten Stück aus und folgt keinem Konzept. Es gibt nur ganz wenige Leute, die ein Konzeptalbum schreiben, wo alle Stücke denselben thematischen Bezug haben. Für mich ist ein Album einfach nur eine Songsammlung, die man dann irgendwie in eine Reihenfolge bringt und dann überlegt, okay, welcher Song könnte jetzt der Titelsong sein. Da gibt es Titel wie „Out oft he Darkness“, und deshalb bin ich so ein bisschen die Negativ-Liste durchgegangen, wusste also erst einmal, welche Songs nicht der Titelsong sein können. Und dann dachte ich, „East Autumn“ ist ein guter Titel, weil „East“ mit Berlin zu tun hat, dem schon fertigen Layout mit dem Fernsehturm, das die Raija Holm gemacht hat, eine ganz tolle Designerin, die ich sehr schätze, und der Herbst ist meine liebste Jahreszeit, die CD kommt im Herbst raus, das passte irgendwie alles.

„East Autumn“ ist in meinen Ohren aber auch ein sehr klassischer Jazzalbumtitel, er erinnert mich an die „Autumn Leaves“ oder die „Autumn Regrets“ …

Genau, ganz genau. Und „East“ ist sozusagen die Reminiszenz an Berlin.

Vielleicht ist es auch das, was den amerikanische Kollegen so ein bisschen auf die ECM-Fährte setzte …Eine klassische Jazzplatte, die aber eben keine klassisch-amerikanische Jazzplatte ist.

Genau. Und ich freue mich einfach, dass das gelesen wird.

Vorhin hast du schon mal kurz das modale Stück auf deiner Platte angesprochen, „April’s Prayer“, das ja nun absolut kein Herbst-, sondern ein Frühlingsstück ist. Hier geht es aber nicht nur um das Erwachen und Erstehen der Natur, sondern mehr noch: Es verarbeitet den mittelalterlichen Psalm „Christ ist erstanden“, der als wahrscheinlich ältester liturgische Gesang in deutscher Sprache angesehen wird. Wie reiht sich ein Stück in dorischer Kirchtonart, das nicht nur das höchste Ereignis der Christenheit besingt, sondern gar als griff des musikalischen Ostermotivs gilt, ein in eine eher weltliche Themenwelt irgendwo zwischen Kantinengespräch und Pfannenkuchen?

Also ich finde genau das interessant. Wir leben im Pluralismus, es darf alles nebeneinander stehen, gerade in der Kunst, es gibt keine Begrenzungen mehr, man kann Leichtes neben Schweres setzen .. Damit habe ich kein Problem. Vom Themenkontext her ist es eher so, dass ich … Die Melodie ist so stark, die ist tausend Jahre alt, und sie ist immer noch stark, die habe ich als Ministrant in der Kirche damals so oft gehört und seitdem im Kopf gehabt. Sie hat mich einfach immer wieder aufs Neue fasziniert; und auch beim Üben, wo ich an einer Tonfolge eine technische Sache bearbeitet habe, ist sie immer wieder aufgetaucht, und dann hab ich gedacht, verwurstest du sie jetzt mal und guckst, was dabei rauskommt. Zuerst habe ich mich gar nicht getraut – noch nicht mal aus Respekt, denn ich finde, Musik ist jenseits von GEMA und allem erst einmal Allgemeingut, wenn die raus ist, ist sie in der Welt, und jeder darf damit erstmal machen, was er will! –, aber ich wusste nicht, ob das Stück gut genug ist. Dann hab ich es arrangiert und vorgelegt, und dann hatte ich wieder diesen Effekt mit den Kollegen und dachte, wow, das ist das beste Stück der Platte!

Ich wollte das Album dann schon beinahe „April’s Prayer“ nennen; und bis heute ist es eines meiner Lieblingsstücke! Es funktioniert sofort, obwohl es in diesem dorischen Modus bleibt. Den habe ich dann ein bisschen gebrochen, indem ich verschiedene dorische Modi genommen habe, das heißt, es bleibt unimodal, ist aber durch die Verwendung verschiedener Tonarten polytonal. Da gibt es zum Beispiel einen Teil, der steht in a-dorisch und einen, der steht in f-dorisch, und das gibt dem Ganzen zusätzliche Spannung und funktioniert super, damit bin ich ganz glücklich! Inhaltlich fand ich das Spannendste daran, dass ich das solchen Leuten vorgespielt habe, die aus der Kirchenmusikecke kommen, oder Leuten, von denen ich weiß, dass sie das Stück kennen – und das sind hier in Berlin nicht viele! –, und die haben es alle sofort erkannt, und es hat ihnen gefallen.

Ich wollte die Frage auch nicht im Sinne eines „Darf man das?“ stellen …

Also, jenseits von allem … Man kann zur Liturgie stehen, wie man will, und zum Katholizismus sowieso, aber es ist schon beeindruckend, die haben tolle Musik geschrieben! Ich war gerade erst in Leipzig in der Thomaskirche und habe Bach gehört – die haben schon tolle Musik geschrieben!

Definitiv! Du erwähntest gerade „jenseits von Liturgie“, dir ging es also bei dem Christ ist erstanden nicht um den Auferstehungsgedanken und die damit zusammenhängende Verheißung … Immerhin ist das auch ein ziemlich starker Gedanke, nicht nur die Melodie ist stark.

Nein, überhaupt nicht. Ich habe das Stück aus rein musikalischen Gründen gewählt. Ich hätte die Melodie auch genommen, wenn das ein irisches Volkslied gewesen wäre.

Vielleicht auf der nächsten CD …

Ja, das kann man auch machen, diese Themen. Es gibt ja Leute, die sehr stark thematisch arbeiten und sich dann solche übergeordneten Themen überlegen. Aber mir ging es vor allem um … Ich habe versucht, mir das zu erspielen. Ich hatte dazu so viel Musik im Kopf. Es ist auch stilistisch relativ breit gefächert, es gibt ein paar Balladen, was Modales, was Funkiges, aber es war alles Musik, die ich im Prinzip ohne Konzept und ohne Hintergedanken zuerst gehört und dann niedergeschrieben habe.

Das heißt, du hast Vieles davon schon lange mit dir herumgetragen und erst jetzt für das Projekt niedergeschrieben?

Hm, nee. Also, so ein paar Ideen sind vielleicht schon etwas älter, denn ich habe so eine Art Ideensammlung, in der ich kleine Schnipsel notiere und auf die ich dann ab und zu zurückgreife, aber im Prinzip habe ich die Musik fast in einem Rutsch im letzten Jahr geschrieben. Den Bandsound hingegen, den habe ich schon länger mit mir herumgetragen. Auch, während ich mit Nachtcafé gearbeitet habe, der Band, der ich sehr verbunden bin, habe ich schon immer mal einen zweiten Bläser oder einen Kontrabass gehört. Ein paar Nummern habe ich auch mit dem Nachtcafé probiert – aber das ist die falsche Band für die Stücke. Nachtcafé, dass sind E-Gitarre, E-Bass und Fender Rhodes, das ist ein ganz eigener Sound, dazu passt bestimmte Musik – und andere eben nicht. Ich habe also immer mehr gemerkt, dass ich Musik schreibe, die nicht zu der alten Band passt.

Um noch einmal kurz bei Nachtcafé zu bleiben – aber auch zurückzukommen darauf, dass du vorhin gesagt hast, wenn eine Melodie erst einmal in der Welt ist, gehört sie allen und jeder darf damit machen, was er will: Du bietest die Nachtcafé-Sachen zum kostenlosen MP3-Download an …

Ja, damals habe ich mir überlegt, bis wir so groß sind, dass wir viele Platten verkaufen, verdienen wir an Platten erst einmal nicht soviel. Dann ist es mir wichtiger, dass die Leute es hören, toll finden und sich auch mal nehmen können – ich hab‘ damit nichts verschenkt, sondern verkaufe meine Platten dann bei den Live-Auftritten, und da nehmen sie einem die Leute auch gerne ab, weil sie dann das Gefühl haben, von dem Konzert auch haptisch etwas mitnehmen zu können. Bei der nächsten Nachtcafé-Platte, an der wir jetzt auch schon dran sind, werden wir das aber anders machen. Damals, vor ein paar Jahren, habe ich aber entschieden, dass das so okay ist. Ich dachte, kennt eh‘ noch keiner – und bevor man da jetzt anfängt rumzugeizen … Wenn sich das jetzt einer runterlädt und in seinem Laden spielt, dann tut mir das nicht weh. Wir verkaufen trotzdem noch CDs, da muss man nicht von vornherein den Deckel drauf halten.

Du wolltest jetzt damit aber auch umgekehrt kein Zeichen setzen gegen die böse Musikindustrie oder so …

Nee, im Gegenteil, und das geht jetzt ein bisschen in Richtung der GEMA-Debatte, die wir gerade erleben: Ich finde, dass Musik ihren Wert hat und gerade wir, die wir davon leben, sollten dazu stehen. Dieser Meinung bin ich grundsätzlich, aber trotzdem habe ich damals entschieden, ich fange an, und wenn man mit etwas anfängt, muss man auch mal was in die Runde schmeißen und in Vorleistung gehen.

Dass die Leute es hören und sagen, Mensch, das gefällt mir, das will ich jetzt auch im Original besitzen?

Genau: Ich hab’s mir runtergeladen und jetzt will ich es doch noch für meine Plattensammlung haben. Ich hab‘ das bei mir selbst gemerkt: Seitdem ich meinen ersten iPod gekauft habe, hab‘ ich mir wieder viel mehr CDs gekauft. Und iTunes bzw. Apple hat das einfach super hingekriegt, dass die sich das bezahlen lassen. Aber klar, es ist schwer für viele andere. Ich glaube, es ist überhaupt schwerer geworden, mit Musik Geld zu verdienen oder auf dem Plattenmarkt zu bestehen. Das geht auch den Großen so. Ich glaube, viele Bands verdienen das meiste Geld durch live spielen, der ganz große Plattenhype ist vorbei. Aber das ist nunmal so.

Wir haben vorhin im Zusammenhang mit dem kalten Herbst schon mal Berlin angesprochen, damit war ich noch nicht ganz durch. Auf deiner Platte findet sich der Hauptstadtbezug ja nicht nur auf der Covergrafik, wo Trompete und Fernsehturm verschmelzen, sondern auch im Stück „Berlin Pancake“ … Steckt da Absicht dahinter nach dem Motto „was draufsteht, ist auch drin“, sprich: Liefert das CMQ den aktuellen Soundtrack unserer Metropole?

Nee, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Berlin ist so groß, es gibt so viele Szenen, es ist so dezentral, also es gibt *den* Berliner Sound nicht. Der wird zwar immer wieder ausgerufen, gerade auch in Bezug auf elektronische Tanzmusik – wobei ich echt gar keine Ahnung davon habe, was da in diesem elektronischen Umfeld so alles abläuft. Das kann kein einzelner Mensch verfolgen. Wenn also irgendwelche Leute behaupteten, sie müssten wie Berlin klingen, dann fände ich das anmaßend. Andererseits leben wir mit diesen Klischees: Ich zum Beispiel stehe sehr auf Donald Fagan, den Keyboarder von Steely Dan, den find‘ ich tierisch. Und obwohl ich noch nie in New York war, ist Donald Fagan für mich der Sound von New York. Da mögen mir jetzt drei Millionen New Yorker widersprechen, aber für mich ist das so.

Die Berlinbezüge auf meiner Platte kommen aber, wie die Musik, einfach aus dem Bauch heraus. Das Logo kommt von mir, da habe ich versucht, etwas mit der Trompete zu bauen. Ich habe dann zu Hause mit Bildchen und Fernsehturmaufkleber herumgespielt und das Ergebnis der Raija vorgeschlagen. Und das mit „Pancake“, das ist eine Geschichte, die man als Zugezogener einfach immer witzig findet: Wenn man zum ersten Mal hier beim Bäcker sagt, ich hätt‘ gern ‘nen Berliner, dann sagen die: Die laufen bei uns auf der Straße rum! Bei den Berlinern selbst heißt der Berliner ja Pfannkuchen, und Pfannkuchen heißt hier wiederum Eierkuchen … Jedenfalls habe ich dann einen Calypso geschrieben, und da die Musik keine Lyrics hat, braucht man ja immer einen griffigen Titel, und dann musste ich an diese Berliner-Geschichte denken. Den Nicht-Deutschen muss man immer ein bisschen erklären, was die Berliner da veranstalten mit ihren Pfannkuchen, und darum hat die Geschichte Eingang in die Liner Notes gefunden. Und da das so eine augenzwinkernde Sache ist und auch der Calypso viel mit einem Augenzwinkern zu tun hat, passte das ganz gut.

Soundtrack für die Stadt nicht – aber Soundtrack für die jüngste Ausgabe von „Andruck – Magazin für politische Kultur“ des Deutschlandfunks waren einige Stücke von „East Autumn“. Ich habe mir den Podcast angehört – in den dort vorgestellten Büchern ging es ja richtig zur Sache. Wie fühlt sich das an, sich mit einer CD, die man gerade im Begriff ist zu releasen, plötzlich in einem Radiomagazin für politische Literatur wiederzufinden, also in einem Kontext, wo man nicht unbedingt jeden Tag erscheint?

Also, das war schon ein Ding! Ich hab das auch im Podcast gehört, und ja, das war schon ein komisches Gefühl: Meine Musik, von der ich immer noch denke … die noch ganz frisch ist, das Baby ist noch ganz frisch …und dann höre ich das und denke, wow, hoffentlich ist sie gut genug. Das sind so Unsicherheiten, mit denen man immer umgehen muss. Und danach dann die Moderatorin mit Syrien, bang!, und Religion und was der harten Themen mehr sind, richtige Klöpse … Aber natürlich bin ich erstmal froh, wenn meine Musik gehört wird. Es scheint eine kluge Sendung zu sein, da geht es um Besprechungen von Büchern, die auch heikle Themen angehen, und ich habe spontan gedacht, dass sich die Klientel, die diese Sendung hört, vielleicht auch für diese Musik interessiert. Insofern ist die Musik da richtig. Auf das politische Gleis möchte ich mich jetzt nicht bewegen, das ist mir zu heiß, aber ich kann soviel sagen, dass es auch für mich ein harter Schnitt war, wie nach meinem Solo ausgefadet und dann ohne Überleitung mit den heißen Themen begonnen wurde. Das war schon ungewöhnlich für mich, aber wenn diesem klugen Format meine Musik adäquat erscheint, dann finde ich das natürlich super.

Ich fand auch den Musikredakteur, der das geschnitten hat, gar nicht so schlecht, der hat das Intro von „A Glimpse of Past Events“ weggelassen und genau mit dem Thema begonnen, was ich selbst am ohrwurmartigsten empfinde.

(singen beide). La-da-da-die-da …

Ja, und dann spielen sie noch „Still Around“ und „Out oft he Darkness“. Und das ist schon adäquat. Man hätte für eine viel leichtere Sendung auch andere Stücke auswählen können, die haben sich also schon mit der CD auseinandergesetzt. Und ich meine Air Time ist unbezahlbar! Airplay ist immer gut. Mich hat das schon sehr gefreut, dass sie mich ausgewählt haben.

Wir haben es ja vorhin schon angesprochen: Auch für bekanntere Musiker ist es mittlerweile schwer, von ihrer Musik zu leben. Du unterrichtest noch zusätzlich an der Musikhochschule Stuttgart die Jazztrompeterklasse …

Ja, schon immer! Aber im Moment mache ich selber mal gerade ein Urlaubssemester, weil ich das Albumding anschieben will und ein bisschen Zeit für meine eigenen Projekte brauche. Aber es stimmt schon, wir machen ja alle noch so Sachen nebenbei.

Und wie gehst du mit diesem Spagat zwischen Vervollkommnung des eigenen Stils, also dem eigenen künstlerischen Schaffen, und der Weitergabe von Wissen, also dem pädagogischen Schaffen um?

Oh, das ist nicht schwer. Irgendwie gehört das sogar zusammen. Man muss immer in der Lage sein – und das können die bildenden Künstler auch immer, das lernen die auch –, sich in verschiedenen Stilen und verschiedenen Techniken zu bewegen, das sind zwei völlig verschiedene Sachen, die man aber parallel machen kann. Es gibt immer wieder Leute, die auch in jungen Jahren glauben, sie müssten hauptsächlich ihren eigenen Sound finden oder hauptsächlich ihr eigenes Ding machen. Das stimmt schon auch, aber man muss auch in der Lage sein, etwas anderes anzubieten, sonst kann man in der Kunst nicht überleben. Ich habe schon ganz viele unterschiedliche Sachen gemacht vorher, ich war in einer Bigband und ich spiele auch immer noch Shows, und da geht es nicht darum, dass ich eigene Stücke schreibe oder toll improvisiere, sondern da musst du einfach …

… auf den Punkt spielen können!

Ja, eben. Das ist eine ganz andere Arbeit, aber das ist auch das, was ich meinen Studenten versuche zu vermitteln: Technik, Technik, Technik, verschiedene Stile kopieren, in ‘ner Funkband spielen, im Musical spielen, klassisches Blechbläserquartett spielen, von mir aus auch Blaskapelle, egal – und gleichzeitig eigene Musik schreiben. Das gehört zusammen, das ist nichts, was sich ausschließt, im Gegenteil! Ich finde sogar, dass die Leute, die nur ihr eigenes Zeug machen, sich auf eine Art limitieren, weil sie nichts anderes mehr haben. Man muss aber aufpassen, den ganz breiten Spagat kann man irgendwann nicht mehr machen. Ich spiele immer wieder hier in Berlin im Radiosinfonieorchester, wenn die irgendetwas Jazziges haben. Zum Beispiel der Film „Metropolis“, der wurde für die letzte Berlinale ja neu vertont, da gibt es einen kleinen Jazzpart und da habe ich mitgespielt. Aber bei Klassik sieht das schon anders aus. Ich habe gemerkt, je mehr ich mache, desto schwerer fällt es mir, mich so zu konzentrieren, um die Klassik amtlich zu bedienen. Das können andere viel besser. Ich freue mich, wenn sie mich anrufen – aber es wird immer schwieriger. Wenn man das wirklich gut machen will, muss man seine ganze Energie da reinstecken. Aber unterrichten – das habe ich immer schon gemacht, das mache ich, seit ich sechzehn bin.

Das heißt, das Unterrichten absorbiert nicht soviel kreative Energie wie das Spielen von anderen Stilen …

Das Unterrichten ist in erster Linie eine Arbeit mit interessierten jungen Menschen, das mir selbst auch ganz viel gibt. Meine Schüler sind zwar alle in Stuttgart, aber die kommen auch sehr oft nach Berlin und rufen ständig an. Das ist ja auch Einzelunterricht, das ist nochmal was ganz anderes als in so einem Uni-Studium, das ist ein ganz privater Kontakt. Ich habe auch zu meinen Lehrern immer einen ganz tollen Draht gehabt. Das waren für mich nicht wirklich Lehrer, sondern eher ältere Brüder, die schon einfach mal ein paar Jahre weiter sind als ich. Das Unterrichten ist eine tolle Arbeit, es macht mir viel Freude. Meine Schüler müssen bei mir auch alles machen, die müssen schreiben, die müssen arrangieren – das lernen die sehr früh! Ich selbst habe das erst relativ spät gelernt, und ich bin da jetzt rigoros. Die müssen bei mir auch ganz viel Technik machen, die müssen einfach gut Trompete spielen! Das hat dann erst einmal nichts damit zu tun, wo es sich dann musikalisch hinfächern wird, denn ohne Technik kannst du einfach nicht arbeiten, die muss jeder haben! Auch wenn das erst einmal nichts mit Jazz zu tun hat.

Du selbst hast klassische Trompete studiert und spielst manchmal dann doch noch Klassik …

Ja, gerade vor zwei Wochen wieder. Da rief das Gewandhausorchester an, denn sie wollten das Schlagzeugkonzert von Dorman aufführen, mit einem sehr gefeaturten Solisten: Martin Grubinger. Und das hat einen anspruchsvollen ersten Trompetenpart. Weil die aber im zweiten Teil Brahms aufführen wollten, hat der Solotrompeter vom Gewandhausorchester gesagt, er möchte für das Schlagzeugkonzert gern einen Spezialisten haben und sich selbst auf Brahms konzentrieren. Ja, und dann hatte ich die große Ehre, mit diesem wahnsinnig tollen Orchester zu spielen. Ein unglaublich tolles Orchester, eines der besten deutschen großen Orchester! Und obwohl das ja nicht mein Kerngeschäft ist, saß ich dann mittendrin. Das hat mich natürlich auch einiges an Nerven gekostet, aber es hat gut funktioniert. Es gab noch einen Live-Mitschnitt im MDR … das waren drei tolle Konzerte. Und weil das so eine völlig andere Baustelle ist, hat mich das natürlich umso mehr bereichert. Diese Musiker spielen nicht nur anders, die üben anders, die denken anders, die arbeiten anders … das war eine tolle Erfahrung! Letzten Endes sind das aber auch nur tolle Musiker – genau wie meine hier.

Auch das Gewandhaus selbst ist ein ganz toller Raum – wenn man da spielt, klingt es einfach sofort gut. Und vor allem mit so einem renommierten Orchester. Für Brahms würden die mich niemals anrufen, das können die viel besser, aber für diese rhythmischen Geschichten suchten sie jemanden, der so ein bisschen aus der Jazz-Ecke kommt. Dabei hat sich das Gewandhausorchester selbst schon sehr verjüngt – man stellt sich immer diese alten Herren vor, dabei sind die meisten Musiker etwa in meinem Alter oder sogar jünger. Das ist nicht mehr so wie früher, die gucken schon alle auch nach rechts und links. Aber wenn du in Deutschland Erfolg als Orchestermusiker haben willst, dann musst du wahnsinnig fokussiert darauf hinarbeiten. Das Niveau ist so hoch – allein um so ein Probespiel zu bestehen und in ein Orchester hineinzukommen, kann man sich gar nicht leisten, zu denken, ach, ich probier mal ein bisschen Jazz. Die Zeit um sich auszuprobieren ist einfach nicht mehr da. Die Leute kommen aus Ungarn oder bei uns aus Schulen wie deiner Händel-Schule, und die sind mit sechzehn, siebzehn, achtzehn schon völlig auf der Spur, sehr geradlinig. Das ist zwar sehr beeindruckend, aber mir wäre das zu eng.

Was war denn dann bei dir der zündende Funke, der dich von der Klassik zum Jazz gebracht hat?

Sagen wir mal so, ich habe Jazz eigentlich schon immer gespielt, seit ich Trompete spiele. Ich habe mit elf angefangen, also seit zweiunddreißig Jahren. Man kann sagen, ich habe gewissermaßen Klassik studiert, *obwohl* ich schon immer Jazz gespielt habe. Ich wollte erstmal einfach gut Trompete spielen lernen. Wo das hingeht, wusste ich noch nicht richtig, aber irgendwie war mir das mit dem Jazz immer klar. Ich hatte einen tollen Lehrer in Frankfurt und wusste immer, ich will das Studium bei dem auch beenden, aber ich habe schon im Studium ganz viel bei der Rundfunkbigband gespielt. Das gilt auch umgekehrt: Meine Schüler müssen bei mir auch die ganzen klassischen Sachen lernen, die großen Konzerte spielen können. Ich bin der Meinung, wie man als klassischer Trompeter Miles Davis kennen muss, muss man als Jazzer auch diese ganzen Haydn-Konzerte kennen. Es gibt da immer wieder so Spezialisten-Typen, die da sagen, „nee, nur deins“, aber ich seh‘ das anders. Die Musikwelt ist vielfältig, Trompete ist ein wahnsinnig flexibles Instrument … Ich habe das große Glück, mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen zu spielen. Ich habe als Student mal im Ensemble Modern, diesem tollen Frankfurter Ensemble für Neue Musik, gespielt, in der Bigband, jetzt immer mal wieder im Orchester …

Das heißt, du hältst auch die Trennung zwischen sogenannter E- und sogenannter U-Musik, zwischen Klassik und Jazz, für artifiziell?

Im Sinne von Blödsinn? Ja natürlich. Das ist wieder so ein Schubladending, da halte ich gar nichts von. Das ist eine ganz komische Unterteilung, die sich irgendjemand mal ausgedacht hat. Es gibt auch unterhaltsame Klassik – und es gibt ernsthafte U-Musik. Es gibt wirklich ganz ernsthafte und kluge, wahnsinnig tiefsinnige U-Musik im Sinne von Jazz, und wahnsinnig lapidare und profane E-Musik. Nur, weil das irgendwann mal ein Haydn geschrieben hat, ist das nicht automatisch tiefsinnig. Aber die Leute brauchen das, die brauchen so Türchen und Schilder. Dabei ist es so schwierig, über Musik zu reden! Es gibt da dieses berühmte Zitat, über Musik zu reden ist so …

… wie über Architektur zu tanzen! Ja, das ist auch der Eröffnungssatz meiner Website. Ich versuche es trotzdem.

Das ist auch richtig! Das Problem dabei ist, bei der Musik noch mehr als bei der bildenden Kunst, dass sie für die Leute so persönlich ist, sie reagieren intuitiv darauf. Ich merke das an den Kindern – ich mache auch Kinder- bzw. Jugend-Jazz-Workshops an Schulen. Und bei denen ist das so verwoben, dass die Musiklehrer die nicht erreichen können. Dabei ist das so, wenn du dich ein bisschen auskennst mit Musik, mit Harmonien, dann erkennst du Dinge, erkennst Kadenzen, Funktionen und so etwas. Es ist wie mit allem im Leben, wenn du Sachen begreifst, dann siehst du sie auch plötzlich. Und trotzdem ist für die meisten Musik immer noch sehr emotional, die Leute ertragen bestimmte Musik richtiggehend nicht.

Weil sie den Körper ganz unmittelbar berührt?

Schwer zu sagen. Ich glaube, sie berührt eigentlich eher die Seele. Viele Leute tun sich wahnsinnig schwer mit bestimmter Art von Musik. Dabei muss man bestimmte Arten von Musik auch einfach mal aushalten! Coltrane zum Beispiel, oder jemand, der ganz hart, ganz modern spielt, den muss man einfach mal aushalten. „A Love Supreme“ von Coltrane, das muss man einfach mal aushalten, auch wenn’s anstrengend ist – da muss man irgendwie durch! Das muss man sich jetzt nicht morgens auflegen, um aufzustehen und Kaffee zu machen – aber man kommt ja nicht weiter, wenn man immer nur das hört, was einem nur gut tut oder was man sowieso denkt, schon zu kennen. Und das ist so ein Bereich, in den im Moment auch ganz viele Leute reinproduzieren.

Es gibt aber immer wieder Typen, die sich ganz kompromisslos weit aus dem Fenster lehnen – zu denen zähle ich mich übrigens nicht. Beispielsweise gab es mal einen Trompeter, Booker Little hieß der, den kennt kein Mensch, der hat auch nur zwei oder drei Platten gemacht und ist ganz jung gestorben, aber der klang schon in den Sechzigern so wie Wynton Marsalis – er klang wie vor seiner Zeit, wie aus der Zeit gefallen, der hat einfach zwanzig, dreißig Jahre zu früh gelebt. Und solche Typen gibt es im Prinzip immer wieder. Monk zum Beispiel! Der wurde auch nicht verstanden. Und da muss man einfach mal durch. Und das versuche ich als Pädagoge zu vermitteln. Die Leute sind es gewohnt, intuitiv etwas zu mögen oder nicht zu mögen, also intuitiv auf Musik zu reagieren. Das erste, was ich versuche ihnen beizubringen, ist, dass sie das mal abschalten und erstmal einfach nur beschreiben, was sie hören, und nicht sofort werten, nicht sofort mögen oder nicht mögen. Sobald man ein bisschen darauf gucken kann, wie ein Musikstück gemacht ist, von der Struktur her und so, wird auch dieser intuitive Wertungsmechanismus aufgebrochen.

Bei mir selbst dauert es mittlerweile sehr lange, bis Musik im inneren Zirkel ankommt, wo sie gefällt oder nicht. Ich höre ganz viel Musik, und die höre ich mir einfach erst einmal ganz offen an. Ich höre auch schon sehr handwerklich, ob es gut gemacht ist oder ob es billig produziert ist – das ist es auch, was mir bei dieser ganzen Volksmusik so auf die Nerven geht, weil man hört, dass es so schnell und lieblos gemacht ist. Das kann ich in einer halben Stunde auch produzieren! Aber, wie jeder andere auch, habe ich natürlich auch meine Lieblingsplatten zum Autofahren und Mitsingen.

Meine Ausgangsfrage war ja die nach dem zündenden Funken, der dich zum Jazz geführt hat, davon sind wir irgendwie wieder abgekommen …

Der zündende Funke war ganz klassisch: Der Plattenschrank meines Vaters! Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie, das sind alles Hobbysänger, und mein Vater hatte auch eine große Plattensammlung. Da habe ich dann „American Patrol“ von Glenn Miller entdeckt. Als ich so mit zehn, elf anfing, Trompete zu spielen, habe ich das gehört und dachte: wow! Und auf der B-Seite war „St. Louis Blues March“. Die Liebe war ganz früh da. Und ich hatte das Glück, dass ich bei dem Trompeter, den ich mit am meisten bewundert habe, Ack van Rooyen – das ist der Solist und Flügelhornsolist von Peter Herbolzheimer gewesen, und auch bei Bert Kaempfert hat er ganz lange gespielt … jedenfalls habe ich den schon immer bewundert, auch, als ich noch ganz klein war, und bei dem habe ich dann nachher selbst Unterricht nehmen dürfen. Er ist ja einer der berühmtesten Flügelhornisten, ein Instrument, zu dem die Jazztrompeter gern greifen, wenn es um Balladen geht. Das Flügelhorn wurde in den Sechzigern, Siebzigern populär als Melodieinstrument, als weichere Form der Trompete, es hat zwar als Horninstrument eine andere Bauweise, einen anderen Konus, aber es ist genauso gestimmt wie eine Trompete und spielt sich sehr ähnlich. Das heißt, jeder Trompeter kann ein Flügelhorn in die Hand nehmen und darauf spielen – aber nicht jeder Trompeter klingt da auch richtig gut drauf. Und der Ack ist ein ganz lyrischer Spieler, ein toller Balladenspieler. Er ist mittlerweile über achtzig und spielt immer noch phantastisch! Er war in Den Haag mein Lehrer, und das war ganz großartig.

Und wer dich Flügelhorn spielen hören will, muss sich nur „East Autumn“ kaufen … Die Platte wurde ja bei Neuklang veröffentlicht, einer Label-Ausgründung der legendären Bauer-Studios. Wie habt ihr euch eigentlich gefunden?

Bauer hat das Label quasi im Haus, das ist ein gutes Paket. Ich war öfter mal im Bauer, wenn man mich als Sideman dahin bestellt hat, und fand schon immer, dass es ein tolles Studio ist. Vor allen Dingen aber kenne ich den Johannes Wohlleben, einen von den Tonmeistern. Den halte ich für einen außergewöhnlich guten Sound-Typen, der nicht nur wahnsinnig gut hört, sondern auch technische Probleme in Sekundenschnelle löst. Kaum sage ich ihm, ich hab‘ hier ein Brummen, ist es auch schon weg. Es gibt ja immer auch diese halbgaren Ton-Frickler, die sich nicht richtig auskennen, aber der Johannes … Ich bin eigentlich vorsichtig mit Superlativen, aber ich halte ihn für die oberste Bundesliga. Und ich wusste, wenn ich dieses Projekt machen will, dann will ich den haben. Ich habe schon vorher so viel mit ihm zusammengearbeitet, ich weiß, wie er arbeitet, wir kennen uns so gut, dass ich mich gut aufgehoben fühle.

Dann das ganze Equipment! Allein der Flügel im Bauer-Studio, das ist so ein alter Steinway aus den 1920er-Jahren, ein ganz legendärer Flügel, auf dem schon Keith Jarrett gespielt hat. Sein Klang ist so legendär, den kannst du bei Logic sogar schon als Sample kaufen! Und Johannes weiß genau, wie er den mikrophonieren und abnehmen muss. Ich kam an, und der Flügel war schon genau fertig eingerichtet – und schon nach dem Aufnehmen des ersten Stückes, wo wir im Abhörraum saßen, haben wir nur gedacht, wow! So jemanden muss man erst einmal haben, in dessen Hände man sich so beruhigt begeben kann. Johannes war für mich einfach die erste Entscheidung. Es gibt bestimmt Studios, die das viel günstiger machen – aber es gibt kaum eins, das so gut klingt. Es ist ein toller Ort.

Der auch das Flair der ganzen Legenden atmet, die schon vor einem dort aufgenommen haben …

Ja, definitiv. Da gibt es auch eine Galerie, wo die ganzen Bilder hängen. Aber es ist nicht nur das, sondern sie wissen einfach, was sie tun. Ich hab‘ auch Logic zu Hause und nehme auch auf, aber so schnell – wir haben die Platte ja im Prinzip in drei Tagen produziert: anderthalb Tage eingespielt, anderthalb Tage gemischt – geht das nur, wenn du mit solchen Weltmeistern arbeitest. Allein deren Mischpult hat die Ausmaße eines Raumschiffes, da muss man schon ganz genau wissen, wo man jetzt drücken muss. Das ist schon beeindruckend.


East Autumn wurde am 2. November 2012 auf Neuklang Records veröffentlicht.

13. November 2012

Klangköpfe # 4: Kein Streichtrio, sondern eine Band (1/2)

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , — VSz | Klangverführer @ 13:00

Treue Leser wissen: Ich mag Coverplatten. (Ja, auch Plattencover, aber das ist ein anderes Thema.) Das liegt gar nicht mal daran, dass einem Neuinterpretationen bekannter Stücke eine bislang ungekannte Sichtweise auf den Song eröffnen können. Der Grund ist viel profaner: Ich finde, es gibt schlicht zu viel Musik in der Welt. Anstatt die musikalische Neuerfindung des Rades, auf Teufel komm raus und weniger gut gemacht, anhören zu müssen, höre ich da dich lieber etwas Bekanntes, neu gemacht, gut gemacht. Womit wir mitten im Thema wären, denn auch B.S.O – kurz für: Berliner Streich Orchester – ist gewissermaßen als Coverband entstanden, mehr noch, als Coverband einer Coverband, hatte man ursprünglich doch vor allem die Songs der Metallica-Interpreten Apocalyptica im Programm. Und eine Platte soll es demnächst auch geben.

Aber lassen Sie mich den Bogen etwas weiter spannen. Der Nikolai-Tomás-Song Ich kenn‘ dich doch von Facebook könnte auch diesem Bandportrait vorangestellt sein, denn – wie alle Klangköpfe bisher – waren auch die Jungs von B.S.O waren zunächst Facebook-Freunde von mir, bevor wir uns auch außerhalb der virtuellen Welten begegneten. Es war Sommer, ich langweilte mich und trat der ersten – und einzigen– Facebook-Gruppe bei, in der ich je war. Dort trieb auch ein gewisser Gunnar Wegner (45) sein Unwesen. Sein Profilbild zeigte ihn geigespielend am Strand, halb kopfherum liegend. Mit der unglaublich intelligenten Frage „Bist du Geiger?“ schrieb ich ihn an. War er, stellte sich heraus – und hatte noch dazu mit Jupp Wegner (18) einen cellospielenden Sohn und mit Johannes Fischer (26) einen ebenfalls cellospielenden, sich dazu aber noch als Arrangeur, Toningenieur und Produzent betätigenden Neffen im Angebot, kurz: ein komplettes, musikalisch wie tontechnisch autonomes Streichertrio.

Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis man mir den „Giftschrank“ mit frühen Aufnahmen öffnete und mich zudem zu einem kleinen Showcase der Drei lud. Seitdem verfolge ich nicht nur ihre Entwicklung sporadisch – auch hat sich eine lockere Freundschaft ergeben. Okay, mehr noch: Die beiden Cellisten und ich sind Alumni desselben Musikgymnasiums. Ich habe die Texte für ihre Homepage geschrieben. Nicht zuletzt haben die zwei Jungs auf der Beerdigung von Kopfhörerhund gespielt, wofür ich ihnen für den Rest meines Lebens zu Dank verpflichtet bin.

Soviel also zur Offenlegung meiner persönlichen Verflechtungen mit der Band. Doch auch, wenn die Klangköpfe-Serie nicht hochgradig subjektiv besetzt wäre, hätte ich Ihnen B.S.O nicht vorenthalten wollen. Allein die öffentlichen Proben der Band sind ein Phänomen – ob im Lustgarten vor dem Dom oder auf der Wiese im nächstgelegenen Volkspark: Die Musiker kündigen sie kurz vorher bei Facebook an, fahren hin, packen ihre Instrumente aus, sind im Nu spielbereit und ebenso schnell wieder verschwunden wie sie gekommen sind. Ich nenne das gern Streicher-Flash- Mob und gebe zu, dass ich selten unprätentiöseres Musizieren erlebt habe. Da wird nicht lange rumgestimmt und eingespielt und Divengehabe fabriziert, sondern einfach gespielt. Und wie die Tiere bei der Bergpredigt fühlen sich die Menschen von den drei Musikern angezogen, schauen, bleiben stehen, grooven mit. Kurz gesagt: B.S.O ist eine kleine Sensation.

Nach etwa anderthalbjährigem Bestehen der Band haben wir uns zusammengesetzt und darüber gesprochen, weshalb man nicht dem Kammermusikklischee entsprechen möchte, dabei aber dennoch keinesfalls eine Revolution gegen die Kammermusik im Sinn hat, warum die Menschen die Band nicht nur hören, sondern vor allem auch sehen sollen, was er mit Sitzen versus Stehen auf sich und was der Wiedererkennungseffekt damit zu tun hat, woran man scheitern kann, weshalb wahre Größe auch mal im Verzicht liegt, ob die bandinterne Unterteilung in eine Kreativabteilung und eine, die wie ein Schäferhund seine Herde den „Mechanismus B.S.O“ zusammenhält, auch in Zukunft Bestand haben kann – und weshalb Blut dann doch dicker ist als Wasser.

Und da drei Musiker naturgemäß mehr zu erzählen haben als einer, gibt es die Klangköpfe erstmalig als Zweiteiler, der im Dezember fortgesetzt wird. Jetzt aber erst einmal viel Spaß mit dem ersten Teil!

Klangverführer: Ihr habt ja ursprünglich zum Spaß als Coverprojekt angefangen – ich glaube, es ging um eine Geburtstagsüberraschung –, davon habt ihr euch aber mittlerweile emanzipiert und habt nicht nur anspruchsvolle Adaptionen von beispielsweise Filmmusiken für Streichtrio, sondern auch Eigenkompositionen im Repertoire. Gibt es sowas wie eine künstlerische oder kreative Vision des B.S.O?

Jupp (an die anderen gewandt): Will jemand? (Zu mir): Du hast schon recht. Der Uranspruch war auf jeden Fall, das zu machen, was wir mögen – und von dem wir glauben, dass es auch die Menschen draußen mögen. So. Das hat sich dann aber, das hast du eigentlich schon richtig festgestellt, im Laufe der Zeit professionalisiert. Und unser Anspruch ist gewachsen.

Gunnar: Es sind sowohl der Anspruch gewachsen als auch die Verarbeitung des Feedbacks aus dem Publikum, aus den Konzerten, die wir spielen. Da merkt man ja, wie die einzelnen Stücke ankommen. Und da merken wir auch, dass Stücke, die wir selber sensationell gut fanden, auf der Bühne von uns wohl nicht so transportiert werden können, wie wir das wollten und demzufolge auch beim Publikum nicht so gut ankommen. Ein Beispiel ist hier der „Sonderzug nach Pankow“: Ich war der festen Überzeugung, das wird jetzt der Hammer-Hit! Jetzt spielen wir ihn nicht mehr …

Johannes: Der war irgendwie schwierig. Dabei war er eigentlich gar nicht schlecht arrangiert …

Jupp: Aber wir haben einfach nicht zum Grooven gebracht.

Kann man sagen, dass das euer Anspruch ist: Ihr wollt Stücke zum Grooven bringen? Du hast das gerade so schön formuliert …

Alle drei: Kann man so sagen, ja. Muss man auch so sagen!

Gunnar: Also, wenn es uns auf der Bühne keinen Spaß macht, das Publikum aber völlig abgeht, dann sind wir es dem Publikum vielleicht noch schuldig, unserem käuflichen Charakter Rechnung zu tragen – aber eigentlich muss für uns beides passen. Es geht aber auch andersrum, und das ist sogar öfter der Fall, dass wir Stücke reingenommen haben, ohne zu wissen, wie kommen die draußen an – zum Beispiel den Dire Straits-Song, den wir hier gerade gespielt haben, das ist ein cooler Song, den kennt jeder –, und natürlich war die Hoffnung da, dass das Publikum das auch dankbar annimmt. Dann aber hat es das Publikum sogar so dankbar angenommen, dass wir dann noch eine richtige Spaßnummer daraus gemacht haben – es gibt dabei immer eine kleine Battle auf der Bühne, welches Tempo Hannes heute anschlägt und ob wir mit dem noch mithalten können!

Stichwort Spaßnummer: Es gibt ja einige populäre Bands, die auch als Spaßprojekt begonnen haben, und dann groß geworden sind, beispielsweise The BossHoss mit ihren Spaß-Country-Covern. Könnt ihr euch das auch für euch vorstellen – oder ist B.S.O von vorn herein als zeitlich befristetes Projekt angelegt?

Jupp: Ich würde das nicht ausschließen. Was auch immer die Umstände sein sollten, dass es mal dazu kommt, dass uns irgendeiner ein Angebot macht … Wir würden dann auf jeden Fall intensivst darüber nachdenken. Wir standen ja schon mal vor einer ähnlichen Situation, als man uns das Angebot gemacht hat, in einer Casting-Show aufzutreten … Also, ausschließen würde ich das auf keinen Fall. Momentan macht es Spaß, so wie es ist, und mehr zu erzwingen fände ich falsch, aber wir sind offen mitzugehen mit der Entwicklung und dem, was sich so ergibt. Wenn wir alle drei der Überzeugung sind, jetzt ist der richtige Zeitpunkt und jetzt läuft’s – dann wird es so sein.

Wo du gerade sagst, wenn ihr alle drei der Überzeugung seid – ihr seid ja alle absolut unterschiedliche Charaktere. Wie kriegt man die unter einen Hut, gibt es da Reibereien, gibt es einen Entscheider, oder, anders gefragt: Ist B.S.O eine Demokratie?

Johannes: Haben wir tatsächlich mal so festgelegt, dass alle mit 33,333 Prozent stimmberechtigt sind.

Jupp: Wir wollen Entscheidungen tatsächlich nur mit absoluter Mehrheit treffen, das ist nicht immer einfach. Wenn es sich vermeiden lässt, wollen wir keine zwei-gegen-eins-Entscheidungen. Bei der Auswahl der Musikstücke manchmal schon, aber wenn es andere Dinge betrifft, wird das persönliche Interesse von jedem Einzelnen berücksichtigt.

Johannes: Zum Beispiel die Volbeat-Nummer, die wir vorhin gespielt haben, die kannte ich vorher gar nicht, Gunnar auch nicht. Jupp hat sie quasi „eingeschleppt“, und anfangs war die gar nicht so mein Ding. Und jetzt lieben wir das Stück!

Gunnar: Aber wenn es darum geht, ob wir auf irgendwelchen bestimmten Events spielen wollen, da wird mit allen Rücksprache gehalten. Ich würde aber gern noch etwas zu der Frage von vorhin sagen, zu der Vision der Band und dazu, wie wir zum Erfolg stehen. Das einfache Warten auf den Erfolg ist natürlich auch bloß die halbe Wahrheit. Also ein bisschen was dafür tun muss man schon und muss auch ganz gezielt im Organisatorischen tätig werden, was Netzwerke angeht, was Verbreitung angeht, was Gigs angeht, und auch ganz gezielt die Balance schaffen zwischen den Gigs, die wir kommerziell bestreiten und denen, die wir dann auch pro bono machen, um bekannter zu werden. Ein klassisches Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist, dass wir als Vorband von Mike Kilian, dem Rockhaus-Sänger, gespielt haben – das war für uns gar keine Frage, dass wir das einfach so machen, um uns diesem Publikum vorstellen zu können. Ich denke, wir können in dieser Zielgruppe einen sehr großen Zuspruch erreichen, und da gibt es auch mit der demokratischen Abstimmung bei B.S.O kaum Schwierigkeiten.

Ich habe Jupp auch gar nicht so verstanden, dass ihr faul auf den Erfolgt wartet, sondern eher, dass ihr ein sehr relaxtes „go with the flow“-Motto verfolgt, dass ihr einfach sehr offen für die Möglichkeiten des Moments seid.

Jupp und Johannes: Ja, und genau so ist die Band ja auch entstanden!

Gunnar: Das sollte auch kein Widerspruch sein, nur eine Ergänzung.

Lassen wir doch das Thema Zukunftsvision hinter uns und widmen uns ganz konkret eurer Musik. In eurer Eigenwerbung kann man lesen, ich zitiere: „Wer Brian Adams ohne Pathos, Nina Hagen ganz relaxed oder Lady Gaga mit Stil und Anspruch erleben will, ist beim B.S.O genau richtig.“ – Was muss ein Song haben, um die Ehre der B.S.O-isierung zu erfahren?

Gunnar: Da lehne ich mich mal ganz entspannt zurück und überlasse die Antwort der Kreativabteilung!

Jupp: Er nennt uns immer Kreativabteilung, dabei wählt er auch die Songs aus, die wir beide dann arrangieren. Aber um die Frage zu beantworten: Wir spielen Sachen, die uns gefallen, und zwar mit dem Anspruch, sie durch unsere Interpretation so nach außen zu tragen, dass sie dann den anderen auch gefallen.

Johannes: Genau. Es geht gar nicht darum, sich hinzustellen nach dem Motto „Wir können das besser“, sondern wir bringen die Songs einfach auf einem völlig anderen Level. Ich meine, Streichertrio versus Rockband – da verbietet sich jeder Vergleich!

Jupp: Es sollen gar keine Coverversionen im engeren Sinne sein, sondern eher Interpretationen. Es geht um eine neue Interpretation der Songs, und wie wir die auswählen …Das ist pauschal schwierig zu beantworten.

Johannes: Da gibt es kein Prinzip, das kommt drauf an!

Jupp: Ein Beispiel: Ich höre Musik, in der Bahn, die Playlist, die ich mir für meinen MP3-Player gemacht habe, und bei zwei Dritteln der Songs überlege ich, könnte man den machen?

Das heißt, es geht dann doch nicht nur um „gefällt mir“, sondern Machbarkeit ist definitiv auch ein Kriterium!

Jupp: Das stimmt natürlich. Da kommt es auch auf das Arrangement des Songs an sich schon an. Wenn der jetzt mit einem anspruchsvollen, aber vor allem markanten Piano-Riff versehen ist … Es ist immer schwer, so etwas auf Streichinstrumenten nachzuahmen! Oder, wenn der Song total Akustikgitarren-lastig ist, das den Song aber ausmacht, dann kann man das …

Johannes: Das ist nicht unmöglich, aber …

Jupp: Es ist nicht unmöglich, aber der Wiedererkennungsfaktor ist dann einfach nicht so gegeben wie bei denen, die wir bisher für uns arrangiert haben.

Und ihr wollt schon, dass man den Song wiedererkennt, und nicht, dass man den Song wie manche Jazzer dermaßen dekonstruiert, dass man als Hörer schon kaum noch weiß, worauf er eigentlich beruht?

Jupp: Nee, eben nicht! Wir wollen ja, dass die Leute diese Songs erkennen und unsere Version … schön finden. Oder zumindest akzeptieren. Nicht zwangsläufig vergleichen, nach dem Motto, hey, das klingt aber im Original viel cooler, aber dass sie unsere Version davon eben auch schön finden – und natürlich auch wiedererkennen. Wir müssen da jetzt nicht exzessiv etwas verändern.

Johannes: Was man vielleicht noch zur Auswahl sagen kann – wir haben jetzt vielleicht ein, zweimal die Situation gehabt, dass wir unser Repertoire gesichtet und festgestellt haben, uns fehlt vielleicht hier eine Ballade und da eine rockige Nummer. Und daran haben wir uns dann orientiert – sind aber natürlich trotzdem unseren geschmacklichen Präferenzen gefolgt.

Wie viele Songs habt ihr im Moment in eurem Repertoire?

Johannes: Knapp fünfzig?

Gunnar: Wobei darunter ein paar sind, die wir zwar noch auf unserer offiziellen Setlist haben, die wir aber gar nicht mehr spielen, zum Beispiel dieser „Sonderzug nach Pankow“. Wir geben ja auch unseren Kunden, selber mit Einfluss auf das Programm zu nehmen, wenn die sagen, da gibt es einen Song, den wollen wir ganz besonders hören, oder den wollen wir sogar unbedingt hören – da prüfen wir dann, ob er für uns arrangierbar ist – und wenn ja, spielen wir den dann auch –, aber wenn sich die Leute beispielsweise „Sonderzug nach Pankow“ aussuchen, dann spielen wir ihn trotzdem nicht.

Johannes: B.S.O versucht sich auch treu zu bleiben!

Gunnar: Ich find‘ es auch immer schön, wenn wir – das ist jetzt schon mehrfach passiert – nach den Konzerten angesprochen werden, „im zweiten Set der dritte Song – war das der oder war das der?“, und ich sag dann, „ja, das war der und der“, und die Leute wieder, „oh stimmt, mir ist nur der Titel nicht eingefallen“ – das ist natürlich auch ein großer Unterschied zu den „normalen“ Coverbands, die auch singen …

Das geht mir mir euren Sachen auch so! Ich denke immer, „du kennst das irgendwoher“, aber woher, will mir nicht einfallen.

Gunnar: Das passiert ganz oft, und ich glaube, damit spielen wir mittlerweile auch ganz bewusst. Das wird uns aber nicht dazu führen, dass wir jetzt wirklich völlig unbekannte Songs spielen, und auch nicht dazu führen, dass wir die bekannten Songs, von denen wir wollen, dass sie erkannt werden, so verjazzen oder ver-improvisieren, dass sie noch schwerer wiedererkennbar sind.

Jupp: Genau, dadurch, dass wir instrumental sind und also der Text wegfällt, ist unser Anspruch, das Ganze so zu arrangieren, dass die Leute den Song auch ohne Text wiedererkennen.

Dass sie den Text im Kopf mithören …

Jupp: Genau, dass sie ihn mitsingen können, während wir ihn halt nur spielen.

Gunnar: Das ist, glaube ich, auch ein Unterschied zu etlichen anderen Formationen, die mit Streich- oder zumindest klassischen Instrumenten unterwegs sind: Die verfolgen ganz oft den Ansatz, dass sie mit Klassik-Stücken anfangen, die sie dann verrocken. Da kommt dann mal ein Synthi dazu oder auch mal ein Schlagzeug …Das ist aber gar nicht unser Ansatz! Wir sagen von vornherein, wir …

Jupp: … nehmen unsere Instrumente, wie sie sind.

Gunnar: Wir nehmen die Hits und prüfen, ob sie für uns arrangierbar sind. Ein Song, den ich leidenschaftlich gern machen würde, der aber einfach nicht geht, ist „Our House“ von Madness. Ein Hammersong, aber der hat diese Trompeten drin, der hat richtig viel Gitarren drin, richtig viel Melodie drin – das schaffen wir zu dritt gar nicht! Und das sind dann so Objekte, an denen scheitert man. Schade eigentlich.

Johannes. Ganz selten gibt es da Ausnahmen, zum Beispiel „Blackbird“ von den Beatles. Das ist ein reines Gitarrenstück – und irgendwie haben wir es aber trotzdem geschafft. Das ist aber eher selten.

Gunnar: Und das ist das Entscheidende! Wir machen es dann eben nicht auf Gedeih und Verderb, weil uns zum Beispiel „Our House“ von Madness so gut gefällt, dass wir es unbedingt machen, und erzwingen es, sondern sagen lieber, nee, wahre Größe liegt im Verzicht … und dann lassen wir’s.

Jupp: Amen.

Eure Stücke haben ja eben durch die Arrangements einen sehr hohen Wiedererkennungswert. Gerade bei euren frühen Cover-Versionen und auch dem Streichersatz, den ihr für Vlad in Tears gemacht habt, hört man nach ein paar Takten, ah, das ist B.S.O. Wie entsteht so ein Arrangement, möchte ich wissen, wie geht ihr da heran, wer zeichnet dafür hauptsächlich verantwortlich?

Johannes: Das ist so ein Geben und Nehmen zwischen Jupp und mir. Vielleicht hatte ich dieses Jahr damit ein bisschen mehr zu tun, weil er noch nebenbei ein Abitur zu bewältigen hatte …

Jupp: Wobei wir jetzt auch probieren, wenn Melodiestimmen zu spielen sind, diese textgenau anzupassen – das ist ein neuer Ansatz aus der letzten Zeit. „Silbengetreu“ klingt jetzt voll deutsch-kleinkackerig, aber das ist genau das, was wir wollen: Dass die Leute anhand der verschiedenen Silben beispielsweise auch die zweite Strophe von der ersten unterscheiden können. Und weil die Geige eben öfter mal eine Melodie hat als ein Cello – wobei wir das in letzter Zeit auch ganz gut gemischt gekriegt haben –, ist da jetzt auch ein Teil, den Gunnar an den Arrangements hat. Ansonsten, was jetzt das Satzschreiben angeht oder welche Art von Begleitung man versuchen kann, das ist …

Johannes: Das ist viel Ausprobieren und Dazulernen! Ich glaube, wir haben auch im letzten Jahr genau für diese Besetzung gelernt zu arrangieren.

Habt ihr euch auch schon mal „ver-arrangiert“, also, dass beispielsweise ein paar Dinge per Midi entstehen, sich in der Realität aber als unspielbar erweisen?

Jupp: Selten, aber gibt es schon. Da hat man dann das Midi-Arrangement immer wieder gehört, ein paar Noten davon gemacht und gesagt, spielen wir es mal, und dann merkt man entweder, es groovt einfach nicht, dann müssen wir irgendetwas ändern, oder wir merken, das ist zwar irgendwie nett gemeint, aber nicht spielbar, dann müssen wir es auch ändern. Eigentlich sind wir aber professionell genug, dass wir nur das schreiben, was wir auch spielen können, aber manchmal gibt es dann eben doch kleine Ausnahmen, wo wir dann denken, hey, so eine Hand habe ich gar nicht, das ist ja voll unmöglich, das zu spielen – drei Saiten auf einmal gehen eben nicht!

Wenn ihr sagt, eigentlich passiert das nicht, weil ihr eben gelernt habt, genau für eure Dreierbesetzung zu schreiben – ist es nicht ein bisschen so, dass man als Arrangeur, wenn man für dieses Trio schreibt, von Anfang an ein bisschen limitiert ist, weil du zum Beispiel schon immer ein Cello zum Achtelschrubben abkommandieren musst, um den Beat oder die Rhythmusgruppe zu imitieren …

Johannes: Ja, das stimmt …

Jupp: Manchmal spielen wir ja live auch mit einem Schlagzeuger, aber da ändert sich trotzdem nicht viel für uns, denn jede Band, die wir covern, hat neben ihrem Schlagzeuger noch einen Bassisten oder einen Gitarristen. Das einzige, was wir dann ändern, ist vielleicht, dass wir beim Spiel dann nicht so viel Wert auf perkussive Betonungen legen, wenn wir mit einem Schlagzeuger spielen. Ohne müssen wir tatsächlich irgendwie einen Schlagzeuger „imitieren“; und der, der die Schrammeleien hat, gibt auch die Harmonie.

Johannes: Man könnte sagen, wir sind nicht immer ein typischer Streichersatz – wobei es diese Stellen natürlich gibt –, sondern wir sind eine Band. Jeder hat seine Rolle.

Gunnar: Wir versuchen auch ganz bewusst, die eher aus der Kammermusik herrührende Dreisätzigkeit zu vermeiden bzw. ganz gezielt einzusetzen oder sogar zu überhöhen, indem wir sie auf der Bühne auch mit nachgerade choreographischen Elementen – Stichwort: Endlos-Ritardandi – präsentieren.

Jupp hat ja vorhin schon angedeutet, dass du, Gunnar, mittlerweile auch in den künstlerischen Schaffensprozess mit einbezogen bist. Bis jetzt hast du aber immer die Jungs als „Kreativabteilung“ bezeichnet. Da drängt sich mir die Frage auf, in was für einer Abteilung du bei B.S.O beschäftigt bist – neben dem Geigespielen, meine ich.

Gunnar: Erst einmal die Texte auswendig lernen, damit wir die Stücke auch silbengetreu hinkriegen; und wenn ich keine Lust mehr auf das Geigen habe oder merke, dass die Intonation an dem Tag irgendwie schlecht ist, nehme ich mir auch mal das Mikro und sing einfach – die Texte kann ich ja!

Das war jetzt aber ein Scherz, oder?

Gunnar: Ein bisschen überreizt, ja. Das wird so nicht passieren. Aber wenn wir in Richtung Party und gute Laune unterwegs sind, spielen auch gesangliche Stücke eine Rolle. Die überzeichnen wir dann natürlich richtig, was dann auch die Unterstützung der Celli angeht, Keimzeit, Ärzte, Reinhard Mey, Sportsfreunde Stiller, so etwas spielen wir dann. In dieser Kategorie kann dann auch jeder mitsingen und die Leute haben richtig Spaß! Ansonsten ist meine Aufgabe, den ganzen Mechanismus B.S.O vom Organisatorischen her in Schwung zu halten – wobei es übertrieben wäre zu sagen, dass ich das ganz allein mache. Aber einfach eine Struktur hineinzubringen und dafür zu sorgen, dass diese Struktur, und auch die Systematik, die wir da haben, auch in Richtung „Wie wollen wir uns entwickeln?“, „Wo wollen wir mal hin?“, am Rollen bleibt, dass der Ball weiterrollt. Auch, was Gigs angeht, was Verhandlungen angeht, was das ganze Rechtliche und Finanzielle angeht – da hab‘ ich so ein bisschen die Hand drauf.

Johannes: Er hält uns den Rücken frei!

Also eigentlich das Management der Band, richtig? Ich weiß aber auch, dass du auf der Bühne derjenige bist, der den Alleinunterhalter macht, der das Publikum abholt – im Prinzip hast du also so eine Zwitterrolle …

Gunnar: Ja, wenn man das jetzt als kreativen Teil bezeichnen möchte …

Die Jungs: Klar!

Es sind zumindest keine Managementaufgaben …

Johannes: Öffentlichkeitsarbeit!

Gunnar: Im engsten Sinne, sogar! Da kommt wahrscheinliche meine exibionistische Ader durch: Ich rede gern vor vielen Leuten und ich kann das auch ein bisschen … Nein, im Ernst: Scheinbar habe ich ein bisschen Gespür dafür, die Leute auf unsere Seite zu ziehen und dafür zu begeistern, was wir machen. Und das klappt meistens auch ganz gut, ich mache das leidenschaftlich gern. Die beiden (zeigt auf die Jungs) haben mir jetzt schon angedroht, dass sie demnächst auch damit anfangen wollen, ein bisschen auf der Bühne zu reden … Es wird der Tag kommen, wo wir uns auf der Bühne auch Wortduelle liefern werden, die entweder ganz spontan entstehen oder aber einstudiert sind, aber dann natürlich ganz spontan aussehen …Bis dahin ist es noch etwas hin, aber ich freue mich darauf!

Das hat Ihnen gefallen? Im Dezember geht es weiter mit dem zweiten Teil dieses schönen Interviewportraits – und ein weiteres exklusives Video gibt es auch. Freuen Sie sich schon einmal darauf!

4. November 2012

Eine Auflehnung gegen die Geschichte. Der Sänger, Performer & Autor Joe Fleisch im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 11:06

Seitdem ich für die Januar-Ausgabe von Victoriah’s Music die Sechs-Track-EP Oi Amerike von Joe Fleisch besprochen habe, bin ich fleischifiziert.
Da freut es, dass der gebürtige Frankfurter demnächst ein ganzes Album hinterherschiebt – genauer gesagt, sogar zwei Alben, eins solo und eins mit seinen Jewish Monkeys, einer burlesken Klezmer-Truppe, die dem Oi Amerike-Kosmos an Crazyness in nichts nachsteht. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass einer ihrer ersten Werbeslogans „Woody Allen goes Klezmer-Punk“ war!

Als Appetizer auf das kommende Album bescheren uns die Monkeys nun ihr Video zu Black but Sweet, einem ganz eigenen Remake des Houdini-Klassikers von 1931 – inklusive dezenten Gangster-Reminiszenzen und einer handvoll gar nicht so dezenten Respektlosigkeiten. Wenn das der Rabbi wüsste! Klangverführer hatte die Gelegenheit, Jewish Monkeys-Gründer Joe Fleisch ein paar Fragen zu stellen und in Erfahrung zu bringen, weshalb er die Jewish Monkeys, die eigentlich nur „ganz normalen“ Klezmer-Gitarren-Rock spielen, als sein eigentliches musikalisches Zuhause betrachtet, warum seine Musik von einigen Millionen Menschen gehört hätte werden sollen und weshalb am Ende des Tages die Musik, die er macht, eine Auflehnung gegen die Geschichte ist, denn Fleisch liefert als echter ‚Federmentsh‘ seine Interpretationen doch am liebsten gleich selbst mit.

Klangverführer: Seit einiger Zeit treibst du als Joe Fleisch dein satirisch-musikalisches Unwesen – vor allem im Netz. Wie wurde aus Josef bzw. Jossi Reich Joe Fleisch?

Joe Fleisch: Lang, lang ist´s her. Irgendwann Ende der 80er haben meine Freunde angefangen mich Joe zu nennen, und irgendein Spaßvogel hat dann anstatt Reich einen Fleisch aus mir gemacht. Ich verwendete Joe Fleisch als Pseudonym für meine ersten short-story-Veröffentlichungen in den 90ern, zu finden übrigens auf www.joefleisch.de, wenn man ganz nach unten scrollt, zusammen mit anderen, meist sehr rhetorisch-politischen Texten, die in der taz erschienen und auf der jüdisch-deutschen Website hagalil.com – und auch mein erstes Video „Mein Name ist Joe Fleisch“ aus 2003. Das habe ich mit dem Frankfurter Jazz-Komponisten Tobias Rueger und dem Regisseur Cyril Tuschi gedreht. Im Stil einer Orgie, die an die Goldenen 20er erinnert, haben wir Lale Andersens Durchhalte-Song aus der Nazi-Zeit „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“ zum Besten gegeben, und den satirischen Gegenentwurf der nach London emigrierten, jüdischen Sängerin Lucy Mannheim, den die BBC nach Hitler-Deutschland ausstrahlte; all das sozusagen als ein kleines Unterrichtskapitel zur Geschichte des Schlagers im Dritten Reich. Besonders gut fand das kein einziges deutsches Kurzfilmfestival.

Im Moment ist Joe Fleisch aber nicht solo unterwegs, sondern mit zwei Mitstreitern – den Jewish Monkeys. Kannst du auch dazu ein paar Worte sagen?

Auf meinem demnächst erscheinenden, primär jiddischen Solo-Album gibt es nur zwei Songs von den Jewish Monkeys. Überhaupt singen die ja meistens auf Englisch. In meiner Eigenschaft „als jiddischer Pop-Sänger“ bin ich sozusagen eklektisch unterwegs und arbeite mit einer Reihe sehr verschiedenartiger Künstler zusammen. Aber in der Tat, die Jewish Monkeys sind mein eigentliches musikalisches Zuhause. Wir sind drei End-Vierziger, haben vor etwa 10 Jahre angefangen zu jammen, und wenn das hinhaut mit unserem ersten Album inklusive Deutschland-Tour im April, dann könnte es tatsächlich unser zweiter Beruf werden. Ron Boiko ist so wie ich ehemaliger Frankfurter, wir sind seit fast 40 Jahren best friends, und zeitgleich – der Zufall ist manchmal kein Zufall – vor 15 Jahren nach Israel ausgewandert. Er ist Tierarzt und – unser creative mastermind. Er hat die meisten unserer eigenen Songs komponiert und mehr oder weniger alle unsere ungehobelten, GrouchoMarx-mäßigen Texte verfasst. Gael Zajdner, unser Blondling, unser Arier, in Belgien und Spanien großgeworden und als Jugendlicher nach Israel gekommen, ist Psychotherapeut, aber – schau Dir unser Video „Banana Boat“ an – auch ein glänzender Performer, Sänger und Komiker. Der Tel-Aviver Theater- und Filmkomponist Ran Bagno, auf unseren Konzerten und unserem zweiten Video „Caravan Petrol“ am Akkordeon zu sehen, ist unser Musikproduzent. Den lernte ich übrigens über Shantel kennen, als er Ende der 90er öfter mal in Tel-Aviv war. Ran Bagno hat uns sozusagen musikalisch adoptiert und unser Gesangstrio zu jenem unentdeckten Kleinod gemacht, das zum Lachen und zum Tanzen bringt. Auf irgendeinem Konzert-Poster haben wir es mit dem Slogan „Woody Allen goes Klezmer-Punk“ umschrieben.

Statt des Woody-Allen-Slogans kann man in eurer aktuellen Presseerklärung die Selbstbezeichnung als exzentrisches Klezmer-Burlesque Trio finden – und in der Tat ist euch wenig heilig, wie man schon auf eurer EP Oi Amerike! Joe Fleisch presents Yiddish and Non-Yiddish songs from the past, revisited by ElektroYid and the Jewish Monkeys hören konnte. Wie kommt man auf die Idee, ein amerikanisch-jiddischse Einwanderer-Lied wie What Can You Mach? – Sis is Amerike aus den 20er-Jahren zu einer wilden, im wahrsten Sinne des Wortes unorthodoxen Electroklezmerpunk-Nummer umzufunktionieren?

Stimmt. Wie den meisten aufgeklärten Menschen seit Beginn der Aufklärung ist uns nicht allzu viel heilig. Aber ich muss Dich korrigieren. Die Anfang des Jahres releaste EP ist nicht von den Jewish Monkeys, sondern von mir. Insbesondere der Song „What can you mach, sis is Amerike“ ist auf meinem Mist gewachsen bzw. eine Produktion von „ElektroYid“. Mein Partner in diesem Projekt ist der geniale Ori Kaplan, einer der Macher von BalkanBeatBox, die wohl wichtigste Konkurrenz von Shantel im Balkan-Gypsy-Club-Genre. Die melancholisch-ironische Kantoren-Ballade aus den 20er Jahren von dem meisterlichen Aaron Lebedeff über den Stetl-Juden aus der alten Welt, der darüber klagt, sich in Amerika die Schläfenlocken abschneiden zu müssen, den Bart zu rasieren, quasi zum Goi, zum Nicht-Juden zu werden und mitansehen zu müssen, wie die Frauen es wagen, bereits vor der Hochzeit schwanger zu werden; es hat uns unheimlich gereizt das mit unserer hysterisch-witzigen Nummer wieder zu beleben, längst vergangene Geschichte neu zu erzählen. In dem Video geht es mit Bedacht unheilig zu. Erzkonservativ eingestellte oder intolerante religiöse Juden werden sich eventuell auf die Füße getreten fühlen, wenn ich als orthodoxer Jude camoufliert einen chassidischen dirty-dance hinlege, und zwar mit einer blondgefärbtem jungen sexy Lady, die Kabarett-mäßig hie und da so wie ich einen großen schwarzen Hut mit angeklebten Schläfenlocken auf hat und gerade mal mit einem schwarzen Badeanzug bekleidet ist.

Nicht nur What Can You Mach? – Sis is Amerike, sondern auch ein Remake des Wilmouth-Houdini-Klassikers Black but Sweet findet sich auf eurer EP. Beide Lieder dürften auch den jüngeren Clubgängern spätestens seit dem Kosher Nostra-Sampler von 2011 bekannt sein. Was reizt dich daran, die alten Lieder aus der Zeit des organisierten Verbrechens in Amerika, an denen auch jüdische Immigranten einen relevanten Anteil hatten, im neuen Elektrogewand aufzunehmen?

Da wurde ich ganz und gar von Shantel angesteckt, der ja auf Kosher Nostra diejenigen amerikanischen Schlager-Songs kompilierte, welche jüdische Mafiosi eventuell hörten. Der wiederrum war von dem in Wien lebenden israelische Maler Oz Almog inspiriert worden, der die großen Gangster-Bosse der 30er und 40er wie Bugsy Siegel oder Meyer Lansky in großen Farbgemälden festhielt und in Kooperation mit Shantel das Art-Cover dieses aufwändig produzierten CD-Booklets gestaltete. Ein bisschen wird hier auch die Verklemmtheit des deutschen Bildungsbürgers angegangen, dessen Hemmung offen darüber zu reden, daß es da, wo es viele jüdische Emigranten gab, z.B. in den USA der Vorkriegszeit, eben auch organisiertes jüdisches Verbrechen existierte. Uns fasziniert der Spirit jener Generation, die das Glück hatte, zwei bis drei Jahrzehnte vor dem Holocaust aus dem engen, kriegswütigen, tyrannischen, antisemitischen Europa ins große moderne demokratische Amerika zu gelangen und dort eine neue Heimat fand – und ihre Musik mit derjenigen der neuen Kultur vermischte. „Black But Sweet“ stammt im Original von Wilmoth Houdini, einem Sänger aus Trinidad, der in den 30ern das amerikanische Publikum eroberte. Bereits vor Jahren hatte Shantel aus dieser Melodie im Zuge seiner sehr erfolgreichen Buccovina-Compilations „den“ Buccovina-Track schlechthin gemacht, ein gesangsloses, rhythmisches „Instrumental“, dem dann ein ganz phantastischer Elektro-Remix seines alten Freunds und Partners Daniel Haaksman folgte; ein Stück, welches in der Mitte der Zeroes, so zwischen 2004 und 2007 in den Clubs ein oft gespielter und getanzter Insider-Hit war. Mit unserem Klezmer-Flair und dem Gitarren-Surf-Rock der Tel-Aviver Band BoomPam haben wir uns dann, dem Beispiel Shantels folgend, darauf gestürzt, uns nicht davor gescheut es ihm nachzumachen und dieses wehmütige und getragene Liebeslied ebenso in eine Tanznummer umzuwandeln, diesmal aber ganz anders, indem wir mit unseren lebensfrohen Männer-Gesang den seltsamen Trinidad-Englisch-Song-Text von damals eins zu eins nachsangen.

Da ist der Grad vom modernen Remake zur Parodie nicht weit …

Eine Klezmer-Parodie beim Cover der Jewish Monkeys gibt es eigentlich nur im Finale, wo mir meine Band die Ehre erweist mit einem „oi jogi dogi dogoy“ -Kauderwelsch-Gibberish tatsächlich geradezu tollwütig-jaulend unseren Song zu beenden, was im Übrigen bei unseren Konzerten jedes Mal wunderbar mitreißend auf das Publikum wirkte. Davor ist unser „Black but Sweet“ – ich wiederhole mich – „ganz normaler“ Klesmer-Gitarren-Rock, mit dem wir einen alten englisch-sprachigen Trinidad-Love-Song neu interpretieren.

Und ich halte die Interpretation für sehr gelungen! Von Black but Sweet gibt es jetzt auch einen Schwarz-Weiß-Clip, der von den Regisseuren Guy J. Bolandi und Asaf T. Mann umgesetzt wurde. Und natürlich werden auch hier wieder so einige kleine bis mittelgroße Sakrilege an traditionellen bzw. religiösen Riten begangen …

Absolut. Mann und Bolandi, die beiden Regisseure laufen mit ihrem Humor kongenial zu den Jewish Monkeys. Ich zitiere aus meiner anlässlich des Video-Release upgedateten Seite JoeFleisch.de: „In ihren eleganten Anzügen, Westen, Mänteln und Borsalino-Hut erinnern die Jewish Monkeys an afro-amerikanische oder italienische Mafia-Stereotypen, aber auch – an religiös-konservative Juden auf dem Weg zur Synagoge. Während sie ihren Refrain in Houdinis Trinidad-Englisch schmettern: She is black and only, and that is all, when men meet her, they bound to fall, until her Mammy doesn´t sleep, oh Lord, sind ihre Körper und Köpfe rundum in schmale Lederriemen eingebunden; eine humorige Anspielung auf das Morgengebet religiöser Juden, welches mit um Arme, Hände, Finger und Stirn gewickelten Gebetsriemen verrichtet wird und damit den Gottesbund symbolisiert“. Und dann zitiere ich nochmal aus einem bislang unveröffentlichten Text von mir: „Neben den drei Sängern der Jewish Monkeys stellt das äthiopisch-israelische Photo-Modell Sarit Taraka sozusagen das Objekt der Begierde dar, die geliebte und besungene schwarze Schönheit, die zu Anfang des Videos wie eine Priesterin auftritt, als sie eine brennende Kerzen-Reihe weihevoll ausbläst. Sobald dann Joe Fleisch in der Mitte des Songs seine Solo-Nummer singt, vermischen sich religiös und pornographisch anmutende Elemente. In langen, weißen Unterhosen, dunkler, eleganter Weste und weißem Hemd langt er, in einem Polstersessel zurückgelehnt, spielerisch nach der ihn umtanzenden Schönheit, eine Szene, die an den Freier denken lässt, der sich an seinem Call-Girl vergnügen möchte. Einige Male spreizt er erwartungsvoll seine Knie auseinander und presst sie wieder zusammen, bis dann, in einem plötzlichen Szenenwechsel, die eben noch als erotische Gespielin erscheinende Lady wieder in Priesterinnen-haftes, rituelles Gehabe verfällt, mit einem Hackmesser in der Hand auf ein geköpftes, geschlachtetes Huhn zugeht, und – an das Tieropfer-Klischee anlehnend – mit einem, weit ausholenden Schlag das tote Huhn zerlegt, woraufhin quasi ein heiliger Regen vieler abgehackter Hühnerbeine folgt. Kastration oder Koitus? Der Lustmolch seiner Manneskraft entledigt oder eine Allegorie auf die Art und Weise, wie dem Freier sexuelle Erleichterung widerfährt? All das gepaart mit einem absichtlich zynisch gehaltenen Hinweis auf unsere Fresskultur, die bekanntermaßen seelenlos und brutal, KZ-mäßig zusammengepferchte Hühner in den Hühnerfleisch-Fabriken sich ihren baldigen Schlachtungen entgegenquälen lässt?“ Wie gesagt, soweit aus einem Text von mir, wo ich den Versuch gemacht habe, mich mit meiner Interpretation diesem herausfordernden und sarkastischen Video anzunähern. Gute Kunst lässt Raum für viele Interpretationen zu, und ich kann nur sagen, daß ich stolz bin, Teil dieses Kunstwerks meiner beiden Freunde Guy Bolandi und Assaf Mann zu sein.

Bei solchen Interpretationen wird mein Job ja nahezu überflüssig! Danke erst einmal für den Einblick in deine Textwelten. Was mich aber vor allem umtreibt ist etwas anderes: Das Debütalbum der Jewish Monkeys soll 2013 erscheinen, vorher aber können wir uns zu Weihnukka schon dein Soloalbum Joe Fleisch sings Songs. 9 in Yiddish, 1 in English unter den Tannenbaum legen (lassen). Du hast über das Album selbst geschrieben: „So würde sich jüdische Pop-Musik angehören, hätte der Holocaust niemals stattgefunden“. Wieso eigentlich würde, frage ich mich hier: So hört sie sich doch an!

Oh je, das mit Weihnachten/Chanukka wird wohl nicht mehr klappen, weil mein Label EssayRecordings befürchtet, daß eine solche Besonderheit wie das JoeFleisch-Solo-Album zu sehr im Weihnachtsrummel der „Best of“-Alben der Musik-Titanen untergehen würde. Ja, und so lieb es auch ist, wenn Du sagst, „So würde sich jüdische Pop-Musik anhören, hätte der Holocaust niemals stattgefunden? So hört sie sich doch an!“ Auf die Gefahr hin, „wieder mal“ die Holocaust-Horror-Schiene zu fahren, die Shoah, wie man im Hebräischen sagt, hat die Kultur des osteuropäische Judentums, wie es sie vor dem Krieg gab, schlicht und einfach ausgelöscht. Hätten Hitler und seine Nazi-Schergen es niemals geschafft uns Deutsche zu verhexen und den zweiten Weltkrieg plus Juden-Genozid und andere Menschheitsverbrechen zu entfesseln, es gäbe heute z.B. in Polen, Ungarn und Rumänien einige Millionen Menschen mehr, die genau diese Musik hören wollten und einige Tausend Musiker mehr, die genau diese Musik gemacht hätten. Man stelle sich vor, aus irgendeinem unerfindlichen Grunde wäre ein riesiger Meteor oder sagen wir mal 15 Atombomben auf das Großbritannien der 40er Jahre gefallen. Hätte es dann Brit-Pop gegeben, und noch dazu in diesem immensen Ausmaß? Selbst wenn irgendeiner meiner jiddischen Pop-Songs zu einem Hit wird, so z.B., wenn ich den deutschen New-Wave-Schlager der 80er „Dadada“ mit meiner Elektro-Pop-Version „Daidaidai“ wiederauferstehen lasse oder den Blödel-Schlager „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ ins Jiddische übersetze, sowie den „Eisbär“ von Grauzone aus dem Jahre 1981, das Non-Plus-Ultra der Neuen Deutschen Welle, auf Jiddisch heißt der Song jetzt „Waysser Behr“, die letzteren beiden übrigens als Italo-disco-Produktionen mit den Jewrhythmics; am Ende des Tages ist die Musik, die ich mache, eine Auflehnung gegen die Geschichte. Sie ist deswegen ein absolutes Nischenprodukt, weil ihre hauptsächliche Zielgruppe vor siebzig Jahren sozusagen per Insektenvernichtungsmittel aus dem Weg geräumt wurde.

Das heißt, so normal ist „ganz normaler Klezmer-Gitarren-Rock“ heute dann wohl doch nicht. Das nehme ich als Schlusswort und bedanke mich herzlich für die offenen Worte.

17. Oktober 2012

Es war nicht meine Absicht, düstere Werke zu kreieren. Anna Aaron im Klangverführer-Interview

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: — VSz | Klangverführer @ 11:42

Für die Wahl von Anna Aarons Dogs in Spirit zur Platte des Monats auf fairaudio.de habe ich von Ihnen viel positives Feedback bekommen. Grund genug, noch einmal genauer hinzuschauen, was es mit den Hunden im Geiste, den Seeungeheuern und Sirenen, kurz: der fabelhaften Welt der Anna Aaron auf sich hat. Ich hatte die Gelegenheit, die Schweizer Künstlerin am 11. Oktober in Berlin zu einem persönlichen Gespräch zu treffen – über Türen, die im Körper aufgehen, je mehr man an seiner Persönlichkeit arbeitet, über die den Liebenden ausliefernde Liebe im Alten Testament und darüber, weshalb die Kunst der finale Triumph des Lebens ist.

Klangverführer: Auf deiner Platte begegnet man ja allerlei Gestalten, Seeungeheuern, Sirenen, Figuren aus der Bibel und Mythologie – und auf deiner ersten Single „King oft he Dogs“ ebenso wie beim Albumtitel „Dogs In Spirit“ Hunden. Was symbolisieren diese für dich?

Anna Aaron: Der Titel kommt von dem Satz „Selig sind die Armen im Geiste“, auf englisch heißt der ja, „Blessed are the poor in spirit“. Ich habe dann die Armen mit den Hunden ausgetauscht, weil Hunde für mich ein Symbol für Armut sind. Also, nicht für geistige Armut, sondern allgemein für Schwäche. Das habe ich nicht selber erfunden, es gibt ja beispielsweise auch den Begriff vom Underdog oder man sagt, „er ist ein armer Hund“.

Interessante Idee! Hunde werden üblicherweise ja nicht gerade als arm oder schwach dargestellt; in der Mythologie dienen sie dem Menschen als schützende Begleiter in die unergründlichen Unterwelten oder als treue Wächter des Feuers. Woher die Konnotation zu den Armen?

AA: Also, ich denke, es gibt da zwei Richtungen. Und ich bin jetzt einfach in die Richtung vom Hund als niederes Tier gegangen, wobei ich nichts gegen Hunde habe! Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass ich als Kind in den Armenvierteln Asiens war, und dort sieht man sehr oft Straßenhunde, die sind ein geläufiges Bild. Darum habe ich eher diese Art von Assoziation.

Wirst du oft gefragt, wie dieser Titel zu verstehen ist, oder ist den meisten Menschen das sofort klar?

Nein, ich habe das Gefühl, es ist nicht so einfach verständlich. Ich habe ganz allgemein das Gefühl, dass das Album nicht so zugänglich und verständlich ist, wie ich am Anfang gedacht habe. Vielleicht auch, weil ich meine eigene Mythologie, die eigene Märchenwelt im Kopf habe … Und wenn man dann etwas beschreibt, greift man auf einen Wortschatz zurück, der einem selbst ganz natürlich erscheint, mit Begriffen, die in einem selbst fest verankert sind … Wenn man das dann aber herausbringt und dann nach der Bedeutung gefragt wird, merkt man plötzlich, dass das gar nicht so offensichtlich ist.

Bleiben wir noch ein bisschen bei Titeln und Namen. Anna Aaron ist nicht dein bürgerlicher Name. Zuerst hattest du „Anna in a dotted dress“ gewählt, dann den Nachnamen Aaron zugefügt. Woher kommt die Figur der Anna? Und worauf nimmt Aaron Bezug?

Ich mag die Einfachheit des Namens Anna sehr. Und es ist ja auch so, dass dieser Name in fast allen Sprachen verständlich oder zumindest aussprechbar ist. Mit meinem bürgerlichen Vornamen ist das eher schwierig. Ich habe mich selbst einfach schon immer irgendwie Anna genannt, aber jetzt nicht als Künstlername, sondern so als geheimer Name für meine Person. Und Aaron habe ich dann als Nachnamen genommen, weil ich einfach noch einen männlichen Vornamen wollte. Es ist eigentlich gar keine große Geschichte dahinter.

Kann man sagen, es ist eine Kunstfigur, ein Alter Ego, das du da mit Anna Aaron geschaffen hast?

Das würde ich nicht so sagen. Für mich ist das irgendwie alles eins. Wenn ich zu Hause arbeite, die Lieder schreibe, dann ist das ja „Anna Aaron-Arbeit“, aber es bin ja ich, die da schreibt.

Dann lasse ich das „Kunst-„ bei „Kunstfigur“ weg und frage: Zu der Figur Anna Aaron gehört auch eine ganz besondere Bildsprache. Wenn man sich die Fotostrecke vom „Dogs In Spirit“-Covershooting anschaut, sieht man Portraits von dir, wo du mit Farbe bemalt bist oder wo kleinere Gegenstände in deinen Kopfschmuck eingeflochten sind …

… eine Maske!

Das alles macht die Fotos in meinen Augen eher selbst zu Kunstwerken als zu simplen Künstlerportraits. Verfolgen sie eine bestimmte künstlerische Aussage im Zusammenhang mit deiner Musik oder sind sie eher beiläufig entstanden?

Nein, das war schon sehr absichtlich. Ich habe mich sehr mit dieser Frage befasst – es war auch eine Riesenrecherche am Anfang! Ich habe mich gefragt, was für eine Rolle der Körper eigentlich in der Musik spielt. Musik ist ja etwas irgendwie Immaterielles, und trotzdem machen wir sie mit dem Körper – und wir nehmen sie auch mit dem Körper wahr. Dann habe ich mich gefragt, wo das zusammenkommt, das Geistige und das Physische. Und da bin ich so in Richtung Rituale gegangen, zum Beispiel die Rituale von Eingeborenenstämmen. Dabei habe ich mich eine Zeitlang sehr mit dem Körper beschäftigt, auch mit Körperschmuck, Tätowierungen oder Gesichtsbemalung. Und in diesem Zusammenhang ist mir ein Ethnologiebuch in die Hände gefallen, wo ich von einem bestimmten Völkerstamm gelesen habe, der sich, wenn er gegen Menschen in den Krieg zieht, das Gesicht anmalt. Wenn er hingegen in den Krieg zieht, um gegen Dämonen zu kämpfen, dann setzen seine Mitglieder eine Maske auf. Das fand ich sehr interessant und dachte, ich baue mir meine eigene Maske. Darum gibt es auch die zwei Bilder.

Aber um auf deine Frage zurückzukommen, ja, es war mir schon wichtig, dass das einfließt, denn ich versuche, Anna Aaron nicht auf die Musik zu reduzieren, sondern alle Möglichkeiten zu nutzen, die ich habe, um meine Fragen zu beleuchten. Und da gehört das Visuelle ja auch sehr stark dazu.

Kommen wir zur Musik selbst. Viele bezeichnen dein Debütalbum als Art Pop, manche aber auch als Folk Noir bzw. Chanson Noir. In Interviews kann man aber lesen, dass du deine Musik gar nicht so düster empfindest. Wie würdest du sie beschreiben, wenn du müsstest?

Ich sage meistens: ernst, ernsthaft. Auch wenn ich sage, ich finde sie nicht sehr düster, sehe ich aber schon, dass es nicht die leichteste Musik ist. Aber es war nicht meine Absicht, düstere Werke zu kreieren. Ich habe mich einfach nur sehr ernsthaft mit gewissen Fragen beschäftigt und bin dort vielleicht ein bisschen weit gegangen.

Apropos weit: Wenn wir uns noch einmal deine musikalischen Anfänge angucken … Deine Band Aiph, die sich 2001 gegründet hat, bewegte sich mit ihrer „Revolverdisco“-EP noch irgendwo zwischen Disco und Indie-Rock’n’Roll – jetzt arbeitest du mit mehrschichtigen Chorsätzen und überhaupt mit verschiedenen sich überlagernden Stimmen, die deine Musik neben deinem starken Pianospiel dominieren. Ist sie mit dir erwachsener geworden?

Also bei Aiph war ich musikalisch sehr wenig beteiligt. Ich habe nicht viel geschrieben; und irgendwann hat jemand gesagt, eure Band ist schon gut, aber die Sängerin klingt, als würde sie in einer Coverband singen. Das war zwar hart, aber ich habe es als sehr treffend empfunden, denn genau so habe ich mich auch gefühlt! Ich habe dann auch damit aufgehört, denn es war wirklich nicht meins.

Um aber auf das Erwachsenwerden zurückzukommen: Ich denke, wenn man wächst, dann wächst man ja in allen Lebensbereichen. Ich habe zum Beispiel gemerkt, dass die Stimme auch mitwächst mit der Persönlichkeit. Es gibt gewisse Tonlagen, die ich vor fünf Jahren nicht hätte singen können. So habe ich zum Beispiel lange gedacht, dass ich niemals eine Kopfstimme entwickeln würde und niemals würde hoch singen können. Irgendwann ist das aber, parallel zu der Entwicklung der Persönlichkeit, gegangen. Je mehr man an sich selber arbeitet als Mensch, gehen auch Türen auf im Körper.

Tatsächlich sind aber die tiefen Lagen für mich bis heute die komfortablen Zonen. Und die Herausforderung ist ja, sich ein bisschen außerhalb davon zu bewegen und nicht immer da zu bleiben, wo es einem wohl ist, sondern auch darum zu kämpfen, dass man weiterkommt. Das ist mir sehr wichtig bei der Arbeit an meiner Stimme und hat auch wieder etwas mit Erwachsenwerden zu tun: Wenn sich die Stimme entwickelt, hat man auch mehr Möglichkeiten beim Schreiben, da man damit ja an die eigenen technischen Fähigkeiten gebunden ist.

Du hast vorhin die Ernsthaftigkeit deiner Platte angesprochen. Die treffen wir ja nicht nur musikalisch an – auch thematisch wird „Dogs in Spirit“ von großer Ernsthaftigkeit beherrscht. Du greifst vielfach auf uralte Geschichten zurück, auf Biblisches und Mystisches. Kommt dieser Hang zur großen Symbolik von deinem Philosophie- und Literaturstudium, das du begonnen hattest?

Ich denke, es ist einfach meine Art zu kommunizieren. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich einfach gerne auf diese Geschichten zurückgreife, weil sie zeitlos sind und auch universal zugänglich. Zum Beispiel die Geschichte von Samson und Delilah …

… die du in deinem Song „The Drainout“ verarbeitet hast …

Genau. Das war schon vom Studium beeinflusst, denn ich habe eine Vorlesung gehört, wo es um jüdische Literatur und das Alte Testament ging. Der Dozent sagte, die Liebe werde im Alten Testament sehr oft mit einem Nachteil für den Liebenden verbunden. Wenn jemand liebt, ist er dort gebrochen, ein Opfer seiner Liebe. Er ist ausgeliefert. Und das hat mich sehr berührt, auch im Hinblick auf Samson: Der war ja der stärkste Mann im ganzen Land, hat zehntausend Männer erschlagen – und am Schluss verliert er alles wegen einer Frau. Weil er sie liebt. Ich denke, darauf können wir uns alle beziehen: auf die Liebe und darauf, dass sie schwach und verletzbar macht und uns auch ein bisschen ausliefert.

Ich habe dann gemerkt, dass mir persönlich diese Geschichten einfach helfen, egal, woher sie kommen, das muss nicht die Bibel sein. Die Seeungeheuer zum Beispiel, die mag ich sehr gern, die sind ein Symbol für die Sexualität, weil sie aus den Tiefen kommen. Sie symbolisieren das Verborgene, das Rätselhafte und sind ein sehr starkes Bild.

Das heißt, du benutzt Symbolik im Grunde, damit wir uns mit unseren alltäglichen Erfahrungen darin wiederfinden, und nicht, um dich dahinter zu verstecken …

Ja, weil ich gemerkt habe, dass mich gewisse Dinge wirklich sehr tief berühren können, weil sie vielleicht in den kollektiven Wortschatz hineinreichen …

So eine Art kollektives Menschheitsgedächtnis, das losgelöst von den persönlichen Erfahrungen einfach da ist und mit bestimmten Erscheinungen wie Worten oder Musik wachgerufen werden kann?

Genau, das wäre dann ja das Stichwort zum erstzitierten Beispiel „The Drainout“. Ich finde die Kraft, die das hat, sehr interessant.

„The Drainout“ besticht ja auch durch unglaublich zärtliche Momente – in denen untergründig aber auch immer Gewaltiges oder gar Gewalttätigkeit schlummert. Gehört das zwingend zusammen, das Schöne mit dem Negativen, oder, anders gefragt, kann man das Schöne nur dann wirklich genießen, wenn man auch das absolut Unschöne kennt?

Ich hatte einen ziemlich frappanten Moment, als mir die Masterversion von „Dogs in Spirit“ zugeschickt wurde. Ich habe sie im Zug gehört, und bei einem Stück hatte ich plötzlich das Gefühl, dass ich mein Leben höre. Wie es nicht besiegt worden ist. Als würde mir die Musik sagen, ich bin nicht gestorben, sondern ich lebe und ich drücke mich aus. In dem Moment habe ich verstanden, dass die Kunst wirklich der Triumph des Lebens ist. Egal, wie vereinzelt wir sind, oder auch wie todesnah die Inhalte unserer Kunst – in dem Moment, in dem wir Kunst machen, leben wir. Und seit diesem Moment bin ich sehr streng mit mir selber geworden, wirklich auf das Leben zu pochen – auch, wenn es mal unangenehme Inhalte hat. Mit geht es um das Leben. Aber die Freude am Leben wird anders, wenn man einen Preis dafür bezahlt, wenn man gelitten oder etwas durchgestanden hat. Dann bekommt die Freude eine gewisse Tiefe, weil man weiß: Ich muss mich dran festhalten, das ist existenziell für mich.

Um noch einmal auf „The Drainout“ zurückzukommen: Das Lied war ja auch schon auf deiner selbstproduzierten 7-Track-EP „I’ll Dry Your Tears Little Murderer“ vertreten. Für die Menschen war der Song so besonders, dass er seitdem oft mit der Musik von Tom Waits verglichen wurde. Was macht ihn für dich so besonders, dass du dich entschlossen hast, ihn auch noch einmal auf dein aktuelles Album zu nehmen?

Das war gar nicht meine Idee. Mein Produzent fand das Lied so toll und wollte es unbedingt noch einmal aufnehmen mit Eric Truffaz …

… dem Jazztrompeter! Du hast aber gerade deinen Produzenten angesprochen: Deine EP hast du noch selbst produziert, bei „Dogs in Spirit“ hast du die Produzentenzügel aus der Hand gegeben …

Ja, das ist immer ein Zwiespalt. Einerseits bin ich sehr eifersüchtig und gebe meine Lieder nicht gern aus der Hand, gleichzeitig merke ich, ich muss an meinem künstlerischen Selbstvertrauen arbeiten, also, dass ich wirklich an meine Ideen glaube und darauf vertraue, dass ich weiß, wie es gemacht werden muss. Als junge Künstlerin kann man sich schnell einschüchtern lassen, wenn man von Leuten umgeben ist, die zwanzig Jahre mehr Musikerfahrung haben und hunderttausend Platten mehr kennen als man selbst. Dann hat man schnell das Gefühl, ich weiß eigentlich gar nicht, was gut klingt und was nicht. Aber Marcello Giuliani hat sich sehr viel Zeit genommen, und ich habe das Gefühl gehabt, dass er meine Demos sehr verstanden hat. Darum habe ich mich jetzt auch nicht so gefühlt, als würde man mir die Zügel aus der Hand nehmen.

Marcello Giuliani ist ja auch der Produzent von Sophie Hunger, mit der du auch oft verglichen wirst. Wie gehst du mit solchen Vergleichen um?

Mir fällt das gar nicht so auf. Ich denke, Vergleiche und Assoziationen sind einfach ein Teil der Art des Menschen, Dinge wahrzunehmen. Sogar, wenn ich jetzt den Apfel hier esse, grenze ich ihn ab von einer Banane, finde ihn eher einer Birne ähnlich … Das ist ein Teil vom menschlichen Verstehen, und darum finde ich es ganz normal, dass verglichen wird.

Das heißt, du gestehst den Leuten ihre Vergleiche zu, um dich einordnen zu können, lässt dich davon aber nicht unter Druck setzen?

Nein, weil ich die meisten Künstler, mit denen ich verglichen werde, selber gar nicht kenne. Und es interessiert mich auch nicht.

Gibt es aber dennoch eine Art Vorbild, jemand, an dem du dich künstlerisch orientierst oder der dich inspiriert?

Mir ist es ja immer um das Überschreiten von Grenzen zu tun, und darum gibt es mir viel Kraft, wenn ich auf Künstler stoße, die mutig sind, Kate Bush, David Bowie – ich mag die Achtziger-Jahre! Und ich schätze Künstler sehr, die einfach aus sich selbst schöpfen und bei sich bleiben können, die ihre abgeschlossene Seifenblase haben und ihre Kunst in ihrer eigenen Welt kreieren.

14. Oktober 2012

Klangköpfe # 3: Nur wer selbst brennt, kann andere entzünden oder: Ich bin kein unruhiger Mensch – aber ein ruheloser. Der Traveler im Interviewportrait

Filed under: Klangblog — Schlagwörter: , , , — VSz | Klangverführer @ 17:42

Den Chemnitzer Musiker Falk lernte ich über Johnny Cash kennen. Besser gesagt über die Neuauflage von Cashs Autobiographie, die ich für fairaudio besprochen hatte. Falk hatte sie bei Amazon bestellt und stolz ein Foto seiner Neuerwerbung ins Netz gestellt. Gute Menschen kennen gute Lieder, dachte ich mir, und kurz darauf waren wir be-e-freundet. Okay, vorher hatte noch eine gemeinsame Freundin, die Altenburger Sängerin Franziska Brendel, ihre Hände im Spiel. Mit der habe ich vor einem oder zwei Jahren einen herrlichen Weiberabend bei dem einen oder anderen (eher dem anderen) Glas Wein verbracht – sie vor ihrem Computer in Altenburg, ich vor meinem Laptop in Berlin. Aber das ist eine andere Geschichte.

Da jedenfalls weder aus meinem geplanten Chemnitz-Besuch im Frühsommer, wo Falk mit seinem neuen Duo Diamonds&Rust spielte, noch aus seinem beabsichtigten Konzert in meiner Berliner Küche etwas geworden ist, dachten wir uns: Treffen wir uns doch in der Mitte! Und so kam es, dass ich mit Lina Liebhund an einem schönen Samstagmorgen im September passend zu Falks Künstlernamen Traveler nach einem im Landkreis Elbe-Elster gelegenen Städtchen namens Doberlug-Kirchhain travelte. Übrigens kostete – ich erwähne das aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – mein Bahnticket 13,70 Euro, während man für Linas 9,90 Euro haben wollte. Ob sie dafür wenigstens auch einen Sitzplatz bekommt?, fragte ich mich.

Den bekam sie nicht, dafür aber einen im Auto des Travelers, mit dem es raus zur Klosterschänke am Schloss Doberlug ging, einem Restaurant mit ungarisch angehauchter Speisekarte, erstaunlich gutem Essen und sehr netter, hundefreundlicher Bedienung, noch dazu mit herrlichem Blick auf die spätromanische Backstein-Basilika der Klosterkirche und das behutsam modernisierte Refektorium des Klosters Dobrilugk. Ein Ausflug dahin lohnt sich auch dann, wenn man hier nicht den Traveler zum Interview und zur fröhlichen Einkehr trifft. Deutlich weniger lohnt sich ein Besuch von Steins Wein- und Bierstuben, der in seiner Unerfreulichkeit vermutlich aber nur die Vorbereitung auf die Meisterleistung der Deutschen Bahn war, welche Lina und mir auf der Rückfahrt einen unfreiwilligen, anderthalbstündigen, spätnächtlich-kühlen Aufenthalt in Falkenberg (Elster) bescherte. Nein, das ist nicht das Falkenberg bei Berlin-Hohenschönhausen, wo mein Emilyhund begraben liegt. Das ist das Falkenberg, wo der Hund schlechthin begraben liegt. Da gibt es nachts nämlich nichts. Die Nazis vor der örtlichen Pizzeria waren aber sehr nett zu uns.

Mittlerweile sind wir wieder glücklich zu Hause angekommen und freuen uns, dieses schöne, weil bescheidene und dabei ziemlich schlaue, Interview mit Ihnen zu teilen. Lesen Sie über des Travelers musikalische Erweckungserlebnisse, über die Unmittelbarkeit des Übertrags seiner Musik auf die Gitarre, darüber, dass man mit Frauen nicht streitet und weshalb er seine eigenen Songs, die ihm gewissermaßen zufliegen, nur ganz selten live spielt. Für den Klangblog hat er allerdings eine Ausnahme gemacht und uns neben einem Johnny Cash- und einem Gerhard Gundermann-Cover auch eine Eigenkomposition geschenkt. Viel Freude damit!

Klangverführer: Du bereist Thüringen seit einiger Zeit unter dem Namen Traveler. Erzählst du mir, wann und wie dieses Alter Ego entstanden ist?

Traveler: Also prinzipiell als Name verwendet habe ich das seit 2007 – damals war das aber noch ein Duo. Ich bin gerade von meinen „Wanderjahren“ wiedergekommen – ich bin im Westen drüben gewesen, in den „gebrauchten Bundesländern“, hab da ein bisschen rumgewohnt und verschiedene Geschichten gemacht, die Versicherungssache, beispielsweise. Und als ich wiederkam, habe ich einen Bekannten getroffen, der hat gerade angefangen, Geige zu spielen und wollte auch wieder so bühnenmäßig ein paar Dinge machen. Das konnte er aber nicht alleine, und so hat er gesagt: Komm, wir machen jetzt ein Duo. Und das erste, was mir dazu eingefallen ist, war „Traveler“. Im Prinzip deswegen, weil dieses Wort für mich eine ganze Menge bedeutet; es ist assoziiert mit dem „Zigeunerblut“, was ich immer so ein bisschen hatte, dass ich immer herumziehen musste, immer ein bisschen etwas sehen, irgendwo immer etwas Neues erleben und nicht immer das Gleiche um mich haben, und dementsprechend hatte ich dieses Wort schon lange im Kopf. Ich wusste nur nie, wofür es gut ist – dann hat sich aber herausgestellt, dass es ein guter Duo-Name ist. Und als es kein Duo mehr war, ein guter Alleinmusikername …

Wo du gerade diese Sache mit der Unruhe ansprichst, nimmst du schon ein bisschen meine zweite Frage vorweg. Ich wollte wissen, ob die Wahl des Symbols der Wanderers, zu dem ja nicht nur das Fernweh gehört, auch etwas mit dem Gefühl des Nie-richtig-Ankommens zu tun hat, eben mit einer allgemeinen Unruhe oder auch einem beständigen Auf-der-Suche-Sein? Ich glaube, eines deiner Lieblingszitate entstammt einem Lied der Berliner Dudelsack-Rocker Cultus Ferox, wo es heißt: „Über Land und unter Wasser/habe ich mein Glück gesucht/An den schönsten Meeresstränden/meine Einsamkeit verflucht; Überall bin ich zu Hause, nirgends komm ich wirklich an; Bin ich dort, bin ich ein Fremder, bleib ich hier, dann werd ich krank“ …

Ja, absolut richtig. Gerade in diesem Zitat habe ich mich ganz deutlich wiedergefunden. Das ist mir wirklich irgendwo aus der Seele gesprochen: Ich bin an vielen Orten gern gesehen, viele Leute kommen gut mit mir klar (ich auch mit vielen Leuten!), aber es ist wirklich so, dass ich – ich weiß nicht, warum das so ist –, wenn ich die Leute eine bestimmte Zeitlang hatte, wieder andere Leute und wieder eine andere Gegend brauche. Ich bin halt irgendwie sehr ruhelos – jetzt aber im positiven Sinne. Ich finde es auch gut, mal ‛nen ruhigen Abend zu verbringen, und ich bin jetzt auch kein unruhiger Mensch – aber ich bin ein ruheloser Mensch. So vielleicht, wenn du verstehst, was ich meine.

Ich denke schon. Als Traveler gehörst du mit deinen Auftritten ja beim City Pub Chemnitz schon fast zum Inventar. Wie bist du eigentlich zu dieser akustischen Irish Folk- bzw. keltischen Schiene gekommen?

Das war durch meinen Duo-Partner damals. Ich hatte mit Irish Folk nie was am Hut. Ich wusste, dass es die Musik gibt – aber ich kannte kein einziges Stück davon, abgesehen vielleicht von Drunken Sailor oder solche Geschichten. Er aber war schon immer Fan davon. Wenn er losgezogen ist, hatte er teilweise einen Kilt an und hat mit seinem langen Haaren und dem ganzen Drumherum da genau reingepasst. Und als wir gesagt haben, wir machen jetzt dieses Duo, war uns klar, dass das so ein bisschen auf die Pub-Schiene gehen wird – man braucht ja irgendwo ein Anlaufpublikum! Und deswegen haben wir uns zumindest teilweise auch ein Irish Folk Repertoire zusammengesucht, und dann ging es auch schon los!

Wie muss ich mir das jetzt vorstellen: Er an der Geige und du an allem anderen?

Nee, nee. Ich habe immer mein Gitarre-Mundharmonika-Gesangsding gemacht, und er hat Geige, Cajon, Bass, teilweise Dudelsack und Bodhrán gespielt, das ist so eine irische Trommel, die hat man in der einen Hand, während man in der anderen einen Schlegel hält, den man von beiden Seiten benutzen und dadurch ganz schnelle Dinge damit machen kann. Ach, und Mandoline hat er auch noch gespielt.

Eine Mandoline steht ja auch bei dir zu Hause rum, ich hab das Foto gesehen … Die spielst du ja auch, oder?

Nebenbei, ein bisschen. Nicht auf der Bühne, aber für Aufnahmen und solche Geschichten schon mal.

Du trittst aber nicht nur im Irish Pub auf, sondern spielst an den Wochenenden auf Festivitäten in ganz Sachsen und auch Thüringen, beispielsweise auf Hochzeiten. Ich glaube auf meine Frage nach deiner Musik hast du mir ganz nonchalant den Wikipedia-Link zum Stichwort „Mugge“ geschickt mit dem Nachsatz, du seist als Traveler ein „typischer Mucker“. Daneben hast du unter der Woche einen „bürgerlichen“ Vollzeitjob. Wie kommst du mit dieser Doppelbelastung klar? Gibt es da einen Trick? Das frage ich auch aus Eigennutz, weil ich ja auch zwischen Musikjournalismus und bürgerlichem Job oszilliere …

Für mich stellt sich hier gar nicht die Notwendigkeit eines Tricks dar, es ist vielmehr so, dass es für mich ein Ausgleich ist. So wie für manche vielleicht Sport, so brauche ich die beiden Geschichten. Ich könnte mir jetzt nicht vorstellen, Vollzeitmusiker zu sein, das wäre mir … Ich weiß nicht. Da würde mir zu viel Spaß an der Musik verlorengehen, wenn das zuviel werden würde. Umgekehrt brauche ich aber auch zu meinem Job irgendwo einen Ausgleich, und der ist für mich wirklich an den Wochenenden die Musik. Das passt total gut zusammen – auch wenn es manchmal ein bisschen anstrengend ist.

Kommen wir auf die Musik selbst zu sprechen und nicht nur darauf, wie man damit umgeht. Als ich zum ersten Mal dein Cover von Johnny Cashs „Hurt“ gehört habe, war ich total von den Socken – deine Stimme ist ja wie gemacht für seine Songs! Haben sich da Stimme und Musik gefunden oder, anders gefragt, woher rührt deine Faszination an Cash?

Prinzipiell ist es ja so, du kannst – und das ist jetzt ein Zitat aus dem Hefter, den ich für die Bühne benutze, wo meine ganzen Sachen drin sind, und da steht auf der ersten Seite: Man kann nur in anderen entzünden, was in einem selber brennt. Das hat mal der große Römer Aurelius Augustinus gesagt. Und das ist wirklich das Ding! Man kann in den Leuten nur dann etwas auslösen, wenn man selber überzeugt ist von der Geschichte. Und das ist schon bei Johnny Cash so gewesen – der war ja wirklich ehrlich. Er hat nur geschrieben und gesungen, was ihn bewegt hat, was ihm passiert ist, was ihm wichtig war. Ob das jetzt die „Man in Black“-Geschichte war oder Geschichten aus seinem Leben …Das haben die Leute gemerkt, das war ehrlich – was zu der Zeit ja gar nicht so modern war. Da gab es ja die ganzen Gospelsachen und so, was alles ein bisschen weiter hergeholt war. Und das ist auch meine Sache. Ich will wirklich niemandem erzählen, dass ich jetzt sonstwas für einer bin – ich bin halt wirklich ein ganz normaler Musiker, der ein ganz normales Leben lebt. Und diese Ehrlichkeit, die verbindet mich mit Johnny Cash.

Das heißt, du schlüpfst auf der Bühne nicht in eine Rolle, sondern präsentierst dich so, wie du bist?

Richtig. Es ist ja bei vielen wirklich so, dass sie sich ein Alter Ego schaffen und auf der Bühne dann total anders sind als privat. Das könnte ich gar nicht, weil das – Bühnenpersönlichkeit und Privatperson – für mich irgendwo eins ist. Ich will die Leute begeistern – und das kann ich nur mit mir selber!

Das heißt, ich habe meine erste Frage zur Figur des Travelers im Grunde falsch gestellt. Der ist gar kein Alter Ego, sondern der repräsentiert wirklich nicht nur einen Teil von dir selber, sondern dich komplett …

Komplett, wirklich komplett, ja, genau. Das ist auch wirklich die Sache, die sich durch mein ganzes (Privat-)Leben zieht, mit dieser Rastlosigkeit. Und das ist auch etwas, was mich auch noch mit Johnny Cash verbindet. Und deswegen auch – dass die Stimme jetzt passt, ist ein Zufall, wenn sie denn passt … aber diese Lieder sprechen halt zu mir, und deswegen kann ich sie vielleicht auch ansprechend rüberbringen.

Das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen, denn diese Ehrlichkeit, die du vorhin angesprochen hast, gibt es ja auch durchaus noch bei anderen Musikern. Bei Johnny Cash sprechen also auch vor allem seine Lieder zu dir …

Richtig, das gibt es auch bei anderen Sachen, zum Beispiel bei Neil Young – aber auf einer anderen Ebene. Neil Young verbildert ja mehr. Der sagt jetzt nicht: so-und-so-und-so ist es gewesen, sondern der sagt, die grüne Wolke hat geleuchtet weil das-und-das war. Der schafft sich da irgendwelche Welten drum herum, das finde ich auch sehr toll, und er ist auch ein ganz großes Vorbild für mich von seiner Musik her, aber nicht auf der Ebene wie Johnny Cash.

Hast du Neil Young-Songs in deinem Repertoire?

Ja, sogar eine ganze Menge. Und der dritte, der mich ganz groß interessiert …

… Das passiert, wenn man sich gut kennt: Du nimmst meine Fragen vorweg! Ich vermute, du wolltest jetzt einen Liedermacher mit den Initialen G.G. ansprechen…

(lacht) Ja …

Dann frag ich jetzt trotzdem noch einmal ganz offiziell! Neben Cash und Young hast du noch einen anderen musikalischen Helden, nämlich Liedermacher Gerhard Gundermann. In einer Mail an mich hast du mal geschrieben, dass die Frau, die du mal heiratest, Gundermann zwingend mögen muss, obwohl das eigentlich gar nicht ginge, denn mit Gundermann könne man entweder nichts anfangen – oder man müsse ihn lieben …. Ich gestehe, dass ich als deine zukünftige Frau nicht in Frage komme. Aber ich möchte gern mehr über deine Gundermann-Faszination wissen.

Ich fange mal ganz am Anfang an. Gundermanns Musik habe ich erst sehr spät kennengelernt, da war er schon tot. Ich war in Leipzig auf dem Bahnhof gewesen und hatte Zeit. Und da war ein Saturn-Markt, in den ich zum Zeitvertreib rein bin. Zu dem Zeitpunkt habe ich es immer so gehandhabt, dass ich CDs von Leuten, die ich nicht kannte, gekauft habe, wo mir die Aufmachung gefallen hat. Und das, was ich damals dort gefunden hab, war das „Krams“-Album von Gundermann gewesen. Das ist ein Live-Album von seinem letzten Konzert eine Woche vor seinem Tod, das wusste ich damals auch noch nicht – mir hat einfach die Aufmachung gefallen. Das war so grau und zum Aufklappen und so ein bisschen erdig gemacht, irgendwo, das fand ich cool, also hab ich’s mitgenommen – und bin dadurch in eine ganz, ganz neue Welt hineingekommen. Absoluter Wahnsinn! Ich hab die CD in den CD-Player meines Autos gelegt, es war eine Doppel-CD, dachte, hörst du mal in die eine ein bisschen rein … Ich hab die eine ganz durchgehört, die zweite ganz durchgehört, die erste noch mal gehört – und dann bin ich erst losgefahren. Natürlich hab ich dabei weitergehört. Wahnsinn! Der mal einfach mal Bilder mit seinen Worten – das geht überhaupt nicht, das ist absolut unglaublich. Zum Hintergrund muss man sagen, dass Gundermann ein sogenannter Großgeräteführer war, er fuhr so einen riesigen Braunkohlebagger, und hat halt vorneweg seine Lieder geschrieben. Da würde man ja jetzt gar nicht soviel Philosophie erwarten, drumherum, eher so eine Proletengeschichte …

Er durfte in der DDR ja nicht studieren beziehungsweise wurde exmatrikuliert, weil er sich nicht „systemkonform“ verhalten hat, und musste dann Hilfsarbeiten leisten, oder?

Richtig. Er wurde dann vom Volk ja als „einer von uns“ oder „singender Baggerführer“ stilisiert, was er gar nicht so wollte, aber man muss das wirklich würdigen, dass dieser Mann so total bodenständig war. Er war auch ein Biofreund, der war ganz ganz nah an sich und an der Erde dran. Es tat ihm zum Beispiel immer weh, wenn er seine eigene Heimat, über die er geschrieben und gesungen hat, mit seinem eigenen Bagger kaputtgemacht hat, das hat ihn auch bis zum Ende beschäftigt, das wollte er gern auch wieder irgendwie gutmachen. Das war eine absolute innere Zerrissenheit; und vielleicht ist es auch das, was mich so an Gundermann fasziniert, denn diese Rastlosigkeit, diese Ruhelosigkeit, die irgendwo in mir wohnt, ist nah an dem dran, was Gundermann auch mit seinen Liedern beschreibt. Das ist unglaublich. Also, es gibt so zwei, drei Lieder von ihm, die sind wie eine Offenbarung. Vielleicht vergleichbar mit – auch, wenn das jetzt blasphemisch ist – einer Bibelerfahrung. Ich lese die Bibel – und mir sagt sie überhaupt nichts. Aber es gibt Menschen, die lesen sie und finden sich da wieder und finden da die absoluten Antworten auf ihre Fragen. Und das ist für mich Gundermann. Ich finde da wirklich Antworten auf Fragen, die ich mir teilweise schon gestellt habe, teilweise vielleicht mal stellen sollte, teilweise vielleicht auch erst in ein paar Jahren dazu komme, wo er schon soweit war. Das ist unglaublich.

So eine Art musikalisches Erweckungserlebnis.

Ja, so kann man dazu sagen.

Bei Johnny Cash sagst du, fasziniert dich die Ehrlichkeit. Bei Gundermann fasziniert dich die Zerrissenheit …

Es ist einfach immer die Geschichte, wo ich mich selber wiederfinde. Dass ich mich selber identifizieren kann und das entsprechend auch für mich selber irgendwo umsetze – jetzt für mich selber innerlich umsetze, aber auch nach außen den Leuten gegenüber. Dass ich das kommunizieren kann, in Musik und im Dasein.

Heißt, du hast natürlich auch Gundermann-Songs in deinem Repertoire …

Ja.

Musst du dich in allem, was du in dein Repertoire nimmst, selbst wiedererkennen?

Nein, eigentlich nicht. Dann muss es mir einfach gefallen. Wie gesagt, Traveler ist einer Mucker-Geschichte. Das heißt, ich will damit Leute erreichen. Leute erreichst du, wenn du die aus ihrer Welt rausholst. Und aus ihrer Welt holst du die am besten raus – also, wenn sie schon mal so vor Konzertkulissen sitzen –, indem du ihnen ein gutes Gefühl gibst. Und das machen 1.) Melodien, 2.) einprägsame Texte und 3.) Gefühle. Wenn ein Lied mir das gibt, dass ich sage, oh, das nimmt mich jetzt selber mit, das kann ich jetzt umsetzen, dann nimmt es auch die Leute mit. Wenn ich das für mich entscheide, dass es … Anders: Wenn ich für mich eine Version finde, es den Leuten entsprechend wiederzugeben, dann spiel‘ ich das auch gerne. Es muss jetzt nichts sein, dass das tiefgründig ist, oder dass das mich widerspiegelt, oder dass das die Welt widerspiegelt – es muss mir einfach die Möglichkeit geben, es so wiederzugeben, dass ich Leute begeistern kann.

Du sagtest gerade: Wenn du eine bestimmte Version davon findest. Da frag ich mich – und das bitte ich jetzt nicht polemisch zu verstehen, ich schätze die Kunst der Interpretation sehr! –, ob du „nur“ Coverversionen in deinem Programm hast, oder auch eigene Songs …

Diese Antwort kann man vielleicht am besten zweiteilen. Erstmal ist es ja so – um wieder auf Johnny Cash zu kommen, der ja seiner späteren Frau June Carter gegenüber gesagt hat, „der Sound, den ich spiele“ – dieser stampfende, wilde Sound da –, „der ist einfach entstanden, weil wir nicht besser spielen konnten. Wir haben uns eine Möglichkeit gesucht, uns auszudrücken mit den Möglichkeiten, die wir haben.“ Und so spiele ich auch. Ich bin jetzt nicht der Gitarrenvirtuose. Ich habe mal angefangen, am Lagerfeuer Gitarre zu spielen und bin nie in die Nähe virtuoser Fähigkeiten gekommen. Deswegen habe ich mir eine Möglichkeit gesucht zu interpretieren – auf eine Art, die mir gefällt und die den Leuten gefällt. So. Deswegen ist das covern von mir eine Interpretation, die … ja: Wenn ich besser spielen könnte, würde ich anders spielen. Das ist die Coversache. Zweitens: Ich habe auch eigene Sachen, aber die sind dann wirklich ganz ganz persönlich und mir oft … ja, ich weiß nicht, ich fühle mich da manchmal ein bisschen verletzlich, wenn ich so etwas spiele, weil es eben wirklich meins ist. Und ich bin der Meinung, wenn dann das Publikum vielleicht sagt, hmm, das ist jetzt ja nicht so das Ding und was spielst denn du jetzt für ’nen Zeug da, dass mich das persönlich treffen würde. Deswegen spiele ich die ganz selten, nur, wenn ich mir sicher bin dabei. Das heißt, ich hab‘ jetzt wirklich auch eigene Sachen, aber die kommen selten zum Einsatz. Meistens gegen Ende eines Konzertes, dann hab‘ ich die Leute schon erwischt, dann sind sie froh, dass sie da waren und meine Freunde, und dann kriegen sie noch etwas Eigenes dazu. Da sagt ich auch, oh, ich bin nicht so sicher, ob euch das jetzt gefällt, es ist etwas Eigenes, aber wir versuchen das jetzt mal.

Und es gefällt ihnen …

Ich glaub schon, ja. (lacht)

Möchtest du in dieser Richtung weitermachen, hast du zum Beispiel eine CD mit deinen eigenen Stücken oder so etwas in der Art geplant?

Das ist immer so ein bisschen im Hinterkopf, auf alle Fälle! Aber da ist vielleicht der Punkt, wo mich dieses zweigeteilte Leben davon abhält, weil eben wirklich wenig Zeit da ist für die Musik – außerhalb von den Gigs an sich. Und deswegen komme ich auch gar nicht in die Verlegenheit, näher darüber nachzudenken, auch wenn es mich auf alle Fälle reizen würde. Es ist auch genügend Material da, was dafür vielleicht taugen würde, aber …

Vielleicht ist das eher ein mittelfristiger Plan? Du hast bei unserem Vorgespräch anklingen lassen, dass du dir gern einen Mac mit LogicPro kaufen möchtest – könntest du dir vorstellen, im Heimstudio eine CD aufzunehmen?

Das könnte passieren.

Über eine Traveler-CD würde ich mich auf jeden Fall freuen! Bevor du aber zum Traveler wurdest, hattest du ein Projekt namens Traumfänger. Gibt es den Traumfänger noch – wenn ja, was macht er, wenn nein, warum nicht?

Den gibt’s noch, den Traumfänger gibt’s! Das ist mein Herz- und Seelenprojekt. Wenn ich mir Lieder aussuchen kann, die ich gerne spielen möchte, dann sind es meistens die, die mir ganz ganz nahe gehen, weil die mir wirklich viel bedeuten. Die passen aber selten auf Traveler-Bühnen. Weil: Da will ich die Leute holen, sie begeistern, da will ich sie wirklich aus ihrem Alltag rausdreschen, dass sie mal zwei Stunden etwas anderes hören und sehen … Traumfänger, das ist eine ruhige Geschichte. Da muss man zuhören. Da sind Gerhard Gundermann-Sachen dabei, da sind auch mehr eigene Sachen dabei, da sind Liedermachergeschichten dabei – und das muss halt auch wirklich passen. Und da habe ich momentan auch nicht so den Ansatzpunkt, wo ich so etwas spielen könnte. Das ist mir aber ein sehr sehr liebes Projekt, und immer, wenn es die Möglichkeit gibt, mache ich das sehr sehr gerne.

Seit April 2012 gibt es jetzt aber auch noch ein anderes Nebenprojekt, nämlich Diamonds&Rust, ein Duo. Erzähl mir doch auch ein bisschen darüber!

Es war eines Abends … (lacht) … in den Tiefen von Chemnitz/Karl-Marx-Stadt … Da hat eine liebe Bekannte zusammen mit anderen einen Liedermacherabend im studentischen Rahmen organisiert. Und weil das eben eine liebe Bekannte ist, war ich im Publikum, um mir das Ganze mal anzuhören. Und da war eine andere Bekannte von meiner Bekannten auch mit im Publikum – nämlich Miriam Spranger, die in der Region bei uns schon einen gewissen Namen als Singer/Songwriterin hat. Und wir haben gesagt, versuchen wir doch mal, zusammen etwas aufzumachen! Haben uns gefunden, haben uns ein Projekt erarbeitet – eben Diamonds&Rust – und bringen das jetzt in unregelmäßigen Abständen auf die Bühne. Das ist ein Coverprojekt, aber eine sehr sehr interessante Geschichte. Eben dieses Diamonds and Rust! Wir haben nach einem Namen gesucht und festgestellt, dass sie eher eine kleinere, zierliche Person ist – ich nicht so. Sie ist von der Stimme und ihren eigenen Texten her sehr feinsinnig – ich bin dann eher die Rampensau. Wir haben einen Namen gesucht, der diese Unterschiede repräsentiert, dachten an Feuer und Eis, an … was weiß ich, Pommes und Ketchup – ach nee, das passt ja wieder zusammen! (lacht) Und haben wir gesagt, Diamonds& Rust. Das ist der Titel eines Liedes von Joan Baez, das uns beiden sehr gefällt, und dann passt das natürlich: Diamanten und Rost.

Und du bist der Rost!

Ich muss Rost sein, logisch. Wir haben es mal so umschrieben: Die Diamanten, also die wertvollen, seltenen Geschichten, die durch Miriam repräsentiert sind, durch ihre Texte, durch ihre feinsinnige Stimme, und Rost ist eher … jetzt nichts Schlimmes, aber eher etwas, das …

… angreift.

Naja, eher, was ein bisschen mehr Erfahrung widerspiegelt. Ich will mich ja nicht ganz so schlecht machen! (lacht wieder) Und ich bin dann eben der, der schon mal die eine oder andere Geschichte erlebt hat in der Richtung und der auch ein bisschen rauher loslegt … Eben so, als wenn man mit der Hand eine rostige Oberfläche streift. Ja, und das sind unsere Diamonds&Rust-Gegensätze. Vom Programm her – da muss ich sagen, Miriam hat auch einen gewissen Bezug zu Johnny Cash – machen wir viele Johnny Cash-Geschichten, wo sie dann die June Carter gibt, das klappt ganz gut, und darüber hinaus Sachen, die ihr ein bisschen was bedeuten, die mir ein bisschen was bedeuten … Wir haben beispielsweise DDR-Musik im Repertoire – wir stammen beide aus dem DDR-Lager –, wir haben ein bisschen was, wo die Leute mitgehen können, ein bisschen was, wo die Leute nachdenken können, und können das halt mit einem richtig breiten musikalischen Spektrum machen. Wir haben zwei Gitarren, wir haben zwei Stimmen, wir haben das Cajon, wir haben ein Keyboard stehen …

Du springst dann während der Show an Keyboard oder Cajon?

Das macht Miriam. Ich halte mich da zurück, das ist ihre Aufgabe, ich bleibe an der Gitarre. Wir können da richtig viel machen, das ist eine ganz coole Geschichte. Ein Beispiel, das mich selber unheimlich geholt hat beim letzten Mal war „Nothing Else Matters“, da gibt es ja diese Version mit weiblichen Vocals und Klavierbegleitung …

Von Lucie Silvas!

Ja. Wir haben das aber noch anders gemacht, wir haben nämlich die Klavierversion kombiniert mit der Gitarrenversion, wie man sie kennt. Das ist unglaublich geil geworden, das macht richtig Spaß dann!

Wenn du sagst, Diamonds&Rust haben Songs im Repertoire, die euch beiden etwas bedeuten – gibt es auch Lieder, wo der eine sagt, Mensch, das würde ich unglaublich gern spielen, das würde so gut passen, und der andere sagt, nee, damit kann ich mich aber sowas von gar nicht identifizieren, nur über meine Leiche?

Ja, ja, ja! Entschuldige Miriam, wenn du das dann liest – das muss ich jetzt sagen: Als Mann muss man ja zurückstecken bei solchen Geschichten. Man streitet sich ja nicht mit den Frauen. Und deswegen ist es so, dass wir dann zwei, drei Sachen, die ich gern spielen wollte, rausgelassen haben, weil Miriam überhaupt keinen Bezug dazu gefunden hat. Das ist auch nicht schlimm, das ist gut so, weil … wir wollen ja beide in den Leuten was bewegen. Und das geht halt auch wirklich bloß dann, wenn wir beide hinter den Liedern stehen. Das ist einfach mal so. Und deswegen mussten wir auch beide Abstriche machen bei dem, was wir da reinnehmen. Wir haben uns zusammengefunden mit einem schönen Programm – aber alles ging dann wirklich nicht so, wie das nur der eine wollte, der dann meistens ich war, der dann zurückgesteckt hat.

Du hast vorhin gesagt, Miriam wechselt zwischen den Instrumenten, du bleibst aber bei deiner Gitarre. Das erinnert mich daran, dass du die Gitarre mal als „phantastische Art, Gefühle zu teilen“ beschrieben hast …

Aha? Wirklich? Solche schönen Sachen sag ich? Ist ja cool. Mein Gott, bin ich gut! (lacht)

Worauf ich hinaus will: Du spielst neben der Gitarre auch noch eine Handvoll andere Instrumente, Mandoline, Klavier … oder? Warum ist es dann bei der Gitarre geblieben?

Musik, oder vielmehr: die Musik, die ich spiele, die kommt ja aus mir selber raus. Viele Leute haben da noch ein Medium in der Hand. Wenn sie Gitarre spielen, haben sie beispielsweise noch das Plektrum. Das mag ich zum Beispiel gar nicht. Ich spiele direkt mit den Fingern, mache mir da immer einen Fingernagel kaputt, weil ich irgendwo sehr druckhaft spiele, aber ich will das, ich brauch das – ich muss die Musik wirklich von mir direkt auf das Instrument übertragen. Deswegen fallen schon mal alle elektronischen Instrumente für mich weg, ich brauche etwas Akustisches.

Das heißt, du würdest auch keine E-Gitarre spielen?

Nee. Lehne ich ab. Ich find’s gut bei anderen, aber es ist nicht meins. Deswegen auch kein Keyboard. Auch wenn ich’s zu Hause stehen hab‘ – ich nehm‘ es für Aufnahmen, für Nebengeschichten, aber ich würde es nie, auch wenn ich es sehr gut könnte, auf der Bühne spielen wollen.

Dir selbst würde da die Unmittelbarkeit fehlen, verstehe ich das richtig, aber bei anderen …

Ja, zum Beispiel bei Bands wie Neil Young mit Crazy Horse oder bei Ten Years After – ich liebe diese E-Gitarren, die die da spielen! Oder auch bei Künstlern wie Slash oder Mark Knopfler – ich liebe diese E-Gitarren! Aber selbst wenn ich es auch nur annähernd so gut könnte, was ich nie im Leben können werde, würde ich sie nicht so gern spielen wie Akustikgitarren. Weil das wirklich das ist, was in allen Kleinigkeiten … wenn ich die Saiten nur leicht anstupse, dann machen sie einen ganz anderen Ton, als wenn ich da mit Gewalt rangehe … Ich kann über die Akustikgitarre ganz genau sagen, was ich jetzt ausdrücken möchte – und das ist mir unheimlich viel Wert! Das kann ich auf der Mandoline nicht, weil mir da einfach die Fähigkeiten fehlen. Das will ich auf dem Keyboard nicht, weil mir das einfach zu elektronisch ist. Das kann ich auf dem Schlagzeug nicht, weil … keine Ahnung, was man da ausdrücken kann, das macht halt nur Krach. Die Gitarre ist wirklich meins geworden.

Siehst du dich als Gitarristen, als singenden Gitarristen, oder eher als gitarrespielenden Sänger?

Also, auf jeden Fall nicht als Gitarristen, weil … Ich habe angefangen Gitarre zu spielen, da war ich fünfzehn Jahre alt. Wir waren beim Zelten und einer hat Gitarre gespielt – und die ganzen Mädels saßen drum herum. Mit fünfzehn dachte ich, okay, du musst jetzt anfangen, Gitarre zu spielen …

Der klassische Grund!

Also, was ich damit sagen wollte: Es war damals Lagerfeuerniveau. Es ist jetzt ein bisschen besser geworden, ich kann wirklich viel ausdrücken, dafür reicht es aus, aber ich bin kein Virtuose.

Dagegen bist du ein begnadeter Sänger …

Ich bin ein auszuhaltender Sänger … (lachen beide). Ich werde tatsächlich sehr oft für meine stimmlichen Fähigkeiten gelobt, und ich selbst bin auch der Meinung, ich mache das nicht ganz schlecht. Deswegen vielleicht eher: Sänger mit Gitarrenbegleitung. Es gehört für mich zusammen, ich könnte nicht alleine mit Stimme oder alleine mit Gitarre die Leute so holen, wie ich es gerne möchte, das geht halt wirklich nur in der Kombination.

Ich hatte ja zu Beginn unseres Interviews gesagt, dass ich finde, bei deinen Johny Cash-Sachen haben sich Stimme und Musik getroffen. Jetzt aber, wo ich dich deinen eigenen Song und das Gundermann-Cover habe singen hören, finde ich, dass dir die deutschen Sachen noch besser stehen. Gibt es für dich einen Unterschied zwischen deutsch singen und englisch singen? Warum schreibst du deutsch?

Ich schreibe deutsch und englisch. Dazu muss ich sagen, dass mich die Lieder, die ich schreibe, manchmal ein bisschen überrumpeln. Das beste Beispiel ist ein Lied, das heißt „Moments“. Ich habe es innerhalb von zwanzig Minuten auf der Autobahn im Kopf gehabt. Ich hatte das Fenster auf, es kam reingeflogen – ich bin heimgefahren und musste es nur noch aufschreiben. Es war einfach da. Und so ist das bei vielen Liedern von mir: Die sind einfach da. Vielleicht ist dann der Moment einfach reif, die Zeit da für dieses Lied, aus irgendeiner Geschichte heraus, aus irgendeiner Person heraus, aus einer Erfahrung heraus, und dann ist das da. Und dann ist es egal, ob es deutsch oder englisch ist. Das Wichtige dabei ist, dass es aus mir kommt – oder aus einem bestimmten Grund zu mir kommt. Und so ist das auch mit den deutschen Liedern: Das sind Lieder in meiner Sprache, ich kann mir vorstellen, was der Künstler damit sagen wollte. Und wenn ich mir schon nicht vorstellen kann, was der Künstler sagen wollte, oder wenn ich eine falsche Vorstellung habe, dann habe ich doch zumindest eine eigene Geschichte dazu. Und deswegen ist es vielleicht auch die Authentizität, die mir so wichtig ist, die da noch besser rüberkommt.

Die man in der Muttersprache eher finden kann …
Ja, richtig. Mein Englisch ist nicht schlecht, aber es gibt ja immer so Spitzfindigkeiten in der Sprache, die man nur als Muttersprachler hat. Und dass das im Deutschen besser rüberkommt, könnte ich mir vorstellen. Zum Beispiel bei Gundermanns „Der Narr“, das berührt ja diese Traveler-Geschichte …

Ja, durch alle drei Lieder, die du gespielt hast, zieht sich das als roter Faden: Da hatten wir erst das Verletztsein, dann das Fernweh und zuletzt dieses Unstete, was sich unter der Narrenkappe verbirgt …

Und das ist genau die Geschichte: Dass mir halt die Lieder irgendetwas sagen müssen, was mich selber betrifft – oder was aus mir spricht. Und „Der Narr“ ist wirklich eins von den Liedern Gundermanns, die mir am meisten sagen. Das ist jetzt kein gutes Gundermann-Beispiel, denn eigentlich schreibt er ja mehr über Sachen, die in seine Zeit gehören, die ihn selber irgendwo betreffen, und das ist ja so ein bisschen aus der Zeit gerissen – aber es gehört wirklich zu denen, die mir am meisten bedeuten.

Hast du diese drei Lieder extra für unser Treffen ausgesucht und motivisch aufeinander abgestimmt, oder beinhalten Lieder, die dich bewegen, generell dieses Traveler-Motiv?

Nee, nee. Ich habe sehr viele Lieder, die dieses Thema zumindest vordergründig nicht haben. Aber ich wollte heute etwas spielen, das mir viel bedeutet. Und es ist auf jeden Fall so, dass diese Lieder, die in den roten Faden reinpassen, weil der rote Faden ja aus mir kommt, dass das also die sind, die mir am meisten bedeuten. Deswegen ist es bestimmt kein Zufall.

« Newer PostsOlder Posts »
backtotop