Heute ist ein trauriger Tag.
Wie dünn sie da schon war. Kopfhörerhund Emily, 01.06.1998 – 20.05.2012
Schlaf schön, meine Kleine. Du fehlst.
Am Anfang war der Hund Marie. Bevor ich mit der Musik von Olli Schulz in Berührung kam, kannte ich ein Plattencover von ihm: Für meinen Artikel Popmusik & Hundezucht: die schönsten Hundeplattencover habe ich das Cover des Olli Schulz & der Hund Marie-Songs Dann schlägt dein Herz (2005) verwendet. In das Lied hatte ich mal kurz hineingehört, es für weder besonders bemerkenswert noch besonders unangenehm befunden und fortan nicht mehr daran gedacht.
Das hat sich mit SOS, dem aktuellen Solo-Projekt von Olli Schulz, geändert. Als ich den Album-Teaser hörte, bin ich an der Reggae-Nummer Ich kenn‘ da Ein hängengeblieben, und auch viele der anderen neuen Singer-Songwriter-Stücke schienen mir echtes Ohrwurmpotenzial zu haben. Nanu? Kein schrammeliger Indie-Rock mehr von Olli Schulz? Ist er etwa erwachsen geworden? Und wo ist eigentlich der Hund Marie? Diesen und anderen Fragen gehe ich am ersten sonnig-warmen Tag dieses Jahres im Café Fleury in Berlin Mitte auf den Grund – klar, dass da auch der Hund Emily, besser bekannt als Kopfhörerhund, dabei sein muss.
Olli Schulz und der Hund Marie war gestern …
Klangverführer: Dein neues Soloalbum heißt Save Olli Schulz – verrätst du mir, was dich so schutzbedürftig macht?
Olli Schulz: Eigentlich macht mich nur die Tatsache schutzbedürftig, dass es so anstrengend war, diese Platte aufzunehmen und zu veröffentlichen: ein neues Label zu suchen, nachdem mir die alte Plattenfirma gesagt hat, dass sie meine nächste Platte nicht herausbringen möchte und ich so gestresst war von diesem ganzen Business-Kram! Ich habe für die letzte Platte eine wahnsinnige Promo-Tour gemacht, wahnsinnig viele Interviews gegeben … Diesmal ist es schön, dass ich nur zwei Tage mache, heute und morgen – Emily! (pfeift nach dem tauben Hund, der sich gerade in Richtung Küche davonmachen will) –, denn dieses ganze Drumherum nervt eigentlich nur, du wirst abgehalten vom Musikmachen, weißt du. Darum hat der Titel ganz gut gepasst. Außerdem habe ich in letzter Zeit immer Geldprobleme gehabt, weil ich ein schlechter Geschäftsmann bin, mit einer Band auf Tour war und denen zu viel Geld ausgezahlt habe – und obwohl ich Veranstaltungen gemacht habe wie die Neujahresrevue in der Volksbühne, war ich am Ende immer der, der am meisten draufgezahlt hat. Außerdem sind noch ein paar weitere Sachen passiert, die nicht so toll waren: Ich habe versucht, noch einmal mit dem Hund Marie eine Platte aufzunehmen, das ist auch gescheitert … Dann stand ich ziemlich alleine da und habe diese Platte alleine gemacht, und dann habe ich gedacht: Da passt „SOS – Save Olli Schulz“ doch ganz gut. Ich würde gern noch mal eine Platte so aufnehmen!
Eine weitere Soloplatte?
Ja.
Auf Save Olli Schulz singst Du von „irgendetwas“, dass Dir so sehr fehlt und immer mehr wird (Irgendetwas fehlt), davon, dass wir jung und dumm sind „und denken, das ist Kunst“ (Ich kenn’ da Ein) und trauerst einer Liebe aus dem September ‛97 nach sowie einer „aufgebrauchten Welt“ (Ich dachte, du bist es) – ich finde mein Lebensgefühl perfekt in Deinen Texten gespiegelt. Glaubst du, dass wir einer Art verlorenen oder zumindest orientierungslosen Generation angehören?
Nun, ich jedenfalls! Ich weiß nicht, ob wir so einer Generation angehören, ich kann da ja nur für mich sprechen! Dazu muss ich auch sagen, dieses Lied mit der Liebe ‛97 … Das ist ja nur, dass ich einen Menschen mal für eine Nacht nur kennenlerne, dass ich mit ihm durch die Nacht fahre und am Strand bin … Das ist ja mehr eine fiktive Geschichte. Aber Du hast schon recht, es geht schon so ein bisschen darum, dass man auf der Suche ist und dass sich viele darin verirren, in dieser Suche und dann nur noch auf der Suche sind. Ich für meinen Teil muss sagen, dass ich gerade angekommen bin mit Frau und Kind und eigentlich ein unaufgeregtes, aber schönes Leben führe, da kann ich mich nicht beschweren. Ich habe eine Tochter, die ist zweieinhalb Jahre alt, und das macht mich schon ganz glücklich und füllt mich aus. Aber wer will denn schon eine Platte darüber hören, „Mir geht es gut, mein Leben ist schön, ich sitz‘ zu Hause und schaue mein Kind an und freu‘ mich des Lebens“?
Das Phänomen kennt man ja vom Tagebuchschreiben. Wenn man Jahre später seine Eintragungen liest, denkt man, Mensch, was war ich da depressiv, dabei ist es ja eigentlich nur so, dass man in diesen dunklen Phasen viel eher zum Stift greift und wenn es einem gut geht, schlicht keine Zeit und/oder Lust zum Schreiben hat!
Ja, stimmt. Ich kenne auch nur wenig gute Feel-Good-Movies, äh, Songs!
Und auch, wenn du über die Musik selbst schreibst, scheint immer auch etwas Wehmut mitzuschwingen – so singst du zum Beispiel in Old Dirty Man: „Ich werde nicht mehr so emotional bei emotionaler Musik“, und in Verliebt in 2 Mädchen läuft im Radio „Schrottmusik, die ich überhaupt nicht hören will“. War Musik früher besser? Und wenn man erst einmal zu dem Punkt kommt zu sagen, dass früher etwas besser war – ist man dann erwachsen?
Ich finde nicht, dass früher irgendetwas besser war. Ich bin kein Typ, der nostalgischen Sachen hinterher trauert. Ich glaube, dass wir in einer modernen Zeit leben, die noch völlig veraltet ist. Ich finde, dass wir immer noch Systeme und Sachen haben, die einfach nicht mehr relevant sind. Die mich nicht mehr interessieren. Mich interessiert beispielsweise die Fernsehkultur nicht mehr, die ist einfach am Aussterben. Es gibt neue Sachen, Internet zum Beispiel, und tausend Wege, sich Dinge anzugucken. Das beste Beispiel ist Thomas Gottschalk. Der ist völlig orientierungslos und gerade in der falschen Zeit, nicht wir. Der merkt nicht, dass seine Zeit abgelaufen ist. Ich finde das unangenehm, wie Leute der alten Zeit hinterher trauern. Man muss einfach mal sagen, „das ist jetzt vorbei und neue Sachen kommen. Komm jetzt, das ist nun mal so“. Der Umbruch, der jetzt stattfindet, der ist ja kodiert wie eine Alten und eine Neuen Welt, und manche Sachen gehen rasant schnell, andere gehen sehr langsam, und genau da befinden wir uns gerade drin! Dadurch formt sich solch ein generelles Lebensgefühl. Die einen sagen, früher war alles besser, und die anderen sagen, der Fortschritt ist total wichtig und ich bin nur noch am Rechner und Internet ist das Größte … Ich glaube, dass man sich in dieser Zeit einfach mal ein bisschen entspannen muss.
Heute heißt es: Olli Schulz und der Hund Emily!
Viele Künstler sind ja zurzeit auch sehr aktiv in den sozialen Netzwerken, bieten ihre Werke zum Download an, um diesem Umbruch gerecht zu werden … Wie hältst du es damit eigentlich?
Och, ich bin auch da ganz entspannt. Ich mach ‛ne CD, ‛ne Vinyl-Platte und ‛nen Download.
Oh, Vinyl! Wirklich?
Ja, tausend Stück – und die werden auch gut bestellt.
Schön zu wissen – gerade die fairaudio-Leser freuen sich immer über Vinyl! Bleiben wir aber mal beim Erwachsenwerden, gegen das du dich laut deinem eigenen Begleitschreiben zum Album „verbarrikadierst“. Wenn man deine aktuellen Lieder hört, von denen viele überraschend versöhnlich enden – zum Beispiel Old Dirty Man oder Koks & Nutten –, könnte man glatt denken, dass aus dieser Platte schon so etwas wie beginnende Altersweisheit spricht …
Also, erwachsen muss man einfach werden. In dem Moment, wo Du ein Kind hast, bist Du, glaube ich, automatisch erwachsen. Aber natürlich versucht man sich trotzdem eine Unschuld zu bewahren. Das ist ja auch etwas, was ich in meinen Liedern versuche zu bewahren. Es heißt ja nicht, dass du erwachsen bist, wenn du trotzdem eine Kindheit in dir trägst. Schlimm wird es, wenn du anfängst, über die Jugend … wenn du die Jugend nicht mehr verstehst und herum pöbelst. Das ist dann wirklich unangenehm!
Yeah, wenn du deinen Krückstock schwingst und anfängst, „die Kinder vom Hof!“ zu brüllen …
Genau. Und ich finde ja, dass viele Menschen, die jünger sind als ich, ausgesprochen … ähm … schon gesettelter sind, als ich es in ihrem Alter war. Die Jugendlichen, die sind viel bürgerlicher … Guck dir Kathi an – deutet auf die Promoterin – , die Tätowierungen am Arm sind alle nur aufgemalt! (lacht, denn natürlich sind die echt) Nein, aber es ist wirklich so: Ich glaube, dass die Leute wieder vernünftiger werden. Wenn ich auf zdf.neo Joko und Klaas höre, die machen schon voll den vernünftigen Eindruck, dafür, dass sie erst achtundzwanzig und neunundzwanzig sind! Ich war damals nicht so.
Du hast gerade wieder das Kinderkriegen angesprochen, und ich habe ja auch noch einen Teil des Interviewers vor mir mitbekommen, dem du gesagt hast, dass du so endgenervt bist von den Luxusproblemen der Leute, die darüber jammern, dass ihre Altbauwohnung im Prenzlauer Berg nicht genug Licht hat oder dass sie in ihrer Beziehung seit Jahre unglücklich sind, ohne etwas dagegen zu unternehmen … Wenn man deinen Song H.D.F.K.K. (Halt die Fresse krieg ‛n Kind) so hört, habe ich das Gefühl, der polemische Titel ist nur halb im Spaß gemeint. Glaubst du, dass sich alle kleinen, selbstbezogenen Luxusprobleme relativieren, wenn man für ein Kind verantwortlich ist?
Klar. Aber der Song ist nicht so ernst gemeint, dass jeder ein Kind haben sollte. Allerdings ist es schon so, dass viele Leute so wahnsinnig viele Sachen ernst nehmen, auch Musik und Texte … Dann sagst du, „geh, krieg ein Kind, und du merkst, dass das alles nicht so relevant ist“ …
Oder einen alten Hund, der macht ähnlich viel Arbeit …
Ja, oder einen alten Hund. Halt die Klappe, hol dir’n Hund!
Auch ein schöner Unsinns-Titel! Apropos Unsinn: Die in den vorigen Fragen schon angesprochene Melancholie, die sich durch viele deiner Texte zieht, wird von dir oft durch überraschend witzige Wendungen konterkariert; und auch vor allerlei Klamauk schreckst du nicht zurück. Hast du keine Angst, dass du mit Zwischenspielen wie Crew und Vorspiel oder Stücken wie Danke an alle deine Glaubwürdigkeit untergräbst?
Nee, damit hab ich schon sehr früh aufgehört. Viele Leute haben mir gesagt, Olli, wer mal witziger, mach doch nur noch witzige Sachen, andere haben gesagt, ey, du musst aufhören mit diesem albernen Scheiß, sonst nimmt dich keiner ernst … Ich hab‘ das über die Jahre immer so gemacht, nur so ist es gut. Die letzte Platte Es brennt so schön, die war eigentlich gar nicht so witzig, die fand ich eigentlich äußerst düster … Da waren die Sachen mit dem Hund Marie, Warten auf den Bumerang und so, schon witziger! Aber es war eigentlich schon immer so eine Mischung. Jetzt ist es ein bisschen persönlicher geworden, Old Dirty Man ist schon ein persönlicher Song über das Älterwerden, ja. Es gibt ja auch Songs, die sind nicht nur witzig oder nur traurig; es gibt ja auch Songs, die sind einfach nur so … entspannt. Es sind nicht nur diese beiden Extreme.
Oder ein Song hat eine total überraschende Wende, wie beispielsweise Briefmarke, das ist zuerst voll der gruselige Krimi und dann: „Er klebt die Briefmarke ein“!
Das war ein kleiner Gag, der uns so eingefallen ist, den finden wir sauwitzig!
Mir hat er auf jeden Fall sehr gefallen! Bei der Vorab-Recherche zu diesem Interview habe ich mir auch die Wikipedia-Seiten über dich angesehen, und da steht, dass Save Olli Schulz zunächst auch ein Olli Schulz und der Hund Marie-Album und kein Soloalbum werden sollte. Was ist eigentlich aus dem Hund Marie geworden?
Wir haben einfach nicht mehr so zueinander gefunden. Der Hund Marie, also Max Schröder, macht ja auch Musik und bringt jetzt eine Soloplatte heraus … Wir haben uns einfach seit 2006 nur noch ganz ganz selten gesehen. Das liegt auch daran, dass Max nicht nur Vater zweier Kinder, sondern dann auch bei Tomte eingestiegen ist. Und ich bin schon seit einiger Zeit – eigentlich seit der ersten Platte, wenn man es genau nimmt – viel alleine getourt. Und ich habe auch alle Songs geschrieben. Ich erinnere mich, dass er mich begleitet hat, und er ist ein ausgesprochen guter Musiker! Dann haben wir 2010 noch einmal versucht, eine Platte aufzunehmen, hatten uns zuvor aber drei Jahre nicht richtig gesehen. Wir waren für ein paar Tage im Studio, und ich habe dabei nichts empfunden: Kein Spaß gehabt, nichts. Und er auch nicht. Und dann habe ich gesagt, komm, lass es bleiben. Wir sind nicht mehr so, wie wir vor fünf Jahren waren, als wir Nachbarn waren, Freunde waren. Er hat ein ganz anderes Leben als ich – es gab auch keinen Streit oder so. Aber es passt einfach nicht mehr. Er hat auch ganz andere Vorstellungen von Musik, inzwischen. Er ist ein ganz toller Musiker – einer der besten, mit denen ich je arbeiten durfte –, und er wird auf jeden Fall eine tolle Soloplatte machen, und eigentlich ist es ja auch gut so: Ich mach meine Sachen, und dafür macht er auch seine Sachen.
Vorstellbar, dass ihr irgendwann wieder zusammen findet?
Momentan glaube ich eher nicht. Wir sind so unterschiedlich! Wie gesagt, es gab weder Streit noch Schlägereien noch Anwälte … Es war einfach so, dass wir beide alt genug sind zu merken, das wird gerade nichts mehr.
Ihr seid ja mit eurem Warten auf dem Bumerang-Album ja extra zu EMI gewechselt, um aufwändiger produzieren und von dem Singer/Songwriter-Stil wegzukommen …
Und auch wegen des Geldes, das wir bekommen haben!
Save Olli Schulz schlägt wieder die genau umgekehrte Richtung ein: Alles wurde auf nur einer Spur in einem winzigen Tonstudio aufgenommen. Ist das eine Art Back to the Roots?
Ja, das ist aber auch keine Singer/Songwriter-Platte, da ist überall Schlagzeug und so, einfach ganz anders von der Mischung! Aber natürlich auch Back to the Roots. Eigentlich habe ich immer alle Songs auf der Gitarre geschrieben – es kommt darauf an, wie du sie umsetzt. Erst einmal hatten wir nicht das Geld, und dann habe ich zwei aufwändig produzierte Platten gemacht, und dann habe ich gemerkt, das reicht jetzt auch, jetzt will ich wieder was anderes machen. Und da hab‘ ich diese Platte jetzt gemacht.
Wenn du sagst, es ist keine Singer/Songwriter-Platte – was ist es dann?
Doch ist es. Es ist eine Singer/Songwriter-Platte. Aber auch mehr! Es ist nicht nur eine Singer/Songwriter-Platte. Es ist eine Entertainment-Platte, ‛ne Quatsch-Platte, ‛ne schöne Platte … eine Abenteuer-Platte!
Sie ist auf jeden Fall wahnsinnig vielfältig: Du hast zwei Reggae-lastige Tracks drauf, beim Phosphoermann kommt dann doch so ein bisschen Hamburger Schule um die Ecke, Blumfelds Apfelmann ist da nicht weit …
Welcher Song von Blumfeld?
Der Apfelmann! Und nicht nur wegen des ähnlichen Titels!
Ah, okay. Ich frag nämlich, weil ich Blumfeld immer gut fand!
… und auch vom Liedermacherkosmos ist Save Olli Schulz nicht allzu weit entfernt …
Ich bin ein Liedermacher! Ich schreibe die Songs alle auf der Gitarre. Ich hatte früher auch mal ein Problem mit dem Begriff, aber eher aus Styling-Erwägungen. Im Grunde bin ich ein Liedermacher. Und außerdem: Hannes Wader, Klaus Hoffmann und solche Leute – das sind auch alles Liedermacher, und so schlecht waren die alle nicht, ganz im Gegenteil! Wenn du mich als Liedermacher bezeichnest, kann ich damit leben. Singer/Songwriter klingt nur cooler.
Ob cool oder nicht cool – in jedem Falle beliebt! Es gibt Fanpost.
Es steckt schon eine ganze Menge von Fräulein Mitzi und Frau Rosenroth, den Figuren, die das Duo Scheeselong in ihrem Programm Rendezvous mit Marlene verkörpert, in Caroline Bungeroth und Valerie Wildemann: die übersprudelnde, begeisterungsfähige junge Sängerin mit Hang zur leichten Muse und die strenge russische Klavierlehrerin, die ihr Herz an Rachmaninow gehängt hat. Feuer und Eis, könnte man meinen, wie sie da vor mir sitzen, die eine blond und wild gelockt, die andere dunkel mit streng zusammen-
gebundenem Haar. Da verwundert es kaum, dass die eine dann auch eher Hunde-, die andere Katzenmensch ist.
Kaum aber setzen wir zum Interview an, merke ich schnell, dass Wildemann ihrer Duo-Partnerin in puncto Temperament und Aufgedrehtheit in nichts nachsteht. Für einen kurzen Augenblick fragen ich mich, ob ich statt des ayurvedischen „Die Sinne schärfen“-Tees nicht eine beruhigende heiße Milch mit Honig hätte servieren sollen. Dann aber werde ich mitgerissen von einem Gespräch, das schriftlich nur unzureichend wiedergegeben werden kann, soviel wie hier gelacht, gegiggelt, gegurrt, geschmeichelt, geflirtet, sich gegenseitig ins Wort gefallen, spontan gesungen, in diversen Akzenten gesprochen und überhaupt durch alle erdenklichen menschlichen Tonlagen jongliert wird – und zwar nicht nur von der Sängerin, sondern auch von der Pianistin. Eigentlich müsste man hier das Band von Interview einstellen! Wenn Sie diese beiden, die nicht nur exzellente Musikerinnen, sondern auch ganz wunderbare Schauspielerinnen sind, live erleben möchten – und das lohnt sich! -, können Sie aber auch zur Berlin-Premiere von Rendezvous mit Marlene am 9. März im Grünen Salon gehen.
Das Duo Scheeselong ganz leger auf der Scheeselong der Autorin …
Klangverführer: Das Programm, durch welches ich euch kennengelernt habe, heißt „Rendezvous mit Marlene“, und ich will jetzt natürlich von euch wissen: Was fasziniert euch so an Marlene Dietrich?
Valerie, deutet auf Caroline: Diese Frage ist für sie!
Caroline: Also Marlene als Schauspielerin und Sängerin – wenn man sie sich vor allem in den Filmen anschaut: die hat drauf, mit ganz wenig Mitteln ganz viel zu machen. In diesen Filmen der zwanziger, dreißiger Jahre, also den Hollywoodfilmen, kommt sie raus, guckt einfach nur und steht einfach nur, geht drei Schritte, guckt einfach nur und steht einfach nur. Und wie sie spielt, wie das wirkt – das ist einfach unglaublich! Das ist das, was mich an dieser Künstlerpersönlichkeit so fasziniert. Auch die Entwicklung dieser Dame ist enorm: Wenn man schaut, wie sie angefangen hat – und dann diese unglaubliche Karriere in der Nachkriegszeit … Ja, das ist die persönliche Faszination!
Es geht also eigentlich eher um ihre Präsenz und nicht so sehr um ihre Lieder?
Caroline: Vom Künstlerischen her, wenn man sich jetzt fragt, inwiefern ist sie mein Idol, also als Vorbild, dann ist es genau das: mit wenig Mitteln viel zu erzeugen. Das ist wirklich eine Kunst.
Valerie: Sie hat ja auch von sich gesagt, „Ich kann nicht singen, also muss das, was ich trage, einfach phänomenal sein“.
Caroline: Und dementsprechend hat sie sich natürlich auch … Also, sie hat es sehr wohl verstanden, das Äußere, die Präsenz, das Dasein, was sie sich antrainiert hat, wirken zu lassen. Und die Idee war zunächst auch, etwas zu machen, was man so von Marlene kennt – ursprünglich war das sogar zum Marlene-Jahr geplant, hat sich dann aber verschoben, weil noch andere Dinge dazwischen kamen –, und jetzt ist natürlich spannend, dass wir uns im Laufe des Programms immer mehr damit befasst und auseinandergesetzt haben – gerade die Rosenroth, die ja immer für diesen Ausgleich im Stück zuständig ist, und es ist spannend zu erleben, dass auch das Leben der Dietrich einfach nicht immer zuckersüß war, dass da viele Schattenseiten sind. Und es passt eben auch sehr gut zu uns zu sagen, dass sie eben nicht nur diese Glamour-Fotos verkörpert, sondern dass sie zum Beispiel auch viel im Krieg erlebt hat oder für ihr Aussehen auch wirklich viel tun musste.
Diese Schattenseiten habt ihr ja auch auf die Bühne gebracht. Valerie, ich glaube, du warst das, die entsprechende Passagen aus der Autobiografie der Dietrich vorgelesen hast …
Valerie: Genau.
… und ihr sagt selbst, dass ihr euch während der Arbeit am Programm immer mehr mit der Persönlichkeit von Marlene auseinandergesetzt habt. Hat sich euer Marlene-Bild während dieses Prozesses verändert?
Beide: Ja, total!
Wirkt sich das auf eure Darstellung aus?
Caroline: Für mich persönlich bedeutet das, dass sie auch ein Mensch ist. Und im Grunde spiegelt das auch uns wider. Du siehst uns jetzt ja auch in normalen Klamotten, und es ist genau wieder diese Verwandlung. Wir waren gestern zum Beispiel auf der Bohème Savage, und es ist diese Verwandlung der Zeit, dieser Schein, und sobald die Leute zur Garderobe gehen, ist dieser Schein weg. Damit kommen wir als Künstler ja auch immer wieder in Berührung: Sobald wir jemandem in unseren Privatklamotten einen Flyer geben, heißt es, „Ach, das sind Sie?!“, man erkennt einen gar nicht wieder, und so ist das mit Marlene auch. Diese Verbindung von Künstler-Sein einerseits und privater Person, andererseits …
Valerie: Und auch dieses Ringen um das eigene Bild, was man von sich selbst kreiert hat und was die Leute auch von einem erwarten.
Caroline: Beziehungsweise das Ringen um das, was man wirklich machen möchte. Das war ja bei ihr auch so, sie ist dann ja auch wirklich hochgestiegen.
Das heißt, sie ist für euch ein Stück mehr … berührbarer geworden?
Beide: Ja, definitiv.
Wenn wir uns jetzt mal von den Filmen abwenden: Was glaubt ihr denn, was an ihren Liedern, die ihr ja in „Rendezvous mit Marlene“ singt und spielt, so modern ist, dass man damit auch heute ohne weiteres noch einen ganzen Abend füllen kann?
Valerie: Die Liebe!
Caroline: Genau, darum geht es ja! Im Grunde sind die Lieder doch total aktuell: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ und „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ …
Valerie: Spannenderweise sind das ja auch genau die Lieder, die geblieben sind! Ihre Kriegslieder zum Beispiel, die werden jetzt ja nicht so häufig gespielt. Das heißt, die Liebe oder dieses Frivole prägt anscheinend mehr …
Caroline: Ja, und eben auch diese andere Frauenrolle, die es da mittlerweile gibt! Dieses Herkömmliche „Jetzt wird geheiratet und man sucht sich jemanden, mit dem man dann das Häuschen baut“, das gibt es zwar auch noch, aber es verschiebt sich mittlerweile zehn Jahre nach hinten, und im Grunde ist Marlene mit der von ihr verkörperten Frauenrolle absolut aktuell! Beziehungsweise auch die Vielfalt davon: Diese frivolen Sachen aus den Zwanzigern, wo diese Sache mit der besten Freundin ins Spiel kommt, dieses Spiel mit dem lesbischen Element, wo man gar nicht genau weiß, ob sie das wirklich hatte oder ob das Inszenierung war … Und dann hat sie, auch geprägt durch den Krieg, durchaus viele kritischen Sachen gesungen, und später dann auch mehrsprachig, französisch, englisch … Auch diese Vielfalt ist modern, wobei wir uns aus ihrem Repertoire auf die Sachen der Zwanziger- und Dreißigerjahre spezialisiert haben.
… und im vollen Kostum als Fräulein Mitzi und Frau Rosenroth
Ihr spielt aber nicht erst seit „Rendezvous mit Marlene“ zusammen, richtig? Ich möchte natürlich wissen, wie ihr euch kennengelernt habt – also die große Kennlerngeschichte – und wie dann die musikalische Zusammenarbeit als Duo Scheeselong entstanden ist.
(Beide brechen in großes Gelächter aus.)
Caroline: Wir haben ja beide an der UDK studiert, sodass man sich zwangsläufig in Kursen begegnete …
Valerie: Theorieunterricht!
Caroline: Um es kurz zu machen: Ich fand sie total blöde und sie fand mich auch total doof …
Valerie: Du konntest immer alles und hast dich immer gemeldet!
Caroline: Echt, ja? Und ich dachte immer, Mann, ist die überkandidelt! Kann die nicht mal runterkommen? Wie anstrengend!
Valerie: Und das gerade von dir!
Caroline: Also, wir fanden uns nicht so wirklich sympathisch. Dann haben wir uns aber beide für ein Auslandssemester in Spanien angemeldet. Das war ein Erasmus-Programm, an dem drei von der UDK teilnehmen durften. Und ich guck so auf die Liste und sehe, oh Mensch, blöd, Valerie ist auch dabei. Naja, wir müssen ja nicht nur miteinander abhängen, die Dritte im Bunde ist ja ganz sympathisch, das wird schon irgendwie werden. Wir sind dann also nach Spanien gefahren, und irgendwann haben wir begonnen, dort Musik zu machen. Die Dritte war eine zweite Sängerin, und als wir im Marketing-Kurs die Aufgabe hatten, Konzerte zu vermarkten, dachte ich mir, naja, machen wir jetzt eben deutsche Duette durch alle Jahrhunderte. Ich habe die beiden anderen Mädels gefragt und dachte vorher noch, mit Viola wird’s schon gut werden, mit Valerie – naja, mal gucken … Und so haben wir in Spanien zu dritt angefangen, gemeinsam Musik zu machen. Als wir dann wieder zurück waren, ist die zweite Sängerin ihre eigenen Wege gegangen, doch bei uns beiden hatte sich durch Spanien mittlerweile so eine schöne Freundschaft entwickelt, dass wir dachten, jetzt machen wir doch weiter …
Valerie: „Es fühlt sich doch so gut an!“ Denn tatsächlich war es wie Therapie, für die beiden Sängerinnen Klavier zu spielen, das tat so gut! Und wir sind dann so darin aufgegangen, dass wir uns gesagt haben, wenn wir zurückkommen, möchten wir auf jeden Fall weiter machen! Leider ist eine dann abgesprungen … Aber es war ja auch alles nur Klassik, was wir da gemacht haben …
Caroline: Ich glaube, dass hängt auch damit zusammen … Also, zum einen verstehen wir uns sehr gut, sind auch privat gut befreundet, zum anderen aber damit, dass das Repertoire, das wir machen, auch eine gewisse Vielseitigkeit hat, die uns beide sehr reizt. Auch dieser hohe kabarettistische Wortwitz – man muss schon sehr viel spielen im Sinne von schauspielern, um das entsprechend zu illustrieren. Ich hatte das im Studium, Valerie hat Impro-Theater gemacht – uns liegt diese Spielerische irgendwie im Blut. Und dann liegt es auch ziemlich nahe, sich damit auch gemeinsam auseinanderzusetzen.
Valerie: Wir hatten ja zu dritt versucht, das mal weiterzumachen, und dann meinte Caroline, dass die Zwanziger ganz gut wären, und dann haben wir das mit einer anderen Sängerin probiert – das ging überhaupt nicht! Die wollte nur dasitzen und spielen!
Caroline: Und dann haben wir uns eben zusammengetan und angefangen, herumzubasteln – und das hat sich dann zu dem, was es jetzt ist, zu diesen Rollen, entwickelt. Das hat gepasst wie der richtige Schuh – und so fühlt es sich auch an. Jetzt ist es das Richtige. Daran haben wir ziemlich lange gebastelt und geguckt, was da so kommt, aus uns.
Ziemlich lange … was heißt das konkret?
Caroline: 2009 hatten wir das erste Erlebnis, wo wir gesagt haben, na, mal gucken, das könnte was werden. Mein Vater wurde sechzig, und ich sagte, Mensch komm, Valerie, wollen wir nicht ein bisschen Musik machen? Na gut, das ist jetzt in drei Wochen, los komm, hier halbe Stunde Programm … Und Valerie meinte, naja, ich kann dir aber nichts versprechen … (lachen) Und das war, glaube ich, auch der Grund, weshalb das so gut anlief: Wir haben Spaß daran und wir gucken, was kommt. Und dann haben wir uns mit der Literatur auseinandergesetzt, und da war ein Superstück nach dem anderen, und wir waren wie „Oh ja, das nehmen wir noch, und das nehmen wir noch, oh Mann, das ist ja total super“, und tatsächlich gibt es ja einen Riesen-Pool an diesen Stücken … Und es ist ja heute noch so, dass man eine ganze Liste im Hinterkopf hat, wo man denkt, das nächste Programm ist auf jeden Fall schon mal gebongt! Im Grunde könnte man … also, wenn man auf so viele Stücke Lust hat …
Valerie: … auch thematisch! Man könnte zu so vielen Themen ein ganzes Programm machen und die Stücke stünden schon zur Verfügung!
Mit der Literatur auseinandergesetzt heißt, dass ihr von dem Notentext ausgeht, oder dass ihr euch tatsächlich auch mit Sekundärliteratur beschäftigt habt?
Caroline: Naja, es ist ja so: Diese Zeit oder diese Musik, wie es ja immer ist, aber hier ganz besonders, spiegelt ein bestimmtes Lebensgefühl wider, die schmeckt das so – zum Beispiel diese Feierlust! Das ist nur ein Aspekt, aber den merkt man bei dieser Literatur, also bei Büchern, die in dieser Zeit geschrieben wurden. Wir haben uns auch ohne Ende Filme angeguckt, einfach auch für die Figurenarbeit: Was wurde gemacht, was wurde getanzt, was wurde getragen, was für eine Frisur, welches Make-up, welche Kleider – einfach lesen, schnuppern, bestellen, machen, tanzen gehen!
Valerie: Ganz wichtig waren aber auch Seminare. Wir hatten ein musikwissenschaftliches Seminar …
Caroline: Ganz ungewöhnlich! Denn sonst waren die eher spröde und hatten Brahms im Vergleich zu Wagner oder so etwas zum Inhalt! Und plötzlich war es so … wie hieß das doch gleich?
Valerie: „Es liegt in der Luft was Idiotisches“!
Caroline: Genau: Es liegt in der Luft was Idiotisches. Das ist auch das erste Lied von unserem Programm. Und dieses Seminar war total super, da ging es um Kabarett, Operette und Revue hier in Berlin. Das war auch noch einmal so ein weiterer Baustein.
Valerie: Eine Art theoretischer Hintergrund aus der musikwissenschaftlichen Richtung. Man hat sich da mit der Musik auseinandergesetzt und ihren Hintergründen, aber natürlich auch mit den Persönlichkeiten der Interpreten – und eigentlich fing da schon die Auseinandersetzung mit Marlene an, wenn auch auf einem anderen Level. Fräulein Mitzi, die Figur von Caroline, war dann auch relativ schnell fertig. Bei mir war das dadurch, dass ich keine Sängerin bin, schwieriger. An Frau Rosenroth habe ich auch lange basteln müssen, wir haben sie immer wieder umgemodelt, sie fühlte sich noch nicht gut an … Ich habe mich in dem Zusammenhang dann mehr mit der Zeit als mit Figuren beschäftigt, habe gesammelt und sogar eine ganze voll plakatierte Wand zu meiner Inspirationswand erklärt. Da Carolines Rolle so überkandidelt war, habe ich nach eher strengeren Frauen gesucht, und zwar gar nicht so aus dem künstlerischen Bereich, sondern aus dem alltäglichen Dasein. Das Lustige ist ja, dass der zündende Funke gar nicht so die damalige Zeit an sich war, sondern das Autobiografische: der russische Akzent. Und die Leute lieben das! Wir haben viel Impro gemacht, und plötzlich kam das so, und das war es dann! Und in den Zwanzigerjahren gab es ja diese russisch-jüdische Immigration, Exil und Wieder-da-Sein, und das ist ja auch irgendwo meine Geschichte, dieses Woanders-Geborensein, Wieder-Zurückkommen, mit zwei Sprachen und Kulturen auseinandersetzen: Das ist für mich die Widerspiegelung der Zeit auf einer autobiografischen Ebene. Meine Familie sind Spätaussiedler, ich bin in der ehemaligen Sowjetunion geboren, meine Mutter ist Russin und eigentlich ist meine Muttersprache russisch. Mein Vater sprach zwar noch deutsch, aber wir haben zu Hause nie deutsch gesprochen, das musste ich mit zwölf hier neu lernen – und meine Mutter auch. Für die Rolle der Frau Rosenroth musste ich – (verfällt in den russischen Akzent) – sprechen wie meine Mutter und plötzlich ist die Figur da: Isssst russischä Sääle.
Caroline: Und das ist auch dieser kabarettistisch-komische Effekt! Auch wenn Rosenroth ernste Themen besprechen oder böse sein will, ist sie das nicht, weil der Akzent einfach so etwas Charmantes hat. Und dieser Charakter in Verbindung mit der sehr überschäumenden Mitzi – da fallen uns immer wieder kabarettistische Dinge ein, die man da wunderbar bringen kann!
Immer in Bewegung: Caroline Bungeroth.
Apropos Akzent: Mit dem Namen Duo Scheeselong greift ihr ja auch direkt eine sprachliche Referenz auf das Berlin der damaligen Zeit auf – ich glaube, meine eigene Großmutter hat zu ihrem Ruhemöbel noch Scheeselong gesagt. Ist dieser Namen generell als Omen für eure Musik zu verstehen, also, dass ihr euch ausschließlich mit den Liedern der Zwanziger- und Dreißiger-Jahre beschäftigt und dass wir auch in Zukunft von euch eher kein Programm mit, sagen wir, zeitgenössischer Popmusik erwarten dürfen?
Caroline: Ja. Zwanzigerjahre, berlinerisch. Deswegen auch Scheeselong und nicht Chaiselongue. Zur der Zeit hatte hier halt jeder dieses Ding rumstehen, die Scheeselong.
Valerie: Und es hat ja irgendwo auch etwas Frivoles … Auf der anderen Seite aber auch etwas ganz Alltägliches. Aber auch, aus der heutigen Sicht, etwas, das wieder schick oder antiquarisch wertvoll ist, also etwas Besonderes. Und auf der Scheeselong liegt eben die entsprechende Frau drauf … oder auch zwei …
Caroline: Nämlich wir! (lacht) Und tatsächlich ist es so, dass wir aus dem heutigen Pop-Bereich .. Eher keine Inspiration schöpfen. Wobei ich zugegebenermaßen mal ein großer Madonna-Fan war.
Der Name spiegelt also all das, was ihr mit eurer Musik vereinen wollt, egal, welche Programme da noch kommen. In dem aktuellen Programm aber gibt es mit „Neulich im Neandertal“ auch eine Eigenkomposition. Ist das etwas, was wir in Zukunft öfter von euch hören werden, Eigenkompositionen im Stile der Zwanzigerjahre?
Caroline: Absolut, ja. Ich habe da ja Blut geleckt, im Dezember im Heimathafen, das war das erste Austesten einer Eigenkomposition vor Publikum. Und die Resonanz hat mich sehr gefreut und inspiriert – ich bin also fleißig dabei!
Ich jedenfalls habe mich bei „Neulich im Neandertal“ köstlich amüsiert!
Caroline: Das neue Lied, an dem ich jetzt gerade dran bin, gefällt mir auch. Ich muss sagen, ich habe jetzt schon einen Ohrwurm davon – ich erwische mich, dass ich es vor mich hinträllere!
Valerie (mit theatralisch exaltierter Stimme): Du bist in eine neue Schaffensperiode eingetreten!
(großes Gelächter)
Das Neandertal hat mir noch einen wochenlangen Ohrwurm beschert …
Caroline: Sehr gut! Und das Neue wird noch ohrwurmartiger …
Da muss ich gleich eine für später geplante Frage vorziehen. Wenn ihr sagt, ihr schreibt eigen Sachen, Ohrwürmer – ist da etwas in Richtung CD-Produktion geplant?
Caroline: Langfristig ja. Nur stehen jetzt erst einmal so viele andere Dinge an. Eine CD ist letzten Endes unvermeidlich und ist auch irgendwann dran – aber nicht in allernächster Zukunft.
Valerie: Das ganze Jahr ist schon so voll mit Plänen! Erst einmal haben wir das Debüt-Programm beim Kurt-Weill-Festival nächste Woche, wo schon eine gute Resonanz da ist. Die Leute da wollen sogar so eine Art Coming-Home-Story machen, weil Caroline ursprünglich ja aus Dessau kommt. Dann die große Berlin-Premiere am 9. März im Grünen Salon mit anschließender Swing-Party – wir sind gerade dabei, die Achse zum Tanz verstärkt aufzubauen und in Richtung Tanztee zu arbeiten, aber mehr wollen wir hier noch nicht verraten!
Das Bild, das Valerie Wildemann da bewundert, stammt von ihrer mittlerweile ebenfalls in Deutschland lebenden Landsmännin Ekaterina Moré und heißt Frau mit Zigarette auf grauem Grund
Soviel also zu den Plänen des Duos Scheeselong. Was treibt ihr aber musikalisch, wenn ihr nicht als Duo unterwegs seid?
Caroline: Musikalisch? Also, nicht nur nicht als Duo – es kommt vor, dass wir nach einer Party, wenn wir schon so richtig abgedanced haben, uns noch einmal hinsetzen und klassische Mendelssohn-Lieder vom Blatt spielen. Es ist gar nicht so, dass wir immer in diesem Zwanzigerjahre-Stil unterwegs sind. Gerade Valerie macht viel Klassik …
Valerie: Ja, das wird ja auch im Programm schon angedeutet. Sowohl sängerisch als auch pianistisch, also einfach künstlerisch, kommt man weiter, wenn man an der Klassik dran bleibt.
Das heißt, ihr gebt auch Klassik-Abende?
Valerie: Nein, nicht öffentlich. Das ist eine ganz bewusste Entscheidung, um uns als Duo Scheeselong da abzugrenzen. Klassik ist aber der Grundstock unserer internen Weiterbildung, es übt einfach das Handwerk. Und die Klassik wird auch auf jeden Fall bleiben, schließlich kommen wir von dort!
Caroline: Ansonsten leben wir unsere Begeisterung für Musik auch gern tänzerisch aus. Für richtige musikalische Einzelprojekte bleibt momentan aber keine Zeit. Wir haben zwar noch ein anderes Projekt mit Operetten-Duetten, aber da ist Valerie auch mit dabei … Eine von diesen Operetten haben wir ja auch im Marlene-Programm, und da wird das halt noch ausgeweitet.
Valerie: Es gibt noch so viel, was uns begeistert! Wir sind zum Beispiel totale Georg-Kreisler-Fans, und es stand schon fast an, mal einen Georg-Kreisler-Abend zu machen, wobei jetzt einfach andere Dinge dazwischen gekommen sind, die anstanden und angefragt wurden. Das ist eine Sache, die nicht aus den Zwanzigern kommt, die aber einfach von der Idee sehr textlastig im positiven Sinne, mit sehr viel Wortwitz, uns entgegenkommt. Es ergänzt sich so schön!
Caroline: Genau, diese Schärfe bietet einen sehr schönen Gegensatz. Und das sind eben auch Chansons, wo wir sagen, wenn es jetzt nicht in den Zwanzigern bleibt, sondern in Richtung Chanson geht, wenn die gut sind, dann sind wir auch schnell dafür zu haben! Wir haben schon überlegt, ein ganzes Kreisler-Programm zu machen …
Ich sehe, ihr habt mehr Ideen als Zeit, und wenn ihr musikalisch unterwegs seid, dann immer zu zweit. Da gibt es keine Soloklavierabende …
Valerie: Nein, nur intern, nicht öffentlich.
Caroline: Als die Phase des Anlaufens war, hatten wir auch noch viele Sachen getrennt gemacht, haben dann aber, weil wir gemerkt haben, es ist so viel bei uns da, ziemlich viele Sachen geschmissen. Wir haben gesagt, wir konzentrieren uns jetzt auf das, wo wir merken, das gibt uns selber so viel, das macht uns so viel Spaß, da stimmen einfach so viele Faktoren in der Zusammenarbeit … Das ist gar nicht so einfach, da jemanden zu finden! Zwei Frauen, das ist immer schwierig. Das hat so ein …
Valerie: Reizpotenzial.
Caroline: Das Wort hab‘ ich gesucht! Kann es haben. Aber bei uns funktioniert es sehr gut.
Obwohl ihr auch noch privat befreundet seid …
Oder vielleicht gerade deshalb. Wir sagen uns, dass es drei Dinge gibt, die sehr wichtig sind. Das Eine: Auf der Bühne muss es funktionieren. Das andere: Das Organisatorische muss funktionieren. Und dann muss man sich auch irgendwie leiden können. Salopp gesagt. Und diese drei Dinge haben sich sehr gut bewährt bei uns und auch als sehr inspirierend und befruchtend in jeglicher Hinsicht erwiesen. Das funktioniert wirklich mit ganz wenigen, und aufgrund dessen haben wir die ganzen anderen Geschichten, die wir parallel aufgebaut hatten, bewusst gestrichen.
Allerdings unterrichten wir beide auch noch parallel, das ist uns auch sehr wichtig. Und zwar, aus den unterschiedlichsten Gründen. Zum einen, um ein bisschen Regelmäßigkeit zu haben und das normale Leben leben zu können und nicht nur dieses abgehobene Künstlerleben. Man kommt dahin, und es ist schön, einfach mal auch nicht als Künstler wahrgenommen zu werden. Ich weiß, dies sind die Zeiten, man kommt dahin, und das ist jede einzelne Woche so.
Wir unterrichten freiberuflich, und das soll auch so bleiben, weil wir diesen Ausgleich einfach sehr schätzen. Unser Repertoire plus das Kabarettistische plus unsere Bühnenfiguren sind einfach so aufgedreht, das man diesen Ausgleich gerne hat. Außerdem ist es so, dass ich gerne etwas weiter gebe.
Es ist ja auch ein Geben und Nehmen, nicht?
Ja, man hat da einige junge Menschen, denen man in der Entwicklung so ein bisschen hilft, und das Ziel ist, dass sie mitkriegen, ey Mensch, Musik ist was Tolles, das möchte ich gern in meinem Leben haben! Auch wenn unsere Schüler zu unseren Konzerten kommen und völlig begeistert sind und sagen, das will ich aber auch, ist das etwas sehr Schönes.
Das Pädagogische soll aber nicht unser Schwerpunkt sein. Von der Zeit her, die man investiert, von der Energie und von der Einstellung … und von der Intensität des Sich-damit-Beschäftigens … ist das Duo Scheeselong auf jeden Fall das Präsenteste von allem, was wir machen.
Und Unterrichten als eine Art Erdung.
Genau.
Und vermutlich natürlich auch, um die Miete bezahlen zu können …
Zumindest, dass man nicht den Stress hat, jetzt alles machen zu müssen, was man angeboten bekommt. Wir können durch das Unterrichten machen was wir machen, und das machen wir mit Leidenschaft. Ich denke, das kommt dann auch rüber. Wenn man dagegen Dinge macht, die man muss, aber eigentlich nicht möchte, das ist für das künstlerische Selbst einfach nicht gut!
Ihr gönnt euch also den Luxus, unliebsame Angebote auch durchaus abzulehnen.
Ja, und das machen wir auch konsequent. Was uns wichtig ist, und weshalb wir unter anderem auch so gern unterrichten: Dass das kein Selbstläufer wird und kein Muss. Das Duo-Projekt hat sich ja daraus entwickelt, dass wir gesagt haben, es tut so gut! Wir haben so viel Spaß dabei! Es fühlt sich nicht wie Arbeit an! Wir kennen aber auch leider sehr viele Kollegen, die wirklich viel spielen, und wo wir einfach sehen, diese Begeisterung dafür und dieses Wohltuende kann einfach nicht mehr gegeben sein. Das nutzt sich so ab, die Lust geht verloren. Das ist für die Leute total doof, die auf der Bühne stehen – aber auch für das Publikum total bescheuert! Da hat man mehr davon, ein Bier trinken zu gehen, als jemandem zuzugucken, der kein Bock hat, das zu tun. Es ist ja gerade im Kleinkunstbereich so, dass man irgendwann einfach mal unheimlich viel unterwegs sein muss. Und deshalb sagen wir auch, wir wollen lieber gut geplante, ausgewählte und gut vorbereitete Konzerte machen, wo dann einfach alles stimmt: Wo unsere Stimmung stimmt, wo wir darauf Lust haben und uns darauf freuen, wo wir lieber die Energien investieren, dass die Bedingungen stimmen und das eben alles da ist, was wir brauchen, sodass wir daraus dann auch Energie schöpfen können.
Wo ihr eure Auftritte so handverlesen auswählt – kann man euch überhaupt privat buchen?
Ja, das machen wir meistens sehr gern. Natürlich ist auch hier der Vorteil: Man muss nicht alles machen.
Habt ihr für solche Anlässe ein angepasstes Programm, was dann beispielsweise auch kürzer ist?
Wir haben unterschiedliche Programme zusammengestellt, die unterschiedliche Sparten bedienen. Das letzte Programm, welches wir für das Gourmet Festival Sylt aufgebaut haben, ist zum Beispiel ein Menü-Programm, wo wir quasi verbunden mit einem Essen und dem kulinarischen Genuss der Zwanzigerjahre zwischen den Gängen ein entsprechendes Programm servieren. Das ist dann natürlich auch kürzer und anders aufgebaut, aber unsere Charaktere bleiben erhalten. Wir sind auch weiter Fräulein Mitzi und Frau Rosenroth, aber eben entsprechend des Anlasses gekürzt. Trotzdem sind wir auch da das Duo Scheeselong.
Es ist eigentlich nie so, dass wir nur auf unser Äußeres und unsere Stimme bzw. unser Instrument reduziert werden – wir spielen immer, und das Schauspielerische ist auch das, was uns wichtig ist.
Eigentlich ist das ja Kopfhörerhunds Scheeselong. Der wird spontan geherzt …
Ich muss mich an dieser Stelle schon einmal für das schöne Gespräch bedanken, denn mit meinen musikalischen Fragen bin ich dann durch. Wie ich euch aber schon angekündigt habe, schließen Interviews für den Klangblog generell mit einer (Kopfhörerhunde-)frage. Ich habe im Vorfeld ein bisschen recherchiert, und der einzige Bezug zwischen Marlene Dietrich und Hunden, den ich gefunden habe, war, dass Remarque ihr in ihrem Briefwechsel immer von seinen Hunden vorschwärmte. Dabei hätte ich der Diva eigentlich so einen kleinen Handtaschenhund zugetraut! Wie ist das mit euch, habt ihr einen Bezug zu Hunden oder haltet ihr es eher wie die Dietrich?
Caroline: Also, Valerie ist ein Katzenmensch. Die hasst Hunde
Valerie: So steht es zumindest auf unserer Website. Das stimmt nicht ganz – man muss ja immer ein bisschen übertreiben! Aber ich habe eine Katze und bin ein Katzenliebhaber. Es ist zwar eine ganz normale, vollkommen unspektakuläre Hauskatze, aber sehr temperamentvoll, wo ich das Gefühl habe: das hat sie von mir geerbt! Es ist ein Kater, und er hat auch Spitznamen wie „Düsenjäger“ und ähnliches … Er ist wirklich sehr temperamentvoll!
Caroline: Allerdings! Ich habe leider keinen Hund, aber ich bin eher ein Hundemensch als ein Katzenmensch.
Was ja dann auch wieder eure Rollen spiegelt …
Die Eintrittskarte zur Berlin-Premiere von „Rendezvous mit Marlene“ am 9. März 2012 im Grünen Salon gilt gleichzeitig auch als Entréebillet für die anschließende Swing-Dance-Party mit DJane Swingin‘ Swanee – es soll, anlässlich des Frauentages am Vortag, ein richtiger „Frauen-Retro-Abend“ werden. Sie können kein Swing tanzen? Kein Problem! Die Crew von der Tanzschule Swing Patrol sorgt für eine Tanzeinführung. Holen Sie also Ihre Flapper Dresses aus dem Schrank oder kommen Sie im Garconne-Stil – aber kommen Sie, und zwar zahlreich!
Kennt man das Trio Ohrenschmalz nur von der Bühne, ist man erst einmal überrascht, wenn man zwei Drittel davon privat trifft. Im Gegensatz zu Künstlern wie beispielsweise Andrej Hermlin setzen die Musiker den Zwanzigerjahre-Stil nicht auch noch zu Hause konsequent fort, sondern öffnen die Tür statt in Frack und Vatermörder in Jeans und Kapuzenpulli. Und auch die Frisuren sind irgendwie anders. „Wir sind keine Nostalgiker“, meinen Stefan Haberfeld und Julius Hassemer dann auch, als ich sie in Berlin zum Interview treffe.
Stilecht in Zwanzigerjahre-Kleidung und komplettiert durch Geigerin Angelika Feckl kann man das Trio Ohrenschmalz heute und morgen Abend mit seinem Programm Zuviel Appeal noch einmal im Heimathafen Neukölln sehen und hören. Warum sie sich nicht als Bestandteil der Zwanzigerjahre-Szene sehen, was die Musiker machen, wenn sie nicht zusammen spielen, und was das nächste Jahr für das Trio bringen soll, haben mir Stefan und Julius schon letzten Sonntag verraten, während sie gleichzeitig alle Hände voll zu tun hatten, die zum Tee gereichten hausgemachten Scones und Schokokekse vor einem gierigen Kopfhörerhund, der auch ansonsten seine eigentlich gute Erziehung zu Hause vergessen zu haben schien, in Sicherheit zu bringen.
Zu Kopfhörerhunds Verteidigung sei hervorgebracht, dass er erkrankt war, wie sich am Abend zu Hause herausstellte. Das erklärt natürlich das nervöse Hin und Her, welches er hier ebenso wie schon in den letzten Tagen zeigte und das alle in den Wahnsinn treibt! Das ist eben das Problem mit unseren Fellfreunden: Die können nicht einfach so sagen, mein lieber Mensch, bring mich zum Arzt, damit er mir Medizin gibt und ich mich wieder wohl fühle. Kopfhörerhund kann im Falle von Befindlichkeitsstörungen nur auf- und ablaufen. Allerdings läuft er auch auf und ab, wenn er aufs Klo will, wenn er Hunger hat, wenn er sich langweilt … Aber das ist eine andere Geschichte.
Privat mit einem die Gebäckschale hypnotisierenden Kopfhörerhund …
Klangverführer: Es ist jetzt fast ein Jahr her, seit ihr am 11. Februar 2011 mit der Vorab-Premie von eurem Programm „Zuviel Appeal“ im Admiralspalast eine rauschende Nacht gefeiert habt – was feiern wir heute, oder, anders gefragt: Was ist der Anlass für dieses Interview?
Trio Ohrenschmalz: Wir nehmen das Programm nach ein paar Monaten Pause wieder auf und spielen es jetzt am Wochenende im Heimathafen Neukölln. Wir wollten das Programm ja sowieso oft spielen, und auch, wenn wir am Anfang gleich fünf Auftritte hatten – was ja schon ziemlich viel ist –, war es schon klar, dass wir damit auch noch einmal in Berlin auftreten wollen. Leider klappt es nicht, sich für ein Jahr oder sogar länger hinzusetzen, um ein Programm zu erarbeiten, was einem gefällt, und es dann nur für kurze Zeit in Berlin zu spielen – das wäre uns zu wenig gewesen. Natürlich auch finanziell, aber vor allem, weil das eben unser Ding ist und wir es den Leuten hier noch einmal zeigen wollen. Und im Gegensatz zu unserem vorigen Programm haben wir auch von vielen Leuten hier gehört, dass sie sich vorstellen können, sich „Zuviel Appeal“ noch einmal anzusehen. Und natürlich hoffen wir auch, dass „Zuviel Appeal“ ein Programm ist, was man durchaus zweimal sehen kann – vor allem, wenn schon ein Jahr dazwischen liegt und man die Gags schon vergessen hat … Vielleicht sagt der eine oder andere dann, ach ja, klar, ich erinnere mich, aber ich finde es trotzdem lustig.
Wird das Programm denn in genau der Form, in der ihr es vor einem Jahr gespielt habt, wieder auf die Bühne gebracht oder hat sich da inzwischen was verändert?
Na, mal sehen, was sich verändert – wir haben es, seitdem wir damit im Mai im Heimathafen waren, ja nicht nochmal gespielt!
Das heißt, ihr habt euch jetzt nicht vorgenommen, bestimmte Sachen anders zu machen …
Nein, eigentlich nicht. Wir haben uns das jetzt noch einmal auf dem Video angeguckt, und für gewöhnlich schleifen sich über die Zeit immer ein paar neue Sachen ein, hier ein neuer Gag zum Beispiel, da ein neuer Ablauf, aber im Allgemeinen ist das bei diesem Programm erstaunlich selten der Fall. Wirklich nur ganz wenige Details.
Ihr habt ja letztes Jahr nicht nur in Berlin mit eurem Programm begonnen, sondern seid dann auch ganz schön herumgekommen damit! Ihr wart in Weimar, in Aachen, und ihr wurdet sogar in Stockstadt am Main aus 156 Bewerbern ins Finale gewählt, um um den „5. Stockstädter Römerhelm“ zu spielen … Was ist daraus eigentlich geworden?
Das hat geklappt! Der „Stockstädter Römerhelm“ ist ja so ein Kleinkunstpreis, und es war ein sehr langer und sehr lustiger Abend da in Stockstadt mit den fünf Finalisten. Wir haben uns total gefreut, dass wir den Preis dann bekommen haben. Natürlich konnten wir dort nicht unser ganzes Programm spielen, weil alle fünf Finalisten an einem Abend gespielt haben, aber es hat großen Spaß gemacht. Wir wollen das auch wieder machen, wir sind jetzt quasi schon in der nächsten Runde, wo wir uns bewerben. Schließlich gibt es ja nicht endlos viele Sachen, auf die wir passen, aber dort in Stockstadt … Das wollen wir auf jeden Fall nochmal machen! Das Schöne daran ist, es ist ein kleinerer Preis, eine kleinere Location, wo es einfach so nett zugeht, wirklich nett! Der Typ, der das gemacht hat, hat offensichtlich sein ganzes Herzblut in dieses Ding gelegt, und das macht diese Veranstaltung letzten Endes auch wirklich gut. Anderenfalls hätten die ja auch gar nicht fast hundertsechzig Bewerbungen. Stockstadt ist ja ein kleines Örtchen, und man hat gemerkt, dass für diese ungefähr zweihundert Stockstädter, die da waren, dieser Kleinkunstpreis eines der Highlights im Jahr ist. Die wollten da hin, die wollten das sehen! Die waren vom ersten Moment an total dabei und es hat alles sehr persönlich gewirkt. Man hatte auch den Eindruck, dass der Organisator dort jeden Einzelnen persönlich kennt, das war wirklich sehr nett. Und das heißt auch, wir mussten da keine Angst haben. Man kommt da hin, weiß nicht, wie gut die anderen Leute sind und ob man da überhaupt eine Chance hat, aber wir konnten da richtig mitmischen und haben dann ja sogar den Preis gewonnen! Jetzt werden wir nicht mehr auf den nächsten Wettbewerb gehen und denken, oh Gott, die machen uns ja platt und wir werden uns blamieren …
Es war also auch richtig gut für eurer künstlerisches Selbstbewusstsein! Damit erübrigt sich eigentlich die Frage, die ich hier anschließen wollte, nämlich, wie euer Programm denn während der Tour beim Publikum angekommen ist, aber offensichtlich ja sehr gut …
Ja, es ist wirklich gut angekommen. Diese ganzen Stationen, die wir mit „Zuviel Appeal“ bespielt haben, da werden wir auch überall wieder hinfahren! Wir werden wieder nach Aachen fahren, wir werden wieder nach Stockstadt fahren in diesem Jahr … Und es ist für uns sehr schön, wenn sich dann auch außerhalb von Berlin so kleine Gemeinden bilden, die sich dann darauf freuen, dass wir wiederkommen, und die noch ein paar Freunden davon erzählen und es dann immer mehr Leute werden …
… und als Trio Ohrenschmalz mit Angelika Feckl
Läuft es bei euch auch, wie heutzutage bei so vielen Künstlern, zunehmend über die sozialen Medien, dass sich diese kleinen Fangemeinden überall bilden, dass ihr euch mit denen vernetzt und so?
Das hilft sicherlich, aber wir glauben nicht, dass es darauf basiert. Unser Publikum setzt sich ja zum Teil auch aus etwas älteren Leuten zusammen, die da nicht so involviert sind.
Stichwort ältere Leute: Was fasziniert euch so an der Musik eurer Groß- oder sogar Urgroßeltern, dass ihr gesagt habt, das ist es, was wir machen wollen?
Also, wir glauben, wir sind gar nicht so drauf, dass zu uns charakterlich nur die Zwanziger passen. Wir fanden einfach die Musik gut und haben dann damit angefangen, denn das war etwas, womit wir sofort starten konnten, als wir dieses kleine Ensemble zusammengebaut haben. Und das war es eigentlich! Ab dann kam die Begeisterung für die Charaktere, für die Sänger, für die Komponisten, für die einzelnen Stücke, und von dort aus hat sich das immer weiter entwickelt!
Das heißt, die Trio-Mitglieder rekrutieren sich nicht aus der rührigen Berliner Zwanzigerjahre-Szene …
Nein, ganz im Gegenteil. Wir sind erst in diese Szene hereingekommen, als wir angefangen haben, diese Musik zu spielen. Wir kennen diese Musik natürlich aus unserer Kindheit und aus unserer Jugend – meine Eltern zum Beispiel hören fast nur klassische Musik, und die ganz wenigen Platten, die keine Klassik waren, waren bei meinen Eltern die Comedian Harmonists. Die habe ich dann als Kind gehört, und das ging uns allen so! Der Vater von Angelika ist ein großer Otto Reutter-Fan und kann ganz viele von dessen Texten auswendig … Wir haben diese Musik also gewissermaßen in die Wiege gelegt bekommen, haben das dann auch gemacht und erst mit der Zeit, als wir mit unserer Zwanzigerjahre-Musik so ein bisschen herumgekommen sind, haben wir gemerkt, es gibt ja so eine ganze Szene dafür, die wir dann erst kennengelernt haben.
Eure Zwanzigerjahre-Musik besteht ja nicht nur darin, dass ihr die einschlägigen Gassenhauer von damals, Hollaender und so, stilecht wiedergebt – ihr schreibt ja auch selbst täuschend echt wirkende Zwanzigerjahre-Musik, zum Beispiel den Song „Arm aber sexy“, dessen Titel ja auf einem Ausspruch unseres Bürgermeisters beruht. Wie kommt man darauf, ein so zeitgenössisches Thema ins Gewand der Zwanzigerjahre zu hüllen?
Stefan: Nun ja, wir mögen diese Musik eben sehr gerne! Es ist nicht so, dass uns nicht auch andere Musikstile gefallen würden – ich persönlich mag auch Rock’n’Roll und teilweise sogar Techno und HipHop –, aber die Zwanziger liegen mir einfach. Ich kann in diesem Stil schreiben – wahrscheinlich bin ich aber nicht besonders gut darin, HipHop zu schreiben. Diese Musik funktioniert in unserer Besetzung gut, und sie passt auch gut zu den anderen Sachen, die wir können – deswegen ergibt sich das einfach so. Ich bin jetzt als Komponist nicht so festgelegt auf diesen Stil, aber würden wir in unserer Besetzung zum Beispiel versuchen, Hardrock zu machen, würde das wahrscheinlich nicht so gut klingen! Und natürlich hätten wir dann auch mehr Schwierigkeiten, dass mit ‘nem Hollaender oder mit ‘nem Reutter zu kombinieren.
Julius: Und dass die eigenen Stücke moderne Themen behandeln … Das ist in vielen Stücken von Stefan so, dass dann manche Zeilen auf einmal komplett entblößen, auf einmal so, „Zack, ich, Song, bin von heute!“ Das hat uns nie gejuckt. In mehreren Stücken ist das so, in anderen wieder nicht … Immer so, wie es besser passt. Wenn es sich wie in „Arm aber sexy“ anbietet, „Hartz IV“ als Schlagwort zu bringen, dann passiert das halt, und wenn es nicht passiert, dann kann man es natürlich mehr mit den alten Klassikern verwechseln, was die Leute tatsächlich auch oft tun – aber beides ist schön.
Stefan: Es ist ja auch so, dass uns an den alten Stücken in erster Linie interessiert, was davon heute noch von Bedeutung ist. Insofern ist die Fragestellung die gleiche. Dass jetzt in den alten Stücken Begriffe wie „Hartz IV“ oder Zitate von unserem heutigen regierenden Bürgermeister nicht vorkommen, stört uns nicht, denn die Relevanz und die Aktualität haben sie in vielen Fällen ja trotzdem! In meinen Stücken kommt es aber eben vor, dass es Zeilen gibt, die zeigen, wie alt dieses Lied tatsächlich ist.
Julius: Es ist jetzt aber nicht unser Auftrag, bei den alten Stücken auf Teufel komm raus einen Bezug zu heute herzustellen. Ändern würden wir deshalb an den alten Stücken nichts. Im Gegenteil, das alte Stück muss uns einfach schon von vornherein etwas angehen; es muss etwas enthalten, was auch heute noch witzig ist oder traurig ist – aus diesem Grund sagt uns das alte Stück ja auch heute noch etwas.
Stefan: Genau, diese Zeitlosigkeit bedingt ja auch, dass wir heute noch etwas damit anfangen können.
Eine gute Frage – glaubt ihr, dass ohnehin nur Stücke von damals überdauert haben, denen eine gewisse Zeitlosigkeit innewohnt? So, wie man es ja auch von den Stücken klassischer Komponisten gern behauptet …
Nein, nicht nur. Wenn man irgendwelche Compilations mit Schlagern aus den Zwanzigern kauft, sind da ja auch Lieder drauf, wo man heute sagt, ist zwar nett und witzig, aber vom Text oder vom Thema her ist das nun wirklich vorbei. Das gibt es auch. Aber man findet immer wieder Perlen, wo man denkt, toll, damals geschrieben, irre!
Ist das ein Aspekt bei der Auswahl eurer Stücke?
Stefan: Wir sind da sehr subjektiv und wählen die aus, die uns persönlich am besten gefallen. Und natürlich, wenn wir jetzt an so einem Programm arbeiten und noch einen dramaturgischen Verbindungspunkt brauchen und dann ein Stück finden, welches da reinpasst, nehmen wir das auch ins Programm auf, wenn uns das persönlich jetzt nur zu achtzig Prozent gefällt.
Julius: Oder Stefan schreibt einfach ein Stück für solch eine Lücke, dann hat er ganz klare Vorgaben, was er machen soll.
Mal ein ganz anderes Thema: Ich bin neulich zufällig im Internet darauf gestoßen, dass Stefan zu Weihnachten in dem Kreuzberger Kult-Café „Drei Schwestern“ zu Weihnachten Klavier gespielt hat – und das führt mich natürlich zu der Frage, was ihr – musikalisch – so treibt, wenn ihr nicht als Trio Ohrenschmalz unterwegs seid.
Stefan: Unterschiedliches! Ich zum Beispiel trete im Drei Schwestern oder bei anderen Gelegenheiten als Hintergrundpianist auf. Da geht es dann nicht um Konzerte, sondern um eine musikalische Untermalung des Abends. Ansonsten trete ich weniger als Musiker, sondern mehr als Tonmeister in Erscheinung: Ich nehme Musik auf und mische Musik. Angelika spielt in Kiel an der Oper im Orchester …
Julius: Genau, sie hat wahrscheinlich am meisten Musik in ihrem „anderen Leben“ – nämlich hundert Prozent. Ihr Job ist es, klassische Musik zu machen. Ich mache seit ungefähr ein, zwei Jahren keine Musik mehr. Früher wollte ich mal Opernsänger werden, habe aber dann angefangen zu studieren, so ist eines zum anderen gekommen. Jetzt bin ich Wissenschaftler und beschäftige mich damit, was Menschen mit ihrem Körper machen, wenn sie reden. Kurz gesagt, es geht um Körpersprache, und darüber schreibe ich gerade meine Doktorarbeit. Das macht mir so großen Spaß, dass ich bei der Musik nur noch das Beste mache: nämlich das Trio.
Müsstest du dich irgendwann zwischen dem Trio und deiner wissenschaftlichen Laufbahn entscheiden, würdest du die Musik vorziehen?
Julius: Sollte das tatsächlich der Fall sein, müsste man sehen, wie es sich dann konkret entwickelt. Bis jetzt habe ich aber immer gedacht, egal wo ich gerade stand, dass es auf der nächsten Stufe nicht mehr möglich sein wird, dass Trio und die Wissenschaft miteinander in Einklang zu bringen. Das habe ich immer gedacht – und ich hatte nie recht. Bis jetzt ging es immer zweigleisig weiter. Und da die Erfahrung gezeigt hat, dass beides geht, würde ich jetzt voraussagen, dass ich in drei Jahren immer noch beides mache.
Wenn du von drei Jahren sprichst, dann heißt das, dass das Trio auf jedem Fall langfristig angelegt ist und ihr nicht vorhabt, das Projekt nach „Zuviel Appeal“ wieder zu begraben?
Julius: Nein nein! Im Gegenteil, wir arbeiten ja schon wieder am nächsten Programm! Und da wir alle immer das Trio und unser anderes Leben miteinander verbinden müssen, vertritt jeder von uns zwei Interessen: das Trio-Interesse und das aus seinem anderen Leben. Im Trio-Interesse legen wir manches dann so langfristig an, dass wir uns damit selbst quasi verbieten, damit irgendwann aufzuhören.
Stefan: Es wird auch immer langfristiger! Aktuell haben wir eine Konzeptionsrunde für unser neues Programm, was in der zweiten Hälfte von 2013 starten soll.
2013 – das ist ja auch das Jahr, wo ihr euer zehnjähriges Trio-Jubiläum feiert. Gibt es schon etwas, was ihr von dem Jubiläums-Programm verraten könnt?
Können wir wirklich noch nicht. Dazu ist es einfach zu früh. Diejenigen, die damit betraut sind, verschiedene Konzepte zu schreiben, haben eine derartige Freiheit, dass wir dann wirklich erst nach Abgabe der Konzepte sehen werden, in welche Richtung es führt. Ende Februar sollen die Konzepte fertig sein; und der Plan ist, dass wir das Programm dann im September oder Oktober 2013 auf die Bühne bringen. Bis das neue Programm fertig ist, werden wir aber noch zwei Programme spielen, nämlich erst einmal unser großes Programm „Zuviel Appeal“, wofür wir große Bühnen und eine gute technische Ausstattung brauchen, und dann haben wir noch unser kleines Programm „Früher war alles wie heute“ für kleinere Locations, das ist so eine Art Best-of.
Ich weiß, dass man euch mit dem kleinen Programm auch privat buchen kann, für Hochzeiten, Geburtstage und so fort. Das große kann man sich in Form von eurer aktuellen CD nach Hause holen …
Ja, „Zuviel Appeal“ ist unser aktuelles Album und wird es auch noch ein kleines Weilchen bleiben, denn es ist offen, ob wir zu dem neuen Programm 2013 eine weitere CD herausbringen. Das hängt natürlich auch davon ab, was für Stücke es geben wird und ob es sich lohnt, für diese bis jetzt noch nicht geschriebenen Stücke eine CD aufzunehmen. Vor vier oder fünf Jahren haben wir eine Live-DVD produziert, das war ein großes Abenteuer, und danach haben wir zwei Studio-CDs gemacht. Beides kommt als nächstes Medium wieder in Frage. Der Vorteil einer CD ist, dass man sie im voraus produzieren kann und zur Premiere des Programms die CD schon fertig hat. Und gerade zur Premiere eines neuen Programms kommen alle unsere großen Fans und CD-Käufer … Es ist leider ein genereller Trend, dass es immer schwerer wird, CDs zu verkaufen. Dafür aber läuft der Verkauf auf Konzerten verhältnismäßig gut.
Apropos genereller Trend: Viele Leute kaufen ja keine physischen Tonträger mehr, sondern nur noch einzelne Download-Tracks. Mischt ihr da mit, kann man Stücke vom Trio Ohrenschmalz auf iTunes oder bei Amazon downloaden?
Julius: Ja, das haben wir gerade gemacht. Nächste Woche haben wir unseren Online Release und sind ab da bei iTunes erhältlich. Und egal in welcher Form – man hört den Songs von „Zuviel Appeal“ einfach an, dass wir uns entwickelt haben. Ich denke auch, dass wir uns auf der Bühne ähnlich entwickelt haben, aber auf der CD, auf die unsere Leistung gewissermaßen gebannt ist, kann man wirklich hören, dass sie künstlerisch besser ist als unsere erste CD.
Stefan: Stimmt, ich habe sie neulich seit langem mal wieder von vorn bis hinterndurchgehört, denn ich habe ja auch nach den Studioaufnahmen noch damit zu tun gehabt, habe geschnitten und gemixt, da hat man das erst einmal über und will es erst einmal gar nicht mehr hören, aber neulich habe ich es gemacht und ich muss sagen: Sie hat mir wirklich gut gefallen. Ich hatte ein bisschen Angst, aber sie ist wirklich gut!
Julius: Die CD kann man sich mehrmals anhören – und auch das Programm kann man sich mehrmals angucken. Wir werden damit dieses Jahr einige neue Bühnen bespielen, worauf wir uns sehr freuen.
Letzte Frage: Im Moment ist es ja so absolut hip, die Zwanziger, Dreißiger durch den Elektrowolf zu drehen. Dabei kommt dann so etwas wie die Electro Swing Revolution raus. Ist das etwas für euch oder könnt ihr damit so gar nichts anfangen?
Also, wenn ein DJ kommt, der mag, was wir machen und dessen Stil wir mögen, dann können wir uns auf jeden Fall auch Remixe vorstellen.
Dann danke ich herzlich für das Interview und wünsche viel Spaß und Erfolg für den 4. und 5. Februar!
Ich habe ein Déjá-vu : Es ist schwül. Und im Zimmer 16 sind knapp zwanzig Menschen – darunter fünf Musiker, vier Veranstalter und mindestens fünf Gästelistenplatzbesitzer. Wie schon beim Glezele-Konzert im letzten Juli
ist das für die Zimmer16-Betreiber, die auch irgendwie ihre Miete bezahlen müssen, natürlich schade. Für den Kritiker indessen ist so ein familiäres Konzert ein absoluter Glücksfall, wenn es darum geht, die Musik einer Band ganz nah kennenzulernen. Nichtsdestotrotz sind die miserablen Besucherzahlen verwunderlich, denn üblicherweise sind Krispin-Konzerte ausverkauft. Die beiden großen musikalischen Konkurrenzveranstaltungen des Abends, einerseits die Onkelznacht in Schildow, und andererseits Turntablerocker Michi Beck, der in der Kulturbrauerei auflegt, dürften das dann doch anspruchsvollere Krispin-Publikum auch nicht wirklich abziehen. Andererseits sieht sich heute Abend selbst das Bode-Museum, das seinen Publikumsrenner Gesichter der Renaissance erstmals bis 22:00 Uhr zeigt, mit leeren Sälen konfrontiert, wo sonst zweitausend Leute Schlange stehen. Muss also etwas Atmosphärisches sein.
Zunächst gibt es dann auch erst einmal eine Planänderung, die allerdings nichts mit den Besucherzahlen zu tun hat. Statt des als Support angekündigten Francis DD String wird die Berliner Singer/Songwriterin Cathleen spielen. Francis hat überraschenderweise einen Gig im musikalisch immer wieder erstaunenden Bernau. Cathleen hat eine Kehlkopfentzündung.
Diese merkt man ihr aber in keinster Weise an. Cathleen ist eine Songwriterin, die nicht nur weiß, wie man Geschichten erzählt, sondern darüber hinaus auch noch eine herrlich tiefe und volle Stimme hat und obendrein Gitarre spielen kann. Ich wünschte, die Mädels der fabulösen Female Folk-Pleite hätten Cathleen hören können – sie hätten sich zweimal überlegt, ob sie mit ihrer Gitarrenmädchennummer wirklich auftreten wollen, solange es Künstlerinnen wie Cathleen gibt. Die setzt nämlich mitnichten auf das Kleinmädchenschema, sondern auf die pure Präsenz ihrer Songs und ihrer Stimme.
Spätestens beim dritten Stück, You Pretend – eine Nummer für alle jene, die keine Leute mögen die nicht authentisch sind -, zeigt sich, dass Cathleen zu all dem noch den Groove hat, und Donna & Co. sollten lieber wieder spielen gehen. Das Highlight von Cathleens Auftritt ist aber sicherlich Taste Me, das durch einen fast schon soulig zu nennenden Gesang besticht und obendrein sehr sehr sexy ist. Wer mit einer Kehlkopfentzündung so singen kann, wie klingt der erst, wenn er gesund ist? Schließlich überrascht uns Cathleen noch mit der kleinen Waldmaus aus ihrem pädagogischen Repertoire – so eine gitarrespielende Kindergärtnerin hätte ich auch gern gehabt, und das Publikum gibt gern den Kindergartenchor. Nach einigen Nashville, Tennessee-Nummern beschließt Cathleen ihr Set mit Ocean of Lust, das sie diskret mit „Ozean der Liebe“ übersetzt.
Grandios, das. Kopfhörerhund allerdings mag Akustikgitarren nach wie vor nicht – auch keine gut gespielten. Er will flüchten.
Kurz nach zehn entern dann die vier Krispin-Jungs die Bühne, und der charismatische Frontmann Roland Krispin hält mit sympathischer Selbstironie fest, dass nun wohl ein Großteil des Publikums auf der Bühne steht, was ihn aber glücklicherweise nicht davon abhält, ein schönes Konzert spielen zu wollen. Zu meiner großen Freude eröffnet er sein Programm mit Vergessen, meinem Lieblingsstück des Albums Gegen die Uhr. Und auch Kopfhörerhund hat sich mittlerweile wohlig grunzend ausgestreckt, ein Zeichen für Musik, die im Fluss ist und die Hundeseele streichelt.
Dem Opener folt Als ob du mich nicht kennst, der Sechsachtler mit dem Tausendfüßler im Text, bei dem ich immer Reinhard Meys Maikäfer fliegen höre. Ohnehin empfinde ich Krispin als sehr liedermachergeprägt, und nicht zuletzt keimzeitet es sowohl auf dem Album als auch bei der Live-Show ganz schön. Indessen kann Roland Krispin besser singen als die meisten seiner Kollegen, mit denen er sich das Genre teilt.
Der dritte Titel Vier Buchstaben schlagzeugbest ganz wundervoll vor sich hin und ist ohnehin ein toller Song. Davon hätte ich gern mehr! Auch das E-Gitarren-Solo ist hier unglaublich angenehm und ufert nicht aus. Spätestens bei Wenn du gehst mit einem auf die Gitarre umgestiegenen Bassisten weiß ich, was Ex-Poems For Laila-Sänger und nun Krispin-Produzünt Nikolai Tomás meinte, als er den Element of Crime-Vergleich bemühte, während sich Gitarrist Andreas Laudwein inzwischen um Bohren und der Club of Gore-Sporen bemüht. Ohnehin kennt man sich bei Krispin mit gepflegter Düsternis aus. Und so gibt es auch auf Ich habe dich gern wieder die Bohren-Gitarre.
Jede Band hat ihre eigene Berlin-Hymne, bei Krispin ist es das basslastige Nebel, das auf Fröhlichkeit und Wahnsinn einstimmt, dem wir so schöne Neologismen wie „Straßenbahnschmerzen“ und „Fliederduftbüsche“ zu verdanken haben und das bei mir mal wieder das Gefühl hinterlässt, die falschen Songs gefilmt zu haben. Das hier hätten Sie hören müssen!
Auch bei Schnee, dem Song, in dem der Winterdienst so ratlos durch die Stadt führt, kann man vor Gitarrist Laudwein nur niederknien, denn obgleich er so ein reich bestücktes Brett zum Spielen mitgebracht hat, macht er davon dankenswerterweise nur dezenten Gebrauch. Auch etwas, wovon so manch ein anderer lernen könnte.
Leider steht er – ebenso wie Schlagzeuger Ronny Seiler – vorerst zum letzten Mal mit Krispin auf der Bühne; ab Herbst gibt es Krispin light mit Roland Krispin an Vocals und Gitarre und Christoph Thiel am Bass, wobei eine Cellistin den Krispin’schen Liedgeschichten noch eine kammermusikalische Note verleihen wird.
Nach Papierherz gibt es mit Pick-up Truck schon mal eine Zugabe in der künftigen Duo-Besetzung.
Bei Paula, dem einzigen Nicht-Krispin-Song des Abends, kommen Andreas und Ronny wieder und machen aus der Nummer eine Art Berlinerisches Angie – hier kommt doch tatsächlich mal kurz die Rockband in Krispin zum Vorschein. Wieder regt sich ein dringender Video-Wunsch in mir, aber da ich den Song nun einmal nicht gefilmt habe, bleibt Ihnen nur noch eins, wenn Krispin das nächste Mal spielen: Nämlich nichts wie hin.
Jetzt wäre eigentlich alles ganz wunderbar, Paula wäre der ideale Abschluss eines schönen Abends gewesen. Krispin aber wären nicht Krispin, wenn sie sich als finalen Rausschmeißer nicht einen Song gewählt hätten, der allen Weltschmerz des Universums in sich vereint. Zwar schenkt uns Denk an mich wieder ein wundervolles neues Wort – diesmal sind es die „Kopfnachtgespenster“, die kenne ich gut, nur hatte ich nie einen so schönen Namen für sie! -, aber danach kann man sich als Publikum auch gleich geschlossen aufhängen gehen. Und vermutlich erklärt sich auch so die mysteriöse Besucherzahldezimierung: Die haben sich nach dem letzten Krispin-Konzert schlicht und ergreifend alle vor den nächstbesten Autobus geworfen.
Die Musik der Berliner Illustratorin und Sängerin Ute „Illute“ Kneisel lernte ich im Sommer 2009 kennen. Kopfhörerhund und ich waren gerade in unsere neue Wohnung gezogen, für welche ich beim Unikate-Markt für selbermachende Individualisten DaWanda nach schönen Dingen stöberte. Ich fand solche – nicht immer nützlichen, aber ungemein dekorativen – Sächelchen wie Topflappen in Schellackplattenoptik, einen Stoffplattenspieler als Wandbild – und eben die Illute-CD von 2007, die ich im Shop der Graphikdesignerin Maki Shimizu entdeckte, und von der keiner so richtig weiß, wie sie heißt. „Durchs Herz geschaut“, ist eine Variante. „Berlin 2007“ eine andere. Die Produktbeschreibung versprach in jedem Falle ein Album, das „akustisch, minimalistisch, Bossa Nova, Chanson, Pop“ sei. Genau der richtige Soundtrack also für mein neues Leben! Zudem fand ich die Illustration des Kopfhörermädchens mit Herz ganz zauberhaft – das Album war gekauft.
Mittlerweile ist auf Analogsoul ein neues Album von Illute erschienen: Immer kommt anders als Du denkst, das im Oktober 2010 in einem kleinen Studio in der Nähe Wiens aufgenommen und dessen erste Single-Auskopplung Viva la Ignorancia, die auch schon auf dem Berlin 2007-Album zu finden war, bei unseren Nachbarn zum Hit wurde – während die gitarre-, kalimba- und percussionspielende Illustratorin hierzulande immer noch ein Geheimtipp ist, der vor allem unter anderen Musikern und ihnen verwandten Geistern kursiert. „A musician’s musician“ nennen die Engländer Phänomene wie Illute. Schöner ausgedrückt hat es einer meiner beiden heutigen Begleiter, der als jo_berlin selbst ganz zauberhafte Lieder macht. Immer kommt anders als du denkst sei eine Platte, „die Leben retten kann“.
Wenn dies alles nicht Grund genug ist, sich die Dame live anzuhören – noch dazu, wo der unter dem Motto „We’ll sing you songs // fabulousfemalefolk“ stehende Abend neben Illute und ihrer Mitstreiterin Daniella Grimm an Violine und Vocals weitere geballte Weiblichkeit auffährt. Schließlich stehen noch Lùisa aus Hamburg, Eleonora aus München und die Berlinerin Donna Stolz auf dem Programm – Letztere ihres Zeichens ebenfalls Illustratorin. Es ist der Abend der malenden Musikerinnen. Oder der musizierenden Malerinnen? Folgt man der Prämisse, dass sich jede Art von Kreativität – egal, in welcher Form sie sich letztendlich äußert – aus der selben Quelle speist, erscheint es nur logisch, dass kreative Menschen designen, komponieren, dichten können. Mit dem Mythos vom Renaissance-Genie hat das wenig zu tun; eher mit einer allgemeinen musischen Veranlagung – und im Zeitalter der Multimedalität auch mit ganz handfesten Gründen. Das Gestalten von Websiten, Einbinden von eigenen Filmen und Musik ist ja nun nicht wirklich selten. Ganz analog geht aber auch:
Das hier ist schon fast so schön wie meine Schallplattentopflappen oder mein Stoffplattenspieler und schreit definitiv „Haben wollen!“
Wie dem auch sei, die fabulous female Folkers – oder vielmehr: Folkerettes – des heutigen Abends sind bis auf Illute auch noch allesamt das, was die Presse gern als Gitarre-spielende Folk-Pop-Elfen bezeichnet – es geht also im Klangblog genauso akustikgitarrenlastig weiter, wie es in Victoriah’s Music aufgehört hat. Auch der gar nicht so geheime Überraschungsgast des Abends, Multiinstrumentalist und Singer/Songwriter Jonathan Kluth, der gestern erst solo & unplugged in der schönen Kreuzberger Wohnzimmerbar hubertuslounge zu hören war, rückt mit seiner Gitarre an, weiß daneben aktuell aber noch mit einem Hundebild auf seiner Homepage zu bestechen. Kopfhörerhund wusste schon, weshalb sie heute Abend unbedingt dabei sein wollte!
Hund (links) vor Hubertus (dahinter)
Was ich zuletzt an Female Folk im nbi gesehen hatte, war allerdings
weniger fabulous – und genau genommen auch kein Folk, sondern der Singersongwriterpop Diane Weigmanns. Das heißt, der heutige Abend
konnte nur besser werden. Leider sollte er sich tatsächlich als nbi-typisch durchwachsen erweisen, mit einer irgendwo zwischen den Polen „oh ja“
und „oh je“ oszillierenden Amplitude.
Eröffnet wird er von einer vor Aufregung hyperventilierenden Donna Stolz mit deutsch-englischer Sprachverwirrung – kleiner Tipp: ein deutsches Publikum kann mit deutschen Ansagen durchaus etwas anfangen, alles andere wäre albern – und einem „Wow, es dreht sich alles“. Im Vergleich zu ihrer vor Nervosität vibrierenden Sprechstimme und dem sehr sehr dünnen Körperchen hat sie allerdings eine erstaunlich kräftige Singstimme, die entspannt und tragend rüberkommt. Das ist allerdings auch schon das einzig Positive, was man über den Auftritt sagen kann. Die Songs von Donna sind plakative Cowgirl-Nummern mit viel Attitüde und wenig Substanz, und ich möchte hier meinen anderen Begleiter zitieren, der treffend bemerkte: „Eigentlich erwarte ich ja von Musik, das ich etwas über den Menschen da auf der Bühne erfahre. Hier erfahre ich nichts.“ Zu allem Übel kann Stolz nicht Gitarre spielen, ist sich dessen charmanterweise aber bewusst: „Can you hear the guitar? I think it’s really soft here – but maybe it’s good for you guys“.
Eleonora aus München beweist danach ganz ohne Band, wie man es besser machen kann. Nicht nur, dass sie genau den richtigen heiseren Biss im Stimmansatz hat, der einem verrät, dass man es hier mit einer Frau und keinem Mädchen zu tun hat, auch erzählen ihre Lieder etwas über das Leben, worin ich mich wiederfinde und was mir bei Donna Stolz gefehlt hat. Eleonora ist echt, ohne hier die vielstrapazierte „Authentizität“ bemühen zu wollen. Nichtsdestotrotz: Eine Kadenz reicht eben nicht, um ein komplettes Set zu füllen, denn vom richtigen Gitarrespiel ist auch Eleonora noch weit entfernt.
Es sei dahingestellt, ob die Mädchen des Abends alle gern Ani DiFranco wären – denn schließlich kann DiFranco Gitarre spielen. Dahingestellt sei auch, ob es eine Korrelation zwischen Rocklänge und musikalischem Vermögen gibt. Fest zu stehen scheint hingegen, dass man als moderne Singer-Songwriterin unbedingt die selbe niedliche Ponyfrisur tragen muss, die man schon als fünfjähriges Mädchen hatte. Wir brauchen erst einmal eine Pause, und mein einer Begleiter fasst den bisherigen Abend zusammen mit einem geseufzten „Wir könnten schon vögelnd im Bett liegen“ – ein Witz, aber einer mit wahrem Kern: Man hätte mit der hier verbrachten Zeit Sinn- und Lustvolleres anfangen können. Zum Auftritt von Lùisa aus Hamburg kann ich deshalb auch nichts sagen: An der frischen Luft ist es schön und wir beschließen, eine Weile vor der Tür zu bleiben. Nichts ärgert so sehr wie belanglose Lieder!
Doch dann, endlich, kommt diejenige, wegen der wir hier sind: Illute mit ihrer Begleiterin Danielle, zudem ihren zwei Wiener Mitstreitern an Akkordeon und Bass – eine schöne Besetzung! Gleich das a-capella-Intro zeigt, dass wir hier einen Qualitäts-, ach was, einen Quantensprung machen – und zum ersten Mal an diesem Abend bin nicht nur ich froh, hier zu sein, sondern auch Kopfhörerhund, der schrammelig gespielte Gitarren nicht mag und bisher rege Fluchttendenzen aufwies, rollt sich entspannt zusammen und schläft. Ein sicheres Zeichen für gute Musik. Schon beim zweiten Song – Ich will weiter gehen/weiter als geplant – bekomme ich eine Ahnung davon, was Jo mit der lebensrettenden Platte meinte – wobei ich die Idee ohnehin gut nachvollziehen kann, ging es mir doch lange Zeit mit Pauline Taylors 1998 auf Intercord erschienenem selbstbetitelten Album – ja, das wo Constantly Waiting drauf ist – genau so. Und tatsächlich hat Immer kommt anders als du denkst alles, was eine Platte braucht, um sie zur Lieblingsplatte zu machen: Lieder, die berühren, eine minimalistische, dennoch ausgeklügelte Produktion, eine handvoll großartige Musiker und den nicht näher bestimmbaren Illute-Faktor, der dafür sorgt, dass man sich selbst bei Liedern, die direkt aus dem Tal der Tränen zu kommen scheinen, seltsam getröstet fühlt. Darüber hinaus das genau richtige Maß an Studiotechnik, das auf eine unnötige Demonstration überflüssigen Könnens verzichtet. Ich mag das Understatement, das Illutes Musik auszeichnet – eine Zurückhaltung, die nicht aus der Not oder gar aus Talentmangel geboren ist, sondern hinter der eine ganze Menge steckt. Eine herrliche Low-Fi-Platte, mit der Illute bei „Fabulous Female Folk“ absolut fehl am Platze ist.
Hier ist nichts bemüht, alles genau so, wie es sein muss, und das heutige Live-Arrangement noch leichter, ätherischer, poetischer als die Platte. Ganz zu schweigen von dem intuitiven Zusammenspiel, dem blinden Verständnis zwischen Illute und Danielle. In die beiden könnte man sich glatt verlieben; das letzte Mal, als ich eine Band schrumpfen und in der Hosentasche mit nach Hause nehmen wollte, damit sie fortan auf meinem Nachttisch für mich spielen, war vor einem Jahr bei A Glezele Vayn. Und jetzt wieder! Bei der Zugabe beweist Danielle obendrein, dass an dem von ihren Vorgängerinnen bemühten „Frauen und Technik“-Klischee nichts dran ist; zudem hat mir der Song den Glauben an die Loop-Station wiedergegeben: Ganz erstaunlich, wie die beiden mit absolut präzisem Timing und blindem Verstehen mit mehreren Schleifen parallel hantieren – mehr davon!
In zweierlei Hinsicht hat mir der Abend bestätigt, weshalb ich schreibend vor und nicht musizierend auf der Bühne stehe. Im Falle von Stolz & Co., weil ich vermutlich ebenfalls nicht über deren spieltechnisches Niveau hinauskäme – und das braucht kein Mensch, auch wenn es nicht regelrecht gestört hat. Im Falle von Illute und Danielle, weil man die Bühne denen überlassen sollte, die es können. Lieblingslied des Abends: Die Single-Auskopplung My Music Is A Boat und das Live-Arrangement von You Go, dessen Album-Fassung ihm nicht das Wasser reichen kann. Auch sehr schön: Eine herrlich schwerelose Version von Peter Schillings Synthie-Pop-Klassiker Major Tom (Völlig losgelöst):
Und wieder einmal rettet Illute Leben oder zumindest uns den Abend. Dafür ein großes Dankeschön! Jonathan Kluth hingegen ereilt das selbe Schicksal wie Lùisa: Er wird heute Abend von uns nicht mehr gehört. Vielleicht nächstes Mal!
Während wir den Abend mit dem Pflichtbesuch beim berühmt-berüchtigten Photoautomaten auf der Kastanienallee krönen, gabelt Kopfhörerhund nachts um halb drei noch einen jungen Liebhaber auf – und ist davon auch noch am nächsten Tag vollkommen geschafft.
Pünktlich zum kalendarischen Sommeranfang – Germanophile und andere nordisch angehauchte Gestalten mögen diesen Tag auch als Mittsommerfest oder Sommersonnenwende bezeichnen – findet alljährlich die Fête de la Musique statt. Unter dem Motto „umsonst und draußen“ spielen bereits seit 1995 hunderte Musiker und Bands an diesem Tag auch in Berlin. Klangverführer hat die Gelegenheit genutzt, mit Kopfhörerhund im Schlepptau seiner alten Heimat Charlottenburg einen Besuch abzustatten – und im Café Theater Schalotte einer jungen Künstlerin zuzuhören, die Anfang nächsten Jahres ihr Debütalbum auf unserem kleinen Lieblingslabel Ozella, genauer: bei Ozella Songways, herausbringen wird, wo sie sich mit der handgemachten Musik von Stephan Scheuss oder Mara & David in exquisiter Gesellschaft befindet. Ich nutze die Gelegenheit und schaue bei meiner alten Wohnung vorbei, und ja, es gibt schon einen Stich ins Herz, hinter den vertrauten Fenstern, wo ich lange Jahre sehr glücklich war, fremde Gardinen hängen zu sehen. Weißensee kann nichts dafür, aber es wird nie das sein, was Charlottenburg nach wie vor ist: (m)ein Zuhause.
Viel Zeit, sich diesen Reminiszenzen hinzugeben, bleibt jedoch nicht, denn schließlich sind wir ja hier, um Jeanette Hubert zu treffen. Die ist heute Abend in Begleitung ihrer Schlagzeugerin Catrien Stremme angereist. Stimme im Duo mit Rhythmusinstrument habe ich persönlich schon immer für eine der spannendsten Kombinationen gehalten, die es gibt – man denke hier nur an Acts wie Beady Belle, FrauContrabass oder Beauty & the Bass. Okay, Jeanette Hubert hat auch noch eine Gitarre dabei. Der Spannung tut dies indessen keinen Abbruch.
Und dann geht es auch schon los, denn mehr als einen Barhocker, ihre eingestöpselte Gitarre und ein Mikro benötigt die Sängerin nicht, um startklar
zu sein. Eröffnet wird das gut 30-minütige Set mit dem samtweichen, aber dennoch ausnehmend groovigem Besenschlagzeugsong Honeypie Baby, der sofort für gute Sommerlaune sorgt. Der zweite Song On The Run ist der Titeltrack des kommenden Albums – einen kleinen Eindruck gibt es hier:
Jeanette Hubert kann aber nicht nur leicht und verspielt, sondern auch ungeheuer poetisch. A Ballad For You ist mit feinsinnig-melancholischen Zeilen wie
oder
ein wunderschöner Song! Bei Always Perfect gibt es schon etwas mehr Bass auf der Gitarre, um mit Armoured Glass wieder bei einer bezaubernd ätherischen Ballade anzukommen. Armoured Glass ist ein Stück darüber, dass manche Herzen hinter Panzerglas verborgen sind – und dass das nicht sein müsste. Es ist ein stiller Song, viel zu still für ein Kneipenkonzert, wo es allein von den Geräuschen am Tresen überlagert wird. Wer aber genau hinhört, kann auch hier wieder die zarte Poesie der Jeanette Hubert entdecken: No one can cause you a miracle, heißt es hier.
Auf rätselhafte Weise verhält es sich mit Jeanette Hubert so wie mit dem Norweger Thomas Dybdahl, dessen Songs ich gerade für fairaudio rezensiere: Sie hat zu viel Groove, um Singer/Songwriter zu sein, zu viel Jazz, um Pop zu sein, ist aber auch zu eingänglich, um Jazz zu sein – das ist Musik zwischen den Stühlen, aber auf sehr angenehme Art und Weise. Als hätte man von jedem dieser Genres das Beste genommen und miteinander verquickt. Passend zu diesen Genre-sprengenden Überlegungen kündigt Hubert nun den „Rocksong“ des Abends an, Frame, der mit einem sympathischen Verspieler beginnt. Der Kapodaster klemmt noch auf dem Bund des vorigen Songs … Immer schön, wenn jemand so etwas charmant lösen kann! Kopfhörerhund jedenfalls findet, dass Framed dann doch zu sehr am Bauch kribbelt, und will das Weite suchen. Allerdings hätte sie dann My Favorite Story verpasst, eine zauberhafte Ballade, deren Text von Schlagzeugerin Catrien Stremme stammt:
Nach dem Frühlingslied Warm Gun, dessen Titel eine Anspielung auf die Beatles-Zeile „Love is a warm gun“ ist, verabschieden sich Hubert und Stremme mit dem wieder sehr groovigen See Me.
Im Anschluss an das Konzert habe ich Gelegenheit, die beiden Musikerinnen zu einem kleinen Straßen-Interview abzupassen.
Jeanette Hubert & Catrien Stremme, im Hintergrund das Café Theater Schalotte, im Vordergrund Kopfhörerhund mit reflektierendem Geschirr
Das Klangverführer-5-Minuten-Interview
Klangverführer: Während des ganzes Konzertes hatte ich sehr angenehme musikalische Erinnerungen im Hinterkopf, konnte ihrer aber nicht ganz habhaft werden. Woran erinnern mich Deine Songs, oder, anders gefragt: Was würdest Du sagen, sind Deine größten musikalischen Einflüsse?
Jeanette Hubert: Ich würde sagen, meine größten Einflüsse sind wahrscheinlich … die Beatles, Ani DiFranco … und von ganz früher auch noch Queen. Wobei ich ganz wenig Musik höre.
Immer schon wenig Musik gehört hast oder erst, seitdem Du selbst professionell Musik machst?
Ja, vielleicht, seitdem. Ich höre Musik phasenweise. Also, jetzt gerade vor zwei Jahren hatte ich so eine Feist-Phase, da habe ich alle Feist-Alben hoch und runter gehört. Und die Ani Di Franco-Phase gab es so vor fünf Jahren. Ich finde sie immer noch toll – es gibt auch sehr viele tolle Musiker und Bands, so ist es ja nicht. Es ist wahrscheinlich eher so eine Zeitsache und dass man selber Musik macht … dadurch hört man eben weniger.
Wo Du in bester Gesellschaft bist mit Sting – der soll auch mal gesagt haben, dass er keine Musik mehr hört, seitdem er professioneller Musiker ist!
Aber im Prinzip beeinflusst einen ja alles und jeder, nicht nur Musik!
Die Beatles und Queen – das ist ungewöhnlich für jemanden in Deinem Alter. Hat das was mit Deiner Kindheit zu tun, haben Deine Eltern diese Musik gehört?
Nein, eigentlich nicht. Also, meine Mutter hat viel Queen gehört, aber sonst eigentlich nicht.
Wenn Du mal nicht in Einflüssen, sondern in Genres denken müsstest – wie würdest Du Deine Musik am ehesten beschreiben?
Also, ich sage immer, der Überbegriff ist Pop. Singer/Songwriter, Akustik-Pop. Und dann gibt es irgendwie Jazz-Einflüsse … Aber wenn ich das Jazzern gegenüber erwähne, sagen die: „Kein Stück!“ Und andersrum, wenn ich Leuten aus der Pop-Szene sage, ich mache Popmusik, sagen die: „Das klingt aber voll jazzig!“ Also, es ist … ich finde es super schwierig.
Sozusagen zwischen den Stühlen …
Ja.
Fühlst Du Dich auch so mit Deiner Musik?
(Lacht) Ja … doch. Naja … manchmal. Eigentlich … nein.
Mit poppigem Singersongwriterjazz bist Du bei Ozella Songways, wo Dein Album erscheinen wird, ja goldrichtig. Wie ist es denn zu der Zusammenarbeit mit Ozella gekommen, beziehungsweise: Weshalb hast Du Dir gerade Ozella als Label für Dein Debüt ausgesucht?
Das ist totaler Zufall! Ich habe ungefähr zwanzig Labels angeschrieben, auch größere. Ganz viele haben geantwortet, dass sie entweder gerade nicht auf der Suche sind, ganz viele wollen nur deutsch-sprachige Musik machen … Jedenfalls habe ich fast nur Ablehnungen erhalten, bis auf zwei oder drei. Aber dann … Catrien hat ein Schlagzeugbuch veröffentlicht und ist deswegen zur Frankfurter Musikmesse gefahren. Ich bin als Begleitung mitgefahren, nicht in meiner Eigenschaft als Sängerin, sondern einfach, um mal zu gucken – ich war da noch nie! Ich habe ein paar CDs eingesteckt, einfach so. Denn bei der Messe geht es ja um Musikinstrumente, Noten und so weiter, eigentlich sind da ja keine Labels. Es war dann aber doch ein Label da, nämlich Ozella, das sich dort im Rahmen eines Labelverbundes an einem Stand präsentierte. Ja, und dann habe ich dem Dagobert (Böhm, Gründer und Inhaber von Ozella Music, Anmerkung der Autorin) ’ne CD in die Hand gedrückt, und ich glaube, schon einen oder zwei Tage später hat er sich gemeldet – und fand das gut.
Und Dir sozusagen postwendend den Vertrag geschickt …
Sozusagen.
Ihr zwei, habt Ihr schon früher zusammengespielt, oder seid Ihr erst für dieses Projekt zusammengekommen?
Nö, wir spielen schon lange zusammen. Warte mal … seit 2003. Also immer mal wieder, mit Pausen.
Die auf dem Flyer für heute Abend angekündigte Jeanette Hubert Band – ist das ein Duo oder gibt es da noch weitere Musiker?
Oh, es gibt viele tolle Musiker, mit denen wir gerne zusammenspielen … Das hängt leider immer davon ab, wieviel der Veranstalter bereit ist zu zahlen.
Das heißt aber, ihr seid schon der Kern der Band und die Songs, die entstehen zwischen Euch beiden? Es gab in dem Set heute ja ein Stück, wo Catrien den Text beigesteuert hat …
Catrien: Also, eigentlich ist es nur Jeanette.
Jeanette: Catrien schreibt halt Texte. Und manchmal … wenn da gerade so ein Text von ihr auf dem Tisch liegt … und ich kreativ bin … dann verwende ich den.
Catrien, Du schreibst ja nicht nur Texte, sondern hast bei Schott Music sogar ein ganzes Buch veröffentlicht. Ist es ein didaktisches?
Ja, es ist ein Basis-Workshop für Anfänger. Der ist daraus entstanden, dass ich sehr viel unterrichtet habe.
Wie haben Deine Schüler denn auf eine SchlagzeuglehrerIN reagiert? Ich finde es ja immer toll – weil leider immer noch sehr selten -, wenn ein Mädchen ein Rhythmusinstrument spielt. Hast oder hattest Du da auch mit Vorurteilen zu kämpfen?
Catrien: Ja, klar, die Vorurteile gibt’s. Die kann das ja gar nicht so richtig können, denken viele Leute immer noch.
Jeanette: Jetzt haben wir aber auch eine Frage an Dich. Das war total spontan, dass Du hierher gekommen bist um uns zu sehen, oder?
Ja, das stimmt. Ich war eine Weile krank und hänge entsprechend mit meinen Rezensionen hinterher. Eine der CDs, die ich gerade rezensiere, kommt von Ozella. Da habe ich heute den Dagobert angerufen, ob es einen aktuellen Aufhänger für meine Rezension gibt. Und er meinte, er wäre heute beinahe in Berlin gewesen, weil da die junge Sängerin, von der er mir bei seinem letzten Besuch erzählt hatte, spielen würde. Ob ich da nicht hingehen wolle? Ich habe gemeint, dass ich eigentlich keine Zeit hätte. Dann habe ich aber doch mal auf die Seite vom Café Theater Schalotte geschaut und bin von dort auf Deine Homepage geleitet worden. Ich habe mir die Demos angehört und fand das interessant. Jedenfalls habe ich noch einmal Dagobert angerufen und gesagt, ich hätte es mir überlegt – ich würde Euch doch gern spielen hören. Und es hat sich definitiv gelohnt!
„Heute habe ich Geburtstag, und deshalb darf ich mal wieder selbst zu Wort kommen. Ich werde dreizehn Jahre alt. Vermutlich bin ich schon ein paar Wochen oder sogar Monate älter, so genau weiß das niemand. Aber irgendeinen Geburtstag musste man doch festsetzen! Das Tierheim, woher ich komme, hat mich auf Juni ’98 geschätzt. Na, und da direkt am 1. Juni nicht nur Weltkindertag ist (und bekanntlich haben andere Hunde Frauchen, während ich eine Mama habe!), sondern auch der Vater meiner Menschin und mein goßes Idol Marilyn Monroe Geburtstag haben, haben wir uns für dieses Datum entschieden.
Sind wir nicht alle ein bisschen Marilyn?
Jedenfalls möchte ich mein Motto für das kommende Jahr mit Euch allen teilen:
In diesem Sinne: Euer Kopfhörerhund
P.S.: Beinahe hätte mir ja Stephan Scheuss im Schlot ein Geburtstagsständchen gesungen. Ich stand schon auf der Gästeliste, echt wahr! Leider musste er seine Berlin-Termine absagen. Na, gehe ich eben zu meinem Menschenopa in den Garten feiern. Immerhin hat der mir einen gaaaanz tollen Gutschein über eine Hundemassage geschenkt, zusammen mit der Menschenoma. Außerdem kann ich in dem Garten immer so schön Löcher buddeln und heimlich ein bisschen von dem Blaukorn fressen …“
Der vergangene Sonnabend war bis jetzt *der* Konzerttag des Jahres:
Da rockten mal wieder die Cosmonautix das Haus 13 im Pfefferberg,
Ben L’Oncle Soul gab sich im Postbahnhof die Ehre und die norwegische Sängerin Susanne Sundfør spielte in einem meiner Lieblingsclubs – dem Frannz. Und was habe ich an diesem wunderschönen 7. Mai gemacht? Renitente Hundetiere gehütet. Nein, Kopfhörerhund ist selbstverständlich kein renitentes Hundetier. Was unseren Gast, einen doppelten Jagdhund – doppelt in dem Sinne, dass er ein Mix aus Weimaraner und Deutsch Kurzhaar ist – angeht, hüllen wir uns in vornehmes Schweigen. Trotzdem mag ich den Stinker irgendwie. Und Susanne Sundførs Musik konnte ich bereits bei einem kleinen, aber sehr feinen Akustik-Showcase im letzten Monat kennenlernen. An jenem Sonntag stand mir die junge Künstlerin außerdem Rede und Antwort im Klangverführer-Interview.
Das Getier hat sich schon mal hingelegt …
Als sie mir so gegenübersitzt, merke ich: Sie ist wirklich noch sehr jung. Es gibt ja Medienprofis, die lassen gar keine Gesprächspause aufkommen. Die wissen, wie sie von einer Frage geschickt auf jene Themen überleiten, die ihnen wichtig sind. Susanne Aartun Sundfør beantwortet nach intensivem Nachdenken mit leiser Stimme genau die Fragen, die man ihr gestellt hat. Nicht weniger, aber auch keine Silbe mehr. Fast kleinmädchenhaft schüchtern wirkt sie; zur moralischen Unterstützung hat sie sich einen (ihren?) Freund mitgebracht. Nein, ins Plaudern gerät man mit Susanne Sundfør ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil: Noch nie war ich so schnell mit einem Interview fertig. Und habe trotzdem alles erfahren, was ich wollte. Und das eine oder andere überraschende Detail, wie beispielsweise Sundførs Vorliebe für Dubstep, konnte ich ihr dann doch noch entlocken. Nicht zuletzt weiß ich jetzt endlich, wie man den norwegischen NuJazzer Bugge Wesseltoft ausspricht …
The singer who is not the “Norwegian Björk” on her yen for vintage music, the ugliest parts of humanity and Wikipedia
Klangverführer: The Brothel is your first album which will be released outside of Scandinavia. How do you feel about this?
Susanne Sundfør: Very excited. In May we’re going on tour with Thomas Dybdahl, we’re supporting him in Germany and France, so that’ll be my first tour outside Norway – so everything is very… like, open … and exciting!
So what kind of expectations do you have?
I don’t know! I try to be just very open about it and not really expect that much! But of course I hope that I get to play a lot in Germany and in the rest of Europe.
Germany is planned from the 6th to the 11th of May. Which other countries will you play in?
Well, I think Grönland [editor’s note: Sundfør’s record label] has a … I think they have a licence deal with France, Spain and Portugal, and then look. So I think the album will be released in all these countries at once … or at the same time as in Germany …
20th of May, I think …
I actually don’t know! I’m supposed to know this …
Der Whiskey Room im Hotel Michelberger. Coole Location …
Well, music from Norway, especially Jazz, has reached enormous popularity and became a major force in the so-called Nu Jazz. Especially the combination of sweet melodies with electronic sounds seems to be characteristic for modern Jazz sounds coming from Norway – just thinking of artists like Bugge Wesseltoft. Do you regard yourself as a part of the contemporary Norwegian Jazz scene?
No, not really. I don’t really do Jazz music. I consider myself as a pop musician, but on this album I worked with a Jazz musician, with Lars Horntveth. He is known for his work for Jaga Jazzist. So I guess a lot of Jazz elements on the album are from him. But I don’t really consider myself part of that movement.
Even though you are not part of this fast-selling label – your album seems to have the same success like Norwegian NuJazz. Do you have any explanation for this?
In Norway? It’s really gone very well in Norway. I don’t really know why. To me it’s very surprising because I thought when we recorded the album I wouldn’t get that much airplay … that they wouldn’t play the music on the radio and that it would be an album that people wouldn’t really notice. But for some reason they did – which is extremely flattering nice, but I don’t really know why. It’s very nice.
One of your compatriot musicians used to say that there must be something in the water …
Oh, okay, I’m gonna say that next time!
Well, alright. When I listen to your album I sense you display a great variety of styles, there is Jazz, there are a capella choirs, there are Electronica, pop beats and even chamber music arrangements. How would you describe the style of your music?
I would say it’s Pop and Electronica, in a way. But on this album, there are very many different elements. But generally – like, with the melodies and the way I sing the melodies and how many of the songs are arranged – like, the core of the album is very pop-ish, if you ask me. Even though there are other elements I would definitely say that it is a pop album with … like, a more edgy pop album. I would say that, yeah.
To me, your album seems to go deeper than a conventional pop record …
Yeah, well, I guess, maybe not lyrically it’s typically pop. You know, the themes aren’t really common in pop music. But I think melodically it’s definitely a pop album.
I understand. You know, critics like to classify everything; they like to pigeonhole music and artists into categories. Unsurprisingly, some of them tend to call you the “Norwegian Björk”.
Oh, really?
Yeah, really. Your German promoter said he’s gonna beat me up if I wrote anything like this …
Oh, cool …
… so I will definitely not refer to you as the „Norwegian Björk“. However, on the English-speaking Wikipedia I have read that you count Beyoncé as one of your biggest influences. In what way did the American R&B singer influence your music?
Well I think maybe that was … like, an interview a long time ago: They asked me what kind of music I like and I said a lot of different music and then I said Beyoncé, because I do think she’s really cool and I really like her music, but I wouldn’t say that my music is … like, very inspired by her music. But I think she’s really cool. But that Wikipedia page is not very accurate in many ways, but I mean I can’t do anything about that but go onto the page and write stuff … but I don’t really agree with much on that page.
So, what would you say: What are your main influences? Are there any artists that have influenced your music at all?
Yeah, absolutely! I guess Radiohead has been very important, and just before I started recording the album I listened a lot to Burial which I really like, and on my fist album – the album before The Brothel – I listened a lot to Carly Simon. Her way of writing melodies and harmonies has really inspired me. So I guess Carly Simon and Radiohead would perhaps be the most important influences on this album.
Well, like you’ve just mentioned, the lyrics on The Brothel are not very common for a pop album. Your lyrics often seem to deal with the dark side of humanity: There is the story about the brothel, of course, but we also have the biblical myth of Lilith, you sing about the black widow spider, about a dark knight and so on. What fascinates you about this topic?
Well, I guess when I started writing the lyrics and tried to figure out what would be the themes and where the focus would be, I found that it was really fascinating to try and write about what is considered to be like ugly or taboo in society and try to make it beautiful, in a way. So I tried to use images that deal with no so pretty things and try to make them pretty anyway. I guess that’s what fascinates me about “dark” things or, you know, the brothel and everything: that it’s a place that is considered as very wrong, everything is wrong and – how do I say it? – like … yeah, “taboo”, I guess. And then try to write about it in a beautiful way. I guess that’s what I tried to do!
Just to gain more social acceptance for these “wrong” places?
No, no – not in that way! It’s not a political album at all. More like trying to find the ugliest parts of humanity and then try to describe them in a beautiful way. Because I like the battle between in a way, those two worlds, if you know what I mean … It’s a bit difficult to explain.
Well, I guess I know what you mean. On your official website I have read that this record marked a turning point in your career and that you have already now decided to dedicate yourself fully to music. You had not been sure until then if you didn’t want to have a “normal” job rather. Which would you have done if you hadn’t become a fulltime musician?
I think I would have probably become a teacher and I would have probably studied a language because I think that’s very interesting. Or maybe I would have become … somebody who gives singing lessons, something like that. I don’t really know. I don’t … It’s a bit scary to think about it because you never know if the next album will be popular or not and then suddenly you’re standing there with no money and then you have to find yourself a work! So, I try not to think too much about that and just focus on being positive and just hope that what I do right now is something I can do for a long time!
You said you have thought about being a teacher – is teaching an aspect of your artistic work?
No. No, not really. But I guess if I couldn’t be a musician that would probably be the profession I would go into.
I see. Two last questions. What can we expect from tonight’s’ show case?
Well, usually I play with my band, and tonight it’s just gonna be me and the piano, or: I’m gonna play the piano. And I think I’m gonna play about 30 minutes, so I will probably play … Well, I haven’t made the set list yet, but I think I’m gonna play a lot from The Brothel and maybe some new stuff.
Will there be any electronic devices, too, or are you trying to substitute the whole band by the piano?
Well, the thing is, when I write the music or when I make the songs, I usually start with just the piano and singing. So I guess I won’t try to put all the elements into the piano. It’ll be just more like a simple presentation of the album.
So we can more or less expect the songs in their demo version?
Yeah, pretty much.
Great! Well, is there anything left you would like to let the German audience know? About you, about your music, about your new album, whatever?
Oh, it is so difficult to answer that question! I don’t know.
Well, maybe “Wikipedia” is the catchword here: You said you don’t really agree with some information on the page. What would you like to correct?
Well, it says that I have a background in Jazz and classical music, which isn’t really … it’s not accurate at all. I used to take singing lessons in opera, so I guess the classical part is correct but I never really had a Jazz background.
So when did you start with your voice lessons?
When I was twelve; and I quit when I finished high school and moved away from my home town. So I guess that’s really been an important part of shaping the way I sing and everything. And also I took piano lessons in classical piano. I guess I started just practising in classical music and then I started writing my own music and tried to combine … like, pop and classics, perhaps.
Influenced also by your father’s cassette tapes, perhaps?
Yeah, when I was a little girl he used to make me mixtapes with artists like Cat Stevens and John Lennon, the Beatles and a-ha … I don’t remember any more, right now, but there were a lot of singer/songwriters, so when I started making music I wanted to write it in that style, so my first album is very influenced by those artists. And then, after that, I started to listen to more contemporary music, and that music inspired me to this record.
What kind of music are you listening to in private at the moment?
I listen a lot to Dub Step. Yesterday I tried to find out where dubstep comes from and had this little tutorial with myself. I found the dub genre, so I think that’s a genre I still wanna check out! And also I listen to … I always like to listen to Knut Nystedt. He is a contemporary composer from Norway. I think maybe he’s dead now [editor’s note: Born 1915, Mr Nystedt still enjoys good health], but he wrote some fantastic choral music. Yeah, that’s what I listen to right now.
Isn’t dubstep rooted somewhere in Reggae or Ragga?
Yeah, because dub comes from Reggae. And also Drum and Bass.
Oh, I like Drum&Bass very much!
Yeah, really?
Yeah, I listen to it a lot. Well, slowly we’re running out of time and I still would like to take some pictures of you fpr my blog, if you don’t mind. So thank you very much for the interview!
Thank you!
Die Stücke Sundførs, die auf der Platte noch am ehesten wie eine Mischung aus Soap & Skin und Agnes Obel klingen, erinnern in der Akustikversion fast schon an John Dowlands elisabethanische Strophenlieder. Und spätestens bei Turkish Delight verliert sich alles jungmädchenhaft Zarte in der Stimme der 25-Jährigen. Die letzten beiden Songs ihres traumschönen Akustik-Sets in der Lounge des Michelberger Hotels können Sie hier sehen: Einmal einen neuen Song und einmal das meiner Meinung nach schönste Lied aus The Brothel – den titelgebenden Song.
The Brothel erscheint in Deutschland am 20. Mai bei Grönland/rough trade. Außerdem wird es die „Platte des Monats“ der nächsten Victoriah’s Music auf fairaudio.de
Nachdem mich das Trio Ohrenschmalz im Februar bei der Premiere seines Programms Zuviel Appeal nahezu restlos begeistert hatte, wollte ich mir an diesem 29. April die Gelegenheit nicht entgehen lassen, seinem erneuten Heimspiel im Rixdorfer Saalbau, der seit 2009 vom Heimathafen Neukölln betrieben wird, beizuwohnen. Der wunderschöne historische Ballsaal, in dem „die Musike“ seit eh und je, genauer: seit 1899, spielt, ist – wie vor Wochen der Admiralspalast – überausverkauft, sogar die Ränge müssen geöffnet werden, um dem Besucheransturm adäquat zu begegnen.
Natürlich kann sich Stefan Haberfeld, der wieder den Conferencier gibt, einen einleitenden Scherz zum Tagesthema, der königlichen Hochzeit, nicht verkneifen. Das Flugzeug aus London habe Verspätung gehabt – dort sei er auf „der Hochzeit des Enkels einer Freundin“ gewesen. Eine charmante Erklärung für den leicht verspäteten Beginn der Show, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass diese ausgesucht schöne Spielstätte auch einen Nachteil hat: die nicht ganz so ausgesucht schöne Akustik.
Uns so will auch, im Gegensatz zur Premiere, wo ich den ersten Teil des Abends als vergnüglicher erlebte als den zweiten, der Funke zunächst nicht so recht überspringen. Das mag, wie gesagt, größtenteils am Ton liegen. Denn daran, dass ich die Pointen schon kenne, liegt es nicht. Ich habe statt des zurzeit irgendwo im digitalen Orbit verschollenen Bassplayermans diesmal zwei ebenso unvoreingenommene wie aufmerksame Hörer als Co-Kritiker dabei, die das Programm noch nicht kennen – und sie teilten meinen Eindruck.
Dafür entdecke ich neue Nuancen am Programm. Letztes Mal ist mir das Schröder-Beckmann-Stück Man müsste Klavier spielen können (1940) nicht weiter in Erinnerung geblieben; diesmal spielt das Trio Ohrenschmalz toll heraus, dass damals das Klavier jene Funktion hatte, die heute der Gitarre zukommt: Wer sie sich um den Hals hängt, dem laufen die Mädchen hinterher! Gut, um den Hals konnte man sich das Klavier wohl eher nicht hängen …
Der zweite Teil dann ist im Gegensatz zum ersten ein wahrer Quantensprung. Der Ton hat sich erholt, und das Publikum ist jetzt auch voll dabei, es lacht und leidet mit Hassemer, Haberfeld und Feckl. Schon vom ersten Lied des zweitens Teils an möchte man dem Abend die Facebook-Applikation „Daumen hoch: gefällt mir“ überstülpen: Ich mag diesen Curryhuhn/würd ich tun/Blockflötenquartett mit satten Bässen/kannste vergessen-Song einfach!
Genial auch immer wieder, wie der Sänger seinen Nebenbuhler in Für A. vorsätzlich ins Verderben rennen lässt, und danach genüsslich-süffisant einen tobenden Charleston intoniert: Liebe hat nicht nur eine Schokoladenseite/sie hat auch eine Eskapadenseite, und die ist aus Eis. Jedesmal bin ich aufs Neue erstaunt, dass dieser Song kein lang verschollenes Original aus den Zwanzigern oder Dreißigern ist, sondern eine Neukomposition von Stefan Haberfeld. Das Lied klingt original wie ein gut achtzig Jahre alter Gassenhauer; und es ist definitiv das Stück mit dem größten Ohrwurmpotenzial des Abends. Meine Begleiter und ich jedenfalls sangen den Heimweg lauthals: Ja, die Liebe! Hat nicht nur eine Schokoladenseite …
Habe ich bei der Premierenrezension noch bemängelt, dass der zweite Teil von Zuviel Appeal eigentlich nur eine vertonte Große-Jungs-Phantasie ist – jeder der beiden Männer darf einen Bühnentod sterben, der eine am Giftcocktail, der andere durch die Duell-Kugel -, reißt mich diesmal genau dieser Teil zu Begeisterungsstürmen hin. Auch habe ich das Gefühl, dass Angelika Feckl heute weitaus präsenter ist als bei der Premiere. Sehr schön, das! Ich glaube, ich hab’s schon mal geschrieben, aber ich muss mich hier einfach wiederholen: Noch nie habe ich so eine weibliche Geige gehört, die zicken kann, schmollen und schmoren lassen, wie in Lauter Lügen. Übrigens der einzige Song, den ich auf der CD wirklich vermisse.
Der absolute Höhepunkt des Abends aber ist diesmal das Hollaender’sche Stroganoff. Nicht nur wegen des Showeffekts um den von den Toten wiederauferstandenen Pianisten, der seinen Sänger selbst im Liegen, die Tasten gerade so erreichend, beeindruckend begleiten kann. Ich habe in der Zeit seit der Premiere den Text vom Stroganoff nachgelesen; aber selbst wenn einem bei der Live-Darbietung einige textliche Feinheiten entgehen, ist die Nummer der Brüller im Publikum. Beziehungsweise, das Publikum brüllt. Vor Vergnügen. Es klatscht, trampelt, johlt und schreit.
Schaffen die drei es doch immer wieder, dass ihre Zuschauer nach der Show völlig aufgelöst und zerzaust sind. Es sind keine Standing Ovations, aber es sind lange und laute Ovationen, mit denen dem Trio ganze drei Zugaben, darunter auch Arm aber sexy, abgetrotzt werden. Auch diesmal gibt man sich „gerührt, aber vorbereitet“. Natürlich sind die drei Routiniers. Aber Routiniers mit ungebrochener Spielfreude. Wehalb man Zuviel Appeal auch ruhig ein zweites Mal sehen kann. Oder ein drittes … Trio Ohrenschmalz hat den Heimathafen nach allen Regeln der Kunst gerockt, das Publikum liegt ihm zu Füßen und es ist dann doch wieder eine rauschende Nacht geworden.
Nach der Show habe ich die Gelegenheit, Stefan Haberfeld kurz abzupassen. „Die Leute“, beginne ich, „lieben euch. Am liebsten würden sie euch gar nicht mehr gehen lassen – ist das in allen Städten so oder ist Berlin etwas Besonderes?“ Natürlich sei Berlin schon etwas ganz Besonderes, denn schließlich würde die Zwanzigerjahremusik an keinen anderen Ort so gut passen wie an ihre historische Heimat, dennoch wäre das Programm auch in anderen Städten sehr gut angekommen. Auch dort seien die Menschen begeistert gewesen. „Wie fühlt sich das an?“ Natürlich sei es ein großartiges Gefühl, vor allem aber mache es unglaublichen Spaß, verrät Haberfeld. Schließlich sei Zuviel Appeal das erste Mal, dass ein Programm des Trios in eine Rahmenhandlung eingewoben sei. Das sei einerseits schwierig gewesen, da man sich neben der Musik noch auf die Requisiten, kurz: die Rolle, konzentrieren müsse, andererseits helfe einem die Rolle auch. „Nun bildet Eure CD das Programm ja nicht eins zu eins ab – wie sind die Reaktionen darauf?“ Zwiespältig seien sie. Zum einen seien die Menschen enttäuscht, dass auf der Zuviel Appeal-CD nicht das Programm zu hören sei, andererseits merken sie schnell, dass das ja auch gar nicht funktionieren würde. Zuviel Appeal müsse man eben sehen, das Programm lebt nicht nur von der Musik, sondern auch vom Bühnengeschehen. Für mich das perfekte Stiichwort: „Ihr habt mit Die Musik im Tonfilm schon eine DVD gemacht. Plant Ihr, auch Zuviel Appeal als DVD herauszubringen?“ Leider habe man sich als junge Künstler im Moment mit der Produktion der CD finanziell verausgabt, sodass an eine DVD gar nicht zu denken sei. Zudem suche man zunächst einen Vertrieb für die CD, die es im Moment entweder bei den Konzerten oder im Bauchladen des Trios zu kaufen gibt.
Also, liebe Vertriebler, schlagt zu! Soviel Appeal auf einmal werdet Ihr so schnell nicht wieder bekommen! Und Sie, liebe Leser, gehen in die Zuviel Appeal-Show – in einem anderen Medium bekommen Sie sie nicht. Und weshalb nicht den Besuch beim Trio Ohrenschmalz mit einem Hamburg-Wochenende verbinden? Da nämlich wird sich das Trio am 22. Mai im Café Keese unter dem Motto Ohrenschmalz und Schnauze den Abend mit Kabarettist und Schauspieler Wolfgang Bahro teilen.
Heute ist Frauentag. Um ganz genau zu sein: der 100. Weltfrauentag. Was ist da angemessener, als eine ganz besondere Frau zu würdigen, deren Stimme mich in den letzten Wochen begleitet hat: Jazz-Sängerin Alexa Rodrian.
Ich habe keine Ahnung, was mich an Rodrians Stimme so flasht. Es gibt eine Theorie, die behauptet, wir empfänden jene Musik als besonders angenehm, deren Rhythmus exakt unserem Herzschlag gleicht. Vielleicht ist es mit Stimmen genauso. Wir empfinden jene als besonders ansprechend, die unserem eigenen Stimmspektrum entsprechen. Beim (ebenso automatischen wie unbewussten) innerlichen Mitsingen verkrampft sich unsere Kehle nicht. Das wäre allerdings schade, denn dann wäre meine Begeisterung für die Rodrian eine rein private und ich könnte sie nicht mit Ihnen teilen. Nehmen wir also besser an, Alexa Rodrian hat etwas nicht näher Definierbares in ihrer Stimme, das jedem ihrer Hörer das Gefühl gibt, sie würde direkt zu ihm sprechen, ihn ganz persönlich meinen: Strummin‘ my pain with her fingers, singing my life with her words! Ob das nun eine Fähigkeit ist, die jeden guten Sänger auszeichnet – ähnlich wie der Blick des Profis ins Publikum, bei dem sich jeder Einzelne gemeint fühlt – oder es tatsächlich an etwas in mir selbst liegt, das mich so empfänglich macht für Alexa Rodrians Stimme – ich weiß es nicht. Fakt ist: Ich habe eine Liebesbeziehung zu dieser Stimme. Und die möchte ich heute mit Ihnen teilen.
Teil 1: Live im b-flat
Noch bevor ich ihren Namen kannte, ganz zu schweigen von ihrem künstlerischen Werk, lernte ich Alexa Rodrians Stimme kennen. Das war, als ich bei der Vorbereitung auf ein Konzert von trondheym auf deren CD Stay Tuned stieß und dort am Song Little House hängen blieb. Beiläufig erwähne ich meinen Höreindruck in der Konzertvorschau („Little House ist nicht nur eine fast klassische Jazznummer, sondern auch der absolute Höhepunkt des Albums, veredelt vom Scheiß-egal-Mezzo Alexa Rodrians – großartig! Die bringt gedanklich mal ganz lässig ihre Rivalin um die Ecke. Genial die Zeilen
I want my shoes back/I want them back in red/I want my shoes back/In red I want them back//I want my shoes back/I want them back in red/I want that neighbor’s wife/with a knife in her back.„), und promt flatterte mir eine Mail ins Postfach mit dem Betreff: „Der Scheiß-Egal-Mezzo wollte …“. Auweia, dachte ich, den Kopf abreißen wollte er mir wohl, wenn ich noch einmal so über ihn schriebe. Wer die Nachbarin so nonchalant meuchelt, der verspeist Musikkritiker doch noch vor dem zweiten Frühstück. Aber nix. Bedanken wollte er sich. So entstand ein netter E-Mailverkehr, der in einer Doppelverabredung gipfelte: Am 7. März sollte ich Alexa Rodrian live im b-flat erleben, und am 8. wollte sie mir in ihrer Friedenauer Wohnung Rede und Antwort stehen.
Und so sitzen bzw. liegen Kopfhörerhund und ich im b-flat und warten darauf, dass die Shared Night, zu der Rodrian geladen hatte, beginnt. Sympathischer Laden. Kopfhörerhund, der auf dem Weg hierher irgendeinen herumliegenden Wurstrest aufgelesen hat, bekommt ungefragt Wasser angeboten. Das am nicht-touristischen Ende der Rosenthaler Straße gelegene b-flat ist kein erweitertes Wohnzimmer wie das Zimmer 16 oder Sepp Maiers 2raumwohnung, vielmehr atmet es Jazz und Eleganz aus jeder Pore – dennoch lässt es sich hier vortrefflich und ungezwungen abhängen. Lange war ich nicht mehr hier. Das letzte Mal, wenn ich mich recht erinnere, habe ich hier Frau Kontrabass gesehen. Damals gab es noch nicht einmal den Klangblog. Und Kopfhörerhund war auch erst seit einem guten halben Jahr bei mir. Nichtsdestotrotz ist diese Ecke für mich persönlich seit jeher Synonym für gute Musik – schließlich hatte ich im Hof des alten b-flat vor fünfzehn Jahren durch einen DJ, der Isaak Hayes‘ Do Your Thing auflegte und mir dadurch die Welt des 60ies Funk-Soul eröffnete, ein musikalisches Schlüsselerlebnis; und nicht zuletzt bekam ich eine Straße weiter den ersten Gesangsunterricht meines Lebens, der diesen Namen auch verdiente. Rosenthaler Höhe am Weinberg = Jazz.
Fast eine Stunde nach angekündigtem Beginn kommt die Alexa Rodrian Band dann auf die Bühne. Besetzung heute: Frontfrau Alexa, ihr Mann Jens Fischer Rodrian an der Gitarre sowie Marco Bruckdorfer an den Geräuschen – hat sich der Percussionist heute doch für einen „Beatcase“ genannten Kofferbauchladen voller Geschnassel entschieden, sei es Plastiktüte oder Haribodose, die er da spielt. Als Alexa beginnt zu singen, denke ich, ah, diese Stimme gibt es tatsächlich auch in live. Ansonsten bin ich von dem Sound aber erst einmal irritiert – er ist knochentrocken ohne das kleinste bisschen Hall, und viele der filigranen Geräusche werden von den Wänden des b-flat einfach geschluckt. Die dritte Nummer ist gleichzeitig der erste Song, den ich vom Album All done and dusted kenne, welches er mit der a capella-Zeile Now she’s lying naked on the floor zeichensetzend eröffnet. In der Besetzung des heutigen Abends wird er noch weniger ein- und zugänglich. Erst ab dem sechsten Stück bin ich wieder geflasht. Ab jetzt wird der Abend cool: People besticht mit einer Hook, die im Ohr bleibt und einem gedämpften Trompetensolo ganz ohne gedämpfte Trompete, denn Instrumente imitieren kann Alexa Rodrian auch. Ihr Gatte spielt bei diesem Song erstmals erfolgreich an der Loopstation herum, der Sound wird voller und erreicht auch das Publikum. Auf der Bühne sei er nämlich die ganze Zeit über gut gewesen, erfahre ich später. Der siebte Song ist Eleanor Rigby, der mittlerweile wohl fast schon als Erkennungssong Rodrians dienen kann. Schließlich gab es hierfür begeisterte Kritiken. Heute Abend kommt er mit fast schon orientalisch anmutender Einlage und Handysolo daher. Es gibt immer noch Menschen, die ihre diversen elektronischen Gerätschaften vor einem Konzertbesuch nicht ausschalten. Vielleicht sollte man Handygarderoben am Eingang einführen. Das achte und letzte Lied der Alexa Rodrian Band für den Abend ist A Little Too Much, das sehr in Richtung des Fisher’s Song auf dem Album geht. Eine ganz persönliche und dennoch herrlich unkitschige Nummer.
Gerhard Schmitt entert mit seinen Schmittkeliedern und einer Besetzung, die ich mir für Alexa Rodrian gewünscht hätte (Es ist kein Geheimnis, dass ich bekennender Bassisten-Fan bin. Ein Bass bei Rodrian wäre schön gewesen.), die Bühne und zeigt seine Liedermacherseite mit Lagerfeuercharme. Für diejenigen, die ihn bisher nur vom trondheym’schen Elektro-Jazz kannten, erst einmal eine Überraschung. Die Bassklarinette gibt es zwar auch hier, diesmal grandios gespielt von Nik Leistle, und ihr Sound kribbelt das Kopfhörerhundetier auch hier zuverlässig am Bauch. Ansonsten aber haben die Lieder des formidablen Nicht-Sängers weder mit Jazz noch mit Electro etwas am Hut. Heute Abend gibt es vielmehr eine lustige Mischung aus Chanson Nouvelle, Liedermacher, Schlager und Kreuzfahrtschiffunter-haltungsdings zu hören, mit Texten à la „All die Begehrlichkeiten/Wimpern-tusche, Futterneid/Und wir sind mittendrin“. Schmittkes Stimme, die bei trondheym nur selten zum Einsatz kam, hier aber den Abend dominiert, erinnert mich ganz von ferne an Keimzeits Norbert Leisegang, und besonders der Titel Weise alte Dame könnte von seiner ganzen Attitüde her ohne Schwierigkeiten aus dem 1989er-Album Irrenhaus der Wenderocker entstammen. Schmittke fürchtet sich nicht vor „Die Liebe brennt mit rotem Feuer“-Kitsch, wird aber auch schlagartig mal „und wo wir uns am Ufer wälzten – wächst schon wieder Gras“-unglaublich poetisch. Sehr sehr lustig der Song für mich: „Für dich hab‘ ich genug gedichtet/hab‘ Phrasen vor dir aufgeschichtet/bis du nicht mehr zu sehen warst“ – wenn das mal nicht großartig ist! Ich weiß nicht, wie man das nennt, was Schmittke da treibt, aber es ist schon verdammt cooles Zeug. Und gerade bei der letzten Nummer (Verlieb dich) merkt man wieder, dass er ein ungeheuerliches Talent zum Groove hat. Vermutlich würde ich die Schmittkelieder im Gegensatz zu den trondheym-Songs nicht im heimischen Wohnzimmer hören wollen. Live aber sind sie ein Erlebnis.
Und dann, als ich gerade schon gehen wollte, gibt es noch einen Überraschungsgast. Ian Fisher heißt das schmächtige Männlein auf der Bühne. Optisch traut man dem die Klänge nicht zu, die er produziert. Das Loch in seiner Gitarre – und ich meine jetzt nicht das Klangloch – kündet allerdings schon davon, was noch kommen soll. Kopfhörerhund mag den extrem stahlsaitigen Klang nicht. Und auch ich muss erst einmal mit Fisher warm werden. Aber hey, verdammt, der ist gut! Macht da seinen Singersongwriterfolkrock, der einem trotz der höchst weltlichen Themen das Gefühl verleiht, recht eigentlich zutiefst religiöser Musik zu lauschen. Bei Ian Fisher schwingt unterschwellig immer ein an ihm verloren gegangener Kantor mit. Schließlich reißt ihm bei einer seiner musikalischen Gewaltorgien eine Saite, und der Abend ist beendet.
Teil 2: Dienstagsbrunch
Wenn man die Fischer-Rodrian’sche Wohnung im Süden Berlins betritt und dann auch noch eine der Töchter kennen lernt, weiß man: Hier leben Menschen, die etwas richtig gemacht haben. Das ist schön weil selten. Als wir ankommen, ist noch eine Filmemacherin da – die Rodrians bringen an ihrem Tisch gern Menschen zusammen. Und das funktioniert. Kopfhörerhund wird – „Oh mein Gott, ist die süß!“ – ausgiebig beschmust, ich selbst mit Antipasti friedlich gefüttert. Und dann kann es auch schon losgehen.
Rolldeckchen? Da. Faltnapf? Am Start. Für ausgiebiges Kraulen ist durch die Hausherrin auch gesorgt. Kopfhörerhund fühlt sich in Alexa Rodrians Wohnküche fast wie zu Hause.
Klangverführer: Im Prinzip kann ich mit Dir nur über deine erste CD sprechen, denn die neue ist ja noch nicht erschienen. All done and dusted, ist das eigentlich deine erste CD, kann man das so sagen?
Alexa Rodrian: Nein, das kann man nicht. Es ist die erste, die auf einem Label erschienen ist, bei NRW Records, und die erste, die dann endlich auch Anerkennung gefunden hat in der Presse, das ja …
Du hast eine Zusammenstellungen der Kritiken ja auch online gestellt. Gerade das Eleanor Rigby, zu dem ich mir gestern notiert habe, es sei mittlerweile so etwas wie dein Erkennungssong, hat bei den Kritikern großen Anklang gefunden …
Genau. Witzigerweise hat mir auch die Tochter von Stan Getz auf Myspace hinterlassen: „Wow, what an Eleanor Rigby rendition!“, also ganz süß – ist ja auch spannend, dass die Leute auf so etwas abfahren. Wir hatten davor eine CD gemacht, die hieß Blue Blood – ein sehr aufbauender Titel! – und da hatten wir eben noch kein Label gehabt – und da hat dann auch keiner was geschrieben.
Das heißt, ihr habt die im Eigenvertrieb heraus gebracht?
Genau.
Damals schon zu Internetzeiten, wo man sie selbst vertreiben konnte?
Ja, schon, aber wir haben nichts vertrieben … Wir waren immer faul. Wir haben dann Lou gekriegt – genau so alt ist die CD, zehn Jahre, und das hört man auch. Da ist auch gesanglich nichts, womit ich mich jetzt noch identifizieren kann, aber die Songs sind teilweise sehr schön. Wir sind sogar am überlegen, ob wir jetzt, quasi auf die dritte, noch einmal Songs von der ersten nehmen.
Aber eben so, wie du sie heute interpretieren würdest …
Genau. Ich bin eine ganz andere Sängerin geworden. Ich war damals so viel auf Gesang und Schöngesang und was man mir da alles so eingeredet hatte bedacht – alles ein bisschen theatralisch …
War Blue Blood auch so angelegt wie All done and dusted, als eine Mischung aus Coversongs und selbstgeschriebenen Liedern?
Ja. Das wird aber die nächste nicht mehr. Jetzt habe ich mich ausgecovert.
Nur Selbstgescbhriebenes also auf der Chocolate Chilli …
… Chocolate and Chilli Pepper – wenn’s dabei bleibt. Ich hatte für die All done and dusted auch mehrere Arbeitstitel, und am Schluss … Da war dann das zweite Kind da, und da war dann alles in Butter – „all done and dusted“ heißt im colloquial English ja „alles in Butter“, und dann dachte ich, so, jetzt ist alles in Butter …
… in trockenen Tüchern …
Genau. Ganz genau. Alles war in trockenen Tüchern. Und das Ziel ist jetzt, auf der neuen CD nur Selbstgeschriebenes zu haben. Wir haben sie eigentlich auch schon fast fertig geschrieben, also ich, in dem Fall, habe sie fast fertig geschrieben …
… Das sagtest du ja auch schon am Telefon: Dass du es kaum noch erwarten kannst, ins Studio zu gehen und sie endlich aufzunehmen! Aber noch einmal zurück zu All done and dusted. Ich finde, dass sich die Coversongs hier derart natürlich in die Neukompositionen integrieren, dass man gar nicht das Gefühl hat, dass es sich um Interpretationen handelt. Selbst der Beatles-Klassiker Eleanor Rigby ist mit einem Mal eben kein Beatles-Klassiker mehr, sondern ein Alexa Rodrian-Song. Ich habe das Gefühl, dass Du die Coversongs nach den Geschichten aussuchst, die sie erzählen – danach, ob sie zu den Geschichten passen, die du selber schreibst.
Genau. Der Text Eleanor Rigby von den Beatles ist der Song, der am besten zu meinen Texten passt. Zum Beispiel zum Song No Use. Ich habe ja viele Frauenlieder. Ich schreibe gerne für Überfrauen. No Use war inspiriert von einem Goya-Bild, dann allerdings auch schon verstrickt mit einer Geschichte, die auch persönlich ist, was ich aber nicht an die große Glocke hängen will. Der Titel von No Use kommt eigentlich von abuse. Auf dem Bild ist eine Frau zu sehen, die offensichtlich vergewaltigt wurde im Feld, eines von Goyas Kriegsbildern … Und es heißt bei mir dazu eben „she was born in a different place“, da habe ich angenommen, sie sei vielleicht eine Prostituierte, und dann habe ich mit meinem persönlichen Umbau dieses Lied geschrieben, denn natürlich nenne ich kein Lied „Abuse“. Es war ein wirklich schwerer Text, und auch die Musik wurde sehr schwer, schwermütig, und ich habe zu Jens gesagt, du musst mir das jetzt irgendwie polkaesk hocharrangieren, damit es leichter wird. Und das hat dann ja auch super geklappt! Ursprünglich aber war dieser spezifische Song von den Akkorden her ein Lied, dass ich für Lou nach der Geburt geschrieben hatte. Das war mir dann aber zu persönlich, und dann habe ich die Akkorde genommen und einen neuen Text darüber geschrieben. Ursprünglich ging es um eine Geschichte, wie ich in den Kreißsaal gefahren wurde – ich hatte bei beiden Kindern einen Kaiserschnitt -, und das war auch eine schöne Geschichte, aber die war nichts für die Öffentlichkeit. Die war meine Geschichte.
Nichts, was du auf der CD sehen wolltest …
Genau. Ich wollte dann diese Geschichte, die mit dem Goya-Bild in Verbindung zu setzen ist, die aber auch sehr persönlich jemandem gewidmet ist. Und die Eleanor Rigby ist für mich eine mystische Frau. Ich weiß bis heute nicht, warum und weshalb sie entstanden ist. Ich habe mich auch nicht erkundigt, denn ich habe meine eigenen Gedanken zu ihr. Mich hat das Lied immer bewegt. Die steht da in der Kirche und die repräsentiert was Trauriges für mich. Ich fand sie toll und sagte zu Jens, ich will dazu Drum and Bass, und dann haben wir das Florian einspielen lasen – in einem Zug, da ist nichts geloopt! Das ist einer von den Blaumannschlagzeugern (Anmerkung Klangverführer: Rodrians Mann ist musikalischer Leiter der Blue Man Group), und der hat das so unglaublich gemacht – das ist einfach ein Hit, die Nummer! Der Typ hat ganz kurze, muskulöse Arme, kleine Hände: Hebelwirkung, schnell, drrrrrrt! Ich meine, Marco kann ja auch gut Schlagzeug spielen, aber der ist ja auf den Koffer umgestiegen …
Als ich mir dein Eleanor Rigby angehört habe, musste ich erst einmal das Beatles-Original wieder hervorkramen. Dabei bin ich auf eine Version von Ray Charles gestoßen …
Cool! Und die Esther Kaiser, meine Kollegin hier in Berlin, hat auch eine schöne Eleanor Rigby-Version gemacht, völlig unabhängig von mir, sehr jazzig und sehr schön arrangiert, ganz anders als bei mir!
Ich kenne sie eigentlich als Jazz Poetin …
Aber jetzt singt sie gerade deutsch. Wir haben uns befreundet, und das finde ich sehr schön: Sie ist die erste Sängerin, mit der ich in Berlin in Kontakt kam, und jetzt wohnt sie hier um die Ecke. Durch sie habe ich auch diesen Musikschulenjob in Potsdam gekriegt. Ich habe zu Esther eine gute Beziehung entwickelt, und erst dann habe ich von ihr diese Eleanor Rigby-Version gehört und habe mich sehr daran erfreut! Sie ist ruhiger als meine Version, elegischer aber sehr schön. Ich mag ihren Stimmsound sehr.
Ein Lied, das die Sängerinnen anzieht!
Ja, scheint mir so. Ich glaube, dass das ein Sängerinnen-Lied ist. Ich selbst bin immer von solchen Themen angezogen. Ich habe ganze Reihen, wo es nur um Frauen geht … Mother’s Day, mein Mutterlied von gestern … Das ist ja auch so entstanden. Als Coco geboren war, trug ich – wie immer – mein Lieblingsparfüm, und Jens meinte so süß besorgt, glaubst du nicht, das ist schädlich? Und ich musste innerlich so lachen und dachte so, Mann, das ist das Parfüm ihrer Mutter, das ist nicht schädlich! Und hab dann eben geschrieben: „If you can prove to me that human kind is stupid because mother’s wearing perfume …“ Das war natürlich jetzt nicht auf Jens gemünzt, sonder so allgemein – Mütter werden für vieles verantwortlich gemacht, für Kriege, für vieles! Es war ein sehr sehr verhaltenes Publikum gestern, es war gar nicht leicht gestern. Aber mir ist das mittlerweile nicht mehr so wichtig. Wir selber hatten für uns einen tierischen Spaß gehabt auf der Bühne. Allerdings war auch unser Mixboard abgerauscht, wir hatten ganz andere technische Voraussetzungen.
Ja, es war wie bei einem Akustik-Set – aber dafür war der Raumklang nicht gut genug. Es blieb wie unter einen Glocke, und deshalb habe ich auch ein bisschen gebraucht, um erst einmal Zugang zu finden zu euch … Schmittke stellte sich dann hin, und – woah, die waren sofort vollverstärkt auf den Punkt da. Was den Raum eben besser füllte, ich aber schade finde, denn ich halte das b-flat eigentlich für einen guten Akustikraum …
Ich bin da auch gerne. Aber im Haus ist der Sound wohl in der Tat nicht so grandios. Auf der Bühne selbst hatte ich einen fantastischen Sound gestern! Ich habe sonst ein anderes Mikrophon … mein neues favorisiertes Mikrophon, mit dem kann ich den Trompetesound besser reproduzieren … Ich hatte mir neulich mal das tolle Naumann-Ding ausprobiert, dieses Wahnsinnsteil, und da gibt es jetzt ein Äquivalent von Beyerdynamic, auch ein Kondensator, und das nimmt halt irrsinnig viel auf. Und wenn ich die Trompeten mache, die ich gestern nur sehr wenig gemacht habe, dann ist das unglaublich fein und erlaubt mir, diese ganzen Sounds zu machen, die ich so gerne mache! Und das konnte ich mit dem Shure gestern nicht so gut. Trotzdem hatte es einen besseren Sound als ich dachte.
Was hattest du da, ein SM 58?
Ja, den Klassiker. Unverwüstlich. Den kannste auf den Boden schmeißen …
Rodrians 10-jährige Tochter Lou kommt in die Wohnküche und verkündet, dass der Zupfkuchen aus der LPG nicht mehr so gut wie früher schmecke. Ob man den Bäcker gewechselt habe? Ich verspreche, darüber zu schreiben. Also: Liebe LPG-ler, falls das hier einer von euch liest – bitte den Zupfkuchen wieder so machen, wie er bisher war! Danke.
Lass uns zurück zu deinen Liedern kommen. Warum schreibst du auf Englisch?
Das ist meine Sprache.
Deine Muttersprache?
Nein. Aber stell dir vor, du gehst nach Amerika und wirst Schreiner und lernst alles auf Englisch. Dann kommst du nach Deutschland zurück und weißt nicht mehr, was Schraube heißt. Und ich habe in Amerika Musik gelernt, und überhaupt erst dort angefangen, Lieder zu schreiben.
Aber du schreibst ja nicht über Musik – du schreibst über Emotionen!
Ja, das stimmt. Die Emotionen sind Muttersprache, das ist ganz klar. Meine Kinder konnte ich nicht zwei-sprachig erziehen. Also meine Lou wurde mir in den Arm gelegt und ich hätte nie gesagt, „sweet little pumpkin!“ Aber Geschichten erzählen kann ich irrsinnig gut in Englisch. Auch weil ich zu meinen Emotionen Distanz brauche – schließlich will ich Geschichten erzählen und nicht mein Leben! Die Geschichten haben natürlich alle etwas mit mir zu tun. Aber sie können auch neutral belichtet werden. Zudem hat Englisch einen Fundus an Worten, den hat das Deutsche nicht. Es ist eine wunderschön „metapheröse“ Sprache. Außerdem liebe ich Amerika! Das klingt ganz komisch, denn ich hasse die Politik – aber ich liebe dieses Land!
Was denn daran genau?
Sartre hat mal gesagt, in Paris – und ich liebe auch Paris, ich habe auch in Paris gelebt – in Paris also gehst du von einem Platz zum anderen, es endet immer irgendwo. In New York gehst du am Broadway los und endest in Boston. Ich liebe diese Weite! Und ich muss schon sagen, dieser Ian Fisher, dieser wahnsinnig intensive Typ von gestern (Anmerkung Klangverführer: Ian Fisher) … der hat etwas von „urban Americans“ gesagt. Und das ist es; ich liebe die städtischen Amerikaner. Aber ich habe auch ländliche kennengelernt, die ich liebe … Ich glaube, es gibt da doch noch eine Nummer, die ich covern will, nämlich I’m a Creep. Und dann habe ich gedacht, kann ich wirklich „I’m a creep“ singen? Und dann habe ich weiter gedacht, ja, denn ich bin immer schon irrwitzig extrovertiert gewesen – ich war immer ein Außenseiter in Deutschland, gerade in Bayern, gewesen. Überall bin ich rein, hallo, hab mit allen geredet. Und in Amerika gehe ich in den Supermarkt, hello, how you’re doing?, und kriege eine Antwort, und keiner guckt komisch! Und ich liebe das! Ich will mit meinem Metzger keine tiefschürfenden Gespräche haben, aber diese quality of daily life. Die Deutschen würden dann etwas von wegen oberflächlich sagen, nach dem Motto, die interessieren sich ja gar nicht wirklich für dich. Ja natürlich interessiert sich mein Metzger nicht wirklich für mich. Aber er ist nett. In New York wirst du nicht einsam. Du bist eingebunden. Du gehst zum Friseur, wenn es dich langweilt, und redest mit ihm über das Leben. Und das mochte ich. Auch die amerikanischen Jazz-Musiker, von denen habe ich unglaublich viel über das Offensein gelernt. Nicht urteilend sein, sondern großzügig. Ich wäre nicht die Lehrerin, die ich heute bin, wenn ich nicht von diesen Menschen gelehrt worden wäre, sondern von den damals noch echt bitteren, grummeligen deutschen Jazzern. Huh! Ich war ja auch nie so ein Typ! Ich bin immer schick auf die Bühne gegangen, und in Amerika wird das geschätzt. Die Jungs aus Harlem, die gehen da mit ihren schicken Hosen und Wässerchen und so auf die Bühne, und dann wird freundlich gequatscht und, ja klar, kommen fünftausend und sagen, oh you sound great, und du weißt, dass es nur ein halber von denen so meint, aber das ist völlig wurscht! Auch die Sängerinnen untereinander … Oder ein Amerikaner kommt in deine Wohnung und sagt, wow, great apartment. Ein Deutscher kommt in deine Wohnung und fragt, was zahlst’n für die Hütte? Oder so eine andere sehr deutsche Frage: Hat es sich für dich überhaupt gelohnt, nach Amerika zu gehen? Hast du da denn jetzt Karriere gemacht? Nee, ich bin auch nicht nach Amerika gegangen – ich war siebenundzwanzig, ich war ja kein Hühnchen mehr – um Karriere zu machen. Ich bin dahin gegangen um mich solide ausbilden zu lassen und um dieser Musik Ehre zu erweisen. Ich bin ein dedicated Jazz fan, ich liebe diese Musik, und ich hatte Sheila Jordan und Buster Williams und somit echt Glück mit meinen Lehrern, ich bin gefördert worden mit sehr viel Herz! Sheila bin ich ja ein bisschen abgesprungen, als ich in die Songwriting-Richtung ging, und ich habe auch einen Wehrmutstropfen in ihrem Herzen gesehen, als ich ihr meine erste CD vorspielte. Irgendwann nämlich ist sie nach dem Unterricht mit mir Kaffee trinken gegangen, und dann meinte sie zu mir, Alexa, I have to tell you, you know what you have to do? Und ich so, No, I don’t know. Und sie: You’re born for this music, you have to sing Jazz! Von Sheila Jordan so etwas zu hören, das war natürlich wie: Soll ich jetzt weinen? Dann aber musste ich meine eigene Stimme finden – nur hätte sie es sicherlich gern gehabt, dass ich dem Bebop und dem Jazz ein bisschen treuer bleibe.
Aber du singst Jazz!
Also, darüber streiten sich die Geister!
Lou unterbricht uns erneut kurz, und als Rodrian den Faden wieder aufnimmt,
ist ihr Fazit: Also, ich bin ja schon ganz eindeutig Jazz-Sängerin und Mutter.
Geht das Hand in Hand? Hat das Muttersein Auswirkungen auf dein Künstlertum?
Ja – ja, ach Gott! Dieses Kind war geboren und die Prioritäten haben sich von einer Sekunde auf die andere verschoben. Es war noch schwieriger bei ihr, denn damals dachte ich, ich muss ja Karriere machen und so. Es wurde leichter beim zweiten. Meine Freundin hat das auch immer gesagt, dann bist du noch eindeutiger Mutter. Dann hast du zwei. Aber schon sie war das Glück, und das zweite … absolut. Und deswegen bin ich … vielleicht wird die Karriere noch ein bisschen größer, aber ich bin zufrieden. Ich habe so viel Glück gehabt mit dieser Familie, das wollte ich immer, das war meine Priorität. Ich wollte eine gute Familie und auch eine gute Ehe. Die Musik wird dadurch immer ruhiger. Das letzte Lied, das ich gestern gesungen habe, A Little Too Much, ist ja auch für die Mädels. Es ist das erste Lied, in dem ich so direkt über mich singe, das habe ich mich auch nicht getraut früher, das fand ich immer affig. I am what I am, was ist denn das für ein blöder Satz, hätte ich früher gesagt. Aber das finde ich jetzt gar nicht mehr.
Du sagst, das war das erste persönliche Lied – mich hat es allerdings an den Fisher’s Song auf deiner CD erinnert …
Ja, die intensivsten Lieder sind dann halt so! Der Fisher’s Song ist allerdings wirklich nur für Jens.
Das unkitschigste Liebeslied, das ich je gehört habe – und eines der schönsten!
Fisher’s Song? Ja, ich mag den auch sehr. Und es freut mich, dass du den magst. Es ist auch eine tolle Geschichte, denn ich habe diesen Song seinem besten Freund vorgestellt, das ist Gerd Baumann, ein wunderbarer deutscher Komponist, der 2005 für den deutschen Filmpreis für die Musik von Wer früher stirbt ist länger tot nominiert wurde, und ich komme da hin mit meinem kleinen Zettel und sage, Gerd, das musst du jetzt mit mir aufnehmen! Es war wirklich mein erster ausgeschriebener Nur-Ich-Song – für IHN, da durfte kein Akkord von IHM sein, das war ja klar; und dann kommt Gerd mit seinem kritischen Blick und meint, da stimmt doch was nicht, und ich war vollkommen nervös – ich meine, er ist ein Komponist, und ich komme da mit meinem kleinen Song an … Und dann habe ich all meinen Mut zusammengenommen und gesagt, doch Gerd, das stimmt so, und dann fing er an, es auf der Gitarre zu spielen und sagte, sing mal, und ich habe den Song gesungen – danach war er ganz still. Und dann schaut er mich so an und sagt, wow, was für ein Song! Und ich denke, toll, er mag’s! Das war echt so wie, puh, Meisterprüfung bestanden! Ich werde den Song auch wieder live spielen, er ist jetzt nur aus dem Programm gefallen wegen des anderen Liedes, A Little Too Much und Fisher’s Song zusammen, das würde …
… das Publikum ganz schön schlauchen …
Genau. Und Little Too Much ist ja deswegen entstanden, weil der Marco neulich mit mir an einem Tisch saß und mir von einer Kollegin erzählte, die es ihm ein bisschen schwer gemacht hat, weil sie nicht genug mit ihm redete, damit konnte er nicht gut umgehen. Und während wir miteinander sprachen, schaute er mich so an und meinte, weißt du, Alexa, du redest immer ein bisschen zu viel. Und dann bekam er ganz große braune Rehaugen – er ist ja so sensibel, er wollte mir nicht weh tun, sondern mit eigentlich ein Kompliment machen nach dem Motto, du lässt mich nicht auf der Strecke verhungern … Ich habe ihn so ein bisschen zappeln lassen und meinte nur, ja, stimmt, und er: du weißt, wie ich das meine. Und so ist Little Too Much entstanden, und gewidmet habe ich es meinen Mädels.
Was sagen die dazu, verstehen die das schon?
Lou hat eine ganz starke Beziehung zu mir als Sängerin, die Coco sagt immer: hör auf – das ist aber auch total in Ordnung! Lou hat man mir im Kreißsaal, während man mir den Kaiserschnitt schloss, in die Arme gelegt, und dieses Kind schaute mich mit diesen braunen Augen von Anfang an so an … und ich war völlig – ich weiß nicht, was ich war, wie man dann eben so ist, und dann – sang ich: „Sweet little dolphin/when do you finally see/that you belong to me“. Wenn ich ihr dieses Lied singe, schläft sie in einer Sekunde, und wir singen es bis heute noch nach dem Baden – und jetzt möchte die Coco auch. Ich bin ja sowieso die Delphin-Dame, weil ich diesen Delphin hatte, der mich ins Meer ziehen wollte. Das ist eine wahre Geschichte. Mein Vater hatte mir, kurz bevor er starb, einen riesigen Plastikdelphin geschenkt, und du weißt ja, wie Kinder sind! Ich war fünf und er starb – und was mir blieb, war ein Delphin. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich wollte dann immer mit Delphinen schwimmen gehen. Und dann war ich ein paar Jährchen älter, und da kam einer und wollte mit mir schwimmen, nämlich bei den Liparischen Inseln. Da sind wir mit einem Segelboot gewesen, und im Nachhinein habe ich erfahren, dieser Delphin wollte wirklich mit mir spielen! Die suchen sich nämlich oftmals Kinder oder junge Frauen, ich war damals einundzwanzig, zwischen jungem Mädchen und Frau, und er gab mir Signale. Ich saß vorne auf dem Netz, und er schwamm seitlich und gab mir ein eindeutiges Signal, aber ich durfte nicht springen! Das wäre natürlich der Traum meines Lebens gewesen. Und er kam dann zurück mit zwei Freunden und hat für uns getanzt: Jetzt zeig ich dir, dass ich auch ohne dich spielen kann. Jens hat mir zu meinem Dreißigsten Schwimmen mit Delphinen geschenkt, nur haben wir es bis heute nicht geschafft. Aber es kommt noch! Irgendwann werde ich mit den Mädels … nur in der Freiheit, natürlich. Ich will keinen Delphin im Becken. Ich will nur bei Key West oder so mit dem Boot raus, gucken ob sie kommen oder nicht. Wenn sie kommen – gut …
Wenn nicht …
… auch gut.
Dann eben das nächste Mal.
Oder im nächsten Leben, whatever.
Teil 3: Rückblick: All Done And Dusted
Es ist mittlerweile zweieinhalb Jahre her, seit ich mich zuletzt darüber echauffierte, dass zunehmend mehr Labels, allen voran die Majors, die sogenannte „physische Bemusterung“ von Journalisten mit ihren Tonträgern eingestellt haben. Stattdessen darf der willige Schreiberling die Neuerscheinungen in dubiosen Online-Portalen hören und sich passende Bilder und Pressetexte herunterladen. Ein vernünftiges Arbeiten, bei dem man die Tracks hoch und runter hört, auch mal eine Stelle zurückspult und erneut abspielt und in den Tiefen des Booklets auf der Suche nach interessanten Liner Notes ist – all dies gehört der Vergangenheit an. Es liegt auf der Hand, dass dieses Vorgehen den Plattenfirmen zwar oberflächlich betrachtet zunächst Geld spart. Da es den Musikjournalisten aber die Arbeit nicht nur immens erschwert, sondern teil unmöglich macht, muss man sich nicht wundern, wenn auch der sanftmütigste Schreiber die Neuerscheinungen dieser Labels zukünftig ignoriert. Wie viele meiner Kollegen habe auch ich mittlerweile die Konsequenzen gezogen: Kein Material für mich, kein Artikel für Euch. Das ist natürlich schade, denn letztlich müssen die Künstler unter der verfehlten PR-Strategie ihres Labels leiden. Es sei denn, sie werden selbst aktiv. Auf diese Weise gelangte ich den Besitz eines ganz besonderen Schatzes. Die Rede ist von Rodrians 2008 auf NRW Records erschienenem Album All done and dusted.
Als ich es erstmals anspielte, glaubte ich mich beim Einsetzen der Gitarre auf dem ersten Track kurz an Cassandra Wilsons Redbone erinnert. Aber weit gefehlt, denn tatsächlich war hier die Stimme zu hören, die ich schon auf trondheyms Stay Tuned bewundert hatte und in ihrer unvergleichlich lässigen Art das sang, was die Sängerin selbst als „ihre Musikgeschichten“ bezeichnet. All done and dusted besticht durch eine Mischung aus Eigenkompositionen und schlau ausgewählten Coversongs, die in erster Linie durch die Geschichten, die sie erzählen, verbunden werden. Die Beatles-Nummer Eleanor Rigby findet man hier völlig gleichberechtigt neben Tom Waits‘ Shiver Me Timbers oder dem Bill-Withers-Klassiker Ain’t No Sunshine, aber auch eine Version von Hänschen Klein bzw. in diesem Falle Little John. Einer der wohl coolsten Tracks des Albums aber ist eine Komposition von Gerd Baumann, zu der Alexa Rodrian den Text beisteuerte: Lose. Große Klasse auch das Latin-angehauchte Pearl mit stilecht gerolltem R im Refrain. Müsste ich einen Lieblingssong aus dem Album benennen – es würde mir schwer fallen! Vermutlich aber fiele meine Wahl auf He’s Writing Again, die als funk-rockigste Nummer des Albums wie nur irgendwas groovt und in deren Text sich vermutlich jeder Schreiber wieder erkennt: „painfully the words don’t flow/painfully they come and or go/right or wrong much sense or none/painfully he will eventually spit them out/he is writing again …“ Oder es wäre Fisher’s Song, wohl eines der schönsten, weil gänzlich unprätentiösen Liebeslieder überhaupt. Ein Song für den eigenen Mann – das kann schnell in Kitsch ausarten. Ist hier aber nicht passiert, im Gegenteil. Toll.
Es ist nun schon fast eine Woche her, seit Kopfhörerhund und ich bei Stefan Scheuss im Zimmer 16 waren. Leider aber kam uns dann erst einmal das Leben dazwischen. Manchmal ist es ja sehr schön, wenn einem das Leben dazwischen kommt. In diesem Falle war es tatsächlich „leider“. Darum gibt es erst jetzt eine verspätete kleine – nein, nicht Nachtmusik: Konzertkritik.
Die Lampe gehört der Lux und heißt auch so. Da fühle ich mich gleich heimisch; so eine habe ich auch!
Die Musik von Stephan Scheuss habe ich vor nicht einmal einem halben Jahr kennengelernt, als ich für meinen liebsten Auftraggeber fairaudio.de in – hoffentlich – Ihrer Lieblingsmusikkolumne Victoriah’s Music sein Debütalbum One Pure Soul besprach. Damals sah ich in dem handgemachten Soul aus heimischen Gefilden eine Analogie zum Kauf von regional angebautem Obst und Gemüse im Supermarkt. Irgendwie ethisch korrekter. Schmackhafter obendrein. Und auch wenn mir die Redaktion die kleine, aber in diesem Falle bedeutungstragende Silbe „-er“ in „schmackhafter“ weggestutzt hat, konnte mich niemand davon abhalten, mich nun auch live vom Wahrheitsgehalt der Goethe’schen Erinnerung (Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!) überzeugen zu lassen.
Als Support von Sängerin/Songwriterin Christina Lux, mit der er in den Neunziger-Jahren gemeinsam bei der a capella-Gruppe Vocaleros sang, eröffnet ein frierender Stephan Scheuss den Abend, der – aus dem frühlingshaften Köln in ein winterkaltes Berlin geworfen – erstaunt einsehen muss, dass zumindest Jahreszeitreisen gar kein Problem ist. Und wo sich der gemeine Berliner einfach ein Stück tiefer in seinen allgegenwärtigen Kapuzenpulli verkriecht, trotzt der Rheinländer mit der Nummer I’ll Be Gone aus der ersten Vocaleros-CD der Kälte.
Die nächste Nummer überrascht, denn Scheuss hat nicht nur seine Lieblingssongs aus Soul und Jazz durch den berüchtigten Scheuss-Filter gepresst, sondern auch ein echtes Stück Rock’n’Roll vom King höchstselbst:
Don’t Be Cruel wird gefolgt vom Blues Help The Poor, den Charlie Singleton 1971 für B.B. King geschrieben hatte und der gleichzeitig das erste Stück des Abends ist, das ich von One Pure Soul kenne. Übrigens eine tolle Platte. Fast genauso unprätentiös und – bleiben wir doch ruhig bei der Apfel-Metapher – naturbelassen wie der Auftritt im Zimmer 16. Ein Mann, eine Akustikgitarre, und sonst nix. Na gut, es gibt natürlich noch jede Menge musikalischen Humor. Da wandelt sich das Gitarrensolo auf Help The Poor mit einem Mal zum Smoke On The Water-Riff, und als Dämpfer muss schon mal ein Nagelfeilenschutzbezug (Benutzer von Glasnagelfeilen wissen, was gemeint ist. Für alle anderen: Es ist das kleine weiße Plastikding, welches in Klanglochnähe quer unter den Saiten klemmt.) herhalten.
Dann endlich gibt es Maniac, für mich der Scheuss’sche Song schlechthin. Und obwohl Stephan Scheuss beteuert, 1983 vom Jazz-Puristentum ins Pop/Soul-Lager zurückgefallen (oder aufgestiegen, je nach Standpunkt) zu sein, beweist er durch seine Rückführung des Hits aus Flashdance in die Jazzwelt eigentlich nur, wie durchlässig und unsinnig Genregrenzen doch sind. Überdies erweist sich Scheuss jenseits der Plattenaufnahme, die an sich schon großartig ist, als fabulöse Mischung aus Scat-Sänger und Beatboxer, der den Rhythmus mit pointiertem Zungenschnalzen vorantreibt. Auch der nächste Song, No Blues, ist den Hörern (und, wie ich hoffe: Käufern) von One Pure Soul bekannt und gleichzeitig die erste selbstgeschriebene Nummer des Abends, sieht man vom Opener I’ll Be Gone ab, der in Kooperation mit der Kölnerin Amy Antin entstand. Und zum ersten Mal fallen mir die Bowlingschuhe des Sängers auf. Solche hatte ich auch mal.
Während des Liedes Wunderbar, dessen Thema die verschiedenen Spielarten der Eifersucht (und ob des inbrünstigen Vortrags könnte man glatt annehmen: des Glücks der Eifersucht) sind, hört man selbst das kleinste Rutschen über die Bünde des Griffbretts; und für einen Moment denke ich, es ist Kopfhörerhund, der wohlig grunzt. Ist er aber nicht, der schläft nämlich – und das, obwohl sein Stammplatz vor der großen Box besetzt war. Stephan Scheuss hingegen, und das wird bei Wunderbar einmal mehr ohrenfällig, ist sehr wach und sehr präsent. Toller Effekt: Er wird ein völlig anderer Mensch, wenn er ins Falsett fällt. Von einem Augenblick zu anderen. Zapp. Als stünde da ein anderer Sänger. Das ist ganz erstaunlich. Und damit endet das kleine Sechs-Lied-Programm auch schon.
Falls Sie die großartige CD One Pure Soul noch nicht besitzen, dann wird es jetzt höchste Zeit. Die ist, wie auch das aktuelle Album von Mara & David, auf Ozella Songways erschienen. Und wenn Sie sie dann erst einmal jeden Tag bei sich zu Hause abspielen können, dann, ja dann macht mit einem Mal auch der weniger häufig zitierte Teil der eingangs bemühten Erinnerung Sinn: Lerne nur das Glück ergreifen, denn das Glück ist immer da.
Fazit: Stephan Scheuss macht glücklich.
Ein kleines Déjà-vu hatte ich am Samstagabend schon, als ich mitsamt Kopfhörerhund zur zweiten Halbzeit in Sepp Maiers wie immer sehr gemütlicher 2raumwohnung ankam: Schon wieder Musikstudenten bzw.
-absolventen, und schon wieder eine gerammelt volle Bude! Achim Seuberling hätte sich im Vorfeld keine Sorgen machen müssen, die 2raumwohnung war über-ausverkauft. Wobei ausverkauft hier ja das falsche Wort ist, gehört es doch zur Philosophie von Sepp Maiers 2raumwohnung, dass kein Mensch für etwas zahlen soll, was er noch nicht gesehen hat. Ergo wird kein Eintritt erhoben; der Spendewillige kann in der Pause seine Münzen entweder in die Klokasse oder seine Scheine in den herumgehenden Klingelbeutel werfen.
Dass dieses Konzept zumindest im Bereich der Musik funktioniert, haben ja bereits diverse Studien zu freiwilligen Bezahlmodellen gezeigt. So beispielsweise die Untersuchung der Ökonomen Tobias Regner (Max-Planck-Institut für Ökonomik, Jena) und Javier Barria (Imperial College, London) am Verhalten der Kunden des Kalifornischen Online-Labels Magnatune. Den potenziellen Käufern wurde hierbei die Möglichkeit eingeräumt, genau jenen Betrag für ein Album zu zahlen, der ihnen angemessen erschien. Wie aus den im August 2009 im Journal of Economic Behavior & Organization veröffentlichten Studienergebnissen hervorging, zahlten die Kunden im Durchschnitt mehr als den empfohlenen Preis. Magnatune schreibt schwarze Zahlen.
Und auch beim Ausgehen setzen mehr und mehr Veranstalter und Gastwirte auf die Formel „Zahle soviel, wie du willst“. Eine Hamburger Gastwirtin zieht auch hier positive Bilanz: „Das Angebot wird nicht ausgenutzt, die meisten Gästen bezahlen sogar freiwillig mehr.“ Eine Studie der Handelsforscher vom WiWi-Lehrstuhl der Uni Frankfurt bestätigt dies: „Menschen wollen etwas zurückgeben, wenn sie etwas erhalten haben.“ Und so also wandert auch bei Sepp Maier der eine oder andere Schein ins Kästchen, und wer dieses Mal nicht so viel hat, gibt nächstes Mal mehr. Ein wirklich schönes, kulturfreundliches Konzept, das hoffentlich noch einige Nachahmer findet.
Aber zurück zu den beiden jungen Musikern, die es geschafft haben, die 2raumwohnung zu füllen. Mara & David nennen sie sich ganz schlicht, und auch ihre Musik ist gekennzeichnet von einer Schlichtheit, die ihresgleichen sucht. Ein Frau, ein Mann und eine Gitarre. Mehr brauchen die beiden, die sich während ihres Studiums an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden kennenlernten, nicht für ihre filigran-schwebenden Klanggebilde. Ein bisschen Jazz, ein bisschen Pop, mal eigenwillig wie Björk oder Joni Mitchell, mal schmeichelnd wie Ani DiFranco oder Portishead. Es ist ganz erstaunlich, welche Klänge David Sick seiner Gitarre zu entlocken vermag, ob intelligente Harmoniespielerei oder teils lässiges, teils treibendes Rhythmusgeschäker; in jedem Falle aber immer einen Soundflokati breitend für Maras Stimme, die darüber zu Höhenflügen ansetzt. Das ist traumhaft schön.
Kein Wunder, dass auch Kopfhörerhund nach den ersten Takten des aufmerksamen Beobachtens der Frau mit den rotbestrumpften Beinen ganz schnell weggeträumt ist …
Eigentlich wollte ich bis nächsten Freitag – da zelebriert das Trio Ohrenschmalz seine ménage à trois im Admiralspalast – eine Konzertpause einlegen. Zu viel Live-Musik in letzter Zeit! Ich widme mich lieber mal wieder eine Weile im stillen Kämmerlein der Dosen-Musik. Und so sitze ich also zu Hause und rezensiere für die kommende Ausgabe von Victoriah’s Music friedlich vor mich hin. Die nächste CD auf meiner Liste ist Meike Koesters Seefahrerherz, und schon beim ersten Hören bin ich vom neuen Album der Braunschweiger Sängerin/Songwriterin so angetan, dass ich der Einladung ihres Promoters zu ihrem Konzert im Pankower Zimmer 16 bereitwillig folge. Schließlich ist es in dieser Pankower Entsprechung zu Sepp Maiers Weißenseer 2raumwohnung immer sehr nett, und auch Kopfhörerhund ist hier gern gesehen und wohl gelitten.
Und so sitzen Kopfhörerhund und ich exakt zwei Wochen nach unserem letzten Besuch im Zimmer 16 dann doch wieder inmitten von Livemusik – noch dazu auf unserem Stammplatz. Neben Deckchen und Faltwassernapf für das Wohlergehen von Kopfhörerhund habe ich sicherheitshalber eine Familienpackung Taschentücher für mich eingesteckt, denn schließlich habe ich bei einem der Songs von Koesters neuem Album zu Hause geheult wie ein Schlosshund und hoffe jetzt, sie spielt ihn nicht.
Der Abend startet mit zwei von Koesters englischsprachigen Songs, gitarrenschrammeligen Indierocknummern, wie sie von Collegeradios bevorzugt gespielt werden. Das Schlagzeug ist sehr präsent, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Sheryl Crows Tuesday Night Music Club fällt mir sponatan dazu ein, und Jennifer Love Hewitts Can I Go Now. Ich habe Freundinnen, die sich von solcher Musik gewissermaßen ernähren – mein Ding war es nie. Auch Kopfhörerhund ist bislang nicht wirklich überzeugt; das kann allerdings auch daran liegen, dass sie ziemlich daneben ist: Sie hat zu Hause ihr Frühstück von sich gegeben und ist immer noch etwas matt und wackelig auf den Pfoten.
Aber schon ab dem dritten Song weiß ich wieder, weshalb ich hier bin, denn Meike Koester spielt jetzt endlich den Song Seefahrerherz aus ihrem am 25. Februar erscheinenden Album, der nicht nur Pate gestanden hat für dessen Titel, sondern es gleichzeitig auch eröffnet. Ein großartiges Lied, wie überhaupt das ganze Album – übrigens Koesters erstes deutsch-sprachiges – sehr sehr schön und sehr sehr rund ist. Mit der Seefahrerthematik bin ich zwar – zählt man Mitten Vorm Dock Nr. 10 von Stefan Gwildis‘ Neues Spiel (2003) nicht mit, da ja recht eigentlich ein Cover-Song – zuletzt auf Seemann von Rammsteins 1995er-Debüt Herzeleid in Berührung gekommen und deshalb zunächst etwas skeptisch, aber sie wird hier sehr schlüssig erzählt und spinnt sich wie ein roter Faden durch die Stories von Meike Koester, die auf Seefahrerherz zusammengehalten werden von den immerwährenden romantisch-maritimen Assoziationen wie Fernweh, Reise, Sehnsucht, Liebe auch ohne Gegenliebe, Unverbindlichkeit, dem Wunsch nach Beständigkeit und so fort. Selbst als überzeugte Landratte könnte man da sein eigenes Seefahrerherz entdecken!
Und auch im Konzert verändert sich mit einem Mal die gesamte musikalische Atmosphäre, und ich bleibe dabei, was ich schon beim Rezensieren der Platte (sobald sie auf fairaudio.de online ist, gibt es hier einen Link) geschrieben habe: Mit den deutschen Titeln hat Koester nicht nur glücklich zu ihrer Muttersprache zurück-, sondern gewissermaßen auch zu ihrer ureigenen Stimme gefunden. Hier schrammelt nichts mehr, die Instrumentation ist reduzierter, und dennoch grooviger, fast bluesig, es geht weitaus tiefer als auf den englischen Vorgängeralben, und das im besten Sinne.
Auf Seefahrerherz folgt das ebenso grandiose Leinen los; das könnten jetzt auch 2raumwohnung auf Rock sein. Schlagzeuger Christian Prescher kommt hinter seinen Drums hervor, um Cajón zu spielen – ein lustiges – manche bauen es aus einem alten Subwoofergehäuse selbst – Instrument in Kastenform, gerade erst hatte ich eines bei den Cosmonautux Unplugged gesehen -, und nicht jeder Schlagzeuger ist in der Lage, es vernünftig zu spielen; denn nicht jeder gute Schlagzeuger ist automatisch auch ein guter Percussionist. Dieser hier kann es jedenfalls, sein Cajón hat zum Rumschnasseln noch ein paar seitlich befestigte Snare-Schellen, und ich freue mich, denn ich mag den Sound einfach!
Apropos Sound: Nicht nur das Schlagwerk klingt bei den neuen Titeln reduzierter, ja: organischer, auch die Stimme Meike Koesters gefällt mir hier viel besser, sie klingt tiefer, geerdet und irgendwie angekommen.
Bei Wenn die Liebe stirbt, dem fünften Titel des Abends, kommt allerlei Klangspielzeug zum Einsatz, ob Mini-Maracas in Eiform oder zweckentfremdete Gitarren; und beim sechsten (Du startest das Jahr) steht Meike Koester dann allein auf der Bühne. Wir sind mittlerweile in der – Zitat – „Problemecke“ des Konzertabends angekommen, denn während Du startest das Jahr die Hoffnungen eines Alkoholikers auf den diesmal hoffentlich erfolgreichen und letzten Entzug behandelt, geht es in Whatcha Gonna Do um einen Teenager, der sich gegenüber seinen Eltern als schwul geoutet hat und von diesen kurzerhand auf die Straße gesetzt wurde – und was macht man mit siebzehn auf der Straße? Trotz des Wechseln zum Englischen ist dieser Song viel näher dran an der Tonalität des Seefahrerherzens als der andere englisch-sprachige Track des Albums, Under My Blanket – der hatte mich bei der CD-Rezension irritiert, weil er die bis dahin geschaffene Atmosphäre irgendwie stört, obwohl bei der Aufnahme auch das Cajón zum Einsatz gekommen ist.
Und es wird noch schrammeliger mit Life’s Too Short aus Koesters letztem Album Live Love Travel Free. Am Ende entpuppt sich der Song aber als überraschend funky, wohl vor allem zu verdanken Bassist Peter Stoschus, der bislang eher dezent im Hintergrund agierte. Fast übergangslos im gleichen Rockidiom leitet das Trio über zu Unterwegs; und dennoch, ich bleibe dabei, ist auch dieser Song viel mehr auf dem Punkt, viel definierter, viel grooviger als seine englischen Kollegen, und allein deshalb eigentlich schon gar nicht mehr in der klassischen Singer-Songwriter-Ecke zu verorten. Vielleicht eher wie Indie-Rock auf einer Rhythm & Blues Basis, wenn Sie denn unbedingt ein Etikett brauchen.
In der Pause verrät mir eine aufgeregte Koester, dass sie ob der Berliner Zuhörer ziemlich nervös sei. Ihrer Performance merkt man dies allerdings nicht an, höchstens mal bei den Ansagen zwischen den Stücken, bei denen sie sich verhaspelt. Eigentlich unnötig, denn eine Dame aus dem Publikum erzählt mir begeistert, wie unglaublich froh sie sei, endlich mal wieder echte, handgemachte, ehrliche Musik zu hören, die noch dazu so gut sei. Dieses ganze Gefiepse aus dem Radio, das sei ihr ja nichts. Koester selbst gibt inzwischen routiniert Autogramme – ein Herr hat sogar gleich fünf Stück ihrer neuen CD gekauft! -, und ich glaube, wegen der Berliner muss sie sich zukünftig keine Sorgen mehr machen, die hat sie in der Tasche. Die Frage ist hier wohl eher, ob bei ihrem nächsten Berlin-Gastspiel die Kapazitäten des Zimmer 16 noch ausreichen … Schließlich lebt Musik wie die von Meike Koester durch Mund-zu-Mund-Propaganda, und seit heute Abend dürfte es ein paar Koester-Fans mehr in der Hauptstadt geben. Unter anderem Kopfhörerhund, die versucht, der sympathischen Sängerin einen feuchten Hundekuss zu schenken.
Nach der Pause geht es groovig mit Southern Slide-Gitarren und Cajón weiter bei Steam In Your Eyes vom Album Soap For Dirty Girls – meiner Meinung nach einem der coolsten und lustigsten Plattentitel ever. Und wie auf dem Back-Cover der CD zeigt sich Koester in der Mitte des Songs zum ersten Mal an diesem Abend von ihrer sexy Seite. In der Anmodration des nächsten Songs wird sie wieder ernst und erzählt von Beobachtungen in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, die sie im folgenden Stück zusammenzufassen versuche. Für einen kurzen Schreckmoment denke ich, sie spielt jetzt doch den Brief an deine Mutter und die Taschentücher kommen zum Einsatz, aber, Glück gehabt, es ist „nur“ Zeig mir den Sinn, gefolgt von Müde und sehnsüchtig, einer eingängigen Nummer, die ich mir gut im Radio vorstellen kann.
Der Anfang von Schein überrascht durch seine radikal heruntegefahrene Instrumentierung. Der Schlagzeuger klingt wie ein Beatboxer, der Bassist berührt nur alle Momente einmal eine Saite und lässt den Ton verklingen, bevor der nächste kommt – in dieser Version finde ich das Lied, welches ich beim Hören der CD als belanglos empfand, um Klassen cooler! Leider, bin ich versucht zu sagen, wächst sie im Laufe der Zeit wieder zur vollen Instrumentierung bzw. zum vollen Einsatz der vorhandenen Instrumente an; Schein ist die poppigste Nummer des Abends, die könnte auch von Juli & Co. sein. Muss man mögen.
Der nächste Song wird angekündigt als „Jetzt wollen wir euch mit einer schamlosen Liebesballade einlullen … äh … bezirzen“, und zu meiner Überraschung ist es Under My Blanket, von dem ich weiter oben noch schrieb, dass er zu meinen zwei, drei weniger liebsamen Songs auf Seefahrerherz gehört. Live ist er allerdings ganz wundervoll, was auch daran liegen kann, dass er wieder von Cajón begleitet wird – ich mag diesen reduzierten Sound einfach! Okay, ich glaube, das habe ich jetzt schon dreimal geschrieben, das heißt aber nur, wie wahr es ist! Zudem hört man Koester hier im Satzgesang mit ihrer Band, auch das sehr schön. Zwar habe ich hinterher erfahren, dass das auf der CD genauso gehandhabt wurde, aber hmm, live klingt das dann trotzdem, wie soll ich sagen, purer. So akustisch gefallen sie mir sehr gut, die drei. Nicht zuletzt haben die beiden Mit-Musiker als Kopfhörerhundkrauler in der Pause Sympathiepunkte gesammelt …
Mit unplugged ist es aber auch schnell wieder vorbei, denn jetzt soll das Zimmer 16 in eine Rock’n’Roll-Höhle verwandelt werden, unter Einsatz von Wah Wah und Verzerrer und was das Spielbrett noch so hergibt! Das Publikum lässt sich gern zum Aufstehen nötigen und rockt, was das Zeug hält, und selbst Kopfhörerhund, die sich auf ihre vier Pfoten hochgerappelt hat, wedelt im Takt.
Auch der nächste Song ist dominiert von technischen Spielereien, in diesem Falle: der Loopstation. Habe ich mich nicht erst neulich über den exzessiven Gebrauch der Loopstation ausgelassen? Ich glaube, das war bei der Besprechung des Fredrika Stahl-Konzerts … Meike Koester allerdings begründet ihre Vorliebe dafür charmant damit, dass eine Loopstation im Grunde die „Playstation für Musiker“ sei – nun, gegen Spielsucht kann man vermutlich nichts ausrichten, kein Wunder, dass sich das Ding solcher Beliebtheit erfreut! Koester setzt sie beim Song Schatten ein, was aber auch heißt, dass der Beat den ganzen Song lang ziemlich vor sich hin eiert, allerdings nicht genug, um als gewollt verschleppt durchzugehen. Ich bin froh, dass der Spieltrieb inklusive Rückwärtsschalter nun ausgelebt wurde und die echte Rhythmusgruppe nach diesem Lied wieder kommt.
Und das ist auch bitter nötig, denn Visitor ist ein bassgetriebenes Stück, was allerdings im Refrain etwas schrammelt und damit den nach der Pause fest eingepennten Kopfhörerhund weckt. Hab‘ ich gut erzogen, den Hund, der mag auch keine Schrammelgitarren … Dennoch wird gerade bei Visitor einmal mehr ohrenfällig, wie sehr die drei ihr Fach beherrschen; ohne Schnickschnack und Attitüde wird hier einfach gute Musik gemacht. Das ist für mich richtig ungewohnt, war ich in letzter Zeit doch auf so vielen Konzerten, bei denen eine ausgeklügelte Show im Mittelpunkt stand. Hier gibt es einfach Musik pur. Meike Koester und ihre Begleiter stellen sich einfach hin und spielen.
Auch Traveller, der nächste Song, behandelt Koesters auf Seefahrerherz favorisiertes Sujet, das Reisen, Unterwegssein, die Ferne, Sehnsucht nach Nähe, auch Mal ankommen und immer wieder erneut Aufbrechen, wobei seine Melodie schon fast ins Countryhafte geht und eine weitere stilistische Nuance des Koester’schen Song-Spektrums zeigt. Dieses wird bei der Zugabe Poverty abgerundet durch einen an Sechzigerjahrefunk erinnernden psychedelischen Wah-Wah-Sound, den Koester ganz allein mit ihrer Akustikgitarre (und natürlich einem Wah-Wah-Pedal) zaubert. Das Publikum ist begeistert, und ich bin draußen etwas erschrocken, dass es schon zehn vor zwölf sein soll. Meike Köster hat gute zwei Stunden gespielt, eher zweieinhalb, ohne dass einem die Zeit lang geworden ist.
Das letzte Mal, als ich A Glezele Vayn mit ihrem Feynherb-Programm im Pankower Zimmer 16 gesehen habe, ist ein halbes Jahr her. Ich finde es immer wieder spannend, das selbe Programm mehrmals zu sehen, und außerdem wurden wir sehr charmant eingeladen. Wir – das sind in diesem Falle ich und Kopfhörerhund. Also nichts wie hin!
Zu einem Auftritt von A Glezele Vayn gehört – ganz klar – ein Gläschen Wein!
Und eine kraulende Hand. Für die sorgt hier der nette Herr auf dem Nebensitz.
Schon eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist es bei weitem voller als beim letzten Mal, und zum Konzertbeginn hat sich das Zimmer 16 gut gefüllt. Ich kann mir nicht helfen, aber mir hat die Atmosphäre im Juli besser gefallen. Vielleicht, weil die Band dachte, nun erst recht. Vielleicht, weil das Publikum noch mehr mitgegangen ist, nach dem Motto, wenn sich die Armen da auf der Bühne schon für uns handvoll Unerschrockene mühen, dann wollen wir ihnen es auch mit höchster Konzentration danken. Es ist eben etwas ganz Besonderes, wenn man gewissermaßen ein Privatkonzert vorgespielt bekommt. Solch eine intime Atmosphäre hat sonst nur eine Generalprobe, zu der nur wenige Auserwählte zugelassen sind. Im Juli kam ich mir auserwählt vor, es war ein Konzert, welches ich nie vergessen werde. Die Glezeles wohl auch nicht, denn in ihrer persönlichen Statistik nimmt es den unrühmlichen ersten Platz unter den schlechtbesuchtesten Konzerten ihrer Karriere ein …
… und da sind sie ja auch schon!
Vielleicht gefiel mir das Juli-Konzert aber auch deshalb besser, weil ich gewisse Pointen des Programms nun ja schon kannte, die auf dem Überraschungseffekt beruhen. Spaß macht es aber allemal noch – ich würde auch ein drittes, viertes, fünftes Mal hingegen! Aber auch der Ton war letztes Mal ausgewogener. Der Bass klang selbst in der ersten Reihen seltsam dünn. Schade, denn Bassist Johannes Keller – mittlerweile der dritte, den ich mit den Glezeles gehört habe – gefällt mir bislang von allen Glezeles-Bassisten am besten. Er hat, und das kommt bei Jazzbassisten meiner Erfahrung nach nicht so oft vor, eine großartige Bogenführung, und die uns von Glezele-Mastermind Achim Rinderle per Rundschreiben vorab angedrohten „verbotenen chromatischen Läufe“ gab es bis auf zwei Stellen auch nicht. Lustigerweise sind es, wie schon bei den Cosmonautix, ja immer die Bassisten, die am meisten schleppen müssen: Zusätzlich zu ihrem mannshohen Rieseinstrument auch noch den Verstärker, da sie meistens die einzigen sind, die sich mittels elektronischer Hilfe gegen durchdringende Tröten und Fideln durchsetzen müssen.
Apropos Fideln: die sucht man bei A Glezele Vayn vergebens. Interessant für eine Klezmerkapelle. Gewissermaßen übernimmt Szilvia Csarankos Akkordeon – auf dem die Pianistin jedes Mal besser wird! – im Zwiegesang mit Rinderles Klarinette diesen Part.
Auch sonst sind A Glezele Vayn nicht unbedingt das, was das konservative Klezmerpublikum erwartet. Was mir an ihnen (und eben auch an den Cosmonautix, die ja auch ein paar jiddische Traditionals in ihrem Repertoire haben) so gefällt: Sie alle haben kapiert, dass man diese Musik heutzutage (nur) mit einem Augenzwinkern spielen kann. Bei den Cosmonautix habe ich von „Balkan-Comedy“ geschrieben, und auch die Glezeles machen wieder jede Menge schönen Unsinn. Denn so und nur so läuft man nicht Gefahr, in Betroffenheitsstarre (Klezmer) oder Multikultiseligkeit (Balkan) abzurutschen, was für Künstler wie Publikum eine Zumutung wäre. Wobei, wenn ich es mir recht überlege: Es gibt immer den einen oder anderen Giora Feidman-Hörer im Publikum, der regelmäßig hochverstört: Da wird jüdische Kultur dargeboten und dann ist das lustig, da wird gelacht, ojwej! Nie wird er verstehen, dass man so einer längst vergangenen Tradition weitaus mehr Respekt erweist, als wenn man versucht, sie gewissermaßen museal zu konservieren. Auf solchen „Klezmer“-Konzerten war ich auch schon. Und immer hatte ich das Gefühl, dass es eigentlich Gedenkveranstaltungen sind. Aber hey, Klezmer ist eine fröhliche Musik, eine Hochzeitsmusik, und der Schadchen genannte Heiratsvermittler, der bei der Feier dann den Zeremonienmeister gab, der war lustig, war bissig und bestimmt nicht immer politisch korrekt! Rinderle gibt den perfekten Schadchen und schrammt Prince Harry-artig an der, ich zitiere, „Beifahrertür des guten Geschmacks“ das ein oder andere Mal nur knapp vorbei. Ich habe beschlossen, nichts gehört zu haben, denn hätte ich es gehört, müsste ich es aufschreiben!
Was ich sagen will: Die jungen „wilden“ Klezmerbands heute, die spielerisch und lustig mit ihrem Genre umgehen und sich – eventuell – das ein oder andere Mal (zu) weit aus dem Fenster lehnen dabei: Sind nicht sie im viel eigentlicheren Sinne die Keepers of the Flame einer untergegangenen Kultur als die ganzen pädagogisierend-moralisierenden selbsternannten Bewahrer, die doch recht eigentlich bloße Kopisten sind?
Aber zurück zu dem gestrigen Abend. Neu war die „Neo Folk“-Sektion mit der von Rinderle komponierten Alpen-Suite; neu war auch ein mit Darbuka-Begleitung dargebotenes türkisches Stück – übrigens das Einzige, was Kopfhörerhund nicht mochte. Wahrscheinlich fährt so ein Darbuka-Klang noch ganz anders in die Eingeweide als eine „herkömmliche“ Trommel. Am Spiel von Jacobus Thiele jedenfalls kann es nicht gelegen haben, das war wie immer über sämtliche Zweifel erhaben. Er ist und bleibt – nicht zuletzt als begnadeter Kopfhörerhundkrauler – einer meiner Lieblings-Glezeles!
Kopfhörerhund war auch diesmal, wie immer, der perfekt interessierte Konzertbegleiter. Was machen die denn da?, schien der Blick zu fragen.
Ah, Musik, stellte sie nach dem ersten Lied fest. Langweilig, da kann ich ja schlafen. Und tatsächlich fiel sie schon beim zweiten Stück, den eher getragenen Schwingungen der Jiddischen Hora, in einen kurzen, aber halb-komatösen Tiefschlaf, aus dem sie erst das Spiel mit den Löffeln wieder hochschrecken ließ. Bei Rinderles Sologedicht grunzte sie kurz auf und drehte uns den Rücken zu. Ich glaube, dass der Bassist das Grunzen mit Knurren verwechselte und insgeheim schon Angst um sein Bein hatte … Leider frisst Kopfhörerhund keine Menschenbeine. Was würde uns das an Futterkosten sparen! Spenden in diesem Sinne sind übrigens willkommen …
Bequemer in der Froschposition
Wer im Folgenden was verwechselt hat, ist nicht so ganz klar. Achim Rinderle ist überzeugt, dass Kopfhörerhund im Rhythmus mit dem Kopf wackelte und mit der Band mitgroovte. Für mich sah das allerdings eher so aus, als hätte Kopfhörerhund Schwierigkeiten mit seinem Abendbrot und versuchte, es wieder hervorzuwürgen. Da das Abendbrot aber drinnen blieb (Was Glück! Vollgekotzte S-Bahn-Züge hatten wir schon, ein vollgekotzter Konzertsaal wäre dann noch etwas peinlicher gewesen …), neige ich mittlerweile dazu, Rinderle zuzustimmen. Schließlich heißt es in der Ode an den Kopfhörer nicht umsonst, „Im Körbchen groovt Kopfhörerhund“. Und ihr Körbchen hatte sie in Form einer Faltdecke ja dabei. Überhaupt hat es Kopfhörerhund gut, denke ich mir in der Pause. Sie ist der Star bei dem Musikern, einer krault den Hals, einer den Po, während ich lediglich dazu gut bin, sie kurz an den nächsten Baum vors Zimmer 16 zu lotsen und ihren ebenfalls mitgeführten Faltnapf mit frischem Wasser aufzufüllen.
Toll nach der Pause: Bei dem als „wirklich schön“ angesagten Stück, dessen Namen ich mir leider nicht gemerkt habe (über entsprechende Hinweise freue ich mich), überrascht ganz viel Luft im ansonsten eher klaren und kompakten Klarinettenton Rinderles – ganz ähnlich wie beim Opener Khsidim Tants der CD. Und recht hat er, es ist ein wirklich schönes Stück! Auch immer wieder schön: Das Khassidishe Nigun mit wogendem Meer.
Und endlich habe ich bei meinem Liebling Klarinettenhass auch die eine Zeile verstanden, die mir bislang gefehlt hat! Alles in allem wieder mal ein sehr schöner Abend mit den Glezeles.
Fand auch Kopfhörerhund: Erstens hatten alle schwarze Hosen an, da lohnt es sich so richtig, die vollzuhaaren! Außerdem sind wir mit der S-Bahn gekommen. Und S-Bahnhöfe bedeuten Dönerbuden. Und Dönerbuden bedeuten jede Menge festgetretene Dönerreste auf dem Bürgersteig. Diese wurden sich natürlich einverleibt, sodass sich Kopfhörerhund in der Nacht ganz seinen von angegammeltem Döner verursachten Blähungen hingeben und mich mit seiner gut funktionierenden Verdauung erfreuen konnte … Aber wie heißt es doch so schön? Ist der Hund gesund, freut sich der Mensch. Oder war das die Katze?
1. Die Bow Wow Lautsprecher …
… im Lederimitat-Design. Machen sich echt stylisch auf jedem Schreibtisch. Handliche 16,5 x 16,5 cm. Anschluss via 1,10 m langen Kabel mit 3,5 mm Klinkentecker, Stromversorung über 220V-Netzteil. Frequenz: 200~5000HZ. Für richtige Mädchen gibt es sie auch in pink. Kriegt man überall im Netz, zum Beispiel auf Amazon.
2. Die Woofers …
… von Designer Sander Mulder. Er selbst bezeichnet sie als „funktionalen Kitsch“, ich finde sie etwas … ähem … kopflos – das ist keine nette Vorstellung! Dafür klingen die Woofers toll. Die technischen Daten der über einen halben Meter hohen Woofers finden Sie hier.
3. Der HI-FIDO …
… von Designer Matteo Cibic. 50 Watt liefert der Hifido(g) mit seinem Keramikkörper, in dem sich auch ein Bassreflexsystem verbirgt. Mehr Infos gibt es hier.
* aus: Bow Wow (That’s My Name) von Lil‘ Bow Wow
Jedes Jahr hat seine eigene Hundecoverplatte. 2009 hatten wir Norah Jones mit The Fall:
2010 brachte uns Wavemusic Vol. 14:
Und 2011 wird hundeplattencovermäßig gleich gut starten: Nachdem er uns vor einem Jahr mit Übers Meer begeistert hat, sind wir umso erfreuter, dass nun auch der – laut Cicero – Dandy-Comedian, Kultsänger – und mittlerweile Berlins berühmteste musikalische Visitenkarte – Max Raabe endlich auf den Hund gekommen ist. Im Januar wird sein neues Album Küssen kann man nicht alleine erscheinen:
Geschrieben und produziert wurde die Platte zusammen mit Annette Humpe – ja, die von Ich+Ich, die sich im Video zu Du erinnerst mich an Liebe ebenfalls um musikalische Hunde verdient gemacht hat. Das ist für Max Rabe eine kleine Sensation, interpretiert er – ob mit seinem Palastorchester oder solo, sonst doch Lieder aus den Zwanziger- und Dreißiger-Jahren.
Kopfhörerhund meint: Pff, Sensation. Viel eher fragt sich – inspiriert von dieser kleinen 3-Jahres-Rückschau – hier doch, welches denn nun die schönste Hundecoverplatte aller Zeiten ist. Eine Aufstellung folgt.
Da ist ja wieder so einiges los in der Stadt am Wochenende! Am Freitag geht es los mit einem Konzert der ostdeutschen Kultband Silly, die mit Anna Loos endlich eine würdige Nachfolgerin für die 1996 verstorbene Tamara Danz gefunden zu haben scheinen und in der Spandauer Zitadelle ihr neues Album Alles Rot präsentieren. Am nächsten Tag besucht Loos’ Ehegatte Jan Josef Liefers unseren schönen Bezirk: Gemeinsam mit seiner Band Oblivion erinnert er sich in der Weißenseer Freilichtbühne an der Großen Seestraße an den Soundtrack seiner Kindheit. Starker Konkurrent um die Publikumsgunst ist Karsten Troyke, der im Rahmen des Shkoyach!-Kultursalons mit dem Max Doehlmann Jazz Trio im Grünen Salon jiddische Lieder zum Besten gibt. Wessen Herz eher für Soulpop schlägt, ist mit dem Berliner Duo Ich + Ich bestens beraten, das sich in der Wuhlheide die Ehre gibt.
Obwohl Ich+Ich-Sänger Adel Tawil auch recht hübsch anzusehen ist, hat das neue Aushängeschild des Duos, Kopfhörerhund Nr. 2, einen besonderen Platz in unserem Herzen erobert – und irgendwie erinnert er ja auch an … nein, nicht an Liebe, aber an Kopfhörerhund Nr. 1!
Da diese drei Konzerte um 20.00 beginnen, müssen Sie sich leider für eins entscheiden. Vorher allerdings können See zu 17:00 in die Kulturbrauerei gehen, wo The Bosshoss mit ihrer Shake Your Hips-Tour zu erleben sind. Wer danach noch fit ist, kann noch den Rest der 27. Langen Nacht der Museen mitnehmen, die ebenfalls am Samstag von 18.00 bis 2.00 Uhr stattfindet. Sie wollen lieber bei der Musik bleiben? Da geht ja auch noch mehr! Um 19:30 spielt Swing-König Andrej Hermlin mit seinem Orchester beim renommierten Köpenicker Jazz In Town-Festival in direkter zeitlicher Konkurrenz zu Django Lassi mit seinem Gypsy-Swing à la Django Reinhardt im Weddinger Werkraum, um 21:00 Uhr gibt es bei den Jüdischen Kulturtagen Folk-Soul-Reggae mit HaBanot Nechama.
Auch wird dieses Wochenende mein schöner Kiez vom Blumenfest heimgesucht. Lichtblick: Die Bilderflut, Projekt der Künstlerinitiative culturLAWINE. Hier werden auf die Fassade des Kinos Toni am Antonplatz, einem der ältesten Lichtspielhäuser der Stadt, moderne Stummfilme projiziert. Schließlich kann Weißensee als ehemaliger Standort vieler Filmstudios auf einen wesentlichen Anteil bei der Entstehung des Stummfilmkinos in Deutschland verweisen. International bekannte Filme wie Das Cabinet des Dr. Caligari wurden hier gedreht.
Bei dieser Vielzahl von Optionen kann man sich schon leicht gelähmt fühlen. Ich weiß was: Wir bleiben dieses Wochenende einfach zu Hause.
Kopfhörerhund meint: Wie, zu Hause bleiben? Blümchenfest ist doch ganz toll! Voriges Jahr habe ich dort eine gut erhaltene Bratwurst gefunden …
Warum eigentlich scheint es im August nie ein Open Air-Konzert zu geben, bei dem es nicht regnet? Ich zumindest kann mich an keines erinnern. Als ich am 5. August 2006 einem anderen großartigen alten Mann zuhören ging – Paolo Conte spielte damals auf der Museumsinsel – schüttete es wie aus Eimern. Dem Konzertgenuss tat das allerdings keinen Abbruch. Im Gegenteil, es war sehr romantisch. Vielleicht gehört es ja zwingend dazu, die Stimmung romantisch, das Publikum friedlich vereint unter Schirm und Cape, und dann die Musik dieser großen Melancholiker, denen ein Regenabend wahrscheinlich weitaus gerechter wird als greller Sonnenschein. In diesem Sinne freue ich mich auf heute Abend, wo Leonard Cohen in der Berliner Waldbühne spielen wird.
Kopfhörerhund besitzt zwar auch ein – wenngleich weniger schickes denn medizinisch notwendiges – Regencape, bleibt aber trotzdem zu Hause.