Fünfzehn Jahre jazzahead!, zehn Jahre jazzahead! Festival – dieses Doppeljubiläum sollte eigentlich 2020 begangen werden, aber aus allseitig bekannten Gründen wurde nichts daraus. Diesjahr dann also digital. Hatte man sich schon längst auf der entsprechenden Plattform registriert und auf gemütliche Sofatage mit Live-Stream eingerichtet, hieß es in letzter Minute doch noch: zwanzig Journalisten können pro Produktionstag in Bremen unter Einhaltung eines strengen Hygienekonzepts live dabei sein. Am 22. April – exakt eine Woche vor Festivalbeginn also – rauschte die Einladung durch den Presseverteiler.
Eingedenk der Tatsache, dass ich zu meiner ersten jazzahead! dank genau so einer Spontanaktion gekommen war (und wir alle wissen: wer einmal dabei war, ist ab jenem Moment Teil der Familie und künftig immer dabei, da gibt es keine Ausreden – zum einen, weil man selbst Blut geleckt hat und immer wieder auf der Suche nach einer Wiederholung des allerersten Geflashtseins ist, zum anderen, weil einen die Sippe nicht mehr entkommen lässt), meldete ich mich kurzentschlossen an, nahm einen Urlaubstag im Parallelgewerbe, brachte den eigentlich ununterbringbaren Hund unter – und bin nun also hier: Good morning Bremen, my love!
Wobei es recht eigentlich Abend ist. Aufgrund unvorhersehbarer Terminkollisionen, wie es im Businessdeutsch so schön heißt, was alles und nichts bedeuten kann, in meinem Falle jedoch, dass das Parallelgewerbe mehr als einen Urlaubstag nicht gewähren konnte, fuhr ich erst am Freitagabend in die Hansestadt ein. Dabei war auch diesjahr der Donnerstag, der klassischerweise Eröffnungsreden, diversen Check-ins, ersten (Re-)Meets&Greets und der Showcase-Nacht des jeweiligen Partnerlandes vorbehalten ist, schon Produktionstag. Ich verpasse das Eröffnungskonzert von Markus Stockhausen ebenso wie das dänische Pianosextett Red Kite und drei niederländische Gruppierungen: Sun-Mi Hong Quintet, Guy Salamon Group und Rembrandt Frerichs Trio.
Immer mit dabei: die nicht zu übersehende – und nichts übersehende – Kamera.
Auch am Freitag hat bereits Heidi Bayers „Virtual Leak“ gestreamt, bevor ich auch nur am Bahnhof bin, hat der Zug aus Hamburg doch Verspätung. Der – wie immer – vorzüglichen Pressebetreuung gelingt es jedoch, mich derart schnell mit Bändchen & Badge zu versorgen, dass ich, 17:50 Uhr am Hauptbahnhof angekommen, zu 17:55 Uhr der Livestream-Produktion des Kölner Quartetts NIAQUE beiwohnen kann. Um den tagesaktuellen Corona-Negativ-Test, ohne den niemand in die Messehallen gelangt, hatte ich mich schon am Vormittag in Berlin gekümmert.
Apropos Halle. Da wir es diesjahr mit einer Messe ohne Messe zu tun haben, wird nur eine Bühne gebraucht. Und weshalb nicht die größte und schönste nehmen, die die Messe Bremen zu bieten hat? Was sonst immer auf die Messehallen 7.1/7.2 und den Schlachthof verteilt ist, findet nun in der ÖVB-Arena statt. Das ist eine Halle für bis zu 14.000 Menschen. Wir sind zu zehnt: drei Journalisten, zwei Leute von der Messe, eine Kamerafrau, zwei Kameramänner, ein Licht- und ein Tontechniker. Plus das Quartett auf der Bühne.
Es ist spooky. Vor allem aber wahnsinnig spannend. Ich fühle mich an das Messejahr 2017 erinnert, wo mir das Presseteam den uneingeschränkten Zugang hinter die Kulissen von Festival und Messe ermöglichte, um meine Abschlussreportage „180 Minuten – Countdown zur Eröffnung der jazzahead!“ nebst Recherchedokumentation für das Deutsche Journalistenkolleg zu schreiben. Nicht weniger geisterhaft ist die Stadt selbst, der ich noch am selben Abend einen Besuch abstatte. Bremen hat, im Gegensatz zu Berlin, eine Ausgangssperre ab 21:00 Uhr verhängt, und damit die Pandemie zwar strenger, aber auch deutlich besser im Griff als die Hauptstadt. Der Marktplatz: verlassen. Wo sonst auch um diese Zeit noch Touristentrauben drängen, um sich vor den Stadtmusikanten ablichten zu lassen oder dem Esel einen Wunsch mitzugeben, herrscht gähnende Leere, und das, obgleich einzelne Klimaschützer auf dem Marktplatz protesthalber dauerkampieren. Ein paar Polizeiwannen, ein paar versprengte Aktivisten – und eine Handvoll jener, die berufsbedingt unterwegs sind. Auch wir jazzahead!-Arbeiter haben eine entsprechende Sondergenehmigung in der Tasche. Ich stehe mitten in der Stadt in der Fußgängerzone auf den Straßenbahngleisen. Kein Mensch, nirgends. Allein für dieses dystopische Erlebnis hat sich die Reise gelohnt.
Auch die Glocke, traditionsreicher Austragungsort des jährlichen jazzahead!-Galakonzertes: zu.
Wiese nicht die eine oder andere einsame Leuchtreklame auf sie hin, stolperte nicht der eine oder andere Musiker spätnächtlich zu den wenigen geöffneten Versorgungsquellen – es gäbe keinen Hinweis auf die Messe.
Obwohl am nächsten Tag der 1. Mai und somit Feiertag ist, stehen sechs Produktionen auf dem Plan. Nach dem tagesaktuellen Test in der Messe, der nach meinem Empfinden ebenfalls bedeutend strenger organisiert ist als in Berlin, erlebe ich – und entdecke für mich neu – das niederländische MAKA Kollektiv um die finnische Sängerin und Trompeterin Kirsi-Marja „Kiki“ Harju im Rahmen des European Jazz Meetings, denn seinen vertrauten Formaten ist das Festival weitestgehend treu geblieben. Es gibt neben dem erwähnten European Jazz Meeting die Canadian Concerts des Partnerlandes, die Overseas Night und die German Jazz Expo. Nicht alle davon werden in den Messehallen produziert. Heute stehen nach dem KAMA Kollektiv noch folgende Acts an: Tilo Weber Quartet „Four Fauns“, The True Harry Nulz, Nau Trio, Neferititi Quartett und Tobias Meinharts „Berlin People“. Ich konzentriere mich auf Weber und Meinhart, muss ich doch, wie so oft, extra die Hauptstadt verlassen, um den Berliner Schlagzeuger, Komponisten und Malletmuse-Labelgründer Weber sowie den Saxophonisten und Teilzeithauptstädter Meinhart zu treffen und sprechen. In Bremen ist endlich Muße dafür.
Tilo Weber hat mit seinem All-Star-Quartett Four Fauns gerade das Zweitwerk Faun Renaissance veröffentlicht, wobei sich der Titel nicht auf die Wiederkunft des Quartetts bezieht, sondern tatsächlich auf die Musik der Renaissance, die Weber hier eigenen Worten zufolge „durch den Wolf gedreht“ hat. Dabei hört man schon vom ersten Ton des Openers, der Gesualdo-Komposition „Se la mia morte brami“, dass es sich um das Album eines Schlagzeugers Handelt, denn auch, wenn Bass, Klarinette und die sich sehr ins Soundgefüge flechtende, überraschend WahWah-lose Trompete Richard Kochs über allerlei Tempiwechsel zart Kontra geben – vor allem klappert’s, rührt’s und scheppert’s hier. Erst mit der darauf folgenden Ockeghem-Komposition „O Rosa Bella“, deren Schlagwerk immer etwas enorm Rührtrommelartiges, Marschbegleitendes aufweist, wird dem Hörer bewusst, dass er es mit – bekannten und weniger bekannten – Reinterpretationen von Melodien der Renaissance zu tun hat, hätte das erste Stück doch durchaus auch als Eigenkomposition Webers durchgehen können. Schön: „Calextone, qui futdame d’Arouse“ mit seinem sekundenbruchteilkurzen Intro von gestrichenem Kontrabass, über dem Kochs – immer noch ungewohnte, weil ungedämpfte – Trompete die Fanfare gibt, bis eine gequälte Klarinette den Eindruck erweckt, hier wäre mindestens ein Synthesizer mit am Start, was aber nicht sein kann, weil die Fauns ein Akustikquartett sind. Und das hat offenkundigen Spaß an der Klangauslotung sowie der mal vollendet harmonisch parallelen, mal kunstvoll gegenläufigen Stimmführung.
Seite A der Platte endet mit dem „Canon Couperin“, von dem man annehmen könnte, dass er ins Repertoire der Alten Musik gehört, derweil er tatsächlich eine Neukomposition Webers ist, der hier das Metronomische von Barock und Renaissance, das hier vor allem vom (Walking?)Bass kommt, betont, das sich wiederum mit etwas Oh-So-Luftigem der Klarinette verbindet, zu der sich in perfekter Zweistimmigkeit die Trompete mal hinzugesellt, mal quietschend ausschert, derweil Weber besensanft begleitet, um bald schon wieder in Klappergeräuschexperimente abzudriften, sich insgesamt aber ungemein zurücknimmt, was das Ätherische der Komposition einmal mehr aufblühen lässt. Auf der digitalen Version gibt es jetzt noch „Mesomedes‘ Hymn to the Muse“, ein Jazz-Jazz-Stück – was das ist, steht hier unter der Rezension von Peter Schwebs Quintet – in Reinform, das es nicht aufs Vinyl geschafft hat.
Dessen Seite B startet mit einer weiteren Weber-Komposition: „Kyrie V“. Und als hätte er das Dystopische der leeren Stadt geahnt, ist sie ihm ein bisschen gespenstisch geraten. Da läuten Totenglocken. Nicht ohne Grund gibt es in jedem Requiem eine Kyrie. Ganz, ganz zart schließt sich eine weitere Eigenkomposition namens „Here Comes Everybody“ an, die eine Tür im Hörer zu öffnen versteht, sodass er sich ab 4:20 gern von der einmal mehr alarmistischen Fanfare zum Appell rufen lässt. „Ma fin est mon commencement“ besticht, um nicht zu sagen: erschreckt mit Störgeräuschigem, Electro-Clashigem, und wieder ist da diese Synthesizer-Anmutung, die zum munteren und dabei irgendwie auch pastoral-beschaulichen (Kreis-)Tanz ruft, der zum wilden Gypsie-Swing gerät, bis wir ganz zum Schluss dann auch die Koch’schen WahWahs sowie allerlei anderes Distortion hören. Mit der sehr getragenen, nahezu zeremoniellen „Kyrie“ aus Palestrinas „Missa Papae Marcelli“ entlässt das Album den Hörer … fast möchte ich schreiben: geheiligt. Doch wirkt sie nicht nur erhebend nach, sondern vor allem auch besänftigend, beruhigend, Ja: Ruhe gebend. Geistesruhe. Seelenruhe. Schön, das.
Ich spreche mit Tilo Weber über das Album, klar, aber auch darüber, dass das Tiefe in der Kunst nicht durch Leiden entsteht, sondern durch Hingabe, sowie über die Situation des Jazz im Lockdown. Natürlich gehört auch die Verortung des Gefühls, in die leere Riesenhalle hineinzuspielen, dazu. Zu diesem befrage ich auch den mittlerweile seit dreizehn Jahren in New York lebenden, seine Sommer aber immer in Berlin verbringenden Saxophonisten Tobias Meinhart. Der hatte 2019 mit einer Handvoll Berliner Musiker das Album „Berlin People“ aufgenommen, die Releasetour und ein paar weitere Konzerte gespielt, bevor er vom Lockdown ereilt wurde. Unter dem Motto „ECM trifft Blue Note“ unterhalten wir uns über die europäische und die amerikanische Jazz-Tradition, über Meinharts musikalische Familiengeschichte und das erhoffte baldige Ende der Pandemie.
Das sehnen alle Musiker in Bremen herbei. Manche fragen ängstlich, ob man ihnen angehört hätte, dass sie so lange nicht mehr aufgetreten wären – aber insgesamt überwiegt die Freude darüber, endlich wieder spielen zu dürfen, wenn auch vor leeren Hallen. Vor den Bildschirmen indessen haben neunhundertzwei Teilnehmer aus fünfzig Nationen sowie neunzig Aussteller aus einundvierzig Ländern an der digitalen Fachmesse teilgenommen, zu der auch die Live-Streams der Showcases gehören. Einige Wochen später wird man sie auch einem Nicht-Fachpublikum zugänglich machen. Wie es war, sich auf einer Messe, die von der persönlichen Begegnung lebt, rein digital zu tummeln, müssen indessen die Menschen vor den Bildschirmen beurteilen. Die Live-Produktion ließ wenig Zeit, mich in die bereit gestellte Plattform einzuloggen. Allerdings steht auch diese den Registrierten noch bis Ende Juli offen, sodass das Weiterspinnen des Jazznetzes auch unabhängig von den tatsächlichen Messetagen möglich ist.
Kommentare deaktiviert für Close together from afar – jazzahead! digital
Hingabe kann ich. Das ist im Allgemeinen eine gute Sache. Die Kehrseite: Ich kann auch Besessenheit. Im besten Falle ist es jene mit (oder von?) einem Lied: Ganz so, wie ich auch tage-, wochen-, monatelang das Gleiche essen kann, kann ich tage-, wochen-, monatelang das Gleiche hören – ohne, dass mir auch nur im Allergeringsten langweilig würde. Diesen Januar standen drei Songs auf meiner Speisekarte: „Colors“ von den Black Pumas in der Live in Studio-Version, „Highway 74“ von The Hamiltones, wie sie es bei den Roots Music Series spielten – und „Sugar“ von Kristiina Tuomi. Die Besessenheit mit Letzterem äußert sich ganz konkret darin, dass das Lied die wohl meistmitgesungene Zweitstimme meines Lebens hat, und zwar zu solch einem Ausmaß, dass ich meine eigene Stimme im Moment nicht mehr denken kann, ohne jene von Tuomi darunter zu hören.
Alles begann am 9. Januar 2020 mit einem Konzert namens The Dark Night of Soul im Orania, zu dem ich, von jeher zu jeglichem Seelendunkel hingeneigt, natürlich hingehen musste. Die Erinnerung an dem Abend spülte mir ein dafür berüchtigtes soziales Netzwerk ein Jahr später wieder in die Timeline, hatte ich damals doch ein paar Videos gemacht und gepostet. Das Stück, das ich schon vor einem Jahr als „coolsten Song des Sets“ beschrieben hatte, der als einzige Eigenkompositionen zwischen all den berühmten Covern nicht nur nicht verloren ging, sondern sie noch um Längen schlug, sollte mir zum intimen Begleiter der letzten Wochen werden. Nicht zuletzt, weil mich die „she keeps your heart on a shelf in a jar/and your soul on a chain in the yard“-Zeile getriggert hat, bin ich doch jüngst erst einer nämlich kurzgehaltenen Seele begegnet.
Wie es der glückliche Zufall wollte, wird „Sugar“, unten in der damals von mir gefilmten „Rioja-Version“ (Tuomi) zu sehen, heute von Tuomis neuem Quintett Glymmar veröffentlicht. Ich traf die Berliner Sängerin und Songwriterin, die vielen noch vom auf Traumton veröffentlichten Trio Tuomi im Ohr sein dürfte, zum Gespräch – ’ronakonform per Videokonferenz. Darin ging es nicht nur um die in „Sugar“ besungene dunkle Seite der Hingabe, den eher unjazzigen Stil und ein melancholisches Vernebeltsein, sondern erst einmal – wie das wohl unausweichlich ist, wenn das finno auf das ugrische Element trifft – um Lakritz.
Klangverführer: Schön, dass das mit uns beiden unter diesen widrigen Umständen geklappt hat. Wir wollen heute über deine neue Band Glymmar sprechen. Wie ist die zu diesem flimmernden Namen gekommen?
Kristiina Tuomi: Es ist eine alte Schreibweise von „glimmer“ aus dem Frühneuenglischen. Wir haben ja diesen Song namens „Fire“ gemacht und etwas in der Richtung gesucht – was heutzutage gar nicht mehr so einfach ist mit den Domains! Oder überhaupt einen Bandnamen zu finden, der nicht schon von einer koreanischen Punkband gekapert wurde.
Ich finde, in dem Namen schwingt auch etwas Nordisches
mit …
Ja, durch die Schreibweise denken das viele. Ich bin Halbfinnin – aber das wäre jetzt eher ein typisch skandinavischer, also schwedischer oder norwegischer, Name. Und das Skandinavische ist ja auch immer ein Thema. Ich meine, man sieht ja auch so ein bisschen, dass ich aus der Ecke komme. Aber die Finnen sind wirklich nochmal ein eigenes Völkchen und haben mit den Skandinaviern ursprünglich gar nichts zu tun. Die haben sich da angesiedelt, aber eigentlich sind sie mit den Ungarn verwandt.
Ja, ich bin Halbungarin …
Ja, richtig! Es gibt aber nur noch ein einziges Wort, das
sich Ungarn und Finnen teilen: „voi“ bzw. „vaj“,“Butter“. Sonst gibt es ja
keinerlei Überschneidungen im Vokabular mehr. Hab ich zumindest von einer
Ungarin gelernt.
Wenn wir schon keine Worte teilen: Ich habe gehört, dass
du eine typisch finnische Vorliebe für Lakritz hast, die ich mit dir teile.
(lacht): Ja, das ist ein Riesenthema. Lakritze! Ich kenn das
von klein auf. Meinte Mutter isst keine Süßigkeiten, aber Salmiak, diese
salzige Lakritze.
Da bin ich total bei ihr. Ich verabscheue Süßes, aber
Salmiak ist super!
In Finnland gibt es sogar Kartoffelchips mit Salmiakaroma. Und diverse Eiskremsorten, das ist so wie hier Schokoladeneis … Da gibt’s Glasur, und mit Stückchen und so fort. Überhaupt gibt es alles mit Lakritze: Es gibt Lakritzpudding, es gibt Lakritzsoße für Eis, das ist da wirklich so ein Standard-Flavor. Und ich liebe das echt. Da muss man aber, glaube ich, mit aufgewachsen sein. Sonst findet man das … Die meisten finden das echt nur eklig! (lacht)
Ich fahr da auch total drauf ab, obwohl ich nicht damit aufgewachsen bin. Wie dem auch sei: Sprechen wir wieder über Glymmar. Wie die Band zu ihrem Namen gekommen ist, haben wir schon gehört – jetzt interessiert mich natürlich ein bisschen was zur Bandgeschichte, wie, wann und warum ihr euch gegründet habt, zum Beispiel.
Also, die Band kam eigentlich eher so ein bisschen nach der Musik. Ich hab angefangen … Also, ich hab eine längere … Ich meine, ich bin ja jetzt keine zwanzig mehr. Ich hab ja schon ein bisschen was auf dem Buckel. Damals war ich sehr viel in der Jazz-Szene unterwegs, und da hat sich auch schon so ein bisschen abgezeichnet, dass ich einen eher unjazzigen Stil verfolge – man sucht sich’s ja nicht aus, es kommt halt so aus einem raus.
Ich bin da ein sehr intuitiver Songwriter. Ich setz mich dann wirklich hin und versuche, in so einen Flow zu kommen, und dann kommt es aus mir raus, ich zeichne alles auf, und im Nachhinein such ich mir dann die schönen Sachen raus, die da gekommen sind. Und irgendwie ist das, was kommt, immer etwas Dunkles, Melancholisch-Verträumtes – das muss jetzt nicht immer Moll-ig sein, aber es ist irgendwie immer ein bisschen vernebelt. Und es hat auch Anleihen an Minimal Music – ich mag halt solche repetitiven Patterns.
Schon damals im Jazz hatte ich ein Trio mit Carlos Bica und Carsten Daerr, Tuomi. Als wir das gegründet haben, hab ich noch studiert. Und das ist auch schon durch besonders dunkle Töne aufgefallen. Das hat immer polarisiert. In den Jazzclubs immer so düstere Stücke zu bringen, das ging für manche gar nicht! (lacht) Es gab halt einerseits richtige Fans, die auch immer noch Fans sind, das ist total süß, von denen höre ich immer wieder, Mensch, wann gibt es mal wieder was von Tuomi? Und dann gab es eben auch Leute, die kamen und sagten, das ist doch kein Jazz mehr!
Carlos Bica war dabei, sagst du?
Ja, er ist ein Kontrabassist, der sehr virtuos mit seinem Instrument umgehen kann, er spielt sehr melodiös und teilweise in Cellolage. Er ist in Portugal recht bekannt, da kommt er her, lebt aber mittlerweile hier. Er hat viel mit Maria João gespielt und hatte dann ein Trio mit Jim Black und Frank Möbus, Azul. Wir haben ihn uns damals rausgepickt, weil er sehr … er hat halt selbst auch so romantische Stücke geschrieben, und wir haben gemerkt, er passt einfach seelisch zu uns. Und das hat mich lange geprägt.
Ich hab das zehn Jahre lang gemacht. Wir haben getourt und alles, Goetheinstitutstouren und Touren durch die Jazzclubs im deutschsprachigen Raum, wir haben zwei Alben bei Traumton gemacht … Und dann habe ich gemerkt, dass ich immer mehr den Drang hatte – und ich scheue den Begriff „Popmusik“ immer so ein bisschen, weil die Leute immer sofort so eine ganz klare Vorstellung haben, was das ist, und das ist es dann meistens doch nicht so ganz! – also den Drang hatte nach etwas, das so ein bisschen zwischen den Stühlen hängt. „Sugar“ zum Beispiel, der Song, um den es heute geht, der hängt auch zwischen den Stühlen: Er ist tatsächlich sehr poppig, so richtig mit durchgehendem Schlagzeug, aber auch so ein bisschen … „zwischen den Stühlen“ trifft es schon ganz gut. Es war schon immer zwischen den Stühlen gewesen – und das ist auch jetzt so.
Tuomi haben wir aufgelöst, das hatte sich irgendwann totgelaufen. Das war eine ganz natürliche Entwicklung: Irgendwann war es einfach genug. Wir hatten auch nicht mehr so richtig Lust gehabt, noch weiter daran zu arbeiten, und ich wollte immer schon mehr mit Percussion machen, ich wollte gern ein Schlagzeug dabei haben, aber nicht alle im Trio waren damit einverstanden. Ich habe dann erstmal mit meinem eigenen Zeug eine Pause gemacht und als Profisängerin gearbeitet, richtig knackig: Ich hab Event-Jobs gemacht, Werbung eingesungen, Filmmusiken eingesungen … Ich hab einfach Geld verdient – und musste dann erstmal gucken, was ich jetzt überhaupt will, weil ich gemerkt habe, dass ich in der Jazz-Szene nicht weitermachen möchte. Ich musste mich also erstmal finden. Ein bisschen spät – aber ist ja egal! (lacht) Als Frau denkt man ja sowieso immer, man ist zu alt. Es ist eigentlich egal, wie alt man ist, man ist eh immer zu alt! (lacht wieder) Das ist dann aber auch schön, weil man sich dann sagen kann, das ist jetzt auch schon egal!
Ich hab dann jedenfalls ein Kind bekommen, das dann alles an Zeit und Plänen nochmal torpediert hat … Aber ich habe immer zwischendurch Songskizzen aufgenommen. Mich über die Jahre immer wieder hingesetzt, an die Rhodes, ans Klavier, und immer wieder Sachen aufgenommen. Und mein Mann, der zufälligerweise Produzent und Toningenieur ist, hat dann irgendwann gesagt: Ach, lass uns die doch jetzt mal hübsch machen! Damit haben wir dann auch angefangen, aber immer nur sporadisch, weil er halt auch viel gearbeitet hat – er ist der Schlagzeuger der Geschwister Pfister und macht auch viele Aufnahmen … Ja, als Working Musician sein eigenes Zeug zu machen, besonders, wenn man dann schon in der Szene einfach viel zu tun hat, ist nicht so einfach! Aber dann kam der Lockdown. Und wir beide waren plötzlich arbeitslos. Da haben wir uns gesagt: Jetzt machen wir das.
Ist Glymmar eine Lockdownband?
Nicht wirklich. Wir haben die Musiker schon vor dem Lockdown ausgesucht. Dafür haben wir auch länger gebraucht. Zum Beispiel mit dem Pianisten: Es war so ein Ding einen Pianisten zu finden, der das so spielen kann, wie ich es höre, in mir drin. Ich spiel ja selbst Klavier beim Schreiben, aber für die Bühne – das würd ich mir nicht anmaßen! Und ich brauchte halt jemanden, der so Minimal-Patterns spielen und die nageln kann – aber auch ’nen Touch hat! Also quasi ’nen Klassiker, ’nen Popmusiker und ’nen Jazzer in einer Person. (lacht) Ich hab da viel rumprobiert. Und war da auch so ein bisschen Diva. Und dann kam mir Benedikt in den Sinn, der mit mir zusammen studiert hat und der in einer ganz anderen Ecke vom Jazz unterwegs war. Ich hab ihn auch privat mal ab und zu gesehen und dachte dann, warum frag ich ihn denn nicht einfach? Der kann das bestimmt!
Und dann hat sich herausgestellt, dass er tatsächlich auch so ein Minimal-Music-Fan ist und das total versteht – einfach *total* versteht, was ich da mache. Das ist wirklich ein Phänomen. Dieses „Secrets“-Stück, das ist ganz ohne Click eingespielt. In der Popmusikproduktion arbeitet man ja eigentlich so, dass man so einen Click reinlegt, und dann spielt jeder einzeln auf den Click seine Sachen ein, und dann legt man das übereinander. Wir haben das aber tatsächlich alles live gemacht. Benedikt hat sich hingesetzt, ich war im selben Raum, Mikrofon vor der Nase, ohne Click, und dann ging’s los! Und er hat das einfach perfekt … Wir haben wirklich gleich den zweiten Take genommen. Unfassbar! Als wäre er ich. Also, meine Verlängerung.
Schön!
Ja, das war großartig. Ich bin ein ganz großer Fan von ihm.
Und das ist auch das Herz der Band: das Piano. Wir haben ein echtes Klavier; wir
benutzen tatsächlich keine Synthies oder so etwas, es ist ein echtes Klavier,
es steht im Studio, es ist ein ganz altes, warmes … Es hat so einen ganz
dicken, warmen Sound, auf dem hab ich das geschrieben und damit nehmen wir auch
alles auf. Es hat einen ganz charakteristischen Klang. Und es knarzt auch
richtig! Am Ende von „Secrets“ hört man, wie das Pedal so Krrrk-krrrrk macht.
– Interviews in Zeiten der Pandemie –
Ihr habt bislang drei Singles veröffentlicht: „Moon Behind A Cloud“ im November 2020, „Fire“ im Dezember,„Secrets“ im Januar und jetzt im Fast-Februar „Sugar“. Was steckt hinter dem Konzept, jeden Monat eine Single, aber kein Album zu veröffentlichen?
Damit habe ich mich ziemlich beschäftigt. Also alles, wie es normalerweise läuft, geht ja gerade nicht. Normalerweise, in unserer Szene als Live-Musiker, als Band, die live auftritt und kein Studioprodukt ist, läuft es so, dass man Konzerte spielt und dabei eine kleine Fanbase aktiviert, die dann das Album auf den Konzerten kauft. Das geht halt im Moment nicht.
Das war ja der Hauptvertriebsweg für Alben in
Streamingzeiten: der Merch-Stand auf den Konzerten, oder?
Normalerweise ja. Aber bei Tuomi war es so – aber das ist auch wirklich schon länger her, da gab es noch kein Spotify, und noch nicht mal Facebook war da so richtig am Start, das war 2004 und 2007, als wir die Alben gemacht haben –, dass es da noch ganz anders war: Da ging man in den Plattenladen und holte sich eine CD. Und da war das auch für Musiker noch nicht so schwierig, wir haben da auch was verkauft! Die Stefi von Traumton hat ein paar Pressebemusterungen gemacht, dann haben wir Presse gehabt und dann sind die Leute losgegangen und haben die CD gekauft! Oder sie bestellt. Und das lief ganz gut!
Und auch live war es bei uns immer ganz gut besucht, auf Tour haben wir immer auch verkauft, das war schon schön. Und im Radio liefen wir auch mal. Also, jetzt nicht bei Radio Energy (lacht), aber im Kulturradio. Also in der typischen Jazz- und Kulturnische. Und das funktionierte ja auch, denn die Fans dort wissen ja, dass man die Künstler unterstützt, indem man die CD kauft.
Das hat sich seitdem, während dieser Pause, die ich gemacht habe, alles total geändert. Ich saß dann da, mit dieser Musik, und dachte: Wie mach ich’n das jetzt? Und dann hab ich einfach mal geguckt, wie die anderen das so machen. Vor allem in diesem Lockdown. Wir sind ja jetzt rein digital. Man kann nicht spielen – also, man könnte jetzt ein Live-Stream-Konzert machen, das ist bei uns aber tatsächlich nicht so einfach, weil wir so viele sind. Wir sind jetzt fünf Leute, für live würde ich dann natürlich auch Backgroundgesang dazunehmen, dann sind wir bei sieben Leuten … Also, ich bin ja nicht so ein Fan davon, wenn man sagt, och, für die Musik treff ich mich jetzt doch mal auf eine kleine Corona-Party …
Dazu kommt, dass mein Mann, der bei Glymmar Schlagzeug spielt, und ich ein Kind haben – überhaupt haben alle unsere Bandmitglieder Kinder. Und die müssen betreut werden, wenn wir proben. Das ist nicht so einfach, wenn die Kita nicht da ist. Es sind halt diese praktischen Dinge, am Ende. Meine Eltern zum Beispiel sind schon etwas älter. Sie betreuen öfter mal unseren Sohn, aber wenn wir uns jetzt mit mehreren Personen zu Proben treffen würden, dann könnten sie ihn nicht mehr nehmen. Es sind die profanen Dinge, die jetzt entscheiden.
Ihr seid aber alles Berliner, das heißt, wenn Konzerte
wieder möglich sind, könntet ihr euch leichter zusammenzufinden, als wenn ihr
über ganz Deutschland verteilt wärt?
Ich bin die einzige gebürtige Berlinerin in der Band, aber
wir sind alle in Berlin ansässig. Das geht alles. Wir haben auch schon geprobt,
bevor es so schlimm wurde, aber dann ging wirklich alles drunter und drüber.
Alles sind Profimusiker – bis auf den Pianisten, der hat noch einen normalen
Job.
Einen Daytime-Job, der nichts mit Musik zu tun hat?
Ja, das ist seine zweite Leidenschaft, er ist nämlich auch
noch Doktor der Mathematik. Hat er einfach noch so rangehängt (lacht). Er
arbeitet als Mathematiker. Deswegen macht er jetzt seinen Job – aber für den
Rest von uns ist es schwierig. Ich denke immer wieder, man könnte die Zeit zum
Proben nutzen, aber das zieht eben solch einen unglaublichen Rattenschwanz an
Problemen hinter sich her – und dafür, dass wir dann für einen Facebook-Stream
dasitzen, fühlt es sich auch nicht so gut an. Ich bin schon eher so eine
Rampensau! (lacht wieder) Und das fehlt mir dann.
Kann man sagen, es gibt die sukzessive veröffentlichten
Singles und kein Album, weil es eben keine Record Release Konzerte gibt?
Also, ich glaube, es ist erstmal so, dass diese Songs auch als Singles sehr gut funktionieren. Das macht auch künstlerisch für mich schon Sinn. Weil … Die sind alle in Phasen entstanden und haben auch so ein bisschen ihre jeweils eigene kleine Welt. Es gibt dann auch nicht wie bei einem Album so zwei, drei Songs, die man halt noch macht, weil man ein Album füllen muss, sondern ich versuche wirklich, dass jeder der Songs eine kleine Perle ist. Mir gefällt auch die Idee, für jede Single ein eigenes Cover zu haben. Ich mag Alben, ich höre auch Alben – ich bin ja auch noch alte Schule, aber ich kann diese andere Welt der Singles auch sehr gut verstehen. Mit den neuen Plattformen, wo jetzt Musik gehört wird, macht das schon Sinn.
Ich hab auch noch mehr Songs, die kommen jetzt auch alle nach und nach, aber so bekommt halt jeder Song seine Aufmerksamkeit und seinen Platz. Ich finde das irgendwie schön. Dass alle mal dran sind. Das ist wie so eine Familie mit lauter kleinen Kindern, und jedes hat halt mal Geburtstag. Und nicht alle auf einmal.
Nochmal kurz zu den neuen Plattformen, zu dieser Situation mit dem ganzen Streaming: Ich benutze für Glymmar ja Spotify, und, das muss ich auch sagen, Spotify ist natürlich ein schlimmer kapitalistischer Konzern, der uns alle ausbeutet. Ich mach jetzt mit bei dem Game, mal für ’ne Weile, um das mal auszuprobieren, aber ich werde auf Dauer wahrscheinlich auch zu Bandcamp gehen oder so. Weil: Eigentlich darf man das nicht unterstützen.
Du hast von dieser eigenen kleinen Welt der Songs
gesprochen. Lass uns über die Welt vom heutigen Release „Sugar“ sprechen – über
die Situation, die der Song reflektiert.
Das ist ein kleines Märchen. „Sugar“ ist ja zweideutig: Es ist nicht nur der Zucker, es ist auch ein Name, so wie „Sugar“ in „Manche mögen’s heiß“. „Sugar“ sehe ich als eine Art Hexe, eine Sirene. Aber ich bin kein konkrete-Lyrics-Mensch. Ich erzähle keine Geschichten, sondern Bilder. Und mir ist es auch recht, wenn es Bilder bleiben. Wenn es zu konkret wird, auch bei Musik, bei Kunst generell, finde ich das problematisch. Aber ich kann auf jeden Fall sagen, „Sugar“ ist so eine Hexe, eine wunderschöne, verführerische Hexe, die süß ist und einen umgarnt, die einen aber auch heimsucht. Wie Zucker fühlt sie sich toll an, bringt aber auch superviele Schwierigkeiten mit sich. Sie macht süchtig.
Wie eine Droge.
Ja. Und die Zeile „Sugar in my bed“ – ich meine, wenn man
Zucker im Bett hat, ist das auch nicht wirklich angenehm, das kratzt halt! Und
auch im Blut kann es unheimlich nervig sein. Im Prinzip wie mit allen tollen
Dingen, die einen wahnsinnig vereinnahmen: die haben oft auch Nachteile.
Drogen, Alkohol, Sex … solche Geschichten haben ja auch immer den Reiz des
Problematischen. Ich glaube, dass das etwas zutiefst Menschliches ist, dieses
„Ich will, aber ich sollte nicht“. Dieses Gefühl steckt in dem Song: Ich will
eigentlich, ah, aber ich weiß, ich darf nicht. Ich sollte nicht. Dieses: Ah, du
wirst es bereuen.
Ich wusste doch, es gibt einen Grund, weshalb das Lied mich
so triggert!
(beide lachen)
Damit kann wohl fast jeder etwas anfangen. Und die musikalische Umsetzung … Also, mein Mann hat das ja produziert. Ich schreibe nur Riffs auf dem Klavier. Ich mag Rockmusik, ich mag auch harte Rockmusik. Und Riffs auf dem Klavier zu machen, finde ich wahnsinnig spannend. Ich kann leider überhaupt nicht Gitarre spielen, das ist einfach nicht meins, war es auch nie – aber ich versuche, was so ein Rockgitarrist auf seiner Gitarre entwirft, eben: das perkussive und das harmonische Element miteinander zu verbinden, aber auf dem Klavier. Es gibt ein paar Künstler, die das gemacht haben, zum Beispiel Trent Reznor von den Nine Inch Nails. Ich bin immer ein Riesenfan gewesen, schon seit Teenie-Tagen … Halt so ein Rock’n’Roll-Klavier! Tori Amos macht das auch oft, oder Kate Bush. Das sind so meine Einflüsse, und das hört man sicherlich auch im Gesang.
Ich merke bei mir, ich sing jetzt nicht so, wie man heutzutage singt. Da merk ich, dass ich schon ein bisschen länger dabei bin. Meine Einflüsse sind aus einer anderen Zeit – und das hört man auch. Dieses Vollmundige … also, ich habe eigentlich die Stimme dafür, ich könnte das machen, aber es kommt einfach nicht aus mir raus. Was kommt, ist immer dieses Kopfstimmige. Das ist so eher meins. Und dazu diese Riffs. Mein Mann hat zu diesem Song dann auch diese Stimmeffekte gebaut, das bin ja auch ich, so eine beschnittene Stimme, wie ein Sirenengesang, der auch so ein bisschen gruselig ist. Das passt schon zu der klassischen Geschichte von der bösen Hexe im Lebkuchenhaus. Und am Ende nimmt sie dir die Seele und das Herz, und du bist ihr Gefangener.
So ist das mit den Hexen im Lebkuchenhaus: Du landest als
Herz im Einmachglas auf dem Regalbrett und als Seele an der Kette im Hinterhof.
(beide lachen)
Ihr bezeichnet das Ganze ja als „Dreampop“. Bei dem
Begriff habe ich immer ganz fürchterliche Assoziationen an Weichspülklänge, die
in Cover mit dem Sonnenuntergang entgegenspringenden Delphinen verpackt sind …
Aber sowas höre bei euch, bis auf dieses Flächenhafte, ja überhaupt nicht,
gottseidank.
Es ist ja immer das Problem: Was ist das denn, was wir da
machen? Keine Ahnung! Aber ich fand es ganz passend, weil: The Cure gilt ja
auch als Dreampop.
Naja, wenn überhaupt, dann Dreampop noir, wobei ich da ganz klassisch mit Gothic oder Wave glücklicher wäre …
Ich glaube einfach, dieses Flächige, diese vielen Schichten,
die da so ineinanderwabern … das passt da rein. Bei „Sugar“ tatsächlich nicht
so sehr, aber „Fire“ und „Moon Behind A Cloud“, die passen da gut hinein. Aber
wenn du einen besseren Genrevorschlag hast, ich bin da ganz offen!
Ich empfinde etwa „Secrets“ als totalen Torch
Song. Nicht im klassischen Sinne, sondern im
buggewesseltoftschen. Aber es ist tatsächlich eine der großen Herausforderungen des Musikjournalismus, passende Genreeinordnungen vorzunehmen bzw. neue Genres zu schaffen.
Ja, und heutzutage ist das wirklich
interessant! Ich hab ja jetzt kein Label hinzugezogen, weil: Wenn man nicht
spielen kann und auch keine CDs oder was auch immer verkauft, zahlt man ja
erstmal nur drauf – außerdem wollte ich wirklich auch mal die volle Kontrolle
haben. Einmal alles alleine machen – und vielleicht auch auf die Schnauze
fallen, aber ich wollte mal wissen … man lernt auch sehr viel. Was da alles so
dahintersteckt. Dass man sich zum Beispiel Genres ausdenken muss.
Und wie fühlt sich die bis jetzt an,
diese volle Kontrolle?
Naja, es ist halt alles total komisch retortig, weil man nicht auftreten kann. Wir sind jetzt gerade in einer rein digitalen Welt unterwegs. Das geht ja nicht nur den Musikern so. Die Leute sind im Homeoffice, dahinten turnen die Kinder rum und vorne will man irgendwie … wie soll ich das nennen? charismatisch rüberkommen. Mir macht das wahnsinnigen Spaß, weil ich eh gerne gestalte und auch ein Typ für Social Media bin. Es ist nicht so, dass ich mich dazu zwingen muss, mir macht das Spaß. Ich habe so eine kleine exhibitionistische Ader, sonst wäre ich auch nicht Sänger geworden, das ist schon okay. Für meinen Mann aber zum Beispiel ist das Horror, der kriegt da gleich Panik.
Ich glaube, man muss dafür auch ein bisschen gemacht sein. Und ich finde es auch ganz schön, weil man so einen Reality Check kriegt, das ist sehr interessant. Aber es ist natürlich auch superschwierig! Ich bin keine kleine, süße Maus, die irgendwie da bei Instagram voll viele Follower hat, weil sie halt so supersexy und so hyperjung und niedlich ist – das kann ich nicht bieten. Das heißt, ich bin eine erwachsene Frau, die sich erlaubt, noch Popmusik rauszubringen, die dann noch nicht mal wirklich in ein Genre reinpasst! Also, man kann es sich bestimmt leichter machen im Leben.
Aber ich merke tatsächlich, dass mich das trotzdem sehr glücklich macht, weil es *wirklich meins* ist. Das ist total ehrlich: Das bin ich und so kling ich und so ist meine Musik und die hab ich selbst geschrieben und ich hab die Covers zwar nicht gemacht, aber ausgesucht, ich habe die Leute ausgesucht, die das spielen, und das ist so richtig mein Baby. Mal ganz hundert Prozent. Sich zu trauen, das rauszubringen, einfach so: Hier, guck mal, mein Herz, bitteschön – das fühlt sich toll an! Selbst, wenn nur drei Leute sagen, ach, ich finde das schön. Es ist ja jetzt nicht so, dass hier die Tausenden von Followern kommen und sagen, darauf haben wir schon immer gewartet! Aber jeder Mensch, den das glücklich macht, der ist für mich … das ist einfach wahnsinnig schön. Man teilt sein Herz mit anderen Leuten.
Glymmar sind Kristiina Tuomi (Vocals),
Samuel Halscheidt (Gitarre, Keys, Vocals), Benedikt Jahnel (Piano), Carsten
Hein (Bass, Keys) und Immo Philipp Hofmann (Drums).
Es war unerwartet heiß in Berlin. Heiß ging es auch her beim Champions League Finale zwischen Juventus Turin und Barcelona. Und dann spielten auch noch Faith No More in der Zitadelle. Wer an diesem 6. Juni 2015 ins Ramones Museum gekommen ist um Eric Pfeil zu hören, wollte das auch wirklich. Und wurde nicht enttäuscht. Für alle anderen gibt es hier die Italo Western-inspirierte Zugabe seines Konzerts, auf dass sie sich ewig ärgern, einer der Konkurrenzveranstaltungen den Vorzug gegeben zu haben.
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Meine aktuelle Kolumne in der Mai/Juni-Ausgabe der Jazzthetik eröffnet mit den Worten: „Israel! Nicht nur Gelobtes Land und ergo versprochene Zuflucht, wenn hier – mal wieder – alle Stränge reißen, sondern auch Wiege vieler Lieblingskünstler. Avishai Cohen! Ofri Brin! Und immer wieder: Asaf Avidan!“ Der dramaturgischen Trias geschuldet ist es, dass die Aufzählung an dieser Stelle endet. Dabei gibt es noch so viel mehr Lieblingsmusiker in dem Land, wo nicht nur Milch und Honig, sondern auch die betörendsten Klänge fließen. Etwa die Jewish Monkeys, einem Trio Infernale um den Exil-Deutschen und Wahl-Israeli Josef „Jossi“ Reich, der in Gestalt seines Alter Egos Joe Fleisch erstmals vor gut dreieinhalb Jahren angetreten war, unsere Playlists gründlich aufzumischen.
Und während wir Daheimgebliebenen vergangenen Sonntag im kollektiven Langes-Wochenende-Koma inklusive Prä-Montags-Blues gefangen waren, haben sich die Jewish Monkeys in Tel Aviv mit dem gebürtigen Mannheimer Stefan Hantel – der der Balkan-Beat-Fraktion besser als Shantel bekannt sein dürfte – zusammengetan, um ein gemeinsames Konzert zu geben: Nach dem Auftritt des wilden Vokaltrios sorgte er mit einem DJ-Set dafür, dass die Tanzfläche noch lange nachglühte. Wie es zu dieser Künstlerfreundschaft kam, erzählt Jossi Reich exklusiv für den Klangverführer:
„Die Symbiose zwischen Shantel und den Jewish Monkeys reicht in die Neunzigerjahre zurück. Wie Ronni Boiko und ich ist auch er aus Fankfurt und zweifelsohne unsere größte Inspiration, wenn nicht gar der Grund dafür, dass wir eine Band ins Leben riefen. In den frühen Neunzigern ging ich gerne auf Shantels Parties im Bahnhofsviertel, um die Ecke vom Rotlichtbezirk, innerhalb all der Patrizier-Häuser, die nicht mehr im besten Zustand waren, lange bevor diese Gegend durch den Entwicklungs-/Gentrifizierungsschub der letzten Jahre zum neuen Kultur- und Geschäftsnabel Frankfurts wurden. Lustigerweise freundeten wir uns erst so richtig an, als ich Deutschland bereits in Richtung Israel verlassen hatte und wir anfingen, uns regelmäßig bei Shantels Besuchen in Tel-Aviv und meinen in Frankfurt zu sehen. Er brachte mich mit der Musik von Kruder und Dorfmeister, Dimitri from Paris und anderen Größen der Electro-Lounge der Neunziger in Berührung, aber seine Leidenschaft für Balkan- und Klezmer-Musik war die eigentliche künstlerische Verbindung zwischen uns. Shantels profunde Kenntnis des Kulturschatzes alter jiddischer Lieder faszinierte mich ‒ zudem lernte ich durch ihn die großen Balkan-Bands aus Rumänien, Serbien und anderen Regionen des Balkans kennen.
Wir hatten eine Menge Spaß, wenn wir auf die Konzerte von Goran Bregovicz gingen, und nie werde ich den magischen Moment vergessen, als er eine dieser riesigen Strandpartys in Tel-Aviv nicht mit einem elektronischen Track eröffnete, sondern stattdessen mit einer penetrierenden, aufrüttelnden Trompeten-Fanfare einer unbekannten Balkan-Band. Das Publikum war perplex, und so gut wie keiner tanzte. Mit dem für ihn typischen, süßen verzeihungsheischenden Grinsen sah sich Shantel gezwungen, nach ein paar Minuten wieder coolen Elektro-Sound aufzulegen, für den die Leute eigentlich gekommen war. Aber schon bald erfand er sich sozusagen neu, adaptierte und kommerzialisierte den Sound der Filme Emir Kustorizas sowie der CDs von Goran Bregovicz und platzierte sich damit in der europäischen Club-Szene. Es folgten mehr und mehr eigene Produktionen und Kompositionen und schließlich die Gründung des mittlerweile legendären Bucovina Orchestra.
Durch Shantel freundete ich mich vor fünfzehn Jahren auch mit dem Komponisten und Produzenten Ran Bagno an. Bereits damals hatte sich Bagno, der letztes Jahr den israelischen Film-Oskar für den Soundtrack der preisgekrönten israelischen Soldatinnen-Komödie Zero motivation erhielt, als Komponist für Theatermusik und musikalischer Direktor von Vertigo, einer erfolgreichen Tanzkompanie in Israel, einen Namen gemacht. Man kann sagen, dass er jenes verrückte, amateurhafte Gesangs- und Jamming-Trio Infernal, welches aus Roni Boiko, Gael Zajdner und mir bestand, gewissermaßen adoptierte. Wir begannen, uns die Jewish Monkeys zu nennen. Schon bald nahm Shantel einige unserer Tracks in seine Playlists. Über sein Frankfurer Label Essay-Recordings brachte er die Tel-Aviver Guitarren-Band BoomPam nach Europa, deren Sound wiederrum unsere Debütalbum Mania Regressia dominierte, welches über die Jahre langsam entstanden ist und von uns bei unserer Herbst-Tour in Deutschland 2014 veröffentlicht wurde.
2003 sampelte Shantel Wilmoth Houdinis Calypso-Klassiker Black but Sweet und machte aus der wehmütigen Melodie einen instrumentellen Electro-Worldmusic-Clubhit, den sogenannten Bucovina Track. Von Shantel inspiriert begeisterten auch wir uns für den Original-Song, in welchem der Sänger aus Trinidad in den Dreißigerjahren einem weißen Publikum in den rassengetrennten USA vorsang, dass seine Geliebte „schwarz, aber süß“ sei. Mit der Arbeit an unserer Cover-Version dieses Songs legten wir den Grundstein zu unserem ganz eigenen Klezmer-Rock-Drei-Männer-Gesangsstil. Ein paar Jahre später machten die beiden Tel-Aviver Regisseure Guy Bolandi und Asaf T. Mann daraus jenes Schwarz-Weiß-Video, welches das Klischee der stereotypen sexuellen Ausbeutung weiblicher Schönheit der MTV-HipHop-Welt auf den Kopf stellte und mit uns drei Jewish Monkeys konfrontierte, die sich über jüdische Gebetsrituale lustig machten, visuell begleitet von einem angebrochenen Neonröhren-David-Stern im Hintergrund und einem geschlachteten, kochreifen Huhn, welches von einem weiblichen äthiopischen Fotomodell apokalyptisch zerhackt wird, in dessen Folge sich ein himmlisch-höllischer Regen abgetrennter Hühnerfüße über die Szenerie ergießen soll.
In dem Moment, als Ronni Boiko anfing, seinen Diaspora-Humor in die von ihm verfassten satirischen Song-Texte unseres Grund-Repertoires einzubringen und somit der ganz eigene, von aschkenasisch-jiddischen Klezmer-Elementen durchwirkte Rock-Sound der Jewish Monkeys entstand, folgten wir im Grunde einem Wegbereiter wie Shantel, der alte Klezmer und Gipsy- Musik auf seine Art und Weise zu erfolgreichem Pop machte. Wie gesagt, ohne Shantel hätte es die Jewish Monkeys wohl nicht gegeben. Als 2013 der Elektrobass-Spieler Yoli Baum zu uns stieß, der seinerseits den charismatischen E-Gitarristen Haim Vitali Cohen sowie den Schlagzeuger Henry the Rose Vered und den Jazz-Posaunisten Arnon de Boutton mitbrachte, entstand ein neuer Klezmatic-Hardrock-Sound, und aus dem Projekt, das sich bereits über ein ganzes Jahrzehnt erstreckte, wurde endlich eine richtige Band.
Es war uns eine besondere Ehre, Shantel für zwei Gigs in Jerusalem und Tel-Aviv zu hosten – und irgendwie habe ich persönlich dabei das Gefühl, dass er uns hostete, genauso wie damals als neugeborener Balkan-DJ in den späten Neunzigern und zu Anfang des Milleniums, als er am Schauspiel Frankfurt seine eigene Reihe startete und Taraf de Haidouks aus Bukarest zu Gast hatte, Fanfare Ciocarlia oder den total abgefahrenen und damals noch relativ unbekannten Gogol Bordello (der Jahre später Madonna-Konzerte aufwärmte). Es waren zwei Abende voller Ekstase, die einen Gogol Bordello trunken machen würde, selbst wenn er noch keine einzige seiner billigen Vodka-Flaschen auch nur angerührt hätte. Nasdrovje, L´Chaim, Prost!“
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Als ich sie im jüngst auf fairaudio veröffentlichten Bericht über das XJAZZ-Festival erwähnte, fiel mir auf, dass ich hier noch gar nichts darüber gesagt habe: Die Rede ist von den Bernauer Musikfestspielen Siebenklang, die 2014 bereits in die achte Runde gegangen sind. Den Auftakt der sieben – daher der Name – Konzerte bestritt diesjahr ein erschütternd stimmgewaltiger Dominique Horwitz mit seinem Brèl-Programm, den Abschluss am 31. Mai teilten sich gleich vier Acts, darunter der Kanadier JF Robbitaille. Leser, die dem Klangblog auch während seines Sabbaticals die Treue halten, wissen, dass ich unsere Generalpause nicht ohne guten Grund unterbreche. Robbitaille aber ist ein verdammt guter Grund!
Mit Pocketcamera, deren Klangqualität ich zu entschuldigen bitte, konnte ich auf dem Abschlusskonzert des diesjährigen Siebenklang-Festivals, das in der herrlich inmitten von Liefern gelegenen Waldkirche Lobetal stattfand, seine Interpretation des Patience & Prudence-Klassikers Tonight You Belong To Me einfangen. Der steht nicht stellvertretend für die Musik auf Robitailles aktuellem Album Rival Hearts, das die düstere Seite des Singer/Songwriters in den Vordergrund stellt, spricht aber den heimlichen Simon&Garfunkel-Fan in mir, der gern mal in terzseligen Folkharmonien schwelgt, an. Haben Sie eine schöne Zeit!