Wenn in der schnelllebigen Berliner Szene – wo man nach dreijährigem Bestehen schon als etabliert gilt – ein Festival in sein sechstes Jahr geht, verdient es das Prädikat „nicht mehr aus dem Kulturkalender der Hauptstadt wegzudenken“. Wenn es sich dann auch noch um ein (wenngleich den Genrebegriff extrem weitfassendes) Jazzfestival handelt, muss neidlos konstatiert werden: Hier wurde alles richtig gemacht. Kein Wunder, dass die diesjährige Ausgabe des XJAZZ-Festivals ihren Vorjahresrekord von etwa 11.000 Besuchern mit ganzen 21.000 noch einmal toppen konnte. Das gilt auch für die Zahl der bespielten Venues, die sich traditionellerweise um den U-Bahnhof Schlesisches Tor im dem Festival seinen Namen gebenden Bezirk Kreuzberg gruppieren.
So etwa ist dieses Jahr das durch seine in der Hausbesetzerszene wurzelnde Geschichte berüchtigte, aber bislang eher nicht durch seine Affinität zum Jazz aufgefallene SO36, das laut Selbstverständnis Raumgeber für „harte Töne jenseits des Chartsmainstreams“ ist, neu als Spielstätte mit dabei, das mit der britischen Poetin Kate Tempest gleich für einen würdigen Festivalauftakt sorgte. Diesen prominenten Platz dürfte sich die Südlondonerin, die sich von mit dem genresprengenden XJAZZ-Konzept wenig Vertrauten nicht nur einmal fragen lassen musste, ob – und hier grüßt die ebenso viel zitierte wie negierte Jazzpolizei, die es eben doch gibt – das denn nun Jazz sei, wohl nicht zuletzt durch ihre jüngste Kollaboration mit Shabaka Hutchings‘ The Comet Is Coming gesichert haben. Genau wie dort besticht ihr auf der SO36-Bühne erstmals erprobtes, ab Juni erhältliches Book of Traps and Lessons durch diese unbedingte Dringlichkeit, für die man die Tempest einfach lieben muss. Sie versteht es, eine unmittelbaren Beziehung zu ihrem ergriffen lauschenden Publikum herzustellen, das von genau jenen Fragen umgetrieben wird, die Tempest stellt. Es geht um das ob Selfie-Wahn inszenierte statt gelebte Leben, um die einen beim morgendlichen Weckerklingeln beschleichende Ahnung, dass man einfach alles auch ganz anders hätte machen könnten und nicht zuletzt um lakonische Bekenntnisse in Sachen Liebe: You make me a microscope/you make me a map/some call it love/I call it a trap.
Selbst an jenen Stellen, wo die wortgewaltige Poetin ihre
Reime ganz ohne musikalische Begleitung ins Mikrophon diktiert – denn von
bloßem „sprechen“ kann hier keine Rede sein –, kann man im ausverkauften SO36
die sprichtwörtliche Stecknadel fallen hören. Die Gemeinde lauscht derart
ergriffen, dass man recht eigentlich nicht von einem Konzert, sondern eher
einer Art Gottesdienst mit Tempest als Hohenpriesterin sprechen muss. Dabei war
der Auftitt von vornherein nicht unumstritten. Kann, ja: darf man die verehrte
Künstlerin noch reinen Gewissens hören, seit sie ihre Unterschrift unter eine Petition
der dem BDS verschwisterten Gruppe Artists for Palestine setzte, die britische
Künstler 2015 dazu aufforderte, nicht in Israel aufzutreten? Man kann, denn der
Rattenschwanz aus Boykott und Boykott des Boykotts kann hier die Lösung nicht
sein. Tempests Bekenntnis zu AfP mag unsympathisch erscheinen, den Boykott
ihres Werks kann aber nur jener Kleingeist anregen, der es nicht versteht,
zwischen Künstler und Werk zu differenzieren. Anders sähe es aus, wenn die
Künstlerin – übrigens selbst jüdischer Abstammung – in Leben oder Werk mit
direkten antisemitischen Äußerungen aufgefallen wäre. Ist sie aber nicht, und
mehr gibt es dazu dann auch nicht zu sagen.
Qualität statt Quantität
Wo sich am Mittwoch dank Kate Tempest die Frage, welchen
Act man zur Festivaleröffnung sehen möchte, eindeutig beantworten lässt, stellt
einen schon der Donnerstag vor nicht zu unterschätzende Entscheidungsschwierigkeiten.
Der erste volle Festivaltag macht deutlich, dass ein Programm mit etwa siebzig
Konzerten in vierzehn Venues nicht bedeutet, dass man bis Sonntag siebzig
Konzerte in vierzehn Venues gesehen haben wird. Sinn und Zweck eines Festivals
ist nicht die schiere Menge, sondern die geschickte Auswahl, denn natürlich
laufen Konzerte parallel: Möchte ich den zum Jazzer gereiften Elektroniker
Dominic Saloe aka Mocky sehen, muss ich sowohl auf den Londonder Drummer Yussef
Dayes, der sich mittlerweile vom genialen 70s-Jazz-Funk-Avantgarde-Elektronik-Duo
Yussef Kamaal emanzipiert und letztes Jahr mit einer Live-Session in den
legendären Abbey-Road-Studios sein Solo-Debüt hingelegt hat, verzichten, als
auch auf Mostly Other People Do The
Killing-Trompeter Peter Evans, um nur einen weiteren zu nennen. Einzig zum
schon um 18:00 Uhr spielenden Neunkopf-Kollektiv Wanubalé wäre es vorher zu
schaffen, was auch gut ist, gelten die aus Berlin und Potsdam stammenden
Musiker doch als deutsche Antwort auf Jazzfunkdubrockbands wie Snarky Puppy,
Fat Freddy’s Drop, Hiatus Kaiyote oder Nubiyan Twist, wobei letztere am Samstag
selbst im BiNuu zu hören sind.
Ein Must-See bzw. Must-Hear ist die am späten Donnerstagabend im Prince Charles gehostete Kryptox Labelnight. Die junge deutsche Plattenfirma für Neo-Jazz und Experimentelles präsentiert sich mit dem Londoner Flötisten Tenderlonious, Ralph Heidels Homo Ludens-Ensemble und dem Poets of Rhythm-Gitarristen JJ Whitefield, der sich für sein Krautjazz-Debüt der Unterstützung von Saxophonist Johannes Schleiermacher versichern konnte, der beim letzjährigen XJAZZ-Festival noch mit Shake Stew am Start war und dem aufgrund seines diesjährigen Auftrittes einmal mehr zu wünschen ist, dass sein Spiel endlich die ihm gebührende breite Aufmerksamkeit – und von mir aus auch den Titel des nächsten Shabaka Hutchings – bekommt. Klar ist aber auch, dass Besucher der Kryptox Labelnight die zeitgleich im Monarch bzw. der Emmauskirche stattfindenden Labelnights von We Jazz bzw. K7 verpassen. Man kann eben nicht alles haben. Gute Nachrichten gibt es jedoch für jene, die sich zwischen Mocky und Yussef Dayes nicht zu entscheiden vermochten – sie können Mocky (und im Anschluss eine der drei Labelnights) sehen, denn Dayes wird kurzerhand auf den Freitag verschoben. Das ist toll, stellt aber vor eine neue, schwere Entscheidung: Jene zwischen Dayes und Rymden, der neuen Band von Jazzland-Labelbetreiber Bugge Wesseltoft, dessen Vorstellung sich an dieser Stelle wohl erübrigt. Die Besucherschlangen vor beiden Konzerten sprechen jeweils für sich.
Wer wann wo
Noch ein weiteres Bäumchen-wechsel-dich-Spiel findet am
Freitag statt, was die gedruckten Festivalguides endgültig zur Makulatur macht.
Man muss schon auf die eigens entwickelte App setzen, um zu wissen, wer wann wo
spielt – oder die freundlichen Menschen im XJAZZ-Truck, die einen dorthin zu
schicken verstehen, wo die Musik spielt. So etwa erfährt man hier, dass sich
der Showcase von Bobby-McFerrin-Tochter Madison, den man unbedingt sehen
wollte, vom ursprünglich geplanten Freitag auf den Samstag verschoben hat, wo
sie nun sowohl dem Omar Klein Trio, den Londoner Alternative Soulern Hejira,
dem Lisa Bassenge Trio oder der wohl einmaligen Kollaboration von Simultansängerinbeatboxerin
Sanni Loetzsch aka Kid Be Kid mit Lucia-Cadotsch-Saxophonist Otis Sandsjö Konkurrenz
macht. Apropos Konkurrenz: Schon der freitägliche Konzertauftakt verlangt nach
der Entscheidung, ob man mit dem schon mehrfach erlebten Urgestein Rolf Kühn
auf Bewährtes setzt, sich das für seine ikonischen Neuinterpretationen (z.B. „Everybody
Wants To Rule The World“) gefeierte US-Trio The Bad Plus oder lieber den
Münchner Pianisten und Komponisten Marc Schmolling gibt.
Ich setze auf den 1929 geborenen Jazzklarinettisten, von
dem ich schon bei der 2017er-Ausgabe von XJAZZ glaubte, ihn vielleicht zum
letzten Mal live erleben zu können, doch weit gefehlt! Sein Yellow+Blue-Konzert im gut besuchten
Lido, Kühns persönlichem Lieblingsclub in Berlin, lässt nicht vermuten, dass er
so bald die Klarinette aus der Hand gibt. Und was für eine Band! Pianist Frank
Chastenier macht selbst bei den in diesem Set rar gesäten Standards wie „Angel
Eyes“ wohltuend klar, wo der Frosch die Locken hat, Bassistin Lisa Wulff – die
später am Abend andernorts noch im Duo mit Clara Haberkamp zu hören sein wird –
steht ihm in nichts nach, während der von Kühn als „Monster“ betitelte
Schlagzeuger Tupac Mantilla mit einer Body
Percussion-Einlage begeistert. Groß! Allein bei der Zugabe wird klar,
wieviel Anstrengung die Konzerte dem fast Neunzigjährigen mittlerweile
abverlangen dürften:
Weiter gehört mein noch junger Freitagabend der in Berlin ansässigen israelischen Nu-Soul-Sängerin J. Lamotta, die im Privatclub den Release ihres neuen Albums Suzume feiert, mich aber auf dem Papier weitaus mehr zu begeistern wusste als während des Auftritts. Vor zwanzig Jahren hätte mich diese Musik geflasht, mittlerweile scheine ich nicht mehr zur Zielgruppe zu gehören. Mein Herz schlägt aktuell für den London Sound der Stunde, zu denen tief im Jazz schürfende Beatmaker wie Alfa Mist gehören, vor allem aber auch Kamaal Williams mit seinem verstimmt wabernden Acid Jazz, der sich über flüsternde tsk-tsk-Beats schraubt und ferner mit blubbernden Basstupfern, Perlendem, Glockendem, Rockigens, aber auch D&B-Grooves und Streichern, kurz: ganz viel feinem Frickelkram zum Genauhinhören aufwartet, der seine Mittel vom Electro, seine Haltung vom Jazz, sein Herz aber vom Soul bezieht. Und natürlich Yussel Dayes, der mit Letztgenanntem im mithin legendär gewordenen Duo Yussef Kamaal die Percussions rührte, mittlerweile aber als Schlagzeuger auf Solopfaden unterwegs ist. Mit Unterstützung des Sun Ra Arkestra-geschulten Synthie-Schraubers Charlie Stacey und Adele-Bassist Tom Driessler bietet er im ebenfalls im Rahmen von XJAZZ erstmals bespielten Festsaal Kreuzberg eine avantgardistische, dabei trotzdem enorm leichtfüßige, um nicht zu sagen: traumverlorene Interpreation von NuJazz, die bei anderen Genreheroen oftmals seltsam bemüht klingt. Es ist ein tolles Konzert, auch wenn durch seine etwa einstündige Verzögerung Arnold Kasar nun leider ungehört bleiben muss. Stattdessen höre ich bei Rosemarine rein, einem von vielen jungen Musikern der Stadt hochgepriesenen Trio, das zur Mitternacht im Privatclub den Release seinen Debütalbums zelebriert.
Erschöpft falle ich ins Bett. Die menschliche Aufnahmefähigkeit für Musik ist, wie ich erst neulich wieder während der jazzahead! feststellen musste, nun einmal begrenzt. Deshalb gibt es für mich am Samstag nur ein Konzert, das allerdings hochspannend zu werden verspricht, vereinen sich hier doch erstmalig zwei meiner Lieblingsmusiker aus völlig verschiedenen Genres zum Duo. Gepaart mit einem voreilenden Drei-Gänge-Menü im Markthallenrestaurant der auch als „Eisenbahnmarkthalle“ bekannten Markthalle IX, wird das Konzert im Austerclub unter dem Motto „Jazz & Dine“ als bequemes Package für EUR 39,20 angeboten, das sich einigen Zuspruchs bei all jenen erfreut, die ihre Spätzwanziger hinter sich gelassen haben. Natürlich ist aber auch der alleinige Konzertbesuch möglich, um die studierte Jazzsängerin und Produzentin Sanni Loetzsch aka Loop Motor aka Kid Be Kid zu hören, die letztes Jahr unter dem Motto „drei Musikerinnen in einer“ inklusive konsequentem Verzicht auf Overdubs, Loops oder Prerecordings ihr NuSoul-Debüt Sold Out vorgelegt hat, auf dem sie sich als Sängerin, Beatboxerin und Pianistin zeigt, und das, anatomische Unmöglichkeit hin wie her, simultan. Das allein ist den Konzertbesuch wert und wird nur durch
den Umstand getoppt, dass Loetzsch den schwedischen Saxophonisten Otis
Sandsjö als Gast eingeladen hat, dessen speziellen, um allerlei Ventikgeklapper angereicherten Ton ich zunächst bei Lucia Cadotschs Speak Low, dann auf seinem eigenen Projekt Y-Otis kennen- und liebengelernt habe und den ich neben Johannes Schleiermacher und „Lotuseater“ Wanja Slavin aktuell glatt als meinen Lieblingssaxophonisten bezeichnen würde. Nicht ohne Grund gilt mir dieser Abend als persönliches Highlight von XJAZZ 2019.
Klangsatt oder: Wissen, wann genug ist
Dabei ist das gesamte diesjährige Festival nicht eben als arm an Highlights zu bezeichnen. Vielmehr sind es so viele, dass man nicht weiß, wo man mit der Aufzählung beginnen soll. Wer das Glück – oder mit EUR 159,- die finanziellen Mittel – hat, einen Festivalpass sein eigen zu nennen, könnte aufgrund dieses Füllhorns an Musik versucht sein, der Unsitte anheimzufallen, in so viele Konzerte wie nur möglich eben mal für zehn oder fünfzehn Minuten hineinzuhören. Die in fußläufiger Nähe zueinander liegenden Spielstätten machen’s möglich. Aber genau wie bei einem Album, das auch nicht dazu gedacht ist, einzelne Stücke zu überspringen, sondern (zumindest im Idealfall) aufgrund einer ausgeklügelten Dramaturgie auf einer ganz eigenen Spannungskurve fußt, ergo eine untrennbare Einheit bildet, hat der Künstler auch für sein Konzert eine aufeinander aufbauene Abfolge seiner Stücke erdacht, die dem Abend eine bestimmte Richtung, einen bestimmten Schwerpunkt verleihen. Ebensowenig wie ein Album sollte ein Konzert eine zufällige Reihung an Songs sein, in die man an beliebiger Stelle hineinzappen und sie an ebenso beliebiger Stelle wieder verlassen kann. Also, man kann schon. Bringt sich aber selbst um einen nicht ganz unbedeutenden Teil des Musikgenusses. Zu wissen, wann man klanggesättigt genug ist, gehört zur durchaus erlernbaren Kunst des Festivalbesuchs.
Wer am späten Samstagabend noch genug Energie hat, kann noch Erol Sarp & Robert Lippok in der Emmauskirche oder das Ishmael Ensemble im Privatclub hören, sich gar der mitternächtlichen Global Dance Kulture im Fluxbau hingeben. Ich für meinen Teil gehe nach Hause, denn am Sonntag wartet die mittlerweile zur guten XJAZZ-Tradition gehörende Fahrt mit dem Blue Boat auf mich. Mangels Hangover wähle ich nicht den als „Hangover Jam“ beworbenen Cruise Nummer 1, wo sich Sebastian Studnitzky himself, seines Zeichens künstlerischer Leiter des Festivals, mit einer Handvoll Friends die Ehre gibt, sondern setze auf Cruise Nummer 2, den XJAZZ Label Launch. Hier werden mit dem aus dem JIB hervorgegangenen Quartett Die Therapie, Roman Schulers RSxT mit seiner „Contemporary Groove Music“ und Hardylackner, dem Duo-Projekt des amerikanisch-deutschen Pianisten Benny Lackner mit dem Berliner Schlagzeuger Rainer Winch, die ersten drei Signings des brandneuen XJAZZ music labels vorgestellt – für Erst- und Letztgenannte ist es sogar ihr Debüt. Ein Kreis schließt sich, denn immerhin wurde das Festival ursprünglich von den Betreibern des Labels Contemplate gegründet, um den hauseigenen Künstlern eine Bühne zu bieten. Was als Festival zum Label begann, ist mittlerweile derart gewachsen, dass es nun folgerichtig das Label zum Festival gibt.
Ich runde meinen Besuch mit einem Abstecher zum Rahmenprogramm ab, wurde mir doch das schwedisch-deutsche Duo Mattimatti ans Herz gelegt, das mit psychedelischen Stücken von pinkfloydscher Länge, in deren Zentrum der mystische Klang des Hang steht, ein sanftes Übergleiten von fünf Tagen Festivalwahnsinn in den Alltag erleichtert. Ohnehin die Nebenkriegsschauplätze! Da entstehen Dinge wie das neue Album vom Melt Trio mit Jan Bang, das während des Festivals live aufgenommen wurde und am 14. Juni seinen Release feiert. XJAZZ 2019 wird noch lange Schatten werfen. Wer jetzt noch Kraft hat, kann sich die Abschlusskonzerte auf der Schatzinsel oder das allerletzte Konzert des Sonntagabens, gespielt von DJ Acid Pauli und Vibraphonist Ivar Refseth in der Emmauskirche, anhören. Ich habe keine mehr, bin klangerfüllt bis in die Haarspitzen, freue mich aber dennoch schon auf den Mai 2020, wenn das XJAZZ-Festival zum mittlerweile siebten Mal seine stiloffenen Pforten öffnen wird.
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Letzen Sonntag schloss die vierzehnte Jazzahead in Bremen ihre Pforten. In den Tagen danach fühlten sich die Besucher des weltweit größten Jazz-Branchentreffs körperlich wie emotional ausgelaugt, nicht wenige sind krank. Die Postings von heilender Hühnersuppe und Ingwertee auf den einschlägigen Social-Media-Profilen jedenfalls steigen überproportional an, die wohl meistgestellte Frage in den Chats ist: „Hast du dich schon wieder regeneriert?“
Weshalb also setzt man sich diesen vier Tagen im Ausnahmezustand, der sich anfühlt als vollzöge er sich in einer Parallelwelt jenseits des normalen Zeit-Raum-Kontinuums, jedes Jahr aufs Neue aus, noch dazu freiwillig? Der norwegische Schriftsteller Lars Saabye Christensen, Keynotespeaker der diesjährigen Opening Ceremony, bringt es auf den Punkt: „Jazz is a different place and that is where we have to go.“ Wir müssen es tun. Wir können nicht anders.
Norwegian Lounge
Neben Saabye Christensen bestreiten zwei weitere Künstler des diesjährigen Partnerlandes Norwegen – das schon auf der Berlinale 2019 zum Schwerpunktland auserkoren war – die Eröffnungszeremonie: Sängerin Karin Krog und der sie an Sopran- wie Baritonsaxophon begleitende John Surman. Mit seinem Kurzauftritt gibt das Duo gleichzeitig einen Ausblick auf die traditionell am Donnerstagabend anstehende Konzertnacht des Partnerlandes: Acht sowohl stilistisch wie qualitativ höchst heterogene Acts bestreiten die Norwegian Night, darunter der Jazzsaxophonist und Ziegenhornbläser Karl Seglem, dessen balsamische Klänge in Zeiten überreizten Gemüts zwar mit schönster Regelmäßigkeit durch meine Boxen kriechen, den ich bislang jedoch noch nie live erlebt habe. Zeit für mein erstes Konzert der Jazzahead, das im benachbarten Schlachthof stattfindet, dessen blutige Vergangenheit glücklicherweise nicht mehr zu erahnen ist. Mit siebenköpfigem Ensemble – darunter gleich zwei Hardangerfiedeln, die ob ihres dank einer acht Wirbel fassenden Schnecke mit einem extrem kurzen Hals aufwarten und immer ein bisschen klingen wie die bucklige Verwandtschaft der Bratsche – beschwört Seglem die der norwegischen Folklore inhärenten Naturtöne vor einem aufmerksam lauschenden Schlachthofpublikum herauf.
Wie immer ist die Zeit viel zu kurz, den Klängen angemessen nachzuspüren – bis weit nach Mitternacht geben sich die verschiebenen Formationen die Klinke, pardon: das Mikro in die Hand. Nicht zuletzt sorgte der harmlos als Partner Country Reception benamste Empfang für einen zwar angenehmen, aber auch nicht zwingend für seine wachhaltenden Eigenschaften verrufenen Alkoholpegel. Gut, dass das European Jazz Meeting am Folgetag erst um vierzehn Uhr beginnt, was nicht nur dafür sorgt, dass man ausschlafen, sondern auch den ersten Meet&Greet-Marathon des Tages absolvieren oder sich das umfangreiche, auch als Professional Program bekannte Konferenzprogramm mit Highlights wie „A Wealth of Music Content, But What’s It Worth?“ zu Gemüte führen kann. In meinem Falle schaue ich nicht nur bei der Müsteraner Enklave der Jazzthetik-Redaktion vorbei, die ich ohne Jazzahead wohl nie treffen würde, sondern richte ich mich auch im sogenannten „Press Office“ häuslich ein, wo ich im Halbstundentakt jene Musiker treffe, mit denen ich mich im Vorfeld verabredet habe. Die Pressereferentin sieht sich das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel eine Zeitlang an, bevor sie nur halb im Scherz bemerkt: „Sie lassen hier aber auch einfach kommen, oder?“. Aber warum auch nicht, wo das Press Office doch nicht nur Lebensnotwendigkeiten wie schwarzen Kaffee und Laserdrucker bietet, sondern auch einen ruhigen Platz jenseits der wogenden Menschenmassen und – dieses Jahr neu – eine wechselnde, warme, überaus schmackhafte Tagessuppe mit rauen Mengen an Brot und Butter. Nicht zuletzt die eingeladenen Musiker, jung und hungrig, wissen diese Annehmlichkeiten zu schätzen.
Hannah Köpf
Ich treffe Hannah Köpf, die ich in der aktuellen Ausgabe des Jazzthetik Magazins portraitiert habe; außerdem Gadi Stern und Matan Assayag vom israelischen Jazzrocktrio Shalosh, die mir für die kommende Ausgabe Rede und Antwort stehen. Zwischendurch reicht die Zeit für Gespäche unter Kollegen: Es gibt ein Wiedersehen mit Klaus von Seckendorff und ein erstes Kennenlernen mit einem weiteren großen Mann des Jazzjournalismus, Hans Hielscher. Obgleich er wie ich zurzeit eine Kolumne in der Jazzthetik bestückt, sind wir uns bislang noch nie über den Weg gelaufen, stoßen dafür aber gleich auf interessante biografische Gemeinsamkeiten wie etwa die Straße, in der ich jetzt und Hielscher vor langer Zeit wohnte. Endlich lerne ich auch den Hamburger Jazzschreiber Jan Paersch kennen, mit dem ich zwar das Programm des diesjährigen Elbjazz-Festivals betextet, den ich aber ebenfalls noch nie von Angresicht zu Angesicht gesehen habe. Jazzahead machts möglich. Es ist eben nicht nur ein Branchen-, sondern auch so etwas wie ein Familientreffen, und spätestens ab dem zweiten Besuch der Messe gehört man wie selbstverständlich dazu.
Der grüne Pfeil, Symbol der Jazzahead, hier als Deckenmobile in der BoConcept Lounge
Neben dem European
Jazz Meeting, das so unterschiedliche Acts wie die Flat Earth Society, das
Adam Bałdych Quartet oder MDCIII auffährt, steht am Freitag auch das
Galakonzert an, welches jeweils zwei Acts des Partnerlandes auf die Bühne des im
Art-Déco-Stil erbauten Konzerthauses Die
Glocke bringt. Dieses Jahr ist die Wahl auf das Quintett des Trompeters
Mathias Eick gefallen, das mit Håkon Aase einen wunderbaren Geiger an Bord hat,
im Allgemeinen aber einen allzu elegischen Klang zelebriert, der die Grenze zur
Langeweile mehr als einmal von der falschen Seite touchiert und nur noch vom
zweiten Teil des Galakonzerts mit Trail of Souls feat. Solveig Slettahjell und
Knut Reiersrud getoppt wird. Man kann sich des Eindrucks nicht gänzlich
erwehren, dass hier jene Spielart des nordisch-mystischen Jazz zum Besten
gegeben wird, die sich das deutsche Publikum am liebsten vorstellt: Hach, diese
Weite! Oh, diese Wälder! Und sieh nur, die niedlichen Trolle!
Es ist verständlich, dass sich das Galakonzert vor allem auch ans lokale Bildungsbürgertum wendet und die – diesmal übrigens nicht vollständig ausverkaufte – Glocke ihre Ränge füllen muss. In Anbetracht der Tatsache, dass ich hier aber auch schon dank Künstlern wie Avishai Cohen 2013 bei meiner allerersten Jazzahead oder 2016 Nik Bärtsch und Hildegard lernt fliegen rauschende Abende erlebt habe, muss die Frage nach einer zukünftigen Perspektive des Galakonzerts jenseits der Komfortzone, sprich: einem mutigeren Booking erlaubt sein.
Ichiro Onoe
Der Samstag dagegen verspricht, spannend zu werden. Ich treffe den als „Japan’s answer to Paul Motian“ geltenden, in Paris lebenden Schlagzeuger Ichiro Onoe, der mit seinem Quartett traditionelle japanische Musik und Modern Jazz verbindet, indem er zwei klassische japanische Instrumente – die aus siebzehn kurzen Bambuspfeifen bestehende Mundorgel Shō und die Doppelrohrblattflöte Hichiriki – durch Tenorsaxophon und Klavier ersetzt; den swinginspirierten israelischen Pianisten Arik Strauss, der mit seinem Umzug nach Deutschland, dem Land seiner Vorväter, einen Lebenskreis geschlossen und darüber das Album „Closing The Circle“ gemacht hat; den Kölner Schlagzeuger Jo Beyer, dessen brandneues, noch labelloses Album „Party“ mit sperrig-schönen Songtiteln wie „Zwischen Bier in Poll und 37 Grad im Schatten“ oder „Halloween ist doof“ aufwartet; und den Berliner Komponisten und Arrangeur Ruben Giannotti, der gerade mit seinem im Spannungsfeld zwischen NeoSoul, Elektronika und retroeskem Bigbandkrimisoundtrack angesiedelten Large-Ensemble-Projekt aus dem Studio gekommen ist. Wie gut, dass das Press-Office – zweite Neuerung in diesem Jahr – statt um 18:00 erst um 19:30 Uhr schließt!
Komponist Ruben Giannotti spielt am Stand von Chess’n’Jazz um Bier
Und dann widme ich mich ganz der Musik, denn schließlich
ist doch sie der hauptsächliche Grund, hier zu sein. Wo sonst lässt sich‘s
innerhalb von nur dreieinhalb Tagen aus gut einhundert Konzerten auswählen? Auswahl
ist das Stichwort der Stunde, denn Konzerte laufen zum einen parallel, zum
anderen scheint der menschliche Geist eine begrenzte Kapazität für die Aufnahme
von Musik zu haben. Ist diese erreicht, geht gar nichts mehr. Jazzahead heißt
eben auch: Too much Jazz in my Head. Erst einmal aber höre ich im Rahmen der German Jazz Expo Simin Tanders Hochmittelalter-
und Renaissance-Adaptionen, die kongenial von Jörg Brinkmann, bei dem ich mir
nicht sicher bin, ob er mir nicht noch besser gefallen soll als Tander selbst,
am Cello begleitet werden: Eine höchst sinnliche Vokalistin, die fühlt, was sie
singt – und dieses Gefühl weiterzugeben weiß. Das komplette Kontrastprogramm
liefern Botticelli Baby, die den Schlachthof mit wildem Balkan-Gipsy-Swing-Funkabilly
und Punkattitüde aufmischen. Was soll ich sagen, ich mag dieses
nordrhein-westfälische Septett, dessen Sänger (und gleichzeitig Kontrabassist)
Marlon Bösherz sich nicht zu entscheiden vermag, ob er nun James Brown in Blue
oder lakonischer Shouter sein will. Toll!
Dann geht es auch schon weiter mit der berühmt-berüchtigten
Clubnacht, deren Auftakt niemand Geringreres als Beady Belle auf dem Domshof
macht. Umsonst und draußen – eine weitere Neuerung des um die Messe
herumgestrickten Festivalprogramms vor historischer Kulisse. Wieder toll! Ganz
zu Ende sehen kann ich den Auftritt der norwegischen NuJazzer allerdings nicht,
wartet doch die Jazzahead-Straßenbahn schon, um die Teilnehmer der VIP Partybahn Tour – einer Art geführten
Clubnacht – für den Auftritt von Johanna Borchert in der Kulturkirche St.
Stephani einzusammeln. Untermalt vom finnischen Elektroniker Mika Forsling
entspinnt diese nicht nur allerlei avantgardistisches Geräusch am präparierten
Flügel, sondern auch zauberhafte Lyrics zwischen dringlicher Spoken Word-Performance und zerbrechlicher
Dubstep-Ballade.
Hier endet für mich die Führung, denn ich muss dringend ein Taxi in den Bremer Norden erwischen, um Susanna Wallumrød im fernab der Messe gelegenen Kränholm zu hören – immerhin hat sie als Susanna & The Brotherhood of Our Lady mit dem vertonten Hieronymos-Bosch-Gemäldezyklus „Garden of Earthly Delights“ jetzt schon eines meiner Lieblingsalben des Jahres gemacht. Wie bei allen meinen bisherigen Fahrten in den Bremer Norden, wo ich etwa letztes Jahr Noam Vazana im KITO ihre sephardischen Lullabys singen hörte, werde ich auch diesmal nicht enttäuscht. Wallumrød spielt in der intimen Location nicht nur die vor Todsünden triefenden Bosch-Stücke, sondern auch ihre ganz persönlichen Interpretationen von auf der Nachtseite der Musik beheimateten Lieblingssongs wie Leonard Cohens „Who By The Fire“ oder Joy Divisions „Love Will Tear Us Apart“. Ein stilles, ein schönes Messehighlight, nicht trotz, sondern gerade auch wegen des weiten Weges, der zum Nachklingenlassen geeigneter nicht sein könnte. Die Overseas Night, die in Konkurrenz zur Clubnacht noch bis 1:40 Uhr läuft, lasse ich leichten Herzens links liegen und falle beseelt in mein Hotelbett. Jazzahead macht eben nicht nur fertig, sondern auch in höchstem Maße glücklich.
Die Bildqualität des folgenden Videos bitte ich zu entschuldigen. Es wäre aber ein Fehler, das Stück deshalb nicht anzuhören:
Der Sonntag, sonst lediglich für Ausstellerfrühstück,
hastiges Abbauen und letzte Verabschiedungen reserviert, bietet eine weitere
Neuerung: Gleich nach dem Business Lunch
im Schlachthof, bei dem es für mich ein Wiedersehen mit dem letztjährigen
Geheimtipp Noam Vazana gibt, steht für das Abschiedskonzert Nordic At Noon das fünfzehnköpfige, mit
doppelter Rhythmusgruppe und Elektronik besetzte Paar-Nilssen-Love Ensebmle auf
dem Programm, dessen ebenso mann- wie lautstarke Freejazzklänge die Besucher
nach drei Nächten des Schlafmangels mitten in die Magengrube treffen, nicht
jedoch ohne den einen oder anderen Moment voll stiller Schönheit im Auge des
Sturms zu bieten. Auf die Verkündung des Partnerlandes beim traditionellen Goodbye Breakfast hingegen warten wir
vergeblich: Da die Jazzahead im kommenden Jahr ihr fünfzehnjähriges Bestehen feiert,
hat man sich zum Jubiläum etwas Besonderes einfallen lassen, das erst in den
nächsten Tagen enthüllt wird.
Fest hingegen steht schon jetzt, dass die Jazzahead 2019
mit 3.408 (2018: 3.282) Fachteilnehmern aus 64 Nationen und rund 18.000
Besuchern (2018: 17.362) erneut gewachsen ist. Dabei gibt es die Jazzahead genauso wenig wie den Jazz. Jeder erlebt seine eigene
Messe. Dies war meine. Es gibt noch 3.407 andere.
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Was für ein Kontrastprogramm! Am Vorabend noch Mascagnis Cavalleria rusticana und Leoncavallos Bajazzo in der Inszenierung David Pountneys unter der musikalischen Leitung von Cornelius Meister in der Deutschen Oper Berlin gesehen – und heute dann jo_berlin und illute. Keine Angst, ich verschone Sie hier mit einer Opernkritik, erlaube mir aber, beide Stücke mit je einem dem Popkosmos entlehnten Zitat zusammenzufassen. Da wäre erst einmal die Cavalleria rusticana, und es liegt auf der Hand: Whatever Lola wants, Lola gets! Dann der Bajazzo: Drama, Baby, Drama! Wer ein Faible für die italienische Oper schwurbelig-spätromantischer Provenienz samt ihrem plakativen, ja: melodramatischen Verismus hat, weiß, wovon ich rede. Kurz: Es war ein Fest. Und damit sind wir auch schon beim Thema, denn ein Fest war auch der vergangene Samstagabend, wenngleich grundsätzlich anderer Natur, kann man doch übersteigerte Emotionalität, Sentiment und überhaupt Dramatik weder jo_berlin noch illute vorwerfen.
Bevor ich weiterschreibe, möchte ich noch mögliche Interessenkonflikte offenlegen, denn bei den neuen Platten beider Künstler habe ich meine Finger im Spiel. So ist illutes So wie die Dinge um uns stehn die erste Veröffentlichung, deren von mir verfassten Waschzettel – also das Begleitschreiben, das Journalisten mit dem Rezensionsexemplar erreicht – ich mit meinem Namen gezeichnet habe. Viele Kollegen schreiben diese Texte, die meisten verzichten aber auf Namensnennung, da man sich ja nicht dem Ruch aussetzen will, sich mit (s)einer Sache gemein zu machen oder, bewahre, gar Redaktion und Promotion auf unzulässige Weise zu vermischen. Ich dagegen glaube mittlerweile, dass es durchaus legitim ist, für eine gute Sache die Werbetrommel zu rühren – und Platten von illute sind immer eine gute Sache, angefangen von ihrer allerersten EP bis zu ihrem Auftritt bei und mit The Stewardesses.
Mehr noch: Ich betrachte es als Ehre, wenn einem Künstler meine Texte so sehr gefallen, dass er bei mir danach anfragt. Bei der Novemberticket-EP von jo_berlin, der den Samstagabend für illute eröffnet hat und dem ich auch privat in Freundschaft verbunden bin, habe ich, kurz gesagt, fast alles gemacht – bis auf das Wichtigste, die Musik. Warum? Ich bin ganz verliebt in die Lieder von jo_berlin, seit ich sie zum ersten Mal gehört habe. Nicht ohne Grund habe ich ihnen vor zwei Jahren in meiner Klangköpfe-Serie viel Platz eingeräumt! jo_berlin findet Bilder, die nicht unbedingt naheliegen, Andeutungen, die immer mehr meinen, als sie sagen, und schreckt auch vor den ganz großen Begriffen nicht zurück, die anderen zu emotional oder gar pathetisch scheinen. Wer etwas auf seine Coolness gibt, verwendet die nicht. Und genau das mag ich an jo_berlin: Er ist nicht cool. Und damit viel cooler als alle, die cool sind.
Teilen sich nicht nur die Bühne, sondern auch den Plattenkoffer: jo_berlin & illute
Nicht zuletzt ist jo_berlin auch derjenige, der illutes erstes Album Immer kommt anders als du denkst als „lebensrettende Platte“ bezeichnet und damit eine seither vielzitierte Phrase geprägt hat. Und letzten Samstag hat sich dieser Kreis mit einem gemeinsamen Auftritt beider Musiker nun endlich geschlossen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich war, all diese Lieblingslieder hören zu dürfen, live, an ein und demselben Abend. Und während jo_berlin das Konzert für illute eröffnet, kann ich zum ersten Mal am eigenen Leib erfahren, was genau es mit dem lebensrettenden, wobei ich lieber sagen möchte: heilenden Aspekt von illutes Musik auf sich hat, und zwar nicht nur im wörtlichen Sinne – ist doch meine Erkältung spätestens bei den letzten beiden Stücken des Abends vergessen -, sondern auch im übertragenden. Aber dazu später mehr. Erst einmal erfreut jo_berlin, der als ehemaliger Frontmann einer englisch-sprachigen Grunge-Band in der Hauptstadt nicht nur seinen neuen Namen, sondern auch seine ureigene Sprache gefunden hat, mit dem Blick des Zuzüglers, der Berlin dank seines Brotjobs aus einer Perspektive zu sehen bekommt, die selbst die meisten hier Geborenen nicht kennen dürften. Nicht nur im Lied findet er schöne Worte, sondern auch in der Ankündigung. Et voilà: Novemberticket! Und für die, denen das zu depressiv ist, wirft er schnell noch den Stein ins Meer hinterher, der sich in den nächsten Tagen – gib mir dies, gib mir das/aber gib mir irgendwas – noch als verdammter Ohrwurm erweisen soll.
Und dann kommt auch schon illute und fängt ohne größere Umbauten, Umstände oder Pausen gleich mit einem Lieblingssong ein: Sichtbar, den sie, wenn ich mich nicht täusche, schon auf der Tour mit den Stewardesses gespielt hat. Ich ärgere mich, denn ich stehe noch in der Schlange vor dem einzigen (!) Unisex (!)-Klo, das nach Auffassung des Panda-Theaters knapp einhundert Leute versorgen soll. Schade, gibt es eben kein Video von Sichtbar. Ich grummele noch eine Weile vor mich hin, bis mich ein zweistimmiger a capella Loop Song im Duett mit Geigerin Danielle Grimm betört, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Was kann man dazu mehr sagen als zauberhaft!
Ohnehin steht der ganze Abend – Stichwort Loop Song – im Zeichen der Klangschleifen, nicht nur im konkreten, sondern auch im übertragenden Sinn, er hallt nach, findet Anknüpfungspunkte zum Alltag und kommt in der Erinnerung immer wieder momentweise hoch. Ich ertappe mich dabei, Ausklang des Abends noch tagelang vor mich hinzusummen. Mein Matrose, ein, verzeihen Sie die Wiederholung, zauberhaftes Wiegenlied, von dem ich wünschte, es wäre mir eingefallen.
An maritimen Bildern herrscht auch sonst kein Mangel bei illute, weder auf ihrem aktuellen Album So wie die Dinge um uns stehn, wo mal der „Horizont bleibt, wo er immer war“, mal „Kein Land in Sicht“ ist oder „die Hoffnung über Bord“ fällt, noch auf dem Vorgängeralbum Immer kommt anders als du denkst, auf dem sich mit My Music Is A Boat mein persönliches illute-Lieblingslied aller Zeiten versteckt. Hier toll mit großer Band – Daniella Grimm an der Violine, Jacob Przemus am Schlagzeug, Philipp Schwendke am Bass und als Special Guest zu meiner besonderen Freude einer großartigen Julia A. Noack an den Vocals – und, um im Bild zu bleiben, voller Maschinenkraft:
Nicht nur, dass ich an diesem Abend vor illute auch als Sängerin ganz neuen Respekt bekommen habe – sie kann eben nicht nur diese niedlichen Songminiaturen, für die sie bekannt ist und denen dank ihrer aus dem Spielzeuginstrumentarium rekrutierten Begleitung wie Melodica oder Ukulele immer auch etwas ganz Kindliches innewohnt -, auch hat der Song für mich an diesem Abend eine ganz persönliche Bedeutung angenommen und mich im Schnelldurchlauf gelehrt, mich auf das, was illute hier „my music“ nennt und was Sinnbild nicht nur für die Musik, das Schreiben, die Arbeit, sondern auch das täglich zu lebende Leben sein kann, zu konzentrieren. Wem die Alltagsaufgaben, in denen er aufgeht, sein Boot sind, segelt damit fort, den Fahrtwind in den Haaren, und derjenige, der ihn kürzlich sehr geärgert hat, wird langsam aber sicher immer kleiner und unbedeutender. Treffender als mit „my music is a boat on the water/the wind is in my hair and you are getting smaller“ hätte ich das auch nicht ausdrücken können, und obwohl ich keine Ahnung habe, ob es das ist, was illute mit diesem schönen Bild beschreiben wollte, fühlt es sich für mich richtig an und selbst mich von dem Lied verstanden, in ihm aufgehoben und getröstet. illute versteht es, die Dinge, die uns umtreiben, in einfache Reime zu kleiden, die einen Mantra-artig durch die Tage, vor allem die weniger guten, leiten. Das ist es, was jo_berlin gemeint hat, als er von den lebensrettenden Liedern der illute sprach, die in keine musikalischen Hausapotheke fehlen dürfen.
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Wenn sich ein Kreis schließt – und sei er noch so klein! -, stellt sich ein Gefühl tiefen Wohlbefindens ein. Das mag durch den Reim jetzt nach Kalenderspruch klingen, wird dadurch aber nicht weniger wahr. Kommt der Kreisschließer noch dazu in Gestalt des norwegischen Superstars Thomas Dybdahl, der hierzulande trotz aller Bemühungen meinerseits immer noch dramatisch unterschätzt wird, daher, kennt die Zufriedenheit am Ende des Tages kaum noch Grenzen.
Es begab sich nämlich, dass ich mir nach einer Vielzahl arbeitsamer Wochen endlich mal wieder einen faulen Sonntagvormittag im Bett gönnen konnte; und wie ich da so zwischen Teetasse, leichter Lektüre und Schmusehund selig vor mich hindümpelte, wurde mir gar vorweihnachtlich zumute – immerhin schrieben wir den Ersten Advent. Da kann es schon mal passieren, dass sich von Ferne eine kleine Melodie in den Kopf schleicht, um sich dort niederzulassen und bei Kaffee und Adventsgebäck gemütlich einzurichten:
„Have yourself a merry little Christmas,
Let your heart be light
From now on,
our troubles will be out of sight
Have yourself a merry little Christmas,
Make the Yule-tide gay,
From now on,
our troubles will be miles away“,
sang es in meinem Kopf, und wie schön das da sang! Eigentlich mochte ich gar nicht aufstehen, hätte dies doch unweigerlich den Zauber gebrochen. Aber immerhin lockte – umsonst und draußen – ein Akustik-Set von Thomas Dybdahl, der auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor beim diesjährigen Lichteranzünden des Weihnachtsbaums, den Berlinern von der Königlichen Norwegischen Botschaft als „glowing symbol of Norway’s friendship“ traditionell zum Geschenk gemacht, den musikalischen Botschafter aus dem Reich der Mitternachtssonne geben sollte – im Vorjahr traf das Los, nicht minder verlockend, die Damen von Katzenjammer. Ach Norwegen, du hast schon tolle Künstler!
Also flugs aus dem Bett gesprungen und im Schlepptau des großartigen Jo_Hannes samt Familie zum Tore gewandert, dem die Massen in der Hoffnung auf Lichterglanz und norwegischen Glühwein bereits ebenso zahlreich wie freudig erregt zuströmten. Kaum angekommen, stand er auch schon auf der Bühne – Thomas Dybdahl, ein Mann, ein Hut und eine Gitarre. Rein akustisch und – abgesehen vom Schellenkranz am Fuß – ohne jegliche Effekte. Und genau hier zeigt sich (endlich wieder!) die Stärke der dybdahl’schen Lieder, die sich auf dem letzten Album hinter der aufgeblasenen Produktion versteckt hielt, denn Starproduzent hin wie her – Thomas Dybdahl braucht das alles nicht. Dem kann man eine alte, sich in der Kälte permanent verstimmende Klampfe um den Hals hängen und ihn seiner Backingband berauben – sein irgendwo zwischen Curtis Mayfield und Maxwell flackerndes Falsett strahlt umso heller. Und seine Kompositionen, derart entkernt, treffen mitten ins Herz, falls man, um die Kollegen von Max zu zitieren, eines hat.
Und genau da kommt auch das kleine Weihnachtslied wieder ins Spiel, denn Dybdahls sechs-Stücke-Set endet mit einer echten Premiere: Zum ersten Mal in seiner Karriere spielt er ein Weihnachtslied. Und welches hat er sich ausgesucht? Der Mann hat eben nicht nur göttliches Talent, sondern auch noch Geschmack.
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Treue Klangblog-Leser werden es kaum glauben, und auch ich würde mich damit schwertun, hätte ich nicht mit eigenen Ohren gehört, dass dieser empathische Ausruf, den ich mir nach meiner ersten Überraschung gleich mal für die Überschrift ausgeliehen habe, keinem Geringeren als Mr. Böse Zunge himself, sprich: Bassplayerman, entfahren ist.
Schuld daran war mal wieder der Bossa Nova, der gestern Nacht in Form von Louise Gold und dem Quarz Orchestra das üblicherweise harten Cow-a-billys vorbehaltene Bassy sanft überrollte, und das, obgleich der Abend irritierend genug begann, mit einem Barkeeper, der sich Sorgen um die Leber seiner Gäste machte, einem hirnerweichenden Siebziger-Jahre-Softporno-Marathon – sollte sich der Beginn des Konzertes doch um ungeplante anderthalb Stunden verschieben – auf der Clubwand, bei dem man autounfallgleich einfach nicht weggucken konnte, und einer, als es (kurz bevor man uns mit einer sicherlich exquisiten Auswahl aus der „Mexicana“-Reihe der hauseigenen Cinemathek beglücken wollte) gegen Mitternacht dann endlich losging, meinerseits völlig unerwarteten Bourlesque-Künstlerin als „Vorprogramm“, die sich letztlich jedoch nicht nur als ganz niedlich erweisen sollte, sondern auch ein tolles Beispiel dafür war, dass normal- bzw. nach heutigen Maßstäben leicht übergewichtige Frauen ebenfalls ein gerüttelt Maß an Sinnlichkeit versprühen können.
Da tut die unterkühlte Erotik von Louise Gold als Kontrast jedenfalls dringend Not – und gut. Denn dann endlich spielt man sich, trotz „kleiner“ Besetzung im Sextett, für die sich Hans Quarz im Vorfeld bestimmt dreimal – und obendrein völlig überflüssigerweise, denn seiner Posaune allein gelingt es, einen ganzen Bläsersatz zu kompensieren – entschuldigt hatte, bravourös durch einige der schönsten Stücke von Debut, lässt aber auch Altes und Brandneues hören. Völlig egal, ob Bossa Nova …
… Swing …
… oder der Umgebung angepasster Rockabilly – in diesem Falle: das Elvis-Cover That’s Alright, Mama mit Ukulelen-Begleitung und Retro-Gitarrensolo – …
… da stehen sechs Leute, die wissen, was sie tun. Ob nun Thibault Falk an den Tasten brilliert, Florian Segelke den Django Reinhardt gibt, Gold die spröde Diva mimt oder Quarz seine Musikerherde schäferhundgleich zusammenhält – das freut nichzt nur den Kritiker, sondern auch die feierwütige Meute, die wild tanzt. Bass und Schlagzeug sind in dem extrem dichten Bandsound stellenweise kaum als eigenständiger Beitrag auszumachen – und bereiten dem Ganzen doch den Boden. Das Erstaunlichste aber ist die Stimme von Louise Gold, denn live offenbart sich, dass ihr spezieller Klang nicht der Retro-Studiotechnik geschuldet ist. Dieser leicht angezerrte, klassisch-jazzige Sound, der eigentlich nur entsteht, wenn man in ein Bändchenmikrofon singt – der kommt bei Gold einfach so aus der Kehle, auch wenn sie ein strunznormales Shure SM58 vor dem Mund hat.
Damit meistert sie nicht nur souverän die Stücke, die eigentlich für die Tentett-Besetzung gedacht sind, wie beispielsweise Footloose Fancy-Free oder meine persönlichen Lieblinge Boys Are Heroes und – den hier hier leider ob eines übereifrigen Tänzers leicht verwackelten – Tillerman and Comrade …
… sondern auch die große Ballade Hush! Hush! Sweet Baby, mit der ich mich anfänglich noch schwertat, die es aber mittlerweile ebenfalls in den Kreis meiner persönlichen Favoriten geschafft hat und deren Darbietung mich heute Nacht einmal mehr an die Opern-Version von Gershwins Summertime erinnert. Los wird man die Stücke ohnehin nicht mehr, denn wie schon bei der Platte tritt auch nach dem Konzert der Goldquarz-Effekt ein, dass man die Stücke noch die ganze Nacht über immer und immer wieder im Kopfrekorder abspielt.
Findet man dann zu Hause noch einen friedlich schlummernden, seinem Namen alle Ehre machenden Lina Liebhund vor, der sich nicht innenarchitektonisch betätigt, ja, nicht einmal das kleinste bisschen randaliert hat, während man ihn allein gelassen hat, dann kann man sich Bassplayerman nur aus vollem Herzen anschließen: Schön, dass es sowas gibt!
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Dachte ich nach dem Avishai-Cohen-Konzert am 2. Abend der Jazzahead! noch, ich sei randvoll mit Musik und keines einzigen Tons mehr aufnahmefähig, wusste ich noch nicht, was am Dritttag auf mich zukommt, der allein aus logistischer Sicht eine Herausforderung werden sollte. Vorab soviel: Bremer Taxifahrern scheint nicht an ihrem Verdienst gelegen zu sein. Einmal war die Strecke zu lang („Haben Sie etwa den zug verpasst? Der fährt da doch auch!“), ein anderes Mal zu kurz („Wollen Sie da wirklich hin? Das kann man doch laufen!“). Wer allerdings bepackt mit seinem 10-Kilo-Technikrucksack und wirrem Blick auf die Uhr durch die Gegend rennt, stellt diese Fragen gar nicht erst. Schlussendlich haben mich auch alle gefahren und waren sehr nett – wie überhaupt die meisten Bremer.
Dazu später mehr. Erst einmal steht ein spätes Frühstück im Hotel an, wo ich ein Pärchen treffe, das die Augen noch voller Glanz vom gestrigen Cohen-Konzert hat. Bin ich also nicht die einzige, in der die Kraft des Mitbegründers von Chick Coreas Origin-Ensemble noch nachhallen. Mitunter, wenn man sich in seiner Begeisterung zu verlieren droht, tut so ein kleiner Reality-Check ja ganz gut. Aus diesem Grunde kann ich auch jetzt noch aus vollem herzen ausrufen: Kaufen Sie die CDs von Avishai Cohen, und wenn er auch nur im entfernten Umkreis Ihres Aufenthaltsortes spielt, lassen Sie alles stehen und liegen und gehen Sie hin. Hunde, Kinder und Ehemänner können sich auch einen Abend lang mal selbst versorgen.
Und weiter geht’s!
Tag drei steht ganz im Zeichen des European Jazz Meeting. Und wie es schon beim Tell Aviver Gitarristen Yotam der Fall war, hat mir die offizielle Jazzahead!-Compilation solchen Appetit auf das finnische Kokko Quartet gemacht, dass ich extra meinen Terminplan umgeschmissen habe, um sie live zu hören. Und bin erst einmal überrascht. Eigentlich sollte es ja kaum noch eine Erwähnung wert sein, aber das Kokko Quartet ist zu fünfzig Prozent weiblich. Dass das im Jazz noch lange nicht der Normalfall ist, machen – positiv gemeinte – Bemerkungen wie „Die klaingen aber gar nicht wie Frauen“ deutlich. Und tatsächlich, Platten, die in letzter Zeit vor meinem Ohr eine ähnliche Klanglandschaft haben vorbeiziehen lassen – ich denke da an das Peter Schwebs Quintet oder an Triosence -, sind ausschließlich männlich besetzt. Jazz ist eben doch immer noch eine Spielwiese für die großen Jungs – Frauen kommen hier, wenn überhaupt, größtenteils als Sängerinnen vor. Unsere nordischen Zeitgenossen sind auch hier mal wieder einen Schritt weiter.
Apropos nordisch: Zwar werden Anhänger des Nordic Jazz ihre helle Freude am Kokko Quintet haben, doch kennt dessen Spielfreude keine geografischen Grenzen: Arabische und indische Einflüsse werden von Kaisa Siirala am Saxophon und der nordindischen Bansuri, Johanna Pitkänen am Klavier und Keyboard, Timo Tuppurainen am Bass und Risto Takala am Schlagzeug ebenso selbstverständlich verarbeitet wie der ein oder andere kubanische Rhythmus. Gepaart mit einer herrlichen Unterkühltheit und viel Luft, viel Raum, ja, ich mag sagen: viel Atem, ergibt das eine berückende Melange, wie bei Yasmin, in das ich mich schon auf der Jazzahead!-Compilation verliebt habe:
Zum Nachklingen lassen ist wenig Zeit, denn heute feiert das von Singer/Songwriterin Jana Herzen gegründete, in Harlem ansässige Jazz-/World-Label Motéma Music seinen zehnten Geburtstag. Da lassen es sich natürlich auch die Motéma-Künstler nicht nehmen, mit einem Ständchen zu gratulieren. Mich interessiert hier besonders der Bassist Charnett Moffett – nicht nur, weil er schon als Teenager bei Wynton Marsalis und Branford Marsalis spielte, sondern vielmehr, weil er eine Solo-Platte herausgebracht hat, auf der Bass pur und sonst nichts zu hören ist. Kann das wirklich funktionieren und interessiert das jenseits von Bassisten und anderen Spezialisten ein größeres Publikum? Jana Herzen bemüht bei der Vorstellung ihres Künstlers das schöne Wortspiel „Solo bass works“. Jetzt ist es an Ihnen, sich zu überzeugen! Ob er nun mit Fragile Sting covert …
… (was Sinn macht, denn Sting ist schließlich, auch wenn ihn heute nur noch die wenigsten als solchen wahrnehmen, von Haus aus Bassist – und zwar ein ziemlich guter!), ein eigenes, dem Jazz-Bassisten Paul Chambers gewidmetes Stück zum besten gibt …
… oder ein Thelonius-Monk-Medley hören lässt:
Ja, das war wirklich Round Midnight (außerdem: Well, You Needn’t und Rhythm-A-Ning)! Zu hören gibt es all das auch auf Charnett Moffetts aktuellem Album The Bridge – darüber lesen können werden Sie bald auch noch in Victoriah’s Music auf fairaudio.de. Ich hatte Sie ja gewarnt. Mein Besuch bei der diesjährigen Jazzahead! ist zu einer Art Bassisten-Special geworden. Sollten Sie meine Liebe zum tiefergelegten Frequenzbereich – völlig unverständlicherweise – jedoch nicht teilen, begleiten Sie mich einfach weiter zum nächsten Termin.
Der ist garantiert Bass-frei und findet etwas außerhalb statt – Sie ahnen es, die Taxifahrt, über die der Fahrer sich gewundert hat. Die vierzig Euro sind es aber wert, denn im wunderbar atmosphärischen KITO spielt jetzt die kanadische Folksängerin Chloé Charles, deren intelligente Prosa, irgendwo zwischen Beatnik und Nachtmahr, und deren zwischen Zärtlichkeit und Gewalttätigkeit changierenden Ausdruck ich ebenfalls auf der Jazzahead!-Compilation für mich entdeckte, im Rahmen der Clubnight ein Akustikset. Charles hätte ich zwar auch am Vorabend im Rahmen der Overseas Night im Schlachthof hören können, allein: Avishai Cohen hat es verhindert.
Das KITO im Alten Packhaus Vegesack ist etwa siebzehn Kilometer vom Messegeschehen im nordöstlichen Bremen beheimatet, und irgendwann muss ich einmal ganz ohne Termindruck wiederkommen, denn hier kann man einen völlig unprätentiösen, ungezwungenen Abend verbringen. Man hat sich mit den Jahren ein Stammpublikum für die Jazz-, Blues-, Folk-, Chanson- oder Klassikabende erspielt – den warmen Holzgeruch und das anheimelnde Gefühl unter zwischen knarrenden Bodendielen und knarzenden Deckenbalken gibt es umsonst dazu. „It’s cosy in here“, eröffnet dann auch Charles den Abend; und was könnte besser zu ihrem schlauen Hippie-Sound aus Harmoniegesang und Geigen-/Bratschenbegleitung passen als das! Lernen Sie Chloé Charles von ihrer sanften Seite mit dem charmanten Dreiminüter Find Her Way kennen:
… um sie dann durch einen Alptraum aus mysteriös durcheinanderwirbelnden Tarotkarten zu begeleiten:
Zu hören gibt es die beiden Stücke, wenngleich etwas elektronischer, auf Charles‘ zauberhaftem Album Break The Balance. Garantiert nicht zu hören gibt es dort ihr Carole-King-Cover So Far Away, das ich Ihnen als besonderen Leckerbissen mitgebracht habe:
Für die Rückfahrt überlege ich mir das mit dem Taxi aber noch einmal gut und mache es, wie der Kutscher empholen hat: Ich setze auf die NordWestBahn, die einmal die Stunde fährt. Ein netter Bremer, mein Sitznachbar im Publikum von Chloé Charles, bringt mich auf den richtigen Weg. Überhaupt die Bremer! Die sind eben keine Berliner, was da heißt: Sie sind richtig nett. Während ich zum Beispiel im Ratskeller geduldig auf den Kellner warte, weil ich es gewohnt bin, von diesem erst einmal fünfundvierzig Minuten lang ignoriert zu werden, zitiert ihn meine Bremer Tischnachbarin energisch für mich herbei. Und jetzt werde ich sogar zur Bahn gebracht, wo man sich in Berlin einen Spaß daraus macht, Ortsfremde voller Absicht ind ie falsche Richtung zu schicken – wenn man sie nicht einfach übersieht, oder was auch immer man an Unschönigkeiten mehr in seinem persönlichen Repertoire hat. Ganz anders die Bremer, denen an dieser Stelle ein herzlicher Dank gebührt!
Jetzt muss ich aber zur Bahn rennen, wo ich drei Euro (okay, das ist ein Unterschied) in den Fahrkartenautomaten werfe und in etwa zwanzig Minuten wieder am Hauptbahnhof bin. Von da geht es im Galoppschritt weiter zum Schlachthof, denn hier endet das European Jazz Meeting und überhaupt die ganze Jazzahead! 2013 mit dem Showcase von Tobias Preisig, der sich wieder einmal auf die Suche nach dem soeben noch hörbaren Ton macht und sein Publikum einmal mehr auf seine Klanggrenzgänge, die ich nicht anders als „Spaziergänge auf dem Seelengrund“ zu bezeichnen weiß, mitnimmt.
Hallelujah indessen spielt er heute Abend nicht. Stattdessen gibt es heute zunächst das nicht weniger berauschende Infinite Inhalte und Infinite Exhale aus seinem lebensverändernden Debütalbum In Transit zu hören:
Die Trilogie wird eigentlich von Transforming vervollständigt, das Sie sich bitte auf Platte anhören, bevor Sie weiterlesen, denn an seiner statt habe ich Ihnen das brandneue Splendid mitgebracht, das den Abend in einen rauschenden verwandeln und die Jazzahead! 2013 würdig abschließen soll.
Ob es daran liegt, dass es meine erste Jazzahead! und damit alles neu und aufregend war, ob daran, dass Bremen eine kleinere Stadt ist als Berlin und der Transit zwischen Messe und Showcases hier besser funktioniert, oder vielleicht auch daran, dass Jazz ein freundlicheres und in gewisser Weise auch menschlicheres Genre zu sein scheint als Pop – auf der Jazzahead! 2013 hat all das geklappt, wovon die nunmehr zur Berlin Music Week verstümmelte Popkomm nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Wenn man Musikmessen macht, dann so.
„Alles ist Jazz“. Das wissen die Leser Lili Grüns spätestens seit der Neuauflage ihres ursprünglich Herz über Bord betitelten Berlin-Roamns von 1933, der mich dann auch stilecht bei meiner Expedition auf die Jazzahead! nach Bremen begleitet.
Auch beim Bremer Bahnhofsbuchhandel ist man auf die in die Stadt einfallende Jazz-Meute eingestellt
Musste dieser mittlerweile „wichtigste und größte Treffpunkt der Branche“ (Pressemitteilung) die ersten verflixten sieben Jahre noch ohne Klangverführer auskommen, ist er – sprich: bin ich – bei der achten Jazzahead! live vor Ort, um sich bzw. mich zu überzeugen, dass Bremen nicht nur mit seinen vier Stadtmusikanten, sondern tatsächlich auch einem beeindruckenden Line-up an gern gehörten Jazzmusikern – ich sage hier nur: Tobias Preisig, Olivia Trummer Trio, Zodiak Trio und Helge Lien Trio, nur, um ein paar zu nennen – und sechshundert Ausstellern aus aller Welt aufwarten kann. Nicht zuletzt lockt auch das diesjährige Partnerland Israel, zu dessen Künstlern ich seit jeher eine enge Beziehung pflege, von meiner allerersten Besprechung für fairaudio (Yael Naim), über Shabbat Night Fever und Ofrin bis hin zu den jungen Wilden à la Joe Fleisch oder Gad von den Dirty Honkers.
Da bleibt es natürlich nicht aus, dass ich mich auch beim einstimmenden Hören des offiziellen Jazzahead-Samplers in eine Komposition eines Mannes aus Israel verliebt habe: Bye Y’all des Tel Aviver Gitarristen Yotam Silberstein, mit der die Compilation beginnt. Das Stück indessen eröffnet nicht nur den Sampler, sondern auch das erste von vier Themenbündeln der Messe, die Israeli Night, in deren Zuge verteilt zwischen Halle 2 in der Messe und Kulturzentrum Schlachthof auch noch das Omer Klein Trio, Malox, Daniel Zamir, Ilana Eliya, LayerZ und das Ensemble Yaman zu hören sein werden.
Während des Showcases von Yotam passiert dann aber erst einmal noch etwas anderes: Ich verliebe mich in den Bassisten Gilad Abro. Der ist so unglaublich geil, dass ich ihn Ihnen nicht vorenthalten will – meine ganz persönliche Entdeckung an Tag 1 der Jazzahead! 2013. Hier erstmal etwas funky Swingendes …
… und dann noch die Ballade Nocturno.
Ich meine, ein Kontrabasssolo bei einer Ballade, das dermaßen unkitschig gerät, wer hat so etwas denn schon einmal gehört? Nicht zuletzt ist auch Schlagzeuger Amir Brevler, der vormals bei Avishai Cohen – von dem später noch die Rede sein soll – gespielt hat, sehr sehr geil. Kurz: Eine Rhythmusgruppe, die man (oder zumindest ich) gern klauen möchte! Und offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die so denkt, denn Abro und Bresler spielen nicht nur bei Yotam, sondern auch bei Klarinettist Daniel Zamir. Abro allein fungiert zudem als Vokalist bei LayerZ. Böse Zungen könnten jetzt behaupten, die israelische Jazz-Szene sei eben überschaubar. Es könnte aber auch für die herausragende Qualität der genannten Musiker sprechen, dass ein jeder möchte, dass sie bei ihm spielen. Und Qualität ist hier definitiv vorhanden.
Sieht zu allem Überfluss auch noch gut aus: Mr. Gilad Abro
Yotams Stücke jedenfalls singe ich noch den ganzen Abend vor mich hin,
auch beim folgenden Rundgang über die beinahe noch schlafende – gilt der Donnerstag doch gemeinhin als „the quiet day“ – Messe. Doch auch heute schon trifft man alte Bekannte und solche, die es noch werden wollen, beispielsweise die netten Leute von Jazzthetik, die Musik nicht wie der Klangverführer in Worte fassen, sondern schlicht „lesen“ (lassen) wollen.
Natürlich ist der eine nette Jazzthetik-Mensch gleichzeitig Bassist, und ich heimse die erste (von vielen) CDs der Messe ein. Dies hier wird, da müssen sie jetzt ganz stark sein, eine Art Bassisten-Special werden. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass die vibrierenden Tieftöner tatsächlich die Jazzahead! dominieren, oder dass nur ich aufgrund einer leicht abseitigen Vorliebe meinen Fokus darauf gelegt habe. Dazu aber später mehr, der Gelegenheit wird hierzu noch reichlich sein, glauben Sie mir! Erst einmal aber treffen wir am österreichischen Stand, der, ebenso wie bei der letzten – nicht im Sinne von vorjährigen, sondern von: letzten ihrer Art – Popkomm unter dem Motto „Austria sounds great“ firmiert, ein nettes Pappschaf.
Einen Tag später wird übrigens ebenso nettes Pappgras hinzukommen. Und noch einen Tag später stelle ich fest, dass das Pappschaf als CD-Regal dient. So weit sind wir aber noch nicht. Heute kann sich dafür, wer mag, ins Wohnzimmer von Berthold Records einladen lassen …
… wo es nicht nur Omas Mobiliar inklusive Kommode und Stehlampe, sondern auch jede Menge ziemlich gute Musik gibt. Oder man bewundert die Trompete vom Jazzcastle Wolfsburg …
… und holt sich dabei einen Vorgeschmack darauf, was einen hier vom 14.
bis zum 16. Juni erwartet, denn das Line-up kann sich sehen und vor allem hören lassen: von der bezaubernden Viktoria Tolstoy über Jazzanova bis hin zu Nils Wogram oder Michael Wollny sind sie alle dem Ruf der Autostadt gefolgt. Alternativ kann man den sympathischen Standbetreibern versprechen (und das Verspechen später natürlich auch halten), ihre Facebook-Seite zu liken, dann bekommt man als Dank ein Miniaturpiano, das sich beim näheren Hinsehen als Brotdose entpuppt.
Wem dieses nähere Hinsehen nicht mehr zielsicher gelingt – denn natürlich gibt es auch an allen Ständen diverse Alkoholika -, der kann in der Chill-Out-Zone vor einer Südseetapete im Liegestuhl eine Pause einlegen …
… oder sich von den netten Catering-Damen orientalische Spezialitäten kredenzen lassen.
Die Alkoholika indessen sind auch hier nicht weit, wie man sieht. Es wird Zeit für einen spätabendlichen Ausflug in die Bremer Altstadt – und wie froh bin ich, in dieser milden Frühlingsnacht dem Eselchen der Stadtmusikanten an die Hufe gefasst und damit immerwährendes Glück auf mich gezogen zu haben …
… denn schon der nächste Tag macht ernst mit der angedrohten Wetterprognose: Die Temperaturen fallen um mindestens zehn Grad, es stürmt und dauerregnet. Nicht gerade ideales Hufanfasswetter! (Ich komme allerdings trotzdem noch einmal zu dem Getier zurück, um stellvertretend für Lina Liebhund auch dem Stadtmusikantenhund an die Pfoten zu fassen.) Erst einmal aber beginnt Tag 2 mit einer unangenehmen Überraschung, die allerdings technischer und nicht meteorologischer Natur ist: Der Internetzugang auf dem Hotelzimmer erlaubt einen maximalen Datentransfer von 250 MB – da Jazzer für gewöhnlich nun aber etwas länger spielen als Popper & Co., hat so ein HD-Video schon mal gute vier- bis fünfhundert MB. Frustriert begebe ich mich ins Spa; und auch, wenn es so ein beheizter Außenpool in seiner Klimabilanz vermutlich locker mit hundert Heizpilzen aufnehmen kann und ich mich die geschätzten nächsten drei Jahre ausschließlich per Fahrrad fortbewegen und vegan ernähren muss, um das irgendwie wieder gutzumachen – es ist genau das, was ich jetzt brauche. Und unter den fachkundigen Händen der hauseigenen Masseurin fällt dann auch der letzte Groll über die verdammte Technik von mir ab. Okay, ich höre ja schon auf, Sie neidisch zu machen und lade Sie stattdessen ein, mich zu Themenbündel zwei auf die German Jazz Expo zu begleiten.
Hier treffen wir, wie eingangs schon angekündigt, auf eine alte Bekannte. Olivia Trummer gibt sich charmant wie eh und je, ob sie nun solo Gershwin-Klassiker wie They Can’t Take That Away From Me oder mit ihrem Trio Eigenkompositionen spielt, von denen ich Ihnen – um künftige Komplikationen zu vermeiden, ab nun nicht mehr in HD-Qualität, sondern ganz normal, sehen Sie mir das nach – eine mitgebracht habe:
Bleibt nur die Frage: Wie kann man mit diesen Absätzen – immerhin geschätzte zwölf Zentimeter – überhaupt Klavier spielen?, die die Sängerin dann auch selbstironisch stellt. Wie, weiß man zwar auch danach nicht, aber dass – das weiß man jetzt. Dass die Laune mittlerweile wieder auf dem Höhepunkt ist, liegt aber nicht nur an dem sympatischen Flirt Trummers mit ihrem Publikum – auch das Presseoffice auf der Jazzahead! ist technisch auf dem höchsten Stand. Nett und kompetent betreut lade ich hier meine Videos in wenigen Minuten hoch. Wer braucht schon den schwächelnden Internetzugang des Hotels?
Mit diesen Schuhen kann man sicherlich auch Tresore knacken
Jetzt aber schnell weiter, denn heute Abend steht das Galakonzert der Jazzahead! auf dem Programm: Der Tel Aviver Bassist Avishai Cohen spielt in der Glocke. Über dieses als „eines der Highlights der Partnerlandprogramms“ angekündigte Konzert wurde im Vorfeld schon so viel gesagt und gemunkelt – vor allem aber über Cohen selbst. Hoffentlich musst du Arme kein Interview mit ihm machen, wurde ich gewarnt, gilt der Künstler doch als maulfaul und schwierig. Wenn das Publikum in seiner Begeisterung noch eine Zugabe will, so die Lästerer weiter, könne es vorkommen, dass Cohen schon ohne ein Wort im Taxi sitze und zurück ins Hotel fahre. Auch die strengen Film- und Fotorestriktionen für die Presse, eine absolute Ausnahme auf der in dieser Hinsicht sonst sehr liberalen Jazzahead!, bestätigen das bislang heraufbeschworene Diven-Bild des Ausnahme-Bassisten.
Als ich ihn dann aber spielen höre, habe ich plötzlich verstanden. Avishai Cohen legt sein ganzes Leben, sein Sein, sein Selbst in sein Spiel, verausgabt sich bei einem Konzert bis zur Selbstaufgabe. Alles, was er zu sagen hat, tut er durch die Musik. Und wenn in seinen Augen ein Konzert beendet ist, weil er alles gesagt hat, dann ist es eben beendet. Warum sollte er dem dann noch was hinzufügen oder gar blöde Fragen beantworten?
Cohen muss man zuhören, und mehr muss man nicht wissen. Das Besondere an der Musik Avishai Cohens ist dann auch gar nicht mal, dass sie außergewöhnlich kreativ oder experimentell oder sonstwie abgefahren ist, denn bis auf einen völlig umgestrickten Cole-Porter-Song war sein Programm eher konventionell. Das Besondere liegt in dieser überirdischen Virtuosität, die beim letzten regulären Stück des Konzerts, Seven Seas, vollends zum Tragen kam, und in der langen Zeit, die er manchmal braucht, einer Stimmung, ob nun seiner eigenen oder der seiner Musiker hinterherzufühlen, bis er einen Ton anschlägt. Aber wenn, dann hat man das Gefühl, als offenbare sich ein Heiligtum. „Es spricht“, raunt man ehrfürchtig, und das ist auch alles, was man hierzu sagen sollte, denn angesichts eines Avishai-Cohen-Konzerts, das einer Heiligen Messe gleichkommt, sollte man einfach die Klappe halten und zuhören – nicht zuletzt auch den unglaublichen Musikern Cohens, dem Pianisten Nitai Hershkovits und dem blutjungen Ofri Nehemya, Sohn des Schlagzeugers Naor Nehemya.
Hiernach ist bei aller Liebe der Besuch der Jazz@Israel Jam Session mit Omer Klein (Piano), Haggai Cohen-Milo (Bass), Yotam Silberstein (Gitarre), Aviv Cohen (Schlagzeug) und Jonathan Albalak (Gitarre, Synthesizer) im Park Hotel nicht mehr drin – meine Aufnahmekapazität in Sachen Musik ist für heute restlos erschöpft. Ich falle völlig erlebnisberauscht, und das meint hier: musikgesättigt, in mein Bett.
Über Tag 3 berichte ich in den kommenden Tagen – schauen Sie einfach wieder mal vorbei! Mit dabei: Musik vom Kokko Quartett, Charles Moffett, Chloe Charles und Tobias Preisig.
Kommentare deaktiviert für Die Bremer Jazzmusikanten. Tag 1 und 2 der Jazzahead! 2013
… ist an Tagen wie diesen genau das, was man braucht. Zu nämlichem Zweck kann man jetzt den gleichnamigen Sampler aus dem Hause Actmusic – neben dem Nachfolger More Magic in a Noisy World definitiv mein liebster Sampler in Sachen Worldjazz! – hören, und wer den nicht kennt, muss ihn sich auf der Stelle besorgen, jetzt noch, bevor er weiter liest. Man kann aber auch in ein Konzert des Gitarristen David Sick gehen, der es ebenfalls vortrefflich versteht, die Welt mit seinem stillen (und manchmal gar nicht so stillen) Zauber für einen kurzen Moment zum Innehalten anzuhalten. Wie glücklich kann man sich schätzen, wenn an Tagen wie diesen Aussicht auf einen Abend wie diesen besteht!
Der Tag jedenfalls startete, wie Tage wie diese es nun einmal zu tun pflegen, unter denkbar schlechten Vorzeichen im Bermuda-Dreieck von Migräne, übler Nachrede und unguten Neuigkeiten. Und auch die nähere Umgebung des Konzertes, zu dem mich Sick – treuen Klangblog-Lesern sicherlich als männlicher Teil des Duos Mara & David ein Begriff – spontan geladen hatte, lässt ob ihrer Trostlosigkeit und Uninspiriertheit zunächst eher Erinnerungen an Dantes Warnung am Höllentore erwachen: Lasciate ogni speranza voi ch’entrate: Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.
Bonsoir tristesse. Schallplatten gibt es hier jedenfalls nicht mehr
Umso inspirierender dann das eigentliche Konzert. Nicht nur, dass man für einen unmittelbaren Kontakt des Künstlers mit seinem Publikum auch die beengten Sitzverhältnisse und den nicht wirklich optimalen Sound im Hinterzimmer des Prenzl’berger Gitarrenbauers Wolf & Lehmann gern in Kauf nimmt – vor allem David Sicks Interpretationen und Kompositionen sind es, die den kleinsten Raum zum Strahlen bringen und, bleiben wir beim Stichwort, dazu angetan sind, die Menschen zu insprieren. Ob Sick nun beim klassischen Teil des Konzerts, der aufgrund des akustischen Settings als der dieser Umgebung angemessenere erscheint und unter anderem mit einer wunderbaren Version von Roland Dyens‘ Tango en skai aufwartet, die Zuhörer auf kollektive Gedankenreise zu Wendepunkten in der persönlichen Biographie verführt, oder im seine Eigenkompositionen präsentierenden (ich will nicht sagen: Rock/Pop/Jazz-, denn was spielt Sick da eigentlich? Funkbluesindiefolkfingerstyle in oepn tuning?)Teil gar zum Hervorholen des Skizzenblockes anreget – seine Töne bringen zum Singen und wecken eine längst verschütt gegangen geglaubte Kreativität in jedem Einzelnen.
Dass David Sicks Gitarrespiel, und fragen Sie mich jetzt nicht, wie er es macht, denn ich kann es mittels musikwissenschaflich-ästhetisch-analytischer Kriterien nicht erklären, an inneren Orten berührt, zu denen nicht allzu viel Musik in der Lage ist vorzudringen, weiß ich seit seinem Debütalbum Industrial Blues, mit dem ich eine zeitlang sehr intensiv gelebt habe. Und natürlich habe ich mich mehr als gefreut, Stücke wie Cat Song (das von seinem Komponisten, der seine alten Stücke auf der Bühne ohnehin gern mal situativ umtauft, aber vielleicht ist das auch nur die natürliche Entwicklung, die so ein Stück im Laufe der Jahre nun einmal nimmt, nunmehr als Cat Obsession angekündigt wird), Ballad und natürlich auch den Magic Fire Dance, einmal live zu hören, denn obgleich ich David Sick mit Mara & David oft gesehen habe und obwohl ich seinen Industrial Blues so gut zu kennen und verstehen glaube, habe ich – zu meiner Schande – noch nie ein Solokonzert von ihm besucht. Vielleicht ist das alles aber auch viel banaler und ich bin wie die meisten Menschen auch und freue mich einfach, wenn ich etwas höre, das ich schon kenne.
Lügen straft diese These, dass mich zwei neue Stücke elektrisiert haben. Zum einen eines, das Das Leben einer Mikrobe oder so ähnlich heißt – zum anderen eines mit einem ähnlich bilderreichen (Arbeits-)Titel, nämlich Guter Bulle, böser Bulle. Und das habe ich Ihnen als kleines Souvenir von diesem magischen Abend mitgebracht, natürlich in der Hoffnung, dass Sie es für ebenso bezaubernd halten wie ich, dass Sie es kaum erwarten können, bis David Sicks neues Soloalbum erscheint und dass Sie bis dahin die einschlägigen Plattenläden stürmen, um seine aktuelle CD käuflich zu erwerben. Sollte Ihnen Ihr persönlicher Plattendealer ein ähnliches Bild bieten wie der weiter oben im Text gezeigte – ordern Sie es doch einfach direkt beim Künstler, das ist ohnehin viel cooler. Bis dahin viel Freude an Guter Bulle, böser Bulle, das Sie in dieser – nämlich erst zwei Tage alten, noch nicht ganz fertigen – Form wahrscheinlich nie wieder hören können:
Kurz, nur ganz kurz habe ich darüber nachgedacht, das anfängliche Tuning wegzuschneiden. Es wäre schade drum gewesen.
„The only one who could ever reach me was the son of a preacher man, the only boy who could ever teach me was the son of a preacher man. Yes he was, he was, ooh, yes he was“, jubelte Dusty Springfield schon 1968, und man könnte meinen, sie hätte hellsichtig Predigersohn und Soulsänger Allen Stone im Auge gehabt, der von Kritikern und Fans einmütig als irgendwas zwischen neuem Messias und unehelichem Kind von Stevie Wonder und Amy Winehouse gefeiert wird.
Fakt ist, Allen Stone hat die Fähigkeit, Menschen glücklich zu machen. Diese Stoneifizierung des Publikums kommt vor allem in seinen Live-Shows zum Tragen, denn schließlich macht er seit Jahren nichts anderes, als Konzerte zu spielen, wo er nicht nur mit seinem mitreißenden Retro-Sound beeindruckt, sondern auch mit seiner einnehmenden Sonnenschein-Persönlichkeit. Zum Phänomen Allen Stone gehört natürlich auch, selbst wenn der Künstler das nicht mehr hören mag, der verblüffende Kontrast zwischen seinem blondgelockten, erzengelhaften Hippie-Äußeren und dieser seelenvollen Stimmkraft, die ohne Schwierigkeiten ihren Weg auf alte Motown- oder Stax-Aufnahmen hätte finden können.
Allen Stone ist eben ein Anachronismus. Moderne, computergenerierte Musik mag er nicht. Allen Stone ist aber auch ein wandelnder Widerspruch, der mit seiner Abhängigkeit vom schnell-noch-hundertachtundvierzig-Mails-Checken hadert uns sich sehr bewusst ist, dass die sozialen Medien für ihn Segen wie Fluch sind. Im Klangverführer-Interview verrät er, wie er über die Retro-Soul-Welle denkt, was die Faszination an den alten Sounds aus heutiger Sicht ausmacht und wann sich Musik eigentlich Musik nennen kann. Nicht zuletzt beantwortet er die von keiner Geringeren als Chantal de Freitas – die sich nicht nur selbst auf den Weg von der Schauspielerin zur ernstzunehmenden Sängerin gemacht hat, sondern auch Stones weltgrößter Fan ist – gestellte Leserfrage nach dem Geheimnis des Sounds im Wohnzimmer von seiner Mutter.
Da man Allen Stone aber nicht erfassen kann, ohne ihn – und seine unglaublich gute Band – auf der Bühne gesehen zu haben, gibt es hier auch noch das große Finale aus seiner Show im Berliner Lido vom 27. Februar 2013 zu sehen. Erst einmal aber viel Spaß mit dem Interview, zu dem wir uns nach Allen Stones Berlin-Konzert trafen.
Halb-taub, halb-betrunken, voll glücklich. Das Stone-Fieber macht auch vor Kritikern nicht halt.
Allen Stone: Did you enjoy the show?
Klangverführer: Definitely! I admit I was located too close to one of the speakers, so I’m kind of half-deaf now, but it was worth it!
Oh, I speak loud, I know … (laughs)
Anyhow, it was an amazing show! Is this actually your first time in Berlin?
The second. Yesterday we got the chance to go around and see a little bit of the city. Unfortunately, I lost my voice in London about two weeks ago and I’m struggeling to get back my falsetto, so I’ve been forced to rest. I wanna go out and party and have a good time, but everybody else makes me rest. They take care of me and make sure that I can sing.
Talking about singing … When you were 15 or 16, someone handed your first Stevie Wonder record to you. You are reported to have said: „Stevie Wonder is the reason why I sing soul music.” What’s the story of your fascination with Stevie Wonder?
Well, I think what I first heard in Stevie’s voice was his vibrato and how high he could sing. And I grew up singing pretty high, too. And I think it’s the spirit of his music. Like Stevie … if you’ve ever seen him, if you’ve seen interviews with him – he’s a very soft spirit, a very warm and welcoming spirit. And I think that drew me to him as well. Even if I’m on stage and having a good time, I’m very soft-spirited, I like that sort of energy.That’s what drew me to him in his music beyond melody.
Actually the New York Times recently headlined: “If you like Stevie Wonder – listen to Allen Stone!”, and indeed listening to your new album evokes the sounds of Motown and Stax, a bit of Stevie Wonder, Marvin Gaye and Curtis Mayfield. Why do you think are modern people so attached to these retro sounds?
I think it’s because that was when music was real. To me, the sixties and seventies were the golden era of music while nowadays computers have taken over music and made it possible to call yourself a musician without actually being a musician! A lot of sampling happens and a lot of stealing music, and there’s a lot less actual musicianship that happens on record now. Why I call the sixties and seventies with artists like Simon & Garfunkel, Billy Joel and Elton John the golden era of music is because I know it’s real, it’s actual musicians playing actual songs. Nowadays, I can’t even hardly listen to records because I don’t know if they’re real.
Do you draw any inspiration from nowadays’ music artists after all?
Oh, there’s plenty! I really love Jamie Lidell, I love Gery Clark Jr., I love Lianne La Havas, I’m really into The Dap Kings, Charles Bradley … There’s a lot of great artists nowadays that I really appreciate. But I had to see them live first in order to be proving that they were musicians.
So how do you feel about the state of modern pop music in general?
Some is really good, some is really bad. But that’s music always been in my opinion since the eightees … since that dico age and the glittery side of music started coming in, since the sexy side of music came in. Before that it was very much just the music. And seemingly the glittery side of music startetd the scheme, ever after there was sort of that side of pop and there was also the good side of pop, so it’s seemingly in a balance.
So you don’t see yourself on a mission to bring back the good side of pop?
Oh, yes, of course, but I’m not in any way shaped or formed delusional and thinking that I will. I just try to make music that I think people enjoy and that will make people happy.
Talking about soul music, I think caused by today’s high gloss production of modern R&B music on one side, by a glut of classic soul revivalists on the other side, a lot of people are fed up with soul music and don’t want to listen to it any more. It has gotten some negative connotation. How do you convince these people to see your show and buy your records and not make them think, oh, that’s just another soul revivalist …?
To me, the soul revivalist thing is more about production, like people dressing in the same way as they did in the fifties … That doesn’t make sense to me. Me and my band, we are just normal guys, we dress the way we are, our personalities on stage are the same than backstage … So for me, I think it’s just repetition. Going on stage every night and proving you give the best that you can. I think if you do that, then people talk about it. And if you have something special, then people will notice it and spread the word. And if you don’t, then you won’t have a career in a while!
It’s kind of a mouth-to-mouth thing?
That’s what it’s been so far! I mean, I din’t have a record out in Europe, just now I got a record out in Europe – and it’s my third tour in Europe. We sold quite a few tickets in Germany and in London, in Holland I sell a lot of tickets … It’s quite astonishing how many people know about my music without there actually being a product out for them to listen to!
That means that social media is playing a major role by making your music public?
Certainly.
I think you even dedicated one song to social media, Contact-High, which deals with today’s abundance of social media interaction …
You see, social media for me has been a blessing and a curse, because it’s the only way that a lot of people have heard my music, through YouTube, or people are sharing it on Facebook, but on the other side I saw that I was just getting so addicted to this, always checking my accounts … And I still struggle with it! I go for this contact high where I’m trying to contact so many people at one time instead of … I’m losing the opportunity to connect with people face-to-face, so yeah, I think, it needs a balance, you need to figure out what’s too much and what’s okay. For me, I’m still batteling. I’m always gawking at this stupid phone.
How do you counter this digital distraction?
Well, I mean for me it’s a huge blessing, so I don’t wanna ask anybody to stop sharing my stuff on the internet, it’s a really huge opportunity for me to get my word out. But for me personally, I turned a lot of that over to my management, to other people, so that they can do my Facebook and my Twitter and all that … I get on there once in a while to contact people and say thank you, but sometimes it can take you away from the creative process. You know, you’re writing a song – and half way you stop checking Twitter!
Then how do you feel about the digital age and its interaction with popular music in general?
Well, I don’t like that it has become such a big part in the studio. I really like people to play full songs through, but there’s a lot of cutting and pasting that goes on in the studio, a lot of dragging and dropping and people not singing the full song or playing a full song or even playing a song at all, just generating sounds from the computer. I really don’t like that. I think that’s fake, I don’t think it’s music. But it reaches on. That’s their lane and I have my lane and so … I don’t even want to discredit it, it’s just that for me it doesn’t do it.
Unfortunately we’re moving to the last question now. I’m proud to pass on a question by one of my readers, superattractive actress/singer Chantal de Freitas, who asked: “What´s the secret of the superfantastic recording sound they created in his mother´s living room?”
(laughs) I think it was a lot of luck. The whole credit goes to the guys that played on the recording and the engineers because my Mom’s house is not a recording studio and the fact that we got some good sounds out of there is quite astonishing!
Kommentare deaktiviert für If you have something special, people will notice and spread the word. Retro-Soul-Sänger Allen Stone im Klangverführer-Interview
Statt dem vielbesungenen Tag müsste es allerdings heißen, was für einen Unterschied zwei Wochen doch machen können! Vor vierzehn Tagen stellte ich mir noch die klassische Frage: Was will mir der Künstler damit sagen? Die Rede ist vom Auftritt meiner Berliner Lieblingssängerin Lisa Bassenge, die in Mark Scheibes Berlin Revue eine Kostprobe aus ihrem neuen Album Wolke 8 gab und mich recht ratlos zurückließ. Diese Ratlosigkeit hat sich jetzt zum Guten aufgelöst, nachdem ich das neue Material von Lisa samt Band bei einem dreißig-minütigen Promo-Konzert im Kulturkaufhaus Dussmann noch einmal hören durfte, weshalb dieser Artikel auch unter der Überschrift „Welch einen Unterschied eine halbe Stunde doch machen kann!“ veröffentlicht werden könnte.
Ob nun eine halbe Stunde, ein Tag oder auch vierzehn davon – der Unterschied ist groß, denn, soviel sie hier schon einmal vorweggenommen, diese Zeitspanne hat mich zur bedingungslosen Apologetin des neuen Lisa Bassenge-Albums gemacht. Wolke 8, so verriet die Sängerin im dem Konzert vorgeschalteten Interview mit Radio-Eins-Moderatorin Bettina Rust, ist im Gegensatz zur letzten Platte Nur fort ein Album über das Ankommen. Irgendwann ist es nun einmal soweit, dass man bestimmte Ziele im Leben erreicht und sich von gewissen Illusionen verabschiedet hat, denn schließlich „muss man sich ja irgendwann mal festlegen“. Dass das nicht immer ohne Trennungsschmerzen vonstatten geht, davon erzählen die elf Stücke auf Wolke 8, darunter acht Original-Kompositionen, bei denen Schriftsteller-Shooting-Star Thomas Melle (Raumfoderung, Sickster) textend zur Seite stand, sowie drei Coverversionen: ein Selbst-Cover aus Nylon-Zeiten, ein Cover von Foyer des Arts – dem Duo von Max Goldt – sowie eine Interpretation des Vagabundenliedes, das Bassenge ihre Tochter immer im Kindergarten hat singen hören und seitdem unbedingt selbst aufnehmen wollte.
Unter den Neukompositionen findet sich nicht zuletzt der Apfelbaumblues, der autobiographische Kindheitserinnerungen der Künstlerin verarbeitet. Aufgewachsen im beschaulichen Zehlendorf in einem Haus mit Garten und (Apfel-)Bäumen, entstand bei der jungen Lisa der Eindruck, das Leben sei ein Sommergarten, wo man unter Bäumen sitzt und Kuchen isst – „bis ich gemerkt habe, dass das ganze Apfelbaumidyll so in Kreuzberg nicht lebbar ist“, wie sie selbstironisch hinzufügt. Ohnehin lebt Wolke 8 von einer gehörigen Portion Selbstironie, für die man vermutlich wirklich erst ein gewisses Lebensalter erreichen muss, in dem man bestimmte Dinge – und vor allem sich selbst – nicht mehr so wichtig nimmt. Das sei aber Verhandlungsgegenstand der in der kommenden Ausgabe von Victoriah’s Music erscheinenden Rezension, ebenso die Frage, ob sich ein Sechsachtler „Blues“ nennen darf (er darf, aber auch dazu an anderer Stelle mehr).
Hier sei erst einmal die Bühne eröffnet für die von Bassist Paul Kleber – den treue Victoriah’s Music-Leser nicht nur vom Lisa Bassenge Trio, von Micatone und Nylon kennen, sondern auch als Gast auf solch schönen Alben wie etwa Storytelling Pianoplaying Fräulein von Alev Lenz – trefflich arrangierten Stücke, allen voran die aktuelle Single Lass die Schweinehunde heulen:
Was mir in der Scheibe-Show noch arg electropoppig unterkühlt erschien, kommt in dieser Besetzung dermaßen mitreißend rüber, dass es sich hinter dem Hammond-lastigen Puder von Catharina Boutari, mit dem ich das Stück noch am ehesten vergleichen mag, nicht verstecken muss, obwohl mich Letzteres schon beim allerersten Hören geflasht hat, während es bei den Schweinehunden etwas länger dauerte, bis es „Klick“ gemacht hat – das dafür aber umso nachhaltiger. Auch der vor zwei Wochen noch bemängelte Umstand, dass ich die Bassenge lieber als Jazz- denn als Popsängerin höre, wird hier hinfällig, denn es ist genau ihre dem Jazz entlehnte Artikulation und Phrasierung, die selbst das abgehackteste Stakkato-Deutsch butterweich klingen lässt.
Ganz besondere persönliche Freude hat mir allerdings die Ballade Das hier wird für immer sein gemacht. Wird hier thematisch die Wolke sieben verlassen, um auf Woke acht abzuheben, habe ich bei diesem Stück vor allem ein Klang-Déjà-vu, denn da ist sie wieder! Die Silbe „ei“ im Refrain, die genauso klingt wie das „ei“ in „Es ist vorbei“ auf Lisa Bassenges Interpretation von Rio Reisers Junimond. Kennen Sie nicht? Sollten Sie aber! Sie finden sie auf der schönen Scheibe Won’t Be Home Tonight.
Bei Van Gogh, diesem fiesen kleinen „Wär ich dies/wärst du das“-
Rundumschlag, den man gehört haben muss, geht es laut Angaben der Sängerin „eigentlich nur darum, jemanden so richtig fertig zu machen“ – und das macht hier auch noch großen Spaß. Zudem hat es ein bisschen vom Micaton’schen Gundog-Shuffle, was es zum noch größeren Mitzappler, -zucker und -klatscher werden lässt. Cooles Ding, das als Kontrapunkt die ganz große Ballade braucht. Die gibt es mit Nach dem Glück, das meiner Meinung nach das Schlüsselstück des Albums ist, heißt es hier doch: „Nach dem Glück und nach dem Traum/Bleibt immer noch ein wenig Raum/Um die Reste noch zu retten/Ohne auf das Glück zu wetten/Nach dem Traum und nach dem Glück/Kommt das Leben erst zurück/Um die Reste neu zu binden/Vor dem ganz großen Verschwinden“. Sich der Realität nach Verlust der (jugendlichen) Illusionen solcherart zu stellen, das ist fürwahr ein Ankommen – nämlich im Leben an sich, was nicht ohne eine gewisse nachsichtige Liebe zum Leben geht. Wie soll das am Tag der Liebe auch anders sein!
Natürlich benötigt auch die große Ballade ihrerseits wieder einen Kontrapunkt – an dieser Stelle herzlichen Dank für die Dramaturgie des Sets! -, der sich dann auch schnell in Dernier Cri findet. Konnte ich damit bei Mark Scheibe noch so gar nichts anfangen, muss ich jetzt feststellen: Lisa Bassenge hatte im Berlin Revue Orchester einfach die falsche Band. Jetzt hat sie die richtige, und das Stück, verzeihen Sie den Ausdruck, haut einfach nur rein. Sorry Herr Scheibe, aber so muss das sein! Als Zugabe bekommen wir noch den Apfelbaumblues zu hören, doch was über den Abend hinaus im Ohr bleibt, ist der Shouter: „Denier Cri, denier cri/So verliebt war ich noch nie!“. Ich auch nicht. Frohen Valentinstag.
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Im ersten Teil des Interviewportraits sprach ich mit B.S.O, dem BerlinerStreichOrchester, über seinen Anspruch an seine Musik, zu der auch immer untrennbar die Live-Performance gehört – und genau hier steigen wir mit dem zweiten Teil wieder ein. Außerdem verrät uns das Streichtrio, das sich lieber als Rockband sieht, warum es eine Trennung in sogenannte E- und U-Musik für unsinnig hält, wann wir endlich sein Debütalbum in den Händen halten können und dass Familie „schon irgendwie heilig“ ist – Gänsehautmomente inklusive.
Lina Liebhund lauscht …
Klangverführer: Wir sprachen gerade davon, dass Gunnar nicht mehr den Alleinunterhalter geben, sondern auch die Celli mehr in den Show-Teil eurer Gigs einbinden möchte …
Jupp: Ich finde diese Art von Bühnenperfomance gar nicht so schlimm, muss ich sagen, sie ist nur bislang relativ schwer realisierbar gewesen – und ist es immer noch. Das liegt daran, dass wir, zumindest teilweise, hinter den großen Instrumenten sitzen, außerdem hat nicht jeder von uns ein Mikrophon – meistens haben wir gerade mal eins, um Ansagen zu machen. Uns bei allem, was größer ist, als dieser Raum hier (zeigt auf den Proberaum um sich), hört uns das Publikum nicht, wenn wir unverstärkt reden. Die technischen Voraussetzungen würde ich persönlich jetzt noch in weiter Zukunft sehen.
Gunnar: Eine Voraussetzung dafür wäre – und da sind wir jetzt in der Richtung, aus der wir musikalisch herkommen: ich habe mir neulich Apokalyptika angeschaut, und die spielen größtenteils im Stehen und laufen dabei auch rum –, dass alles wireless funktioniert. Für unser aktuelles Bandbudget findet sich in dieser Kategorie nicht allzuviel, das heißt, wir müssen noch ein bisschen warten – aber künstlerisch sehe ich das schon als nochmaligen Entwicklungsschritt, den wir irgendwann mal gehen werden.
Johannes: Ich würde das auch eher in fernerer Zukunft verorten. Momentan sind wir noch an Probleme gebunden wie „Wie rennt man mit so einem Rieseninstrument quer über die Bühne“?
Jupp: Das lernt man auch nur in den Situationen, während man es tut! Wenn beispielsweise ein Gig ansteht, wo wir geplant haben, mal aufzustehen, proben wir das vielleicht auch mal – aber live ist es immer noch etwas komplett anderes. Wir spielen jetzt anderthalb Jahre zusammen, und noch sind neunzig Prozent der Gigs „gesessen“.
Ich finde das auch nicht schlimm, im Gegenteil! Es spricht doch nichts dagegen, sich auf die Musik zu konzentrieren anstatt auf die Show …
Jupp: Das kommt auf’s Publikum an. Es gibt ganz viele Menschen, die sind erst einmal total überfordert mit diesem „Woah, was machen die mit den klassischen Instrumenten?“ – und wenn wir dann noch stehen würden, dann würde die, glaube ich, abschalten und denken, „nee, das ist mir jetzt zuviel“. Aber wenn wir uns entspannt irgendwo in Berlin hinsetzen und dann so triomäßig beeinander, nicht nur für’s Publikum, sondern hauptsächlich auch für uns selbst etwas spielen, dann finden die Leute das toll. Da bleiben die stehen, denn sie denken, „Hey, was spielen die denn da? Das kenn‘ ich doch!“ Und da kommt wieder der Wiedererkennungseffekt zum Tragen. Die haben das zwar noch nie in dieser Form gehört, aber irgendwoher kennen sie es –
Johannes: Und das ist dann unsere Chance.
Gunnar: Vielleicht merkt man es, das ist auch ein kleiner, ewiger Diskussionspunkt zwischen uns dreien: Ich fordere natürlich, dass die Jungs viel mehr stehen …
Johannes: Ja, und manchmal tut mir das auch Leid für Gunnar. Weil der muss halt schon das meiste leisten, er rennt dann rum …
Gut, er muss die Show machen – aber ihr müsst die Musik machen!
Johannes. Ja, klar, wir haben vielleicht vom Kraftfaktor her in den Händen ein bisschen mehr zu tun … Aber das Entscheidende scheint mir, dass sich das noch entwickeln muss.
Gunnar: Es ist okay, so, wie es jetzt ist, das kommt auch meinem exhibionistischen Gehabe da auf der Bühne zugute, aber es wird darauf hinauslaufen, dass wir die Last gleichmäßiger verteilen – sowohl, was die Arrangements anbelangt, als auch, was die zukünftige Bühnenpräsenz angeht.
Du meinst, dass sich die Jungs showtechnisch nicht mehr hinter ihren Instrumenten verstecken können und du in der Rolle des Alleinunterhalters gefangen bist … Andererseits bist du derjenige in der Band, der neben B.S.O einem ganz normalen bürgerlichen Job nachgeht, während die Jungs Profimusiker sind, bzw. ein Profimusiker und ein angehender Profi. Wie fühlt man sich als Laie dazwischen? Kompensierst du diesen Status mit der Betonung des Showelements?
Gunnar: Das ist eine gute Frage. Für mich ist es eine Herausforderung, auf der Geige mit der Professionalität der beiden Celli mitzuhalten. Ich gebe ganz offen zu, dass auch meine Lernkurve nicht mehr so steil ist, wie bei den beiden, wenn ich mich verbessern will und im Interesse unserer Songs auch verbessern muss. Ich hoffe und es ist auch mein Ziel, dass ich da noch so lange wie möglich mithalten kann, aber die Frage trifft natürlich des Pudels Kern: Das, was ich da auf der Bühne mache, kompensiert natürlich eine ganze Menge. Alles, was in Richtung Show und Unterhaltung und auch Interaktion mit dem Publikum geht, ist schon eine Art der Kompensation dessen, aber natürlich auch eine Bereicherung im Sinne einer Vervollständigung des Gesamtangebotes an das Publikum.
… und latscht durchs Bild …
Auf eurer bald erscheinenden Platte fällt der visuelle Teil aber weg – und das, obwohl ich gerade gelernt habe, dass das Showelement bei B.S.O nicht nur eine wichtige Rolle spielt, sondern in Zukunft auch noch stärker hervorgehoben werden soll. Welche Bedeutung räumt ihr der puren Musik ein, welche der Show, anders gefragt: Ist B.S.O in erster Linie eine Live-Band?
Gunnar: Das ist eine Ergänzung – das kann nur eine Ergänzung sein! Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Und da wir jetzt das erste Mal im eigenen Studio sind und Aufnahmen machen, haben wir erfahren, dass das Recorden richtig, richtig schwere musikalische Arbeit ist. Ich selbst bin ein Live-Mensch. Ich stehe gern auf der Bühne und kommuniziere, ich gehe auf die Leute ein, ich geh hin, geh weg, ich tanz mit denen, ich leg mich hin … Im Studio bei den Aufnahmen soll ich mit einem Mal ganz ruhig sitzen. Das liegt mir so gar nicht und hat bei den Aufnahmen auch erstmal so einiges an Selbstdisziplin gefordert. Ich weiß nicht, inwieweit wir da effektiv waren beim Einspielen, was vor allem Quantität angeht – ich hab‘ pro Tag einen Song geschafft, mehr war einfach nicht drin.
Das ist doch eine gute Quote!
Gunnar: Aber um noch einmal auf deine Frage zurückzukommen, das muss eine Ergänzung sein. Unser Anspruch ist, dass wir live genauso klingen wie auf der Platte. Aber Live ist einfach … da muss man merken, dass die Jungs, die da vorn auf der Bühne stehen, beim Spielen auch mal daneben greifen, weil sie vor allem Spaß dran haben und richtig aufeinander eingehen. Wenn man die CD in den Player legt oder das File in den MP3-Player, dann muss das Gesamtbild von der Musikalität her stimmen. Auf der Bühne ist es Musikalität plus Show.
Ihr kommt ja aus der Live-Ecke, habt da angefangen und spielt seitdem unglaublich viele Shows … Ich kann mir vorstellen, dass er schwerfällt, dieses unmittelbare Gefühl auf Platte zu pressen. Ist das ein Grund, weshalb die Veröffentlichung des Albums immer weiter aufgeschoben wird? Erst sollte es voriges Jahr zu Weihnachten kommen, dann im Sommer, jetzt heißt es, dieses Jahr zu Weihnachten …
Jupp: Unter anderem. Vor allem aber liegt das daran, dass wir viele neue Ideen haben, dass unsere Arrangements nie so einen hundert-Prozent-Status erreichen – es wird immer etwas geben, was man daran noch so ein bisschen verändern kann, und dann wird das gemacht, und man hat noch eine gute Idee, macht auch das ein-, zweimal und sagt sich, „hey, das ist ja viel besser als das, was wir bisher hatten“, oder wir stellen fest, „ach nee, doch nicht“, und machen das wieder rückgängig …
Johannes: Obwohl wir auf dem Album versuchen, wirklich diesen finalen Status zu erreichen. Das ist jetzt neu. Dazu muss man auch sagen, dass ich, oder wir zusammen, die Songs noch einmal neu arrangiert haben, sobald die Nummern feststanden, die auf die Platte kommen. Wir haben uns überlegt, dass es einfach zu banal wäre, sie so einzuspielen, wie wir sie live spielen, und das allein war schon eine langwierige Arbeit.
Das beantwortet ja auch meine Frage nach eurer Musik, wenn die visuelle Komponente wegfällt … Ihr spielt auf der Platte also anspruchsvollere Arrangements!
Jupp: Ich will noch einmal was zu dem Unterschied CD und live sagen: Du hast recht, wir kommen vom Live her – und ein Grund dafür, dass wir das jetzt aufnehmen, ist – daneben, dass wir das alle auch selber wollten –, dass wir ständig gefragt wurden, „Habt ihr eine CD, habt ihr eine CD?“ Und insofern kann diese CD nur eine Ergänzung zu unserem Live-Ding sein, denn ich weiß nicht, wass die Leute erwarten, wenn sie – nachdem sie uns live gesehen haben – eine CD von uns einlegen. Ich persönlich könnte gar nicht dasselbe erwarten. Ich würde mich freuen, wenn der Song, den die Band live gespielt hat und der mir so gut gefallen hat, da drauf ist – aber ich würde jetzt … Keine Ahnung! B.S.O lebt auch davon, dass uns die Leute sehen, dass sie die Celli sehen und nicht nur hören! Dass sie immer gefragt haben, „Habt ihr eine CD, habt ihr eine CD?“, war einer der Gründe, dass wir uns gesagt haben, okay, nehmen wir mal ein paar Songs auf. Dass es jetzt so intensiv wird, dass wir wirklich noch mal die Arrangements überarbeiten – den Anspruch haben wir uns selbst gestellt.
Johannes: Wir stehen uns selbst im Wege. Aber im positiven Sinne.
Ich kann mir schon vorstellen, dass jemand, der euch auf einem Konzert sieht, die CD kauft, weil er das Live-Erlebnis ausdehnen möchte, weil er einfach ein Stück von euch mit nach Hause nehmen will …Die Frage, die sich mir stellt, ist eher: Was erwartet Leute, die euch noch nie live gesehen haben, auf dem Album?
Johannes: Das ist eine spannende Frage! Ich denke, mal auch ein Überraschungseffekt.
Jupp: Auf jeden Fall, weil diese Sache mit dem Covern auf Streichinstrumenten ist schon rein akustisch für die meisten neu …
Johannes: Ja, schon rein soundmäßig!
Jupp: Die Frage wäre hier, wie Leute, die uns noch nie gesehen haben, dazu kommen, die CD zu kaufen. Ich habe den Eindruck, dass die meisten sie nur kaufen würden, eben weil sie uns live gesehen haben! Ich kenne keinen, der über etwas anderes auf uns aufmerksam geworden ist.
Ach, ich glaube, das kommt auf die Art und Weise des Vertriebes an. Wenn sie jetzt beispielsweise auch als digitaler Download in die großen Online-Musikdienste wie Amazon oder iTunes eingespeist wird, liegt der Empfehlungsalgorithmus der Musicstores dahinter, nach dem Motto: Wenn Ihnen Apocalyptica gefällt, gefällt Ihnen bestimmt auch B.S.O, oder so ähnlich. Das sieht natürlich anders aus, wenn ihr nur einen Privatvertrieb geplant habt.
… um mit dem Jungs zu flirten – und die flirten zurück!
Gunnar: Ist das jetzt eine Frage? Also, es ist auf jeden Fall das Ziel, dass wir auch weltweit vertrieben werden, zumindest durch die ganzen neuen Medien. Mein Anspruch ist, was Leute erwartet, die, auch wenn sie uns noch nicht live gesehen haben, ein Album von uns kaufen oder downloaden, dass auf jeden Fall ein Unterschied zu hören ist zu den klassischen Ansätzen, wie sie üblich sind, beispielsweise bei Sterling EQ, die als Streicherband mit Querflöte unterwegs sind. Ich hab ganz hohen Respekt vor den vier Frauen, die das machen, aber mein Anspruch ist, dass die Leute, wenn sie uns sehen, nicht sagen, „aha, jetzt kommt Klassik, die Bon Jovis It’s My Live als kammermusikalischen Höhepunkt inszeniert“, sondern: „Mein Gott, was machen die auf diesen Instrumenten, das klingt ja so dirty …“
Jupp: Genau! Wir wollen unsere Instrumente sozusagen, nicht nur live, an ihre Grenzen führen!
Befreien von dem angestaubten Image?
Jupp: Ja, vom klassischen Schönklang. Das soll jetzt nicht heißen, dass bei uns alles kratzig und gedroschen klingt, sondern einfach nur, dass es eben auch mal so klingen kann, denn das ist auf Streichinstrumenten auch möglich! Wenn wir das machen, ist das nicht zwangsläufig immer gut oder immer passend, aber man kann es machen – und die Instrumente halten es aus!
Gunnar: Auch das muss man klar sagen: Es soll jetzt keine Revolution gegen die Kammermusik sein oder gar gegen die Klassik – es ist am Ende einfach eine andere Sparte, die wir bedienen.
Jupp: Wir nehmen unsere Inspiration einfach überallher, Kammermusik, Rockmusik, und dann machen wir unser eigenes Ding daraus!
Gunnar: Ich weiß gar nicht, ob die Zielgruppe da so riesengroß ist, wie wir das gern hätten – denn wir machen ja kein Crossover! Crossover ist so ein Mischmasch, irgendwie beliebig.
Da bin ich ganz auf deiner Seite! Ist es bei euch vielleicht eher so, dass ihr dem Rockfan das Herz öffnet für Kammermusikalisches und den Klassikfan auch für Rocksounds zu begeistern wisst?
Jupp: Na, das ist immer schwierig. Dann müssten wir ja auch Klassik spielen. Wir haben zwar darüber gesprochen, für bestimmte Anlässe ein kleines klassisches Programm im Repertoire zu haben, die Idee aber nie weiter ausgeführt. Das ist nämlich so eine Sache: Bei klassischer Musik gibt es viel mehr Leute, die einem da auf die Finger gucken und sich fragen, „Wie ist das denn interpretiert? Das ist doch eigentlich ein Mozart-Quartett für Holzbläser, warum haben die das jetzt auf Streichinstrumente übertragen und für einer Dreierbesetzung arrangiert?“ Bei klassischer Musik wird man immer sofort auf ganz andere Weise beurteilt. Deswegen: Klassische Musik spielen – mache ich persönlich gerne. Ist aber nicht Sinn und Zweck dieser Sache hier. Und dem Rockmusiker plötzlich ein klassisches Stück vorzuspielen – das würde dem gar nicht mehr gefallen. Dem gefällt es, dass er kennt, was wir spielen! Und das wäre nicht der Fall, wenn wir jetzt einen Mozart auf irgendeine besonders abgefahrene und rockige Weise spielen würden.
Johannes: Wenn ich ergänzen darf: Ich glaube, so ein bisschen auch unsere Mission, wenn wir sie auch noch nie formuliert haben, ist auch: Der Begriff „klassische Instrumente“ ist ja schon an sich ein Frevel, denn Klassik war damals einfach die Popmusik. Und wir leben im Hier und Jetzt und versuchen auch, so zu klingen! Es gibt Spezialisten, die können Barock viel besser spielen als wir – und machen es auch. Wir machen halt, was wir können.
Jupp: Heutzutage nennt man die Instrumente eben so, und das ist ein bisschen schade.
Johannes: Ja, das ist auch gleich so einschränkend!
Wobei ich diese U-Musik/E-Musik-Unterteilung für überholt halte …
Gunnar: Genau. Als wir neulich auf einer Hochzeit gespielt haben, kam einer danach zu mir, der war ganz schick im Anzug, und erzählte, dass er üblicherweise mit seiner Harley Davidson durch die Gegend fahre. Ich konnte mir den in Leder gar nicht vorstellen! Jedenfalls hat er gesagt, dass er unsere Musik so richtig cool findet. Und auf einmal hatten wir eine Ebene in der Diskussion, wo es gar nicht mehr um die Instrumente ging, sondern um die Musik. Damit war für mich so ein bisschen der Kulminationspunkt erreicht, dass wir das, was wir als Musik rüberbringen wollen, als Message rüberbringen wollen, auch wirklich rübergebracht haben. Egal, ob wir Gitarren spielen oder mit Streichinstrumenten.
Johannes: Jetzt hab‘ ich Gänsehaut!
Das wäre auch ein wunderbarer Schlusspunkt, aber eine Frage kann ich mir einfach nicht verkneifen: nämlich die nach diesem Familiending von B.S.O. Ich habe Anfang des Jahres ein Schwesternpaar interviewen können, das miteinander Musik macht, und sie sagten „singing with your sibling is just like singing with yourself“, weil du schon aus rein genetischen Gründen eine ähnliche Stimme hast, dass du dich in deinem Gegenüber wie im Spiegelbild fühlst … Lässt sich das auf Instrumentalisten übertragen? Macht man durch einen gemeinsamen Genpool Dinge unbewusst ähnlich, spielt man harmonischer zusammen, als wenn man nur befreundet, aber nicht verwandt wäre? Im Sommer hast du gesagt, die Verwandtschaft spiele keine Rolle, euer harmonisches Zusammenspiel liege vielmehr darin begründet, dass ihr die gleiche Ausbildung hättet.
Jupp: Ich erinnere mich, dass wir im Sommer schon mal intensiv darüber diskutiert hatten …
Johannes: … aber auch keine wirkliche Antwort gefunden haben …
Wir waren ja auch ziemlich betrunken … (Das sei uns verziehen. Es war am Tag von Köpfhörerhunds Beerdigung.)
Jupp: Ich persönlich würde heute sagen, das mit der Ausbildung ist wahr. Aber vielleicht, irgendwo ganz entfernt und ganz tief unterbewusst, spielt Verwandtschaft eine Rolle. Wichtiger aber ist: Wir sind auf einer Wellenlänge und kommen gut klar. Dass wir dann musikalisch auch auf einer Wellenlänge sind, ist natürlich ein Vorteil, den wir auch zu unseren Gunsten nutzen.
Gunnar: Und dabei spielt, zumindest aus meiner Sicht, das Familiäre eine immer untergeordnetere Rolle. Spätestens seit dem Zeitpunkt, seitdem wir einen eigenen Proberaum haben und aus dem elterlichen, familienbezogenen Umfeld des Übens raus sind, seitdem sind wir drei Freunde, die hier zusammensitzen.
Ihr seid als Band also nicht Onkel und Vater, Neffe und Sohn, Cousin und Cousin, sondern …
Gunnar: Ich hoffe mal nicht! Ich versuche, hier keinerlei väterlichen Aspekte einzubringen!
Jupp: Wenn mich jemand nach meinen beiden Mitmusikern fragt, sage ich zwar immer, das sind mein Cousin und mein Vater, aber dieses Familiäre verläuft sich immer mehr. Wir sind nicht mehr das Familienprojekt, das wir am Anfang waren und das gesagt hat, hey, du spielst Geige, wir spielen beide Cello, wir können ja mal so’n bisschen Metallica covern. Es war günstig, dass es so angefangen hat, es hat uns den Start erleichtert, aber das steht jetzt nicht mehr im Vordergrund.
Gunnar: Sonst könnten wir auch den ganz am Anfang formulierten Anspruch an die Demokratie innerhalb der Band nicht aufrecht erhalten.
Jupp: Dann wärst du der Patriarch!
Gunnar: Können wir ja mal drüber nachdenken – müsste aber auch wieder mit absoluter Mehrheit dafür gestimmt werden …
Jupp: Sieht also schlecht für dich aus.
Johannes: Ich würde hier noch einmal gern etwas loswerden: Ein ganz wichtiger Punkt bei dem Thema ist Vertrauen. Und das ist etwas, das uns auch den Einstieg so leicht gemacht hat. Familie ist schon … auch ein bisschen heilig. Das stand uns nie im Wege. Es wäre auch okay, wenn wir nicht verwandt wären – aber es wär‘ schade.
Treue Leser wissen: Ich mag Coverplatten. (Ja, auch Plattencover, aber das ist ein anderes Thema.) Das liegt gar nicht mal daran, dass einem Neuinterpretationen bekannter Stücke eine bislang ungekannte Sichtweise auf den Song eröffnen können. Der Grund ist viel profaner: Ich finde, es gibt schlicht zu viel Musik in der Welt. Anstatt die musikalische Neuerfindung des Rades, auf Teufel komm raus und weniger gut gemacht, anhören zu müssen, höre ich da dich lieber etwas Bekanntes, neu gemacht, gut gemacht. Womit wir mitten im Thema wären, denn auch B.S.O – kurz für: Berliner Streich Orchester – ist gewissermaßen als Coverband entstanden, mehr noch, als Coverband einer Coverband, hatte man ursprünglich doch vor allem die Songs der Metallica-Interpreten Apocalyptica im Programm. Und eine Platte soll es demnächst auch geben.
Aber lassen Sie mich den Bogen etwas weiter spannen. Der Nikolai-Tomás-Song Ich kenn‘ dich doch von Facebook könnte auch diesem Bandportrait vorangestellt sein, denn – wie alle Klangköpfe bisher – waren auch die Jungs von B.S.O waren zunächst Facebook-Freunde von mir, bevor wir uns auch außerhalb der virtuellen Welten begegneten. Es war Sommer, ich langweilte mich und trat der ersten – und einzigen– Facebook-Gruppe bei, in der ich je war. Dort trieb auch ein gewisser Gunnar Wegner (45) sein Unwesen. Sein Profilbild zeigte ihn geigespielend am Strand, halb kopfherum liegend. Mit der unglaublich intelligenten Frage „Bist du Geiger?“ schrieb ich ihn an. War er, stellte sich heraus – und hatte noch dazu mit Jupp Wegner (18) einen cellospielenden Sohn und mit Johannes Fischer (26) einen ebenfalls cellospielenden, sich dazu aber noch als Arrangeur, Toningenieur und Produzent betätigenden Neffen im Angebot, kurz: ein komplettes, musikalisch wie tontechnisch autonomes Streichertrio.
Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis man mir den „Giftschrank“ mit frühen Aufnahmen öffnete und mich zudem zu einem kleinen Showcase der Drei lud. Seitdem verfolge ich nicht nur ihre Entwicklung sporadisch – auch hat sich eine lockere Freundschaft ergeben. Okay, mehr noch: Die beiden Cellisten und ich sind Alumni desselben Musikgymnasiums. Ich habe die Texte für ihre Homepage geschrieben. Nicht zuletzt haben die zwei Jungs auf der Beerdigung von Kopfhörerhund gespielt, wofür ich ihnen für den Rest meines Lebens zu Dank verpflichtet bin.
Soviel also zur Offenlegung meiner persönlichen Verflechtungen mit der Band. Doch auch, wenn die Klangköpfe-Serie nicht hochgradig subjektiv besetzt wäre, hätte ich Ihnen B.S.O nicht vorenthalten wollen. Allein die öffentlichen Proben der Band sind ein Phänomen – ob im Lustgarten vor dem Dom oder auf der Wiese im nächstgelegenen Volkspark: Die Musiker kündigen sie kurz vorher bei Facebook an, fahren hin, packen ihre Instrumente aus, sind im Nu spielbereit und ebenso schnell wieder verschwunden wie sie gekommen sind. Ich nenne das gern Streicher-Flash- Mob und gebe zu, dass ich selten unprätentiöseres Musizieren erlebt habe. Da wird nicht lange rumgestimmt und eingespielt und Divengehabe fabriziert, sondern einfach gespielt. Und wie die Tiere bei der Bergpredigt fühlen sich die Menschen von den drei Musikern angezogen, schauen, bleiben stehen, grooven mit. Kurz gesagt: B.S.O ist eine kleine Sensation.
Nach etwa anderthalbjährigem Bestehen der Band haben wir uns zusammengesetzt und darüber gesprochen, weshalb man nicht dem Kammermusikklischee entsprechen möchte, dabei aber dennoch keinesfalls eine Revolution gegen die Kammermusik im Sinn hat, warum die Menschen die Band nicht nur hören, sondern vor allem auch sehen sollen, was er mit Sitzen versus Stehen auf sich und was der Wiedererkennungseffekt damit zu tun hat, woran man scheitern kann, weshalb wahre Größe auch mal im Verzicht liegt, ob die bandinterne Unterteilung in eine Kreativabteilung und eine, die wie ein Schäferhund seine Herde den „Mechanismus B.S.O“ zusammenhält, auch in Zukunft Bestand haben kann – und weshalb Blut dann doch dicker ist als Wasser.
Und da drei Musiker naturgemäß mehr zu erzählen haben als einer, gibt es die Klangköpfe erstmalig als Zweiteiler, der im Dezember fortgesetzt wird. Jetzt aber erst einmal viel Spaß mit dem ersten Teil!
Klangverführer: Ihr habt ja ursprünglich zum Spaß als Coverprojekt angefangen – ich glaube, es ging um eine Geburtstagsüberraschung –, davon habt ihr euch aber mittlerweile emanzipiert und habt nicht nur anspruchsvolle Adaptionen von beispielsweise Filmmusiken für Streichtrio, sondern auch Eigenkompositionen im Repertoire. Gibt es sowas wie eine künstlerische oder kreative Vision des B.S.O?
Jupp (an die anderen gewandt): Will jemand? (Zu mir): Du hast schon recht. Der Uranspruch war auf jeden Fall, das zu machen, was wir mögen – und von dem wir glauben, dass es auch die Menschen draußen mögen. So. Das hat sich dann aber, das hast du eigentlich schon richtig festgestellt, im Laufe der Zeit professionalisiert. Und unser Anspruch ist gewachsen.
Gunnar: Es sind sowohl der Anspruch gewachsen als auch die Verarbeitung des Feedbacks aus dem Publikum, aus den Konzerten, die wir spielen. Da merkt man ja, wie die einzelnen Stücke ankommen. Und da merken wir auch, dass Stücke, die wir selber sensationell gut fanden, auf der Bühne von uns wohl nicht so transportiert werden können, wie wir das wollten und demzufolge auch beim Publikum nicht so gut ankommen. Ein Beispiel ist hier der „Sonderzug nach Pankow“: Ich war der festen Überzeugung, das wird jetzt der Hammer-Hit! Jetzt spielen wir ihn nicht mehr …
Johannes: Der war irgendwie schwierig. Dabei war er eigentlich gar nicht schlecht arrangiert …
Jupp: Aber wir haben einfach nicht zum Grooven gebracht.
Kann man sagen, dass das euer Anspruch ist: Ihr wollt Stücke zum Grooven bringen? Du hast das gerade so schön formuliert …
Alle drei: Kann man so sagen, ja. Muss man auch so sagen!
Gunnar: Also, wenn es uns auf der Bühne keinen Spaß macht, das Publikum aber völlig abgeht, dann sind wir es dem Publikum vielleicht noch schuldig, unserem käuflichen Charakter Rechnung zu tragen – aber eigentlich muss für uns beides passen. Es geht aber auch andersrum, und das ist sogar öfter der Fall, dass wir Stücke reingenommen haben, ohne zu wissen, wie kommen die draußen an – zum Beispiel den Dire Straits-Song, den wir hier gerade gespielt haben, das ist ein cooler Song, den kennt jeder –, und natürlich war die Hoffnung da, dass das Publikum das auch dankbar annimmt. Dann aber hat es das Publikum sogar so dankbar angenommen, dass wir dann noch eine richtige Spaßnummer daraus gemacht haben – es gibt dabei immer eine kleine Battle auf der Bühne, welches Tempo Hannes heute anschlägt und ob wir mit dem noch mithalten können!
Stichwort Spaßnummer: Es gibt ja einige populäre Bands, die auch als Spaßprojekt begonnen haben, und dann groß geworden sind, beispielsweise The BossHoss mit ihren Spaß-Country-Covern. Könnt ihr euch das auch für euch vorstellen – oder ist B.S.O von vorn herein als zeitlich befristetes Projekt angelegt?
Jupp: Ich würde das nicht ausschließen. Was auch immer die Umstände sein sollten, dass es mal dazu kommt, dass uns irgendeiner ein Angebot macht … Wir würden dann auf jeden Fall intensivst darüber nachdenken. Wir standen ja schon mal vor einer ähnlichen Situation, als man uns das Angebot gemacht hat, in einer Casting-Show aufzutreten … Also, ausschließen würde ich das auf keinen Fall. Momentan macht es Spaß, so wie es ist, und mehr zu erzwingen fände ich falsch, aber wir sind offen mitzugehen mit der Entwicklung und dem, was sich so ergibt. Wenn wir alle drei der Überzeugung sind, jetzt ist der richtige Zeitpunkt und jetzt läuft’s – dann wird es so sein.
Wo du gerade sagst, wenn ihr alle drei der Überzeugung seid – ihr seid ja alle absolut unterschiedliche Charaktere. Wie kriegt man die unter einen Hut, gibt es da Reibereien, gibt es einen Entscheider, oder, anders gefragt: Ist B.S.O eine Demokratie?
Johannes: Haben wir tatsächlich mal so festgelegt, dass alle mit 33,333 Prozent stimmberechtigt sind.
Jupp: Wir wollen Entscheidungen tatsächlich nur mit absoluter Mehrheit treffen, das ist nicht immer einfach. Wenn es sich vermeiden lässt, wollen wir keine zwei-gegen-eins-Entscheidungen. Bei der Auswahl der Musikstücke manchmal schon, aber wenn es andere Dinge betrifft, wird das persönliche Interesse von jedem Einzelnen berücksichtigt.
Johannes: Zum Beispiel die Volbeat-Nummer, die wir vorhin gespielt haben, die kannte ich vorher gar nicht, Gunnar auch nicht. Jupp hat sie quasi „eingeschleppt“, und anfangs war die gar nicht so mein Ding. Und jetzt lieben wir das Stück!
Gunnar: Aber wenn es darum geht, ob wir auf irgendwelchen bestimmten Events spielen wollen, da wird mit allen Rücksprache gehalten. Ich würde aber gern noch etwas zu der Frage von vorhin sagen, zu der Vision der Band und dazu, wie wir zum Erfolg stehen. Das einfache Warten auf den Erfolg ist natürlich auch bloß die halbe Wahrheit. Also ein bisschen was dafür tun muss man schon und muss auch ganz gezielt im Organisatorischen tätig werden, was Netzwerke angeht, was Verbreitung angeht, was Gigs angeht, und auch ganz gezielt die Balance schaffen zwischen den Gigs, die wir kommerziell bestreiten und denen, die wir dann auch pro bono machen, um bekannter zu werden. Ein klassisches Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist, dass wir als Vorband von Mike Kilian, dem Rockhaus-Sänger, gespielt haben – das war für uns gar keine Frage, dass wir das einfach so machen, um uns diesem Publikum vorstellen zu können. Ich denke, wir können in dieser Zielgruppe einen sehr großen Zuspruch erreichen, und da gibt es auch mit der demokratischen Abstimmung bei B.S.O kaum Schwierigkeiten.
Ich habe Jupp auch gar nicht so verstanden, dass ihr faul auf den Erfolgt wartet, sondern eher, dass ihr ein sehr relaxtes „go with the flow“-Motto verfolgt, dass ihr einfach sehr offen für die Möglichkeiten des Moments seid.
Jupp und Johannes: Ja, und genau so ist die Band ja auch entstanden!
Gunnar: Das sollte auch kein Widerspruch sein, nur eine Ergänzung.
Lassen wir doch das Thema Zukunftsvision hinter uns und widmen uns ganz konkret eurer Musik. In eurer Eigenwerbung kann man lesen, ich zitiere: „Wer Brian Adams ohne Pathos, Nina Hagen ganz relaxed oder Lady Gaga mit Stil und Anspruch erleben will, ist beim B.S.O genau richtig.“ – Was muss ein Song haben, um die Ehre der B.S.O-isierung zu erfahren?
Gunnar: Da lehne ich mich mal ganz entspannt zurück und überlasse die Antwort der Kreativabteilung!
Jupp: Er nennt uns immer Kreativabteilung, dabei wählt er auch die Songs aus, die wir beide dann arrangieren. Aber um die Frage zu beantworten: Wir spielen Sachen, die uns gefallen, und zwar mit dem Anspruch, sie durch unsere Interpretation so nach außen zu tragen, dass sie dann den anderen auch gefallen.
Johannes: Genau. Es geht gar nicht darum, sich hinzustellen nach dem Motto „Wir können das besser“, sondern wir bringen die Songs einfach auf einem völlig anderen Level. Ich meine, Streichertrio versus Rockband – da verbietet sich jeder Vergleich!
Jupp: Es sollen gar keine Coverversionen im engeren Sinne sein, sondern eher Interpretationen. Es geht um eine neue Interpretation der Songs, und wie wir die auswählen …Das ist pauschal schwierig zu beantworten.
Johannes: Da gibt es kein Prinzip, das kommt drauf an!
Jupp: Ein Beispiel: Ich höre Musik, in der Bahn, die Playlist, die ich mir für meinen MP3-Player gemacht habe, und bei zwei Dritteln der Songs überlege ich, könnte man den machen?
Das heißt, es geht dann doch nicht nur um „gefällt mir“, sondern Machbarkeit ist definitiv auch ein Kriterium!
Jupp: Das stimmt natürlich. Da kommt es auch auf das Arrangement des Songs an sich schon an. Wenn der jetzt mit einem anspruchsvollen, aber vor allem markanten Piano-Riff versehen ist … Es ist immer schwer, so etwas auf Streichinstrumenten nachzuahmen! Oder, wenn der Song total Akustikgitarren-lastig ist, das den Song aber ausmacht, dann kann man das …
Johannes: Das ist nicht unmöglich, aber …
Jupp: Es ist nicht unmöglich, aber der Wiedererkennungsfaktor ist dann einfach nicht so gegeben wie bei denen, die wir bisher für uns arrangiert haben.
Und ihr wollt schon, dass man den Song wiedererkennt, und nicht, dass man den Song wie manche Jazzer dermaßen dekonstruiert, dass man als Hörer schon kaum noch weiß, worauf er eigentlich beruht?
Jupp: Nee, eben nicht! Wir wollen ja, dass die Leute diese Songs erkennen und unsere Version … schön finden. Oder zumindest akzeptieren. Nicht zwangsläufig vergleichen, nach dem Motto, hey, das klingt aber im Original viel cooler, aber dass sie unsere Version davon eben auch schön finden – und natürlich auch wiedererkennen. Wir müssen da jetzt nicht exzessiv etwas verändern.
Johannes: Was man vielleicht noch zur Auswahl sagen kann – wir haben jetzt vielleicht ein, zweimal die Situation gehabt, dass wir unser Repertoire gesichtet und festgestellt haben, uns fehlt vielleicht hier eine Ballade und da eine rockige Nummer. Und daran haben wir uns dann orientiert – sind aber natürlich trotzdem unseren geschmacklichen Präferenzen gefolgt.
Wie viele Songs habt ihr im Moment in eurem Repertoire?
Johannes: Knapp fünfzig?
Gunnar: Wobei darunter ein paar sind, die wir zwar noch auf unserer offiziellen Setlist haben, die wir aber gar nicht mehr spielen, zum Beispiel dieser „Sonderzug nach Pankow“. Wir geben ja auch unseren Kunden, selber mit Einfluss auf das Programm zu nehmen, wenn die sagen, da gibt es einen Song, den wollen wir ganz besonders hören, oder den wollen wir sogar unbedingt hören – da prüfen wir dann, ob er für uns arrangierbar ist – und wenn ja, spielen wir den dann auch –, aber wenn sich die Leute beispielsweise „Sonderzug nach Pankow“ aussuchen, dann spielen wir ihn trotzdem nicht.
Johannes: B.S.O versucht sich auch treu zu bleiben!
Gunnar: Ich find‘ es auch immer schön, wenn wir – das ist jetzt schon mehrfach passiert – nach den Konzerten angesprochen werden, „im zweiten Set der dritte Song – war das der oder war das der?“, und ich sag dann, „ja, das war der und der“, und die Leute wieder, „oh stimmt, mir ist nur der Titel nicht eingefallen“ – das ist natürlich auch ein großer Unterschied zu den „normalen“ Coverbands, die auch singen …
Das geht mir mir euren Sachen auch so! Ich denke immer, „du kennst das irgendwoher“, aber woher, will mir nicht einfallen.
Gunnar: Das passiert ganz oft, und ich glaube, damit spielen wir mittlerweile auch ganz bewusst. Das wird uns aber nicht dazu führen, dass wir jetzt wirklich völlig unbekannte Songs spielen, und auch nicht dazu führen, dass wir die bekannten Songs, von denen wir wollen, dass sie erkannt werden, so verjazzen oder ver-improvisieren, dass sie noch schwerer wiedererkennbar sind.
Jupp: Genau, dadurch, dass wir instrumental sind und also der Text wegfällt, ist unser Anspruch, das Ganze so zu arrangieren, dass die Leute den Song auch ohne Text wiedererkennen.
Dass sie den Text im Kopf mithören …
Jupp: Genau, dass sie ihn mitsingen können, während wir ihn halt nur spielen.
Gunnar: Das ist, glaube ich, auch ein Unterschied zu etlichen anderen Formationen, die mit Streich- oder zumindest klassischen Instrumenten unterwegs sind: Die verfolgen ganz oft den Ansatz, dass sie mit Klassik-Stücken anfangen, die sie dann verrocken. Da kommt dann mal ein Synthi dazu oder auch mal ein Schlagzeug …Das ist aber gar nicht unser Ansatz! Wir sagen von vornherein, wir …
Jupp: … nehmen unsere Instrumente, wie sie sind.
Gunnar: Wir nehmen die Hits und prüfen, ob sie für uns arrangierbar sind. Ein Song, den ich leidenschaftlich gern machen würde, der aber einfach nicht geht, ist „Our House“ von Madness. Ein Hammersong, aber der hat diese Trompeten drin, der hat richtig viel Gitarren drin, richtig viel Melodie drin – das schaffen wir zu dritt gar nicht! Und das sind dann so Objekte, an denen scheitert man. Schade eigentlich.
Johannes. Ganz selten gibt es da Ausnahmen, zum Beispiel „Blackbird“ von den Beatles. Das ist ein reines Gitarrenstück – und irgendwie haben wir es aber trotzdem geschafft. Das ist aber eher selten.
Gunnar: Und das ist das Entscheidende! Wir machen es dann eben nicht auf Gedeih und Verderb, weil uns zum Beispiel „Our House“ von Madness so gut gefällt, dass wir es unbedingt machen, und erzwingen es, sondern sagen lieber, nee, wahre Größe liegt im Verzicht … und dann lassen wir’s.
Jupp: Amen.
Eure Stücke haben ja eben durch die Arrangements einen sehr hohen Wiedererkennungswert. Gerade bei euren frühen Cover-Versionen und auch dem Streichersatz, den ihr für Vlad in Tears gemacht habt, hört man nach ein paar Takten, ah, das ist B.S.O. Wie entsteht so ein Arrangement, möchte ich wissen, wie geht ihr da heran, wer zeichnet dafür hauptsächlich verantwortlich?
Johannes: Das ist so ein Geben und Nehmen zwischen Jupp und mir. Vielleicht hatte ich dieses Jahr damit ein bisschen mehr zu tun, weil er noch nebenbei ein Abitur zu bewältigen hatte …
Jupp: Wobei wir jetzt auch probieren, wenn Melodiestimmen zu spielen sind, diese textgenau anzupassen – das ist ein neuer Ansatz aus der letzten Zeit. „Silbengetreu“ klingt jetzt voll deutsch-kleinkackerig, aber das ist genau das, was wir wollen: Dass die Leute anhand der verschiedenen Silben beispielsweise auch die zweite Strophe von der ersten unterscheiden können. Und weil die Geige eben öfter mal eine Melodie hat als ein Cello – wobei wir das in letzter Zeit auch ganz gut gemischt gekriegt haben –, ist da jetzt auch ein Teil, den Gunnar an den Arrangements hat. Ansonsten, was jetzt das Satzschreiben angeht oder welche Art von Begleitung man versuchen kann, das ist …
Johannes: Das ist viel Ausprobieren und Dazulernen! Ich glaube, wir haben auch im letzten Jahr genau für diese Besetzung gelernt zu arrangieren.
Habt ihr euch auch schon mal „ver-arrangiert“, also, dass beispielsweise ein paar Dinge per Midi entstehen, sich in der Realität aber als unspielbar erweisen?
Jupp: Selten, aber gibt es schon. Da hat man dann das Midi-Arrangement immer wieder gehört, ein paar Noten davon gemacht und gesagt, spielen wir es mal, und dann merkt man entweder, es groovt einfach nicht, dann müssen wir irgendetwas ändern, oder wir merken, das ist zwar irgendwie nett gemeint, aber nicht spielbar, dann müssen wir es auch ändern. Eigentlich sind wir aber professionell genug, dass wir nur das schreiben, was wir auch spielen können, aber manchmal gibt es dann eben doch kleine Ausnahmen, wo wir dann denken, hey, so eine Hand habe ich gar nicht, das ist ja voll unmöglich, das zu spielen – drei Saiten auf einmal gehen eben nicht!
Wenn ihr sagt, eigentlich passiert das nicht, weil ihr eben gelernt habt, genau für eure Dreierbesetzung zu schreiben – ist es nicht ein bisschen so, dass man als Arrangeur, wenn man für dieses Trio schreibt, von Anfang an ein bisschen limitiert ist, weil du zum Beispiel schon immer ein Cello zum Achtelschrubben abkommandieren musst, um den Beat oder die Rhythmusgruppe zu imitieren …
Johannes: Ja, das stimmt …
Jupp: Manchmal spielen wir ja live auch mit einem Schlagzeuger, aber da ändert sich trotzdem nicht viel für uns, denn jede Band, die wir covern, hat neben ihrem Schlagzeuger noch einen Bassisten oder einen Gitarristen. Das einzige, was wir dann ändern, ist vielleicht, dass wir beim Spiel dann nicht so viel Wert auf perkussive Betonungen legen, wenn wir mit einem Schlagzeuger spielen. Ohne müssen wir tatsächlich irgendwie einen Schlagzeuger „imitieren“; und der, der die Schrammeleien hat, gibt auch die Harmonie.
Johannes: Man könnte sagen, wir sind nicht immer ein typischer Streichersatz – wobei es diese Stellen natürlich gibt –, sondern wir sind eine Band. Jeder hat seine Rolle.
Gunnar: Wir versuchen auch ganz bewusst, die eher aus der Kammermusik herrührende Dreisätzigkeit zu vermeiden bzw. ganz gezielt einzusetzen oder sogar zu überhöhen, indem wir sie auf der Bühne auch mit nachgerade choreographischen Elementen – Stichwort: Endlos-Ritardandi – präsentieren.
Jupp hat ja vorhin schon angedeutet, dass du, Gunnar, mittlerweile auch in den künstlerischen Schaffensprozess mit einbezogen bist. Bis jetzt hast du aber immer die Jungs als „Kreativabteilung“ bezeichnet. Da drängt sich mir die Frage auf, in was für einer Abteilung du bei B.S.O beschäftigt bist – neben dem Geigespielen, meine ich.
Gunnar: Erst einmal die Texte auswendig lernen, damit wir die Stücke auch silbengetreu hinkriegen; und wenn ich keine Lust mehr auf das Geigen habe oder merke, dass die Intonation an dem Tag irgendwie schlecht ist, nehme ich mir auch mal das Mikro und sing einfach – die Texte kann ich ja!
Das war jetzt aber ein Scherz, oder?
Gunnar: Ein bisschen überreizt, ja. Das wird so nicht passieren. Aber wenn wir in Richtung Party und gute Laune unterwegs sind, spielen auch gesangliche Stücke eine Rolle. Die überzeichnen wir dann natürlich richtig, was dann auch die Unterstützung der Celli angeht, Keimzeit, Ärzte, Reinhard Mey, Sportsfreunde Stiller, so etwas spielen wir dann. In dieser Kategorie kann dann auch jeder mitsingen und die Leute haben richtig Spaß! Ansonsten ist meine Aufgabe, den ganzen Mechanismus B.S.O vom Organisatorischen her in Schwung zu halten – wobei es übertrieben wäre zu sagen, dass ich das ganz allein mache. Aber einfach eine Struktur hineinzubringen und dafür zu sorgen, dass diese Struktur, und auch die Systematik, die wir da haben, auch in Richtung „Wie wollen wir uns entwickeln?“, „Wo wollen wir mal hin?“, am Rollen bleibt, dass der Ball weiterrollt. Auch, was Gigs angeht, was Verhandlungen angeht, was das ganze Rechtliche und Finanzielle angeht – da hab‘ ich so ein bisschen die Hand drauf.
Johannes: Er hält uns den Rücken frei!
Also eigentlich das Management der Band, richtig? Ich weiß aber auch, dass du auf der Bühne derjenige bist, der den Alleinunterhalter macht, der das Publikum abholt – im Prinzip hast du also so eine Zwitterrolle …
Gunnar: Ja, wenn man das jetzt als kreativen Teil bezeichnen möchte …
Die Jungs: Klar!
Es sind zumindest keine Managementaufgaben …
Johannes: Öffentlichkeitsarbeit!
Gunnar: Im engsten Sinne, sogar! Da kommt wahrscheinliche meine exibionistische Ader durch: Ich rede gern vor vielen Leuten und ich kann das auch ein bisschen … Nein, im Ernst: Scheinbar habe ich ein bisschen Gespür dafür, die Leute auf unsere Seite zu ziehen und dafür zu begeistern, was wir machen. Und das klappt meistens auch ganz gut, ich mache das leidenschaftlich gern. Die beiden (zeigt auf die Jungs) haben mir jetzt schon angedroht, dass sie demnächst auch damit anfangen wollen, ein bisschen auf der Bühne zu reden … Es wird der Tag kommen, wo wir uns auf der Bühne auch Wortduelle liefern werden, die entweder ganz spontan entstehen oder aber einstudiert sind, aber dann natürlich ganz spontan aussehen …Bis dahin ist es noch etwas hin, aber ich freue mich darauf!
Das hat Ihnen gefallen? Im Dezember geht es weiter mit dem zweiten Teil dieses schönen Interviewportraits – und ein weiteres exklusives Video gibt es auch. Freuen Sie sich schon einmal darauf!
Kommentare deaktiviert für Klangköpfe # 4: Kein Streichtrio, sondern eine Band (1/2)
Da denkt man ja, man wäre mit dem Thema durch. Hat dazu alles gelesen, gehört, erforscht und beschrieben – und glaubt, sogar die Nichtexistenz des Phänomens bewiesen zu haben. Und dann, nach ungefähr sieben Jahren, kommen die Anfragen: Erst von der Wiener Tangozeitschrift el tango – revista Viena, dann von Sarah Ross vom Institut für Musikwissenschaft der Uni Bern, die das Ganze aus der Perspektive von „Übernahme und Anpassung, […] Grenzziehung und -verschiebung“ beleuchtet und dabei freundlich zitiert, und schließlich will es das Online-Magazin aviva-berlin.de genau wissen – jüdischer oder vielmehr: jiddisch-sprachiger Tango liegt in der Luft. Und dann nimmt auch noch Karsten Troyke mit Noch Amul – Tango Oyf Yiddish, Vol. 2 seine zweite CD mit jiddischen Tangos auf und lädt zum Record Release-Konzert in die Berliner Wabe. Da muss ich hin. Es scheint, als würde mir der jüdische Tango doch zu so einer Art Lebensthema werden, ob ich nun will oder nicht.
Ich glaube, es ist mittlerweile mein viertes – doch bestimmt nicht letztes! – Troyke-Konzert; allerdings das erste, das ganz im Zeichen des Tango oyf Yiddish – Tangos auf Jiddisch steht. Besonders freue ich mich heute Abend auch über Trio Scho-Geiger Gennadij Desatnik, der schon beim Auftakt-Instrumental, wo Troyke den Konzertmeister gibt, begeistert, obgleich sein Geigenton zunächst seltsam angezerrt klingt. Dazu aber später noch mehr, denn jetzt kommt auch schon der erste jiddische Tango des Abends: das von Chaim Tauber und Alexander Olshanetsky irgendwann in den 1930er-Jahren geschriebene Ikh Hob Dich Tsufil Lib, das mir erstmals im Rahmen meiner Recherchen für Juden im Tango = jüdischer Tango? Über die (Un-)Möglichkeit eines explizit jüdischen Beitrages zum Werden und Währen des ‚tango argentino‘ in der Version von Brise Parisienne über den Weg gelaufen ist – und schon ist alles wieder da. Wie gut, dass bei Troyke die herzzerbrechende Tragik des Stückes mit einem humoristischen Unterton konterkariert wird!
Nicht nur Ikh Hob Dich Tsufil Lib, auch Neshumele Di Mayns gibt es auf Troykes neuer CD zu hören. Live greift Gast-Klarinettist Jan Hermerschmidt hier zu meinem Lieblingsinstrument, der Bassklarinette – da kann ja schon gar nichts mehr schiefgehen! Ein Karsten Troyke-Konzert wäre aber kein Karsten Troyke-Konzert, wenn das Publikum nicht auch mitarbeiten, in diesem Falle: den „Libe“ und „host lib“-Chor geben, müsste. Damit kriegt der Berliner Chansonnier, der heute Abend mehr denn je auch Entertainer ist, selbst die letzten Skeptiker.
Nach dem Mitzi Spielmann-Song Ach, nenn mich Liebe kommt dann mit Glik nicht nur die Nummer, die Troykes neue CD eröffnet, sondern auch die bislang musikalisch interessanteste. Schon allein wegen dieses von Alexander Olshanetsky (ja, der wieder: manche können es eben!) und Bella Meisell geschriebenen Klassikers des Jiddischen Theaters, der erstmals im Stück Der Letster Tantz am Prospect-Theater in der Bronx aufgeführt wurde, sollte man Noch Amul – Tango Oyf Yiddish, Vol. 2 unbedingt im Schrank zu stehen haben – und ab und zu auch herausholen und spielen. Zumal Tangotexte auf Jiddisch die großen Tango-Sujets, den Moment des letzten Tanzes und die Trauer ob eines unwiederbringlichen Verlustes, immer auch mit einem untergründigen Augenzwinkern wiederzugeben wissen: Glik, du bist gekumen tsu mir, heißt es hier, ober a bisl tsushpet.
In jeder Band gibt es ja jemanden, der gewissermaßen multifunktionell einsetzbar ist. Hier ist es Trio Scho-Geiger Gennadij Desatnik, der sich bei der Milonga Shayn Vi Di Levune mit Troyke einen terzlastigen Zwiegesang liefert und auch schon mal zur Gitarre greift. Das Einzige, was für einen Tango-Abend ein bisschen schade ist, ist die Abwesenheit eines Bandoneons. Aber da das Trio Scho nun einmal mit einem Akkordeonisten besetzt ist, passt das schon, man will ja nicht päpstlicher als der Pabst … und so fort. Einem ganz vorzüglichen Akkordeonisten, übrigens, und das Gleiche gilt auch für den Bassisten. Das Trio Scho kann man sich durchaus auch mal solo anhören, falls „solo“ im Falle eines Trios das richtige Wort ist, aber Sie wissen schon, was ich meine, und ich meine: Bei nächster Gelegenheit nix wie hin!
Mit Habibi bzw. Chavivi steht nun ein Tango-Marsch aus den 1930er-Jahren auf dem Programm. Ganz ehrlich, das Schönste daran ist der hebräische Text. Ich mag es, wenn Troyke Hebräisch singt; die Sprache steht seiner Stimme gut. Ebenfalls aus den Dreißigerjahren ist die Nummer Kiewer Tramway, die schon für den Titel des gleichnamigen Trio Scho-Albums Pate gestanden hat. Da gibt es Tangos, Horas und Swing aus Odessa zu hören, und auch heute Abend greift Trio Scho-Frontmann Desatnik zu Mikro und Gitarre. Das ist lustig, das ist toll und erinnert an jiddisches Theater, ist vor allem aber ein echter Burner, der die Leute von ihren Stühlen reißt! Und weil es gerade so schön ist, überlässt Troyke Desatnik die Bühne ein weiteres Mal, damit dieser einen echten russischen Rock’n’Roll namens Babuschka Rebekka präsentieren kann:
Das ist mit seinem Walking Bass und seinem großartigen Klarinettensolo erstmal was für die Rockabillys unter Ihnen, aber Achtung, mit dem Auftritt Troykes artet das Ganze in eine wilde Speed-Balkan-Party aus! Zum Runterkommen gibt es zwei Duette mit Claudia Koch von Aufwind, Ven Ich Zol Dich Farlirn, das auch auf der CD zu hören ist, und das alte Volkslied Bay dem Shtetl Shteyt a Shtibl (Mit a Grinem Dach), bei dem mich Kochs Stimme an Laura Wetzler auf Klezmer Hechalot von der CD Kabbalah Music: Songs of the Jewish Mystics erinnert. Troyke und Koch im Duett zu hören, ist sehr berührend – im Grunde aber steht der Abend unter dem Vorzeichen spielerischer Leichtigkeit, weshalb auch eine klassische Show-Einlage nicht fehlen darf: Beim CD-Closer (Oi der Mentsch hot) Groisse Oygn will Troyke den Song beenden und von der Bühne gehen, die Band aber spielt unbeirrt weiter, setzt unermüdlich einen weiteren Refrain dran und „zwingt“ den Entertainer somit, ebenfalls zu bleiben. Das mag routiniert sein, ist aber immer wieder effektiv: Die Leute lieben so etwas. Auch ich finde das charmant; beeindruckter allerdings bin ich hier von Hermerschmidt, dessen Phrasierungen mich hier leicht an jenes von Helmut Eisel erinnern. Mit einem guten Gefühl werden wir nach sage und schreibe zwölf Stücken in die Pause entlassen.
Der zweite Teil des Abends gestaltet sich tänzerischer. Los geht es mit Massl, das nicht nur durch einen absurden spanischen Text, in den irgendwo ein Sputnik vorkommt, besticht, sondern sich mit seinem 6/8-Refrain auch als ausgewachsener Tango Waltz entpuppt – oder, in Troykes Worten: „Das ist zum Schunkeln!“ Sein grandioses kabarettistisches Talent zeigt Troyke auch im „Kabarett-Chanson-Tango-ich-weiß-nicht-irgendwas-dazwischen“-Stück Alts Tsilib Parnusse – seine Imitation des kranken Greises ist zum Schreien komisch! Da sei dem Publikum mit dem folgenden Instrumental ein bisschen Erholung vergönnt. Trio Scho und Hermerschmidt spielen einen arabischen Tanz aus einem Musical aus dem Libanon, bei dem der Geigensound, wie schon im gesamten Teil nach der Pause, so klingt, als hätte man ihn absichtlich dem Klarinettenton angepasst. Das ist eine nette kleine Sinnestäuschung, sieht man doch einen Geiger, hört aber etwas anderes.
Troyke kehrt zurück auf die Bühne, um uns sein Lieblingslied aus dem Shir-ha-Shirin – Du hast mein Herz gefangen und über die Weiden Libanons getrieben – zu singen, welches nicht zuletzt durch das Spiel Desatniks berührend wird, der dankenswerterweise auf „Schleimspuren“ beim Lagenwechsel verzichtet, zu denen die süßliche Melodie leicht verleiten könnte: Endlich, endlich erhebt sich das Instrument mit dem einzig ihm zustehenden Ton über all die anderen. Dass Desatnik auch singen kann, wissen wir zwar inzwischen, freuen uns aber trotzdem auf sein Lied vom alten Schneider. Bei dem Benzion Witler-Klassiker Dos Gesang Fun Mein Hartz traut sich dann auch das erste Tanzpaar aufs Parkett. Schön sind die beiden anzusehen, die können das! Und dann wird auch schon das offizielle Ende des Abends mit der schönen Nonsens-Nummer Rebbe Elimelech eingeleitet:
Als Zugabe eins gibt es den russischen Tango Herz mein, als zweite – „ist aber nicht lustig“ – die Nummer Alts Gayt Avek Mit’n Royech, die den Abend deutlich nachdenklicher enden lässt, als er begonnen hat. Dies hat vielleicht auch mit dem nachklingenden Bild des Tanzpaares zu tun, das die innige, zärtliche, vor allem aber melancholische Stimmung des Liedes in Bewegung umzusetzen wusste. In der Tat: nicht lustig. Aber sehr, sehr schön. Mehr kann man von einem Lebensthema eigentlcih kaum erwarten.
Noch Amul – Tango Oyf Yiddish, Vol. 2 bekommen Sie ab dem 1. November 2012 hier.
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Den Chemnitzer Musiker Falk lernte ich über Johnny Cash kennen. Besser gesagt über die Neuauflage von Cashs Autobiographie, die ich für fairaudio besprochen hatte. Falk hatte sie bei Amazon bestellt und stolz ein Foto seiner Neuerwerbung ins Netz gestellt. Gute Menschen kennen gute Lieder, dachte ich mir, und kurz darauf waren wir be-e-freundet. Okay, vorher hatte noch eine gemeinsame Freundin, die Altenburger Sängerin Franziska Brendel, ihre Hände im Spiel. Mit der habe ich vor einem oder zwei Jahren einen herrlichen Weiberabend bei dem einen oder anderen (eher dem anderen) Glas Wein verbracht – sie vor ihrem Computer in Altenburg, ich vor meinem Laptop in Berlin. Aber das ist eine andere Geschichte.
Da jedenfalls weder aus meinem geplanten Chemnitz-Besuch im Frühsommer, wo Falk mit seinem neuen Duo Diamonds&Rust spielte, noch aus seinem beabsichtigten Konzert in meiner Berliner Küche etwas geworden ist, dachten wir uns: Treffen wir uns doch in der Mitte! Und so kam es, dass ich mit Lina Liebhund an einem schönen Samstagmorgen im September passend zu Falks Künstlernamen Traveler nach einem im Landkreis Elbe-Elster gelegenen Städtchen namens Doberlug-Kirchhain travelte. Übrigens kostete – ich erwähne das aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – mein Bahnticket 13,70 Euro, während man für Linas 9,90 Euro haben wollte. Ob sie dafür wenigstens auch einen Sitzplatz bekommt?, fragte ich mich.
Den bekam sie nicht, dafür aber einen im Auto des Travelers, mit dem es raus zur Klosterschänke am Schloss Doberlug ging, einem Restaurant mit ungarisch angehauchter Speisekarte, erstaunlich gutem Essen und sehr netter, hundefreundlicher Bedienung, noch dazu mit herrlichem Blick auf die spätromanische Backstein-Basilika der Klosterkirche und das behutsam modernisierte Refektorium des Klosters Dobrilugk. Ein Ausflug dahin lohnt sich auch dann, wenn man hier nicht den Traveler zum Interview und zur fröhlichen Einkehr trifft. Deutlich weniger lohnt sich ein Besuch von Steins Wein- und Bierstuben, der in seiner Unerfreulichkeit vermutlich aber nur die Vorbereitung auf die Meisterleistung der Deutschen Bahn war, welche Lina und mir auf der Rückfahrt einen unfreiwilligen, anderthalbstündigen, spätnächtlich-kühlen Aufenthalt in Falkenberg (Elster) bescherte. Nein, das ist nicht das Falkenberg bei Berlin-Hohenschönhausen, wo mein Emilyhund begraben liegt. Das ist das Falkenberg, wo der Hund schlechthin begraben liegt. Da gibt es nachts nämlich nichts. Die Nazis vor der örtlichen Pizzeria waren aber sehr nett zu uns.
Mittlerweile sind wir wieder glücklich zu Hause angekommen und freuen uns, dieses schöne, weil bescheidene und dabei ziemlich schlaue, Interview mit Ihnen zu teilen. Lesen Sie über des Travelers musikalische Erweckungserlebnisse, über die Unmittelbarkeit des Übertrags seiner Musik auf die Gitarre, darüber, dass man mit Frauen nicht streitet und weshalb er seine eigenen Songs, die ihm gewissermaßen zufliegen, nur ganz selten live spielt. Für den Klangblog hat er allerdings eine Ausnahme gemacht und uns neben einem Johnny Cash- und einem Gerhard Gundermann-Cover auch eine Eigenkomposition geschenkt. Viel Freude damit!
Klangverführer: Du bereist Thüringen seit einiger Zeit unter dem Namen Traveler. Erzählst du mir, wann und wie dieses Alter Ego entstanden ist?
Traveler: Also prinzipiell als Name verwendet habe ich das seit 2007 – damals war das aber noch ein Duo. Ich bin gerade von meinen „Wanderjahren“ wiedergekommen – ich bin im Westen drüben gewesen, in den „gebrauchten Bundesländern“, hab da ein bisschen rumgewohnt und verschiedene Geschichten gemacht, die Versicherungssache, beispielsweise. Und als ich wiederkam, habe ich einen Bekannten getroffen, der hat gerade angefangen, Geige zu spielen und wollte auch wieder so bühnenmäßig ein paar Dinge machen. Das konnte er aber nicht alleine, und so hat er gesagt: Komm, wir machen jetzt ein Duo. Und das erste, was mir dazu eingefallen ist, war „Traveler“. Im Prinzip deswegen, weil dieses Wort für mich eine ganze Menge bedeutet; es ist assoziiert mit dem „Zigeunerblut“, was ich immer so ein bisschen hatte, dass ich immer herumziehen musste, immer ein bisschen etwas sehen, irgendwo immer etwas Neues erleben und nicht immer das Gleiche um mich haben, und dementsprechend hatte ich dieses Wort schon lange im Kopf. Ich wusste nur nie, wofür es gut ist – dann hat sich aber herausgestellt, dass es ein guter Duo-Name ist. Und als es kein Duo mehr war, ein guter Alleinmusikername …
Wo du gerade diese Sache mit der Unruhe ansprichst, nimmst du schon ein bisschen meine zweite Frage vorweg. Ich wollte wissen, ob die Wahl des Symbols der Wanderers, zu dem ja nicht nur das Fernweh gehört, auch etwas mit dem Gefühl des Nie-richtig-Ankommens zu tun hat, eben mit einer allgemeinen Unruhe oder auch einem beständigen Auf-der-Suche-Sein? Ich glaube, eines deiner Lieblingszitate entstammt einem Lied der Berliner Dudelsack-Rocker Cultus Ferox, wo es heißt: „Über Land und unter Wasser/habe ich mein Glück gesucht/An den schönsten Meeresstränden/meine Einsamkeit verflucht; Überall bin ich zu Hause, nirgends komm ich wirklich an; Bin ich dort, bin ich ein Fremder, bleib ich hier, dann werd ich krank“ …
Ja, absolut richtig. Gerade in diesem Zitat habe ich mich ganz deutlich wiedergefunden. Das ist mir wirklich irgendwo aus der Seele gesprochen: Ich bin an vielen Orten gern gesehen, viele Leute kommen gut mit mir klar (ich auch mit vielen Leuten!), aber es ist wirklich so, dass ich – ich weiß nicht, warum das so ist –, wenn ich die Leute eine bestimmte Zeitlang hatte, wieder andere Leute und wieder eine andere Gegend brauche. Ich bin halt irgendwie sehr ruhelos – jetzt aber im positiven Sinne. Ich finde es auch gut, mal ‛nen ruhigen Abend zu verbringen, und ich bin jetzt auch kein unruhiger Mensch – aber ich bin ein ruheloser Mensch. So vielleicht, wenn du verstehst, was ich meine.
Ich denke schon. Als Traveler gehörst du mit deinen Auftritten ja beim City Pub Chemnitz schon fast zum Inventar. Wie bist du eigentlich zu dieser akustischen Irish Folk- bzw. keltischen Schiene gekommen?
Das war durch meinen Duo-Partner damals. Ich hatte mit Irish Folk nie was am Hut. Ich wusste, dass es die Musik gibt – aber ich kannte kein einziges Stück davon, abgesehen vielleicht von Drunken Sailor oder solche Geschichten. Er aber war schon immer Fan davon. Wenn er losgezogen ist, hatte er teilweise einen Kilt an und hat mit seinem langen Haaren und dem ganzen Drumherum da genau reingepasst. Und als wir gesagt haben, wir machen jetzt dieses Duo, war uns klar, dass das so ein bisschen auf die Pub-Schiene gehen wird – man braucht ja irgendwo ein Anlaufpublikum! Und deswegen haben wir uns zumindest teilweise auch ein Irish Folk Repertoire zusammengesucht, und dann ging es auch schon los!
Wie muss ich mir das jetzt vorstellen: Er an der Geige und du an allem anderen?
Nee, nee. Ich habe immer mein Gitarre-Mundharmonika-Gesangsding gemacht, und er hat Geige, Cajon, Bass, teilweise Dudelsack und Bodhrán gespielt, das ist so eine irische Trommel, die hat man in der einen Hand, während man in der anderen einen Schlegel hält, den man von beiden Seiten benutzen und dadurch ganz schnelle Dinge damit machen kann. Ach, und Mandoline hat er auch noch gespielt.
Eine Mandoline steht ja auch bei dir zu Hause rum, ich hab das Foto gesehen … Die spielst du ja auch, oder?
Nebenbei, ein bisschen. Nicht auf der Bühne, aber für Aufnahmen und solche Geschichten schon mal.
Du trittst aber nicht nur im Irish Pub auf, sondern spielst an den Wochenenden auf Festivitäten in ganz Sachsen und auch Thüringen, beispielsweise auf Hochzeiten. Ich glaube auf meine Frage nach deiner Musik hast du mir ganz nonchalant den Wikipedia-Link zum Stichwort „Mugge“ geschickt mit dem Nachsatz, du seist als Traveler ein „typischer Mucker“. Daneben hast du unter der Woche einen „bürgerlichen“ Vollzeitjob. Wie kommst du mit dieser Doppelbelastung klar? Gibt es da einen Trick? Das frage ich auch aus Eigennutz, weil ich ja auch zwischen Musikjournalismus und bürgerlichem Job oszilliere …
Für mich stellt sich hier gar nicht die Notwendigkeit eines Tricks dar, es ist vielmehr so, dass es für mich ein Ausgleich ist. So wie für manche vielleicht Sport, so brauche ich die beiden Geschichten. Ich könnte mir jetzt nicht vorstellen, Vollzeitmusiker zu sein, das wäre mir … Ich weiß nicht. Da würde mir zu viel Spaß an der Musik verlorengehen, wenn das zuviel werden würde. Umgekehrt brauche ich aber auch zu meinem Job irgendwo einen Ausgleich, und der ist für mich wirklich an den Wochenenden die Musik. Das passt total gut zusammen – auch wenn es manchmal ein bisschen anstrengend ist.
Kommen wir auf die Musik selbst zu sprechen und nicht nur darauf, wie man damit umgeht. Als ich zum ersten Mal dein Cover von Johnny Cashs „Hurt“ gehört habe, war ich total von den Socken – deine Stimme ist ja wie gemacht für seine Songs! Haben sich da Stimme und Musik gefunden oder, anders gefragt, woher rührt deine Faszination an Cash?
Prinzipiell ist es ja so, du kannst – und das ist jetzt ein Zitat aus dem Hefter, den ich für die Bühne benutze, wo meine ganzen Sachen drin sind, und da steht auf der ersten Seite: Man kann nur in anderen entzünden, was in einem selber brennt. Das hat mal der große Römer Aurelius Augustinus gesagt. Und das ist wirklich das Ding! Man kann in den Leuten nur dann etwas auslösen, wenn man selber überzeugt ist von der Geschichte. Und das ist schon bei Johnny Cash so gewesen – der war ja wirklich ehrlich. Er hat nur geschrieben und gesungen, was ihn bewegt hat, was ihm passiert ist, was ihm wichtig war. Ob das jetzt die „Man in Black“-Geschichte war oder Geschichten aus seinem Leben …Das haben die Leute gemerkt, das war ehrlich – was zu der Zeit ja gar nicht so modern war. Da gab es ja die ganzen Gospelsachen und so, was alles ein bisschen weiter hergeholt war. Und das ist auch meine Sache. Ich will wirklich niemandem erzählen, dass ich jetzt sonstwas für einer bin – ich bin halt wirklich ein ganz normaler Musiker, der ein ganz normales Leben lebt. Und diese Ehrlichkeit, die verbindet mich mit Johnny Cash.
Das heißt, du schlüpfst auf der Bühne nicht in eine Rolle, sondern präsentierst dich so, wie du bist?
Richtig. Es ist ja bei vielen wirklich so, dass sie sich ein Alter Ego schaffen und auf der Bühne dann total anders sind als privat. Das könnte ich gar nicht, weil das – Bühnenpersönlichkeit und Privatperson – für mich irgendwo eins ist. Ich will die Leute begeistern – und das kann ich nur mit mir selber!
Das heißt, ich habe meine erste Frage zur Figur des Travelers im Grunde falsch gestellt. Der ist gar kein Alter Ego, sondern der repräsentiert wirklich nicht nur einen Teil von dir selber, sondern dich komplett …
Komplett, wirklich komplett, ja, genau. Das ist auch wirklich die Sache, die sich durch mein ganzes (Privat-)Leben zieht, mit dieser Rastlosigkeit. Und das ist auch etwas, was mich auch noch mit Johnny Cash verbindet. Und deswegen auch – dass die Stimme jetzt passt, ist ein Zufall, wenn sie denn passt … aber diese Lieder sprechen halt zu mir, und deswegen kann ich sie vielleicht auch ansprechend rüberbringen.
Das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen, denn diese Ehrlichkeit, die du vorhin angesprochen hast, gibt es ja auch durchaus noch bei anderen Musikern. Bei Johnny Cash sprechen also auch vor allem seine Lieder zu dir …
Richtig, das gibt es auch bei anderen Sachen, zum Beispiel bei Neil Young – aber auf einer anderen Ebene. Neil Young verbildert ja mehr. Der sagt jetzt nicht: so-und-so-und-so ist es gewesen, sondern der sagt, die grüne Wolke hat geleuchtet weil das-und-das war. Der schafft sich da irgendwelche Welten drum herum, das finde ich auch sehr toll, und er ist auch ein ganz großes Vorbild für mich von seiner Musik her, aber nicht auf der Ebene wie Johnny Cash.
Hast du Neil Young-Songs in deinem Repertoire?
Ja, sogar eine ganze Menge. Und der dritte, der mich ganz groß interessiert …
… Das passiert, wenn man sich gut kennt: Du nimmst meine Fragen vorweg! Ich vermute, du wolltest jetzt einen Liedermacher mit den Initialen G.G. ansprechen…
(lacht) Ja …
Dann frag ich jetzt trotzdem noch einmal ganz offiziell! Neben Cash und Young hast du noch einen anderen musikalischen Helden, nämlich Liedermacher Gerhard Gundermann. In einer Mail an mich hast du mal geschrieben, dass die Frau, die du mal heiratest, Gundermann zwingend mögen muss, obwohl das eigentlich gar nicht ginge, denn mit Gundermann könne man entweder nichts anfangen – oder man müsse ihn lieben …. Ich gestehe, dass ich als deine zukünftige Frau nicht in Frage komme. Aber ich möchte gern mehr über deine Gundermann-Faszination wissen.
Ich fange mal ganz am Anfang an. Gundermanns Musik habe ich erst sehr spät kennengelernt, da war er schon tot. Ich war in Leipzig auf dem Bahnhof gewesen und hatte Zeit. Und da war ein Saturn-Markt, in den ich zum Zeitvertreib rein bin. Zu dem Zeitpunkt habe ich es immer so gehandhabt, dass ich CDs von Leuten, die ich nicht kannte, gekauft habe, wo mir die Aufmachung gefallen hat. Und das, was ich damals dort gefunden hab, war das „Krams“-Album von Gundermann gewesen. Das ist ein Live-Album von seinem letzten Konzert eine Woche vor seinem Tod, das wusste ich damals auch noch nicht – mir hat einfach die Aufmachung gefallen. Das war so grau und zum Aufklappen und so ein bisschen erdig gemacht, irgendwo, das fand ich cool, also hab ich’s mitgenommen – und bin dadurch in eine ganz, ganz neue Welt hineingekommen. Absoluter Wahnsinn! Ich hab die CD in den CD-Player meines Autos gelegt, es war eine Doppel-CD, dachte, hörst du mal in die eine ein bisschen rein … Ich hab die eine ganz durchgehört, die zweite ganz durchgehört, die erste noch mal gehört – und dann bin ich erst losgefahren. Natürlich hab ich dabei weitergehört. Wahnsinn! Der mal einfach mal Bilder mit seinen Worten – das geht überhaupt nicht, das ist absolut unglaublich. Zum Hintergrund muss man sagen, dass Gundermann ein sogenannter Großgeräteführer war, er fuhr so einen riesigen Braunkohlebagger, und hat halt vorneweg seine Lieder geschrieben. Da würde man ja jetzt gar nicht soviel Philosophie erwarten, drumherum, eher so eine Proletengeschichte …
Er durfte in der DDR ja nicht studieren beziehungsweise wurde exmatrikuliert, weil er sich nicht „systemkonform“ verhalten hat, und musste dann Hilfsarbeiten leisten, oder?
Richtig. Er wurde dann vom Volk ja als „einer von uns“ oder „singender Baggerführer“ stilisiert, was er gar nicht so wollte, aber man muss das wirklich würdigen, dass dieser Mann so total bodenständig war. Er war auch ein Biofreund, der war ganz ganz nah an sich und an der Erde dran. Es tat ihm zum Beispiel immer weh, wenn er seine eigene Heimat, über die er geschrieben und gesungen hat, mit seinem eigenen Bagger kaputtgemacht hat, das hat ihn auch bis zum Ende beschäftigt, das wollte er gern auch wieder irgendwie gutmachen. Das war eine absolute innere Zerrissenheit; und vielleicht ist es auch das, was mich so an Gundermann fasziniert, denn diese Rastlosigkeit, diese Ruhelosigkeit, die irgendwo in mir wohnt, ist nah an dem dran, was Gundermann auch mit seinen Liedern beschreibt. Das ist unglaublich. Also, es gibt so zwei, drei Lieder von ihm, die sind wie eine Offenbarung. Vielleicht vergleichbar mit – auch, wenn das jetzt blasphemisch ist – einer Bibelerfahrung. Ich lese die Bibel – und mir sagt sie überhaupt nichts. Aber es gibt Menschen, die lesen sie und finden sich da wieder und finden da die absoluten Antworten auf ihre Fragen. Und das ist für mich Gundermann. Ich finde da wirklich Antworten auf Fragen, die ich mir teilweise schon gestellt habe, teilweise vielleicht mal stellen sollte, teilweise vielleicht auch erst in ein paar Jahren dazu komme, wo er schon soweit war. Das ist unglaublich.
So eine Art musikalisches Erweckungserlebnis.
Ja, so kann man dazu sagen.
Bei Johnny Cash sagst du, fasziniert dich die Ehrlichkeit. Bei Gundermann fasziniert dich die Zerrissenheit …
Es ist einfach immer die Geschichte, wo ich mich selber wiederfinde. Dass ich mich selber identifizieren kann und das entsprechend auch für mich selber irgendwo umsetze – jetzt für mich selber innerlich umsetze, aber auch nach außen den Leuten gegenüber. Dass ich das kommunizieren kann, in Musik und im Dasein.
Heißt, du hast natürlich auch Gundermann-Songs in deinem Repertoire …
Ja.
Musst du dich in allem, was du in dein Repertoire nimmst, selbst wiedererkennen?
Nein, eigentlich nicht. Dann muss es mir einfach gefallen. Wie gesagt, Traveler ist einer Mucker-Geschichte. Das heißt, ich will damit Leute erreichen. Leute erreichst du, wenn du die aus ihrer Welt rausholst. Und aus ihrer Welt holst du die am besten raus – also, wenn sie schon mal so vor Konzertkulissen sitzen –, indem du ihnen ein gutes Gefühl gibst. Und das machen 1.) Melodien, 2.) einprägsame Texte und 3.) Gefühle. Wenn ein Lied mir das gibt, dass ich sage, oh, das nimmt mich jetzt selber mit, das kann ich jetzt umsetzen, dann nimmt es auch die Leute mit. Wenn ich das für mich entscheide, dass es … Anders: Wenn ich für mich eine Version finde, es den Leuten entsprechend wiederzugeben, dann spiel‘ ich das auch gerne. Es muss jetzt nichts sein, dass das tiefgründig ist, oder dass das mich widerspiegelt, oder dass das die Welt widerspiegelt – es muss mir einfach die Möglichkeit geben, es so wiederzugeben, dass ich Leute begeistern kann.
Du sagtest gerade: Wenn du eine bestimmte Version davon findest. Da frag ich mich – und das bitte ich jetzt nicht polemisch zu verstehen, ich schätze die Kunst der Interpretation sehr! –, ob du „nur“ Coverversionen in deinem Programm hast, oder auch eigene Songs …
Diese Antwort kann man vielleicht am besten zweiteilen. Erstmal ist es ja so – um wieder auf Johnny Cash zu kommen, der ja seiner späteren Frau June Carter gegenüber gesagt hat, „der Sound, den ich spiele“ – dieser stampfende, wilde Sound da –, „der ist einfach entstanden, weil wir nicht besser spielen konnten. Wir haben uns eine Möglichkeit gesucht, uns auszudrücken mit den Möglichkeiten, die wir haben.“ Und so spiele ich auch. Ich bin jetzt nicht der Gitarrenvirtuose. Ich habe mal angefangen, am Lagerfeuer Gitarre zu spielen und bin nie in die Nähe virtuoser Fähigkeiten gekommen. Deswegen habe ich mir eine Möglichkeit gesucht zu interpretieren – auf eine Art, die mir gefällt und die den Leuten gefällt. So. Deswegen ist das covern von mir eine Interpretation, die … ja: Wenn ich besser spielen könnte, würde ich anders spielen. Das ist die Coversache. Zweitens: Ich habe auch eigene Sachen, aber die sind dann wirklich ganz ganz persönlich und mir oft … ja, ich weiß nicht, ich fühle mich da manchmal ein bisschen verletzlich, wenn ich so etwas spiele, weil es eben wirklich meins ist. Und ich bin der Meinung, wenn dann das Publikum vielleicht sagt, hmm, das ist jetzt ja nicht so das Ding und was spielst denn du jetzt für ’nen Zeug da, dass mich das persönlich treffen würde. Deswegen spiele ich die ganz selten, nur, wenn ich mir sicher bin dabei. Das heißt, ich hab‘ jetzt wirklich auch eigene Sachen, aber die kommen selten zum Einsatz. Meistens gegen Ende eines Konzertes, dann hab‘ ich die Leute schon erwischt, dann sind sie froh, dass sie da waren und meine Freunde, und dann kriegen sie noch etwas Eigenes dazu. Da sagt ich auch, oh, ich bin nicht so sicher, ob euch das jetzt gefällt, es ist etwas Eigenes, aber wir versuchen das jetzt mal.
Und es gefällt ihnen …
Ich glaub schon, ja. (lacht)
Möchtest du in dieser Richtung weitermachen, hast du zum Beispiel eine CD mit deinen eigenen Stücken oder so etwas in der Art geplant?
Das ist immer so ein bisschen im Hinterkopf, auf alle Fälle! Aber da ist vielleicht der Punkt, wo mich dieses zweigeteilte Leben davon abhält, weil eben wirklich wenig Zeit da ist für die Musik – außerhalb von den Gigs an sich. Und deswegen komme ich auch gar nicht in die Verlegenheit, näher darüber nachzudenken, auch wenn es mich auf alle Fälle reizen würde. Es ist auch genügend Material da, was dafür vielleicht taugen würde, aber …
Vielleicht ist das eher ein mittelfristiger Plan? Du hast bei unserem Vorgespräch anklingen lassen, dass du dir gern einen Mac mit LogicPro kaufen möchtest – könntest du dir vorstellen, im Heimstudio eine CD aufzunehmen?
Das könnte passieren.
Über eine Traveler-CD würde ich mich auf jeden Fall freuen! Bevor du aber zum Traveler wurdest, hattest du ein Projekt namens Traumfänger. Gibt es den Traumfänger noch – wenn ja, was macht er, wenn nein, warum nicht?
Den gibt’s noch, den Traumfänger gibt’s! Das ist mein Herz- und Seelenprojekt. Wenn ich mir Lieder aussuchen kann, die ich gerne spielen möchte, dann sind es meistens die, die mir ganz ganz nahe gehen, weil die mir wirklich viel bedeuten. Die passen aber selten auf Traveler-Bühnen. Weil: Da will ich die Leute holen, sie begeistern, da will ich sie wirklich aus ihrem Alltag rausdreschen, dass sie mal zwei Stunden etwas anderes hören und sehen … Traumfänger, das ist eine ruhige Geschichte. Da muss man zuhören. Da sind Gerhard Gundermann-Sachen dabei, da sind auch mehr eigene Sachen dabei, da sind Liedermachergeschichten dabei – und das muss halt auch wirklich passen. Und da habe ich momentan auch nicht so den Ansatzpunkt, wo ich so etwas spielen könnte. Das ist mir aber ein sehr sehr liebes Projekt, und immer, wenn es die Möglichkeit gibt, mache ich das sehr sehr gerne.
Seit April 2012 gibt es jetzt aber auch noch ein anderes Nebenprojekt, nämlich Diamonds&Rust, ein Duo. Erzähl mir doch auch ein bisschen darüber!
Es war eines Abends … (lacht) … in den Tiefen von Chemnitz/Karl-Marx-Stadt … Da hat eine liebe Bekannte zusammen mit anderen einen Liedermacherabend im studentischen Rahmen organisiert. Und weil das eben eine liebe Bekannte ist, war ich im Publikum, um mir das Ganze mal anzuhören. Und da war eine andere Bekannte von meiner Bekannten auch mit im Publikum – nämlich Miriam Spranger, die in der Region bei uns schon einen gewissen Namen als Singer/Songwriterin hat. Und wir haben gesagt, versuchen wir doch mal, zusammen etwas aufzumachen! Haben uns gefunden, haben uns ein Projekt erarbeitet – eben Diamonds&Rust – und bringen das jetzt in unregelmäßigen Abständen auf die Bühne. Das ist ein Coverprojekt, aber eine sehr sehr interessante Geschichte. Eben dieses Diamonds and Rust! Wir haben nach einem Namen gesucht und festgestellt, dass sie eher eine kleinere, zierliche Person ist – ich nicht so. Sie ist von der Stimme und ihren eigenen Texten her sehr feinsinnig – ich bin dann eher die Rampensau. Wir haben einen Namen gesucht, der diese Unterschiede repräsentiert, dachten an Feuer und Eis, an … was weiß ich, Pommes und Ketchup – ach nee, das passt ja wieder zusammen! (lacht) Und haben wir gesagt, Diamonds& Rust. Das ist der Titel eines Liedes von Joan Baez, das uns beiden sehr gefällt, und dann passt das natürlich: Diamanten und Rost.
Und du bist der Rost!
Ich muss Rost sein, logisch. Wir haben es mal so umschrieben: Die Diamanten, also die wertvollen, seltenen Geschichten, die durch Miriam repräsentiert sind, durch ihre Texte, durch ihre feinsinnige Stimme, und Rost ist eher … jetzt nichts Schlimmes, aber eher etwas, das …
… angreift.
Naja, eher, was ein bisschen mehr Erfahrung widerspiegelt. Ich will mich ja nicht ganz so schlecht machen! (lacht wieder) Und ich bin dann eben der, der schon mal die eine oder andere Geschichte erlebt hat in der Richtung und der auch ein bisschen rauher loslegt … Eben so, als wenn man mit der Hand eine rostige Oberfläche streift. Ja, und das sind unsere Diamonds&Rust-Gegensätze. Vom Programm her – da muss ich sagen, Miriam hat auch einen gewissen Bezug zu Johnny Cash – machen wir viele Johnny Cash-Geschichten, wo sie dann die June Carter gibt, das klappt ganz gut, und darüber hinaus Sachen, die ihr ein bisschen was bedeuten, die mir ein bisschen was bedeuten … Wir haben beispielsweise DDR-Musik im Repertoire – wir stammen beide aus dem DDR-Lager –, wir haben ein bisschen was, wo die Leute mitgehen können, ein bisschen was, wo die Leute nachdenken können, und können das halt mit einem richtig breiten musikalischen Spektrum machen. Wir haben zwei Gitarren, wir haben zwei Stimmen, wir haben das Cajon, wir haben ein Keyboard stehen …
Du springst dann während der Show an Keyboard oder Cajon?
Das macht Miriam. Ich halte mich da zurück, das ist ihre Aufgabe, ich bleibe an der Gitarre. Wir können da richtig viel machen, das ist eine ganz coole Geschichte. Ein Beispiel, das mich selber unheimlich geholt hat beim letzten Mal war „Nothing Else Matters“, da gibt es ja diese Version mit weiblichen Vocals und Klavierbegleitung …
Von Lucie Silvas!
Ja. Wir haben das aber noch anders gemacht, wir haben nämlich die Klavierversion kombiniert mit der Gitarrenversion, wie man sie kennt. Das ist unglaublich geil geworden, das macht richtig Spaß dann!
Wenn du sagst, Diamonds&Rust haben Songs im Repertoire, die euch beiden etwas bedeuten – gibt es auch Lieder, wo der eine sagt, Mensch, das würde ich unglaublich gern spielen, das würde so gut passen, und der andere sagt, nee, damit kann ich mich aber sowas von gar nicht identifizieren, nur über meine Leiche?
Ja, ja, ja! Entschuldige Miriam, wenn du das dann liest – das muss ich jetzt sagen: Als Mann muss man ja zurückstecken bei solchen Geschichten. Man streitet sich ja nicht mit den Frauen. Und deswegen ist es so, dass wir dann zwei, drei Sachen, die ich gern spielen wollte, rausgelassen haben, weil Miriam überhaupt keinen Bezug dazu gefunden hat. Das ist auch nicht schlimm, das ist gut so, weil … wir wollen ja beide in den Leuten was bewegen. Und das geht halt auch wirklich bloß dann, wenn wir beide hinter den Liedern stehen. Das ist einfach mal so. Und deswegen mussten wir auch beide Abstriche machen bei dem, was wir da reinnehmen. Wir haben uns zusammengefunden mit einem schönen Programm – aber alles ging dann wirklich nicht so, wie das nur der eine wollte, der dann meistens ich war, der dann zurückgesteckt hat.
Du hast vorhin gesagt, Miriam wechselt zwischen den Instrumenten, du bleibst aber bei deiner Gitarre. Das erinnert mich daran, dass du die Gitarre mal als „phantastische Art, Gefühle zu teilen“ beschrieben hast …
Aha? Wirklich? Solche schönen Sachen sag ich? Ist ja cool. Mein Gott, bin ich gut! (lacht)
Worauf ich hinaus will: Du spielst neben der Gitarre auch noch eine Handvoll andere Instrumente, Mandoline, Klavier … oder? Warum ist es dann bei der Gitarre geblieben?
Musik, oder vielmehr: die Musik, die ich spiele, die kommt ja aus mir selber raus. Viele Leute haben da noch ein Medium in der Hand. Wenn sie Gitarre spielen, haben sie beispielsweise noch das Plektrum. Das mag ich zum Beispiel gar nicht. Ich spiele direkt mit den Fingern, mache mir da immer einen Fingernagel kaputt, weil ich irgendwo sehr druckhaft spiele, aber ich will das, ich brauch das – ich muss die Musik wirklich von mir direkt auf das Instrument übertragen. Deswegen fallen schon mal alle elektronischen Instrumente für mich weg, ich brauche etwas Akustisches.
Das heißt, du würdest auch keine E-Gitarre spielen?
Nee. Lehne ich ab. Ich find’s gut bei anderen, aber es ist nicht meins. Deswegen auch kein Keyboard. Auch wenn ich’s zu Hause stehen hab‘ – ich nehm‘ es für Aufnahmen, für Nebengeschichten, aber ich würde es nie, auch wenn ich es sehr gut könnte, auf der Bühne spielen wollen.
Dir selbst würde da die Unmittelbarkeit fehlen, verstehe ich das richtig, aber bei anderen …
Ja, zum Beispiel bei Bands wie Neil Young mit Crazy Horse oder bei Ten Years After – ich liebe diese E-Gitarren, die die da spielen! Oder auch bei Künstlern wie Slash oder Mark Knopfler – ich liebe diese E-Gitarren! Aber selbst wenn ich es auch nur annähernd so gut könnte, was ich nie im Leben können werde, würde ich sie nicht so gern spielen wie Akustikgitarren. Weil das wirklich das ist, was in allen Kleinigkeiten … wenn ich die Saiten nur leicht anstupse, dann machen sie einen ganz anderen Ton, als wenn ich da mit Gewalt rangehe … Ich kann über die Akustikgitarre ganz genau sagen, was ich jetzt ausdrücken möchte – und das ist mir unheimlich viel Wert! Das kann ich auf der Mandoline nicht, weil mir da einfach die Fähigkeiten fehlen. Das will ich auf dem Keyboard nicht, weil mir das einfach zu elektronisch ist. Das kann ich auf dem Schlagzeug nicht, weil … keine Ahnung, was man da ausdrücken kann, das macht halt nur Krach. Die Gitarre ist wirklich meins geworden.
Siehst du dich als Gitarristen, als singenden Gitarristen, oder eher als gitarrespielenden Sänger?
Also, auf jeden Fall nicht als Gitarristen, weil … Ich habe angefangen Gitarre zu spielen, da war ich fünfzehn Jahre alt. Wir waren beim Zelten und einer hat Gitarre gespielt – und die ganzen Mädels saßen drum herum. Mit fünfzehn dachte ich, okay, du musst jetzt anfangen, Gitarre zu spielen …
Der klassische Grund!
Also, was ich damit sagen wollte: Es war damals Lagerfeuerniveau. Es ist jetzt ein bisschen besser geworden, ich kann wirklich viel ausdrücken, dafür reicht es aus, aber ich bin kein Virtuose.
Dagegen bist du ein begnadeter Sänger …
Ich bin ein auszuhaltender Sänger … (lachen beide). Ich werde tatsächlich sehr oft für meine stimmlichen Fähigkeiten gelobt, und ich selbst bin auch der Meinung, ich mache das nicht ganz schlecht. Deswegen vielleicht eher: Sänger mit Gitarrenbegleitung. Es gehört für mich zusammen, ich könnte nicht alleine mit Stimme oder alleine mit Gitarre die Leute so holen, wie ich es gerne möchte, das geht halt wirklich nur in der Kombination.
Ich hatte ja zu Beginn unseres Interviews gesagt, dass ich finde, bei deinen Johny Cash-Sachen haben sich Stimme und Musik getroffen. Jetzt aber, wo ich dich deinen eigenen Song und das Gundermann-Cover habe singen hören, finde ich, dass dir die deutschen Sachen noch besser stehen. Gibt es für dich einen Unterschied zwischen deutsch singen und englisch singen? Warum schreibst du deutsch?
Ich schreibe deutsch und englisch. Dazu muss ich sagen, dass mich die Lieder, die ich schreibe, manchmal ein bisschen überrumpeln. Das beste Beispiel ist ein Lied, das heißt „Moments“. Ich habe es innerhalb von zwanzig Minuten auf der Autobahn im Kopf gehabt. Ich hatte das Fenster auf, es kam reingeflogen – ich bin heimgefahren und musste es nur noch aufschreiben. Es war einfach da. Und so ist das bei vielen Liedern von mir: Die sind einfach da. Vielleicht ist dann der Moment einfach reif, die Zeit da für dieses Lied, aus irgendeiner Geschichte heraus, aus irgendeiner Person heraus, aus einer Erfahrung heraus, und dann ist das da. Und dann ist es egal, ob es deutsch oder englisch ist. Das Wichtige dabei ist, dass es aus mir kommt – oder aus einem bestimmten Grund zu mir kommt. Und so ist das auch mit den deutschen Liedern: Das sind Lieder in meiner Sprache, ich kann mir vorstellen, was der Künstler damit sagen wollte. Und wenn ich mir schon nicht vorstellen kann, was der Künstler sagen wollte, oder wenn ich eine falsche Vorstellung habe, dann habe ich doch zumindest eine eigene Geschichte dazu. Und deswegen ist es vielleicht auch die Authentizität, die mir so wichtig ist, die da noch besser rüberkommt.
Die man in der Muttersprache eher finden kann …
Ja, richtig. Mein Englisch ist nicht schlecht, aber es gibt ja immer so Spitzfindigkeiten in der Sprache, die man nur als Muttersprachler hat. Und dass das im Deutschen besser rüberkommt, könnte ich mir vorstellen. Zum Beispiel bei Gundermanns „Der Narr“, das berührt ja diese Traveler-Geschichte …
Ja, durch alle drei Lieder, die du gespielt hast, zieht sich das als roter Faden: Da hatten wir erst das Verletztsein, dann das Fernweh und zuletzt dieses Unstete, was sich unter der Narrenkappe verbirgt …
Und das ist genau die Geschichte: Dass mir halt die Lieder irgendetwas sagen müssen, was mich selber betrifft – oder was aus mir spricht. Und „Der Narr“ ist wirklich eins von den Liedern Gundermanns, die mir am meisten sagen. Das ist jetzt kein gutes Gundermann-Beispiel, denn eigentlich schreibt er ja mehr über Sachen, die in seine Zeit gehören, die ihn selber irgendwo betreffen, und das ist ja so ein bisschen aus der Zeit gerissen – aber es gehört wirklich zu denen, die mir am meisten bedeuten.
Hast du diese drei Lieder extra für unser Treffen ausgesucht und motivisch aufeinander abgestimmt, oder beinhalten Lieder, die dich bewegen, generell dieses Traveler-Motiv?
Nee, nee. Ich habe sehr viele Lieder, die dieses Thema zumindest vordergründig nicht haben. Aber ich wollte heute etwas spielen, das mir viel bedeutet. Und es ist auf jeden Fall so, dass diese Lieder, die in den roten Faden reinpassen, weil der rote Faden ja aus mir kommt, dass das also die sind, die mir am meisten bedeuten. Deswegen ist es bestimmt kein Zufall.
Kommentare deaktiviert für Klangköpfe # 3: Nur wer selbst brennt, kann andere entzünden oder: Ich bin kein unruhiger Mensch – aber ein ruheloser. Der Traveler im Interviewportrait
Es ist ein bisschen so wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Schon wieder Stralauer Allee. Schon wieder Musik. Das hatte ich doch gerade erst die ganze letzte Woche! Wie es scheint, ist diesem winzigen Stückchen Stralauer Allee zwischen den Hausnummern eins und acht nicht zu entkommen, wenn es um Popmusik in Berlin geht. Mediaspree ist, ob das Gentrifizierungsgegnern und Kapitalismuskritikern nun gefällt oder nicht, aufgegangen. Diesmal sind wir allerdings weder bei Universal Music (Stralauer Allee 1) noch im Spreespeicher (Stralauer Allee 2) noch bei MTV Europe (Stralauer Allee 6/7) noch in der Fernsehwerft am Osthafen (Stralauer Allee 8), sondern in der Hausnummer 3, dem nhow-Hotel, wo vor einem knappen Jahr auch das Klangverführer-Interview mit der Wiener Sängerin MisSiss entstanden ist. Damals gaben uns in der Galerie des Hotels die Arbeiten des Niederländers Peter Bastiaanssen eine ganz spezielle Kulisse. Diesmal geht es weniger künstlerisch, dafür aber umso atmosphärischer zur Sache.
Nun also Skunk Anansie. Die habe ich zuletzt in meinem Abijahr 1996 gehört, als sie mit Hedonism (Just Because You Feel Good) einen großen Hit hatten. Das Lied hatte mich nicht sonderlich beeindruckt; die Nachfolgesingle Brazen (Weep) – und dort die phantastische Gesangleistung von Skunk Anansie-Frontfrau Skin – allerdings umso mehr. Die hat es sogar auf meine private Rock My Soul-Compilation geschafft, die ich neulich erst wieder einmal gehört habe. Skunk Anansie – bessergesagt: dieses eine Lied von ihnen – war in meinem musikalischen Hinterkopf also immer irgendwie präsent, das Interesse an der Band selbst hielt sich bei mir allerdings in Grenzen. Weder habe ich die Auflösung der Band 2001 mitbekommen, noch die unter dem Pseudonym SCAM erfolgte allmähliche Annäherung der Musiker aneinander von 2009 verfolgt. Vielleicht war es die eine Single von vor fünfzehn Jahren, aber es machte irgendwie Klick in meinem Kopf, als mir die Einladung zum Pre-Listening des neuen Albums von Skunk Anansie samt semi-akustischem Live-Gig ins Haus flatterte. Bei meinen potenziellen Begleitern hingegen schien dieser Klick auszubleiben – es war wie verhext, niemand hatte an diesem Abend Lust oder Zeit, mitzukommen.
Diese Frau kann singen: Deborah Anne Dyer alias Skin
Schließlich fand sich Bassplayerman bereit, mich in die Gallery des nhow zu begleiten. Auch er hatte eine aus den Neunzigerjahren stammende Idee der Skunkz im Hinterkopf, die bei ihm aus welchen Gründen auch immer darin bestand, es mit einer zusammengecasteten Band zu tun zu haben. Auch diese Idee sollte sich im Laufe des Abends angesichts des Auftritts der Band sehr schnell relativieren. Zunächst aber wurde das mit rosa Bändchen versehene Publikum – man kann sich hierbei eines gewissen Herden-Feelings kurz nach der Brandmarkung nicht wirklich erweheren – genötigt, sich das am Folgetag erscheinende Album Black Traffic in Gänze anzuhören. Es dauere auch nur 38 Minuten, fügte die Moderatorin des Abends fast entschuldigend hinzu. Für elf Nummern nicht schlecht – das erinnert an rumpelige Punkplatten, wo ein Song auch nicht viel länger als drei Minuten dauern darf. Black Traffic jedenfalls mit seinen nervös treibenden Gitarren und dem omnipräsenten Haudrauf-Schlagzeug ist in erster Linie, unabhängig vom Pegel, mit dem man es hört: laut. Und erstaunlich … ich will nicht sagen schlecht, aber doch seltsam … abgemischt. Die charismatische Stimme von Skin ist viel zu weit hinten und geht im Klangchaos unter. Das kann man jetzt als sympathischen Meine-Band-ist-auch-wichtig-Ansatz begreifen. Das kann man aber auch lassen und sich stattdessen darüber ärgern, denn diese Art zu mixen macht dem Zuhörer schlicht Schwierigkeiten, ja sogar Stress.
Allerdings legt sich das nach den ersten neun Stücken: Die Schlussnummern Sticky Fingers in your Honey und Diving Down gefallen gleich auf Anhieb und lassen mitrocken (Sticky Fingers) bzw. -grooven (Diving), wobei man sich wieder fragen muss, ob hier der Gewöhnungseffekt nicht mitspielt – oder ob gar die Gin Tonics, die an diesem Abend großzügig ausgegeben werden, langsam aber sicher ihre glückselig machende Wirkung entfalten. Live und halb-akustisch hingegen fügt sich alles wie von Zauberhand: Das hier kann man nicht nur aushalten, das hier ist sogar ziemlich gut.
Und Sie, liebe Leser, können das zu Hause nachmachen. Hier die Chords:
Nachdem Sie Ihre Gitarren jetzt wieder weggelegt haben, lehnen Sie sich zurück und genießen Sie zwei weitere Songs:
Bleibt als Frage des Abends eigentlich nur noch: Weshalb macht so eine (gute) Band so eine (allenfalls mediokre) Platte? Wer eine Antwort hat, schreibe mir bitte. Bleibt noch etwas anderes: die obligatorische Zugabe. Natürlich spielen die sympathischen Briten ihren 1996er-Smash Hit Hedonism (Just Because You Feel Good):
Das war in der Tat anders als erwartet. Die Band, die übrigens nicht zusammengecastet ist, sondern vielmehr seit fast zwanzig Jahren in unveränderter Besetzung zusammen spielt, erweckte den Anschein, als hätte sie wirklich Bock zu spielen, dem Publikum gefiel es – und auch in meinem persönlichen Fan-Kosmos hat wieder eine Band mehr den Shift von ist-ja-ganz-nett zu gefällt-mir-sehr-gut geschafft. Es war ein schöner und vor allem überaschender Abend (und das sage ich Ihnen als jemand, der Überraschungen mindestens skeptisch, wenn nicht gar mit Abscheu beäugt), und ich hoffe, Ihnen davon einen kleinen Eindruck vermittelt haben zu können. Auf die Platte aber können Sie, ganz im Vertrauen, getrost verzichten.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Cathrin Schmiegel im Rolling Stone – ein treffender Konzertbericht, nachzulesen hier. Eine exklusive Fotostrecke von Alexander Mechow finden Sie hier. Die Ausleuchter lbrty&vstnss, die den Abend in magischen Glanz hüllten, haben die Fotos und eines der Klangblog-Videos in ihre Seite eingebunden, nachzusehen hier.
Ohne Botschaft geht bei Skin nichts: Save the Sea
Kommentare deaktiviert für Das war überraschend … gut. Skunk Anansie hautnah in der nhow-Gallery
Nachdem man letztes Jahr mit der in die Berlin Music Week eingebetteten Popkomm alles anders machen wollte als vorletztes, wo man mit nämlichem Ziel antrat, um daran grandios zu scheitern, hat man dieses Jahr die Popkomm kurzerhand gestrichen. Zumindest den Messeteil. Länderorientierte Showcases sowie die Conference genannten Podiumsdiskussionen, in denen über die Zukunft der Musikindustrie meditiert wird, finden auch dieses Jahr statt, wenngleich man dem Kind einen anderen Namen gegeben hat: Word on Sound nennt sich das Sammelsurium aus Impulsreferaten und Workshops, untertitelt mit Die neue Plattform für Professionals. Das Ganze gibt es, schon allein – aber nicht nur – aus geographischer Sicht industrienah, im Spreespeicher in der Stralauer Allee.
Uninteressant sind die in die Segmente Arts and Polity, Werkstatt, Most Wanted: Music, World Nightlife Fund, Green Berlin Music Week, Master Class, digi-digi con, Denkfabrik und Umg€ld unterteilten Veranstaltungen indessen nicht, denn mit Themen wie „Kapitalismus, Kreativität und die Krise der Musikindustrie“, „Was wurde aus den Utopien der frühen elektronischen Clubkultur?“ oder „Studien zu Herrschaftssturkturen“ verharrt man wenigstens nicht wie sonst im Bejammern der aktuellen Entwicklung, sondern bringt einen Hauch Kapitalismusikritik in die Diskussion ein, die hoffentlich mehr zu bieten hat als die wohlfeile Klage über die Gentrifizierung der Subkulturen.
Ein schöner Ort, dieser Spreespeicher. Kein Wunder, dient er sonst doch als virtueller Indoor-Golfplatz für die Reichen und Schönen.
Freilich schwingt die Tanz-am-Abgrund-Stimmung auch dieses Jahr mit, von Kollege Jens Balzer für die Berliner Zeitung kongenial mit Genieße es, so lange du noch kannst übertitelt und von mir nur ganz leicht aus dem Zusammenhang gerissen. Praktische Antworten auf die Krise werden indessen gewohnt konventionell gegeben, auch wenn man trefflich daran zweifeln kann, ob Streaming das Heilsversprechen der Musikindustrie der Zukunft ist. Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass Menschen ihre Musik auch besitzen wollen – und wenn sie schon auf physische Tonträger verzichten, dann wenigstens als Datei auf ihren Festplatten. Sämtliche virtuelle Speicher, Clouds und was nicht alles noch kranken an dem selben Problem: Mensch vertraut ihnen nicht, getreu der Urangst: Was, wenn morgen das Internet abgeschaltet wird?
Hat mittlerweile dreijährige Tradition: das Speise(karten-)foto der Berlin Music Week auf Klangverführer.de
Ich werfe bei einem ersten Rundgang erst einmal einen Blick in The New TV: The Evolving Landscape of Online-Videos und Stuff, you will love to watch. Neue Geschichten, neue Formate, neue Partizipationen. Gut: Man hat verstanden, denen über die Schultern zu schauen, die nach dem Tod des klassischen Musikfernsehens Musikvideos kreieren, welche sich wie ein Lauffeuer in der YouTube-Landschaft verbreiten, beispielsweise den genialen Gregory Brothers mit ihrer Autotune the News-Reihe. Was man noch verstehen will: Was machen die, was herkömmliche Musikvideo-Produzenten nicht machen – und vor allem: Wie machen die das? Leider sind die Reihen in der Zuhörerschaft recht spärlich besetzt.
Wenig los im Fachpublikum …
… sowie draußen …
… und auch drinnen.
Vielleicht muss die Musikindustrie zuallererst einmal verstehen, dass sie, wenn sie als Industrie auftritt, machen kann, was sie will: Das Vertrauen ist ohnehin weg. Da scheint mir das Konzept Let’s Build Our Own Industry des For-Artists-By-Artists-Künstlerkollektivs A Headful Of Bees schon zukunftsweisender. Kreiert wird hier auf D.I.T. (Do It Together)-Basis, der monetäre Aspekt soll auf Freiwilligkeit beruhen, denn schließlich operieren Cafés und Konzertveranstalter mit dem „Jeder zahlt am Schluss, soviel es ihm Wert war“-Konzept ja auch recht erfolgreich, wie A Headful of Bees-Mitglied Eric Eckhart im Interview einräumt. Dazu aber später noch mehr, denn erst einmal steht die offizielle Eröffnungsveranstaltung der Berlin Music Week an – „15 Jahre Radio Eins“ im Tempodrom.
Ein einsamer BOSE hält tapfer die Stellung
Der Abend verspricht, lang zu werden, denn fünf Künstler treten hier auf, vom Hamburger Singer/Songwriter Olli Schulz und der grandiosen Gemma Ray über die Gangsta-Swing-Oriental-Balkan-Surf-Punker BudZillus bis hin zum Schmusesoulsingersongwriter Jonathan Jeremiah und den TripHop-Rockern Archive aus London – zum Teil begleitet vom Filmorchester Babelsberg, das auch schon Künstlern wie The BossHoss oder Peter Fox streichender-, trompetender- und paukenderweise die nötige Portion Schmelz – und manchmal auch Pathos – verliehen hat.
Den Auftakt macht Olli Schulz, der ganze vier Songs spielen durfte – und das ohne Orchesterbegleitung, worüber er sich wortreich beschwert. Außerdem sei die Garderobe zu klein, und an Sclaf schon lange nicht mehr zu denken, ist doch unter seiner Wohnung ein Bubble Tea-Laden eingezogen, der bis nachts um eins des Künstlers zarte Ohren belästigenden Kirmestechno spielt. Auch die Kollegen der Welt bekommen ihr Fett weg, haben sie sich doch erdreistet, Schulz via Überschrift zum „Klamauk-Barden“ zu machen. Ohnehin scheint latentes Angepisstsein bei dem Songwriter zur Masche zu gehören – trotzdessn oder gerade deshalb lieben ihn die Frauen, die sich angesichts der Schlechtigkeit der Welt ein Schwesternhäubchen aufsetzen und Schulz vor allem Unbill abschirmen können. Wie schon beim Interviewtag, wo dem notorisch übellaunigen Sänger ein mit „We Love You“ beschrifteter Bierdeckel zugetragen wird, ruft hier eine Frau nach seiner Beschwerdelitanei zu: „Ich hab‘ dich lieb“. Und egal, wie Schulz sich auch ereifern mag und wie sehr man auch nie weiß, was davon er ernst meint und was nur Show ist, liebhaben muss man einen Mann, der so schöne Lieder schreibt wie Schrecklich schöne Welt auf jeden Fall!
Schrecklich schöne Songs spielt auch die britische, in Berlin lebende Fifties- bzw. Sixties-Retropop-Sängerin Gemma Ray, bei der erstmalig an diesem Abend das Filmorchester aufgefahren wird.
Besonders gefällt mir Flood and a Fire von ihrem aktuellen Album Island Fire, das ich mir in der Pause dann auch dringend auf Vinyl kaufen muss. Leider habe ich kein Video davon machen können, aber dafür ein weiteres, das um das Thema Feuer kreist: Fire House.
Die Berliner von BudZillus, wegen denen ich eigentlich hier bin, spielen sich in furiosem Tempo durch ihr neues Album Auf Gedeih und Verderb, aber, ich kann mir nicht helfen, auf der Platte scheint mir vieles bedeutend besser gemixt. Gerade die Vocals haben im Tempodrom’schen Raumklang schwer zu kämpfen, und was Thomas Prestin vor sich hinklarinettiert, ist, bei allem Respekt: vorhersehbar. Am Sax hingegen gefällt er mir ausnehmend gut – und das „Tier“ am Schlagzeug verdient einfach nur Bewunderung und Respekt, denn getreu ihrem Motto „Wir spiel’n weiter“ spielt er einfach immer weiter, und das bei dem Speed – ob er jeden Abend ein halbes Kalb verspeist? Hier jedenfalls It’s Up To You:
Auch wenn ich mich heute Abend nicht des Gefühls erwehren kann – das ich beim Hören des grandiosen Albums Auf Gedeih und Verderb übrigens nicht habe -, hier die authentische Imitation einer Balkan-Kapelle zu sehen – die Leute lieben es, und erstmals an diesem Abend werden Zugabe-Rufe laut, denen man ob des straffen Zeitplans aber leider nicht nachkommen kann. Wobei, was heißt leider: Im Grunde ist das einer der großen Vorteile von Radio-Konzerten, ob live ausgestrahlt oder für spätere Sendungen mitgeschnitten: Der Zeitplan wird eingehalten, ewiges Warten auf den Hauptact gibt es nicht, man kommt früh genug ins Bett.
Davon bin ich heute Abend aber noch weit entfernt, denn jetzt kommt erst einmal Jonathan Jeremiah, dessen Existenz mir bislang völlig entgangen war, der sich aber nach anfänglich zauderndem Singer-Songwriter-Allerlei als gestandener, am Motown-Retro-Sound orientierter Soulrocker mit Eiern erweisen soll. Bei Heart of Stone sind gar die Nutbush City Limits nicht weit – das groovt!
Weshalb man allerdings Archive zum Hauptact des Abends gemacht hat, entzieht sich meinem Verständnis komplett. Egal, wie oft ich mir das anhöre – ich finde es grässlich, und dabei bin ich TripHop-Fan der ersten Stunde! Wer das geil findet, schreibe mir bitte, weshalb. Vielleicht steckt ja eine verborgene Schönheit in diesen Songs – die wäre dann allerdings sehr gut verborgen:
Kollateralschaden des Abends ist – neben einem komplett verlorenen nächsten Tag inklusive der verpassten Nordic by Nature-Nacht im Postbahnhof mit Acts wie I Got You On Tape (DK), Sandra Kolstad (NO) oder LCMDF (FIN) – ein verlorenes Notizbuch. Ein schwarzes, kariertes Moleskine mit Logoprägung der VZ-Netzwerke auf dem Einband und einem eingeklemmten Druckbleistift. Ich freue mich, wenn ich es zurückbekomme – sogar so sehr, dass ich dem Finder glatt fünf CDs dafür geben würde. Neben dem Entwurf einer Konzertkritik der Radio Eins-Nacht enthielt es ein flammendes Plädoyer über die Freuden bedingungslosen Fantums, ausgelöst durch den Kauf der frisch signierten Platte von Gemma Ray, denn Fansein gilt weder in Musikwissenschaftler- noch Musikkritikerkreisen als sonderlich cool – dabei ist das doch die Basis für Musikliebe und einen der Musik angemessenen Umgang mit ihr, der dadurch nicht weniger professionell wird. Nur durch die Lupe kühler Überheblichkeit und damit zwingend verknüpfter Distanz kann man einem so emotionalen Sujet nicht gerecht werden, und ich bin gottfroh, dass ich Professoren hatte, die nicht müde wurden mir zu versichern, dass sich auch Wissenschaftler den Luxus persönlichen Geschmacks leisten dürfen. Nun, jetzt muss es eben ohne dieses Plädoyer gehen …
Ein Kollateralschaden der angenehmeren Art, nennen wir ihn daher ruhig Kollateralnutzen, war, dass mein persönliches Verkaterungserlebnis am übernächsten Tag den Anstoß für einen Song gab, der im Rahmen eines vierstündigen Workshops – zwei für das Songwriting, eine fürs Ausprobieren des Arrangements und eine fürs Recording – entstanden ist und den ich Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten will. Es war eine hochgradig inspirierende Erfahrung, bei der a2n-Werkstatt in den Räumlichkeiten der Noisy Music World in der Warschauer Straße unter Anleitung des Künstlerkollektivs A headful af bees mit einer handvoll Musiker und Musikinteressierter in einer Art Hippie-Session einen tragfähigen Song zu entwickeln. Ziel dabei war auch, den Prozess des Songschreibens zu entmystifizieren; denn während der Songschreiber sonst emotional tief bewegt im stillen Kämmerchen sich plagt, sollte hier gezeigt werden, dass man mit ein paar Musikinstrumenten (und Leuten, die möglichst viele davon spielen können), Stimmen, Stiften und Papier im Kollektiv in wenigen Stunden zu einem durchaus brauchbaren Ergebnis kommen kann.
Ganz ohne Weltschmerz und stilles Kämmerlein: Songwriting im Kollektiv
Herausgekommen ist der Titel Five More Hours, dessen Grundidee die Zustandsbeschreibung am morgen nach einer durchfeierten Nacht ist: Oh mein Gott, wann werde ich es endlich lernen, nicht mehr so zu übertreiben? Noch zwei Stunden, und ich werde in der Lage sein, meinen Kopf wieder zu bewegen. Noch fünf Stunden, und ich schaffe es, eine Aspirin zu nehmen. Und so fort. Und dann die Rückerinnerung, warum sie all das getan hat – und definitiv wieder tun wird, denn sie war die Königin der Nacht! Und auch, wenn wir angehalten waren, allzu deutliche musikalische Klischees zu vermeiden, konnten wir uns nicht helfen, dieses Bild mit einem kleinen Moll-nach-Dur-Shift zu illustrieren. Aber hören Sie selbst:
Natürlich hänge ich persönlich an dem Song. Aber ich finde ihn auch aus der Distanz zweier Tage immer noch gut. Und bin erstaunt, wie schnell man gemeinsam zu einem brauchbaren Liedchen kommt. Aber auch sonst lässt sich die Workshop-Reihe für Musiker sehen, denn anstatt in theoretischem Gejammer zu erstarren, zeigt man bei der all2gethernow (a2n)-Werkstatt, wie man es selbst macht: Um Überlebensstrategien für junge Künstler geht es, von wie publiziere ich meine eigene Musik über wie lizensiere ich sie für Filme und Fernsehen bis zu einem „Zirkeltrainig“ in Sachen Crowdfunding.
So funktioniert Songwriting heute: Zusammen einsperren, enge Deadline setzen –
und es klappt!
Viele, viele Clubkonzerte weiter ist am Sonntag mit dem ADD (Auf den Dächern)-Festival der nun dringend notwendige Schlusspunkt der Berlin Music Week erreicht. Hier treten im 20-Minuten-Takt Künstler für jeden Geschmack und Intellekt auf, von Phillip Poisel und Cro über Max Herre und Two Door Cinema Club bis zu M.I.A. und Ghostpoet auf. Wer also das Berlin Festival verpasst hat, bekommt hier die Chance, deren Auftritte in Miniaturformat nachzuholen – natürlich wieder in der Stralauer Allee am Osthafen mit phantastischer Aussicht.
Der Mann mit der Maske lugt in die Menge: Cro auf den Dächern.
Die Veranstalter der Konzerte, ob im kleinen Club oder als großes Festival, können im Gegensatz zum Kongress ein positives Fazit ziehen: Während sich nur 2.000 Fachbesucher für die Berlin Music Week fanden, hat es ungefähr 60.000 Menschen in die Clubs und Konzertsäle getrieben. In weiser Voraussicht wird die Berlin Music Week auch nächstes Jahr ohne den Messeteil – die Popkomm – stattfinden. Wirklich gefehlt hat sie nicht, denn schließlich war sie schon im letzten Jahr so klein gehalten, dass man ihr Verschwinden nur mit Mühe bemerken konnte.
Klangverführer wird auch nächstes Jahr wieder berichten. Diesjahr bleibt nur noch das traditionelle Gewinnspiel, wenngleich es im Gegensatz zu letztem Mal keine Popkomm-Taschen zu gewinnen gibt – dafür aber ein paar Fender-Gitarrenplektren, die auf einen neuen Besitzer warten. Also, ihr Gitarristen da draußen, die ihr keine Anhänger des Fingerstyle seid – schreibt eine Haben-wollen-Mail an kontakt@klangverfuehrer.de. Wer zuerst kommt – und so weiter.
Kommentare deaktiviert für My Berlin Music Week: zwischen leeren Stühlen, authentischer Imitation und der endgültigen Entmystifizierung des Songwritings
Lina Liebhund war gerade viereinhalb Wochen bei mir – und hatte in dieser Zeit schon vier Konzerte absolviert: Solch eine hohe Frequenz habe üblicherweise nicht einmal ich, sind Konzertbesprechungen in meinem Alltag doch eher die Kür, wo Plattenbesprechungen die Pflicht sind. Lasse Matthiessen aber, den ich gerade erst im Juli in Leipzig gehört hatte, ist es gelungen, mich – und eine sich unmittelbar vor Konzertbeginn im nahegelegenen Park in Kacke gewälzt habenden und dann notdürftig unter einem Hinterhofswasserhahn gereinigten, aber immer noch stinkenden Lina – zu seiner Show ins b-flat in die Rosenthaler Straße zu locken, was aber zugegebenermaßen nicht sonderlich schwer war, da mich der melancholische Poet vorher schon mit seiner Musik verführt hatte. Um die bzw. seine neue Platte Dead Man Waltz geht es dann auch in der aktuellen Ausgabe von Victoriah’s Music auf fairaudio.de.
Schöne Dinge kommen in schönen Briefen.
Verführen lassen können Sie sich aber auch direkt hier mit einem Live-Mitschnitt von Matthiessens Dead Man Waltz aus dem b-flat. Trotz des Lina-Debakels war es ein wunderschöner Abend!
Sie wollen den Singer/Songwriter auch live in Berlin sehen? Das ist kein Problem, wenn Sie noch etwas Geduld haben: Am 25. November spielt der sympathische Däne im Roten Salon.
Um sich von pupsenden Blasinstrumenten verwirren, von verjazztem Traditionsliedgut bezaubern und vom x-ten Nina-Simone-Tribut ärgern zu lassen, brauchen Sie allerdings keine Geduld, denn all das und mehr – wie etwa das Erreichen der nächst-höheren Chill-Ebene, die das Wohnzimmer, egal welchen Möbelstil man persönlich auch immer bevorzugt, plötzlich in einen Ort voller Rattanliegen, Seegraskörbe und weißer Hochflorteppiche verwandelt – erwartet Sie mit den neben Dead Man Waltz in Victoriah’s Music besprochenen sieben anderen Platten. Das sind diesmal
Esther Kaiser & Claus-Dieter Bandorf | Sternklar
Erika Stucky | Stucky Live (1985 – 2010)
Josete Ordoñez | Piedras y Rosas
Malia | Black Orchid
Sophie B. Hawkins | The Crossing
Chilly Gonzales | Solo Piano II
Various Artists | Electrospective. Electronic Music since 1958
Sophie B. Hawkins ist zurück und hat ein Cello im Gepäck
Lesen können Sie das Ganze wie immer hier auf fairaudio.de, Ihrem Lieblings-Online-HiFi-Magazin. (Nach-)Hören müssen Sie aber selber.
Viel Freude dabei und einen tollen Start in den meteorologischen Herbst wünscht
Ihr Klangverführer
Kommentare deaktiviert für Seelenfutter für Tagträumer und Sich-Fallenlasser: die neue Victoriah’s Music ist da
Jo_Hannes und ich liefen uns erstmals im Frühsommer 2011 digital über den Weg. Ja, wir kennen uns von Facebook – dabei wohnen wir an den gegenüberliegenden Ufern des Weißen Sees und treiben uns, mehr oder minder, in denselben Konzerten herum. Eigentlich sollten wir uns schon längst begegnet sein.
Das haben wir seitdem gründlich nachgeholt, ob Jo_Hannes nun in meiner Küche saß, sich mit Nudeln bekochen ließ, Kopfhörerhund mit Fisch fütterte und mir von seinen 12 Gitarren erzählte, oder wir samt Frau (er) und Hund (ich) ausgingen, um die wunderbare Illute – und einige weniger wunderbare Künstler – spielen zu hören, deren Album Immer kommt anders als du denkst Jo als „lebensrettende Platte“ bezeichnet hat. Treue Klangblog-Leser wissen spätestens jetzt, von wem hier die Rede ist. Bei der Gelegenheit möchte ich mal etwas richtig stellen: Nein, das hier sind nicht meine Eltern. Es ist Jo_Hannes samt Frau und Kopfhörerhund und mir.
Jo geistert aber nicht nur ab und zu durch den Klangblog. Sein (digitales) Alter Ego jo_berlin war bis vor Kurzem selbst im Netz aktiv – und seine Lieder berührten dort Herzen und Hirne – unter anderem meine. Ob es um die selten treffende Lichtenbergbeschreibung Zusammen (unter einer Decke) geht, um das vom Nietzsche’schen Diktum „Werde, der du bist“ inspirierte, wunder-wunderschöne Wunder dieser Tage oder Novemberticket, das durch sein unendlich zärtliches Gitarrenspiel besticht; ob Du schreibst nicht mehr, das auch eines der Schmittke-Lieder sein könnte, das genial postproduzierte Aus allen Wolken oder die bitterböse Abrechnung Ganz einfach – ich vermisse die Lieder von jo_berlin, wo schon mal in der Küche ein Beil liegt und der Bus, wie im wirklichen Leben, sein Boot ist. Denn mit dem Verschwinden von jo_berlin aus dem Netz entziehen sich auch seine Lieder dem öffentlichen Zugriff. Das gehört meiner Meinung nach geändert, und ich bin froh und glücklich, dass ich einige von ihnen in einer ganz privaten Akustiksession wieder einfangen durfte. Lina Liebhund, mittlerweile weithin konzerterprobt und auf Menschen mit Gitarre positiv konditioniert, war übrigens auch dabei.
Meinen jo_berlin-Lieblingssong Zusammen spielt Jo_Hannes allerdings nicht mehr. Das ist aber nicht schlimm, denn es ist ihm gelungen, mir stattdessen einen neuen Lieblingsfloh ins Ohr zu setzen, der eigentlich schon ein ganz alter ist: Forbidden Land mit seinem unwiderstehlichen „Time is a painter/to paint it on you“-Refrain aus Jos Grunge-Phase Mitte der Neunzigerjahre. Versuchen Sie mal, dieses Lied wieder loszuwerden: Keine Chance!
Warum er Zusammen nicht mehr spielt, weshalb der Lebenszyklus seiner Songs ganz allgemein inhaltsbedingt ist und was aus jo_berlin geworden ist, können Sie in diesem Interviewportrait nachlesen. Dazu gibt es nicht weniger als sechs Songs, vom Stevie-Nicks-Cover über Jos englische Phase bis hin zu, natürlich, den jo_berlin-Songs. Und wenn Sie dann die Lust überkommen sollte, mit ihm Musik zu machen, schreiben Sie ihm einfach eine Mail hierher, denn Jo sucht zurzeit einen musikalischen Side-Kick. Sie wird definitiv gelesen und weitergeleitet. Erst einmal aber viel Spaß mit dem am 22. Juli geführten Interview!
Klangverführer: Meine erste Frage ist ein bisschen off-topic – und wenn du willst, auch off-record : Als wir den Termin für dieses Interview vereinbart haben, hast du mir erzählt, dass der 22. ein besonderer Tag für dich ist – und nun bin ich natürlich neugierig, warum das so ist.
Jo_Hannes: Weil ich am 22. geboren bin, im Februar, und die Zahl in meinem Leben immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen auftaucht. Meine Ehemalige hatte am selben Tag Geburtstag wie ich, wir haben in der Nummer 22 gewohnt in der Irenenstraße Lichtenberg … Meine jetzige Lebensgefährtin hat am 22. Mai Geburtstag, und ich bin auch fest davon überzeugt, dass der 22. Oktober der Tag sein wird, an dem unser Kind geboren wird! Diese Zahl taucht einfach immer wieder auf, es ist halt eine Schnapszahl, und dass sie für mich diese Bedeutung hat, hat sich so ergeben, bis hin zu Dingen wie beispielsweise … Als es die Domain zweiundzwanzig.net gab, da haben wir die wildesten Spielchen gemacht, zum Beispiel ein riesengroßes Fotoalbum, wo alle Hausnummern 22, die uns in Berlin unterkamen, drin waren und dann irgendwelche Dinge dazu spintisiert, aber auch recherchiert, was da tatsächlich stattgefunden hat. Es hat sich so eingeschliffen, mit der Zeit. Heute hat es auch nicht mehr die Bedeutung, die es mal hatte, aber die 22 ist eben einfach immer noch da.
Dann hoffen wir mal, dass sie auch ein gutes Omen für dieses Interview ist. In dem soll es ja nicht um Schnapszahlen gehen, sondern um deine Musik. Du bist ja als jo_berlin schon so manches mal durch meinen Blog gegeistert – allerdings nicht nur durch meinen, sondern vor allem auch durch deinen schönen MySpace-Blog, der seit einiger Zeit nicht mehr online ist. Und genau darum bin ich hier, denn ich will wissen, was ist aus jo_berlins MySpace-Seite geworden, was aus den Liedern, die man da hören konnte, kurz: Was ist aus jo_berlin geworden?
Ja, das ist ein bisschen indifferent, weil jo_berlin ist entstanden, als ich 2004 hierher gezogen bin. Mit den deutschen Texten ging es schon ein bisschen vorher los, aber so richtig hat das erst hier angefangen und war eigentlich längst überfällig: Für einen Nicht-Native-Speaker, der nur Englisch singt, ist das ab irgendeinem Punkt grenzwertig. In der Band, in der ich gespielt hab, kam zwar der Gitarrist aus Manchester, mit dem habe ich Sachen überarbeitet, aber es ist dann doch eine andere Art, sich in der Muttersprache auszudrücken. Ich habe noch in meiner alten WG in Gustavsburg (Hessen) so einen Ur-Moment gehabt, als ein Stück entstanden ist, das diese Zeit dort, diese Menschen und das alles beschreibt … Es heißt Die Torte. Wir haben damals mit dem Trio den letzten Auftritt gehabt, und meine damalige Freundin kam aus Berlin mit einer riesengroßen Torte, auf der Portraitfotos und so drauf waren. Jedenfalls, der Gig ist ausgefallen, weil diese Location an dem Abend feuerpolizeilich nicht zu bespielen war, und dann sind wir eben mit ich-weiß-nicht-wie-vielen Leuten in der WG bei uns eingefallen und haben dort ziemlich getagt, und am Ende hat sich dann irgendwie der Satz ergeben „Die Torte ist gegessen, doch es kommt immer noch Besuch“, und daraus ist ein Stück geworden. Es gab daraufhin so ein Echo, und die Beteiligten haben alle gesagt, warum machst Du das in Zukunft nicht immer auf deutsch? Früher habe ich immer gedacht, deutsch zu singen ist ganz ganz schwer. Es gibt ein paar Lieder, die echte Ikonen sind, wo das ziemlich gut gelingt, und es gibt ein paar Leute, die ich ziemlich mag für das, was sie mit Musik im Zusammenhang mit deutscher Sprache machen, das komplette Spektrum von Heute hier, morgen dort bis zu Nils Frevert, der ganze Weg ist damit mal abgeschritten, aber für mich selbst hatte ich lange nicht das Gefühl, dass das in irgendeiner Form funktioniert – und das hat sich mit diesem Stück aber gelegt.
Und dann habe ich mit Mac, einem ganz alten Freund, der bei uns in den Bands immer als Ersatzgitarrist am Start war und mich in dem Trio auch manchmal auch an der Gitarre verstärkt hat (denn wenn man Gitarre spielt und dazu singt, wird es einfach dicker, wenn man noch einen zweiten Mann mit auf die Bühne stellt!), mit dem habe ich dann jedenfalls im Proberaum ganz locker angefangen, er hat gespielt, und ich habe geschrieben, während er gespielt hat, und innerhalb von drei, vier Wochen hatten wir dann drei, vier Songs fertig, die wirklich etwas hatten, das mich selbst überrascht hat. Eigentlich ist es schade, das von diesem tollen Moment nur das Nie mehr geblieben ist, da spielt er auch Gitarre. Als ich dann hierherkam, war jedenfalls klar, wenn, dann nur in der Muttersprache, und die Sachen, die dann über die Jahre in der Irenenstraße mit der Achtspur entstanden sind, die sind alle davon geprägt, dass es ein totaler Einschnitt war: dass sich mein Leben völlig verändert hat mit dem Hierherkommen, die ganze berufliche Situation anders war und überhaupt alles, was da so auf einen einströmt. Es war ein Teil davon, das alles zu verarbeiten. Zum Beispiel die Lichtenbergbeschreibung Unter einer Decke, da fließt das alles so ineinander mit den privaten Sachen, es war halt eine sehr bewegte Zeit und ich habe mich darüber ausgedrückt. Es ist schade, dass diese Sachen live einfach nicht kompatibel waren.
Und der Blog, nach dem du gefragt hast, ist so entstanden, dass da 2007 diese MySpace-Seite schon herumstand und das dort irgendwie vorgefertigt ist, und ich dann 2010 in der Trennungsphase von meiner damaligen Freundin einfach weit weit weit auf mich selbst zurückgeworfen war und versucht habe anzufangen, solche Dinge wieder zu tun, die in den Jahren vorher hinten runtergefallen sind, und da gibt es für mich eben nicht nur die Musik, sondern da gibt es auch das Schreiben. Und dieser Blog war in erster Linie eine Fingerübung, in zweiter Linie dazu das, das raus zu tun, was einen da umtreibt und was man in irgendeiner Art und Weise auch loswerden muss, um nicht an die Wand zu springen – und die Musik dazu hat sich immer ergeben! Zum einen über die Musikschelme von Radio Eins, da ist es teilweise passiert, dass ich da gesessen bin und etwas gedacht habe und die haben etwas gespielt, was exakt darauf passt, oder umgekehrt, dass ich Sachen gehört habe und die dann wieder Gedankenflüsse ausgelöst haben, die da im Blog aufgeschrieben sind. In erster Linie war das aber wirklich eine Fingerübung, ein Tagebuch, für die Leute, die in dieser Zeit ziemlich Anteil genommen haben, die aber dann doch nicht vor Ort sind. Die haben mich von überall begleitet, und bevor man dann 25.000 Mails oder Briefe verschickt, schreibt man dann so’n Ding. Da kamen dann auch Reaktionen, da rief mal jemand an. Den Zweck hat es erfüllt, und das ist auch der Grund, weshalb ich es rausgenommen habe, weil das einfach vorbei ist, die Phase ist rum und in dieser Form nicht mehr wichtig. Es ist dokumentiert, ich hab die Texte noch da, schließlich sind das so ein paar Kerndinge, die mich immer noch begleiten, von daher ist das nicht verloren, aber rausgenommen aus dem Netz einfach, weil es nicht mehr aktuell ist.
Küchenkonzert
Aber mit Verschwinden des Blogs sind ja nicht nur deine Texte, sondern auch die Musikstücke von jo_berlin verschwunden. Viele Leute, die mit Myspace nicht mehr zufrieden sind, gehen dann zu, was weiß ich, bandcamp oder reverbnation oder eröffnen einen Soundcloud-Account, während man die jo_berlin-Sachen ja gar nicht mehr im Netz findet, was ich persönlich als einen Jammer betrachte! Heißt das, jo_berlin war ein Projekt, das jetzt vorbei ist, oder ist jo_berlin schon ein bisschen mehr, eine Art alter ego?
Es ist ein Projekt gewesen, das mich ja nicht nur allein betrifft, sondern dass ich auch mit dem Tom geteilt habe, einem alten Zivildienstkollegen aus Aachen. Tom Enge firmiert mit seinem One-Man-Dancemusic-Projekt unter Boneanswer, ist für mich aber vor allem jemand, der mich geprägt hat. Als ich nach dem Abitur zum Zivildienst nach Aachen gekommen bin, hätte ich schon nicht mehr mit Musik irgendwo angeknüpft, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Da gab es so einen magischen Sonntag, als ich in das Pflegeheim kam, er hatte Wochenenddienst in der Hausmeisterei und saß da unten mit seiner Gitarre und einem kleinen Verstärker aus der Werkbank, und er hat da Sachen gemacht wo ich dachte, woah, was ist das denn, das möchte ich bitte auch können! Und sich dann so viele Jahre später wieder zusammenzusetzen, das war 2007 mit Zusammen, wir waren in Holland im Urlaub und sind dann bei ihm vorbeigefahren und haben das irgendwie gespielt, und innerhalb von einem Tag hat er das durchproduziert, und wir haben gemerkt, okay, das tut, und haben das dann so ein bisschen weiterverfolgt, aber … Ein „Ein-Jahrprojekt“ trifft es wohl am besten, wobei ich gar nicht sagen würde, es ist tot, denn Songs wie das Novemberticket und so, die werde ich mit Sicherheit auch weiter spielen, aber der musikalische Ansatz muss ein anderer sein. Meine Priorität liegt einfach darauf, das in Zukunft nicht mehr für mich, fürs stille Kämmerlein oder das Internet zu machen, sondern auch tatsächlich wieder aufzutreten. Das habe ich jetzt bei der Hochzeit, wo ich gespielt habe, gemerkt: Vor Leuten, die das wollen, was du da machst, das ist immer etwas ganz anderes; und ich habe da seit 2004 eine Riesenlücke, die ich gern demnächst wieder schließen würde.
Wenn du jetzt beschreibst, dass dein Blog und die jo_berlin-Lieder eigentlich eine Art Therapie waren, um Dinge, die passiert sind, zu strukturieren und zu verarbeiten, kann man dann davon ausgehen, dass sich der Privatmensch Johannes R. zu hundertprozent in jo_berlin spiegelt? Das käme für mich dem Anspruch von Wahrhaftigkeit in der Popmusik, den ich immer formuliere, dann schon sehr nahe …
Ich kann natürlich nur etwas schreiben, was in mir ist, was mich selber bewegt. Was ich selbst entwickle, das schreibt sich schon am Leben entlang. Manche Sachen sind aber auch ein bisschen weiter weg, zum Beispiel … das Stück, was du in der Vorbesprechung gemeint hast, wo es um Klischees ging, „muss sich niemand dafür schämen, dass heute wieder Kinder frieren“, das war so ein Satz, der wurde mir heftig vorgeworfen, dabei ist das tatsächlich so ein Ding, das entstanden ist, als so ein komischer Winter war, ich habe mich damals gerade in diese Busfahrerei hineingefummelt und angefangen, Berlin noch einmal aus einer komplett anderen Perspektive zu sehen, mit all dem Elend und jeder Sorte Krankheit, die da unterwegs ist, und allem, und deshalb ist es etwas gewesen, das mich beschäftigt hat, auch wenn diese sozialkritischen Sachen ja immer schwierig sind und so einen seltsamen Überbau haben, habe ich einfach versucht, das da hinzutun, mir gefallt das vom musikalischen sehr sehr gut – dass der Text „drüber“ ist, weiß ich selbst! Aber, da hat sich auch wieder gezeigt, es ist nicht alles authentisch bzw. autobipographisch, was ich schreibe, da gibt es manchmal Worte oder Sätze, die sich einfach einpassen und die in irgendeiner Art und Weise einfach eine Stimmung mitnehmen. Bei dem Nie mehr zum Beispiel ist das „an einem viel zu hohen Haken/hängt bedeutungslos ein Seil/fällt im Dämmerlicht ins Auge/in der Küche liegt ein Beil“. Im Zimmer bei einer bestimmten Beleuchtung hing eben noch die Strippe von einer Lampe runter, kurz vor’m Auszug, alles liegt brach, und dann guckt man da so drauf, das hatte schon was Galgenartiges! Und dann sind halt plötzlich solche Sätze da. Und ich habe mir irgendwann angewöhnt, die einfach aufzuschreiben, und manchmal ist das dann der Haken, an dem man einen ganzen Song aufhängt! Ich schreibe grundsätzlich relativ direkt auf Musik, die ich vorher aufnehme …
Das heißt, die Musik ist zuerst da?
Ja, ich kann es eindeutig andersrum nicht. Ich habe es diverse Male versucht, komplett fertige Texte zu vertonen, das geht für mich gar nicht. Die Musik wird aufgenommen, Ideen werden dokumentiert, und wenn sich dann eine durchsetzt, auch von der Struktur und vom Arrangement, dann setze ich mich wirklich mit der Achtspur hin, Mikro vorne dran, Block, Stift, und dann geht das fließend. Die meisten Sachen sind relativ kompakt gearbeitet, das heißt, wenn die Musik da ist und ich einen Text schreibe, dann versuche ich, das nicht zu unterbrechen, das kann auch schon mal ein oder zwei Tage am Stück dauern, wo hier dann auch die Tür zu ist. Je länger irgendwelche Pausen dazwischen sind, desto mehr verändert sich das, und häufig ist es so, dass es dann auch wieder wegkippt, weil diese ursprüngliche Stimmung einfach nicht zu erhalten ist.
Aber im Ganzen würde ich sagen, dass die jo_berlin-Sachen nicht tot sind, sondern es gibt welche, die sind nicht mehr aktuell, da habe ich den Bezug nicht mehr dazu, und es gibt welche, die werden weiter erhalten. Die Frage, die im Moment im Raum steht, ist eher, wie und auf welcher Plattform das weiter passiert. Mein sehnlichster Wunsch ist, dass es irgendwann mal einen Sidekick gibt. Es ist völlig egal, was für ein Instrument; ich habe beispielsweise eine Nachbarin, die ziemlich musikalisch ist, die kommt aber eher aus der klassischen Ecke, und wir jammer hier manchmal so rum, mit dem Akkordeon oder der Melodica, wie bei Wunder dieser Tage, das sind dann einfach diese drei Chords, die das Ganze rund machen, die das noch ein bisschen farbiger machen. Und das braucht es einfach, um die Sachen live aufzuführen, weil ich … ich bin nicht Ani DiFranco! Ich bin kein gelernter Gitarrist, dieses Instrument war immer Vehikel, und nach dreißig Jahren kann man es halt soweit, dass man Dinge umsetzen kann, aber ganz alleine ist mir das zu wenig.
Jo spielt. Lina lauscht.
Was ich jetzt auch bei der Hochzeit gehört habe, als ich diese Cover-Sachen gemacht habe mit einem alten Freund und Studienkollegen, der ad hoc in der Lage ist, zweite Stimmen zu singen, das sind wirklich Gänsehautmomente, wenn zwei Leute sich dann auch tonal auf die Art und Weise ergänzen, dass man das Gefühl hat, hier wird es gerade stimmig. Mit diesem Fokus mache ich die Sachen, die ich jetzt gerade mache, die Songs die ich gerade neu schreibe: Dass ich in der Lage bin, das umzusetzen, aber dass dann, wenn noch jemand dazu kommt, der das noch ergänzt, es dann in einer kleinen smoothen Angelegenheit auch einfach live umzusetzen ist, ohne dass man jetzt … Wie gesagt, Band ist immer so ein Ding, das wird auch gleich ein großer Transport und ein Haufen Kram, und vier Leute zu organisieren ,das sehe ich gar nicht. Sondern ein Format mit noch einem weiteren Menschen, der idealerweise auch mehrere Sachen kann, sich auch mal auf das Cajon setzt und einfach einen Rhythmus vorgibt oder so etwas in der Art. Was genau, da bin ich völlig offen.
Wenn du diesen Sidekick gefunden hast – soll das immer noch unter dem Etikett jo_berlin laufen oder bricht dann eine neue Zeitrechnung an?
Das weiß ich nicht. Ganz ehrlich, das kann ich noch nicht sagen. Auch unter der Berücksichtigung der Frage vorhin, was da im Netz steht bzw. nicht mehr im Netz steht und wie das im Netz steht … Ich finde das auch schade, dass die jo_berlin-Sachen so verlorengehen. Ich habe aber angefangen, meine Technik mal wieder auf einen neueren Stand zu bringen und kann schon so viel sagen: Es wird eine Website geben, die dann unter jo_berlin läuft oder auch unter was anderem …
Diese Sozionauten-Geschichte?
Ja, das ist eine Domain, die ich schon ziemlich lange habe und die ich dafür gegebenenfalls reaktivieren werde, das ist der Gedanke, mit dem ich im Moment spiele; aber auch diese jo_berlin-Sachen würde ich dort durchaus ins Archiv packen, denn es geht mir darum, dass das auch zugreifbar ist für Leute, die das mögen, die das hören wollen und das Ganze einfach auch frei ins Netz zu stellen – wie das Netz halt gestrickt sein sollte, das ist schon die Idee dabei! Ich hatte ein ganz witziges Erlebnis bei dieser Hochzeit gehabt: Wir haben damals zum vierzigsten Geburtstag des Bräutigams mit dem Trio im Wohnzimmer gespielt, richtig mit Kontrabass und so. Die Familie stammt ursprünglich aus Goa, er ist Inder, und das war vor acht Jahren das letzte große Fest, wo seine ganze Familie aus Indien hierherkam. Und als wir jetzt auf seiner Hochzeit gespielt haben, habe ich einen von diesen alten Songs allein gemacht. Später in der Nacht stand ich am Tresen, und dann kam der Cousin des Bräutigams und meinte, „It was so nice, I know this song, we kept the CD that you gave to us eight years ago and we are still listening to it”. Und das war so ein Moment, wo ich dachte: Das ist genau das, warum man das macht. Der Gedanke, dass irgendwo in Bombay Menschen sitzen, die man einmal getroffen hat, und die sich das ab und zu mal im Wohnzimmer auflegen, weil sie da Lust drauf haben – das ist ein ziemlich schöner Gedanke! Und es mit den Sachen wieder dahin zu bringen, dass sie verfügbar sind, dass sie greifbar sind und jeder damit machen kann was er will … Für neue Sachen würde ich das schon einschränken, dass es nämlich ein Traum wäre, das nicht mehr nur selber zu produzieren und offen ins Netz zu stellen, sondern vielleicht den Schritt weiter zu gehen und im Studio mal zu arbeiten und das gegebenenfalls zu verlegen … Das wäre der Traum, aber das ist im Moment ganz ganz weit weg.
Im Moment suchst du also erstmal, wenn ich dich richtig verstanden habe, einen Mitstreiter für Live-Auftritte – oder auch mehrere Mitstreiter?
Ich bin da nicht limitiert! Ich nehme auch eine eingespielte Rhythmusgruppe, die sagt, das finde ich toll. Und mit Sicherheit wäre es auch dem, was ich im Moment mache, der Idee, näher, wenn es jemand wäre, der Percussion macht, und jemand, der einen Kontrabass spielen kann, als jetzt ein „vollwertiger“ Schlagzeuger und ein E-Bassist – aber auch das! Denn so sind diese Trio-Sachen entstanden, die wir damals gemacht haben, aus Songs von mir, die schon da waren, und dann haben wir im Proberaum gestanden und das Ganze schneller gemacht und das klang auch – weil eben die beiden so gut miteinander konnten und ich mich da nur noch draufsetzen musste. Ich bin da relativ offen. Aber aus der Erfahrung heraus würde ich sagen, der Bandansatz – verstärkt und laut – ist einfach auch mit so vielen Umständen verbunden, angefangen beim Proberaum. Zudem ist Berlin randvoll mit so vielen Auftrittsgelegenheiten, ob das nun beim Achim (gemeint ist Seuberling mit Sepp Maiers 2Raumwohnung, die Red.) ist, ob das nun im Zimmer 16 ist, wo man eben genau die Sorte Musik, wenn man sie halbakustisch spielt, ziemlich gut präsentieren kann und das finde ich auch so ganz ganz toll, dass man hier das bekommt, was sonst so schwer zu generieren ist: nämlich ein Publikum, das sich auch auf fremde Sachen einlässt, das eben genau das will und das auch entsprechend reflektiert. Die Idee, die Konzeption geht also tatsächlich schon genau dahin, die kleine Bühne entsprechend zu bespielen. Das muss dadurch nicht weniger Druck haben.
Es kann also gern eine Rhythmusgruppe sein. Auf der anderen Seite: Wenn jemand da ist, der, keine Ahnung, Akkordeon, Geige, Trompete, was-auch-immer spielen kann … Das sind alles so viele Farben, und ich hab es auch immer so gehalten, dass Leute kamen, die irgendetwas beigesteuert haben, und man sieht schon relativ schnell, wo das hinpasst und welche Richtung das nimmt, und in dem Moment macht man es halt auch zusammen. Es ist nicht meine Idee zu sagen, hier ist die Vorgabe, so muss das klingen! Sich die Songs auch wieder mit anderen zu erarbeiten, das ist es, was es am Ende ausmacht.
Um nochmal auf die Rhythmusgruppe zurückzukommen: Du hast mir geschrieben, die Trio-Formation sei, ich zitiere, „nun mal immer noch die einzige ehrlichste, ursprünglichste und arschgeilste Rockbesetzung“ …
Da war aber das Wort „Rock“ relevant. Das hat einfach damit zu tun, dass ich in einer Zeit großgeworden bin, wo es auch unglaublich viel Pompöses gab, von Kansas über Styx und wie sie alle hießen, diese große Oper eben. Wir haben Meat Loaf geliebt und die dicke Inszenierung, aber was mir jedesmal, bis heute, die Schuhe auszieht, ist eine brottrockene, richtig kantige Trio-Besetzung, die das dann halt rüberbringt. Ich will jetzt Hendrix gar nicht anführen, sondern meine Urerlebnisse in den späten Neunzigern und frühen Nullerjahren: Chris Whitley. Das ist ein Texaner aus Austin, ein ganz spilleriger Kerl, der spielt Resonator-Gitarren, bzw. hat sie gespielt, denn er ist leider vor ein paar Jahren mit nur 45 an Lungenkrebs gestorben, und der hat seine Gitarre auf eine Art und Weise bearbeitet, wie ich das vorher noch nie gesehen habe, mit roher Gewalt, mit offenen Stimmungen … Der konnte live auftreten, alleine, mit einem DJ, mit einer Band – ich glaube, ich hab ihn zehn, zwölf mal live gesehen, einmal nur mit ‘nem Brett, mit ‘nem Tonabnehmer drunter und ‘nem Holzklotz, wo er sich selbst mit dem Holzschuh den Beat drauf gegeben hat … das hatte eine irrsinnige Kraft! Und dieses Ursprüngliche, was der macht oder gemacht hat, war einfach nicht dazu ausersehen, filigran zu sein, sondern da quietscht und knackt und knarrt es. Ein anderes Urerlebnis mit einer Trio-Besetzung waren Police, wo ich gemerkt habe, was mit drei Leuten so passiert. Und wenn man das dann selber macht … Wir haben früher ja auch zu fünft Rock gespielt. Aber als das dann zu dritt losging, habe ich gemerkt, was das für eine komfortable Position ist für einen Gitarristen – jetzt mal den Gesang außen vor gelassen –, sich einfach auf so ein … das ist wie ein Surfbrett, auf das du dich drauf stellst. Eine gut rollende Rhythmusgruppe ist … da kannst du fast nichts mehr verkehrt machen! Und in manchen Momenten gibt es da Felder, wo man losgelegt und sich angeguckt und dem irgendwie nachgespürt hat, denn das ist nicht alles ausarrangiert gewesen, und das hat auf einem Mal unheimlich gegroovt und hat unheimliche Füße gehabt! Kein zweites harmonisches Instrument zu haben bedeutet in dem Moment, dass eine Reglementierung aufgehoben ist, wo zwei Leute sich abstimmen müssen, wo irgendwas geklärt werden muss … und dadurch wird das viel viel freier. Gitarrenspieler – ob das nun Hendrix ist, ob das Clapton ist bei den alten Cream-Sachen – die tun in der Trio-Besetzung Dinge, die sie nicht machen würden, wenn ein zweiter Gitarrist oder ein Keyboarder da wäre. Da kommt diese Erkenntnis her: Das ist das Ursprünglichste, das ist die Wurzel von allem. Man kann das dann aufpumpen, man kann das produzieren und tun, aber selbst … selbst Mötörhead sind zu dritt immer besser als zu viert. Alles Unnötige weg, reduced tot he max, das sagt mir am meisten zu, das geht mich am meisten an.
Okay, ich sehe schon, es läuft wieder alles auf das Trio hinaus!
Jein. Nee, gar nicht mal. Denn was ich da jetzt bei der Hochzeit mit dem Olli gemcht hab‘, diese Cover-Sache, das war total schön. Es gibt da ein Portfolio an Songs, die sind alle relativ simpel, die haben wir uns hin- und hergeschossen, jeder wusste, was kommt – und dann steht man zusammen im Proberaum und macht die – und dann kommen ganz ganz ganz andere Sachen dabei heraus, als man eigentlich geplant hat. Er ist Keyboarder und spielt auch Gitarre, und wir haben zum Beispiel „Leavin‘ On A Jet Plane“ covern wollen und haben das zweimal gespielt, er singt ‘ne schöne zweite Stimme dazu … und es ist sofort im ersten Moment klar: Das geht gar nicht. Das war einfach zu ernst gewollt, und wir sind halt nicht Peter Paul & Mary. Wir wollten das Stück dann schon weglassen. Dann ist eine kurze Pause entstanden, ich war mal kurz draußen, und als ich wiederkomme, spielt Olli so einen Jazz-Standard auf der Gitarre, und ich hab da nur gestanden und auf den Text geguckt, das Metrum angehört und dann einfach angefangen, den Text da drauf zu singen – und das hat auf einmal funktioniert! Und so haben wir das Stück dann auch gespielt. Die Interaktion zwischen zwei Leuten ist wesentlich; nicht, ob das jetzt eine Rhythmusgruppe ist oder irgendwas, sondern ein anderer Input noch von jemandem, der noch einmal eine eigene Farbe drauf tut, weil – und das ist der andere Punkt – Kritik und Anmerkungen immer etwas sind, was einen weiterbringt, was einem eine andere Perspektive aufs eigene Schaffen eröffnet, zu der du selbst gar nicht in der Lage bist! Ich hatte immer das große Glück, von Leuten umgeben zu sein, die sich nicht nur gut auskennen, sondern die auch kein Blatt vor den Mund nehmen und die wissen, dass ich niemals böse bin, wenn man mich kritisiert. Zum Beispiel die Aussage, komm mal von dem Quintakkord runter, denn viele Dinge in deinen Stücken fangen sonst an, sich zu ähneln – das habe ich eine Zeitlang sehr oft gehört; und es ist eben viel einfacher, so etwas zu vermeiden, wenn man im Austausch mit jemandem steht, der sich da mit einbringt.
Wobei ich es gar nicht schlimm finde, wenn sich Dinge ähneln, von wegen Wiedererkennungswert und so …
Das ist richtig. Musikalische Farbe ist etwas Tolles, aber der Wiedererkennungseffekt bei dem, was ich mache, kommt schon ziemlich stark über den Text. Wenn das hier passiert, dann stört mich das überhaupt nicht. Auch wenn man gegebenenfalls was vorliest – es gibt da ja so schöne Experimente, Songtexte ohne Musik oder so etwas, und wenn jemand sehr direkt sagen kann, das hört sich jetzt aber sehr nach dem an, das finde ich dann okay.
Du hast uns jetzt erzählt, woher du musikalisch kommst und auch, wohin du willst und gegebenenfalls auch, mit wem. Was wir jetzt noch wissen wollen: Was können wir denn gleich von dir im Küchen- bzw. Wohnzimmerkonzert hören?
Das weiß ich noch nicht …
Oh, darf ich mir was wünschen?
Wenn es allein umsetzbar ist … Ich hätte jetzt von mir aus das Novemberticket gespielt, weil ich das einfach furchtbar gern spiele, auch wenn es überhaupt nicht in die Jahreszeit passt, aber, auf der anderen Seite, so wie der Juli ist, kommt es ja schon fast wieder hin!
Ich mag dein Gitarrenspiel auf dem Novemberticket sehr gern, lass uns das machen! Ich persönlich würde aber am liebsten Zusammen hören, mein absolutes Lieblings-jo_berlin-Stück, falls sich das umsetzen lässt …
Das spiele ich einfach überhaupt nicht mehr.
Schade!
Ich habe kürzlich das Back-up von der Achtspur gemacht – der Grundrhythmus davon lag da ewig noch drauf – und habe mir das dann in der Urversion nochmal angehört und die Akkorde rausgefummelt, die würde ich halbwegs hinkriegen, aber als ich es dann nochmal gespielt und den Text dazu gesungen habe, habe ich auch gemerkt, dass da bei mir überhaupt nichts mehr passiert, weil dazu eine unheimliche Distanz da ist. Der Song beschreibt eine Situation, ein Lebensgefühl, eine Konstellation und vor allem ein Vertrauen darein, das derartig nachhaltig zerstört ist, dass mir da jetzt einfach die Brücke hin fehlt. Das ist schade, und wenn es jetzt wieder eine Website geben wird, werde ich den Song dort sicherlich im Archiv zur Verfügung stellen, aber selber spielen werde ich ihn nicht mehr.
Das heißt, Songs sind bei dir dann doch tagebuchartige Momentaufnahmen, und wenn die Stimmung vorbei ist, sind auch die Songs durch und abstrahieren nicht davon …
Nicht, wenn die Stimmung vorbei ist, nein. Die Stücke haben einen Lebenszyklus, und der generiert sich im Wesentlichen aus dem Bezug zum Inhalt, auch wenn das Sachen sind, die abstrahiert wurden, die um die Ecke gedreht sind oder wenn da mal eine Geschichte anders ausgeht, als sie wirklich ausgegangen ist. Aber im Kern … meinetwegen beim Novemberticket, wo es darum geht, wie ich mich hier in den ersten Tagen gefühlt habe, wie das war im ersten Winter, kein Job, wie geht das weiter und diese ganzen Sachen. Das kann ich immer noch spüren, dazu habe ich immer noch einen Bezug. Aber wo dann meine ehemalige Beziehung einfließt und wie dann dieser ganze Traum geplatzt ist, das geht mir heute eher ab. Stattdessen würde ich dir lieber eins spielen, das heißt Keine Bilder, das ist entstanden Jahre nach dem Tod meiner Eltern, an einem Tag, wo sie aber auf einem Mal im Raum waren und ich das auch habe laufen lassen. Und das ist etwas, da weiß ich, das werde ich immer spielen, weil es einfach etwas ist, was ich immer in mir trage. Es geht so ein bisschen in die Richtung wie geht es weiter. Und dann gibt es Sachen, die sind heiß, die möchte man nicht anfassen, die schmecken bitter, die möchte man nicht essen … so ähnlich ist das auch mit Zusammen, und ich glaube, das bestimmt den Lebenszyklus von Sachen am ehesten. Es gibt zum Beispiel ganz ganz ganz alte Sachen von mir, die ich immer noch spiele, weil ich sie mir präsent machen kann. Und ich merke, dass Gesang auch nur dann funktioniert, wenn ich nachspüren kann, wenn ich es abschreiten kann wie so eine Landschaft. Wenn ich da kein Bild habe, wird es auch nicht gut. Und das ist das Wesentliche. Ich respektiere es total, wenn Leute ihre alten Songs nicht mehr spielen wollen. Ich war 2010 … wie hieß diese Single damals von Wir sind Helden? Das letzte große Ding, was sie gemacht haben, das passte genau in die Zeit … und ich habe eine Karte gekauft, bin nach Mainz gefahren und auf deren Konzert gegangen, das war eine tränenreiche Angelegenheit, und die haben genau die Nummer, die damals im Radio echt rauf- und runterging, nicht gespielt. Und im ersten Moment wollte ich irgendwie sauer sein, aber dann bin ich da raus und habe gedacht, ja, so wie das Konzert gelaufen ist, wie die da jetzt untereinander waren, hätte das einfach nicht gepasst, da nochmal so einen Tropfen Wermut reinzuschieben, und das dann einfach zu lassen, finde ich völlig legitim, völlig in Ordnung!
Videos von Keine Bilder, Die schönste Geschichte der Welt und natürlich Novemberticket finden Sie auf dem YouTube-Kanal von Klangverführer. Viel Freude damit!
Und wer mit Jo_Hannes Musik machen möchte, sollte daran denken, uns eine Mail hierher zu schreiben. Vieleicht hören wir uns ja bald im Klangblog?
Kommentare deaktiviert für Klangköpfe # 2: Das schreibt sich schon am Leben entlang. Singer/Songwriter Jo_Hannes zwischen Ur-Momenten und alter Achtspur
Als ich vor gut zwei Jahren zur (Pop Up nach Leipzig gefahren bin und dabei auch auf den Spuren meiner Eltern wandelte, die sich dort als hoffnungsvolle junge Kunststudenten kennen und lieben lernten, was bedeutet, dass es mich ohne Leipzig gar nicht gäbe, war ich so geflasht von der Stadt, dass ich mir geschworen habe: Irgendwann ziehe ich dahin. Mein aktueller Leipzig-Besuch hat das damalige Gefühl nochmals bestätigt: Leipzig ist ein wunderbarer Ort zum leben und – freiberuflich – arbeiten! Irgendwann ziehe ich dahin.
Ja, das Notenschlüsselgrafitto in der Hardenbergstraße gibt es immer noch. Neu ist Kopfhörerhundnachfolgehund Lina …
… was sie allerdings nicht davon abhält, gleich mit den Thomanern zu singen!
Darüber hinaus ist Leipzig ein wunderbarer Ort, um Kopfhörerhundnachfolgehund willkommwn zu heißen und behutsam an sein künftiges Großstadtleben zu gewöhnen. Gestern noch im Tierheim, heute schon, nein, nicht auf unserer Showbühne, aber mittendrin im Städtetrip! Während Berlin immer aggressiver wird, ist Leipzig herrlich entspannt, die Menschen sind nett, das Bier billig … Herz, was willst du mehr? Zum Beispiel einen relaxten Abend unter Freunden, die ganz nebenbei auch noch gute Musik machen, denn das ist der eigentliche Grund unseres Aufenthaltes hier: Endlich einmal den Ambient Folk des Alma Church Choirs von Lieblingsgitarrist Andreas Laudwein, der mit Cat Ten Years ein kleines Lieblingsalbum gemacht hat, live zu sehen respektive hören. Und da das in Berlin nie geklappt hat – Prophet und Berg und so.
Auch das übrige Line-up des Abends, zu dem Maler und Musiker Peter Piek im Rahmen seines diesjährigen Atelier-Sommerfestes geladen hat, war ein gutes Argument für die Reise, aber was sag ich da eins, viele gute Argumente waren es, viele! Nicht nur, dass sich der mir von Kitty Solaris via Facebook wärmstens empfohlene Lasse Matthiessen als Überraschungsgast angekündigt hat, auch der geniale Gitarrenzerstörer Ian Fisher ist ebenso mit von der Partie wie die mit Laudwein tourende Lina Paul; und dann wären da noch Jona Byron, Squalloscope und das experimentelle Weird-Folk-Electo-Duo SignA, die ich alle erst an diesem Abend kennenlerne – ganz zu schweigen vom Gastgeber selbst, der mit seinen großzügig zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten nicht nur für eine ebenso relaxte wie inspirierende Atmosphäre gesorgt haben, sondern sich im weiteren Verlauf des Abends auch als wahrer Mulitinstrumentalist erweisen soll.
Gleich geht’s lo-hos! Gleich geht’s lo-hos!
PPZK = Peter Pieks Zentrum für Kultur = Galerie. Sammlung Zeitgenössicher Kunst. Tonstudio. Kommunikationsplattform
Mama’s got a brandnew dog! Lauschen, lümmeln, liebsein – Lina macht ’nen tollen Job. Und überzeugt damit selbst passionierte Katzenfreunde
Nicht zuletzt ist dieser Abend der erste „Arbeitstag“ von Kopfhörerhundnachfolgehund Lina, nom de guerre fortan: Lina Liebhund, denn Kopfhörerhundnachfolgehund, das müssen Sie zugeben, ist ja kein Zustand!, die das Ganze total gechillt aussitzt, genauer: ausliegt, dezentes Schnarchen inklusive, wie man hier hören kann:
Von Fell-Linas Geatme abgesehen – denn die Dame im roten Rock aus dem Video heißt auch Lina! – portisheadet das Stück Laudwein-typisch vor sich hin, es geht wohlig depressiv und wunderschön zur Sache, Lina Paul an der Melodica ist ein würdiger Ronny-Seiler-Ersatz, und ich liebe liebe liebe es!
Nicht minder schön und überraschend ruhig: Laudwein und Ian Fisher – die Simon&Garfunkel-Nummer hat diese Paarung auch drauf! Wobei, was heißt hier nicht minder, ihr Harmoniegesang auf der Alma-Church-Nummer „Not This Kind Of Man“ ist einfach zum Niederknien schön! Auch, wenn ich mich wiederhole und Sie damit eventuell langweile: Ich liebe es, und selbst das Steuermarkengeklimper des mitten im Song zappelig gewordenen Liebhundes tut dem keinen Abbruch. Es geht doch nichts über eine authentische Live-Atmo!
Aber keine Angst, Fisher – dessen kommendes Album gerade von Laudwein gemixt wird – soll im Verlauf des Abends noch gewohnt durchdringend werden, sodass ich Lina Liebhund, die im Gegensatz zu Kopfhörerhund nicht taub ist, zum großen Amüsement des Publikums die Ohren zuhalten musste! Aber auch das meisterte sie mit Bravour; mein Fehler allerdings war zu glauben, ich könne das Hundetier als Stativ nutzen – jetzt haben die Videos leichten Seegang. Okay, stellenweise auch starken, wie beispielsweise bei diesem sehr bethgibbonsesken Lina-Paul-Song, da ist mehr Rock als Kopf zu sehen, sorry dafür! Der Soundspur tut dies glücklicherweise nicht allzu weh:
Haben Sie diesen unglaublichen Stefano Schiavo Campo an der Gitarre gehört? Und sind Sie ebenso begeistert wie ich? Noch mehr zu sehen und zu hören, genauer: Solo-Videos von Ian Fisher, Squalloscope und Gastgeber Peter Piek, der, gemessen an seiner Sprechstimme, eine völlig erstaunliche Gesangsstimme hat, finden Sie im Klangverführer-Videokanal auf YouTube. Die Künstler, die ich nicht gefilmt habe, können Sie hier und hier und hier sehen und hören. Ach ja: Videos gucken entbindet Sie natürlich nicht von der Pflicht, die Künstler zu unterstützen und deren CDs zu kaufen. St. Google wird Sie schon zum richtigen Ort führen. In diesem Sinne: Eine schöne Urlaubszeit!
SignA
P.S.: Da ich ja nun leider wieder zurück in Berlin bin, habe ich für die kurzentschlossenen Hauptstädter unter Ihnen einen Tipp: SignA spielen morgen um 20:30 Uhr in den Neuköllner Gelegenheiten, Weserstraße 50. Wenn ich es schaffe, komme ich auch und hole hier versäumtes Filmen nach. Und wenn Sie wollen, können Sie bei dieser Gelegenheit Kopfhörerhundnachfolgehund, pardon, Lina Liebhund, live treffen.
Nachtrag vom 13. Juli: Leider schaffen wir es nicht zur Show. Aber Sie gehen ja ohnehin nicht wegen Lina Liebhund, sondern wegen der Band hin. Und das sollten Sie trotz des Regens tatsächlich tun – es lohnt sich, versprochen!
Liebe Klangblog-Leser, ich hatte gestern mit Tobias Preisig im A-Trane einen wunderschönen Abend, den ich heute mit Ihnen teilen möchte – und zwar in Form dieser schönen Live-Mitschnitte. Preisig spielt hier seine von der Jeff-Buckley-Version inspirierte Interpretation des Leonard Cohen-Klassikers Hallelujah und „St. James Infirmary“, immer auf der Suche nach den naturgesetzten Grenzen des Geige. Mit ihm zu hören sind Stefan Aeby am Klavier, André Pousaz am Bass und Michi Stulz am Schlagzeug.
Weshalb Hallelujah als einzige Coverversion auf Preisigs aktueller CD In Transit gelandet ist, warum den Geiger Klang mehr interessiert als Töne und was das Ganze mit dem Atem der Geige zu tun hat, können Sie im Klangverführer-Interview lesen. Teil drei der Tobias-Preisig-Trilogie – nach Interview und Konzertausschnitt – folgt demnächst als CD-Besprechung auf fairaudio.de – und zwar als Platte des Monats Mai. Ja, der Mann hat mich beeindruckt …
Haben Sie ein schönes langes Wochenende!
Kommentare deaktiviert für Auf der Suche nach dem gerade noch hörbaren Ton: Tobias Preisig @ A-Trane