Persönlich, nicht privat. Johanna Borchert im Interview – klangverführer | Musik in Worte fassen

Persönlich, nicht privat. Johanna Borchert im Interview

Gestern und vorgestern Abend hat die Pianistin und Sängerin Johanna Borchert im A-Trane nicht nur ihr Album FM Biography vorgestellt, sondern so ganz nebenbei auch noch das Berliner Jazzfest, unter dessen Flagge die beiden Konzerte stattfanden, gerettet. Im Gegensatz zu Vielem, was ich auf der in Ehren ergrauten Veranstaltung gesehen habe, fand bei Borchert und ihren Mitmusikern Markus Pesonen an der Gitarre, Derek Shirley am Bass und Julian Sartorius am Schlagzeug etwas wirklich Neues, Anderes, Spannendes statt. Dem zuzuhören zu dürfen fühlte sich an, als sei man persönlich an der Weiterentwicklung des Jazz beteiligt und hinterließ ein Gefühl, wie ich es zuletzt nur noch bei Künstlern wie Tobias Preisig oder Initiative H hatte. Mehr davon, und um den Jazz wäre es besser bestellt!

Für ein Portrait im Berliner Stadtmagazin zitty sprach ich mit Johanna Borchert über die Krise des Jazz, die Überwindung von Genre-Grenzen und natürlich über ihr neues Album, das von vielen als ihr „eigentliches“ Debüt angesehen wird, da sie hier erstmals als Sängerin in Erscheinung tritt. Lesen Sie hier nun das gesamte Interview:

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Klangverführer: Vor elf Tagen ist dein Album „FM Biography“ erschienen. Welche Erwartungen hast du daran, welche Hoffnungen verbindest du damit?

Johanna Borchert: An allererster Stelle hoffe ich natürlich, dass es ganz vielen Leuten gefallen wird! Und ich hoffe, dass es ganz viele Menschen bewegen wird, und ich hoffe natürlich auch, dass es größtmögliche Aufmerksamkeit bekommt. Ich denke, es ist ein Album, dass so ein bisschen die Genre-Grenzen durchbricht. Man kann eigentlich nicht von einem Jazz-Album sprechen – vielleicht würde man besser „Avantgarde-Pop“ sagen! Und da ich ja aus dem Jazz komme und dort bekannt bin, hoffe ich, dass das Album diese Grenze überschreiten wird. Alle Leute, die ich kenne, denen ich das Album vorgespielt habe und die sonst keinen Jazz hören, die sind total begeistert – und das freut mich natürlich sehr! Da ist auch bei mir ein bisschen so eine Aufregung verbunden mit diesem Album, anders als bei anderen Alben, die ich gemacht habe, weil es eine neue Erfahrung ist.

Stichwort Berührungsangst vor Jazz als dem musikalisch komplexeren Genre abbauen…

Ganz genau, ich hoffe, dass das im Gegenzug auch passiert! Für mich sind diese Grenzen heutzutage nur noch etwas, was im Kopf besteht. Rein faktisch sind die Musikrichtungen heutzutage so ineinander verwoben, da kann man nicht mehr von Jazz oder Pop oder Rock reden, und schon gar nicht von E- oder U-Musik! Es hat sich alles so angenähert, da ist so viel Vielfalt entstanden! Ich hoffe, dass eine Zeit kommt, wo man mehr über die Musik spricht und wo andere Dinge zählen als Genre. Künstler wie beispielsweise Björk lassen sich ja auch nicht in Genres packen. Ich finde es schade, dass so viele zurückschrecken, wenn sie „Jazz“ hören. Viele Popbands zum Beispiel sind ja auch von Jazzmusikern gemacht. Ich glaube, viele verkennen auch, was da eigentlich an Knowhow und Expertise drinsteckt. Womit man, wenn man das dann aber in diese einfachere musikalische Form oder Ausdrucksweise bringt, auch etwas Neues schafft. Es gibt so viele interessante Künstler, auch in Berlin, die eigentlich Jazzmusiker sind, jetzt aber so eine Art Pop machen. Auf eine neue Art. Und diesen Hintergrund versteht man nicht, wenn man sich damit nicht näher beschäftigt. Ich hoffe, dass sich das normalisiert, dass man Musik mehr in Bildern beschreibt, dass andere Sachen wichtiger werden, wenn man über Musik spricht, als die Genres. Auch im Journalismus. Ich fände es schön, wenn man einfach beschreiben würde, was man da hat, was es ist. Klar, wenn man eine gute Referenz findet, kann man ruhig darauf verweisen, aber es wäre halt schön, wenn ein Begriff wie „Jazz“ nicht gleich schon im vornherein Vorurteile beim Leser weckt und er sich das Album deswegen gar nicht erst anhört.

Ich glaube ganz stark daran, dass Geschmack mit Gewohnheit zu tun hat. Dass Geschmack auch eine Bildungsfrage ist. Allerdings wird man sich, je verschulter diese Erziehung erfolgt, desto mehr dagegen auflehnen. Ich weiß noch, wie wir im Oberstufenleistungskurs in der Schule diese Luigi-Nono-Oper gesehen haben – und ich konnte damit nichts anfangen! Obwohl ich schon von Hause aus schon immer eine musikalisch sehr offene Person war. Erst wenn man selber aktiviert und interessiert wird, funktioniert das, dann kommt man von einem aufs nächste – und landet dann irgendwann beim Free Jazz und findet das total toll. Und es ist auch so: Du hörst da ein Stück im Radio, eine billige Pop-Produktion, und findest das gar nicht cool. Dann hörst du es noch fünfmal, und dann hat das im Kopf schon wieder einen anderen Stellenwert gewonnen. Man singt dann schon irgendwie mit. Und es geht nicht darum, dass man dann am Schluss diese Musik total toll findet (wobei das auch passieren kann), sondern man merkt richtig, wie das Gehirn funktioniert. Insofern glaube ich sehr daran, auch für den Journalismus, dass das Rezept, was in Bezug auf Musik immer funktioniert, Geschichten sind, die über Genres hinausgehen.

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Stört es dich, wenn man dich als Jazzpianistin und -sängerin bezeichnet?

Es kann den Effekt haben, dass die Leute mich dann in diese Schublade tun. Auf dieser CD (zeigt auf ihr aktuelles Album) bin ich das nicht. Da bin ich Singer/Songwriterin. Mit viel Avantgarde! Und auf einer anderen CD bin ich dann Jazz-Pianistin. Aber hier nicht. Und deswegen ist es doof, wenn man so benannt wird, das führt in die falsche Richtung.

Wie würdest du dich denn selber benennen, wenn du müsstest?

Man müsste sich je nach Projekt jedes Mal anders benennen. Ich würde mich einfach nur als Musikerin bezeichnen.

Ob die Leute dann das Album eher hören, wenn da nur von der Musikerin die Rede ist? Musikerin kann ja so viel sein, vielleicht glauben manche dann, dass du Barockes Geflöte machst … Ich glaube, zumindest im Moment braucht man die Genre-Labels noch zur Orientierung.

Ja. Aber vielleicht könnte man dann andere Adjektive finden, vielleicht könnte man schreiben … hm, schwierig …(überlegt) … die Berliner Songwriterin! Die eigentlich Jazzpianistin ist! (lacht) Oder: die Avantgardistin, wobei das auch nicht gut ist, denn so viel Avantgarde ist in dem Album nun auch wieder nicht drin!

Das ist ein Problem, was wir jetzt gar nicht lösen müssen. Genre-Labels hin wie her – wir müssen noch mal auf den Jazz zurückkommen, denn du wurdest ja eingeladen, Ende Oktober/Anfang November auf dem Jazzfest Berlin aufzutreten. Welche Bedeutung hat für dich das Jazzfest Berlin?

Es ist natürlich eine große Ehre für mich, dass ich da zum fünfzigsten Geburtstag spielen darf. Und ich freue mich auch, dass ich da als Berliner Musikerin spielen darf, weil da nur wenig Musiker aus Berlin vertreten sind, muss man sagen. Ich habe, ich glaube, es war 2011, mit meinem Duo Little Red Suitcase schon mal auf dem Jazzfest gespielt, das war ein wunderschönes Konzert mit zehn-minütigen Standing Ovations und einer super Stimmung, insofern freue ich mich, jetzt wieder da zu spielen. Und ich bin auch gespannt, wie die Leute da reagieren werden auf eine Musik, die ja nun nicht Jazz ist. Ich glaube, es total wichtig, den Jazz und das Jazzfest für andere Strömungen zu öffnen, sonst stirbt das irgendwann aus. Man kann das ja auch immer daran sehen, was die Leute, die heutzutage Jazz studieren, so machen, die machen ja nicht mehr den traditionellen Kram. Manche machen sehr verkopfte Sachen, andere ganz progressive, auch schwierig zu hörende Sachen, wieder andere gehen mehr so in den Pop oder verbinden das mit Elektronik … Es gibt ja so viele Möglichkeiten! Aber alle machen etwas, was darüber hinaus geht und fast keiner bleibt in dem traditionellen Jazz stecken, weil … das ist so wie Mozart spielen!

Ich weiß nicht, ob man Jazz nur als traditionell definieren kann. Er war ja immer auch Avantgarde, insofern ist alles, was über den traditionellen Jazz hinausgeht, auch Jazz!

Insofern verstehe ich mich auch als Jazzmusikerin. Nur wenn ich mich öffentlich als solche bezeichne, versteht das ja niemand, das ist das Problem. Und deswegen sage ich das so nicht. Jazz hat immer diese beiden Ebenen.

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„FM Biography“ wird gern als dein erstes „richtiges“ Debüt bezeichnet, weil du hier erstmals auch selbst singst. Wie ist es dazu gekommen? Dein Solodebüt „Orchestre Idéal“ war noch ein reines Klavieralbum …

Genau, Klavierspielen und mit Quartett und Duo Alben machen, das zählt ja alles nicht! (lacht) Ich habe schon immer gesungen. Aber eben nie als Frontsängerin. Ich hatte immer Sängerinnen in meinen Bands, insofern war das auch klar, dass die die Sängerinnen sind und ich nur die Backing Vocals mache. Ich hatte für diese Bands auch immer Songs geschrieben. Irgendwann dann habe ich Songs gemacht, die nicht mehr zu diesen Bands passten – und dann war einfach klar: Jetzt mache ich das mal selber. Das hat dann noch ein paar Jahre gedauert, ich habe mich ausprobiert, auf Konzerten und so, und jetzt war es dann eben soweit.

Wenn du sagst, dass das ein paar Jahre gedauert hat, heißt das, die Songs deines Albums sind auch schon vor ein paar Jahren entstanden?

Die ersten schon. Die letzten aber sind auch erst kurz vor Aufnahme der CD entstanden. Das erste Stück, das ich für das Album geschrieben habe, war „Wide Land“. Das passte einfach nicht mehr zu meinen anderen Bands. Es ist viel zu poppig! Wie so eine Michael-Jackson-Nummer, die man total groß produzieren könnte. Erst habe ich mich fast dafür geschämt, dass ich so ein Stück geschrieben habe, aber irgendwie fand ich es auch geil. Ich dachte, boah, Hammer, ich muss das machen – und ich muss das auch selber machen. Auf dieses Stück habe ich von meinen engsten Freunden so eine krasse, begeisterte Resonanz gekriegt, dass für mich bald klar war, ich habe hier irgendwie eine Perle geschrieben. Die kam einfach so zu mir. Klar war aber auch, das kann jetzt nicht die einzige bleiben. Ich wollte eine ganze Platte mit solchen Stücken machen. Dafür habe ich mir auch lange Zeit gelassen, und alles ist schon in diesem Geiste entstanden. Ich habe damals an verschiedenen Orten gelebt. Zuerst war ich drei Monate in Kalifornien, wo „Wide Land“ entstanden ist und auch Skizzen für andere Stücke. Es war wie eine Art Flow, der dort angestoßen wurde, den ich auf diese Art vorher nie hatte, der Anfang eines kreativen Inspirationsprozesses. Tatsächlich hat mich diese Erfahrung anders stimuliert als alle meine Erfahrungen vorher, weshalb daraus auch etwas völlig Neues entstanden ist.

Ich bin dann zurück nach Kopenhagen gegangen, wo ich weitere Songs geschrieben habe, aber der erste Song, „Wide Land“, ist wie so ein Schlüssel für die Platte. Als ich dann nach Berlin gezogen bin, habe ich die letzten Songs für die Platte hier geschrieben. Das Album ist eigentlich eine Reise. Wobei die konkreten Orte nur insofern eine Rolle spielen, als dass einen die Umgebung ja immer irgendwie beeinflusst. Letztendlich stehen sie aber nicht in direkter Verbindung mit den Stücken. Es ist mehr eine Reise durch die persönliche Gefühls- und Erfahrungswelt meiner Umgebung und jener vier oder fünf Jahre, in denen alles entstanden ist. Das heißt, dass verschiedene Geschichten meines Lebens aus dieser Zeit damit verwoben sind. Ich war in dieser Zeit auch in Indien; so ist beispielsweise „In A Grain Of Sand“ durch einen vedischen Text, den ich dort gelesen habe, inspiriert. Oder „Soulmates“, das durch die Begegnung mit einer schwedischen Wahrsagerin inspiriert ist. Man trifft halt viele Leute, wenn man Musiker ist, weil man an verschiedenen Orten seine Residenzen hat, und mein Album ist so eine Sammlung von diesen Orten und Eindrücken. Ich setze mich jetzt nicht gezielt hin und sage, ich will jetzt ein Stück darüber schreiben, sondern die Stücke kommen plötzlich zu einem, wie aus dem Nichts, ganz ähnlich wie Träume, bei denen man auch nichts weiß, warum man das jetzt geträumt hat. Wie etwas, das jetzt an die Oberfläche will, das sich so aufdrängt, dass man sich damit auseinandersetzen muss. Das ist dann natürlich Arbeit.

Das heißt auch, dass diese Platte eine extrem persönliche Platte ist?

Persönlich ist sie, privat ist sie nicht. Für mich wäre es sehr schwierig, Musik zu schreiben, die nicht persönlich ist. Dann wäre sie nicht beseelt! Für mich ist „persönlich“ einem Seelenausdruck gleichzusetzen. Und ohne diesen macht es für mich gar keinen Sinn, irgendetwas zu tun. Das heißt, wenn ich Texte lese wie beispielsweise diese Veden und da dann Dinge drinstehen, die mich in dem Moment dermaßen bewegen, dass ich denke, was für eine krasse Wahrheit das doch nur ist, die mich gerade so trifft, dann bin ich inspiriert, einen Song zu schreiben. Das geschieht aus einer ganz aktuellen Dringlichkeit heraus.

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Wir haben vorhin von Orten gesprochen. Wie hat sich der Umzug nach Berlin auf deine Musik ausgewirkt, spielt Berlin eine Rolle für deine Musik?

Ja. Wobei Kopenhagen auch eine tolle Musikstadt ist. Aber Berlin ist noch facettenreicher – oder einfach nur größer. Es gibt immer noch mehr von allem. Und es gibt hier so eine gewisse Energie, die sich aus einer hohen Fluktuation speist, also durch viele Leute, die rein und raus ziehen. Berlin hat so ein sehr internationales Flair. Es gibt wirklich viele Leute, die für so ein oder zwei Jahre hierher kommen, zum Beispiel aus San Francisco, weil dort Berlin gerade so angesagt ist. Und das ist, obwohl das viele nervig finden, gerade für die Musik- und die Kunstszene super, weil dadurch dieser Austausch entsteht, der einfach nur eine Bereicherung ist. Im Grunde ist das so, wie einen auch eine nur kurze Reise von einer Woche total umhauen kann, völlig aus seinen Alltags- und Denkmustern rausreißen kann, und man fühlt sich wieder frisch und betrachtet sein eigenes Leben wieder anders. So ist das mit Besuchern ja auch. Wenn du Besuch in deine Stadt bekommst, der aus, sagen wir, Kalifornien und Südamerika und China kommt, gibt es intensive kurze Begegnungen, die dich auch sehr aus deinem Alltag rausreißen und so bereichern können.

Gibt es etwas, was du noch dringend loswerden möchtest, bevor wir dieses Gespräch beenden?

Ja, ich würde gerne noch sagen, dass es ein Video zu dem Titelsong „FM Biography“, den ich auf eine Text der polnischen Dichterin Agnieszka Wolny-Hamkało geschrieben habe, gibt. Das ist für mich schon deshalb so besonders, weil es mir mehr oder weniger geschenkt wurde. Es ist eine künstlerische Zusammenarbeit mit der BTF, das ist eine Kölner Produktionsfirma, eine Gruppe von ganz kreativen jungen Leuten, die meinen Song toll fanden und sich entschieden haben, einfach etwas dazu zu machen. Das heißt aber auch, dass sie bestimmen, was sie da machen. Ich habe mich darauf eingelassen, und sie haben den Song, der so eine gewisse Größe ausdrückt, ganz wunderbar erfasst und in Bildsprache übersetzt. Das mag für manch einen zu viel sein – ich find’s aber total cool, bin immer noch überrascht und freue mich darüber. Und natürlich bin ich auch gespannt, wie die Leute, gerade die Jazz-Leute, das finden, denn die rechnen natürlich nicht mit so etwas, weil es absolut nicht üblich ist, dass man im Jazz solche Videos dreht. Ich würde mich einfach freuen, wenn so viele Leute wie möglich dieses Video sehen und ich bin gespannt auf deren Reaktionen.

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