Spielen aus dem Moment: Jens Hausmann im Klangverführer-Interview – klangverführer | Musik in Worte fassen

Spielen aus dem Moment: Jens Hausmann im Klangverführer-Interview

Schuld an allem ist David Sick, dessen Industrial Blues mir die Tür zu den Fingerstyle-Gitarristen geöffnet hat. Seitdem sind sie besonders im Hochsommer gern gesehene Gäste in meinem CD Player ‒ und das nicht nur deshalb, weil Klänge wie die von Peter Reimer die einzigen sind, die von meinem musikhassenden Hund akzeptiert werden. Vielmehr haben sie es auf geheimnisvolle Art wortwörtlich in der Hand, dem Hörer purstes Glück zu bescheren und ihn fast gleichzeitig in süßeste Verzweiflung stürzen zu lassen.

Diesen Sommer hat sich der Detmolder Gitarrist Jens Hausmann als besonders raffinierter Meister der Emotionen erwiesen. Auf seinem neuen Album Precious Moments liegen reinste Glückseligkeit und tiefste Melancholie manchmal so nah beieinander, dass sie sich ein und dasselbe Stück teilen, wie etwa im Falle meiner Lieblingskomposition „Dolce Far Niente“. Doch was heißt hier schon Lieblingskomposition! Precious Moments ist voll von diesen süßen Augenblicken, und wäre es nicht so abgedroschen, müsste man hier „nomen es omen“ schreiben. Dabei ist schwer einordbar, was Hausmann auf seinem neuen Album treibt. Wenn ich es der Einfachheit halber als „ideale Mischung“ bezeichnen würde, spricht der Musiker selbst von „Crossover Fingerstyle Gitarre mit einem hohen Anteil an spontaner Improvisation, was an sich schon eher selten ist. Da kommt der Jazzer durch, klanglich führt die Spielästhetik eher in Richtung klassische Gitarre mit spanischem Einschlag, aber auch Blues, Latin, Jazz und keltischen Folkelementen.“

Die sechzehn Eigenkompositionen entführen mal ins Flamenco-getränkte Andalusien, mal zwischen die abgeliebten Seiten des All American Songbook und ein anderes Mal wieder in den Hohen Norden. „Light As A Feather“ verheißt Glück pur, „Heureka“ bringt spanischen Flair ins Spiel und „Blue Chestnut“ besticht mit einer pulsierenden Basslinie. Dann gibt es Stücke wie „Jerry’s Blues“, zu denen man, wenn man sie nur oft genug gehört hat, anfängt zu improvisieren: Yeahhhhh! You git me singin‘ all the time …, und schon geht es mit „Sigue Tu Corazón“ wieder die emotionale Achterbahn hinab, tief hinab! Doch bevor man sich ins Tal respektive aus dem Fenster stürzen könnte, fängt einen Hausmann mit seinen „Miles To Go“ wieder auf – ein Prinzip, das für das gesamte Album gilt und sich im Kleinen auch in allen Stücken selbst wiederfindet.

Und dann sind da auch noch Stücke wie „Right Now“, die einer Katze, wenn nicht gar einem Tiger auf dem heißen Blechdach gleichen, so faul und wohlig, wie sie sind. Oder den swingenden Mitsinger „Rubber Biscuit“, der noch lange im Ohr bleibt. Apropos Biscuit: Sympathischerweise spielt Essen auf Precious Moments eine große Rolle. Doch wer hätte gedacht, dass der Kern eines glasierten Donuts, dieses an sich so lustigen Kringelgebäcks, recht eigentlich ein trauriger ist? „Glazed Donut“ ist in jedem Falle ein weiteres Lieblingsstück, und wer dann noch mag, erfährt auf „Tango For Django“, wie es wohl geklungen hätte, wenn Schnuckenack Reinhardt einen Tango gespielt hätte. Nach dem titel- wie sinngebenden „Precious Moments“ wird das Album abgerundet durch „Two Notes ‒ One Love“, über das der Künstler augenzwinkernd nur soviel verrät: „Es findet gerade unter den weiblichen Hörern immer wieder neue Freunde …“

Ich sprach mit Jens Hausmann über Arrangement vs. Improvisation, über Sommermusik im Winter, über Musikabstinenz sowie den Heidenspaß, den Musiker während ihrer depressivsten Momente noch haben ‒ und nicht zuletzt darüber, wie es Musikern heutzutage gelingen kann, von ihrer Kunst zu leben.

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Klangverführer: Du hast dir dein neues Album als eine Art Resümee zu deinem fünfzigsten Geburtstag am 13. Juli gegönnt. Wie ist denn die Idee dieses Best-of, wenn man es denn so bezeichnen kann, entstanden?

Jens Hausmann: Eigentlich ganz einfach. Der erste Gedanke war, die ganzen Stücke endlich einmal sauber festzuhalten, möglichst in Form eines authentisch klingenden „Ideal-Konzerts“, bei dem alles stimmt. Weniger als Best-of, sondern eher wie ein Abschluss oder Zwischenergebnis, nachdem die Musik jahrelang reifen konnte. Der Vorteil war natürlich, dass ich mehr Versuche hatte als bei einem echten Konzert. (lacht) Die zweite treibende Idee war, für jedes Stück die ideale Gitarre zu finden. In diesem Punkt bin ich für Außenstehende wohl etwas verrückt, aber genauso wie ein anderer Raum bringt mich die jeweilige Gitarre dazu, anders zu spielen. Jedes Instrument hat eine Geschichte zu erzählen und bei einem „echten“ Konzert könnte ich die nie alle mitbringen.

Die Aufnahmen sind in einer Kirche entstanden. Inwieweit hat da der Gedanke hineingespielt, dass das ein sakraler Ort ist, dass da eine andächtige Atmosphäre erzeugt wird?

In der Tat haben die Aufnahmen nicht in der Kirche selbst, sondern im Gewölbekeller des Gemeindehauses stattgefunden. Dort hatte ich mal ein kleines Konzert und war begeistert von der Akustik. Die eigentliche Kirche hätte für diese Musik zuviel davon gehabt, die hätte ich vielleicht gewählt, wenn es um klassischen Gesang ginge. Darum hatte ich auch kein Extra-Mikro für den Raumklang, sondern meine zwei Mikros direkt auf die Gitarre gerichtet. Für die technisch Versierten handelt es sich dabei um eine Stereoaufnahme in exakter ORTF-Anordnung der Mikros, das ist meine Lieblingsmethode für Sologitarre. Es war einfach wahnsinnig schön, zwischen den Jahren durch den Schnee der kleinen Stadt zu stapfen und sich in völlige Ruhe zurückzuziehen. Das war nicht wirklich sakral, aber ein bisschen feierlich war mir schon zumute: Ich war in meinem Element und sehr glücklich! Daran denke ich heute noch gern, wenn ich durch Detmold schlendere.

Ich finde es ja ganz erstaunlich, wie diese Musik im Winter entstanden sein kann! Der spanische Einschlag macht das Album für mich zum perfekten Sommerbegleiter …

Dazu braucht es nur ein sonniges Gemüt und warme Gedanken! (lacht wieder)

Kommen wir noch einmal zu den Aufnahmen im Gewölbe zurück. Inwieweit spielt das Raumkonzept eine Rolle in deiner Musik?

Das Raumkonzept bedeutet für mich Natürlichkeit. Wir brauchten beim Mastering nur einen Hauch Hall aus der Konserve, um es abzurunden. Echte Akustik ist doch etwas ganz anderes als Plastik!

Echte Akustik auch im Sinne des unwiederholbaren Moments?

Ja genau, guter Punkt. Zuhause hätte ich anders gespielt!

Macht dieses „Anders“ auch die Faszination des Liveauftrittes aus?

Ja, und da kommt vor allem die Reaktion bzw. Interaktion mit dem Publikum hinzu.

Wie hast du es denn für dich gelöst, dass du bei der Aufnahme auf diesen interaktiven Moment verzichten musstest?

Das habe ich nicht gelöst, daher klingt es sicher auch intimer. Das ist zwar anders, aber auch wieder schön ‒ und passt besser für den Hörer in seinem Wohnzimmer.

Sind das denn alles die ersten Takes, die wir da hören?

Oft sind es erste Takes, aber im Sinne von erste Takes des Tages, nach dem Motto, das war gestern noch nichts, der Moment war wohl nicht der richtige. Glaub mir: Die Festplatte war voll und danach konnte ich die Stücke in- und auswendig…

Hast du nach so einer intensiven Aufnahmesession erst einmal ein paar Tage Musikabstinenz gebraucht?

Nein, Musikabstinenz brauche ich nie. Aber vielleicht wollte ich erstmal andere Stücke spielen …

Apropos Stücke … Ich mag dieses perkussive Element in deinen Stücken, dieses latent Düstere, das dann plötzlich in totale Zärtlichkeit umschlägt wie auf dem zweiten Stück … eine emotionale Achterbahnfahrt! Spielt bei diesen Stimmungswechseln der Flamenco-Gedanke mit hinein?

Das zweite Stück, „Dolce Far Niente“, ist vielleicht spieltechnisch das modernste, aber du hast Recht, treibende Kraft war die Inspiration durch den Flamenco… Ich könnte zwar nicht authentischen Flamenco spielen im Sinne von Tanzbegleitung, aber mich fasziniert das raue emotionale im Flamenco, im Blues, im Gypsy-Jazz…

Inwieweit meinst du hier modern?

Modern bezogen auf Spieltechnik: Schläge mit der rechten Hand auf den Korpus, gleichzeitig getappte und abgezogene Töne mit der linken Hand auf dem Griffbrett.

Wenn du sagst, dass dich diese rohe Emotionalität der Flamencowelt fasziniert ‒ gibt es da Inspirationsquellen, Vorbilder, Idole? Ich meine, wie verfällt ein Detmolder dem Flamenco?

Neben meinem Musikerdasein bin ich auch Journalist für Fachzeitschriften, und so kam ich zu einer Pressereise zum Thema Flamenco in Andalusien. Bis dahin hatte mich Flamenco zwar fasziniert, aber mein Zugang war eher passiv, eben so oberflächlich, soweit man im Jazz damit zu tun oder Platten zu Hause hat. Bei der Reise hat’s mich dann gepackt und ich merkte, dass der Spirit dahinter genau der Stoff ist, der mir in meinem musikalischen Mosaik noch fehlte. Das Ergebnis habe ich in „Sigue Tu Corazón“ verarbeitet, das heißt soviel wie „Folge Deinem Herzen“.

Wie hältst du es denn selber damit? Folgst du auch eher deinem Herzen, sprich: Dominiert Improvisation oder Arrangement?

Es dominiert der Augenblick, das Spielen aus dem Moment. Die gleichen Stücke würden heute anders klingen. Ich verändere mich, mein Umfeld verändert sich, das spiegelt sich wider. Wenn ich zum Beispiel einen Monat nur Klaviermusik höre, klingen die Stücke danach wieder anders… Außerdem muss man wissen, dass weder bei der Klassikgitarre noch bei den meisten Fingerstyle-Gitarristen improvisiert wird. Ein Jazz-Gitarrist hingegen wäre noch freier von den Arrangements und flexibler, das ist aber nur bei Genies wie Joe Pass in der solistischen Spielsituation tragfähig. Der Vorteil eines Pianisten ist ja, dass er mit einer Hand improvisieren kann, während die andere begleitet. Als Gitarrist braucht man fast für jeden Ton beide Hände. Das macht die Ausgangsposition zumindest beim Solokonzert komplexer. Daher kam ich zu dieser Mischung: Arrangierte Stücke, aber offen genug für Variation und Improvisation. Manche Stücke bekamen tatsächlich erst bei der Aufnahme ihre endgültige Form.

Was bedeutet Komposition und Improvisation für dich persönlich?

Erstmal versuche ich, beim Komponieren echte Musik zu schreiben und mich eben nicht von der Gitarre verführen zu lassen, Riffs und Licks aneinanderzureihen. Schöne Melodien sind mir dabei wichtig, interessante Wendungen, farbige Akkorde, auch etwas Kontrapunkt und die Arbeit mit Motiven. Im Prozess denke ich aber weniger über technische Details nach, sondern es ist mehr, als würde ich eine Stimmung malen, wie ein Bild mit einer Landschaft mit Bergen im Hintergrund, eine blumige Melodie im Vordergrund, dann kommt ein Wechsel und ich versuche, die Aufmerksamkeit des Hörers auf die Berge zu richten, inzwischen passiert irgendwo in der Mitte was und da kommt wieder der Vordergrund ins Spiel. Ich liebe verschiedene Ebenen, die ich dann z.B. mit Klangfarbe und Dynamik darstellen kann. So habe ich schon als Kind Musik gehört und mir bildlich vorgestellt. Ich assoziiere gern Töne mit Farben, auch melancholische Stimmungen können für mich fröhlich bunt sein. Die Improvisation macht den ganzen Film lebendiger und spannender, man kann sich in den Landschaften umherbewegen und neue Dinge entdecken. Bewegung finde ich schöner als alles, was langweilig und statisch ist. Übrigens können sich die meisten Musiker in düsteren, traurigen, melancholischen Stimmungen emotional am besten ausdrücken. Wenn sie leidend oder mürrisch aussehen und vielleicht sogar ein schmerzverzerrtes Blues-Face aufsetzen, haben die im Grunde einen Heidenspaß!

Wenn du sagst, dass du gern Töne mit Farben assoziierst, bedeutet das, dass du Synästhetiker bist? Sprich: Siehst du Töne, hörst du Farben?

Ja. Ich hab das auch bei Zahlen, das ist ganz praktisch: bunte Telefonnummern kann man sich gut merken … (schmunzelt)

Kann ich mir gut vorstellen! Ganz anderes Thema: In deiner Mail, welche die Veröffentlichung deines Albums begleitet hat, bittest du darum, vom Kauf über die herkömmlichen Großhändler à la Amazon und iTunes Abstand zu nehmen und lieber beim Künstler direkt zu bestellen. Ist das die Lösung des aktuellen Dilemmas, dass Künstler immer weniger an Albumverkäufen verdienen? Gibt es noch andere Lösungen? Was müsste geschehen, damit sich das Albummachen wieder lohnt?

Kleine Musiker – und damit meine ich weniger bekannte Musiker, oder solche, die eine kleine Nische bedienen wie ich – verdienen am leichtesten, wenn sie viel selbst machen und unter Kontrolle haben. Es kommt einfach nicht genug dabei herum, dass andere auch satt werden. Könnte ich mir das Ganze im größeren Stil gönnen, wäre das weniger ein Punkt. Der Vorteil: Unabhängigkeit. Der Segen der heutigen Zeit ist, dass sich jeder selbst über das Internet vermarkten kann, gerade wenn es um kleine Märkte geht. Der Nachteil ist, dass eine Kostprobe schon die eigentliche Ware ist und dass die allgemeine Verfügbarkeit es nicht mehr erforderlich macht für gute Musik Geld auszugeben. Entsprechend wird es einfach hingenommen, und das Überangebot verführt dazu, wie beim Fernsehen oberflächlich zu zappen. Von meinen neuen Aufnahmen stehen pro Stück nur etwa 30 Sekunden online, mich amüsiert dabei, dass das kaum jemand bemerkt hat. Ansonsten: Amazon, iTunes und Co. gehen ja noch, man verdient damit zwar weniger, nutzt dafür aber Plattformen, mit denen man viel mehr Menschen erreichen kann. Aber Streaming macht alles kaputt, weil auch für große Stars dabei kaum etwas raus kommt! Ich selbst nutze diese Möglichkeit nur für Musik, über die ich am Rande für Gitarrenunterricht oder aus Neugier informiert sein will. Die Sachen, die mich interessieren, kaufe ich auch.

Was wäre denn ein faires Geschäftsmodell?

Fair wäre, wenn es mehr nach Qualität ginge und weniger nach Massengeschmack und schnell verdientem Geld. Das bleibt sicher Utopie wie in jeder anderen Branche, von daher habe ich auch kein Modell dazu anzubieten. Ich durfte noch Zeiten erleben, als man von Musik auch leben konnte, indem man einfach gutes Handwerk angeboten hat, egal ob man bekannt war oder nicht. Außerdem habe ich immer unterrichtet. Heute schreibe ich zusätzlich in Musikzeitschriften über alles, was mit Gitarre zu tun hat, das ist schön für mich und durchaus inspirierend. Im Grunde dreht sich so alles um das, was ich liebe, aber ohne diese drei Standbeine wäre es schwierig.

Precious Moments, Jens Hausmann, CD Cover Artwork: Dirk Schelpmeier

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