Die Jagd nach einem Phantom: Ins neue Jahr startet Victoriah’s Music mit einem Klangkrimi ― eine wahre Geschichte ― – klangverführer | Musik in Worte fassen

Die Jagd nach einem Phantom: Ins neue Jahr startet Victoriah’s Music mit einem Klangkrimi
― eine wahre Geschichte ―

Ich fuhr mit der U-Bahn so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn … Im Schatten sah ich dann allerdings kein Blümlein steh’n, sondern das Kundenmagazin der BVG aushängen. Mein guter Kumpel, der Fernsehturm, war auf dem Titelblatt abgebildet, schick angestrahlt und alles. Guckste mal rein, dachte ich mir. Is‘ ja manchmal die ein oder andere kulturelle Anregung drin. Und tatsächlich stieß ich so vor mich hinblätternd unter der Überschrift Musikalische Ausgrabungen bald auf die Vorstellung der neuen CD von Andrej Hermlin. Soso, hat der also wieder mal eine neue CD gemacht, und – aha! diesmal nicht in amerikanischen Swing-Gefilden gewildert, sondern gewissermaßen direkt vor unserer Haustür, genauer: der Friedrichstraße, interessant. Das muss ich zu Hause gleich mal recherchieren.

Leichter gedacht als getan. Weder die großen Online-Händler noch die Webpräsenz des Swing Dance Orchestras bzw. Andrej Hermlins selbst listet das Album. Auch die einschlägigen Seiten bei Hermlins Plattenfima hüllen sich in tiefes Schweigen. Coverabbildungen? Fehlanzeige. Diese CD gibt es nicht! Eine groß angelegte Web-Recherche ergab einen mageren Treffer. Offensichtlich hatte Hermlin das mysteriöse Werk im September bei Dussmann präsentiert. Für EUR 18,99 soll man es dort erstehen können. Und eine winzige Abbildung ist auch dabei. Nun, da ich mit Ankündigungen des selbsternannten Kulturkaufhauses bereits zur Zeit meiner Magisterrecherchen so manch lustige Erfahrung gesammelt habe, dachte ich mir: Gehste sicherheitshalber doch selbst mal hin. Erst, wenn du die CD in der Hand hast, glaubst du, dass es sie gibt.

Ich also in der nächsten Mittagspause zu Dussmann. Ist ja nicht weit; auch ich arbeite in jener Straße, die Hermlin Inspiration gewesen sein soll. Hoch zum Jazz – schließlich hätte ich das Album jetzt beim Swing eingeordnet, wie komme ich nur darauf? – , nach Hermlin gefragt. „Der iste unten bei die Dance Orchestras“, werde ich beschieden. Wieder runter zu den Tanzorchestern. Tatsächlich, da ist er. Und – da ist auch die CD Schwingende Rhythmen. CD geschnappt, ab zur Kasse. Zurück im Büro mache ich die Folie ab und scanne das Cover, um eine passable Abbildung für die fairaudio-Leser zu bekommen. Als ich dann die CD selbst in den Rechner legen will, um sie zu hören, folgt wieder eine Überraschung: Da ist gar keine CD drin! Hab ich sie etwa im Scanner verloren? Umgehend werden dieser und seine nähere Umgebung abgesucht. Nichts. Das ist eine CD-Attrappe! Eine Potemkin’sche CD! Ich sag es doch: Dieses Album gibt es gar nicht! Das tut nur so! Kein Wunder, dass (fast) niemand darüber berichtet! Kein Mensch hat dieses Album je gehört! Und wenn ein Journalist jetzt vom tollen neuen Hermlin-Album schwärmt, kann man getrost davon ausgehen, dass es einer jener Kollegen ist, die Alben nicht hören, um sie zu besprechen … Das ist alles ein Test! Ein abgekatertes Spiel! Die wollen wissen, wer wirklich Musik hört und wer nur abschreibt, was andere geschrieben haben, jawohl!

Aber so schnell gebe ich nicht auf. Am nächsten Tag mit Leer-Hülle und Kassenbon wieder zu Dussmann: „Da war keine CD drin“, beschwere ich mich. Der Reklamationsmensch kramt im Lager, fördert ein weiteres eingeschweißtes Exemplar der Schwingenden Rhythmen zu Tage. Ich bestehe darauf, die CD vor seinen Augen zu öffnen. Er denkt, ich bin komisch. Mir egal. Fakt ist: Da ist ein Silberling drin. Zurück am Schreibtisch lege ich ihn ein und – es ertönt Musik. Echte Musik, keine Attrappe!

Diese CD gibt es, ich besitze ein Exemplar, man kann sie anfassen, hören und … ich kann sie guten Gewissens empfehlen. Doch allein schon für ihre abenteuerliche Beschaffung hat sie den Status der CD des Monats verdient – wie immer auf fairaudio.de

Comments (3):

  • na, das fängt ja gut an! gut abgekatert?!
    lg
    k

  • Nichts für Nostalgiker. Andrej Hermlin liest aus seiner Autobiographie «

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