Über die Freuden des Bloggertums, Teil 1 Diesmal mit: Cosmonautix Unplugged – klangverführer | Musik in Worte fassen

Über die Freuden des Bloggertums, Teil 1
Diesmal mit: Cosmonautix Unplugged

Wissen Sie, was das Schönste am Bloggerdasein ist? Als Blogger kann ich mich auch dort wie ein Fan benehmen, wo es mir die journalistische Ethik à la „Mach dich nicht gemeinsam mit deinem Sujet“ nie gestatten würde. Ich kann einem Konzert mit Block und Stift (ja, ich arbeite da noch völlig konventionell) beiwohnen und mir danach trotzdem Autogramme geben lassen. Ich kann mit der Band herumflachsen, ohne gleich so etwas wie ein Interview aus ihren Äußerungen stricken zu müssen. Und, wichtig: Ich kann Kopfhörerhund mitnehmen. Der gehört zum Klangblog nun mal dazu.

Nicht, dass ich meine journalistische Arbeit nicht mögen würde. Ganz im Gegenteil. Bei fairaudio habe ich definitiv meine musikrezensorische Heimat gefunden. Um die Redaktion zu zitieren: Das passt wie Arsch auf Eimer.
Aber als Blogger kann ich mich, befreit von den Konventionen meines Berufsstandes, auch bedingunglosem Fantum hingeben. Hey, ich habe gestern eine CD gekauft. Ich hätte mich stattdessen auch von piranha bemustern lassen können. Aber das wäre nur der halbe Spaß gewesen. Außerdem soll man – und das hier geht jetzt an alle – gute Musik kaufen. Mittelmäßige können Sie sich schenken lassen, und schlechte kann man von mir aus auch downloaden.

Die Cosmonautix machen in jedem Falle gute Musik. Seit ich sie nämlich im letzten August bei Artists for Peace gesehen habe, bin ich ein großer Fan von den vier Jungs. Dabei bin ich eher zufällig in die Friedensveranstaltung auf dem Alexanderplatz hineingeraten, irgendwo beim Umsteigen zwischen U- und Straßenbahn. Und dann hörte ich mit einem Mal Speedbalkanfetzen, jemand sang jiddisch, und – beim nähren Hingucken – wuchtete da auch wer eine Bassbalalaika herum. Die Jungs, damals noch ohne rote Anzüge und als „eine Kombo aus Punk, Rock, Ska, Klezmer und den Klängen Osteuropas“ angekündigt, fand ich jedenfalls so genial, dass ich einen Friedensfestival-
Flyer mitnahm und zu Hause gleich ihren MySpace-Account checkte. Ob ich damit jetzt was für den Weltfrieden getan hab, weiß ich nicht.

Jedenfalls flatterte mir dann letzte Woche eine Einladung der Büchergilde Gutenberg ins Haus. Dieser mein liebster Buchclub macht nämlich nicht nur wunderschön ausgestattete und prächtig illustrierte Bücher, sondern ist auch immer für musikalische Neuentdeckungen gut – man denke hier nur an die Wiener Tschuschenkapelle mit Jovica Petkovic, an Brass Noir – On the Trans-Balkan Highway von Markovic, Boban und Fanfare Ciocarlia oder die 12-teilige Anthologie Sol Sajn. Das Debütalbum der Cosmonautix gehört nun auch dazu, und zur Präsentation hat man von achtzehn Uhr bis Ladenschluss die Band selbst eingeladen, zu einem Abend unter dem Motto Cosmonautix unplugged mit rasender Balalaika, allerlei Unsinn und viel Wodka. Bessere Argumente, das Büro mal früh zu verlassen, gibt es wohl kaum.

Und dann waren sie auch schon da, die vier Herren von den Cosmonautix, die in ihren roten Anzügen wie uneheliche Söhne von Michael Jackson und dem Michelin-Männchen aussehen: Morgan Nickolay, Ruben Wilschenko, Pawel Eivić und Kai Laschnikov. Absoluter Hingucker ist natürlich Eivićs Bassbalalaika, zuletzt gesehen bei den wunderbaren Katzenjammer aus Norwegen. Der mannshohe Dreisaiter muss eine Herausforderung für jeden E-Bassisten sein.

Und auch lustige Hüte gehören scheinbar in jedem Falle dazu, wenn man Balkancomedy macht (Gibt es das? Dieses Genre müsste es eigentlich seit dem genialen Polka Punk der Popolskis, spätestens aber seit Sacha Baron Cohens Borat geben!), A Glezele Vayns Achim Rinderle hat das mit seinem
FC Balkan-Hut ja demonstriert.

Nicht zu vergessen, dass jeder, der den Vorstoß in diese Richtung wagt, sein Fach um Klassen besser beherrschen muss als der, der gänzlich ohne Ironie auskommt, bekanntlich ist das Leichte immer schwerer, das gilt für Film wie Musik gleichermaßen.

Alltime-Fußgängerzonenbalkangassenhauer wie Kalinka und Katjuscha wechseln sich ab mit ins Balkanidiom übersetzten Euro-Dance-Hits – aus der Technoburner von 2Unlimited wird dann mal eben No Kiszka – und getrageneren Tratiotionals – natürlich alle in einmaliger Cosmonautix-Bearbeitung -, und beim Zug, der langsam durch die Landschaft fährt, kommt auch der Geiger endlich aus sich heraus und wagt sich in eine höhere Lage. Bis dahin hatte ich ihn im Verdacht, von Hause aus eher Gitarrist oder Klavierspieler zu sein, so krampfhaft, wie er sich in der ersten Lage am Griffbrett festklammert, und mit derart nach innen abgeknicktem Handgelenk, für das mir meine Geigenlehrerin stundenlange Dancla-Etüden aufgebrummt hätte! Erstaunlicherweise tut diese Technik, zu der auch ein sehr eigenwilliges Vibrato gehört, seinem Ton in keinster Weise Abbruch – vielleicht irren sich die Geigenlehrer dieser Welt ja! Vermutlich ist der satte Ton aber auch seiner extrem schönen Bogenführung geschuldet, locker und trotzdem sicher, die ich ihm neide. Dazu singt und tanzt er auch noch unter seiner Pelzmütze, vermutlich wäre ich schon längst an Hitzeschock gestorben. Morgan und Ruben machen die Show …

… und die Rhythmusgruppe – man gucke sich nur die aufgekrämpelten Overallärmel an – macht die Arbeit.

Also eigentlich wie überall. Aber so ganz stimmt das dann doch nicht, denn bei den Cosmonautix machen alle schönen Unsinn …

… und so total durchgeknallt, abgedreht und voll auf Speed muss man sich auch die Musik vorstellen:

Übrigens wurde mir glaubhaft versichert, dass die Overalls definitiv aus nicht-atmungsaktivem Material bestehen und sich innerhalb kürzester Zeit in eine Plastiksauna verwandeln. Auch literweise Wasser sorgt da vermutlich nur für eine eher moderate Abkühlung. Das Publikum indessen hielt sich mit dem stilecht dargereichten Wodka auf Betriebstemperatur, und nach dem dritten Glas war ich froh, Kopfhörerhund diesmal bei der Tagesmutter gelassen zu haben. Dass ich ihn sicher nach Hause hätte bringen können, darf nämlich bezweifelt werden.

Wer das und mehr auch haben will, kann. Dies hier war nämlich „nur“ der Pre-Release der Platte. Der „richtige“ Record Release Party gibt es am 28. Januar im Pfefferberg. Aufpassen: Das Datum konkurriert mit Rinderles Zen-Klarinette. Tja, Relaxen oder Energija, das ist hier die Frage.

Comments (5):

  • Bellen und Miauen im Postbahnhof – und mittendrin ein Regenschirm, -irm, -irm «

    […] sie IHN noch. Erst einmal aber kommt Puppet, und ich selbst komme nicht umhin, wieder einmal die Freuden des Bloggertums zu preisen: Während die Kollegen der Tagespresse eingedenk des Redaktionsschlusses schon längst […]

  • Musik pur. Meike Koester zeigt im Zimmer 16 ihr Seefahrerherz «

    […] Subwoofergehäuse selbst – Instrument in Kastenform, gerade erst hatte ich eines bei den Cosmonautux Unplugged gesehen -, und nicht jeder Schlagzeuger ist in der Lage, es vernünftig zu spielen; denn nicht […]

  • Die Energija-Rakete hebt ab – ich aber will nur noch ins Bett «

    […] Die frische Luft und der Veggieburger auf Blumenkohlbasis – man weiß, dass man im Prenzlauer Berg ist, wenn der nächstgelegene Imbiss so etwas anbietet – helfen gegen den Klangschock. Sogar Mr. Bassplayerman, der wirklich abgenervt ist, lässt sich noch einmal zu einer Rückkehr zum Konzertgeschehen überreden. Da spielen jetzt, kurz nach dreiundzwanzig Uhr, endlich endlich die Cosmonautix. […]

  • Wer röhrt denn da im Bassy? «

    […] ohnehin stark geigenlastig in letzter Zeit, und auch heute Abend wird der Jammerschinken bei den Cosmonautix wieder kräftig bemüht werden, also seien wir froh drum, dass Frau Wasser zur nicht-öffentlichen […]

  • Kopfhörerhund guckt A Glezele Vayn ― Konzertfotos aus Hundeperspektive ― «

    […] Läufe“ gab es bis auf zwei Stellen auch nicht. Lustigerweise sind es, wie schon bei den Cosmonautix, ja immer die Bassisten, die am meisten schleppen müssen: Zusätzlich zu ihrem mannshohen […]

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