Heimspiel im Heimathafen: Trio Ohrenschmalz ankert in Neukölln – klangverführer | Musik in Worte fassen

Heimspiel im Heimathafen: Trio Ohrenschmalz ankert in Neukölln

Nachdem mich das Trio Ohrenschmalz im Februar bei der Premiere seines Programms Zuviel Appeal nahezu restlos begeistert hatte, wollte ich mir an diesem 29. April die Gelegenheit nicht entgehen lassen, seinem erneuten Heimspiel im Rixdorfer Saalbau, der seit 2009 vom Heimathafen Neukölln betrieben wird, beizuwohnen. Der wunderschöne historische Ballsaal, in dem „die Musike“ seit eh und je, genauer: seit 1899, spielt, ist – wie vor Wochen der Admiralspalast – überausverkauft, sogar die Ränge müssen geöffnet werden, um dem Besucheransturm adäquat zu begegnen.


Kritiker bei der Arbeit

Natürlich kann sich Stefan Haberfeld, der wieder den Conferencier gibt, einen einleitenden Scherz zum Tagesthema, der königlichen Hochzeit, nicht verkneifen. Das Flugzeug aus London habe Verspätung gehabt – dort sei er auf „der Hochzeit des Enkels einer Freundin“ gewesen. Eine charmante Erklärung für den leicht verspäteten Beginn der Show, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass diese ausgesucht schöne Spielstätte auch einen Nachteil hat: die nicht ganz so ausgesucht schöne Akustik.

Uns so will auch, im Gegensatz zur Premiere, wo ich den ersten Teil des Abends als vergnüglicher erlebte als den zweiten, der Funke zunächst nicht so recht überspringen. Das mag, wie gesagt, größtenteils am Ton liegen. Denn daran, dass ich die Pointen schon kenne, liegt es nicht. Ich habe statt des zurzeit irgendwo im digitalen Orbit verschollenen Bassplayermans diesmal zwei ebenso unvoreingenommene wie aufmerksame Hörer als Co-Kritiker dabei, die das Programm noch nicht kennen – und sie teilten meinen Eindruck.

Dafür entdecke ich neue Nuancen am Programm. Letztes Mal ist mir das Schröder-Beckmann-Stück Man müsste Klavier spielen können (1940) nicht weiter in Erinnerung geblieben; diesmal spielt das Trio Ohrenschmalz toll heraus, dass damals das Klavier jene Funktion hatte, die heute der Gitarre zukommt: Wer sie sich um den Hals hängt, dem laufen die Mädchen hinterher! Gut, um den Hals konnte man sich das Klavier wohl eher nicht hängen …

Der zweite Teil dann ist im Gegensatz zum ersten ein wahrer Quantensprung. Der Ton hat sich erholt, und das Publikum ist jetzt auch voll dabei, es lacht und leidet mit Hassemer, Haberfeld und Feckl. Schon vom ersten Lied des zweitens Teils an möchte man dem Abend die Facebook-Applikation „Daumen hoch: gefällt mir“ überstülpen: Ich mag diesen Curryhuhn/würd ich tun/Blockflötenquartett mit satten Bässen/kannste vergessen-Song einfach!

Genial auch immer wieder, wie der Sänger seinen Nebenbuhler in Für A. vorsätzlich ins Verderben rennen lässt, und danach genüsslich-süffisant einen tobenden Charleston intoniert: Liebe hat nicht nur eine Schokoladenseite/sie hat auch eine Eskapadenseite, und die ist aus Eis. Jedesmal bin ich aufs Neue erstaunt, dass dieser Song kein lang verschollenes Original aus den Zwanzigern oder Dreißigern ist, sondern eine Neukomposition von Stefan Haberfeld. Das Lied klingt original wie ein gut achtzig Jahre alter Gassenhauer; und es ist definitiv das Stück mit dem größten Ohrwurmpotenzial des Abends. Meine Begleiter und ich jedenfalls sangen den Heimweg lauthals: Ja, die Liebe! Hat nicht nur eine Schokoladenseite …

Habe ich bei der Premierenrezension noch bemängelt, dass der zweite Teil von Zuviel Appeal eigentlich nur eine vertonte Große-Jungs-Phantasie ist – jeder der beiden Männer darf einen Bühnentod sterben, der eine am Giftcocktail, der andere durch die Duell-Kugel -, reißt mich diesmal genau dieser Teil zu Begeisterungsstürmen hin. Auch habe ich das Gefühl, dass Angelika Feckl heute weitaus präsenter ist als bei der Premiere. Sehr schön, das! Ich glaube, ich hab’s schon mal geschrieben, aber ich muss mich hier einfach wiederholen: Noch nie habe ich so eine weibliche Geige gehört, die zicken kann, schmollen und schmoren lassen, wie in Lauter Lügen. Übrigens der einzige Song, den ich auf der CD wirklich vermisse.

Der absolute Höhepunkt des Abends aber ist diesmal das Hollaender’sche Stroganoff. Nicht nur wegen des Showeffekts um den von den Toten wiederauferstandenen Pianisten, der seinen Sänger selbst im Liegen, die Tasten gerade so erreichend, beeindruckend begleiten kann. Ich habe in der Zeit seit der Premiere den Text vom Stroganoff nachgelesen; aber selbst wenn einem bei der Live-Darbietung einige textliche Feinheiten entgehen, ist die Nummer der Brüller im Publikum. Beziehungsweise, das Publikum brüllt. Vor Vergnügen. Es klatscht, trampelt, johlt und schreit.

Schaffen die drei es doch immer wieder, dass ihre Zuschauer nach der Show völlig aufgelöst und zerzaust sind. Es sind keine Standing Ovations, aber es sind lange und laute Ovationen, mit denen dem Trio ganze drei Zugaben, darunter auch Arm aber sexy, abgetrotzt werden. Auch diesmal gibt man sich „gerührt, aber vorbereitet“. Natürlich sind die drei Routiniers. Aber Routiniers mit ungebrochener Spielfreude. Wehalb man Zuviel Appeal auch ruhig ein zweites Mal sehen kann. Oder ein drittes … Trio Ohrenschmalz hat den Heimathafen nach allen Regeln der Kunst gerockt, das Publikum liegt ihm zu Füßen und es ist dann doch wieder eine rauschende Nacht geworden.

Nach der Show habe ich die Gelegenheit, Stefan Haberfeld kurz abzupassen. „Die Leute“, beginne ich, „lieben euch. Am liebsten würden sie euch gar nicht mehr gehen lassen – ist das in allen Städten so oder ist Berlin etwas Besonderes?“ Natürlich sei Berlin schon etwas ganz Besonderes, denn schließlich würde die Zwanzigerjahremusik an keinen anderen Ort so gut passen wie an ihre historische Heimat, dennoch wäre das Programm auch in anderen Städten sehr gut angekommen. Auch dort seien die Menschen begeistert gewesen. „Wie fühlt sich das an?“ Natürlich sei es ein großartiges Gefühl, vor allem aber mache es unglaublichen Spaß, verrät Haberfeld. Schließlich sei Zuviel Appeal das erste Mal, dass ein Programm des Trios in eine Rahmenhandlung eingewoben sei. Das sei einerseits schwierig gewesen, da man sich neben der Musik noch auf die Requisiten, kurz: die Rolle, konzentrieren müsse, andererseits helfe einem die Rolle auch. „Nun bildet Eure CD das Programm ja nicht eins zu eins ab – wie sind die Reaktionen darauf?“ Zwiespältig seien sie. Zum einen seien die Menschen enttäuscht, dass auf der Zuviel Appeal-CD nicht das Programm zu hören sei, andererseits merken sie schnell, dass das ja auch gar nicht funktionieren würde. Zuviel Appeal müsse man eben sehen, das Programm lebt nicht nur von der Musik, sondern auch vom Bühnengeschehen. Für mich das perfekte Stiichwort: „Ihr habt mit Die Musik im Tonfilm schon eine DVD gemacht. Plant Ihr, auch Zuviel Appeal als DVD herauszubringen?“ Leider habe man sich als junge Künstler im Moment mit der Produktion der CD finanziell verausgabt, sodass an eine DVD gar nicht zu denken sei. Zudem suche man zunächst einen Vertrieb für die CD, die es im Moment entweder bei den Konzerten oder im Bauchladen des Trios zu kaufen gibt.

Also, liebe Vertriebler, schlagt zu! Soviel Appeal auf einmal werdet Ihr so schnell nicht wieder bekommen! Und Sie, liebe Leser, gehen in die Zuviel Appeal-Show – in einem anderen Medium bekommen Sie sie nicht. Und weshalb nicht den Besuch beim Trio Ohrenschmalz mit einem Hamburg-Wochenende verbinden? Da nämlich wird sich das Trio am 22. Mai im Café Keese unter dem Motto Ohrenschmalz und Schnauze den Abend mit Kabarettist und Schauspieler Wolfgang Bahro teilen.


Es war mal wieder ein langer Abend …

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