Im Auftrag Ihrer Majestät, der Musik, oder: Alles wird besser. Popkomm 2011, Tag 2 – klangverführer | Musik in Worte fassen

Im Auftrag Ihrer Majestät, der Musik, oder: Alles wird besser. Popkomm 2011, Tag 2

Die Stimmung ist verkatert. Das liegt nicht an der Nordic Bar, sondern an der allgemeinen Trostlosigkeit. Am lustigsten ist es noch im Press Room, der eine schulische PC-Kabinett-Atmosphäre verströmt. Und so benehmen sich die Kollegen auch wie bei einer Schulstunde, wo „freies Arbeiten“ ohne Aufsicht auf dem Plan steht. Man zeigt sich gegenseitig seine Messefotos, tauscht Frustrationen und Lästereien aus. Neben dem eigentlich keinerlei weiteren Worte bedürfenden Niedergang der Branche, der hier nur allzu greifbar ist, natürlich auch über die Popkomm-Presseausweise, die jedes Jahr größer zu werden scheinen. Irgendwie kommt man sich damit vor wie ein Erstklässler, der sein Schülerticket weithin sichtbar um den Hals trägt. Im nächsten Jahr laufen wir wahrscheinlich alle mit Badges im A4-Format herum.

Auch bei den Ausstellern macht sich ein zunehmender Leerstand breit; die einzig relevante Frage ist eigentlich nur noch die, welchen Showcase man am Abend besucht. Auf das Lamentieren in den Panels hat ohnehin so niemand recht Lust. Allzu offensichtlich umkreisen sie thematisch die Ratlosigkeit der Musikindustrie angesichts eines sich verselbstständigten Hörer- bzw. Musikkonsumentenverhaltens.“Huch“, scheint sich die Branche zu erschrecken, „da passieren ja Dinge ohne uns. Ohgottogottogott, und was jetzt?!?“

Ich nutze den Tag zur Arbeit im Press Room – ich liebe diesen OS X Mac (Version 10.6.4) mit seinem 3.06 GHz Intel Core Duo Prozessor und seinem 4 GB 1067 MHz RAm Speicher. Meine Eltern haben genau den gleichen, und manchmal verlege ich komplette Arbeitstage kurzentschlossen zu ihnen, einfach, weil das Äpfelchen so schön und so schnell ist … Ist schon ein schönes Spielzeug; wobei mir siedend heiß wieder einfällt, dass ich ja genau in dem Moment vom Mac auf PC umgestiegen bin, als auch Nicht-Grafiker mit einem Mal begannen, den Mac als bessere Schreibmaschine zu verwenden und sich wahnsinnig cool dabei vorkamen, den leuchtenden Apfel auf der Rückseite ihres Computers herumzuzeigen. Aber heimlich schön finde ich ihn doch.

Nach einem Tag voller Geschreibe und Bilderhochgelade habe ich kurz vor Toresschluss noch eine sehr angenehme Begegnung mit Hörakustiker Claus Zapletal. Der präsentiert mit den Fabs nämlich individuell angepasste In-Ear-Headphones, die nicht nur durch ihr 2-Wege-System bestechen, sondern vor allem durch die komplette Abschirmung aller Außengeräusche – das heißt, selbst unter Lärmschutzbedingungen ist es möglich, leiser – und besser – mit ihnen Musik zu hören. Ich stelle mich für einen Test zur Verfügung. Die maßangefertigte Abschirmung wird auf der Messe mit Silikon demonstriert – allein, ich habe zu kleine Ohren dafür, sodass die Stöpsel nicht so tief im Ohr sitzen, wie sie sollten. Dennoch ist das Ohr nach kurzer Zeit vollkommen abgeschlossen, die Umgebung nach weniger als einer Minute komplett ausgeblendet, die Menschen inklusive Dipl.-Ing. Zapletal führen auf einmal sehr schöne Pantomimen um mich herum auf. Das Schönste aber, was mir nach diesem lauten Messetag passieren konnte, ist die entspannende Testmusik. Ich höre Cannonball Adderly mit Autumn Leaves und Miles Davis. Das besänftigt sehr. Und dann kommt James Blake. Wow, bei 24 Bit und 192 kHZ habe ich Limit To Your Love wirklich noch nie gehört! Die Qualität der Fabs zu beurteilen, ist wohl eher Sache der fairaudio-Jungs, sie wird aber verglichen mit dem AKG 1000-er On Ear – und den kenne ich, den habe ich zu Hause herumzuhängen.

Die Fabs wurden ursprünglich für vielreisende Geschäftsleute konzipiert, die auch unterwegs nicht auf den von Zuhause gewohnten HighEnd-HiFi-Klang verzichten wollten. HiFi to go, sozusagen. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass immer mehr Musiker sie auf der Bühne einsetzen, da die Fabs einerseits auf Lärmschutzniveau abschotten und andererseits dennoch einen qualitativ hochwertigen Monitor bieten, der eine leisere Einstellung erlaubt als herkömmliche Monitore. Leider eignen sie sich nicht für meine Zwecke, denn ich höre portable Musik auf dem Fahhrad – und mit den Fabs sollten nicht einmal Fußgänger am Straßenverkehr teilnehmen.

Ganz besonders angetan hat es mir auch das Gerätelchen in Zigarrenkistenoptik, auf dem die Musik spielt: der Colorfly, der ebenfalls unter die Überschrift „HiFi to go“ fallen könnte. Ein portabler HiFi-Player mit 192KHz/24Bit – was aber auch heißt, dass die audiophilen .flac-Dateien mittels foobar 2000 erst einmal wieder in .wavs gewandelt werden müssen, denn bei .flacs macht der Colorfly die Grätsche.

Bis auf diese etwas umständliche Bestückung mit Musik ist er aber ein Spielzeug, in das ich mich an Ort und Stelle verliebt habe. Falls Sie noch nichts zu Weihnachten für mich haben …

Relaxed mache ich mich auf den Weg zum letzten Programmpunkt des Tages, dem Tel Aviver Showcase im Grünen Salon. Wenn man den ganzen Tag auf der Messe verbracht hat, fällt einem erst draußen auf, was für ein eigener Mikrokosmos so eine Messe eigentlich ist, abgeschottet wie ein Raumschiff, wo einem das Gefühl für Zeit und Wetter komplett verloren geht. Leider hat sich der Beginn der gesamten Show verzögert, sodass ich dann doch noch in den Genuss des Auftrittes von Mary Ochers experimental theatrical Punk komme, den ich – klug geworden durch ähnliche Veranstaltungen – eigentlich bewusst verpassen wollte. Naja, habe ich meine Punk Royal-Jacke wenigstens nicht umsonst angezogen. Ansonsten wird es dank Marys Auftritt Zeit für den ersten Drink der Popkomm, wovon ich bislang aufgrund von Erkältungsnachwehen wohlweislich Abstand genommen habe.

Dann, endlich, kommen The Raw Men Empire, eine „Weird Folk“-Formation, die als „charming lo-fi“ und „Pop Dylan“-artig angekündigt sind. Meine Erwartungen jedenfalls sind hoch; und allein ihnen beim Aufbau – ein T-Shirt-gedämpftes Schlagzeug! eine Ukulele! und allerlei anderes Spaßgeschnassel! – zuzusehen, lässt sie noch weiter steigen. Dies scheint auch für das so unberechenbare Berliner Publikum zu gelten, denn Flashmob-artig ist es voll im Grünen Salon. Und dann spielen sie. Nein, The Raw Men Empire sind nicht King Oliver’s Revolver. Aber dafür, was sie machen, sind sie sehr sehr lustig – und haben einen wirklich unglaublichen Schlagzeuger, den man glatt entführen müsste.


Lassen Sie sich nicht einlullen. Warten Sie Minute 3:38 ab …

Spätestens mit Song Nummer vier – Israeli Women are the best-looking Women in the World – haben Tsvika Frosh (lyrics, music, vocals, guitar, flute), Yonatan Miller (guitar, vocals, smile), Nadav Lazar (bass, glockenspiel, percussion, guitar, melodica, programming, vocals) und Itai Kaufman (beatbox, percussion, bass, melodica, vocals) die Berliner endgültig überzeugt.

Kaufen Sie die EP – Sie bekommen sie zum Beispiel auf www.myspace.com/therawmenempire oder therawmenempire.bandcamp.com

Comment (1):

  • Paganini67

    Ehrlichen Herzens danke ich der Autorin, mich vor dem Besuch bewahrt zu haben. Sich selbst bedauern und feiern bekomme ich deutlich günstiger im Büro, im Sportverein oder bei Familienfeiern.
    Ein wenig Neid kam dann aber doch auf – so coole InEar-Monitore mal ausgiebig und betreut probieren zu dürfen – hätte ich, der gerade auf der Suche nach gutem InEar-Equipment ist, auch gern gehabt. Jetzt kenne ich aber jemanden, der jemanden kennt – wenn das nichts ist 😉

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