Halt die Klappe, hol dir’n Hund: Olli Schulz über das Erwachsenwerden im Zeitalter des digitalen Umbruchs, seine Abenteuerplatte und die Frage nach dem Hund Marie – klangverführer | Musik in Worte fassen

Halt die Klappe, hol dir’n Hund: Olli Schulz über das Erwachsenwerden im Zeitalter des digitalen Umbruchs, seine Abenteuerplatte und die Frage nach dem Hund Marie

Am Anfang war der Hund Marie. Bevor ich mit der Musik von Olli Schulz in Berührung kam, kannte ich ein Plattencover von ihm: Für meinen Artikel Popmusik & Hundezucht: die schönsten Hundeplattencover habe ich das Cover des Olli Schulz & der Hund Marie-Songs Dann schlägt dein Herz (2005) verwendet. In das Lied hatte ich mal kurz hineingehört, es für weder besonders bemerkenswert noch besonders unangenehm befunden und fortan nicht mehr daran gedacht.

Das hat sich mit SOS, dem aktuellen Solo-Projekt von Olli Schulz, geändert. Als ich den Album-Teaser hörte, bin ich an der Reggae-Nummer Ich kenn‘ da Ein hängengeblieben, und auch viele der anderen neuen Singer-Songwriter-Stücke schienen mir echtes Ohrwurmpotenzial zu haben. Nanu? Kein schrammeliger Indie-Rock mehr von Olli Schulz? Ist er etwa erwachsen geworden? Und wo ist eigentlich der Hund Marie? Diesen und anderen Fragen gehe ich am ersten sonnig-warmen Tag dieses Jahres im Café Fleury in Berlin Mitte auf den Grund – klar, dass da auch der Hund Emily, besser bekannt als Kopfhörerhund, dabei sein muss.


Olli Schulz und der Hund Marie war gestern …

Klangverführer: Dein neues Soloalbum heißt Save Olli Schulz – verrätst du mir, was dich so schutzbedürftig macht?

Olli Schulz: Eigentlich macht mich nur die Tatsache schutzbedürftig, dass es so anstrengend war, diese Platte aufzunehmen und zu veröffentlichen: ein neues Label zu suchen, nachdem mir die alte Plattenfirma gesagt hat, dass sie meine nächste Platte nicht herausbringen möchte und ich so gestresst war von diesem ganzen Business-Kram! Ich habe für die letzte Platte eine wahnsinnige Promo-Tour gemacht, wahnsinnig viele Interviews gegeben … Diesmal ist es schön, dass ich nur zwei Tage mache, heute und morgen – Emily! (pfeift nach dem tauben Hund, der sich gerade in Richtung Küche davonmachen will) –, denn dieses ganze Drumherum nervt eigentlich nur, du wirst abgehalten vom Musikmachen, weißt du. Darum hat der Titel ganz gut gepasst. Außerdem habe ich in letzter Zeit immer Geldprobleme gehabt, weil ich ein schlechter Geschäftsmann bin, mit einer Band auf Tour war und denen zu viel Geld ausgezahlt habe – und obwohl ich Veranstaltungen gemacht habe wie die Neujahresrevue in der Volksbühne, war ich am Ende immer der, der am meisten draufgezahlt hat. Außerdem sind noch ein paar weitere Sachen passiert, die nicht so toll waren: Ich habe versucht, noch einmal mit dem Hund Marie eine Platte aufzunehmen, das ist auch gescheitert … Dann stand ich ziemlich alleine da und habe diese Platte alleine gemacht, und dann habe ich gedacht: Da passt „SOS – Save Olli Schulz“ doch ganz gut. Ich würde gern noch mal eine Platte so aufnehmen!

Eine weitere Soloplatte?

Ja.

Auf Save Olli Schulz singst Du von „irgendetwas“, dass Dir so sehr fehlt und immer mehr wird (Irgendetwas fehlt), davon, dass wir jung und dumm sind „und denken, das ist Kunst“ (Ich kenn’ da Ein) und trauerst einer Liebe aus dem September ‛97 nach sowie einer „aufgebrauchten Welt“ (Ich dachte, du bist es) – ich finde mein Lebensgefühl perfekt in Deinen Texten gespiegelt. Glaubst du, dass wir einer Art verlorenen oder zumindest orientierungslosen Generation angehören?

Nun, ich jedenfalls! Ich weiß nicht, ob wir so einer Generation angehören, ich kann da ja nur für mich sprechen! Dazu muss ich auch sagen, dieses Lied mit der Liebe ‛97 … Das ist ja nur, dass ich einen Menschen mal für eine Nacht nur kennenlerne, dass ich mit ihm durch die Nacht fahre und am Strand bin … Das ist ja mehr eine fiktive Geschichte. Aber Du hast schon recht, es geht schon so ein bisschen darum, dass man auf der Suche ist und dass sich viele darin verirren, in dieser Suche und dann nur noch auf der Suche sind. Ich für meinen Teil muss sagen, dass ich gerade angekommen bin mit Frau und Kind und eigentlich ein unaufgeregtes, aber schönes Leben führe, da kann ich mich nicht beschweren. Ich habe eine Tochter, die ist zweieinhalb Jahre alt, und das macht mich schon ganz glücklich und füllt mich aus. Aber wer will denn schon eine Platte darüber hören, „Mir geht es gut, mein Leben ist schön, ich sitz‘ zu Hause und schaue mein Kind an und freu‘ mich des Lebens“?

Das Phänomen kennt man ja vom Tagebuchschreiben. Wenn man Jahre später seine Eintragungen liest, denkt man, Mensch, was war ich da depressiv, dabei ist es ja eigentlich nur so, dass man in diesen dunklen Phasen viel eher zum Stift greift und wenn es einem gut geht, schlicht keine Zeit und/oder Lust zum Schreiben hat!

Ja, stimmt. Ich kenne auch nur wenig gute Feel-Good-Movies, äh, Songs!

Und auch, wenn du über die Musik selbst schreibst, scheint immer auch etwas Wehmut mitzuschwingen – so singst du zum Beispiel in Old Dirty Man: „Ich werde nicht mehr so emotional bei emotionaler Musik“, und in Verliebt in 2 Mädchen läuft im Radio „Schrottmusik, die ich überhaupt nicht hören will“. War Musik früher besser? Und wenn man erst einmal zu dem Punkt kommt zu sagen, dass früher etwas besser war – ist man dann erwachsen?

Ich finde nicht, dass früher irgendetwas besser war. Ich bin kein Typ, der nostalgischen Sachen hinterher trauert. Ich glaube, dass wir in einer modernen Zeit leben, die noch völlig veraltet ist. Ich finde, dass wir immer noch Systeme und Sachen haben, die einfach nicht mehr relevant sind. Die mich nicht mehr interessieren. Mich interessiert beispielsweise die Fernsehkultur nicht mehr, die ist einfach am Aussterben. Es gibt neue Sachen, Internet zum Beispiel, und tausend Wege, sich Dinge anzugucken. Das beste Beispiel ist Thomas Gottschalk. Der ist völlig orientierungslos und gerade in der falschen Zeit, nicht wir. Der merkt nicht, dass seine Zeit abgelaufen ist. Ich finde das unangenehm, wie Leute der alten Zeit hinterher trauern. Man muss einfach mal sagen, „das ist jetzt vorbei und neue Sachen kommen. Komm jetzt, das ist nun mal so“. Der Umbruch, der jetzt stattfindet, der ist ja kodiert wie eine Alten und eine Neuen Welt, und manche Sachen gehen rasant schnell, andere gehen sehr langsam, und genau da befinden wir uns gerade drin! Dadurch formt sich solch ein generelles Lebensgefühl. Die einen sagen, früher war alles besser, und die anderen sagen, der Fortschritt ist total wichtig und ich bin nur noch am Rechner und Internet ist das Größte … Ich glaube, dass man sich in dieser Zeit einfach mal ein bisschen entspannen muss.


Heute heißt es: Olli Schulz und der Hund Emily!

Viele Künstler sind ja zurzeit auch sehr aktiv in den sozialen Netzwerken, bieten ihre Werke zum Download an, um diesem Umbruch gerecht zu werden … Wie hältst du es damit eigentlich?

Och, ich bin auch da ganz entspannt. Ich mach ‛ne CD, ‛ne Vinyl-Platte und ‛nen Download.

Oh, Vinyl! Wirklich?

Ja, tausend Stück – und die werden auch gut bestellt.

Schön zu wissen – gerade die fairaudio-Leser freuen sich immer über Vinyl! Bleiben wir aber mal beim Erwachsenwerden, gegen das du dich laut deinem eigenen Begleitschreiben zum Album „verbarrikadierst“. Wenn man deine aktuellen Lieder hört, von denen viele überraschend versöhnlich enden – zum Beispiel Old Dirty Man oder Koks & Nutten –, könnte man glatt denken, dass aus dieser Platte schon so etwas wie beginnende Altersweisheit spricht …

Also, erwachsen muss man einfach werden. In dem Moment, wo Du ein Kind hast, bist Du, glaube ich, automatisch erwachsen. Aber natürlich versucht man sich trotzdem eine Unschuld zu bewahren. Das ist ja auch etwas, was ich in meinen Liedern versuche zu bewahren. Es heißt ja nicht, dass du erwachsen bist, wenn du trotzdem eine Kindheit in dir trägst. Schlimm wird es, wenn du anfängst, über die Jugend … wenn du die Jugend nicht mehr verstehst und herum pöbelst. Das ist dann wirklich unangenehm!

Yeah, wenn du deinen Krückstock schwingst und anfängst, „die Kinder vom Hof!“ zu brüllen …

Genau. Und ich finde ja, dass viele Menschen, die jünger sind als ich, ausgesprochen … ähm … schon gesettelter sind, als ich es in ihrem Alter war. Die Jugendlichen, die sind viel bürgerlicher … Guck dir Kathi an – deutet auf die Promoterin – , die Tätowierungen am Arm sind alle nur aufgemalt! (lacht, denn natürlich sind die echt) Nein, aber es ist wirklich so: Ich glaube, dass die Leute wieder vernünftiger werden. Wenn ich auf zdf.neo Joko und Klaas höre, die machen schon voll den vernünftigen Eindruck, dafür, dass sie erst achtundzwanzig und neunundzwanzig sind! Ich war damals nicht so.

Du hast gerade wieder das Kinderkriegen angesprochen, und ich habe ja auch noch einen Teil des Interviewers vor mir mitbekommen, dem du gesagt hast, dass du so endgenervt bist von den Luxusproblemen der Leute, die darüber jammern, dass ihre Altbauwohnung im Prenzlauer Berg nicht genug Licht hat oder dass sie in ihrer Beziehung seit Jahre unglücklich sind, ohne etwas dagegen zu unternehmen … Wenn man deinen Song H.D.F.K.K. (Halt die Fresse krieg ‛n Kind) so hört, habe ich das Gefühl, der polemische Titel ist nur halb im Spaß gemeint. Glaubst du, dass sich alle kleinen, selbstbezogenen Luxusprobleme relativieren, wenn man für ein Kind verantwortlich ist?

Klar. Aber der Song ist nicht so ernst gemeint, dass jeder ein Kind haben sollte. Allerdings ist es schon so, dass viele Leute so wahnsinnig viele Sachen ernst nehmen, auch Musik und Texte … Dann sagst du, „geh, krieg ein Kind, und du merkst, dass das alles nicht so relevant ist“ …

Oder einen alten Hund, der macht ähnlich viel Arbeit …

Ja, oder einen alten Hund. Halt die Klappe, hol dir’n Hund!

Auch ein schöner Unsinns-Titel! Apropos Unsinn: Die in den vorigen Fragen schon angesprochene Melancholie, die sich durch viele deiner Texte zieht, wird von dir oft durch überraschend witzige Wendungen konterkariert; und auch vor allerlei Klamauk schreckst du nicht zurück. Hast du keine Angst, dass du mit Zwischenspielen wie Crew und Vorspiel oder Stücken wie Danke an alle deine Glaubwürdigkeit untergräbst?

Nee, damit hab ich schon sehr früh aufgehört. Viele Leute haben mir gesagt, Olli, wer mal witziger, mach doch nur noch witzige Sachen, andere haben gesagt, ey, du musst aufhören mit diesem albernen Scheiß, sonst nimmt dich keiner ernst … Ich hab‘ das über die Jahre immer so gemacht, nur so ist es gut. Die letzte Platte Es brennt so schön, die war eigentlich gar nicht so witzig, die fand ich eigentlich äußerst düster … Da waren die Sachen mit dem Hund Marie, Warten auf den Bumerang und so, schon witziger! Aber es war eigentlich schon immer so eine Mischung. Jetzt ist es ein bisschen persönlicher geworden, Old Dirty Man ist schon ein persönlicher Song über das Älterwerden, ja. Es gibt ja auch Songs, die sind nicht nur witzig oder nur traurig; es gibt ja auch Songs, die sind einfach nur so … entspannt. Es sind nicht nur diese beiden Extreme.

Oder ein Song hat eine total überraschende Wende, wie beispielsweise Briefmarke, das ist zuerst voll der gruselige Krimi und dann: „Er klebt die Briefmarke ein“!

Das war ein kleiner Gag, der uns so eingefallen ist, den finden wir sauwitzig!

Mir hat er auf jeden Fall sehr gefallen! Bei der Vorab-Recherche zu diesem Interview habe ich mir auch die Wikipedia-Seiten über dich angesehen, und da steht, dass Save Olli Schulz zunächst auch ein Olli Schulz und der Hund Marie-Album und kein Soloalbum werden sollte. Was ist eigentlich aus dem Hund Marie geworden?

Wir haben einfach nicht mehr so zueinander gefunden. Der Hund Marie, also Max Schröder, macht ja auch Musik und bringt jetzt eine Soloplatte heraus … Wir haben uns einfach seit 2006 nur noch ganz ganz selten gesehen. Das liegt auch daran, dass Max nicht nur Vater zweier Kinder, sondern dann auch bei Tomte eingestiegen ist. Und ich bin schon seit einiger Zeit – eigentlich seit der ersten Platte, wenn man es genau nimmt – viel alleine getourt. Und ich habe auch alle Songs geschrieben. Ich erinnere mich, dass er mich begleitet hat, und er ist ein ausgesprochen guter Musiker! Dann haben wir 2010 noch einmal versucht, eine Platte aufzunehmen, hatten uns zuvor aber drei Jahre nicht richtig gesehen. Wir waren für ein paar Tage im Studio, und ich habe dabei nichts empfunden: Kein Spaß gehabt, nichts. Und er auch nicht. Und dann habe ich gesagt, komm, lass es bleiben. Wir sind nicht mehr so, wie wir vor fünf Jahren waren, als wir Nachbarn waren, Freunde waren. Er hat ein ganz anderes Leben als ich – es gab auch keinen Streit oder so. Aber es passt einfach nicht mehr. Er hat auch ganz andere Vorstellungen von Musik, inzwischen. Er ist ein ganz toller Musiker – einer der besten, mit denen ich je arbeiten durfte –, und er wird auf jeden Fall eine tolle Soloplatte machen, und eigentlich ist es ja auch gut so: Ich mach meine Sachen, und dafür macht er auch seine Sachen.

Vorstellbar, dass ihr irgendwann wieder zusammen findet?

Momentan glaube ich eher nicht. Wir sind so unterschiedlich! Wie gesagt, es gab weder Streit noch Schlägereien noch Anwälte … Es war einfach so, dass wir beide alt genug sind zu merken, das wird gerade nichts mehr.

Ihr seid ja mit eurem Warten auf dem Bumerang-Album ja extra zu EMI gewechselt, um aufwändiger produzieren und von dem Singer/Songwriter-Stil wegzukommen …

Und auch wegen des Geldes, das wir bekommen haben!

Save Olli Schulz schlägt wieder die genau umgekehrte Richtung ein: Alles wurde auf nur einer Spur in einem winzigen Tonstudio aufgenommen. Ist das eine Art Back to the Roots?

Ja, das ist aber auch keine Singer/Songwriter-Platte, da ist überall Schlagzeug und so, einfach ganz anders von der Mischung! Aber natürlich auch Back to the Roots. Eigentlich habe ich immer alle Songs auf der Gitarre geschrieben – es kommt darauf an, wie du sie umsetzt. Erst einmal hatten wir nicht das Geld, und dann habe ich zwei aufwändig produzierte Platten gemacht, und dann habe ich gemerkt, das reicht jetzt auch, jetzt will ich wieder was anderes machen. Und da hab‘ ich diese Platte jetzt gemacht.

Wenn du sagst, es ist keine Singer/Songwriter-Platte – was ist es dann?

Doch ist es. Es ist eine Singer/Songwriter-Platte. Aber auch mehr! Es ist nicht nur eine Singer/Songwriter-Platte. Es ist eine Entertainment-Platte, ‛ne Quatsch-Platte, ‛ne schöne Platte … eine Abenteuer-Platte!

Sie ist auf jeden Fall wahnsinnig vielfältig: Du hast zwei Reggae-lastige Tracks drauf, beim Phosphoermann kommt dann doch so ein bisschen Hamburger Schule um die Ecke, Blumfelds Apfelmann ist da nicht weit …

Welcher Song von Blumfeld?

Der Apfelmann! Und nicht nur wegen des ähnlichen Titels!

Ah, okay. Ich frag nämlich, weil ich Blumfeld immer gut fand!

… und auch vom Liedermacherkosmos ist Save Olli Schulz nicht allzu weit entfernt …

Ich bin ein Liedermacher! Ich schreibe die Songs alle auf der Gitarre. Ich hatte früher auch mal ein Problem mit dem Begriff, aber eher aus Styling-Erwägungen. Im Grunde bin ich ein Liedermacher. Und außerdem: Hannes Wader, Klaus Hoffmann und solche Leute – das sind auch alles Liedermacher, und so schlecht waren die alle nicht, ganz im Gegenteil! Wenn du mich als Liedermacher bezeichnest, kann ich damit leben. Singer/Songwriter klingt nur cooler.


Ob cool oder nicht cool – in jedem Falle beliebt! Es gibt Fanpost.

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