Stimmen, wie füreinander geschaffen: The Stewardesses heben ab – und nehmen uns mit – klangverführer | Musik in Worte fassen

Stimmen, wie füreinander geschaffen: The Stewardesses heben ab – und nehmen uns mit

Nachdem das Wort “krank” ganz oben in der Suchbegriffsstatistik vom Klangblog rangiert – dicht gefolgt von “lesbisch”: erstaunlich, wonach die Leute in einem Musikblog so suchen! Sollte es eines Tages mit dem Musikjournalismus nicht mehr funktionieren, mache ich eine Krankenstation für Lesben auf -, möchte ich einmal mehr einen Treffer für das Suchergebnis liefern, denn: ich bin krank. Rotz, Halsschmerz, Nase zu – was auch immer Sie sich an Schnodder vorstellen können, hier ist er. Meine besten Freunde heißen zurzeit Gelomyrtol, Sinupret und Aspirin Complex. Damit bin ich nicht allein: Der überraschende erste Frühlingstag vor einer Woche hat ganze Belegschaften dahingerafft. Juchuh, zwanzig Grad, jubelte man tagsüber, und zog aus, was auszuziehen ging. Oh Mist, auf zwei Grad runtergekühlt, dachte man abends, als Schal und Jacke weit entfernt zu Hause lagen, man selbst aber fröstelnd im Biergarten saß. “Wenn Sie erst einmal das Gefühl haben zu frieren, ist es schon zu spät”, erklärte mein Apotheker am nächsten Morgen. Jaja, nachträglich schlaumeiern ist jetzt unglaublich hilfreich! Jedenfalls: Ich gehöre eigentlich ins Bett. Und nicht in den Konzertsaal. Aber: Wann spielen schon mal 5, in Worten: fünf, begnadete Musikerinnen auf einmal an einem Ort, darunter so anbetungswürdige wie Illute, Katriana und Catharina Boutari? Der findige Leser hat es erkannt: Das passiert, wenn das Label Pussy Empire Geburtstag hat und seine Künstlerinnen als The Stewardesses auf Tour schickt. Da muss man hin – und wenn es vorerst das Letzte ist, was man macht!


@ Work: The Stewardesses mit lauschendem Klangverführer. Foto: Jo_Berlin

In der wunderbaren Neuköllner Musenstube sind dann aber nur vier der Damen im Pan Am-Look gelandet, darunter allerdings meine drei Lieblingsstewardessen – und eine Chantal de Freitas, die zur Überraschung des Abends werden sollte. Davon aber später mehr. Eröffnet wird die Show von Catharina Boutaris Version des Tokio-Hotel-Hits Durch den Monsun, und live beweist Boutari einmal mehr, wie gut das Yael-Naim-Prinzip (Man nehme den unmöglichsten Song, den man sich vorstellen kann, und mache dann etwas ganz Wundervolles daraus) funktionieren kann: Der Song, muss ich feststellen, ist eigentlich ganz schön. Nur wussten Tokio Hotel das damals nicht. Chantal de Freitas singt im Refrain die zweite Stimme, und wie schon bei der L-Filmnacht zeigt sich auch jetzt, dass die Stimmen Boutaris und de Freitas’ wie füreinander geschaffen sind. Schön!


Sexy: Chef-Stewardess Catharina Boutari

Gast-Stewardess Illute hat ihren ersten Auftritt als Backgroundsängerin bei Chantals Mousse-T.-Cover Is It Cos I’m Cool, und sofort fühle ich mich ganz zu Hause in dem Klang. Ich liebe diese Stimme, die so anders ist als die der Kolleginnen und sich dennoch harmonisch in den Satzgesang der drei einfügt, der Katrianas Juli-Cover Geile Zeit begleitet. Aber die Stewardesses unterhalten das Publikum nicht nur mit den Akustik-Cover-Songs von ihrem Jubiläumsalbum Pussy Empire hebt ab, sondern auch mit ausgewählten Stücken aus ihren Soloprojekten. Ich freue mich auf Catharina Boutaris Alter Ego Puder mit ihren Großstadtkonkurbinen und meinem All-Time-Favorite Puder, wobei ich mich nicht entscheiden kann, ob mir Click Clack mit seinem “Farben, wo sind die Farben”-Refrain hier und heute nicht sogar noch besser gefällt – beide Disco-Nummern sind purer Glitter auf Speed!

Perfect von Chantal de Freitas mochte ich damals nicht besonders, aber entweder habe ich mich mittlerweile an den Song gewöhnt wie an einen guten Nachbarn, der vom Bekannten langsam zum Freund wird – oder de Freitas ist heute Abend in Hochform. Wie sich noch herausstellen soll, ist Letzteres der Fall; und nicht zuletzt gefällt mir das Thema des Liedes ausnehmend gut: alles soll heutzutage möglichst perfekt erscheinen, willkommen Botox, hallo plastische Chirurgie, und was das mit der Seele macht, interessiert keinen Menschen. Auch hier vereinen sich de Freitas’ Mezzo und Boutaris heller Sopran zu einer vollendeten Symbiose, und das, um beim Thema zu bleiben, ist etwas, das die Bezeichnung “perfekt” dann wirklich verdient hat. Nicht zuletzt gelingt es Chantal de Freitas, mir den Song Jetzt erst recht des Bravo-Geschöpfes LaFee näher zu bringen, für den ich bislang in etwa so viel übrig hatte wie für Durch den Monsun. Langsam verstehe ich, weshalb diese Lieder solche Hits sein konnten, denn entkernt man sie bis zum Kleinstmöglichen und lässt sie von einer lebensklugen Frau interpretieren, kann man tatsächlich so etwas wie Schönheit in ihnen finden. Tokio Hotel und LaFee fehlte es schlicht an Lebenserfahrung für die eigenen Songs. Wer schon ein bisschen gelebt hat im Leben, der kann auch banalen Teenagertexten Würde verleihen. In dieser Rolle gefällt mir Chantal de Freitas ganz wunderbar. Bislang habe ich sie eher als singende Schauspielerin denn als Musikerin wahrgenommen – das hat sich nun grundlegend geändert, und das Genre “gehauchte Ballade” steht ihr ganz vorzüglich.


Souverän & elegant: Chantal de Freitas

Das Lied, auf das ich mich freue, seitdem ich die Setlist gesehen habe – Dünner Tag von Illute -, kommt so ganz ohne jegliche elektronische Verstärkung indessen seltsam lo-fi daher. Ich gebe zu, es in der Album-Version mehr zu mögen – und dennoch zeigt Illute, dass man nicht mehr als Stimme, Ukulele, ein bisschen Fingerschnippen und eine Katriana an der Melodica braucht, um die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums zu erhalten. Ohnehin ist das Publikum der musizierenden Illustratorin wie immer mehr als geneigt – als sie in ihrem Hund-am-Strand-Cover Jungen Mädchen “Alle Jungen, alle Mädchen, zieht eure T-Shirts aus” fordert, beginnt die erste Reihe tatsächlich, einen Spontanstrip hinzulegen. Spätestens bei ihrer Version von Major Tom, die ich erstmals beim Fabulous Female Folk-Festival hören durfte, sind ihr alle verfallen. Damals war Illute der Lichtblick eines ansonsten trüben Abends – heute endlich hat sie ebenbürtige Mitstreiterinnen.

Katrianas Mensch aber ist das Lied, das über den Abend hinaus tagelang in meinem Kopf hängenbleibt. Im Grönemeyerschen Original verhasst, ist es bei ihr einfach nur wunderschön und, was dem Original nicht gelingt, berührend. Sehr süß ist Chantal de Freitas bei Teenage Love, einem ihrer eigenen Songs, mit dem sie wieder den über dreißigjährigen Frauen kollektiv aus der Seele zu sprechen scheint. Einer der Höhepunkte des Abends aber ist ihre Version des Rammstein-Hits Amerika. Schon auf der Platte großartig, toppt die Live-Version alles, haben die Stewardesses doch eine Andrews-Sisters-artige Close-Harmony-Nummer daraus gemacht. Ganz groß!


Nicht nur eine tolle Sängerin: Katriana

Das gilt auch für Katrianas Ich singe dir ein Lied mit seinem “Ich lieb dich heute Nacht/und wenn du nicht schlafen kannst/dann sing ich dir ein Lied”-Refrain, das in der Stewardesses-Version ebenfalls durch einen mitreißenden ooh-woo-whoo-Chor besticht. Bei Catharina Boutaris ‘türlich, ‘türlich verwandeln sich die Andrews Sisters dann in die Supremes; und genau hier zeigt sich, worin die Stärke der Stewardesses liegt: dass es vier Solo-Künstlerinnen geschafft haben, einen Gruppenklang zu entwickelnn, dessen Harmonien sich nicht hinter den großen Girlgroups der Sixties verstecken müssen.

Der durch Krankheit leider fehlenden fünften Stewardess Birgit Fischer (Ex-Motorsheep) wird gedacht, indem man das von ihr aufgenommene Ich+Ich-Cover Vom selben Stern als Zugabe anstimmt. Geben wir es zu: Ich+Ich haben schon recht pathetische Texte. “Du bist das Pflaster meiner Seele” hieß es in Pflaster, und hier heißt es “Ich nehm’ den Schmerz von dir”. Uff. Hätte man dabei nicht Adel Tawils großartige Stimme im Ohr – solche Texte könnte einem keiner verkaufen! Allein, Catharina Boutari, Chantal de Freitas, Illute und Katriana können es auch. Ganz zauberhaft funkelt der Song mit einem Mal, und ganz zauberhaft ist auch, wie Katriana hier tapfer mit Satinhandschuhen Klavier spielt, während de Freitas bei ihrem Part einmal mehr mit souveränem Leadgesang überzeugt. Die Künstlerinnen sind nicht nur stimmlich zusammengekommen, sondern eine jede hat sich während ihrer Tournee auch in die Lieder der jeweils anderen eingefunden, und mehr kann man sich von einem als einmaliges Projekt zusammengekommenem Musikerkollektiv wohl kaum erwarten.


Gitarre, Klavier, Ukulele, Melodica – Illute spielt sie alle

Wer die Stewardesses in Berlin noch einmal live sehen will, hat schon bald wieder die Möglichkeit dazu: Sie spielen ihr Programm am 5. April 2012 in der Langen Nacht noch einmal. Vorher machen sie aber noch Station in Dortmund, Köln und Hildesheim. Die genauen Tourdaten gibt es hier. Wir sehen uns, wenn es wieder heißt: Pussy Empire gebt ab!

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