Das war überraschend … gut. Skunk Anansie hautnah in der nhow-Gallery – klangverführer | Musik in Worte fassen

Das war überraschend … gut. Skunk Anansie hautnah in der nhow-Gallery

Es ist ein bisschen so wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Schon wieder Stralauer Allee. Schon wieder Musik. Das hatte ich doch gerade erst die ganze letzte Woche! Wie es scheint, ist diesem winzigen Stückchen Stralauer Allee zwischen den Hausnummern eins und acht nicht zu entkommen, wenn es um Popmusik in Berlin geht. Mediaspree ist, ob das Gentrifizierungsgegnern und Kapitalismuskritikern nun gefällt oder nicht, aufgegangen. Diesmal sind wir allerdings weder bei Universal Music (Stralauer Allee 1) noch im Spreespeicher (Stralauer Allee 2) noch bei MTV Europe (Stralauer Allee 6/7) noch in der Fernsehwerft am Osthafen (Stralauer Allee 8), sondern in der Hausnummer 3, dem nhow-Hotel, wo vor einem knappen Jahr auch das Klangverführer-Interview mit der Wiener Sängerin MisSiss entstanden ist. Damals gaben uns in der Galerie des Hotels die Arbeiten des Niederländers Peter Bastiaanssen eine ganz spezielle Kulisse. Diesmal geht es weniger künstlerisch, dafür aber umso atmosphärischer zur Sache.

Nun also Skunk Anansie. Die habe ich zuletzt in meinem Abijahr 1996 gehört, als sie mit Hedonism (Just Because You Feel Good) einen großen Hit hatten. Das Lied hatte mich nicht sonderlich beeindruckt; die Nachfolgesingle Brazen (Weep) – und dort die phantastische Gesangleistung von Skunk Anansie-Frontfrau Skin – allerdings umso mehr. Die hat es sogar auf meine private Rock My Soul-Compilation geschafft, die ich neulich erst wieder einmal gehört habe. Skunk Anansie – bessergesagt: dieses eine Lied von ihnen – war in meinem musikalischen Hinterkopf also immer irgendwie präsent, das Interesse an der Band selbst hielt sich bei mir allerdings in Grenzen. Weder habe ich die Auflösung der Band 2001 mitbekommen, noch die unter dem Pseudonym SCAM erfolgte allmähliche Annäherung der Musiker aneinander von 2009 verfolgt. Vielleicht war es die eine Single von vor fünfzehn Jahren, aber es machte irgendwie Klick in meinem Kopf, als mir die Einladung zum Pre-Listening des neuen Albums von Skunk Anansie samt semi-akustischem Live-Gig ins Haus flatterte. Bei meinen potenziellen Begleitern hingegen schien dieser Klick auszubleiben – es war wie verhext, niemand hatte an diesem Abend Lust oder Zeit, mitzukommen.


Diese Frau kann singen: Deborah Anne Dyer alias Skin

Schließlich fand sich Bassplayerman bereit, mich in die Gallery des nhow zu begleiten. Auch er hatte eine aus den Neunzigerjahren stammende Idee der Skunkz im Hinterkopf, die bei ihm aus welchen Gründen auch immer darin bestand, es mit einer zusammengecasteten Band zu tun zu haben. Auch diese Idee sollte sich im Laufe des Abends angesichts des Auftritts der Band sehr schnell relativieren. Zunächst aber wurde das mit rosa Bändchen versehene Publikum – man kann sich hierbei eines gewissen Herden-Feelings kurz nach der Brandmarkung nicht wirklich erweheren – genötigt, sich das am Folgetag erscheinende Album Black Traffic in Gänze anzuhören. Es dauere auch nur 38 Minuten, fügte die Moderatorin des Abends fast entschuldigend hinzu. Für elf Nummern nicht schlecht – das erinnert an rumpelige Punkplatten, wo ein Song auch nicht viel länger als drei Minuten dauern darf. Black Traffic jedenfalls mit seinen nervös treibenden Gitarren und dem omnipräsenten Haudrauf-Schlagzeug ist in erster Linie, unabhängig vom Pegel, mit dem man es hört: laut. Und erstaunlich … ich will nicht sagen schlecht, aber doch seltsam … abgemischt. Die charismatische Stimme von Skin ist viel zu weit hinten und geht im Klangchaos unter. Das kann man jetzt als sympathischen Meine-Band-ist-auch-wichtig-Ansatz begreifen. Das kann man aber auch lassen und sich stattdessen darüber ärgern, denn diese Art zu mixen macht dem Zuhörer schlicht Schwierigkeiten, ja sogar Stress.

Allerdings legt sich das nach den ersten neun Stücken: Die Schlussnummern Sticky Fingers in your Honey und Diving Down gefallen gleich auf Anhieb und lassen mitrocken (Sticky Fingers) bzw. -grooven (Diving), wobei man sich wieder fragen muss, ob hier der Gewöhnungseffekt nicht mitspielt – oder ob gar die Gin Tonics, die an diesem Abend großzügig ausgegeben werden, langsam aber sicher ihre glückselig machende Wirkung entfalten. Live und halb-akustisch hingegen fügt sich alles wie von Zauberhand: Das hier kann man nicht nur aushalten, das hier ist sogar ziemlich gut.

Und Sie, liebe Leser, können das zu Hause nachmachen. Hier die Chords:

Nachdem Sie Ihre Gitarren jetzt wieder weggelegt haben, lehnen Sie sich zurück und genießen Sie zwei weitere Songs:

Bleibt als Frage des Abends eigentlich nur noch: Weshalb macht so eine (gute) Band so eine (allenfalls mediokre) Platte? Wer eine Antwort hat, schreibe mir bitte. Bleibt noch etwas anderes: die obligatorische Zugabe. Natürlich spielen die sympathischen Briten ihren 1996er-Smash Hit Hedonism (Just Because You Feel Good):

Das war in der Tat anders als erwartet. Die Band, die übrigens nicht zusammengecastet ist, sondern vielmehr seit fast zwanzig Jahren in unveränderter Besetzung zusammen spielt, erweckte den Anschein, als hätte sie wirklich Bock zu spielen, dem Publikum gefiel es – und auch in meinem persönlichen Fan-Kosmos hat wieder eine Band mehr den Shift von ist-ja-ganz-nett zu gefällt-mir-sehr-gut geschafft. Es war ein schöner und vor allem überaschender Abend (und das sage ich Ihnen als jemand, der Überraschungen mindestens skeptisch, wenn nicht gar mit Abscheu beäugt), und ich hoffe, Ihnen davon einen kleinen Eindruck vermittelt haben zu können. Auf die Platte aber können Sie, ganz im Vertrauen, getrost verzichten.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Cathrin Schmiegel im Rolling Stone – ein treffender Konzertbericht, nachzulesen hier. Eine exklusive Fotostrecke von Alexander Mechow finden Sie hier. Die Ausleuchter lbrty&vstnss, die den Abend in magischen Glanz hüllten, haben die Fotos und eines der Klangblog-Videos in ihre Seite eingebunden, nachzusehen hier.


Ohne Botschaft geht bei Skin nichts: Save the Sea

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