Man kommt nicht weiter, wenn man immer nur das hört, was man kennt. Jazz-Trompeter Christian Meyers im Klangverführer-Interview – klangverführer | Musik in Worte fassen

Man kommt nicht weiter, wenn man immer nur das hört, was man kennt. Jazz-Trompeter Christian Meyers im Klangverführer-Interview

Wenn Neuklang Records, die Jazzlabel-Ausgründung der legendären Bauer-Studios, anfragt, ob man einen ihrer Künstler zum Interview treffen möchte, sagt man nicht nein. Noch dazu nicht, wenn einem dessen Platte so gut gefällt, dass man sie auf fairaudio.de zur kommenden Platte des Monats machen will. Mulmig wird es dem Musikjournalisten allerdings, wenn der Labelkontakt den Nachsatz „Wäre auch selbst gespannt, was du da aus ihm rauslocken kannst …“ nachschiebt. Gilt der Künstler als maulfaul, gar schwierig? Muss man ihm jedes Wort aus der Nase ziehen? Wird das Interview nach fünf Sätzen beendet sein?

Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein, denn als ich Christian Meyers treffe, um mit ihm über sein aktuelles Album East Autumn zu sprechen, wird schnell klar: Dieser Mann hat eine Mission, ob als Musiker oder als Pädagoge, wobei Musizieren und Unterrichten für ihn ohnehin nur die beiden Seiten ein und derselben Medaille sind. Werden Sie Zeuge unseres wahrlich nicht als Fünf-Satz-Interview zu bezeichnenden Gesprächs, währenddessen der mit Schäferhunden Aufgewachsene ganz en passant den unter dem Tisch randalierenden Linahund (man muss das verstehen: die Küche! die Gerüche!) bändigt, und lesen Sie über Personalentscheidungen contra musikalische Entscheidungen, die Schwierigkeit, Musik in Worte zu fassen, den Wert der Musik, den Plattenschrank seines Vaters und weshalb der Trompeter trotz Fernsehturm auf dem Cover nicht den Soundtrack der Metropole spielen möchte. Nebenbei streifen wir die GEMA-Debatte, die ECM-Symbolik und begeben uns auf modales Gebiet, wobei schon mal Sätze fallen wie: „Es bleibt unimodal, ist aber durch die Verwendung verschiedener Tonarten polytonal.“ Im Grunde geht es aber darum, dass „die Liebe schon ganz früh da war“ – nämlich die zum Jazz.

Klangverführer: Als wir unser Treffen verabredeten und ich in deiner Signatur „Meyers Nachtcafé“ las, hätte ich beinahe angenommen, dass du auch noch ein kleines Jazzcafé betreibst – dabei ist „Meyers Nachtcafé“ ja gar keine Location, sondern der Name deines akustischen Loungejazz-Projekts. Warum jetzt die Umbenennung vom Nachtcafé in das konservativere Quintett? Mit Alex Uhl (Bass), Eckhard, Stromer (Drums) Martin Johnson (Rhodes) und Rüdiger Nass (Gitarre) hast du als „Nachtcafé“ ja auch schon als Quintett, wenngleich nicht in klassischer Quintettbesetzung, gespielt …

Christian Meyers: Also das Nachtcafé ist in erster Linie eine Personalbesetzung. Das heißt, dass ich mir überlegt habe: Mit welchen Leuten will ich gerne Musik machen? Und dann habe ich die ausgewählt. Das sind Leute, mit denen ich auch sonst viel zu tun habe. Martin kenne ich als Dozent, Eckhart ist ein Kollege von mir an der Musikhochschule … Das heißt, ich habe die Personalentscheidung vor der musikalischen getroffen. Ich habe diese Leute zusammengesucht, weil ich weiß, dass einige von ihnen keine Hardcore-Jazz-Typen sind, sondern eher so aus der Funk-Rock-Ecke kommen. Wir haben uns gesagt, setzen wir uns mal zusammen und gucken, was für eine Art Musik dabei herauskommt! Und erst, als klar wurde, wo das hingeht und wo die Stärken dieser Band sind, habe ich die Musik für diese Besetzung geschrieben.

Beim Quintett ist es ein ganz anderes Konzept, denn hier war es so, dass ich zuerst die Musik im Kopf hatte. Ich habe sie aufgeschrieben und dann überlegt, mit wem ich sie umsetzen möchte. Mit Eckhard Stromer, Ull Möck und Jens Loh spiele ich zusammen bei Lilly Thornton in der Band – eine ganz tolle Sängerin aus der Schweiz! –, das ist eine eingespielte, großartige Gruppe. Die sind so wahnsinnig schnell, die Jungs, so unglaublich musikalisch! Und den Andi Maile hab‘ ich mir dazugeholt, weil ich ihn aus der Bobby Burgess Big Band kenne, der spielt jetzt beim SWR, das ging alles ruck-zuck, ein, zwei Proben, dann haben wir ein Konzert gespielt, noch ein paarmal geprobt, das lief alles wie am Schnürchen!

Die Kreise ziehen sich aber natürlich noch viel weiter: Den Jens kenne ich noch vom Studium, beim Ull wohne ich öfter mal in Stuttgart, das ist jemand, mit dem man nächtelang über Musik reden kann … Manchmal trifft man Kollegen, mit denen herrscht blindes Einvernehmen. Das ist bei Martin, dem Keyboarder vom Nachtcafé, auch so. Wir haben uns kennengelernt und uns war sofort klar, dass das funktioniert, persönlich wie musikalisch. Das sind große Freundschaften – mittlerweile mit allen. Natürlich ist es immer schwer, mit eigenen Sachen herauszukommen, aber was mich gefreut hat ist, dass die das sofort in die Hand genommen haben und es auch sofort gut geworden ist. Noch bevor ich von denen ein Feedback bekommen habe, dass sie die Musik toll finden, habe ich beim Spielen gemerkt, dass das funktioniert.

Live spielen wir viel in Berlin, und da ich die Stuttgarter Jungs nicht immer nach Berlin holen kann, werde ich zum Beispiel im b-flat im Februar Wolfgang Köhler, einen Professor vom JIB, also vom Jazz Institut Berlin, am Klavier haben, und Holger Nell, den ehemaligen Drummer von der Rias Big Band, am Schlagzeug. Ich spiele das Quintett-Programm jetzt also mit Berliner Leuten. Beim Nachtcafé ist das anders, wenn da einer von uns nicht kann, dann treten wir nicht auf.

Du sagst, ihr seid mittlerweile auch untereinander befreundet. Ich stelle mir das schwierig vor, wenn man Freundschaft und Arbeit so eng miteinander vermengt …

Es ist immer schwer, dafür ein Wort zu finden. Es ist eine sehr intime Arbeit – und Arbeit ist es natürlich! –, und sie ist insofern sehr privat, als dass ich niemals jemanden in die Band holen würde, dem ich nicht vertraue oder von dem ich wüsste, dass er nur ein guter Spieler ist, aber nicht „mitschwingt“. Wenn man sein eigenes Zeug macht, dann ist das eben alles ein bisschen sensibel. Wir sind schon befreundete Kollegen und haben eine sehr intensive Beziehung zueinander, aber nochmal: Es ist schwer, dafür Worte zu finden.

Wenn du jetzt Vertrauen ansprichst – auch, weil man bei seinen eigenen Sachen so viel von sich preisgibt?

Naja, wie bei allen Menschen gibt es auch unter Musikern Söldner, Leute, die es einfach nur machen, und solche, die ein Gespür dafür haben und deine Sachen weiterbringen. Gerade bei solchen Dingen, mit denen man noch relativ am Anfang steht und wo ich auch noch nicht viel bezahlen kann, bin ich natürlich auf jemanden angewiesen, der daran glaubt und erst einmal für mich in Vorleistung geht. Jemand, der sagt: Ich steh‘ auf die Musik, ich steh‘ auf das Projekt und brauche jetzt nicht noch eine Gehaltserhöhung, um das zu machen. Unter diesen Voraussetzungen auch noch gute Leute zu finden, ist schwer. Man muss sie mit guter Musik überzeugen, dann geht das schon!

Es gibt ja auch schon die erste Rezension … Ich habe sie auf der New Yorker Seite criticaljazz.com entdeckt!

Ja, die ist toll, oder?

Ja, die ist toll. Was mich an ihr aber am meisten frappiert hat ist, dass der Rezensent schreibt, wenn man einen Referenzrahmen für eure Musik sucht, ist der am ehesten bei ECM-meets-Oldschool anzusetzen … Ich empfinde eure Musik überhaupt nicht ECM-mäßig kühl, distanziert und intellektuell, dafür groovt ihr doch viel zu sehr und seid vor allem viel zu lebendig – bei ECM-Künstlern habe ich öfter den Eindruck, sie seien, sorry to say, gewissermaßen scheintot …

Ja, ich habe das auch gelesen. Und auch wenn wir einige Sachen, gerade die groovigen, ganz bewusst so spielen, wie man sie damals noch nicht gespielt hat, und mal abgesehen von diesem modalen Stück, ist „East Autumn“ auf eine Art schon auch eine traditionelle Platte, aber ich finde, dass gerade die Art und Weise, wie beispielsweise Andi spielt, schon sehr modern ist, wobei das ja auch so ein sehr schwammiger Begriff ist. Ich meine, was ist modern und was ist traditionell? Viele spielen heute viel traditioneller als die Musiker von damals. Ich meine, zum Beispiel Coltrane! Der war ein absoluter Erneuerer und hat ein paar ganz böse Platten eingespielt, die heute noch schwer zu hören sind – und das in den Sechzigern! Mir fällt es wahnsinnig schwer, solche Schubladen aufzumachen und nach Labeln für die Musik zu suchen. Ich habe die Platte gemacht, weil sie mir so gefällt, weil ich das spüre, weil ich das so spielen will – und ich tue mich schwer damit, da im Nachhinein was draufkleben zu müssen. Den amerikanischen Kollegen von dir habe ich insofern verstanden, dass ich glaube, für viele Amerikaner ist ECM nach wie vor ein Synonym für europäischen Jazz, etwas, das eine bestimmte Farbe hat, eine bestimmte Coolness, eine bestimmet Distanziertheit, während man in Amerika immer „heiß“ spielt, da muss man nur mal nach New Orleans gucken. Und ECM steht eben für so einen ein bisschen intellektuellen, leicht distanzierten Jazz, wo es nicht zu konkret werden darf. Also nicht, „ach guck mal, das ist ja ein Blues!“, sondern immer so ein Touch „Wir-sorgen-dafür-dass-es-nicht-so-richtig-verstanden-wird“.

Wobei er ja gerade schreibt, dass ihr eben nicht das Klischee vom europäischen Jazz erfüllt …

Das meint er wahrscheinlich mit „Old School“. Ich habe mich aber wahnsinnig über die Kritik gefreut, und der dort bemühte Vergleich mit Freddie Hubbard ist extrem schmeichelhaft, denn das ist natürlich der große Meister!

Oh ja, das kann ich mir vorstellen! Du hast deine CD „East Autumn“ genannt, weil dir der Herbst, wie du in den Liner Notes schreibst, zwar schon immer die liebste Jahreszeit gewesen ist – sich in Berlin aber leider auch wie Winter anfühle. Der aktuelle Kälteeinbruch ist da sicherlich Wasser auf deine Mühlen …

Ganz genau!

Was gefällt dir denn so am Herbst, dass du ein ganzes Album danach nennst?

In der Regel sucht man den Albumtitel nach dem stärksten Stück aus und folgt keinem Konzept. Es gibt nur ganz wenige Leute, die ein Konzeptalbum schreiben, wo alle Stücke denselben thematischen Bezug haben. Für mich ist ein Album einfach nur eine Songsammlung, die man dann irgendwie in eine Reihenfolge bringt und dann überlegt, okay, welcher Song könnte jetzt der Titelsong sein. Da gibt es Titel wie „Out oft he Darkness“, und deshalb bin ich so ein bisschen die Negativ-Liste durchgegangen, wusste also erst einmal, welche Songs nicht der Titelsong sein können. Und dann dachte ich, „East Autumn“ ist ein guter Titel, weil „East“ mit Berlin zu tun hat, dem schon fertigen Layout mit dem Fernsehturm, das die Raija Holm gemacht hat, eine ganz tolle Designerin, die ich sehr schätze, und der Herbst ist meine liebste Jahreszeit, die CD kommt im Herbst raus, das passte irgendwie alles.

„East Autumn“ ist in meinen Ohren aber auch ein sehr klassischer Jazzalbumtitel, er erinnert mich an die „Autumn Leaves“ oder die „Autumn Regrets“ …

Genau, ganz genau. Und „East“ ist sozusagen die Reminiszenz an Berlin.

Vielleicht ist es auch das, was den amerikanische Kollegen so ein bisschen auf die ECM-Fährte setzte …Eine klassische Jazzplatte, die aber eben keine klassisch-amerikanische Jazzplatte ist.

Genau. Und ich freue mich einfach, dass das gelesen wird.

Vorhin hast du schon mal kurz das modale Stück auf deiner Platte angesprochen, „April’s Prayer“, das ja nun absolut kein Herbst-, sondern ein Frühlingsstück ist. Hier geht es aber nicht nur um das Erwachen und Erstehen der Natur, sondern mehr noch: Es verarbeitet den mittelalterlichen Psalm „Christ ist erstanden“, der als wahrscheinlich ältester liturgische Gesang in deutscher Sprache angesehen wird. Wie reiht sich ein Stück in dorischer Kirchtonart, das nicht nur das höchste Ereignis der Christenheit besingt, sondern gar als griff des musikalischen Ostermotivs gilt, ein in eine eher weltliche Themenwelt irgendwo zwischen Kantinengespräch und Pfannenkuchen?

Also ich finde genau das interessant. Wir leben im Pluralismus, es darf alles nebeneinander stehen, gerade in der Kunst, es gibt keine Begrenzungen mehr, man kann Leichtes neben Schweres setzen .. Damit habe ich kein Problem. Vom Themenkontext her ist es eher so, dass ich … Die Melodie ist so stark, die ist tausend Jahre alt, und sie ist immer noch stark, die habe ich als Ministrant in der Kirche damals so oft gehört und seitdem im Kopf gehabt. Sie hat mich einfach immer wieder aufs Neue fasziniert; und auch beim Üben, wo ich an einer Tonfolge eine technische Sache bearbeitet habe, ist sie immer wieder aufgetaucht, und dann hab ich gedacht, verwurstest du sie jetzt mal und guckst, was dabei rauskommt. Zuerst habe ich mich gar nicht getraut – noch nicht mal aus Respekt, denn ich finde, Musik ist jenseits von GEMA und allem erst einmal Allgemeingut, wenn die raus ist, ist sie in der Welt, und jeder darf damit erstmal machen, was er will! –, aber ich wusste nicht, ob das Stück gut genug ist. Dann hab ich es arrangiert und vorgelegt, und dann hatte ich wieder diesen Effekt mit den Kollegen und dachte, wow, das ist das beste Stück der Platte!

Ich wollte das Album dann schon beinahe „April’s Prayer“ nennen; und bis heute ist es eines meiner Lieblingsstücke! Es funktioniert sofort, obwohl es in diesem dorischen Modus bleibt. Den habe ich dann ein bisschen gebrochen, indem ich verschiedene dorische Modi genommen habe, das heißt, es bleibt unimodal, ist aber durch die Verwendung verschiedener Tonarten polytonal. Da gibt es zum Beispiel einen Teil, der steht in a-dorisch und einen, der steht in f-dorisch, und das gibt dem Ganzen zusätzliche Spannung und funktioniert super, damit bin ich ganz glücklich! Inhaltlich fand ich das Spannendste daran, dass ich das solchen Leuten vorgespielt habe, die aus der Kirchenmusikecke kommen, oder Leuten, von denen ich weiß, dass sie das Stück kennen – und das sind hier in Berlin nicht viele! –, und die haben es alle sofort erkannt, und es hat ihnen gefallen.

Ich wollte die Frage auch nicht im Sinne eines „Darf man das?“ stellen …

Also, jenseits von allem … Man kann zur Liturgie stehen, wie man will, und zum Katholizismus sowieso, aber es ist schon beeindruckend, die haben tolle Musik geschrieben! Ich war gerade erst in Leipzig in der Thomaskirche und habe Bach gehört – die haben schon tolle Musik geschrieben!

Definitiv! Du erwähntest gerade „jenseits von Liturgie“, dir ging es also bei dem Christ ist erstanden nicht um den Auferstehungsgedanken und die damit zusammenhängende Verheißung … Immerhin ist das auch ein ziemlich starker Gedanke, nicht nur die Melodie ist stark.

Nein, überhaupt nicht. Ich habe das Stück aus rein musikalischen Gründen gewählt. Ich hätte die Melodie auch genommen, wenn das ein irisches Volkslied gewesen wäre.

Vielleicht auf der nächsten CD …

Ja, das kann man auch machen, diese Themen. Es gibt ja Leute, die sehr stark thematisch arbeiten und sich dann solche übergeordneten Themen überlegen. Aber mir ging es vor allem um … Ich habe versucht, mir das zu erspielen. Ich hatte dazu so viel Musik im Kopf. Es ist auch stilistisch relativ breit gefächert, es gibt ein paar Balladen, was Modales, was Funkiges, aber es war alles Musik, die ich im Prinzip ohne Konzept und ohne Hintergedanken zuerst gehört und dann niedergeschrieben habe.

Das heißt, du hast Vieles davon schon lange mit dir herumgetragen und erst jetzt für das Projekt niedergeschrieben?

Hm, nee. Also, so ein paar Ideen sind vielleicht schon etwas älter, denn ich habe so eine Art Ideensammlung, in der ich kleine Schnipsel notiere und auf die ich dann ab und zu zurückgreife, aber im Prinzip habe ich die Musik fast in einem Rutsch im letzten Jahr geschrieben. Den Bandsound hingegen, den habe ich schon länger mit mir herumgetragen. Auch, während ich mit Nachtcafé gearbeitet habe, der Band, der ich sehr verbunden bin, habe ich schon immer mal einen zweiten Bläser oder einen Kontrabass gehört. Ein paar Nummern habe ich auch mit dem Nachtcafé probiert – aber das ist die falsche Band für die Stücke. Nachtcafé, dass sind E-Gitarre, E-Bass und Fender Rhodes, das ist ein ganz eigener Sound, dazu passt bestimmte Musik – und andere eben nicht. Ich habe also immer mehr gemerkt, dass ich Musik schreibe, die nicht zu der alten Band passt.

Um noch einmal kurz bei Nachtcafé zu bleiben – aber auch zurückzukommen darauf, dass du vorhin gesagt hast, wenn eine Melodie erst einmal in der Welt ist, gehört sie allen und jeder darf damit machen, was er will: Du bietest die Nachtcafé-Sachen zum kostenlosen MP3-Download an …

Ja, damals habe ich mir überlegt, bis wir so groß sind, dass wir viele Platten verkaufen, verdienen wir an Platten erst einmal nicht soviel. Dann ist es mir wichtiger, dass die Leute es hören, toll finden und sich auch mal nehmen können – ich hab‘ damit nichts verschenkt, sondern verkaufe meine Platten dann bei den Live-Auftritten, und da nehmen sie einem die Leute auch gerne ab, weil sie dann das Gefühl haben, von dem Konzert auch haptisch etwas mitnehmen zu können. Bei der nächsten Nachtcafé-Platte, an der wir jetzt auch schon dran sind, werden wir das aber anders machen. Damals, vor ein paar Jahren, habe ich aber entschieden, dass das so okay ist. Ich dachte, kennt eh‘ noch keiner – und bevor man da jetzt anfängt rumzugeizen … Wenn sich das jetzt einer runterlädt und in seinem Laden spielt, dann tut mir das nicht weh. Wir verkaufen trotzdem noch CDs, da muss man nicht von vornherein den Deckel drauf halten.

Du wolltest jetzt damit aber auch umgekehrt kein Zeichen setzen gegen die böse Musikindustrie oder so …

Nee, im Gegenteil, und das geht jetzt ein bisschen in Richtung der GEMA-Debatte, die wir gerade erleben: Ich finde, dass Musik ihren Wert hat und gerade wir, die wir davon leben, sollten dazu stehen. Dieser Meinung bin ich grundsätzlich, aber trotzdem habe ich damals entschieden, ich fange an, und wenn man mit etwas anfängt, muss man auch mal was in die Runde schmeißen und in Vorleistung gehen.

Dass die Leute es hören und sagen, Mensch, das gefällt mir, das will ich jetzt auch im Original besitzen?

Genau: Ich hab’s mir runtergeladen und jetzt will ich es doch noch für meine Plattensammlung haben. Ich hab‘ das bei mir selbst gemerkt: Seitdem ich meinen ersten iPod gekauft habe, hab‘ ich mir wieder viel mehr CDs gekauft. Und iTunes bzw. Apple hat das einfach super hingekriegt, dass die sich das bezahlen lassen. Aber klar, es ist schwer für viele andere. Ich glaube, es ist überhaupt schwerer geworden, mit Musik Geld zu verdienen oder auf dem Plattenmarkt zu bestehen. Das geht auch den Großen so. Ich glaube, viele Bands verdienen das meiste Geld durch live spielen, der ganz große Plattenhype ist vorbei. Aber das ist nunmal so.

Wir haben vorhin im Zusammenhang mit dem kalten Herbst schon mal Berlin angesprochen, damit war ich noch nicht ganz durch. Auf deiner Platte findet sich der Hauptstadtbezug ja nicht nur auf der Covergrafik, wo Trompete und Fernsehturm verschmelzen, sondern auch im Stück „Berlin Pancake“ … Steckt da Absicht dahinter nach dem Motto „was draufsteht, ist auch drin“, sprich: Liefert das CMQ den aktuellen Soundtrack unserer Metropole?

Nee, daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Berlin ist so groß, es gibt so viele Szenen, es ist so dezentral, also es gibt *den* Berliner Sound nicht. Der wird zwar immer wieder ausgerufen, gerade auch in Bezug auf elektronische Tanzmusik – wobei ich echt gar keine Ahnung davon habe, was da in diesem elektronischen Umfeld so alles abläuft. Das kann kein einzelner Mensch verfolgen. Wenn also irgendwelche Leute behaupteten, sie müssten wie Berlin klingen, dann fände ich das anmaßend. Andererseits leben wir mit diesen Klischees: Ich zum Beispiel stehe sehr auf Donald Fagan, den Keyboarder von Steely Dan, den find‘ ich tierisch. Und obwohl ich noch nie in New York war, ist Donald Fagan für mich der Sound von New York. Da mögen mir jetzt drei Millionen New Yorker widersprechen, aber für mich ist das so.

Die Berlinbezüge auf meiner Platte kommen aber, wie die Musik, einfach aus dem Bauch heraus. Das Logo kommt von mir, da habe ich versucht, etwas mit der Trompete zu bauen. Ich habe dann zu Hause mit Bildchen und Fernsehturmaufkleber herumgespielt und das Ergebnis der Raija vorgeschlagen. Und das mit „Pancake“, das ist eine Geschichte, die man als Zugezogener einfach immer witzig findet: Wenn man zum ersten Mal hier beim Bäcker sagt, ich hätt‘ gern ‘nen Berliner, dann sagen die: Die laufen bei uns auf der Straße rum! Bei den Berlinern selbst heißt der Berliner ja Pfannkuchen, und Pfannkuchen heißt hier wiederum Eierkuchen … Jedenfalls habe ich dann einen Calypso geschrieben, und da die Musik keine Lyrics hat, braucht man ja immer einen griffigen Titel, und dann musste ich an diese Berliner-Geschichte denken. Den Nicht-Deutschen muss man immer ein bisschen erklären, was die Berliner da veranstalten mit ihren Pfannkuchen, und darum hat die Geschichte Eingang in die Liner Notes gefunden. Und da das so eine augenzwinkernde Sache ist und auch der Calypso viel mit einem Augenzwinkern zu tun hat, passte das ganz gut.

Soundtrack für die Stadt nicht – aber Soundtrack für die jüngste Ausgabe von „Andruck – Magazin für politische Kultur“ des Deutschlandfunks waren einige Stücke von „East Autumn“. Ich habe mir den Podcast angehört – in den dort vorgestellten Büchern ging es ja richtig zur Sache. Wie fühlt sich das an, sich mit einer CD, die man gerade im Begriff ist zu releasen, plötzlich in einem Radiomagazin für politische Literatur wiederzufinden, also in einem Kontext, wo man nicht unbedingt jeden Tag erscheint?

Also, das war schon ein Ding! Ich hab das auch im Podcast gehört, und ja, das war schon ein komisches Gefühl: Meine Musik, von der ich immer noch denke … die noch ganz frisch ist, das Baby ist noch ganz frisch …und dann höre ich das und denke, wow, hoffentlich ist sie gut genug. Das sind so Unsicherheiten, mit denen man immer umgehen muss. Und danach dann die Moderatorin mit Syrien, bang!, und Religion und was der harten Themen mehr sind, richtige Klöpse … Aber natürlich bin ich erstmal froh, wenn meine Musik gehört wird. Es scheint eine kluge Sendung zu sein, da geht es um Besprechungen von Büchern, die auch heikle Themen angehen, und ich habe spontan gedacht, dass sich die Klientel, die diese Sendung hört, vielleicht auch für diese Musik interessiert. Insofern ist die Musik da richtig. Auf das politische Gleis möchte ich mich jetzt nicht bewegen, das ist mir zu heiß, aber ich kann soviel sagen, dass es auch für mich ein harter Schnitt war, wie nach meinem Solo ausgefadet und dann ohne Überleitung mit den heißen Themen begonnen wurde. Das war schon ungewöhnlich für mich, aber wenn diesem klugen Format meine Musik adäquat erscheint, dann finde ich das natürlich super.

Ich fand auch den Musikredakteur, der das geschnitten hat, gar nicht so schlecht, der hat das Intro von „A Glimpse of Past Events“ weggelassen und genau mit dem Thema begonnen, was ich selbst am ohrwurmartigsten empfinde.

(singen beide). La-da-da-die-da …

Ja, und dann spielen sie noch „Still Around“ und „Out oft he Darkness“. Und das ist schon adäquat. Man hätte für eine viel leichtere Sendung auch andere Stücke auswählen können, die haben sich also schon mit der CD auseinandergesetzt. Und ich meine Air Time ist unbezahlbar! Airplay ist immer gut. Mich hat das schon sehr gefreut, dass sie mich ausgewählt haben.

Wir haben es ja vorhin schon angesprochen: Auch für bekanntere Musiker ist es mittlerweile schwer, von ihrer Musik zu leben. Du unterrichtest noch zusätzlich an der Musikhochschule Stuttgart die Jazztrompeterklasse …

Ja, schon immer! Aber im Moment mache ich selber mal gerade ein Urlaubssemester, weil ich das Albumding anschieben will und ein bisschen Zeit für meine eigenen Projekte brauche. Aber es stimmt schon, wir machen ja alle noch so Sachen nebenbei.

Und wie gehst du mit diesem Spagat zwischen Vervollkommnung des eigenen Stils, also dem eigenen künstlerischen Schaffen, und der Weitergabe von Wissen, also dem pädagogischen Schaffen um?

Oh, das ist nicht schwer. Irgendwie gehört das sogar zusammen. Man muss immer in der Lage sein – und das können die bildenden Künstler auch immer, das lernen die auch –, sich in verschiedenen Stilen und verschiedenen Techniken zu bewegen, das sind zwei völlig verschiedene Sachen, die man aber parallel machen kann. Es gibt immer wieder Leute, die auch in jungen Jahren glauben, sie müssten hauptsächlich ihren eigenen Sound finden oder hauptsächlich ihr eigenes Ding machen. Das stimmt schon auch, aber man muss auch in der Lage sein, etwas anderes anzubieten, sonst kann man in der Kunst nicht überleben. Ich habe schon ganz viele unterschiedliche Sachen gemacht vorher, ich war in einer Bigband und ich spiele auch immer noch Shows, und da geht es nicht darum, dass ich eigene Stücke schreibe oder toll improvisiere, sondern da musst du einfach …

… auf den Punkt spielen können!

Ja, eben. Das ist eine ganz andere Arbeit, aber das ist auch das, was ich meinen Studenten versuche zu vermitteln: Technik, Technik, Technik, verschiedene Stile kopieren, in ‘ner Funkband spielen, im Musical spielen, klassisches Blechbläserquartett spielen, von mir aus auch Blaskapelle, egal – und gleichzeitig eigene Musik schreiben. Das gehört zusammen, das ist nichts, was sich ausschließt, im Gegenteil! Ich finde sogar, dass die Leute, die nur ihr eigenes Zeug machen, sich auf eine Art limitieren, weil sie nichts anderes mehr haben. Man muss aber aufpassen, den ganz breiten Spagat kann man irgendwann nicht mehr machen. Ich spiele immer wieder hier in Berlin im Radiosinfonieorchester, wenn die irgendetwas Jazziges haben. Zum Beispiel der Film „Metropolis“, der wurde für die letzte Berlinale ja neu vertont, da gibt es einen kleinen Jazzpart und da habe ich mitgespielt. Aber bei Klassik sieht das schon anders aus. Ich habe gemerkt, je mehr ich mache, desto schwerer fällt es mir, mich so zu konzentrieren, um die Klassik amtlich zu bedienen. Das können andere viel besser. Ich freue mich, wenn sie mich anrufen – aber es wird immer schwieriger. Wenn man das wirklich gut machen will, muss man seine ganze Energie da reinstecken. Aber unterrichten – das habe ich immer schon gemacht, das mache ich, seit ich sechzehn bin.

Das heißt, das Unterrichten absorbiert nicht soviel kreative Energie wie das Spielen von anderen Stilen …

Das Unterrichten ist in erster Linie eine Arbeit mit interessierten jungen Menschen, das mir selbst auch ganz viel gibt. Meine Schüler sind zwar alle in Stuttgart, aber die kommen auch sehr oft nach Berlin und rufen ständig an. Das ist ja auch Einzelunterricht, das ist nochmal was ganz anderes als in so einem Uni-Studium, das ist ein ganz privater Kontakt. Ich habe auch zu meinen Lehrern immer einen ganz tollen Draht gehabt. Das waren für mich nicht wirklich Lehrer, sondern eher ältere Brüder, die schon einfach mal ein paar Jahre weiter sind als ich. Das Unterrichten ist eine tolle Arbeit, es macht mir viel Freude. Meine Schüler müssen bei mir auch alles machen, die müssen schreiben, die müssen arrangieren – das lernen die sehr früh! Ich selbst habe das erst relativ spät gelernt, und ich bin da jetzt rigoros. Die müssen bei mir auch ganz viel Technik machen, die müssen einfach gut Trompete spielen! Das hat dann erst einmal nichts damit zu tun, wo es sich dann musikalisch hinfächern wird, denn ohne Technik kannst du einfach nicht arbeiten, die muss jeder haben! Auch wenn das erst einmal nichts mit Jazz zu tun hat.

Du selbst hast klassische Trompete studiert und spielst manchmal dann doch noch Klassik …

Ja, gerade vor zwei Wochen wieder. Da rief das Gewandhausorchester an, denn sie wollten das Schlagzeugkonzert von Dorman aufführen, mit einem sehr gefeaturten Solisten: Martin Grubinger. Und das hat einen anspruchsvollen ersten Trompetenpart. Weil die aber im zweiten Teil Brahms aufführen wollten, hat der Solotrompeter vom Gewandhausorchester gesagt, er möchte für das Schlagzeugkonzert gern einen Spezialisten haben und sich selbst auf Brahms konzentrieren. Ja, und dann hatte ich die große Ehre, mit diesem wahnsinnig tollen Orchester zu spielen. Ein unglaublich tolles Orchester, eines der besten deutschen großen Orchester! Und obwohl das ja nicht mein Kerngeschäft ist, saß ich dann mittendrin. Das hat mich natürlich auch einiges an Nerven gekostet, aber es hat gut funktioniert. Es gab noch einen Live-Mitschnitt im MDR … das waren drei tolle Konzerte. Und weil das so eine völlig andere Baustelle ist, hat mich das natürlich umso mehr bereichert. Diese Musiker spielen nicht nur anders, die üben anders, die denken anders, die arbeiten anders … das war eine tolle Erfahrung! Letzten Endes sind das aber auch nur tolle Musiker – genau wie meine hier.

Auch das Gewandhaus selbst ist ein ganz toller Raum – wenn man da spielt, klingt es einfach sofort gut. Und vor allem mit so einem renommierten Orchester. Für Brahms würden die mich niemals anrufen, das können die viel besser, aber für diese rhythmischen Geschichten suchten sie jemanden, der so ein bisschen aus der Jazz-Ecke kommt. Dabei hat sich das Gewandhausorchester selbst schon sehr verjüngt – man stellt sich immer diese alten Herren vor, dabei sind die meisten Musiker etwa in meinem Alter oder sogar jünger. Das ist nicht mehr so wie früher, die gucken schon alle auch nach rechts und links. Aber wenn du in Deutschland Erfolg als Orchestermusiker haben willst, dann musst du wahnsinnig fokussiert darauf hinarbeiten. Das Niveau ist so hoch – allein um so ein Probespiel zu bestehen und in ein Orchester hineinzukommen, kann man sich gar nicht leisten, zu denken, ach, ich probier mal ein bisschen Jazz. Die Zeit um sich auszuprobieren ist einfach nicht mehr da. Die Leute kommen aus Ungarn oder bei uns aus Schulen wie deiner Händel-Schule, und die sind mit sechzehn, siebzehn, achtzehn schon völlig auf der Spur, sehr geradlinig. Das ist zwar sehr beeindruckend, aber mir wäre das zu eng.

Was war denn dann bei dir der zündende Funke, der dich von der Klassik zum Jazz gebracht hat?

Sagen wir mal so, ich habe Jazz eigentlich schon immer gespielt, seit ich Trompete spiele. Ich habe mit elf angefangen, also seit zweiunddreißig Jahren. Man kann sagen, ich habe gewissermaßen Klassik studiert, *obwohl* ich schon immer Jazz gespielt habe. Ich wollte erstmal einfach gut Trompete spielen lernen. Wo das hingeht, wusste ich noch nicht richtig, aber irgendwie war mir das mit dem Jazz immer klar. Ich hatte einen tollen Lehrer in Frankfurt und wusste immer, ich will das Studium bei dem auch beenden, aber ich habe schon im Studium ganz viel bei der Rundfunkbigband gespielt. Das gilt auch umgekehrt: Meine Schüler müssen bei mir auch die ganzen klassischen Sachen lernen, die großen Konzerte spielen können. Ich bin der Meinung, wie man als klassischer Trompeter Miles Davis kennen muss, muss man als Jazzer auch diese ganzen Haydn-Konzerte kennen. Es gibt da immer wieder so Spezialisten-Typen, die da sagen, „nee, nur deins“, aber ich seh‘ das anders. Die Musikwelt ist vielfältig, Trompete ist ein wahnsinnig flexibles Instrument … Ich habe das große Glück, mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen zu spielen. Ich habe als Student mal im Ensemble Modern, diesem tollen Frankfurter Ensemble für Neue Musik, gespielt, in der Bigband, jetzt immer mal wieder im Orchester …

Das heißt, du hältst auch die Trennung zwischen sogenannter E- und sogenannter U-Musik, zwischen Klassik und Jazz, für artifiziell?

Im Sinne von Blödsinn? Ja natürlich. Das ist wieder so ein Schubladending, da halte ich gar nichts von. Das ist eine ganz komische Unterteilung, die sich irgendjemand mal ausgedacht hat. Es gibt auch unterhaltsame Klassik – und es gibt ernsthafte U-Musik. Es gibt wirklich ganz ernsthafte und kluge, wahnsinnig tiefsinnige U-Musik im Sinne von Jazz, und wahnsinnig lapidare und profane E-Musik. Nur, weil das irgendwann mal ein Haydn geschrieben hat, ist das nicht automatisch tiefsinnig. Aber die Leute brauchen das, die brauchen so Türchen und Schilder. Dabei ist es so schwierig, über Musik zu reden! Es gibt da dieses berühmte Zitat, über Musik zu reden ist so …

… wie über Architektur zu tanzen! Ja, das ist auch der Eröffnungssatz meiner Website. Ich versuche es trotzdem.

Das ist auch richtig! Das Problem dabei ist, bei der Musik noch mehr als bei der bildenden Kunst, dass sie für die Leute so persönlich ist, sie reagieren intuitiv darauf. Ich merke das an den Kindern – ich mache auch Kinder- bzw. Jugend-Jazz-Workshops an Schulen. Und bei denen ist das so verwoben, dass die Musiklehrer die nicht erreichen können. Dabei ist das so, wenn du dich ein bisschen auskennst mit Musik, mit Harmonien, dann erkennst du Dinge, erkennst Kadenzen, Funktionen und so etwas. Es ist wie mit allem im Leben, wenn du Sachen begreifst, dann siehst du sie auch plötzlich. Und trotzdem ist für die meisten Musik immer noch sehr emotional, die Leute ertragen bestimmte Musik richtiggehend nicht.

Weil sie den Körper ganz unmittelbar berührt?

Schwer zu sagen. Ich glaube, sie berührt eigentlich eher die Seele. Viele Leute tun sich wahnsinnig schwer mit bestimmter Art von Musik. Dabei muss man bestimmte Arten von Musik auch einfach mal aushalten! Coltrane zum Beispiel, oder jemand, der ganz hart, ganz modern spielt, den muss man einfach mal aushalten. „A Love Supreme“ von Coltrane, das muss man einfach mal aushalten, auch wenn’s anstrengend ist – da muss man irgendwie durch! Das muss man sich jetzt nicht morgens auflegen, um aufzustehen und Kaffee zu machen – aber man kommt ja nicht weiter, wenn man immer nur das hört, was einem nur gut tut oder was man sowieso denkt, schon zu kennen. Und das ist so ein Bereich, in den im Moment auch ganz viele Leute reinproduzieren.

Es gibt aber immer wieder Typen, die sich ganz kompromisslos weit aus dem Fenster lehnen – zu denen zähle ich mich übrigens nicht. Beispielsweise gab es mal einen Trompeter, Booker Little hieß der, den kennt kein Mensch, der hat auch nur zwei oder drei Platten gemacht und ist ganz jung gestorben, aber der klang schon in den Sechzigern so wie Wynton Marsalis – er klang wie vor seiner Zeit, wie aus der Zeit gefallen, der hat einfach zwanzig, dreißig Jahre zu früh gelebt. Und solche Typen gibt es im Prinzip immer wieder. Monk zum Beispiel! Der wurde auch nicht verstanden. Und da muss man einfach mal durch. Und das versuche ich als Pädagoge zu vermitteln. Die Leute sind es gewohnt, intuitiv etwas zu mögen oder nicht zu mögen, also intuitiv auf Musik zu reagieren. Das erste, was ich versuche ihnen beizubringen, ist, dass sie das mal abschalten und erstmal einfach nur beschreiben, was sie hören, und nicht sofort werten, nicht sofort mögen oder nicht mögen. Sobald man ein bisschen darauf gucken kann, wie ein Musikstück gemacht ist, von der Struktur her und so, wird auch dieser intuitive Wertungsmechanismus aufgebrochen.

Bei mir selbst dauert es mittlerweile sehr lange, bis Musik im inneren Zirkel ankommt, wo sie gefällt oder nicht. Ich höre ganz viel Musik, und die höre ich mir einfach erst einmal ganz offen an. Ich höre auch schon sehr handwerklich, ob es gut gemacht ist oder ob es billig produziert ist – das ist es auch, was mir bei dieser ganzen Volksmusik so auf die Nerven geht, weil man hört, dass es so schnell und lieblos gemacht ist. Das kann ich in einer halben Stunde auch produzieren! Aber, wie jeder andere auch, habe ich natürlich auch meine Lieblingsplatten zum Autofahren und Mitsingen.

Meine Ausgangsfrage war ja die nach dem zündenden Funken, der dich zum Jazz geführt hat, davon sind wir irgendwie wieder abgekommen …

Der zündende Funke war ganz klassisch: Der Plattenschrank meines Vaters! Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie, das sind alles Hobbysänger, und mein Vater hatte auch eine große Plattensammlung. Da habe ich dann „American Patrol“ von Glenn Miller entdeckt. Als ich so mit zehn, elf anfing, Trompete zu spielen, habe ich das gehört und dachte: wow! Und auf der B-Seite war „St. Louis Blues March“. Die Liebe war ganz früh da. Und ich hatte das Glück, dass ich bei dem Trompeter, den ich mit am meisten bewundert habe, Ack van Rooyen – das ist der Solist und Flügelhornsolist von Peter Herbolzheimer gewesen, und auch bei Bert Kaempfert hat er ganz lange gespielt … jedenfalls habe ich den schon immer bewundert, auch, als ich noch ganz klein war, und bei dem habe ich dann nachher selbst Unterricht nehmen dürfen. Er ist ja einer der berühmtesten Flügelhornisten, ein Instrument, zu dem die Jazztrompeter gern greifen, wenn es um Balladen geht. Das Flügelhorn wurde in den Sechzigern, Siebzigern populär als Melodieinstrument, als weichere Form der Trompete, es hat zwar als Horninstrument eine andere Bauweise, einen anderen Konus, aber es ist genauso gestimmt wie eine Trompete und spielt sich sehr ähnlich. Das heißt, jeder Trompeter kann ein Flügelhorn in die Hand nehmen und darauf spielen – aber nicht jeder Trompeter klingt da auch richtig gut drauf. Und der Ack ist ein ganz lyrischer Spieler, ein toller Balladenspieler. Er ist mittlerweile über achtzig und spielt immer noch phantastisch! Er war in Den Haag mein Lehrer, und das war ganz großartig.

Und wer dich Flügelhorn spielen hören will, muss sich nur „East Autumn“ kaufen … Die Platte wurde ja bei Neuklang veröffentlicht, einer Label-Ausgründung der legendären Bauer-Studios. Wie habt ihr euch eigentlich gefunden?

Bauer hat das Label quasi im Haus, das ist ein gutes Paket. Ich war öfter mal im Bauer, wenn man mich als Sideman dahin bestellt hat, und fand schon immer, dass es ein tolles Studio ist. Vor allen Dingen aber kenne ich den Johannes Wohlleben, einen von den Tonmeistern. Den halte ich für einen außergewöhnlich guten Sound-Typen, der nicht nur wahnsinnig gut hört, sondern auch technische Probleme in Sekundenschnelle löst. Kaum sage ich ihm, ich hab‘ hier ein Brummen, ist es auch schon weg. Es gibt ja immer auch diese halbgaren Ton-Frickler, die sich nicht richtig auskennen, aber der Johannes … Ich bin eigentlich vorsichtig mit Superlativen, aber ich halte ihn für die oberste Bundesliga. Und ich wusste, wenn ich dieses Projekt machen will, dann will ich den haben. Ich habe schon vorher so viel mit ihm zusammengearbeitet, ich weiß, wie er arbeitet, wir kennen uns so gut, dass ich mich gut aufgehoben fühle.

Dann das ganze Equipment! Allein der Flügel im Bauer-Studio, das ist so ein alter Steinway aus den 1920er-Jahren, ein ganz legendärer Flügel, auf dem schon Keith Jarrett gespielt hat. Sein Klang ist so legendär, den kannst du bei Logic sogar schon als Sample kaufen! Und Johannes weiß genau, wie er den mikrophonieren und abnehmen muss. Ich kam an, und der Flügel war schon genau fertig eingerichtet – und schon nach dem Aufnehmen des ersten Stückes, wo wir im Abhörraum saßen, haben wir nur gedacht, wow! So jemanden muss man erst einmal haben, in dessen Hände man sich so beruhigt begeben kann. Johannes war für mich einfach die erste Entscheidung. Es gibt bestimmt Studios, die das viel günstiger machen – aber es gibt kaum eins, das so gut klingt. Es ist ein toller Ort.

Der auch das Flair der ganzen Legenden atmet, die schon vor einem dort aufgenommen haben …

Ja, definitiv. Da gibt es auch eine Galerie, wo die ganzen Bilder hängen. Aber es ist nicht nur das, sondern sie wissen einfach, was sie tun. Ich hab‘ auch Logic zu Hause und nehme auch auf, aber so schnell – wir haben die Platte ja im Prinzip in drei Tagen produziert: anderthalb Tage eingespielt, anderthalb Tage gemischt – geht das nur, wenn du mit solchen Weltmeistern arbeitest. Allein deren Mischpult hat die Ausmaße eines Raumschiffes, da muss man schon ganz genau wissen, wo man jetzt drücken muss. Das ist schon beeindruckend.


East Autumn wurde am 2. November 2012 auf Neuklang Records veröffentlicht.

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