What a diff’rence a day makes: Lisa Bassenge nimmt ihre Hörer mit auf Wolke 8 – klangverführer | Musik in Worte fassen

What a diff’rence a day makes: Lisa Bassenge nimmt ihre Hörer mit auf Wolke 8

Statt dem vielbesungenen Tag müsste es allerdings heißen, was für einen Unterschied zwei Wochen doch machen können! Vor vierzehn Tagen stellte ich mir noch die klassische Frage: Was will mir der Künstler damit sagen? Die Rede ist vom Auftritt meiner Berliner Lieblingssängerin Lisa Bassenge, die in Mark Scheibes Berlin Revue eine Kostprobe aus ihrem neuen Album Wolke 8 gab und mich recht ratlos zurückließ. Diese Ratlosigkeit hat sich jetzt zum Guten aufgelöst, nachdem ich das neue Material von Lisa samt Band bei einem dreißig-minütigen Promo-Konzert im Kulturkaufhaus Dussmann noch einmal hören durfte, weshalb dieser Artikel auch unter der Überschrift „Welch einen Unterschied eine halbe Stunde doch machen kann!“ veröffentlicht werden könnte.

Ob nun eine halbe Stunde, ein Tag oder auch vierzehn davon – der Unterschied ist groß, denn, soviel sie hier schon einmal vorweggenommen, diese Zeitspanne hat mich zur bedingungslosen Apologetin des neuen Lisa Bassenge-Albums gemacht. Wolke 8, so verriet die Sängerin im dem Konzert vorgeschalteten Interview mit Radio-Eins-Moderatorin Bettina Rust, ist im Gegensatz zur letzten Platte Nur fort ein Album über das Ankommen. Irgendwann ist es nun einmal soweit, dass man bestimmte Ziele im Leben erreicht und sich von gewissen Illusionen verabschiedet hat, denn schließlich „muss man sich ja irgendwann mal festlegen“. Dass das nicht immer ohne Trennungsschmerzen vonstatten geht, davon erzählen die elf Stücke auf Wolke 8, darunter acht Original-Kompositionen, bei denen Schriftsteller-Shooting-Star Thomas Melle (Raumfoderung, Sickster) textend zur Seite stand, sowie drei Coverversionen: ein Selbst-Cover aus Nylon-Zeiten, ein Cover von Foyer des Arts – dem Duo von Max Goldt – sowie eine Interpretation des Vagabundenliedes, das Bassenge ihre Tochter immer im Kindergarten hat singen hören und seitdem unbedingt selbst aufnehmen wollte.

Unter den Neukompositionen findet sich nicht zuletzt der Apfelbaumblues, der autobiographische Kindheitserinnerungen der Künstlerin verarbeitet. Aufgewachsen im beschaulichen Zehlendorf in einem Haus mit Garten und (Apfel-)Bäumen, entstand bei der jungen Lisa der Eindruck, das Leben sei ein Sommergarten, wo man unter Bäumen sitzt und Kuchen isst – „bis ich gemerkt habe, dass das ganze Apfelbaumidyll so in Kreuzberg nicht lebbar ist“, wie sie selbstironisch hinzufügt. Ohnehin lebt Wolke 8 von einer gehörigen Portion Selbstironie, für die man vermutlich wirklich erst ein gewisses Lebensalter erreichen muss, in dem man bestimmte Dinge – und vor allem sich selbst – nicht mehr so wichtig nimmt. Das sei aber Verhandlungsgegenstand der in der kommenden Ausgabe von Victoriah’s Music erscheinenden Rezension, ebenso die Frage, ob sich ein Sechsachtler „Blues“ nennen darf (er darf, aber auch dazu an anderer Stelle mehr).

Hier sei erst einmal die Bühne eröffnet für die von Bassist Paul Kleber – den treue Victoriah’s Music-Leser nicht nur vom Lisa Bassenge Trio, von Micatone und Nylon kennen, sondern auch als Gast auf solch schönen Alben wie etwa Storytelling Pianoplaying Fräulein von Alev Lenz – trefflich arrangierten Stücke, allen voran die aktuelle Single Lass die Schweinehunde heulen:

Was mir in der Scheibe-Show noch arg electropoppig unterkühlt erschien, kommt in dieser Besetzung dermaßen mitreißend rüber, dass es sich hinter dem Hammond-lastigen Puder von Catharina Boutari, mit dem ich das Stück noch am ehesten vergleichen mag, nicht verstecken muss, obwohl mich Letzteres schon beim allerersten Hören geflasht hat, während es bei den Schweinehunden etwas länger dauerte, bis es „Klick“ gemacht hat – das dafür aber umso nachhaltiger. Auch der vor zwei Wochen noch bemängelte Umstand, dass ich die Bassenge lieber als Jazz- denn als Popsängerin höre, wird hier hinfällig, denn es ist genau ihre dem Jazz entlehnte Artikulation und Phrasierung, die selbst das abgehackteste Stakkato-Deutsch butterweich klingen lässt.

Ganz besondere persönliche Freude hat mir allerdings die Ballade Das hier wird für immer sein gemacht. Wird hier thematisch die Wolke sieben verlassen, um auf Woke acht abzuheben, habe ich bei diesem Stück vor allem ein Klang-Déjà-vu, denn da ist sie wieder! Die Silbe „ei“ im Refrain, die genauso klingt wie das „ei“ in „Es ist vorbei“ auf Lisa Bassenges Interpretation von Rio Reisers Junimond. Kennen Sie nicht? Sollten Sie aber! Sie finden sie auf der schönen Scheibe Won’t Be Home Tonight.

Bei Van Gogh, diesem fiesen kleinen „Wär ich dies/wärst du das“-
Rundumschlag, den man gehört haben muss, geht es laut Angaben der Sängerin „eigentlich nur darum, jemanden so richtig fertig zu machen“ – und das macht hier auch noch großen Spaß. Zudem hat es ein bisschen vom Micaton’schen Gundog-Shuffle, was es zum noch größeren Mitzappler, -zucker und -klatscher werden lässt. Cooles Ding, das als Kontrapunkt die ganz große Ballade braucht. Die gibt es mit Nach dem Glück, das meiner Meinung nach das Schlüsselstück des Albums ist, heißt es hier doch: „Nach dem Glück und nach dem Traum/Bleibt immer noch ein wenig Raum/Um die Reste noch zu retten/Ohne auf das Glück zu wetten/Nach dem Traum und nach dem Glück/Kommt das Leben erst zurück/Um die Reste neu zu binden/Vor dem ganz großen Verschwinden“. Sich der Realität nach Verlust der (jugendlichen) Illusionen solcherart zu stellen, das ist fürwahr ein Ankommen – nämlich im Leben an sich, was nicht ohne eine gewisse nachsichtige Liebe zum Leben geht. Wie soll das am Tag der Liebe auch anders sein!

Natürlich benötigt auch die große Ballade ihrerseits wieder einen Kontrapunkt – an dieser Stelle herzlichen Dank für die Dramaturgie des Sets! -, der sich dann auch schnell in Dernier Cri findet. Konnte ich damit bei Mark Scheibe noch so gar nichts anfangen, muss ich jetzt feststellen: Lisa Bassenge hatte im Berlin Revue Orchester einfach die falsche Band. Jetzt hat sie die richtige, und das Stück, verzeihen Sie den Ausdruck, haut einfach nur rein. Sorry Herr Scheibe, aber so muss das sein! Als Zugabe bekommen wir noch den Apfelbaumblues zu hören, doch was über den Abend hinaus im Ohr bleibt, ist der Shouter: „Denier Cri, denier cri/So verliebt war ich noch nie!“. Ich auch nicht. Frohen Valentinstag.

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