„Wenn schon Jazz unterm Tannenbaum … – klangverführer | Musik in Worte fassen

„Wenn schon Jazz unterm Tannenbaum …

… dann solchen!“ Mit diesem Kommentar zu René Maries schwül dahingehauchtem Santa Baby verabschiedet sich die aktuelle Ausgabe von Victoriah’s Music auf fairaudio.de in die Weihnachtsferien. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit, denn es gibt schon noch Jazziges zum Weihnachtsfest, das sich – auch als Last-Minute-Geschenk – gut unterm Tannenbaum (oder an der Weihnachtswäscheleine) macht.

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Allem voran zu nennen ist hier der Engelrausch des Jazz-World-Tango-Trios Tango Transit, der mich über FrauContraBass-Bassist Hanns Höhn erreichte, welcher in seinem anderen Leben eben dort die tiefen Saiten rührt. Nach einem exzessiv volkstümlichen Auftakt irgendwo zwischen der Grunewalder Holzauktion und Alpenglühen kristallisiert sich die Melodie von Kommet ihr Hirten heraus, das die CD richtungsweisend eröffnet, denn ja, die Engel rauschen hier im Gewand alpin-volkstümlicher Akkordeonklänge, kommen aber auch mal karibisch, mal piazollaesk daher. Martin Wagner an den Tasten, Andreas Neubauer am Schlagzeug und eben Hanns Höhn am Bass interpretieren traditionelles Liedgut überraschend neu, spielfreudig und energiegeladen (man höre nur mal in Morgen kommt der Weihnachtsmann rein, wen es da auf seinem Stuhl hält, der ist scheintot, mal ehrlich!), ohne es gewaltsam zu verjazzen, vom üblichen „Swingin‘ Christmas“ ganz zu schweigen. Ohnehin wäre Jazz das falsche Label für dieses Album – zumindest wäre der Engelrausch damit nur höchst ungenügend beschrieben.

Absolutes Highlight aber ist dem fröhlichen Tenor des Albums zum Trotz keine atemlose Uptempo-Nummer, sondern das hier an den Libertango erinnernde Es kommt ein Schiff geladen, das nur noch von Maria durch den Dornwald ging übertroffen wird, angesichts dessen man zunächst glauben könnte, in Piazollas Milonga del Angel hineingeraten zu sein, das dann aber einen dezent orientalischen Einschlag entwickelt und dessen letzte „Jesus und Maria“-Zeile bei Tango Transit eine derart zwingende Inbrunst entwickelt, dass man auch als Nicht-Christ auf der Stelle gläubig werden möchte. Ein absolutes Haben- und immer wieder Hören-Müssen-Album, das nur direkt bei den Musikern zu bestellen gibt.

Engelrausch-Cover

Wer auch diesjahr auf ein gerüttelt Maß Swingin‘ Christmas nicht verzichten will, ist bei Paul Carrack und der SWR Big Band gut bedient. Lief uns Letztere erst kürzlich in Form von Fola Dadas Beitrag zum Fräuleinwunder über den Weg, dürfte Carracks Stimme den meisten noch von Projekten wie Ace, Squeeze oder Mike + The Mechanics im Ohr sein. Gemeinsam sorgten Bigband und Sänger schon 2005 mit A Soulful Christmas, dessen Produktion man den Kitschfaktor nicht absprechen kann (aber das muss so!), für wohlige Gänsehaut. Swinging Christmas steht dem in nichts nach, hat aber den Vorteil der Live-Aufnahme, der jeglichen Ansatz der überproduzierten Glätte schon im Keim erstickt. Klar gibt es auch hier das volle Programm der Coca-Cola-Weihnacht, White Christmas, Santa Claus Is Coming To Town oder Jingle Bells, aber eben auch völlig un-weihnachtliche Swing-Klassiker wie das Van Morrison’sche Moondance oder den Zweiunddreißigtakter Fly Me To The Moon, an dessen Interpretation sich spätestens seit Sinatra jeder große Crooner messen lassen muss. Überrascht wird der Hörer durch Carracks Version von John Lennons Imagine, das hier beweist, wie es jenseits ungezählter Musikschulaufführungen klingen kann, klingen muss! Mehr muss man dazu eigentlich nicht sagen. Paul Carrack hat die Stimme, die es schafft, Kitsch in Kunst zu verwandeln, und die SWR Big Band ist eine Institution.

Swinging Christmas

Wer zu Weihnachten auf der Suche nach ruhigeren Edelklängen ist, könnte versucht sein, zu Valerie Sajdiks Les Nuits Blanches zu greifen. Und in der Tat lässt sich das von Samuel Devauchelle produzierte, in eleganter Schwarz-Weiß-Optik gehaltene Album mit einem betörenden Zwigesang von Sajdiks warmer Stimme und Kontrabass, zu dem sich später ein verhaltenes Piano und noch später dezentes Schlagwerk gesellen soll, hochelegant an, wozu die französischen Lyrics das ihre beitragen. Dennoch hat die Wiener Sängerin mit russischen Wurzeln alles andere als den Soundtrack zur Stillen Nacht am Kamin geliefert, denn schon Track zwei wartet mit einem ausgewachsenen Kosakenchor auf. Fortan mäandern die Weißen Nächte irgendwo zwischen Tango, Chanson und Kabarett (ein traumverlorenes Cover von Doublés Captain Of The Heart gibt es auch noch), und spätestens da, wo man den Text des quadrilingualen Albums versteht, ist klar, dass es die Stücke ganz schön in sich, nämlich faustdick hinter den Ohren haben. Die Englein schweben bei Valerie Sajdik nicht keusch umher, sondern feiern auf ihren Opiumwolken wilde Sexorgien, und die Katze – miau! – wird auch gleich noch en passant begraben. Sajdik selbst hat eine jener Stimmen, die ganz beiläufig von bitterbösen Begebenheiten erzählen können – sofort glaubt man ihr, dass sie mal eben den Nachbarn zum Frühstück verspeist, wenn er sich nicht vorsieht. Das alles macht die Nuits Blanches zu einem Album für jene, deren musikalischer Humor sich im Spannungsfeld zwischen Tiger Lillis und Cosmonautix bewegt. Lassen Sie sich nicht vom Cover täuschen! Unbedingte Anspieltipps: Métropolis, I Spy On You und Comme Ça. Ich muss hier aber wohl nicht extra erwähnen, dass ich das ganze Werk ganz großartig finde und ihm viele Hörer wünsche.

Nuits Blanches

Ihnen dagegen wünsche ich eine schöne und nicht zuletzt schön klingende Weihnachtszeit!

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