ECM trifft Blue Note oder: Über den Umweg zurück. Tobias Meinhart im Klangverführer-Interview
VSz: Ich find es ja ganz lustig, dass der Berliner erst nach Bremen reisen muss, um deine „Berlin People“ zu sehen …
(beide lachen)
… wobei du ja seit mittlerweile gut zehn Jahren, glaub ich, in New York lebst …
TM: Mittlerweile sind es schon zwölf. Aber ich verbring seit den letzten sechs Jahren eigentlich den Sommer immer in Berlin. Wie New York auf Dauer einfach zu anstrengend ist.
Ich hab ja dein Lockdown-Bildertagebuch aus deinem letzten New Yorker Jahr begeistert verfolgt … Warum nennst du die Platte „Berlin People“?
Weil jetzt alle Bandmitglieder in Berlin wohnen. Das ist ein Grund. Und auch, weil ich die Platte im Sommer ein Jahr vorher in Berlin geschrieben habe, wo mich die Berliner Leute und das Berliner Leben beeinflusst hat. Das ist ein sehr großer Kontrast zu New York; und auch die Leute draußen sind anders. Also: Einmal sind die Band „Berlin People“, aber es ging auch, vor allem in dem einen Song, um die Berliner Art.
Du hast gesagt, dass du deine Sommer immer in Berlin verbringst. Ist das so eine Art zweites Zuhause?
Ja, würde ich sagen. Ich kann mir auch vorstellen, wenn mir New York einmal nicht mehr … wenn ich zu müde dazu bin, nach Berlin zu ziehen. Ich finde die beiden Städte in gewisser Hinsicht sehr ähnlich. Da ist die Kunst … Berlin ist sehr künstlerfreundlich, was New York schon teilweise nicht mehr ist, weil es zu kommerziell geworden ist, aber ich finde, dass einen, zumindest anders als in Bayern, wo ich aufgewachsen bin, niemand komisch anschaut, wenn man jetzt keinen Nine-to-Five-Job hat oder wenn man ein bisschen etwas anderes macht.
Man sagt ja, Berlin ist so wie New York vor zehn Jahren.
Ja, oder zwanzig Jahren.
Zwanzig sogar!
Vielleicht so wie in den Neunzigern. Ja. Aber Berlin war auch vor zehn Jahren noch anders …
… als es heute ist, ja. Die Platte, „Berlin People“, vereint ja deine deutschen Wurzeln einerseits, und die US-Tradition, andererseits. Kann man sagen: ECM trifft auf Hot Jazz?
ECM trifft Blue Note. (beide lachen) Darauf bin ich ja noch gar nicht gekommen, ich werde das ausleihen! Nee klar, man kann das auf jeden Fall sagen. Ich bin mit der Musik von meinem Großvater aufgewachsen, dem auch diese spezielle Platte gewidmet ist, der hat viel amerikanischen Jazz gespielt, er hat auch mit Amerikanern gespielt in amerikanischen Clubs. Als die Amerikaner Besatzungsmacht waren und Musiker brauchten. Das war auch für ihn ein Weg, wieder Arbeit nach dem Krieg zu haben. Da hat er ganz viel gespielt und dabei den Jazz gelernt. Ab dann hat er eigentlich immer weiter Jazz gespielt und mich auch zu Bigband-Konzerten mitgenommen, und von demher war ich eigentlich erstmal von dieser amerikanischen Seite beeinflusst und wollte Swing lernen und Standards lernen und Standards spielen. Von daher war es mir auch wichtig, irgendwann in das Land zu gehen, wo das her ist; und erst dann hat es sich so ein bisschen entwickelt, dass ich dachte, hey, ich bin jetzt nicht in Harlem großgeworden, ich habe europäische, deutsche Wurzeln, und bayerische Wurzeln, und dann hat sich das so ein bisschen geöffnet. Ich bin also über den Umweg zurückgekommen.
Wenn du sagst, schon dein Großvater hat Jazz gespielt – bist du aus einer Musikerfamilie?
Nein, dann gab es ein Gap. Er war Musiker, aber dann meine Eltern, die sind im medizinischen Bereich tätig. Meine Mama hat zwar Querflöte studiert, aber nach einem Jahr … die Nachkriegsgeneration war da, glaube ich, so ein bisschen vorsichtig, um das dann komplett zu machen.
Verstehe. Wir haben ja gerade über das Album gesprochen. Deine damaligen Mitmusiker waren Kurt Rosenwinkel, Ludwig Hornung, Tom Berkmann, Mathias Ruppnig – ist diese Besetzung auch heute mit am Start?
Ja, genau. Bis auf Kurt. Aber sonst genau die Besetzung, die sind alle genauso dabei. Ich hab mich gerade gefragt, ob es unter ihnen wirklich einen Original-Berliner gibt, aber die sind auch alle aus anderen Städten oder Ländern nach Berlin gekommen.
Spielt jemand anders für Kurt die Gitarre oder spielt ihr im Quartett?
Wir spielen im Quartett. Auf dem Album sind ja auch zur Hälfte Quartettstücke ohne Gitarre drauf.
Im März 2020 sollte es ja eine Berlin-People-Tour durch ein paar der schönsten Clubs Deutschlands geben – was ist eigentlich daraus geworden? Konntet ihr die Konzerte noch spielen?
Nee, eine Woche vor Abflug … Also, wir hatten ein Jahr vorher, im März 2019, zum Release eine ähnliche Tour. Die wollten wir dann 2020 wiederholen. Aber eine Woche vorher hat dann New York die Grenzen dichtgemacht. Wir hatten schon alle Flüge gebucht, alle Hotels gebucht, das war schon … das war schon ein bisschen hart. Und das Lustige ist, die Nachholtour war jetzt für den März 2021 geplant, und die ist auch wieder abgesagt worden.
Das heißt, heute Abend hören wir das erste „Berlin People“-Konzert seit der Release-Tour? Oder gab es inzwischen noch welche?
Nee, wir haben schon ein bisschen gespielt, auch noch in Berlin, wo ich den Sommer vor Corona war, im Donau und im Zig Zag …
Klar, 2019, zum Release. Aber 2020 war dann zu, oder?
2020 war zu, ja. Aber wir haben im März 2019 die Release-Tour gespielt, und dann, im Sommer 2019, haben wir noch ein bisschen weitergespielt.
Aber seit dem Lockdown …
… nicht mehr.
Stichwort Lockdown und Konzerte. Die Jazzahead findet jetzt digital statt, es gibt drei Journalisten, die Kamerafrau, Ton, Bild, zwei, drei Leute von der Messe … und sonst eigentlich niemanden. Hast du den Soundcheck schon hinter dir?
Nee, der steht jetzt gleich an.
Dann kann ich nicht fragen, wie sich das anfühlt, da oben. Aber was glaubst du, wie wird es sich anfühlen? Das ist eine Hallo für 14.000 Leute!
Ich stell mir einfach vor, da sind 14.000 Leute! (lacht) Ich hoffe, irgendwann mal wirklich vor 14.000 zu spielen! (lacht nochmal) Aber im Ernst: Das ist natürlich schwierig. Andererseits überwiegt die Freude, jetzt nach … gut, in New York gab es zwischenzeitlich wieder Konzerte, aber es ist mein erstes Konzert 2021. Die Freude, jetzt wieder spielen zu können, überwiegt einfach. Das ist ein Privileg. Im Moment gibt es ja seit November einfach mal gar nichts. Und da ist es dann egal, ob das vor drei Leuten ist oder vor vielen.
Hast du Streamingkonzerte gespielt?
Ja, in New York, im Small’s, die das streamen, aber da war auch immer teilweise Publilkum. Nur Streaming war eigentlich nie. Es war immer ein bisschen Publikum zugelassen.
Ich frag mich einfach die ganze Zeit, wie sich das auf der Bühne anfühlt. In die Kamera, vor allem aber in den leeren Raum zu spielen.
Ja, ich glaube, das ist extrem schwierig. Vielleicht gerade auch bei Jazz, wo sonst immer wieder mal ein Applaus dazwischen kommt und wo man auch vom Publikum mit gepusht wird. Es ist, glaube ich schon, nicht ganz so einfach. Aber hoffentlich ist das ja auch bald vorbei!
Dein Wunsch in Gottes Gehörgang! Vielen Dank für das Gespräch.