Die drei R: Ein Abend mit Redakteur Ralph im Roten Salon bei Rusconis Record Release – klangverführer | Musik in Worte fassen

Die drei R: Ein Abend mit Redakteur Ralph im Roten Salon bei Rusconis Record Release

Bargeld, BH und Blasenpflaster – die drei Dinge poppten als Erinnerung in meinem Handy auf. Und mehr brauchte ich auch nicht, um mich für meinen Abend mit Rusconi in der Volksbühne zu rüsten: Begrüßungsbussi, Bier und Bock auf gute Musik würden sich schon beizeiten einstellen, dachte ich mir. Bargeld übrigens, weil ich tags zuvor meine EC-Karte bei einer Einzahlung (!) im Geldautomaten hatte stecken lassen. Dusselig. Als ich um kurz nach acht am Rosenthaler Platz ankam, wartete mein Lieblingsfairaudioredakteur schon, ich war spät dran da etwas fußlahm – siehe Blasenpflaster. Nach einem Warm-up mit leckerem Süppchen ging es in den Roten Salon an der Volksbühne.


Im Roten Salon ist eben alles rot. Selbst der Flur.

Dort nämlich feierten die Schweizer Jazzer Rusconi die Veröffentlichung
ihres vierten Albums It’s a Sonic Life mit einem Release Concert im intimen Rahmen – und bei diesem als „an evening inspired by Sonic Youth“ angekündigen Ereignis wollten natürlich sowohl ich alter Jazzhead als auch mein Redakteur, für den alles, was nur den Anklang einer blue note hat, sofort „Hoteljazz“ ist, dabei sein! Die Musik der „Mutter aller Noise Bands“ im Jazzidiom – das klang nach interessantem Konzept, wenngleich nicht so weit hergeholt, genießen doch nur wenige Rockbands im zeitgenössischen Jazzlager so viel Akzeptanz wie Sonic Youth, die Anfang der Achtziger in New York aus demselben Pool von Musikern hervorgingen wie beispielsweise die Lounge Lizards. Sie waren, eher ungewöhnlich im Rock-Metier, immer für freie Improvisation offen, und haben oft mit Jazzern wie dem New York Art Quartet, Derek Bailey, William Hooker oder Mats Gustafsson zusammengearbeitet.

Und nun also Rusconi. Man musste kein intimer Kenner des Sonic Youth’schen Oeuvres sein, um den Abend zu genießen – ich gebe zu, selbst keine besonders große Kenntnis davon zu haben. Wie Pianist und Bandleader Stefan Rusconi sein Publikum wissen ließ, kannten auch Schlagzeuger Claudio Strüby und Bassist Fabian Gisler die Stücke von Sonic Youth nicht, und das sei gut so gewesen, kannte er selbst sie doch „viel zu gut“! So aber konnte man unvoreingenommen an das Material herangehen und weitaus kreativer damit umgehen, als es intime Kenner der Musik von Sonic Youth je hätten können. Herausgekommen ist mit It’s a Sonic Life eine Mischung aus Sonic Youth und Rusconi, sprich: Die drei Musiker setzen sich mit der gitarren-lastigen No Wave/Noise-Band im klassischen Format des Piano Trios auseinander, was überraschend gut gelingt: Allein der Opener Sunday funktioniert so gut, dass man sich wundern muss, weshalb es noch niemand vorher versuchte. Schließlich haben sie sich das Material so zu eigen gemacht, dass sie im Probenprozess nach und nach das Gefühl entwickelten, Stücke zu spielen, die eigens für die Band geschrieben worden wären.

Vielleicht gelang der Übersetzungsprozess aufgrund einer musikalischen Seelenverwandtschaft Rusconis mit Sonic Youth – beide Bands sind offen-
sive Klangfarbensucher – so überzeugend, auch wenn er nicht immer leicht gefallen ist. So sind manche der Stücke auf It’s a Sonic Life echte Cover-versionen, andere wieder wirken wie Paraphrasen auf einzelne Songs. Manche haben sich so sehr vom Ursprungsmaterial entfernt, dass sie sich nicht mehr genuin auf Thurston Moore und Co. zurückführen lassen und durchaus als künstlerische EIgenleistung Rusconis gelten können. In jedem Falle ist die Platte eine hochkomplexe Liebeserklärung an eine der ungewöhnlichsten Klangschöpfungen der Rockgeschichte und gleichzeitig musikalische Neubewertung aus ungewöhnlicher Perspektive. Live war das Ganze noch einen Tick intensiver.


Die Achtziger müssen schon stilecht gewürdigt werden.

Es war sehr schön, es wurde spät, es gab Getränke für alle – der Kater am nächsten morgen ließ nicht auf sich warten. Leider nicht das einzige Tierchen, das Ärger machte. Nach sehr sehr wenigen Stunden Schlaf wurde ich von einem aufgeregten Hundesitter, der – wenngleich aus komplett anderen Gründen – ebenfalls eine schlaflose Nacht hinter sich hatte, aus dem Bett geklingelt – Kopfhörerhund war krank und in besorgniserregend schlechtem Zustand. Noch im Hello Kitty-Nachthemd rüber zum Tierarzt von gegenüber, der an die Tierklinik überwies. Tierdroschke gerufen. Tatü-tata zur Klinik.
Von Nierenversagen über Vergiftung bis Magendrehung spukten mir die Horrorvisionen aller Hundehalter durch den verkaterten Schädel. Dann die Erleichterung: Es war eine Magenkolik. Kopfhörerhund hatte wohl irgend-etwas Vergammeltes aufgelesen und gefressen. Oder Blaukorn. Egal. Jetzt liegt er friedlich schlafend hier, und ich merke, dass It’s a Sonic Life auch wunderbar dazu geeignet ist, die angespannten Nerven zu beruhigen.

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