Jazzahead! 2014: Dänischer Jazz, wie er ist
Wenn es einen Grund gibt, den Klangblog kurzzeitig aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken, dann ist das fraglos die Jazzahead!, Fachmusikmesse und alljährliches Familientreffen der Branche in Bremen. Da ich dieses Jahr sabbaticalbedingt nicht dabei sein werde, folgte ich kompensatorisch der Einladung der Königlich Dänischen Botschaft ins Felleshus der Nordischen Botschaften Berlin, um mir bei einem Presse-Event einen kleinen Vorgeschmack auf die diesjährige Messe und besonders auf die Jazzszene Dänemarks, das als erstes nordisches Partnerland der Jazzahead! auftritt, abzuholen.
Das Verhältnis von vier Frauen zu fünf Männern ist für Jazzverhältnisse nahezu revolutionär; alldieweil komme ich nicht umhin festzustellen, dass ich der einzige Schreiberling unter den Anwesenden bin. Ansonsten tummeln sich vor allem Booker, Konzertveranstalter und Co. zwischen den Kulturattachés. Eine große Freude ist es, Sybille Kornitschky von der Jazzahead! wiederzutreffen. Nach einem kurzen Grußwort des dänischen Botschafters Per Poulsen-Hansen präsentiert sie uns stolz das kleine Jazzahead-Büchlein, das dieses Jahr die verschiedenen Programmhefte und -flyer ersetzt und alle Informationen kompakt bündelt. In der Tat ist es so schön geworden, dass ich beim Blättern mit jeder aufgeschlagenen Seite aufs Neue bedaure, Ende April nicht in Bremen dabeisein zu können.
Vor allem auch, da Dänemark als viertes Partnerland auf dieser nunmehr neunten Jazzahead! mit so einigem Hörenswerten aufwartet – aber dazu später mehr. Die Aufteilung in die Nacht des Partnerlandes, die Overseas Night, die German Jazz Expo und das European Jazz Meeting folgt bekannten Mustern – und auch bekannte Gesichter treffen wir wieder, Beispielsweise Bartmes oder Slixs mit Katharina Debus, die wir als Stimme von FrauContraBass kennen, bei der German Jazz Expo, Charnett Moffett bei der Overseas Night, Nils Wogram’s Root 70 & Strings beim European Jazz Meeting, und, oh ja!, da war ja noch die Skoda Clubnight, die diesjahr mit Acts wie Lisa Bassenge oder dem Vazana Trio aufwartet, wobei ich mich über Letzteres ganz besonders freue, da die israelische Sängerin, Pianistin und Posaunistin Noam Vazana bei den Jamsessions der letztjährigen Messe kennen- und schätzen gelernt habe.
In Bremen geht das als Partnerlandprogramm bezeichnete Kulturfestival allerdings schon früher los, genau genommen am 13. März beim großen Eröffnungsabend mit dem Danish String Quartet, das, folgt man Kornitschky, „so gar kein Jazz ist“. Das Kulturfestival, das sich bis weit in den Mai ausdehnt, gehe eben weit über Jazz hinaus – und auch weit über Musik. Da gibt es Theaterveranstaltungen wie Der perfekte (dänische) Abend, dänische Krimi-Kurzgeschichten, Märchen von H.C. Andersen und mehr. Purer Zufall hingegen sei, dass der diesjährige Preisträger des Jazzahead! Skoda Awards, der Fotograf Jan Persson, auch Däne ist. Dessen Fotografien von Miles Davis & Co. sind von Ende April bis Anfang Juni in den Artdocks zu bewundern. Eine weitere Überraschung ist das Line-up des diesjährigen Galakonzerts, das traditionellerweise in der Glocke stattfindet. Wo mich voriges Jahr Avishai Cohen nahezu weggeblasen hat, gibt sich diesmal das Aarhus Jazz Orchestra mit Gitte Haenning ein Stelldichein, die man hierzulande ja nun auch nicht unbedingt als Jazzsängerin kennt. Was sie aber recht eigentlich ist.
Neu ist 2014 neben der Einführung eines sogenannten Farewell-Konzerts, dass man auf der Jazzahead! die zunehmende Nachfrage aus den USA wohlwollend zur Kenntnis nimmt und ihr im Rahmen der Overseas-Night entsprechenden Raum gibt. Die bislang sechs Konzerte werden um zwei erweitert. Auf meine besorgte Frage hin gab man aber deutlich zu verstehen, nicht zur internationalen Plattform werden zu wollen und dem Hauptfokus auf Europa treu zu bleiben. Dies beweist schon die Wahl des Partnerlandes, wobei der Europabegriff mit den bisherigen Partnerländern Türkei, Spanien und Israel hier eher politisch denn geografisch und auch sonst im weitesten möglichen Sinne gefasst wird. Vom diesjährigen Partnerland Dänemark berichtet Lars Winther, Sekretariatsleiter von JazzDenmark, der auch den Jazzbegriff im weitesten Sinne verstanden wissen möchte. Schließlich sei es schwierig, die Frage, was zeitgenössischer dänischer Jazz sei, zu beantworten. Historisch sei Dänemark zwar immer oder immer wieder Heimat verschiedener Jazzgrößen gewesen, doch schreite die neue Generation, wenn auch nicht völlig losgelöst von diesen Traditionen, so doch traditionsbefreiter voran.
Natürlich fänden sich nach wie vor durch die musikalische Historie bedingte skandinavische und amerikanische Einflüsse, und, so Winther weiter, „it’s always hard to describe Danish or Nordish Jazz“, denn allzuschnell rutscht man beim Versuch der Beschreibung in den – durchaus verkaufsfördernden – Klischeekosmos rund um Begriffe wie Distanziertheit, Düsternis, Kühle, Fragilität oder Melancholie ab. So finden sich unter den acht dänischen Formationen mit dem Trio des Pianisten Søren Bebbe auch genau jene Soundlandschaften, die man sich landläufig unter „nordischem“ Jazz vorstellt. Aber da sind eben auch noch groovebetonte Projekte wie die Band Phronesis um den Bassisten Jasper Høiby oder das 26-köpfige Mammut-Orchester Blood Sweat Drum + Bass, dassein Publikum mit der Gewalt von vierzehn Bläsern von den Stühlen reißt. Das sich mit Haut und Seele dem Blues verschrieben habende Snorre Kirk Quintet. Die ebenfalls fünfköpfigen Girls in Airports, die auf der Suche nach Inspiration auch schon mal durch die Klangkulturen Afrikas und Asiens marodieren.
Und natürlich Ibrahim Electric, die mit E-Gitarre, Hammondorgel und Schlagzeug das weite Feld zwischen Psychedelic Soul, Afrobeat und Punk beackern – eben „the whole range of Danish Jazz“, den man hier so versucht zu repräsentieren, wie er ist. Und nicht, wie andere ihn haben wollen. Zu Ibrahim Electric, die mit einem Kurzauftritt zeigen, wofür wir hier so mühsam nach Worten ringen, fällt Winther dann noch ein: „In the old days, Jazz was something you could dance to. Ibrahim Electric play something you can even stage-dive to!“ So toll – und vor allem laut – das alles auch ist: Zu meinem Bedauern fehlen hier Künstler wie Kira, die meiner Meinung nach durchaus das Galakonzert hätte bestreiten können, oder Lasse Matthiessen, den ich mir auf der Clubnacht gut hätte vorstellen können, was Fragen nach der Repräsentabilität solcher Länderschauen ebenso aufwirft wie jene nach persönlichem Geschmack.
Dafür haben die dänischen Jazzexporteuren gezeigt, dass sie Traditionen respektieren. Anstatt der üblichen CD, die einen Querschnitt der aktuellen Jazzszene birgt, setzt man hier auf 180-Gramm-Vinyl in handnummerierter, limitierter Auflage. Mit Nummer 5 von 300 werde ich mich trösten, während Sie für mich bitte die Messe besuchen. Weitere Informationen gibt es unter www.jazzahead.de