Sound erdrückt Songs: Generat feiern im Pfefferberg Premiere & Albumrelease – klangverführer | Musik in Worte fassen

Sound erdrückt Songs: Generat feiern im Pfefferberg Premiere & Albumrelease

Wenn Generat mit ihren Chansons noirs modernes loslegen, ist das nichts für latent Depressive, Suizidgefährdete oder von anderen Schwermutsdämonen Gequälte. Dachte ich, denn ich hatte mich davon schon auf ihrer 3-Track-Promo-CD überzeugt, die mich vor allem mit der düsteren Berlin-Hommage Bye Bye Berlin begeistert hat – wobei man „Begeisterung“ hier nicht im Sinne von Jubel, Fanfaren und Fanchöre verstehen darf, sondern von einer stillen Freude über dieses schöne Lied.

Gestern Abend nun sollte es die traurigen Töne im Pfefferberg erstmals live geben – genau hierauf war ich gefasst. Auch ein Gespräch mit Generat-Schöpferin Kathy Kreuzberg ließ einen Abend voller Drama, Wahnsinn und Tristesse erwarten. Was dann aber tatsächlich folgen sollte, hatte mit der in Aussicht gestellten Fahrt in die menschlichen Abgründe nichts mehr gemein.

Erst einmal aber ist Frank Viehweg dran, seines Zeichens Liedermacher, Textautor und Nachdichter. Statt des Nietzscheschen Imperativs „Werde, der Du bist“, heißt es bei ihm abenderöffnend: „Kann doch sein, dass wir noch werden, wer wir waren“. Viehweg attestiert der modernen Zeit, „hier, wo ich lebe, komm ich nicht mehr an“, und ich beginne, den Abend zu genießen. Schließlich ist dies nicht nur Lamento der älteren Generation, sondern berührt auch all die, die sich in der schnellen bunten Logowelt aus welchen Gründen auch immer deplaziert fühlen. Als „seltenen Vogel zwischen den Welten“ bezeichnet sich der Dichtersänger, der den Ton nicht träfe, sollte er mit den Wölfen heulen.

Nach diesen melancholisch-wehmütigen Reminiszenzen kommt Vieweg in der Liebesliedsektion des Abends an; und hier läuft er zur Hochform auf. Wortschöpfungen wie „Liebeshaltungskosten“ (Neunzehntes Liebeslied) kommen beim Publikum gut an, und der „Schambehaarungsshampoonierer“ aus Alles, was ich kann ist der Brüller schlechthin.

Sehr eindeutig geht es in dem Song weiter, in dem man sich gehetzt die Kleider fortnimmt und dann so allerlei Dinge miteinander treibt, die man als feinsinniges Publikum in dieser Deutlichkeit (ich sage nur: ein Pfahl und Glocken spielen eine große Rolle) vielleicht doch nicht hören möchte. Das ist die Tragik mit deutschen Texten: Man versteht auch das, was man nicht verstehen will – zumal Viehweg über eine klare Aussprache verfügt. Bei Das Problem, einem Sechsachtler über Träume, die man nicht über seine Pläne vergessen solle, hätte ich mir eine Latin-Gitarre gewünscht. Ernsthaft zu meckern habe ich allerdings nichts. Was Viehweg da produziert, ist solide. Der Mann hat eine klare Botschaft, setzt sich hin, nimmt eine Gitarre in die Hand und verkündet sie. Punkt.

Leider aber rückt die Botschaft im weiteren Verlauf des Liederabends – der mit zwölf Stücken den Rahmen eines Vorprogramms dann doch arg überstrapaziert – zunehmend in den Vordergrund. Spätestens bei Martinas Lied offenbart sich eine ganz fürchterliche Gesinnungs- und Betroffenheitslyrik, die es seit den späten Siebzigern so eigentlich gar nicht mehr geben dürfte. Begriffe wie Panzer, frisch verminte Felder, Bruderkrieg, ausgesetzte Babys und um ihre gefallenen Väter weinenden Kinder dominieren die Texte. Niemand streitet ab, dass es all diese Dinge gibt. Sie werden aber auch nicht davon verschwinden, dass man sie noch einmal besingt. Auch mit dem letzten Stück reißt Viehweg das Ruder nicht noch einmal herum, sondern mäandert weiter durch den mittlerweile monothematischen Kosmos. Es scheint, als habe er sich erst jetzt so richtig warm gesungen. Warum kriegen wir zum Abschluss nicht noch so etwas wie Alles, was ich kann zu hören? So hätte ich Viehweg gut – und gern – in Erinnerung behalten. Das hatte Wortwitz, war schon fast virtuos! Stattdessen bekommen wir noch ein Pioniernachmittags-FDGB-Heim-Ferienlagerlied vorgesungen. Schade. Es fing doch eigentlich ganz schön an.

Schade ist das Motto, unter dem der Abend auch weitergehen soll. Was wir im Folgenden dargeboten bekommen, ist in erster Linie eine Überraschung. In zweiter Linie Irritation, in dritter Ärgernis: Das hier ist weder Volksbühne noch SO36 – und es ist definitiv kein Chanson, der sowohl Kreuzberg als auch ihren Kompositionen viel besser gestanden hätte. Vielmehr findet sich das Publikum einer unglücklichen Mischung aus Musical und Rockoper ausgesetzt. Die überladenen Arrangements erdrücken Kreuzbergs Songs, ganz zu schweigen von ihrer Stimme. Wer nicht wie wir das Glück gehabt hat, vor der Show von der Sängerin über das mythologische Konzept des Programms aufgeklärt worden zu sein, hat keine Chance, es zu verstehen.

Mehrere Dinge sind hier schief gelaufen: Zum einen die theatralische Präsentation der Songs durch Kreuzberg selbst, die zeitweise trotz aller zierlichen Kulleräugigkeit unfreiwillig komisch ist, zum anderen – und das ist das Hauptproblem – die Arrangements der Lieder, die einfach nicht zu diesen passen. Ohrenfällig wird dies vor allem bei den Songs, die ich schon kenne, Asche zu Asche und Grauer alter Mann. Was auf der CD im Vergleich zur Show schon fast wie eine Akustikversion daherkommt, still und schön ist und vor allem berührt, wird hier durch das bombastische Arrangement mit einer kreischenden E-Gitarre von Leander Reininghaus und einem beständig Achtel spielenden Christian Schönefeld, der so tut, als gäbe es keine Band und er müsste diese im Alleingang am Piano substituieren, schlicht erdrückt. In dieser Form berühren die Lieder Kreuzbergs nicht mehr. Und das ist einfach wahnsinnig schade, denn diese Lieder haben mehr verdient.

Diese Lieder brauchen keinen Bombastrock à la Marillion. Diese Lieder muss man pur hören. Das einzig Gute: Dank des überladenen Arrangements deprimieren diese Lieder niemanden mehr. Allerdings hört auch niemand mehr ihre Schönheit. Und schön sind sie, auch wenn sich einem die Poesie Kreuzbergs nicht unbedingt sofort erschließt. So beispielsweise könnte Straßenbahn des Todes trotz des zunächst makaber anmutenden Titels *eigentlich* ein schönes Lied sein. Hier wird es durch einen Pianisten, der zu viel Musical gehört zu haben scheint und in Mamma Mia-Manier begleitet, ruiniert. (Gut, diese Pianobegleitung ist schon auf der CD so angelegt. Das macht die Sache aber nicht besser.) Paavo Günther am Schlagzeug ist ohnehin schon den ganzen Abend viel zu laut und zieht – abgesehen davon, dass er die mit Abstand ärgerlichsten Sachen spielt (unter anderem eine fürchterliche Double Bass Drum) – die ganze Band mit hoch. Der einzige der Musiker, der nicht nervt, ist der Bassist – und zwar deshalb, weil man ihn schlicht nicht hört. Der hat sich hinter seinem Apple Book verschanzt und ward fortan weder gesehen noch gehört.

Wer bislang geglaubt hat, dass gute Songs zur nichts kaputt zu kriegen sind, wurde mit diesem Abend eines Besseren belehrt. Was dieser Show fehlt, ist ein musikalischer Direktor, ein Producer mit einer klaren klanglichen Vision – dann kann das hier ganz großartig werden, davon bin ich überzeugt. Aktuell ist es in erster Linie sehr laut. Nicht einmal bei der Schlussansage Kreuzbergs beweisen die Musiker genügend Feingefühl, die Lautstärke wenigstens etwas zu reduzieren. Zudem ist das Programm mit ungefähr zwei Stunden Spielzeit viel zu lang. Es gewänne deutlich an Tiefenschärfe, würde man es auf die Hälfte der Zeit kürzen.

Die ganze Tragik des Abends, die nicht die erwartete thematische, sondern eine ebenso unerwartete wie unwillkommene musikalische war, offenbart sich in meinem Lieblingsstück Bye Bye Berlin. Dies gehört nicht zu dem Programm, sondern speist sich aus einem persönlichen Erlebnis Kreuzbergs. Es wird als Epilog aufgeführt, und endlich tritt Kreuzberg aus ihrer Rolle hinaus und wir bekommen einen Eindruck davon, wie es hätte sein können. Bye Bye Berlin wird nur von Kathy Kreuzberg und dem Pianisten intoniert und ein Zauber beginnt sich auszubreiten. Leider macht sich die Band schon bald spielfertig, und als sie einsetzt, ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Wo vorher reine Schönheit herrschte, dominiert nun Hau-Drauf-Suppe. Der Schlagzeuger rumpelt auf maximal Bierzeltniveau, es ist wirklich ganz unglaublich! Hier leben die Achtziger- und Neunzigerjahre mitsamt ihren musikalischen Formen wieder auf, von denen man geglaubt hatte, sie würden in Frieden ruhen und hoffentlich nie mehr auferstehen.

Um die gescholtenen Musiker etwas zu entlasten: Diese Arrangements sind im Kern schon auf der CD so angelegt. Das verführt live natürlich. Man hätte es allerdings genau umgekehrt machen und die Lieder live nackt und entkernt vorstellen können. Das wäre in jedem Falle spannend geworden. Leider nämlich klingt auf der CD Rockoper als Genre ebenfalls schon ab dem ersten Track, Genesis, durch. Im Gegensatz zur Live-Show werden die Lieder aus der Feder von Kathy Kreuzberg hier aber vor allem von der Akustikgitarre Jordi Kuragaris getragen, und auch die Produktion lässt der Stimme Kreuzbergs Raum. Ob Elemente wie das Gitarrensolo auf Asche zu Asche nun wirklich sein müssen, sei dahingestellt – zumindest ufern sie auf der CD im Gegensatz zum Live-Programm nicht aus. Lieder wie Grauer alter Mann funktionieren in jedem Falle auch ohne den mythologischen Unterbau des Programms und können auch zu Hause als Liedermacherstücke rezipiert werden – immer mit einem gehörigen Schuss 80er-Rock und auch Schlager.

Es verwundert wohl kaum, dass ich mich immer noch schwer tue damit, das Gehörte dem Genre „Chanson“ zu subsumieren. Als Musical würde es funktionieren – ganz offensichtlich wird das bei der Ballade vom Mauerblümchen. Und unter dem Label „Musical“ würde das Programm auch das richtige Publikum anziehen. Das geschmackssichere Chanson-Publikum hingegen muss hier zwangsläufig enttäuscht sein.

Hochgradig irritierend ohne die begleitende Show ist dann aber auf jeden Fall das Weihnachtslied Leise rieselt der Schnee – möchte man so etwas im April auf der heimischen Anlage hören? Der Wahnsinnswalzer Pokerspieler ist eine gelungene Ausnahme. So stellt man sich finsterstes Kabarett vor, guter Text, gut gesungen, gut arrangiert. Doch gleich darauf folgt wieder ein mit einer Rezitation beginnendes Stück. Die gesprochenen Texte sind für zu Hause schwierig, die gehören ausschließlich auf die Bühne. Dabei ist Umgekehrt ein durchaus interessantes Stück, für das ich mir ein bestimmtes Publikum gut vorstellen kann. Hier klingen auch tatsächlich Chansonelemente durch. Weshalb zum Ende der verzerrten E-Gitarre wieder eine solch prominente Rolle eingeräumt wird, bleibt wohl das Geheimnis von Kreuzberg. Kreise zieh’n ist wieder eine klassisch-überproduzierte Musical-Ballade (oder ist das hier schon Schlager? Richard Clayderman trifft Claudia Jung?), angesichts derer ich gern in einen Adorno’schen Kulturpessimismus verfallen möchte. Der Wind erzählt ein altes Lied bringt das Dilemma auf den Punkt: Ein an sich traumschönes Lied, bis kurz nach dem ersten Drittel eine völlig unnötige und übermotivierte Band einsetzt, die dem Lied keinen weiteren Aspekt hinzufügt, sondern ihm vielmehr viel von seiner Bedeutung nimmt, und man möchte sich fragen, was zum Geier soll das?!

Weshalb also die CD trotzdem kaufen? Nun, es gibt da einen Song, dessen erste Takte an Lionel Richies Hello erinnern, der sich aber schon bald als Bye Bye Berlin entpuppt. Lloyd-Webber tritt hier wohltuend in den Hintergrund, wenngleich er – zumindest in den Strophen in Gestalt vom Phantom der Oper und daraus: Wishing you were somehow here again – überall latent lauert. Der Refrain aber setzt sich sofort im Kopf fest, und klingt dort schon nach einmaligem Hören noch tage- und nächtelang nach. Wenn sich gute Musik dadurch definiert, dass sie die Menschen berührt, dann ist das hier ein gutes Lied, ein sehr gutes sogar. Vielleicht, weil die Künstlerin hier von ihrem ganz persönlichen Schmerz singt und sich nicht hinter einem konstruierten Mythos versteckt. Ich liebe diesen Song – davon will ich mehr! Da verzeihe ich sogar die Bombast-Rock-Einlage ab Minute 4.40, hier geht sie eher in Richtung Jennifer Rush oder Robin Beck, wird aber von der wunderschönen Melodie des Refrains wieder aufgefangen. Dieses Lied unplugged und Kathy Kreuzberg hätte in mir einen Fan fürs Leben gewonnen.


Endlich nicht mehr in der Rolle. Nicht nur das Haar löst sich

Zwei Tracks gibt es noch, zum einen Phoenix, der im luftigen Bossa-Schlager-Gewand daherkommt. Das würde ich privat jetzt nicht unbedingt hören, ist aber völlig in Ordnung. Und einen Hidden Track, der komplett auf die Band verzichtet und Kreuzbergs Stimme nur mit Klavier untermalt. Das spielt zwar auch hier die wohl unvermeidlichen Achtel, aber nichtsdestotrotz bekommt man einen Eindruck davon, wie es sein könnte.

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