Schöpfen aus derselben Seele: Olivia Trummer über das deutsche Jazzlied, musikalisches Erwachsenwerden und was Friedrich Nietzsche damit zu tun hat – klangverführer | Musik in Worte fassen

Schöpfen aus derselben Seele: Olivia Trummer über das deutsche Jazzlied, musikalisches Erwachsenwerden und was Friedrich Nietzsche damit zu tun hat

E-Mail-Interviews sind eine heikle Sache: Schließlich kann der Interviewer weder nachfragen, noch den Faden des Gesagten in der nächsten Frage weiterspinnen. Und auch der Interviewte sieht sich mit einem starren Fragenkorsett konfrontiert, das es abzuarbeiten gilt. Eine Pflichtübung. Oder, anders ausgedrückt: Man kommt nicht wirklich miteinander ins Gespräch, es findet kein Austausch statt – und dann ist das Ganze meiner Meinung nach ohnehin entbehrlich.

Dass ein E-Mail-Interview jedoch nicht zwingend zum drögen Abfragen von Bekanntem oder einem sonstwie gearteten Fragenkatalog mit entsprechend vorhersehbaren Antworten verkommen muss, beweist die Stuttgarter Pianistin, Komponistin, Sängerin und Textdichterin Olivia Trummer, deren ungebändigtes künstlerisches Temperament sich nicht darauf beschränkt, mit Poesiealbum das wohl spielfreudigste Album des Jahres vorgelegt zu haben. So müsste die Überschrift zu diesem Interview passenderweise „Schöpfen aus dem Vollen“ lauten; denn Olivia Trummer erweist sich auch im unhandlichen Format des E-Mail-Interviews als ebenso überschäumend wie tiefgründig.

Ich freue mich sehr, Ihnen kurz vor Weihnachten noch dieses schöne Interview präsentieren zu können. Lesen Sie, was Olivia Trummer über den wundervollen Ausdruck der deutschen Sprache denkt, weshalb sie ihr Genre-sprengendes Album als eine stilistische Einheit versteht und was es mit der Schönheit und Tiefe des Alltäglichen auf sich hat.

Klangverführer: Liebe Frau Trummer, eigentlich sind Sie ja Pianistin. Dennoch war schon Ihr letztes Album „Nobody Knows“ (2010) keine reine Instrumentalplatte mehr – Sie haben auf einigen der Stücke erstmals gesungen. Wie ist es zu dem Entschluss gekommen?

Olvia Trummer: „Eigentlich“ sehe ich mich nicht als Pianistin, sondern als Musikerin. Hinter diesem Wort steht weniger die offensichtliche Spezialisierung auf einen scharf umgrenzten Arbeitsbereich, sondern das Vermitteln von Geschichten, Gedanken und letztlich Werten über einen musikalischen Weg. Mein erster öffentlicher Gesangsauftritt im Jazzbereich war im Rahmen meiner Jazz-Abschlussprüfung 2008: Ich spielte eine jazzige Bachbearbeitung und sang eine dritte Stimme dazu, ohne Worte, mithilfe von spontanen Scat-Silben. Das Bedürfnis zu singen und somit noch mehr von meinem musikalischen Wesen zu zeigen war schon lange da. Als ich dann das Gefühl bekam, auch die Geschichten, die ich erzählen wollte, seien wirklich interessant und ungewöhnlich, gab es für mich kein Halten mehr. Wie zu den meisten meiner Entschlüsse habe ich auch zu diesem mit einer großen Portion Intuition gefunden.

Auch auf Ihrem aktuellen Album singen Sie, und ich finde, Sie phrasieren auf eine für eine Sängerin ganz ungewöhnliche Weise. Übertragen Sie die Phrasierung von Ihrem angestammten Instrument auf Ihre Stimme, oder täuscht der Eindruck?

Die Verbindung von meiner Stimme mit dem Klavier habe ich mir über all die Jahre angewöhnt, die ich beim Üben meine Linien mitgesungen oder mich an frühen Liedern mit meiner Klavierbegleitung versucht habe. Da ist sicher eine Wesensähnlichkeit, zumal ich bei der Phrasierung (auf jeglichem Instrument) ja auch aus derselben Seele heraus schöpfe. Ich denke wahrscheinlich weniger über Gesangs-Feinheiten nach als hauptamtliche Sängerinnen und gerate beim Singen dadurch – nicht zuletzt auch durch die Bewegungen meiner Finger & Hände – in einen wohl untypischen Fluss.

Letzte Gesangsfrage: Mittlerweile singen Sie auf Deutsch, obgleich das ja im Allgemeinen (und im Vergleich mit dem Englischen) als eher unsangliche Sprache gilt – und Sie toppen das Ganze noch mit nahezu unsingbaren Texten, durch die Sie sich mühe- und schwerelos bewegen …

Lustig, dass ich hierbei eigentlich keine „Frage“ entdecken kann sondern vielmehr eine Feststellung! Ich singe auf deutsch genauso selbstverständlich oder zufällig wie ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin. Über den höheren Coolness-Faktor des Englischen (gegenüber einem deutschen Muttersprachler) habe ich mir zuletzt als Teenager Gedanken gemacht, das ist lange vorbei. Dass ich auf „Nobody knows“ vorwiegend englisch singe, rührt nicht aus einer Vorsicht dem Deutschen gegenüber heraus, sondern aus der Tatsache, dass ich das ganze Jahr bis zur Aufnahme in New York City gelebt und dort vor allem Englisch gesprochen habe. Da kamen die Gedanken eben auf Englisch und ich mochte Klang und Inhalt. Generell möchte ich einen Liedtext in der Original-Sprache belassen, in der mir die Worte eingefallen sind, ich fühle mich nicht auch noch zur Dolmetscherin berufen. Während ich in Deutschland lebe, denke und spreche, werde ich meinen Liedern auch „deutsches Leben einhauchen“. In der deutschen Sprache liegt wunderbar viel Ausdruck, Poesie, Aufrichtigkeit und Ironie und Differenziertheit; ich mag den Klang und mache mir sehr wenig Gedanken darüber, wie ich einzelne Worte ausspreche.

Ihr „Poesiealbum“ sprengt nicht nur rein formal Grenzen (ich glaube, in der Presseerklärung wurde es in dieser Hinsicht charmant als „schon abenteuerlich“ bezeichnet), sondern bricht auch mit Leichtigkeit die Grenzen zwischen Genres auf, ist mal (moderne) Klassik, mal Jazz …

Ich lasse mich nur von meinen eigenen (Geschmacks-)Grenzen prägen, nicht durch stilistische oder gängige. So kommt es, dass ich beinahe überrascht war als ich las, welch vielfältige Musikstile sich auf meinem neuen Album glücklich vereinen. Für mich ist das alles eine Einheit – es kommt ja schließlich alles von Herzen. Schade nur, dass das Radio dermaßen an Längenlimits gebunden ist, dass man dort von den Poesiealbum-Liedern nur im Ausnahmefall Gebrauch machen kann. Da entgehen der „Menschheit“ generell sämtliche Lieder, die über 5 Minuten hinauswachsen…

Das Poesiealbum ist das erste Ihrer vier Alben, das unter Ihrem eigenen Namen erscheint. Davor waren Sie als „Olivia Trummer Trio“ unterwegs – jetzt haben Sie zur Quartettbesetzung gefunden. Wieso wurde der bewährte Trioklang für das Poesiealbum aufgegeben?

Es war an der Zeit, offiziell „erwachsen“ zu werden. Das Musikprodukt gärt 90 % der Zeit in meinen Händen und in meinem Kopf, ich gebe meinen (fantastischen!) Musikern recht differenziertes Material vor, das sie dann hervorragend umsetzen und auch dem sie selbst noch Kreativität beisteuern können. Hinter der Musik und nun auch der neuen Ebene der Texte steht aber in erster Linie mein Wesen, alles andere wäre irreführend zu behaupten. Die Musik ist prinzipiell auch nicht an ein bestimmtes Ensemble gebunden. Ich gebe auch gerne Solo- oder Duo-Konzerte. Die Betitelung mit meinem Namen beschreibt also einerseits die Quelle und andererseits meine Zukunftspläne, da ich mich als Künstlerin nicht ausschließlich in der Trioformation präsentieren, sondern mich auch solistisch und in neuen Projekten und Konstellationen herausfordern möchte.

Was ich am Poesiealbum am meisten bewundere, ist Ihre ungeheure Spiel- und Improvisationsfreude. Das ist eine Platte, die einfach Spaß macht! Und dabei täuscht sie zunächst ganz harmlos an, um sich dann in einen Rausch zu steigern und den Zuhörer zu packen und mitzureißen … Woher kommt diese unbändige Freude am Spiel, auch am Wortspiel?

Wer mich persönlich kennt, weiß sehr gut wie viel Freude ich an Wortspielen habe! 🙂 So wie die CD geworden ist, begegne ich meinen Zeitgenossen auch persönlich. Ich bin ein fröhlicher, lustiger Mensch mit starker Neigung zu essentiellen Themen und Fragen, die nicht klar beantwortet werden müssen, mich aber andauernd begleiten und auch Inspirationsquelle für mich sind. Das Leben ist doch ungemein spannend – schon alleine dadurch, dass man nicht weiß was danach passieren wird! Ein Musiker, der nicht „spielt“, ist mir im gleichen Maße suspekt wie Friedrich Nietzsche sagte, er würde keinem Gott vertrauen, der nicht zu tanzen verstünde. Dass das Ausmaß meiner Spielfreude vielleicht überdurchschnittlich hoch ist, habe ich nicht zuletzt einem seit frühester Kindheit ermutigendem und stärkendem Umfeld zu verdanken. Vor allem meinen Eltern gebührt mein Dank, da sie Vernunft nicht als Gegenteil von Spielfreude bezeichnen. Mein Vater sagte: „Fantasie ist das Wertvollste, was man hat“ und meine Mutter: „Talent verpflichtet“. Seitdem versuche ich, das Schönste und Wertvollste was ich habe, mit möglichst vielen Menschen zu teilen und in ihnen selbst anzuregen – Fantasie, Dankbarkeit, Glück.

Andererseits ist das Poesiealbum auch eine ernste Platte, die um hochgradig symbolisch aufgeladene existenzielle Themen kreist. Zwei Seelen, die da in Ihrer Brust wohnen, oder geht die Lebensfreude nicht ohne Melancholie, das Helle nicht ohne das Dunkle?

Ja, ich denke, es ist stets ein Zusammenspiel aus scheinbar Gegenteiligem. In Momenten des Glücks empfinde ich zugleich eine wohlige Melancholie und umgekehrt. Ob man dies aus Übersichtsgründen in zwei Hälften teilt oder es als Einheit belässt – man befindet sich im Leben ständig in einer Schwingung zwischen verschiedenen Möglichkeiten, Wünschen, Aufgaben, Gefühlen. In meinen Werken soll diese Schwingung nicht temporär in Vergessenheit geraten, sondern offensichtlich werden. Ich will die Schönheit und Tiefe des Alltäglichen, die Kraft eines selbst gewählten Blickwinkels, die Faszination des Natürlichen in den Vordergrund stellen. Alles andere käme mir „künstlich“ vor.

Neben der Musik selbst finde ich auch das Booklet des Poesiealbums beeindruckend; es ist ebenso ungestüm und lebensfreudig wie die Platte! Besonders angetan hat es mir das Bild vom Teebeutel im Martiniglas – ein Symbol für Ihre Musik oder gar für Sie selbst?

Das Booklet bzw. die Grafik – übrigens das Erstlingswerk der jungen Fotografin & Grafikerin Mascha Zhuk (seit kurzem: Mascha Seitz!) im Musikbereich – ist sehr gelungen und besitzt tatsächlich beinahe „Dolmetscherqualitäten“ im Hinblick auf die Musik! Es war mir sehr wichtig zu wissen, ob Mascha ein Gefühl für meine Musik entwickeln konnte. Bevor wir also anfingen, zusammen zu arbeiten, habe ich mich erstmal in den Zug gesetzt und sie besucht, um ihr einige meiner Lieder am hauseigenen Klavier vorzuspielen und zu singen. Jede Zusammenarbeit basiert für mich nicht nur auf der Identifikation mit der jeweiligen Grundidee, sondern darauf, eine regelrechte Liebe dafür entwickeln zu können. Ich denke, die Idee mit dem Teebeutel im Martiniglas ist eine geniale Reaktion und Kombination aus „Ohne Winter“, „500 Millionen“ und „Verrückt“! Darin liegt ein hintergründiger Humor, den ich sehr liebe. Die Grafik verleiht dem „Produkt Poesiealbum“ noch eine weitere, wunderbare Dimension.

Wissen Sie schon, wohin es Sie jetzt mit dem Poesiealbum verschlagen wird, oder kurz: Was sind Ihre Pläne für die nächste Zeit?

Sicherlich werde ich weiter in die Richtung des „deutschen Jazzlieds“ arbeiten. Ich habe noch einige unveröffentlichte eigene Lieder vorrätig, und es kommen auch immer wieder neue Ideen hinzu. Die anspruchsvolle Verbindung aus Musik und Wort reizt mich generell sehr, und ich möchte die Seite der „gelungenen Beispiele“ auf meine Weise gerne stärken. Ein Projekt mit eigenen Eichendorff-Vertonungen winkt bereits im kommenden Sommer (mal wieder „genre-übergreifend“!), hinzu kommen im nächsten Jahr einige Festival-Auftritte in verschiedenen Besetzungen und ein Soloprogramm, das ich inklusive klassischer Klavierliteratur aufbauen möchte. Ende Dezember werde ich mich aber erstmal(s) nach New Orleans begeben um dort (mit neugewonnenen Freunden vor Ort, die ich kürzlich in Ingolstadt kennengelernt habe) ein Groove- & Song-Projekt auf die Beine zu stellen, das ich im April auch in Deutschland präsentiere. Da bin ich wirklich total gespannt drauf!

Was mich dann natürlich noch brennend interessiert: Vor einiger Zeit sind Sie gemeinsam mit Bobby McFerrin aufgetreten. Können Sie mir verraten, wie es dazu kam – und natürlich, wie sich das angefühlt hat?

Dass ich mit Bobby McFerrin auf der Bühne stehen sollte, konkretisierte sich erst eine Stunde vor dem Auftritt! Ich hatte am Vortag eine Probe mit Bobby und vier jungen Sängern am Klavier begleitet und war offiziell nicht im Konzert-Programm (a-capella) eingeplant. Auf einen Tipp seiner Managerin hin war ich aber dann doch beim Soundcheck anwesend. Ich wartete und hoffte auf Bobbys Spontaneität und wurde nicht enttäuscht. Es fühlte sich intensiv, aber nie beunruhigend an, so plötzlich mit einem Vertreter des „Jazz-Olymps“ in einem Raum bzw. auf der Bühne zu stehen. Er ist ein ungemein liebevoller, sensibler Mensch, der einem sämtliche Angst nimmt, so dass nur noch Freiheit und Schönheit übrigbleibt. Eine wegweisende Erfahrung! Diese wertvollen Momente auf und hinter der Bühne (z.B. als er direkt nach dem Konzert von der Bühne abging, mich dort stehen und jubeln sah und dann noch mal mit den Worten „Olivia, you’re wonderful“ umarmte) werde ich sicher nie vergessen.

Und da sind wir auch schon bei der letzten Frage angekommen. Natürlich wäre der Klangblog nicht der Klangblog, wenn es zum Schluss nicht eine Hundefrage gäbe – schließlich ist „Kopfhörerhund“ Wahrzeichen und Maskottchen des Klangblogs. Bei Ihnen ist das einfach, da gibt es dieses eine tolle Bild, wo Sie vor der Graffiti-übersäten Großstadtkulisse New Yorks mit Ihren Fender Rhodes sitzen, davor liegt ein alter Schäferhund. Können Sie uns ein bisschen über das Bild erzählen?

Schön, dass es auch in Stuttgart Ecken gibt, die glatt als New York City durchgehen würden! Das Bild stammt nicht aus New York, sondern aus Stuttgart, wo wir vor einem Auftritt ein Fotoshooting veranstalteten. Auch der Hund, Kimbo, ist nicht von mir, sondern von der Stylistin Ines. Kimbo war bei jedem unserer Treffen mit dabei und verhielt sich stets seelenruhig und würdevoll wie ein Wolf im Ruhestand. Die Idee, ihn mit ins Bild zu nehmen, kam spontan. In diesem Bild finden Wildnis und Seelenfrieden scheinbar zusammen – einerseits in der Kontrastwirkung (schrilles Graffiti und liegender Hund), andererseits als Einheit (Hund/Wolf). Ich sitze sozusagen dazwischen und überlasse es dem Betrachter, ob er in mir eher das verspielte, wilde, unberechenbare Element entdeckt oder das friedvolle, natürlich-erhabene…

Ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Interview!

Wer nach diesem ausführlichen Einblick in den Trummer’schen Klang- und Gedankenkosmos noch auf der Suche nach einem Last-Minute-Weihnachtsgeschenk sein sollte, dem sei das Poesiealbum noch einmal wärmstens ans Herz gelegt – das gilt natürlich auch für all jene, die erst nach Weihnachten hier reinschauen und noch nicht wissen, was sie mit ihrem geschenkten Amazon-Gutschein anfangen sollen …

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