Wenn das Instrument atmet, dann lebt es auch: Jazz-Geiger Tobias Preisig über den Atem der Geige, die Suche nach der Vielfalt des Klanges und die innere Transitzone – klangverführer | Musik in Worte fassen

Wenn das Instrument atmet, dann lebt es auch: Jazz-Geiger Tobias Preisig über den Atem der Geige, die Suche nach der Vielfalt des Klanges und die innere Transitzone

Dass der Klangverführer glühender Leonard Cohen-Verehrer ist, dürfte sich unter den permanent mit seinen Songs traktierten Lesern herumgesprochen haben. Wenn da also einer des Weges daher kommt und glaubt, einen von Cohens bekanntesten – und meist gecoverten – Songs neu aufnehmen zu müssen, dann muss der Klangverführer natürlicherweise nur eines: hin. Und stellt schnell fest, dass es hier überhaupt nicht um die tausendunderste Coverversion geht. Kurz gesagt: der Termin war eine Überraschung. Und das im positivsten aller möglichen Sinne.

Dabei bin ich, ohne das vielbemühte Klischee von Jungfrau und Kind weiter strapazieren zu wollen, mehr als unverhofft zu Tobias Preisig gekommen. Ein Promoter, mit dem ich sehr gern zusammenarbeite, weil er es immer wieder schafft, musikalische Perlen an Land zu ziehen, sprach in seinem Newsletter eine Warnung aus „an alle, die gern auf Nummer Sicher gehen. Diese Musik packt Ihre Zuhörer und beschäftigt Ohren, Hirn und Herz! Im Zentrum des Albums entfaltet sich Leonard Cohens Hallelujah als wunderbar doppelbödige Coverversion.“ Leider unterschlug er eine Kleinigkeit: Nämlich, dass es sich bei dem Künstler um einen Geiger handelt. Ich las nur Cohen-Cover, dachte, wer ist dieses Bürschchen, das sich so etwas wagt, und schickte dem Promoter postwendend den Wunsch nach einem Rezensionsexemplar zu.

Das kann man jetzt unvorbereitet nennen, naiv. Oder aber auch unvoreingenommen. Preisig selbst liebt diese Story, die den Auftakt zu unserem Interview bildet – wobei „Interview“ hier das falsche Wort ist, denn es entsteht einer dieser selten magischen Momente, die weit über die Grenzen eines der üblichen 15-Minuten-Interview-Slots und das in diesem Rahmen lediglich mögliche kurzen Abfragen von Fakten hinausgehen: Das Label Traumton hat Zeit, Raum und vor allem eine intime, inspirierende Atmosphäre für ein echtes Gespräch geschaffen, bei dem ich nicht nur zuhöre und nachfrage, sondern mich nach und nach immer mehr von meinem Skript löse und gezwungen bin, selbst Stellung zu beziehen. Hier ist tatsächlich etwas möglich, was man als Austausch bezeichnen kann. Liebe Major Labels, so sollte es auch bei euch sein! Was ihr davon hättet? Mir ist nach diesem Erlebnis klar, dass Preisig und seine Platte es verdient haben, in meiner fairaudio-Kolumne Victoriah’s Music anstatt der ursprünglich geplanten Kurzrezension zur nächsten Platte des Monats gemacht zu werden. Es lohnt sich, den Künstler und was ihn an- bzw. umtreibt näher kennenzulernen, um seine Musik mit neuen Ohren zu hören – und dies auch den Lesern ermöglichen zu wollen. Auch das ist eine Art von zweiter Naivität, die in der Preisig’schen Musik so wichtig ist.

Es versteht sich von selbst, dass solch ein Gespräch leider nur gekürzt wiedergegeben werden kann. Konzentrieren wir uns auf die Passagen, die Preisigs aktuelles Album In Transit zum Gegenstand haben. Wir steigen an jenem Punkt ein, wo ich Preisig erzähle, wie ich zu seiner CD gekommen bin. Nämlich wie die Jungfrau … Sie wissen schon. Ein Gespräch über Leichtigkeit, die erst durch Konfrontation mit der Schwere erreicht wird, über wenige Töne, dafür viel Klang – und über die ewige Suche nach dem Atem der Geige.

 

Klangverführer: Ich wusste also nichts von dir, bevor ich dein Album zum ersten Mal angehört habe. Ich hatte nur in der E-Mail deines Promoters an mich gelesen, dass du Cohens „Hallelujah“ gecovert hast und habe ihm einfach gesagt, schick mal her, das Album. Ich war überhaupt nicht darauf gefasst, dass du Geiger bist!

Tobias Preisig: (amüsiert sich königlich) Echt? Das ist ja lustig, jetzt wird es spannend!

KV: Als ich dann die CD in der Player geschoben habe, dachte ich, wow, das ist jetzt wirklich überraschend; denn ich hatte erwartet, dass du der zehntausendste langweilige Jazz-Sänger bist, der sich dieses Liedes annimmt, und ich war gottfroh, dass es nicht so war! Das heißt, ich bin an deine CD vollkommen unvorbereitet und unvoreingenommen herangegangen und habe erst danach die Hintergrundinfos gelesen.

TP: Ja, aber das ist doch ganz toll! Das finde ich super, das finde ich phantastisch – du bist völlig vorurteilslos an die Musik gegangen! Solche Sachen sind spannend.

KV: Und es gibt noch eine Geschichte dazu: Ich bügele beim ersten Hören gern Wäsche, der Rechner mit einem offenen Word-Dokument läuft, falls ich mir Notizen machen will … Und nachdem ich deine CD durchgehört hatte, musste ich feststellen, ich habe es gerade mal geschafft, drei Pullover zu bügeln, weil ich ständig zum Rechner gelaufen bin – so viel ist mir dazu eingefallen! Ich finde, „In Transit“ ist wirklich eine ganz ganz ganz unglaubliche CD. Du wirst mir verzeihen, dass ich trotzdem mit einer absehbaren Frage in unser Interview starten will: Leonard Cohen zu covern gilt fast als Sakrileg – trotzdem ist sein „Hallelujah“ gleichsam Herzstück deines neuen Albums. Keine Angst vor dem übermächtigen Original?

TP: Nein, überhaupt nicht. Ich bin da auch völlig unbekümmert rangegangen. Ich habe diese Jeff-Buckley-Version gehört – ein Freund hat mir letztes Jahr die Platte geschenkt –, und die hat mich so reingezogen, die Platte, und nicht mehr losgelassen. Eigentlich alle Songs, unter anderem auch dieses „Hallelujah“. Und dann waren wir auf Tour mit der Band, und ich habe die CD reingetan und meinen Freunden erzählt, hey, hört das mal beim Autofahren, und die waren alle völlig angetan. Da habe ich gesagt, wir müssen jetzt was damit machen, das war für mich quasi eine Art, mit diesem Song umgehen zu können, weil: er hat mich einfach so gepackt! Und ich muss ehrlich gestehen, ich habe die Leonard-Cohen-Version gar nicht gekannt. Also, ich bin überhaupt kein Leonard-Cohen-Verehrer oder Fan; ich find’s toll, was er macht – ich hab’s jetzt, danach, verfolgt, aber ich kannte das vorher nicht wirklich. Es ist auch nicht meine Generation …

KV: (gespielt beleidigt) Meine etwa?

TP: Ja, nee, klar, stimmt eigentlich. Aber es ist nun mal so, ich bin via Jeff Buckley auf das Lied gestoßen, und darum war es wahrscheinlich völlig unbekümmert! Ich habe erst jetzt, als ich das aufgenommen habe – es kam auf die Platte, weil ich fand, dass sich das Stück völlig in die Musik integriert, als wäre es ein Stück von uns, und darum erschien es mir so natürlich, es auf die Platte zu nehmen –, ich habe also erst im Nachhinein gesehen, dass sehr sehr viele Leute es gecovert haben. Und das ist auch ein bisschen gefährlich – aber ich finde es auch schön, wenn man mit so einer Version einfach mal kommt und schaut, was passiert.

KV: Wobei es meiner Meinung nach viele Künstler nicht zu ihrem Vorteil gecovert haben. Die Juff-Buckley-Version ist fast die einzige, die ich kenne, wo ich sagen würde: wow. Das ist gut. Ich selbst bin auch erst 2009 zu Cohen gekommen – ein Café bei mir um die Ecke hat seine „Live in London“-DVD gespielt, und danach ist er ja nochmal nach Berlin in die Waldbühne gekommen, und wie dieser über siebzigjährige Mann … also, er hat ja selbst gesagt, dass seine Songs erst jetzt die Form, den Klang haben, den sie schon immer hätten haben sollen … und das jetzt in dieser … dieser gewachsenen Struktur zu hören, das ist grandios. Unübertroffen! Und darum dachte ich, wow, wer sich wagt, das zu covern, der hat Mut! Aber wahrscheinlich hast du Recht: Wenn du das vorher nicht gekannt hattest, dann verschwindet die Angst. Oder kommt gar nicht erst auf.

TP: Absolut. Kommt gar nicht auf. Und jetzt habe ich auch die neue Platte von Leonard Cohen gekauft, und diese Ruhe … also, das ist ja Wahnsinn! Diese Ruhe, die dieser alte Herr ausstrahlt, das fährt schon ein!

KV: Vor allem aber gelten er und seine Musik ja nun nicht unbedingt als Ausbund von Lebensfreude, und wenn ich mir deine gesamte CD anhöre, kann man ja nun auch von ihr nicht behaupten, dass sie die pure Lebenslust ausstrahlt, sondern dass schon die melancholische Komponente überwiegt. Als ich sie gestern gehört habe, kam gerade dieser Regenschauer runter, und ich konnte mich nicht des Gefühls erwehren, schon so leicht depressiv zu werden dabei … Ist Melancholie für den Künstler reizvoller als Freude?

TP: Nein, sicher nicht. Aber beides gehört dazu. Und ich finde, in dieser Melancholie habe ich zumindest auf dieser CD auch eine unglaubliche Leichtigkeit gefunden. Also, auch die Schwere, die das Leben manchmal bringt … wenn man sich damit auseinandersetzt und konfrontiert, dann wird es plötzlich sehr leicht. Und das hat mich sehr fasziniert. Und auch bei einem Song wie „Hallelujah“ oder auch bei den anderen Songs … ja, es gehört beides dazu, und ich finde, sie haben auch von beidem etwas darin. Vielleicht ist es jetzt eher ein bisschen melancholischer gefärbt, aber es gehört definitiv beides dazu.

KV: Wobei, wenn du jetzt von „leicht“ sprichst … Mein persönliches Empfinden ist, dass das tatsächlich Leichte an der CD dein Ton ist. Diese vielen Flageolett-Griffe, die du gerade auch bei „Hallelujah“ spielst, und die zum ersten Mal auf dem dritten Stück, „Transforming“ zu hören sind … Irgendwo habe ich gelesen, dass dein Ton klänge, als wären deine Saiten aus hauchdünnem Menschenhaar gemacht – das würde ich als leicht bezeichnen! Und die Luft, die ihr in euren Arrangements gelassen habt. Doch die CD im Ganzen – ich würde mich hüten, sie als „leicht“ zu bezeichnen; ich halte sie nicht nur für unglaublich anspruchsvoll, sondern auch für recht schwer verdaulich!

TP: Genau, mit „leicht“ meine ich natürlich nicht „musikalisch leicht“. Aber vom Gefühl her eine Leichtigkeit, eine Freiheit finden … in der Schwere. Indem man sich mit der Schwere konfrontiert.

KV: Überwindung von Schwere und Freiheit auch im Sinne eines künstlerischen Erwachsengewordenseins?

TP: Ja, vielleicht auch mit einer gewissen Ruhe und Relaxtheit, die man irgendwie findet. Wobei ich mich hüten würde zu sagen, das ist erwachsen, die Kunst ist hier vollendet. Das ist natürlich überhaupt nicht der Fall. Wir sind auf der ständigen Suche, das ist absolut klar.

KV: Wenn man deine CD einlegt, hat man in den ersten Minuten gar nicht das Gefühl, dass da ein Streicher am Werk ist. Man denkt, was zum Geier ist das, ein wildgewordenes Saxophon, oder was? Und erst dann merkt man, dass es eine bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Geige ist. Kennedy spielt Hendrix, fällt einem unweigerlich dazu ein. Dabei habe ich über deine letzte CD gelesen, dass ihr absichtlich keine Verzerrer verwendet – und jetzt mit einem Mal doch?

TP: Das ist tatsächlich kein Verzerrer. Ich mache das alles mit meinem Bogen. Ich habe eine Technik entwickelt, wie man dieses verzerrte Geigenspiel ohne Elektronik imitieren kann, nämlich indem man mit dem Bogen sehr nah zum Steg geht und fest drückt, links hingegen sehr wenig Druck gibt. Dann kommen alle Obertöne hoch, was zu diesem Effekt führt. Der Grund, warum das so weit geht, ist folgender: Ich spiele eigentlich relativ wenig Töne, ich komme weg vom ganzen Jazzsupervirtuosentum, das ich sehr wohl gelebt habe, aber momentan interessiert mich das nicht mehr. Es geht mir nur noch wenig um Töne, aber mir geht es um Klang. Die ganze Platte ist voll von Klanginstrumenten, von mir, von jedem Instrument. Jeder von uns wurde quasi provoziert, im Klang zu suchen, die Klangvielfalt zu suchen. Und da ist es natürlich klar, dass, wenn ich einen Ton spiele, man den auf hunderttausend verschiedene Arten spielen kann! Und danach war ich eigentlich immer auf der Suche. Dass jeder Ton quasi existenziell wird, oder dringlich wird. Und diese Dringlichkeit habe ich im Sound gefunden, in den verschiedenen Sounds.

KV: Man hat auch manchmal wirklich das Gefühl, die Töne müssen jetzt einfach raus. Andererseits hat man an anderen Stellen wieder das Gefühl, dass du am unteren Bereich des Unhörbaren bist …

TP: Ja, genau, das ist extrem spannend. Ich bin da am Suchen, am Ausloten der Grenzen des Instrumentes, das ist das, was mich sehr, sehr interessiert.

KV: Das heißt, du spielst auch nie eingestöpselt, sondern alle Klänge kommen von der akustischen Geige?

TP: Ja, einfach nur mikrofontechnisch abgenommen. Wobei, das stimmt nicht ganz: Es gibt einen Hall, und natürlich ein bisschen, bisschen Delay auf zwei Songs … Ich glaube, auf „Infinite Inhale“ und auf „Transforming“. Und auf „Charming Sophistication“ im Mittelteil auch. Da hörst du, es macht nur dt-dt-dt. Ganz wenig. Das benutze ich manchmal. Und live benutze ich auch einen Delay und ein Hallgerät, einfach, um den Klang ein bisschen größer zu machen.

KV: Aber davon abgesehen geht es dir um die Grenzen der Geige, habe ich das richtig verstanden?

TP: Genau.

KV: Wobei ich manchmal auch denke, das hier könnte auch eine Bratsche sein …

TP: Ja, ich mag deren Sound halt sehr, dieses Bauchige, Warme. Ich habe es sehr gern, die Geige auch so klingen zu lassen. Es braucht für mich auch, damit ich überhaupt gegen das Schlagzeug ankomme, einen gewissen Druck. Und den Druck habe ich nun mal nicht oben, den habe ich eher unten. Es ist ein Unterschied, wenn du es mit Verzerrer spielst: Dann klingt das für mich nicht so organisch, wie wenn ich es selber erzeuge. Und das finde ich viel spannender.

KV: Wie viele Bögen spielst du damit kaputt? (lacht)

TP: Ich habe einen. Es sind die Haare. Ich muss sehr oft Haare wechseln. (lacht auch) Das kann zwar passieren, aber eigentlich verbrauche ich nur ein Haar pro Konzert. Nicht viel. Die Haare halten das aus. Es ist nur, wenn du daneben haust, dann explodieren sie. Es ist also eigentlich kein gutes Zeichen, wenn die Haare loskommen. Aber der Effekt für’s Publikum ist natürlich schön …


Line-up: Tobias Preisig (Violine), Stefan Aeby (Klavier), André Pousaz (Bass) und
Michi Stulz (Schlagzeug)

KV: Was ich vorhin noch fragen wollte, als ich mal kurz Kennedy ins Spiel brachte: Kannst du dich mit so etwas identifizieren?

TP: Ich habe Nigel Kennedy nie verfolgt. Ich habe mal reingehört, aber es hat mich nie interessiert. Mich haben Geiger nie interessiert. Interessanterweise. Ich habe mich immer an anderen Instrumenten, oder in letzter Zeit vor allem am Gesang orientiert. Geige hat mich einfach nicht interessiert. Und irgendwie hat mich das auch gezwungen, einen eigenen Sound zu finden, einen eigenen Weg zu gehen. Und das ist natürlich auch gefährlich, wenn man sich dann zehn Geiger anhört und sagt, spiel mal’n bisschen wie der und spiel mal’n bisschen wie der … Das ist einfach langweilig, weil dann kopiert man irgendwie die Richtung, die einem eigentlich schon zu nahe ist. Ich habe, als ich Jazz studiert habe, auch viel Unterricht von einem Schlagzeuger bekommen, von einem Pianisten, einem Trompeter, vom Gesang … Mich haben immer verschiedene Instrumente gelehrt, weil es einfach keine Jazzgeiger gab. Und darum bin ich es sehr gewohnt, mich an anderen Instrumenten zu orientieren. Oder früher zumindest. Jetzt sowieso nicht mehr. Jetzt versuche ich, meinen eigenen Weg zu gehen.

KV: Und mit dieser Orientierung am Gesang meinst du auch, dass du probierst, quasi den humanen Teil, den man aus einer Geige herausholen kann, auszuloten?

TP: Absolut! Also, das sind auch die Stücke mit „Infinite Inhale“ und „Infinite Exhale“, das Atmen! Das Atmen habe ich auf der Geige gesucht, schon lange bin ich hier am Suchen. Ich habe es zu einem gewissen Teil auch gefunden, mit dem Bogen kann man es auch so schön erzeugen! Das Problem ist ja, ob bei Pianisten oder bei Geigern, man kann endlose, nichtssagende schnelle Melodieeskapaden von sich schmettern, ich nenne hier keine Namen, das interessiert mich nicht; aber ich denke dann, wie kriege ich mein Instrument zum Leben, wie kriege ich mein Instrument zum Atmen? Und wenn es atmet, dann lebt es auch. Für mich. Und wenn es nicht atmet, dann kann es ebensogut maschinell hergestellt sein, dann ist es uninteressant.

KV: Weil ich vorhin gerade einen Vergleich bemüht habe und du mir geschildert hast, dass es dir um deinen eigenen Weg geht – ist das auch musikalisch der Fall? Du weißt ja, Kritiker wollen immer Schubladen finden, was Genres anbelangt … Gestern, als ich mir für die Rezension deiner CD Notizen machte, habe ich mich gefragt: Ist das überhaupt noch Free Jazz oder ist das schon Neue Musik? Wenn du dich für ein Genre entscheiden müsstest, wie würdest du dich selbst verorten?

TP: Das ist ein Riesendrama, ich will mich nicht entscheiden! Ich will und kann mich nicht entscheiden. Das ist der Job vom Business, das soll das Business entscheiden. Es ist die Musik, die wir machen, die wir momentan gefunden haben, auf deren Weg wir schreiten … Und die anderen sollen das bezeichnen.

KV: Und diese Musik, die ihr macht, ist ja größtenteils experimentell, improvisatorisch entstanden, wenn ich das richtig verstanden habe.

TP: Ja, wobei sie schon organisiert ist! Es ist nicht … Sie hat sehr viele Strukturen, auch Songstrukturen, ganz klare Strukturen. Es ist nicht Free Jazz, es ist auch kein traditioneller Jazz, aber es ist sogenannte experimentelle Musik, die melodienselig ist und klangexperimentell; aber auch, sagen wir, poppige oder Rocksong-artige Strukturen vorweist. Ganz simpel, plump gesagt, könnte man sagen, es ist eine Alternative oder eine Indie Rock Band, wo die Geige den Gesangspart übernimmt. Eine experimentelle Indie Rock Band, wo der Geiger den Sänger imitiert. In diese Richtung kann man es ungefähr schieben.

KV: Das heißt, das Element der Improvisation, welches in der Presseerklärung so sehr betont wird, ist eigentlich gar nicht so wichtig?

TP: Doch, natürlich. Sehr, sehr wichtig. Wir sind alle Jazzmusiker und wir improvisieren, und der Moment ist extrem wichtig, aber, wie gesagt, es geht nicht um eine Improvisationsdudelei, um ein Zeigen, hey, was kann ich alles, was kann ich alles schnell und wahnsinnig spielen, sondern es geht um einen Ausdruck, um ein Gefühl, um ein gemeinsames Kreieren von einem neuen Klangbild. Und dafür hilft die Improvisation natürlich.

KV: Innerhalb einer vorgegebenen Struktur!

TP: Innerhalb einer vorgegebenen Struktur. Also, wie das Fundament, oder sagen wir, man hat eine Leinwand und so-und-so-viele Farbstifte, und mit diesen Dingen machen wir ein neues Bild. Auf der Leinwand. Vielleicht schießt es manchmal darüber hinaus, das schon. Darf es auch. Aber für die CD haben wir uns natürlich eine gewisse Struktur gegeben.

KV: Bei Konzerten ist das anders?

TP: Da ist die Struktur auch vorhanden, allerdings ein bisschen aufgebrochen. Weil, natürlich ist die CD kein Live-Produkt. Sie ist ein Studio-Produkt. Das sind für mich zwei verschiedene Welten. Man hört ein Studioprodukt auch anders als man ein Konzert hört. Im Konzert sieht man die Musiker, da kommt noch mal eine ganz andere Komponente hinzu.

KV: Aber ihr habt es schon im Zusammenspiel aufgenommen, das geht bei Jazzern ja gar nicht anders, oder?

TP: Absolut. Das wäre ja katastrophal. Da ist soviel Interplay da, wir haben das in zwei Tagen aufgenommen, das ging zack-zack. Die Songs waren da, wir haben im Studio nur noch Feinschliffe gemacht. Wir sind auch sehr eingespielt, wir spielen viele Konzerte, sind viel unterwegs, und darum ist es im Studio dann nur noch ein Zusammensammeln von sehr vielen Ideen.

KV: Das heißt, ihr habt von dem „In Transit“-Material vorher auch schon vieles live ausprobiert, bevor ihr es aufgenommen habt?

TP: Ja, ein bisschen. Nicht zuviel. Ein bisschen erprobt, wie fühlt sich das an und so, das schon.

KV: Das ist eure zweite gemeinsame CD?

TP: Die zweite, ja, genau.

KV: Und wie lange spielt ihr schon zusammen?

TP: Drei Jahre.

KV: Drei Jahre, und jetzt ist es zusammengewachsen …

TP: Das ist jetzt sehr zusammengewachsen und geht immer weiter. Und was erstaunlich ist: Die erste CD war ganz anders. Wir haben uns dann live so stark in eine neue Richtung entwickelt, weshalb diese CD jetzt so anders klingt als die erste.

KV: Anders … Im Vergleich mit dem Vorgänger wie anders?

TP: Vielleicht … suchender. Eigener. Schwierig, diese Begriffe! Experimenteller, energetischer, wilder. Wilder, ja. Frecher. So. Die vorherige war lieblicher.

KV: Wenn du sagst „suchender“ – ist das so, dass man mit zunehmendem Alter oder mit zunehmender künstlerischer Erfahrung mehr sucht, quasi ein „Jetzt weiß ich erst, wie wenig ich weiß“, dass man in seinen frühen Zwanzigern eher denkt, ich mach das jetzt so, weil: gefällt mir so, und man sich erst Jahre später fragt, was man da eigentlich macht?

TP: Genau. Also, unsere erste CD ist vielleicht auch noch ein bisschen naiver. Was ja auch irgendwo schön ist. Und die hier, die ist vielleicht schon ein bisschen … ja. Wobei wir ja die Naivität wieder suchen wollen.

KV: Eine Art zweite Naivität.

TP: Ja, genau. Es ist eigentlich etwas Wunderschönes, wenn man naiv an Sachen herangehen kann. Und davon hat die neue CD auch schon noch etwas drin, das ist schon wichtig für uns. Aber sie ist suchender vom Klang, vom Sound her, vom Gefühl her, von den Emotionen her. Wir haben stärker Gewicht darauf gelegt, noch mehr in diese eigene Intensität zu finden, in unseren Bandsound, der anscheinend speziell ist.

KV: Und ihr sucht weiter …

TP: Unbedingt, ja! Wir haben ein paar Konzerte vor uns, und wir wollen einfach weiter spielen! Wir haben im Herbst eine Asien-Tournee; und auch das Reisen miteinander, das bringt sehr, sehr weit. Es ist das Zwischenmenschliche auf den Reisen, die gemeinsamen Erlebnisse, Verlorensein und völlig überfordert Sein in einem fremden Land … Und das ist unglaublich, wie sehr das die Musik weiterbringt!

KV: Selbst, wenn es in einem akuten Moment nerven mag und man die anderen nicht mehr sehen möchte?

TP: Natürlich! Absolut! Das ist unglaublich, was da auf einen zukommt. Nicht so sehr, wenn man jetzt in Deutschland herumtourt – aber für die nächste Tour, da fahren wir jeden Tag fünf Stunden Auto, das ist einfach anstrengend! Schlechtes Essen, Autobahnraststätten – das zehrt dann schon an einem, aber die Musik kann nur gewinnen dadurch. Und das ist ja noch heilig. Wenn wir dann nach Asien gehen, dann wird es schon sehr speziell. China und Japan … Ich bin mit meiner Band bisher noch nie so weit gereist, aber ich freu mich drauf! Das Schöne ist ja, die Asiaten … also, ich kenne den chinesischen Markt überhaupt nicht, aber die Japaner sind ja sehr offen für spezielle Musik, und das ist sehr schön. Mal schauen, wie es funktionieren wird.

KV: Ich habe noch eine außermusikalische Frage, nämlich zur Bildsprache deines Albums. Wenn man sich das Artwork so ansieht, kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass du schon ziemlich mit dem Klischee des Teufelsgeigers kokettierst – das Skelett, die dunklen Locken, die Glutaugen …

TP: (lacht) Also, eigentlich war es so, dass ich auf einer Reise war, in Mexiko, und dort habe ich diesen Kult gesehen mit diesen Skeletten, wo auch das Leben nach dem Tod zelebriert wird. Und ich fand es einfach unglaublich schön, wie locker man dort mit diesem Thema, also mit dem Tod, umgeht. Ich fand es sehr berührend; und dann habe ich diesen Geiger gefunden, was mich extrem gefreut hat. Ich habe in gekauft, es ist so eine Holzfigur, die jetzt auch auf unsere Konzerte mitkommt und da manchmal auf dem Flügel sitzt. Es ist für mich eigentlich ein Bild von … Tod ist ja Existenz. Und die Musik ist für uns sehr existenziell geworden. Wir wollen wirklich nur noch das spielen, was für uns wichtig ist und eine starke Sprache hat. Und das Cover ist ein bisschen Sinnbild dafür, dass es uns wirklich sehr ernst und dringlich ist. Aber es kokettiert natürlich auch ein bisschen. Wir sind nicht die bösen Jungs, die jetzt einen auf Gothic oder Heavy Metal machen – überhaupt nicht! Sondern auch der Blick und so, das ist eigentlich spontan entstanden. Ich habe mir nicht vorgenommen, dass ich jetzt wahnsinnig böse in die Kamera reinschauen will, aber es soll auch ein bisschen die Ernsthaftigkeit zeigen. Außerdem gebe ich zu, dass ich mich ein bisschen von der Ästhetik von Johnny Cashs Cover zu „American Recordings“ habe inspirieren lassen …

KV: Und wie geht dieses Existenzielle jetzt Hand in Hand mit diesem „In Transit“, diesem sich auf der Durchreise Befinden?

TP: „In Transit“ ist eigentlich weniger eine Durchreise, sonder eine Transitzone für mich. Das heißt, wir sind eine Band, wir haben eine Platte aufgenommen, jetzt sind wir an einem Ort – wie kommen wir weiter? Da muss man sich ja immer entscheiden, gehe ich jetzt nach rechts, gehe ich nach links, und sobald man in der Transitzone Flughafen einen Flug in die nächste Stadt nimmt, ist man wieder in der Transitzone. Es geht mir aber nicht um diese Transitzone, sondern um die innere Transitzone. Das Spannende in diesen Zonen sind ja, wie ich finde, die Entscheidungen, die man trifft, um weiterzugehen. Und hier ist es ja auch ein bisschen die Zone zwischen mir und dem Skelett, quasi dem Leben und dem Leben nach dem Tod. Dem Tod, der da ewig weitergeigen wird. Darum ist er auf dem Foto ja auch ein bisschen unscharf; und ich halte ihn so wie einen Vogel oder ein anderes feines Ding. Und diese Welt zwischen ihm und mir, das ist eigentlich diese Zone.

KV: Die Zwischenwelt.

TP: Zwischenwelt, ja. Wohin geht es? Wie geht es weiter? Mit all diesen Fragen.

KV: Fragen, mit denen du dich ganz persönlich auseinandergesetzt hast, oder die jeden von uns ansprechen sollen?

TP: Das sind zwar allgemeinmenschliche Fragen, aber natürlich hat es auch mit mir selbst zu tun, das ist ganz klar. Es ist jetzt aber auch nicht so ernst zu nehmen; ich finde einfach, das Bild passt zur Musik, es kriegt diese Dringlichkeit und dieses Existenzielle.

KV: Dringlichkeit ist, glaube ich, ein gutes Wort dafür. Und man sieht dieses Bild ja jetzt auch überall, auf den Postern, in Magazinen – es ist quasi das Icon für die Platte!

TP: Ja, absolut. Es ist ja auch klar, dass man da mit einem Ding fährt, das macht ja auch Sinn. Es ist ein bisschen speziell für ein Jazz-Cover! (lacht)

KV: Die Frage war doch, ist es überhaupt Jazz!

TP: Eben! (lacht noch mehr)

KV: Ja, warte, das habe ich auch über dich gelesen – da wurde sinngemäß geschrieben, wenn Jazz heißt, dass man offen ist, dann ist das, was du machst, mehr Jazz als alles, was jazziger klingt …

TP: Die Leute zerbrechen sich den Kopf, das ist furchtbar. Und ich finde das auch noch schön! Ich finde, wenn es irgendwie zu irgendwas anregt, dann ist das schön. Es ist ja … Ich finde, man muss nicht immer kategorisieren.

KV: Naja, aber wenn die Leute in deine Konzerte kommen sollen und es in der Zeitung angekündigt wird, wer kommt da? Wenn du es als Indie Rock ankündigst, kommen andere, als wenn du es als Jazz ankündigst …

TP: Das ist natürlich wahr. Es ist schon ein Jazz-Publikum, das darauf anspricht.

KV: Aber eher diese ECM-Jazzheads, oder? Das sind ja auch eher solche Zwischenwelten …

TP: Ja, vielleicht geht es in diese Richtung.

KV: Ich hatte mir dazu gestern auch den Stichpunkt notiert, dass „In Transit“ vermutlich die anspruchsvollste Platte ist, die ich seit Dezember 2008 für fairaudio besprochen habe. Damals hatte ich über das Album „Cartography“ des ECM-Künstlers Arve Henriksen geschrieben …

TP: Oh, wow!

KV: Was ich meine ist, dass ich „In Transit“ eher in dieser Kategorie sehe, nicht vom Klangbild natürlich, das kannst du überhaupt nicht vergleichen, aber vom Gefühl, von der Atmosphäre her …

TP: Das heißt aber, du machst auch alles Mögliche vom Stil her!

KV: Das ist eine gute Frage. Ich dachte immer, ich sei Jazz-Kritikerin, aber ich habe lernen müssen, ich bin wohl recht eigentlich Pop-Kritikerin. Meine Redaktion wiederum denkt, ich sei Soul-Kritikerin …

TP: Siehst du, da haben wir es wieder mit diesen blöden Kategorien!

KV: Aber hat ja alles einen gemeinsamen Nenner: es groovt. Ich mag alles, was groovt, ob das nun Reggae ist oder HipHop oder Balkan … Ich finde es übrigens sehr schön, dass du die Geige vor diesem Klischee des Folkloristisch-Osteuropäichen befreist, und auch dieses romantische Ideal der Geige als Hehres Instrument findet man bei dir nicht … Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. Lass uns noch einmal auf deine „Hallelujah“-Version zurückkommen. Wenn man deren erste Hälfte anhört, also, bevor es mit vollem Bandeinsatz losgeht, und da sind nur diese vereinzelten, minimalen Pianotöne als Begleitung – das erinnert mich ein bisschen an den Soundtrack zu einem Psychothriller, wo zum Beispiel ein simpelstes Kinderlied benutzt wird, das oberflächlich total lieb und nett klingt, aber du weißt, unter der Oberfläche brodelt der Abgrund. Und das ist nicht nur bei „Hallelujah“ so. Wenn ich jetzt also eine Kategorie für „In Transit“ aufmachen müsste – was ich als Kritiker muss aber im Falle dieses Albums eigentlich auch nicht möchte –, dann wäre es wohl am ehesten Soundtrack. Filmmusik. Keine Filmmusik zu einem tatsächlich existierenden Film, sondern zu Bildern, die im Kopf entstehen beim Hören. Das ist ein sehr kühler Film, nordisch, spröde, brachial, fast industriell, irgendwo zwischen dem Ultraschallbereich bei John Zorn und irgendwelchen Industrial-Bands, es ist manchmal metallisch und fast schon seltsam unpersönlich, und du wirst erschreckt von manchen Stellen, wo du denkst, du musst da jetzt hinhören, auch wenn du es gar nicht willst! Wie bei einem Autounfall, wo man auch nicht wegschauen kann. Und erst ganz zum Schluss, bei Stück neun, fängt die Platte an, persönlich, menschlich zu werden. Vorher denkst du die ganze Zeit, woah, der macht mich total fertig, und dann kommt so etwas wie eine versöhnliche Melodie, wie die Sonne nach einem großen Unwetter.

TP: Ich glaube, das fängt schon bei Stück sieben an, wobei vier ist eigentlich auch … Das ist fast eine Kindermelodie bei vier. Und dieses … wenn du auf den Psychothriller kommst, ich glaube, das hat ein bisschen damit zu tun, dass ich bei der Geige … du hast ja einen Ton, und den kannst du immer ein bisschen höher oder ein bisschen tiefer spielen, und mit dem kokettiere ich extrem. Für mich ist nicht ein Ton ein Ton. Sondern er ist modulierbar. Wie ein Sänger nicht einfach einen Sinuston singt, sondern da gibt es minimale Schwingungen. Und die finde ich einfach verdammt spannend. Und das verursacht manchmal ein bisschen Unwohlsein, wenn man es nicht gewöhnt ist. Wenn man ein bisschen tiefer moduliert, erzeugt es dieses Unangenehme. Ein bisschen höher macht ein bisschen hoffnungsvoll – damit spiele ich auch –, aber ein bisschen tiefer macht es … schwerer. Für mich. Und die Schöngeiger, wie ein André Rieu oder auch ein David Garrett oder so, die vibrieren wahnsinnig stark, und dann hört man das nicht mehr. Dann verschwindet das, weil es so schnell geht. Und ich mache ganz langsame, kleine Mikrobewegungen, und mit denen kann man so viel bewirken! Ich nutze eigentlich kein Vibrato. Sehr selten vibriere ich, und dann nur groß. Ich habe gern dieses Direkte, Persönliche. Und das ist wahrscheinlich das, was du meintest, das es einen so anspringt, irgendwie so direkt ins Herz, und dann weiß man nicht so recht, wie man damit umgehen soll.

KV: Gar nicht mal ins Herz, sondern vor allem auch in den Magen! (lachen beide) Es berührt auch Emotionen, aber ich weiß noch nicht, welche. Es ist ganz seltsam: Es ist eine Musik, die ich eigentlich nicht privat zuhause hören würde, die mich aber mehr packt als alles andere, aus irgendeinem rätselhaften Grund.

TP: Das ist ja oft so bei solchen Sachen. Es packt einen, und man kann sich nicht erklären, warum. Das ist ja verdammt spannend, das ist ja eigentlich die beste Situation, die einem passieren kann.

KV: Wobei es mein Job ist, zu erklären …

TP: Ja, da muss ich jetzt sagen: dumm gelaufen! (beide lachen) Aber ich finde, das sind eigentlich immer die schönsten Momente, wenn einen etwas packt und man weiß nicht, warum. Und dann fängt man an, seine eigenen Bilder zu kreieren, seine eigene Vorstellungskraft zu benutzen, um irgendwie eine Erklärung zu finden. Doch, das ist das Beste, was uns passieren kann, wenn die Leute so reagieren. Wobei, nicht alle werden so reagieren. Viele werden sagen, ah, damit kann ich gar nichts anfangen, und andere eben, oh, was ist das. Dann fängt es an, spannend zu werden.

KV: Wie sind denn die Reaktionen bis jetzt auf das Material?

TP: Das fängt jetzt erst an. Wir haben es live noch nicht wirklich getestet, aber die Reaktionen auf die Platte sind bis jetzt eigentlich sehr gut, die gehen alle in die Richtung, „oh wow, so etwas habe ich noch nie gehört, das ist völlig neu, was machst du da mit der Geige?“, und das ist schön. Natürlich, man hört ja meistens die, die irgendetwas Positives dazu zu sagen haben. Die, die es ablehnen, die werden sich meistens auch nicht äußern.

KV: Es sei denn, es packt einen so negativ, dass man meint, auch darüber zwei Seiten schreiben zu müssen … Ich meine, wenn mir CDs nicht gefallen, schreibe ich ja auch nicht nur, „das ist scheiße“, sondern: „das ist scheiße, weil“. Und das kann dann auch gern mal sehr ausführlich werden.

TP: Ja klar, logisch. Und das ist ja auch okay, man muss nicht gefallen – es geht ja nicht ums Gefallen! In der Musik geht es für mich darum, dass sie etwas auslöst, ob das nun Euphorie ist oder nicht. Euphorie … es ist alles so nah beieinander, das ist ja das Interessante!

KV: Ist auch das gemeint mit den Zwischenwelten, dass sie zwischen diesen extremen emotionalen Polen pendeln?

TP: Ja. Sie hat ja auch da eine unglaubliche Dynamik, die Platte. Von eben Superwahnsinnseuphorie und dann plötzlich wieder, bumm, dunkel, und dünn und zerbrechlich.

KV: Das meinte ich vorhin mit der Grenze zum fast Unhörbaren …

TP: Ja, das ist ein wahnsinnig spannender Ort. Stimmt, jemand hatte das mit dem menschlichen Haar geschrieben, das muss ich mir mal wieder heraussuchen.

KV: Ich habe diese Formulierung vorhin aus einer deiner alten Live-Kritiken zitiert, weil ich sie auch für das aktuelle Album noch so treffend finde. Wenn man nämlich zu diesem recherchiert, findet man noch sehr wenig Material. Die deutsche Pressemitteilung und die Schweizer Pressemitteilung, und das war’s.

TP: Die Platte kommt ja auch erst übernächste Woche raus, und auch mit der ersten Platte waren wir nicht wirklich in Deutschland vertreten – wir haben nur wenig gespielt. Das Label hatte damals die Promotion in Deutschland ein wenig verschlafen.

KV: Aber das war noch ein anderes Label, oder?

TP: Das war ein amerikanisches Label, ja. Die waren in Deutschland überhaupt nicht verwurzelt.

KV: Deshalb jetzt der Wechsel zu Traumton?

TP: Ja, ich wollte unbedingt jemanden haben, der in Europa was Spannendes macht und verwurzelt ist, weil, es macht keinen Sinn, irgendwo in Amerika Platten zu verkaufen, denn viel werden wir sowieso nicht verkaufen in so einer speziellen Sparte. Und wir haben jetzt auch nicht vor, mit der Band nach Amerika zu gehen. Es ist eine europäische Musik, finde ich. Ich will es jetzt natürlich nicht eingrenzen. Aber darum habe ich geguckt, wen es hier gibt, und ich fand, dass Traumton ein wahnsinnig spannendes, vielfältiges, spezielles Programm hat, und da passen wir rein.

KV: Schön verpackte Sachen auch, die sprechen schon von außen an!

TP: Na, eben mit sehr viel Herzblut gemacht. Und Christian Zehnder, der das Album produziert hat, hat seine letzten zwei CDs auch hier herausgebracht. Also, das war auch eine Verbindung. Wobei ich den Kontakt mit dem Label schon vorher aufgenommen habe.

KV: Apropos, du erwähntest gerade verkaufen und touren und so weiter … Ich habe gelesen, dass du dein Studium mit dem „Master of Music Pedagogics“ abgeschlossen hast. Heißt das, du unterrichtest? Findest du Zeit für die Lehre?

TP: Sehr, sehr selten. Ich habe natürlich wahnsinnig viele Anfragen, denn es gibt so viele Geiger, die irgendwie nicht mehr weiterwissen in ihrer klassischen Welt und die einfach diese Freiheit suchen und diese Frechheit, die ich mir hier auch nehme, wie du auch gesagt hast, mit diesem eigenen Klang und diesen Sounds. Aber das kann ich nicht zu sehr machen, und das will ich auch nicht. Ich habe ab und zu ein paar Schüler, die bei mir auftauchen, aber eigentlich versuche ich mich auf Tourneen und auf die Weiterentwicklung der Musik zu fokussieren.

KV: Es geht dir also eher um die Weiterentwicklung als um die Weitergabe …

TP: Doch, schon auch. Ich habe an der Musikhochschule in Luzern schon manchmal Schüler. Wenn jemand interessiert ist und ich Zeit habe, dann bin ich da. Aber ich will nicht mein Einkommen vom Unterrichten abhängig machen. Gar nicht.

KV: Dann bedanke ich mich an dieser Stelle schon einmal ganz herzlich für das ausführliche Interview – ich glaube, ich bin mit meinen Fragen durch, aber lass mich noch einmal kurz meine Notizen checken … hm … experimentell … improvisiert … Filmmusik …

TP: Also, Filmmusik ist sicher ein sehr guter Begriff. Ich finde, es hat etwas extrem Sphärisches. Ein Freund von mir hat gerade erzählt, dass er die Platte im Auto eingelegt hat und wow …

KV: Kopfkino läuft!

TP: Der ist weggeflogen! Und so höre ich immer wieder, es passt einfach auf Reisen … auf Verschiedenes! Du sagst, du hast es während des Regens gehört und es hat dich plötzlich … Das war auch bei uns im Studio so, allerdings bei einem Track, den wir dann gar nicht veröffentlich haben, bei der ersten Platte. Es war unglaublich, wir waren eigentlich fertig, als der Pianist gesagt hat, er hätte hier noch eine Notiz. Wir haben das dann gespielt und es hat geregnet … und es war einmal aufgenommen, noch nie geprobt, und das ist so eingefahren! Die Musik war sehr ähnlich, und er wollte es für etwas anderes benutzen, sodass wir es dann nicht aufs Album genommen haben. Aber ja, es kann einen wirklich so – sie ist sehr assoziativ, diese Musik.

KV: Wobei man dann Filmmusik positiv belegen muss, denn ich finde, das Wort selbst heißt ja sofort: John Williams & Co.

TP: Ja, das pompöse Hollywood –

KV: Und das will man ja gerade nicht ausdrücken!

TP: Nee, das ist es natürlich überhaupt nicht. Ich würde da eher sagen …

KV: … film noir oder …

TP: Genau. Oder eher, sagen wir, vielleicht sogar ein Lars von Trier-Film, wenn man schon bei der dunklen Seite ist. Wobei … ja – die sphärischen Sachen, die sphärischen Welten … das geht schon in die Richtung.

„In Transit“ wurde am 30. März 2012 auf Traumton Records veröffentlicht und ist auch als MP3-Download zu haben. Mehr Bilder und vielleicht sogar ein Video gibt es nach dem Berliner Record Release Konzert am 26. April 2012 im A-Trane. Es lohnt sich also, hier bald wieder reinzugucken! Das gilt auch für fairaudio.de, wo „In Transit“ bald als Platte des Monats ausführlich besprochen wird.

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