Balkan Beats ohne Beats oder Musikkritik im Dunkeln: Tsching feiern ihren Record Release im Theater unterm Dach
Freitag war wieder einer dieser Abende, an denen die Entscheidung zwischen konkurrierenden Veranstaltungen schwerfällt. Da spielte zum einen Ex-Cultured Pearls Sängerin Astrid North live & unplugged in der St. Elisabeth-Kirche. Dann der Gitarrist Andreas Laudwein, den ich zum ersten Mal bei Krispin gehört habe, mit Lina Paul. Beides hätte ich gern gesehen, hatte aber schon der Record Release Party des Balkan-Tango-Swing-Trios Tsching mein Jawort gegeben, zu der mich Franziska Kraft, die Cellistin des Trios, eingeladen hat. Überhaupt die Celli in letzter Zeit! Auch das muss etwas Atmosphärisches sein, mit all diesen kleinen Bassgeigen im Moment. Nicht nur, dass Krispin in der Herbst/Winter-Saison mit Cello-Unterstützung auftreten werden und ich neulich bei B•S•O die Gelegenheit hatte, gleich zwei jungen Cellisten auf einmal zuzuhören, auch das Trio Tsching wartet mit der eher ungewöhnlichen Besetzung Saxophon, Gitarre und Cello auf.
Das Theater Unter dem Dach jedenfalls, auf dessen Musikbühne Tsching spielen, wird seinem Namen schon mal gerecht: Es befindet sich tatsächlich direkt unterm Dach. Einen Fahrstuhl gibt es nicht. Kopfhörerhund wäre dem Aufstieg nicht gewachsen gewesen; und tragen Sie mal einen 30kg-Stafford drei Altbautreppen hoch! Eben.
Los geht es mit einiger Verspätung, da der – stockdunkle! man stelle sich vor, was das für die spätere Lesbarkeit der Kritikernotizen bedeutet! – Theaterraum ob des Ansturms erst noch mit zusätzlichen Sitzgelegenheiten bestückt werden musste, und dem namensgebenden Stück Tsching, einer Komposition Helmut Mittermaiers, der als Saxophonist des Trios auch live – ebenso wie auf der CD – unglaublich viel Lufthauch in seinem Spiel hat, der auch durch das im zweiten Stück verwendete Tenorsax weht – hier versteht man, weshalb die Holzbläser auf English „woodwinds“ genannt werden. Der Celloton hingegen unterscheidet sich sehr von dem auf dem Album, was zum einen daran liegt, dass es hier von Sax und Gitarre akustisch erdrückt wird – in Zeiten elektronischer Verstärkung komplett unnötig –; zudem wird dann doch so manches Mal nach der richtigen Intonation gesucht. Allerdings bin ich, was Celli angeht, im Moment auch sehr verwöhnt. Gitarrist Ben Aschenbach wiederum spielt einen sehr sympathischen Fingerstyle mit nur gelegentlichem Griff zum Plektron, aber auch bei ihm ist die allgegenwärtige Loop-Station nicht wegzudenken, die mittlerweile auch den Akustikbereich komplett erobert zu haben scheint. Einzig fragt man sich, weshalb Aschenbach in diesem Genre keine Cut-Out spielt, sondern stattdessen angestrengt nach den oberen Bünden langt.
Ausgesprochen gut gefällt mir das dritte Stück des Abends, das wie ein Southern Blues im Cassandra-Wilson-Stil startet, sich aber recht schnell als die Lennon/McCartney-Komposition Come Together entpuppt – schon auf der CD mein absolutes Lieblingsstück, wegen dessen allein sich der Kauf des Albums lohnt! Allerdings spielt Franziska Kraft in Widerspruch zu ihrem Namen auch hier ein sehr zartes, wenn nicht zu zartes Cello.
Beim Mocca Swing verschwindet dann endlich das allzu Luftige, und der Saxophonton kommt stark und klar. Wie schon auf dem Album wird hier ohrenfällig, dass Helmut Mittermaiers Spiel eher für Swing, Dixie, Jazz gemacht ist als für Klezmer und Balkan. Wahrscheinlich ist er auch ein formidabler Freejazzer. Leider spielen Tsching als fünften Titel den Libertango, der nicht nur meine absolute Lieblingskomposition aller Zeitenist, sondern die ich auch einfach schon besser gehört habe – beispielsweise von dem großartigen Tango Nuevo Trio Surreste Tango mit Witek Kornacki an der Klarinette, Guido Jäger am Kontrabass und Angel Garcia Amés an der Gitarre. Zudem hat hier die Cello-Version von Yo-Yo Ma, die auch im Tango Lesson-Soundtrack verwendet wurde, Maßstäbe gesetzt, an denen sich alle Cellisten messen lassen müssen, die sich an diesem wundervollen Stück versuchen. Insofern: Mutig von Tsching.
Der Libertango geht nahtlos über in etwas Balkaneskes, Hora-Artiges, womit man dem Klezmertango-Klischee bzw. dem Mythos vom jüdischen Tango schon wieder gefährlich nahe kommt. Das Stück allerdings entpuppt sich bei genauerem Zuhören als Misirlou, das ursprünglich ein griechischer Rebetiko ist, sich aber sowohl in der arabische Musikwelt als auch in der Klezmer-Szene solcher Beliebtheit erfreut, dass es im allgemeinen für etwas orginär Orientalisches gehalten wird.
Was an der Tsching-Version von Misirlou so schön ist, dass ich sie filmen muss, obwohl sie schon begonnen hat, ist das Zusammenspiel der Drei. So langsam haben sie sich warmgespielt. Auch von der Helmut-Eisel-Komposition Blindroter Chor und Wirtshaustöchter – oder vielmehr: von der Tatsache, dass hier ein Klarinettenstück für Saxophon adaptiert wird und damit erst einmal die Klangerwartungen bricht – bin ich nicht mehr so irritiert wie noch von der Album-Version. Live gerät das Stück zu mehr als der bloßen Imitation des Klarinettenklanges; Mittermaier macht es sich vielmehr so sehr zu eigen, dass ein genuines Saxophonstück entsteht.
Bei mir bist du schön besticht durch sein schönes Cello, doch leider ist selbst die Akustikgitarre lauter. Eine Aussteuerung wie auf dem Album wäre hier wünschenswert, damit Franziska Kraft nicht neben ihren Mitstreitern und besonders neben Mittermaier verblasst. Das Zusammenspiel indessen läuft zur Hochform auf; am Abend der Dichter mit seinem bedrohlich grummelnden Cello und einer perkussiven Gitarre sowie dem folgenden, nahtlos anschließenden Stück findet auch der kritischste Kritiker nichts auszusetzen. Die Stücke von Tsching, und das ist auf der CD schon ahnbar, sind wie gemacht für die Live Show. Ausufernde Soli und Stücklängen zwischen sieben bis zehn Minuten sind bei Tsching keine Seltenheit, funktionieren aber. Einzig die Ausgewogenheit zwischen Saxophonsoli und denen der anderen Instrumente könnte nochmals überdacht werden. Natürlich, das Saxophon ist der Melodieträger bei Tsching. Will man aber zu einem gleichberechtigten Trio-Klang kommen und nicht Gefahr laufen, Gitarre und Cello zu bloßen Sidemen bzw. Sidewomen zu degradieren, müsste diesen live noch etwas mehr Raum eingeräumt werden.
Als Zugabe spielen Tsching Summertime mit einem jazzigen Cello-Solo, welches das Herz erfreut. Sinn für Dramaturgie kann man ihnen ganz bestimmt nicht absprechen; das Stück erweist sich als perfekter Rausschmeißer, denn auch hier gilt: Die Leute mögen, was die Leute kennen. Ich singe das Lied noch den ganzen Nachhauseweg auf dem Rad, und auch am nächsten Morgen klingt mir Summertime noch nach. Ein gutes Zeichen.
Die Albumbesprechung gibt es in der nächsten Ausgabe von Victoriah’s Music, zu haben ist Serenata aber schon jetzt beim Schallplattenhändler Ihres Vertrauens. Am schönsten ist es natürlich immer, Zwischenhändler zu überspringen und das Album direkt im Spätkauf der Künstler zu erwerben.