Ein Recht auf Suche. Lisa Bassenge im Klangverführer-Interview – klangverführer | Musik in Worte fassen

Ein Recht auf Suche. Lisa Bassenge im Klangverführer-Interview

Im gestern erschienenen Berliner Wochenmagazin zitty wurde unter der Überschrift „Ausflug ins stille Wasser“ mein Portrait von Sängerin Lisa Bassenge veröffentlicht. Wie das mit Portraits so ist, geben sie nur einen kleinen Ausschnitt aus der Welt des Portraitierten wieder. Allein deshalb möchte ich Ihnen das zugrunde liegende Interview nicht vorenthalten. Begleiten Sie Lisa Bassenge auf ihrer Entdeckungsreise in den Laurel Canyon, die der Grund dafür war, dass die bislang zwischen Jazz und Elektropo mäandernde Diseuse ihr Repertoire um die Singer/Songwriter-Klassiker der späten Sechziger-, frühen Siebzigerjahre ergänzt hat, lesen Sie, wie es zu ihrer Zusammenarbeit mit dem legendäern Produzenten Larry Klein gekommen ist, was es mit dem Recht des Künstlers auf Suche auf sich hat und weshalb Stadtflucht für Bassenge keine Option ist.

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Klangverführer: Beim Titel deiner neue Platte Canyon Songs denkt man automatisch an diese rotgefärbten Schluchten in Arizona oder an Joni Mitchells Ladies oft he Canyon. Nimmst du darauf Bezug?

Lisa Bassenge: Ich beziehe mich vor allem auf den Laurel Canyon in Los Angeles, wo die Creme der Westcoast-Songwriter-Szene der Sechziger-, Siebzigerjahre ansässig war und wo sie sich ihre Bälle zugeworfen hat.

Der gilt ja auch als „legendäres Tal des Rock ‘n’ Roll“, glaubt man dem Buch von Michael Walker …

Ach wirklich? Vielleicht hätte ich die Platte so nennen sollen! The legendary valley of Rock’n’Roll! (lacht)

Was fasziniert dich an den Klassikern der Singer/Songwriter?

Viele von ihnen haben mich schon sehr lange begleitet, vor allem Joni Mitchell und Ricky Lee Jones, von denen war ich ein totaler Fan! Andere sind an mich herangetragen worden. Larry und ich hatten eben die Idee, dass wir uns so ein bisschen eingrenzen müssen, dass wir nicht alles … Wenn man jetzt ein Album mit Coversongs macht, gibt es ja so wahnsinnig viel Auswahl! Und jetzt war halt der Gedanke, okay, ich geh nach Amerika, dann mach ich auch eine Platte über Amerika. Wo geh ich hin? Ich geh nach L.A., dann machen wir halt eine Platte über L.A.! Und deswegen haben wir angefangen, Stücke aus L.A. zu sammeln. Da sind ja jetzt auch nicht nur Sachen aus dem Laurel Canyon dabei, sondern auch andere L.A.-typische Stücke, Shuggie Otis zum Beispiel, oder Elliott Smith. Ich habe dann auch teilweise Songs ganz neu für mich entdeckt. Zum Beispiel den Song von Warren Zevon, „Searching For A Heart“, den kannte ich vorher gar nicht, habe ihn aber total lieben gelernt.

Du hast gerade die Zusammenarbeit mit Larry Klein angesprochen – wie ist es überhaupt dazu gekommen?

Diesem Projekt in Amerika ging eine künstlerische Auszeit voraus. Ich habe zwanzig Jahre lang mit dem Bassisten Paul Kleber zusammengearbeitet, bis wir uns jetzt auseinanderdividiert und gesagt haben, es ist Zeit, dass jeder mal seine eigenen Wege geht. Dadurch stand ich dann plötzlich ohne Projekt da und vor der Frage, was mach ich jetzt als nächstes. Eigentlich hatte ich mir gewünscht, wieder eine Platte auf Deutsch zu machen, vielleicht mit Crowdfunding, aber einen konkreten Plan dazu hatte ich noch nicht. Nach dem Break-up mit Paul musste ich mich dann aber ganz neu orientieren. Und daraus ist die Entscheidung resultiert, etwas ganz anderes zu machen, Deutschland den Rücken zu kehren und erstmal zu sagen, ich hau ab. Ich hatte natürlich wahnsinnig Glück, dass Larry Klein als Produzent bei dieser Idee mitgemacht hat, was der Verdienst der Plattenfirma war.

Canyon Songs ist deine erste Veröffentlichung auf Edel/MPS. Wie bist du an dieses legendäre Label geraten?

Über Christian Kellersmann, der ist der neue Manager von Edel/MPS, wo er für diese ganzen Re-Issues verantwortlich ist. Christian wollte schon immer mit mir arbeiten. Er war mein früherer Chef bei Universal Jazz, da haben wir Nylon zusammen gemacht, dadurch hatten wir schon immer einen beinahe freundschaftlichen Bezug zueinander. Deswegen hab ich mich auch an ihn gewandt, als ich noch nicht so recht wusste, was jetzt mein nächster Schritt sein wird. Und er meinte, komm, lass uns das doch jetzt machen, ich hab eine Idee, wir holen Larry Klein an Bord! Und ich sagte noch so, das geht doch gar nicht, weil ich dachte, das sei eine viel zu große Nummer! Daraufhin hat Christian die Connection klargemacht, und Larry hat tatsächlich gesagt, dass er Bock drauf hat. MPS ist natürlich ein total interessantes Label, und ich freue mich sehr, darauf herauszukommen. Gerade gestern erst habe ich den Sohn von diesem Typen kennengelernt, der das früher geleitet hat. Da ist ja so krass Geschichte geschrieben worden! Und das ist auch irgendwie so lustig, wie die da im Schwarzwald saßen …

… und im Wohnzimmer Oscar Peterson aufgenommen haben!

Genau! Und dann aber die ganzen Orchesteraufnahmen zusätzlich in der Carnegie Hall oder so gemacht haben, oder im Wembley Stadion. Ich mag das, weil das einerseits so provinziell ist, gleichzeitig aber auch große weite Welt.

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Lass uns über die Musik selbst sprechen. Das Album eröffnet mit den gedämpften Trompetentönen Till Brönners, und überhaupt klingen viele der Songs seltsam gedämpft, sowohl vom Sound her als auch von der Stimmung. Wie kommt’s?

Das liegt natürlich immer im Auge des Betrachters bzw. im Ohr des Hörers. Für mich ist es eher so, dass das Album vielleicht beim ersten Eindruck etwas sehr Ruhiges hat, aber wenn man dann tiefer reinhört – und wenn man auch in diese ganze Produktionsweise tiefer eingebunden war –, dann hört man sehr viele Schichten. Ich halte das Album für sehr vielschichtig. Vielleicht wie ruhiges Wasser, das dann aber trotzdem tief ist. Es schlägt keine großen Wellen, hat aber trotzdem sehr viele Schichten, wenn man genau hinhört.

Also ein Album, das man sich mit mehreren Durchläufen erhören muss?

Ich kann das schlecht beurteilen, denn ich muss sagen: Ich finde das Album total geil (lacht). Ich find’s einfach super, und ich fand es auch beim ersten Hören schon super. Aber vielleicht gewinnt es für den, der nicht an der Produktion beteiligt war, auch erst mit ein paar Mal hören. Ich glaube, es ist wichtig, dass man es auf einer guten Anlage hört, dass man diese Weite hören kann. Denn was das Album für mich transportiert, ist so eine Weite, so etwas Road-Movie-haftes – und auch die dunkle Seite von L.A., das mag ich daran.

Was genau meinst du mit der dunklen Seite von L.A.?

Naja, nicht dieses klischierte happy Beachlife. Es gibt halt zwei Seiten von L.A.: Einerseits Hollywood und schöne Blondinen, sie sich am Venice Beach räkeln, alle sind schick und operiert und so, und dann gibt es eben die Nachtseite, diese ganzen Autos, das ist schon ein bisschen unheimlich. Da gibt es ganz viele flache Gebäude, das sieht alles so aus, als wäre es aus dem Nichts hochgezogen worden. Es ist wirklich keine schöne Stadt! Und nachts sind da gar keine Menschen auf der Straße, sondern nur Autos, das hat etwas total Verlorenes, wie in „Mullholland Drive“, dem Film von David Lynch, was Unheimliches und auch ein bisschen vom Menschen Entfremdetes.

Ist es das, was du in den Liedern der Singer/Songwriter aus L.A. wiederfindest? Die Rückseite des Spiegels von der Glitzerwelt?

Ja schon, auf jeden Fall. Gerade auf dem Stück von Elliott Smith, das ist ein super Beispiel für dieses Leiden am Konsum, an der Industrie und auch an der Stadt. Oder „For What It’s Worth“, der ein klassischer Protestsong ist, leider aber immer so ein bisschen als Hippie-Hymne verkannt wird. Ich würde zwar nicht sagen, dass jedes Stück auf dem Album diese Seite jetzt speziell vom Text her transportiert, aber ich glaube, die Art, wie die Musik eingespielt ist, hat schon so einige Ausreißer und ist nicht so eine ganz normale, glatte Geschichte.

Dafür klingt das aber alles schon ziemlich aus einem Guss …

Ja, die Platte ist sehr homogen. Das war auch das Ziel.

Was aber durchaus auch ein Kritikpunkt sein kann.

Ja, das Komische ist, dass bei meinen letzten Platten der Kritikpunkt immer war, dass sie so eklektisch seien. Das war natürlich meine Schuld, weil ich das mitproduziert habe und es mochte, mich hier und da zu bedienen, auch beim Schreiben. Das war dann immer der Vorwurf, der mir auch von Labelseite gemacht wurde oder auch von Musikerseite: Es sei so beliebig. Deshalb war es für mich diesmal ein erklärtes Ziel, ein homogenes Album zu machen, und deswegen haben wir uns auch für Larry Klein entschieden, der dafür bekannt ist, ein rundes Ding zu machen. Ich persönlich finde, dass das eine Stärke von dem Album ist.

Wenn du das jetzt aber noch deinem Gesamtwerk hinzufügst – du hast ja bis jetzt Jazz, Neo-Chanson und NDW-angehauchten Pop gemacht, hast du da keine Angst, dass dir der Vorwurf gemacht wird, jetzt aber endgültig beliebig geworden zu sein? Dass die Leute nicht mehr wissen, wo sie dich einordnen sollen?

Naja, den Vorwurf hätte man mir auch schon vor einem Jahr machen können, als ich meine eigenen Lieder auf Deutsch gemacht habe. Ich weiß auch nicht … Ich glaube einfach, ein Künstler hat ein gutes Recht auf diese Suche. Ich kann es natürlich total verstehen, von der Publikumsseite aus, dass man wissen will, woran man ist und dass man die Sachen irgendwie einordnen will, aber ich als Künstlerin hab da Schwierigkeiten, mitzumachen. Was für mich schon ein Alleinstellungsmerkmal ist, ist meine Stimme, die bleibt immer gleich. Außerdem ist es jetzt ja nicht so, dass die Sachen stilistisch so wahnsinnig unterschiedlich sind. Als Überthema könnte man durchaus sagen, dass das Jazz ist. Vielleicht im Geiste des Pop. Oder andersrum, Pop im Geiste des Jazz. Denn wirklich Singer/Songwriter ist es ja jetzt auch nicht. Es ist ein Album mit Bearbeitungen von Singer/Songwritern.

Wie würdest du diese Bearbeitungen denn bezeichnen, wenn du ihnen ein Label verpassen müsstest?

Ich würde sie als Pop bezeichnen. Oder als Jazz-Pop. Es sind ja auch Jazzmusiker, die mitspielen. Diese Frage ist mir schon seit Jahren, egal bei welchem Projekt, gestellt worden: Ist das jetzt Jazz? Und klar, wenn man jetzt sagt, Jazz ist etwas, das mit so einem Improvisationsding zu tun hat, dann ist das kein Jazz. Aber wenn man sagt, es gibt gewisse Teile, die frei sind, man spielt viel auf Zuruf, die Leute, die mitspielen, sind Jazzmusiker, dann ist es Jazz. Auch die Art der Phrasierung.

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Dein Record Release Konzert am 15.10. sollte ursprünglich in der Neuen Heimat stattfinden, wurde jetzt aber ins Watergate verlegt.

Genau, eigentlich wollten sie die Neue Heimat zu machen, dann hatten sie aber gesagt, sie dürfen doch noch bis November aufbleiben, aber die Neue Heimat hatte kein Geld mehr, die Brandschutzvorrichtungen zu erneuern, und der Agentur war es dann zu riskant. Ich bin ehrlich gesagt ganz froh, dass es ins Watergate umgelegt wurde. Die Neue Heimat ist zwar ein total geiler Ort, aber vom Sound her schwierig, so hoch, und diese Betonwände … Ich hab da einmal gesungen, mit Streichern, das war schwierig, da ist alles so nach oben verschwunden.

Das finde ich bei der Passionskirche ganz furchtbar!

Och ja, Gott!

Wenn du da auf dem Rang sitzt, ist das nur noch ein einziges Gewaber!

Auch wenn du auf der Bühne stehst ist es das Schlimmste! Ich hab da letztes Jahr mit Pee Wee Ellis gespielt, das war der Horror, danach hatte ich so schlechte Laune, dass ich dachte, ich muss aufgeben. Aber ich habe einmal Suzanne Vega da gehört, solo, das war total geil! Eine Frau mit Gitarre, das klingt da halt gut. Aber alles, was mit Schlagzeug ist, kannst du dort vergessen. Und mit Pee Wee Ellis haben wir so richtig Funk gespielt, ey, das war der Horror. Der totale Horror! Schrecklich.

Dein Record Release Konzert läuft ja unter dem Label „XJAZZ Live“ …

Ja, XJAZZ macht ja jetzt nicht mehr nur das Festival, sondern ist auch Konzert-Veranstalter. Die machen eine Konzertreihe im Watergate, unter anderem auch mit meiner Wenigkeit, aber auch mit Mocky und Get The Bessing.

XJAZZ ist ja ganz eng mit der Hauptstadt verknüpft. Stichwort Berlin: Was bedeutet Berlin für dich als Musikerin, und ganz persönlich?

Also persönlich, es ist halt meine Heimat. Ich bin hier geboren, aufgewachsen, meine Kinder sind hier geboren, ich bin auch nie weg gewesen – insofern Heimat, natürlich. Trotzdem würde ich die Stadt jetzt nicht so überhypen wollen. Das ist auch gar nicht mein Ding, ich weiß eigentlich gar nicht, was jetzt hier hip ist und welcher tolle neu Kaffeeshop jetzt an welcher Ecke aufgemacht hat, aber: Ich kehr‘ halt immer wieder hierher zurück! Was mir an Berlin so gut gefällt ist, dass die Stadt sich immer verändert, dass die Stadt ein gewisses Maß an Wandel, was man in sich selber nicht vollzieht, für einen vollzieht. Dass man von ganz allein Dinge immer wieder aus ganz neuen Perspektiven sieht.

Dass man dazu gewissermaßen gezwungen wird?

Ja genau, dass die Stadt den Wandel für einen vollzieht.

Dass man sich nicht in die Komfortzone zurückziehen kann. Bist du in so einer verwurzelt, in einem bestimmten Kiez, von dem du sagst, das ist mein Stück Berlin?

Ich wohn seit 1995 in Kreuzberg, davor war ich in Zehlendorf und in Charlottenburg. Ich bin schon eher Westberlin-geprägt. Und Kreuzberg ist schon mein Kiez. Wenn ich mir jetzt wünschen können würde, wo ich hinziehen könnte, also aus Kreuzberg raus, dann wäre es schon immer so Richtung Süden, also zurück nach Zehlendorf. Also jetzt so Köpenick wär nicht mein Ding.

Stadtflucht stünde gar nicht erst nicht zur Debatte?

Ach, ich bin ja so suburban geprägt, ich komme aus dem Grünen, da ist das natürlich schon immer wieder so ein Wunschtraum – und vor allem eine Geldfrage!

Wenn man sich weit genug von den Stadtgrenzen entfernt …

Ich finde den Gedanken an einen Hof und so immer wieder total schön, aber das muss man ja auch mit allen drum herum abstimmen. Die Kinder wollen natürlich weiter hier zur Schule gehen, der Vater von denen wohnt auch hier um die Ecke, mein Freund will auch nicht aus der Stadt raus …Aber so ein bisschen wünschen tu ich mir das schon ab und zu! Wir waren jetzt auch mit den Kindern auf so einer kleinen Insel in Dänemark, wo es keine Autos gab und wir drei Wochen einfach nur in der Natur waren – mir ging es danach so viel besser! Ich glaube schon, dass das eine Option ist. Aber eher für die fernere Zukunft. Wahrscheinlich ist Landleben in der Realität weitaus anstrengender, als man sich das als romantisierender Großstädter so vorstellt.

Du hast vorhin gesagt, du kommst immer wieder nach Berlin zurück. Hast du eine Art Berlin-Ritual, wenn du von einer Tour oder so kommst? Dich für eine halbe Stunde unter den Fernsehturm setzen oder was auch immer?

Ich gehe jedes Jahr zu Neujahr eine Runde um die Pfaueninsel, meinem absoluten Lieblingsort in Berlin. Aber ansonsten habe ich eigentlich gar keine Rituale. Ich bräuchte mehr Rituale, glaub ich. Das wär nicht schlecht. Rituale tun ja so gut.

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