Lust auf Zwischentöne: Ein Gespräch mit stargaze-Gründer André de Ridder
Sternengucker gelten vielen als weltfremd, versponnen und idealistisch. Tatsächlich bedarf es eines gewissen Idealismus, um eine Veranstaltung wie den vom 11. bis 13. Dezember 2015 über die (Volks-)Bühne gehenden Stargaze Long Weekender, der sich absolute stilistische Offenheit auf die Fahne geschrieben hat, auf die Beine zu stellen. Schließlich will das kuratierte Festival unter Verzicht auf bekannte Headliner und Werke allein durch sein Konzept überzeugen: Musik jenseits des bekannten Kanons von Barock bis Postpunk kulturell gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Dabei geht es nicht um Crossover, sondern dank thematischer Überschneidungen und überraschender Vor-, Rück- und Querverweise um einen echten Dialog der Genres.
Für das Berliner Stadtmagazin zitty traf ich Stargaze-Gründer André de Ridder, der sich als ebenso versierter wie eloquenter Gesprächspartner erweisen sollte, und sprach mit ihm über die vor allem in Deutschland allgemein akzeptierten unterschiedlichen Wertigkeiten von Hoch- und Subkultur, über das Aufspüren von Verbindungen zwischen Stücken verschiedenster Provenienz, die es manchmal nebeneinander stehenzulassen, manchmal aufeinander prallen zu lassen gilt, und über die im psychedelischen Sinne spirituelle Seite von Grateful Dead.
Klangverführer: Letztes Jahr wart ihr im Februar mit dem Festival am Start. Warum gibt es den Long Weekender diesjahr erst im Dezember?
André de Ridder: Weil wir es einfach nicht jedes Jahr machen können. Auch sind wir nicht daran gebunden, es einmal im Jahr an einem festen Termin zu machen, sondern es hängt davon ab, wann wir wieder genug Material gesammelt haben, bis wir eine Art Werkschau oder auch Projektübersicht machen können. In diesen anderthalb Jahren ist soviel passiert, wir hätten nicht direkt nach dem letzten Festival wieder anfangen können, sofort wieder das nächste zu planen. Dann gibt es ja auch noch Bewerbungsfristen, weil wir diesmal einen Förderantrag beim Hauptstadtkulturfonds gestellt haben. Außerdem ist es auch in dem Sinne kein Festival, dass es alljährlich stattfindet, sondern mehr eine Bündelung von Themen und Konzerten, die immer anders und überraschend sein soll. Diesmal fällt das insgesamt auch vom Ansatz her anders aus. Außer, dass es auch an drei Abenden stattfindet, ist es ein anderes Format, wobei es auch diesmal wieder schöne thematische Zusammenhänge gibt. Nicht zuletzt haben wir uns als Musiker weiterentwickelt, haben nicht still dagesessen, sondern viele Projekte, auch Festivalresidenzen gemacht, wo wir wieder neue Künstler kennengelernt haben, und aus diesen Bekanntschaften entstehen dann wieder neue Ideen und auch neue Musik. Aber das Wichtigste daran ist: Es braucht alles Zeit. Zeit, um zu gären, in den Musikern. Und auch die Zeit zu finden, zusammenzukommen, denn die Stammmusiker leben nicht alle in Berlin. Es ist ja nicht so, dass wie ein- oder mehrmals die Woche in unserem Proberaum zusammenkommen können, wie das bei lokalen Bands oder auch Orchestern der Fall ist. Wir treffen uns immer projektweise, und auch nicht immer zwangsläufig in Berlin, sondern an dem Ort, wo gerade etwas läuft.
Auch wenn du gerade gesagt hast, der Stargaze Long Weekender ist kein typisches, alljährlich stattfindendes Festival, frage ich mich, wie überhaupt die Idee entstanden ist, ein weiteres Festival in dieser an Festivals nicht gerade armen Stadt auf die Beine zu stellen. Warum braucht Berlin noch ein Festival, und weshalb gerade dieses?
Ich glaube schon, dass es diese Herangehensweise an Musik – und gerade an die Zwischenräume oder Übergänge zwischen den verschiedenen Genres –, jedenfalls in Hinblick auf die klassische Musik neu ist in Berlin, aber auch in Deutschland generell. Das ist in anderen Ländern, bei anderen Festivals anders, da gibt es eher dieses kulturell Gleichwertige oder Ebenbürtige zwischen Subkultur und der sogenannten Hochkultur. Oder klassischer Musik und den verschiedenen Stilbildungen von Pop und Elektronik und Folk und so fort. Ich glaube schon, dass es da gerade in Deutschland immer noch gewisse Wertigkeiten gibt im Unterschied zu England oder Amerika. Auch was die Förderungsstrukturen angeht oder die großen Konzerthäuser, wie in London zum Beispiel Southbank und Barbican, da werden Produktionsmittel gleichmäßig in die klassischen wie auch die Popformate gesteckt, um besondere Projekte zu realisieren. Um beispielsweise auch Popkünstler in verschiedenen Zusammenhängen zusammenzubringen. Die muss man erstens ja auch mal an die Hand nehmen, das muss kuratiert werden, die müssen überredet werden, auch mal was anderes zu machen als in ihrem typischen Albumzyklus drinzubleiben, also nur ihre eigenen Stücke zu spielen oder nur gerade das zu spielen, was auf ihrem letzten Album drauf ist. So läuft das ja normalerweise. Das ist eigentlich ein bisschen so wie in der Klassik, wo man die klassischen Orchester sehr überreden muss, was anderes als Beethoven, Mahler, Bruckner und Mozart zu spielen. Und insofern haben wir da zwei parallele Welten, die sich in gewisser Weise aber auch ähneln. Und da wollen wir einfach was zusammenbringen! Es ist nicht meine Idee, Crossover zu machen, das interessiert mich überhaupt nicht. Mir geht es darum, Verbindungen aufzuspüren, manchmal nebeneinander stehenzulassen, aufeinander prallen zu lassen, aber auch Musiker unterschiedlicher Herkunft zusammenarbeiten zu lassen, woraus wiederum neue Musik entstehen kann. Neue Musik im weitesten Sinne des Wortes, nicht im Sinne des deutschen Genrebegriffs mit großgeschriebenem N für neue zeitgenössische Musik, denn für mich ist das ja alles zeitgenössisch! Alles, was heutzutage an Pop produziert wird, ist zeitgenössische Musik, also Musik, die absolut jetztzeitig ist. Und vielleicht gerade auch durch die textlichen, durch die literarischen Zusammenhänge relevanter für unsere Zeit als vieles von dem, was im akademischen Rahmen als zeitgenössisch gilt. Und insofern glaube ich, dass wir damit was aufbrechen wollen, weil wir glauben, dass dafür auch ein Publikum da ist. Gerade bei der Volksbühne, die schon ein sehr interessiertes Publikum für nicht-alltägliche Popprojekte und Bands hat, und dass dieses Publikum auch entsprechend aufgeschlossen ist gegenüber neuer klassischer Musik, glaube ich sehr. Gerade in den Grenzbereichen. Und dafür halt ein Forum anzubieten, das war unser Ziel und gleichzeitig auch mit dem Kollektiv Stargaze Musiker anbieten zu können, die den einzelnen Künstlern da zugeordnet werden wo es passt, um auch den popmusikalischen Bands die Ressourcen zu geben, zu denen sie sonst vielleicht keinen Zugang hätten. Das ist die Grundidee dahinter.
Du hast gerade von den beiden Welten gesprochen, Subkultur hier, Hochkultur dort, U-Musik und E-Musik oder wie auch immer man sie nennen will, deren Strukturen aber ähnlich eingefahren sind. Wenn ihr davon sprecht, den Long Weekender als „Bote einer neuen Festivalkultur“ zu entsenden, geht es dann um das Aufbrechen dieser Strukturen? Anders gefragt: Was ist das Neue an der Festivalkultur, die ihr schaffen wollt?
Tatsächlich orientiert sie sich an einer Festivalkultur, die wir hier bislang nicht empfunden haben, aber die es sowohl in der Popmusik als auch in der Klassik schon gibt. Es gibt ein Festival, wo man über einen Zeitraum thematisch denkt und thematisch programmiert, nämlich das All Tomorrow’s Parites Festival. Da bestimmt der Veranstalter einen Musiker, eine Band oder einen bildenden Künstler, der die Künstler für das Festival einlädt und sich überlegt, wie die zusammenpassen. Die Leute werden also aus bestimmten Zusammenhängen eingeladen. Interessanterweise spielen bei diesen Wochenenden auch andere Dinge eine Rolle als die Musik, da werden auch Filme gezeigt und sogar die Apartments, in denen man wohnt, werden mit Büchern ausgestattet, in den Videorecordern laufen von den Künstlern kuratierte Filme und so weiter. Das ist etwas, das ich auch von guten Klassikfestivals kenne: dass sie inhaltlich interessant kuratiert sind. Und jetzt versuchen wir auch, das themenbezogen zu machen, dabei aber eben beide Welten zusammenzubringen. Zum Beispiel bei dem Thema spirituelle Musik, um die es am ersten Abend geht. Dass man sagt, wo ist spirituelle Musik in der Klassik, was heißt das eigentlich, und wo finden sich ähnliche Beispiele auch in der Popmusik wieder, wo in der zeitgenössischen Musik. Und so sozusagen findet man eine thematische Klammer, in der dann alles Mögliche aus verschiedenen musikalischen Stilen denkbar ist, auch aus verschiedenen musikalischen Zeiten. Deswegen gehen wir diesmal auch so weit zurück, Musik von Johann Sebastian Bach zu spielen. Das war letztes Jahr noch nicht der Fall, dass wir auch ganz alte Musik spielen. Die wir hier vielleicht versuchen zu adaptieren und auch in einem neuen Gewand zu zeigen. Von den gleichen Musikern erarbeitet, die dann zwei Tage später mit einer Post-Punk-Band aus Dänemark zusammenkommen! Und aus diesen Gegensätzen und Überschneidungen entsteht auch für uns Musiker eine interessante Spannung: Wie beeinflusst sich das gegenseitig, wie beeinflusst es die Art des Musizierens?
Immer wieder ist hier der Begriff des „kuratierten Festivals“ gefallen. Was genau muss man sich darunter vorstellen, was macht der Festivalkurator?
In den anderthalb Jahren, über die wir jetzt wieder Material gesammelt und verschiedenste Projekte erarbeitet haben, ergibt sich dann irgendwann im Kopf … irgendwann merkt man so, ah!, zwischen bestimmten Dingen – und es scheint bestimmte Richtungen zu geben, von denen wir uns angezogen fühlen – ergeben sich plötzlich Synergien mit anderen Projekten, die wir gemacht haben, und dann fängt man so langsam an, das so ein bisschen zu sortieren und sich anzugucken, wie könnte man das in einen Gesamtzusammenhang stellen, der auf verschiedenen Ebenen Sinn macht. Viel hat sich auch größtenteils von selber ergeben: Dass wir zum Beispiel mit Künstlern gearbeitet haben, wo es einen Folk-Hintergrund gibt und wo man ganz oft den Fall hat, dass da nur ein Sänger mit Gitarre ist, der sich selber begleitet, wo dann natürlich viel Raum drumherum ist, auch noch Dinge zu gestalten in Orchestration und Instrumentation, andererseits dann wieder, dass es auch in der Klassik Komponisten gegeben hat, die sich an gewissen traditionellen Musiken orientiert haben, in unserem Falle Bartók. Und dann hat sich das alles ganz schnell ergeben: Wir haben mit den Villagers gearbeitet und ich als Dirigent in London mit A Hawk And A Hacksaw, da haben wir ein Konzert zusammengestellt, wo wir die auf Bartók haben treffen lassen. A Hawk And A Hacksaw sind ganz ähnlich vorgegangen wie er, in ihrer Art Musik zu schreiben. Sie haben lange in Budapest gelebt und sind auch in die Türkei gereist, sind jahrelang durch Rumänien gereist, durch Bulgarien und so weiter, ähnlich wie Bartók sind sie durch die Dörfer gezogen, haben sich die Musik angehört und sich Sachen beibringen lassen. Und dann daraus wiederum ihre eigene Musiksprache entwickelt, die davon beeinflusst war. Und ähnlich war es bei Bartók. Das war das Eine. Die Villagers wiederum kommen eher aus einer traditionellen Folkmusik des Zwanzigsten Jahrhunderts mit einem gewissen keltischen Einfluss. Und so hat sich dann diese Verschränkung ergeben im Festival. Oder die Frage der spirituellen Musik: Wir spielen viel die Musik von Bryce Dessner, haben schon beim letzten Mal ein Streichquartett von ihm gespielt, „Aheym“. Und jetzt das zweite Streichquartett „Tenebrae“ basiert auf der Dramaturgie einer vorösterlichen Messe, hat also etwas sehr sehr Spirituelles, denn dabei geht es um den Tod Jesu, alles bewegt sich hin auf diesen Karfreitag, und dazu fügt sich das Stück von David Lang, „Death Speaks“, wo er Worte aus Schubert-Liedern destilliert hat, die alle was mit Tod und Vergänglichkeit zu tun haben, und hat sie neu zu einem neuen Lieder-Zyklus zusammengesetzt, den wir öfter gespielt haben mit Shara Worden als Sängerin. Das ist also schon in unserem Repertoire, wir haben dieses Stück immer mal so bei verschiedenen Gelegenheiten dargeboten, aber noch nie in diesem Zusammenhang. Und dann kam die Idee mit der Bach-Kantate, die wiederum daraus stammte, dass wir die Kantate schon beim Haldern Pop Festival aufgeführt haben, weil es da diese herrliche Dorfkirche gibt, wo das Festival immer beginnt. Und da kam eben letztes Jahr die Idee auf: Da müsste man doch mal während des Pop-Festivals Bach spielen! Also einerseits unerwartetermaßen, andererseits total angemessen in dieser Kirche. Und es war ein wunderbares Erlebnis, das jetzt natürlich auch wieder in diesen Rahmen der spirituellen Musik passt. Genauso wie unerwartetermaßen vielleicht die Idee, Grateful Dead zu covern. Was wiederum aus einer Initiative von Bryce Dessner hervorgegangen ist, der diese nächste Folge der Red Hot Aids Foundation aus New York kuratiert, wo er verschiedenste Bands eingeladen hat, Grateful Dead Songs zu covern. Daraus machen die eine Charity-Elf-Vinyl-Ausgabe. Wir sind auch angesprochen worden und haben eine Instrumentalfassung von diesem sehr psychedelischen, abgefahrenen Song „What’s Become Of The Baby“ beigesteuert, der im psychedelischen Sinne einen sehr sehr spirituellen, fast mystischen Text hat und der für mich wiederum dann auch in den Zusammenhang gepasst hat mit dem Bach, zumal es eigentlich nur eine Gesangslinie ist, fast wie ein gregorianischer Choral über so einem Drone, den wir halt instrumental dargestellt haben. Und da wir ohnehin den Chor noch aus der Bachkantate haben, haben wir gesagt, okay, dann machen wir es halt mit dem Chor, das könnte auch spannend sein! So sieht man, dass wir schon am ersten Abend sehr viele, und nicht immer die gleiche, Verbindungen haben. Das eine Projekt ergibt sich aus dem anderen, aus dem sich wiederum weitere Ideen ergeben, man merkt, Moment, zu dem Thema haben wir doch schon mal was gemacht, sodass man dann alles in einen vielleicht manchmal überraschenden, aber sehr sinnfälligen Zusammenhang bringt. Also, das verstehe ich unter Kuratieren. Bei uns ist das eigentlich ein ununterbrochenes Stream of Contiousness-Ding, aus dem sich plötzlich Inseln ergeben. Und dann hat man plötzlich ein Programm.
Dinge in Zusammenhang bringen, Verschränkungen aufdecken, rote Fäden finden … das Material nicht nur einfach so nebeneinander stellen, sondern in einen echten Dialog bringen?
Genau. Ich frag mich manchmal auch, warum mein eigener Musikgeschmack, der in so verschiedene Richtungen geht … Dass man sagt, wir wollen von Musik eigentlich immer das Gleiche, ob es jetzt Erlebnisse sind mit tollen Werken klassischer Musik oder Erlebnisse bei Konzerten von einer Punkband … Es gibt dort diese berühmten erhabenen oder sogar spirituellen Erlebnisse, oder auch kathartischen Erlebnisse, nach denen wir in der Musik suchen. Und das ist, ganz egal, aus welchem Genre, der Fall. Und das zu zeigen, und damit auch das gleichermaßen ernst zu nehmen, das ist uns eben ganz wichtig. Und letztendlich ergibt sich auch nur dadurch eine Chance für die klassische Musik oder klassische Orchestermusik, denn das viel breitere, jüngere Publikum kann der Klassik gegenüber auch sehr aufgeschlossen sein, es muss sie nur finden. Man muss die Orte finden und die Gelegenheiten finden, wo man die Leute mitreißen kann und auch dafür begeistern kann, durch bestimmte neue Zusammenhänge.
Du hast vorhin mal gesagt, Crossover interessiert dich überhaupt nicht. Wie würdest du es dann bezeichnen, was ihr mit den verschiedenen Genres macht?
Es gibt alle möglichen Strategien. Entweder die Strategie, man spielt einfach eine Bachkantate, ohne großen Aufhebens, aber man adaptiert die Besetzung, sodass sie zu unseren Musikern passt oder arrangiert vielleicht auch instrumentarisch was, sodass die Klangwelt ins Heutige übersetzt wird. Man schaut vielleicht auch, ob es nicht Material gibt, was man rekomponieren kann oder wo man aus vorhandenem Material neue Stücke entstehen lassen kann, das ist das Eine. Oder man arbeitet mit einer Band an neuen Stücken von denen und schaut, welche Klangzwischenräume ergeben sich, die man mit Mitteln der zeitgenössischen klassischen Musik, vom Klangbild her, spektral, erweitern kann. Und die mit unserem Instrumentarium weiter auszumalen oder neu zu interpretieren und dadurch auch in einen neuen Zusammenhang zu stellen. Da gibt es beispielsweise Berührungspunkte bei viel elektronischer Musik, die mit Synthesizern arbeitet, wo Klangspektren analysiert und wieder neu zusammengesetzt werden, das hat viel mit Obertonstrukturen zu tun. Es gibt ein ganzes Genre zeitgenössischer klassischer Musik, der sogenannte Spektralismus, der sich mit den Obertonstrukturen und dem Klangbild der Obertöne auseinandersetzt und aus dieser Analyse Musik entstehen lässt. Und da gibt es auf jeden Fall Berührungspunkte. Ich würde es nennen: Kollaborative Praktiken, die wir anwenden. In der Klassik ist es ja üblicherweise so: Es gibt den einen Komponisten, der sich was ausdenkt, und andere Leute führen es auf. Wir arbeiten dagegen sehr nah mit dem Komponisten oder der Band zusammen, die an sich schon eine Gruppenkomposition angefertigt hat, und erweitern diesen Prozess. Wir schauen, was passiert, wenn die Band uns jetzt ihre Musik übergibt. Und wir sagen, wir hören da aber noch etwas ganz anderes! Es gibt immer, bei jedem Material, verschiedene Möglichkeiten, es zu hören. Oder es auszulegen, es weiterzuführen. Eine andere Gruppe von Musikern würde vielleicht ein anderes Element davon hervorheben. Und das ist für uns das Spannende. Und das ist dann halt die kollaborative Praxis. Und dann gibt es noch die dritte Möglichkeit, dass wir Musik spielen von Komponisten, die aus einem Bandkontext kommen, zum Beispiel Leute wie Jonny Greenwood und Bryce Dessner, die bekannt sind als Gitarristen ihrer weltberühmten Bands, die aber selber noch ein Eigenleben führen als klassische Komponisten und selber Orchesterstücke schreiben oder Streichquartette. Und das ist auch eine super Gelegenheit, dem Publikum, also dem Publikum dieser Bands, zu zeigen, was noch an Kreativität in diesen Musikern steckt, welche anderen Ausdrucksformen musikalischer Art diese Leute nutzen, dass sie selber nicht nur auf dieses Bandmuster, wie man in der Popwelt arbeitet, rezipiert und produziert, beschränkt sind. Und indem wir diesen Musikern eine Stimme geben, verleihen wir auch unserem Anliegen Ausdruck. Diese Personen werden dann zu einer Art Identifikationsfiguren einer neuen Offenheit gegenüber klassischer Musik. Sie moderieren, oder besser: propagieren eine Bitte zuzuhören bei subtilerer Musik. Wobei, das kann man eigentlich so nicht sagen, „subtil“ ist der falsche Ausdruck, weil davon schon wieder so eine Wertigkeit ausgeht. Aber eben klassischer, aufgeschriebener, notierter Musik gegenüber.
Bei der Ankündigung des Festivals spielt auch das Schlagwort der Nichtkommerzialität eine große Rolle. Inwieweit kann ein Festival, das natürlich auch Eintrittspreise erhebt, für sich beanspruchen, nicht kommerziell zu sein?
Das ist ein Begriff, der jetzt gar nicht von mir kommt. Es ist aber vielleicht eben auch was, worum ich mir keine Gedanken mache. Und worüber ich mir auch keine Gedanken machen möchte. Wobei, ich bekomme sowohl bei diesem Unterfangen mit stargaze und bei den Popprojekten, die wir machen, als auch in der Klassik, wenn ich mit einem Orchester ein normales Symphoniekonzert mache, immer wieder zu hören: Das verkauft sich nicht, in das Programm muss ein Name rein, nee, das schreckt alle Leute ab – bei der Klassik ist es an bestimmten Orten schon ein Name wie Bartók oder Strawinsky, der Leute abschreckt –, bei den Popfestivals, wo wir eingeladen werden, heißt es, wir brauchen aber noch jemanden, der Publikum zieht. Oder wenn ich sage, ich möchte gern mit dieser Band zusammenarbeiten, wird mir gesagt, da kommen dann aber höchstens hundertfünfzig Leute, das können wir uns nicht leisten, das können wir nicht machen! Das sind Dinge, mit denen ich überall konfrontiert werde. Bei dem ersten Festival haben wir das große Glück gehabt, mit Leuten gearbeitet zu haben, die ich schon länger kannte und mit denen wir schon immer mal ein Projekt machen wollten, da hatten wir Nils Frahm als sehr zugkräftigen Künstler, dessen Popularität in dem Moment gerade durchs Dach ging! Und diesmal verlassen wir uns ein bisschen mehr auf uns selbst, auf unser Konzept, und suchen uns einfach die Leute aus, mit denen wir arbeiten wollen, ob mir jetzt nun gesagt wird, dass die zweitausend Leute ziehen oder einhundert Leute ziehen. Da ist eine gewisse Portion Idealismus dabei. Wir versuchen, einfach nur durch das Konzept zu überzeugen und vielleicht ein bisschen auf dem Erfolg des ersten Festivals aufzubauen, wo die Leute gesehen haben, okay, das, was die da machen, ist ja wirklich spannend. Wir haben wahnsinnig viel tollen Zuspruch gehabt, sodass wir uns dieses Jahr wirklich nur von der Idee und von der Musik haben leiten lassen. Und das setzt uns natürlich gehörig unter Druck. Es ist ein großes Risiko. Dieses Jahr geht es ein bisschen mehr in die Orchesterrichtung. Wir haben beispielsweise diesen zweiten Abend, der sehr orchestral ausgerichtet ist, weil unsere Ambition schon immer war, einmal diese Orchesterwerke von Jonny Greenwood.von Radiohead aufzuführen. Diese beiden Stücke sind tatsächlich noch nie in Deutschland aufgeführt worden, das finde ich auch schon wieder bezeichnend. Ich meine, das eine Stück ist von 2004! Und da hat man ja einen relativ großen Namen oder einen Kontext, der im Indierockbereich sehr namhaft ist, aber trotzdem sind diese Stücke noch nie in Deutschland aufgeführt worden, was mich zurückführt auf unsere Eingangsfrage, warum muss man in Berlin noch so ein Festival bringen. Weil eben diese, ich sag mal: neue Klassik, oder dieses neue Repertoire von Klassik, das jetzt nicht unbedingt dem Avantgarde-Gedanken von neuer Musik in Deutschland, Donaueschingen, Darmstadt und so weiter, entspricht. Es gibt ein neues Repertoire, das aber hier noch nicht so aufgenommen worden ist. Und da kommen wir jetzt hin. Diesmal hat man uns zum ersten Mal die Möglichkeit gegeben, das zu machen, konkret: diese Greenwood-Stücke aufzuführen. Und das war beim letzten Mal auch noch nicht so. Wir haben auf der einen Seite Bach, auf der anderen Klassiker des Zwanzigsten Jahrhunderts, auch teilweise extreme Klassiker wie zum Beispiel Ligeti, der aber sehr gut in diesen Zusammenhang passt, weil Greenwood und Dessner sehr von Komponisten des Zwanzigsten Jahrhunderts, insbesondere Ligeti und Bartók, beeinflusst worden sind. Was man in ihren Stücken auch hören kann. Das heißt, letztendlich kann der Zuhörer so vielleicht auch wieder nachvollziehen, was es alles in der Klassik der Zwanzigsten Jahrhunderts noch zu entdecken gibt, wo Klangräume sind, die diese Musiker, die jetzt in den Bands, die wir lieben, arbeiten, beeinflusst haben. Was sich auch irgendwo, glaub ich, in der Arbeit mit den Bands ausdrückt.
Benötigt man als Zuhörer dann nicht eine intime Kenntnis des Werkes von Ligeti oder den anderen von euch gespielten Komponisten, um diese Zusammenhänge zu verstehen?
Nee, überhaupt nicht. Da glaub ich machen wir es dem Zuhörer wiederum einfach, denn da gibt es noch eine weitere Ebene der Verbindung, nämlich zur filmischen Musik oder Musik, die durch filmische Benutzung populär geworden ist. Beispielsweise dieses Cello-Konzert, das im Film „Heat“ von Michael Mann extensiv benutzt wurde. Wiederum gibt es bei Greenwood dieses Stück „There Will Be Blood“, das ist eine Suite aus seiner Filmmusik; andererseits war er wiederum sowieso von Komponisten wie Ligeti und Penderecki, die ja viel durch so große Filme wie die von Stanley Kubrick schon in den Sechziger-, Siebzigerjahren einem großen Publikum der Popkultur vorgestellt geworden sind, beeinflusst. Vermutlich hat Greenwood diese Komponisten erst durch Filme wie „The Shining“ von 2001 kennengelernt. Und es gibt weitere Verbindungen! Zum Beispiel am dritten Abend, da haben wir die Musik von Mica Levi von Micachu & The Shapes, die ja gerade ziemlich viel Aufmerksamkeit erregt hat dadurch, dass sie die Filmmusik geschrieben hat zu „Under The Skin“, diesem Vampirfilm mit Scarlett Johansson. Dafür hat sie sogar den BAFTA-Award für Filmmusik gewonnen. Sie hat auch ein Stück geschrieben für hauptsächlich Streicher, und dieses Stück von ihr, dieses „Greezy“, von dem wir auch die deutsche Erstaufführung machen werden, ist sehr nah an dieser Musik dran, sodass sich da wieder eine Querverbindung ergibt. Abgesehen davon, dass Iceage, die am dritten Abend auftreten, große Fans von Mica Levi und ihrer Musik im Gesangskontext sind, gibt es wieder eine Verbindung zu dieser folkigen Richtung vom zweiten Abend. Selbst Dave Longstreth von den Dirty Projectors … da ist ja auch wahnsinnig viel sowohl American Songbook, also amerikanische Folktradition drin, was man auch an diesem Doppelstreichquartett hört, als auch wiederum die Verbindung zu den amerikanischen, ich sag mal: Post-Minimal-Komponisten des ersten Abends wie David Lang und Bryce Dessner. Es ist ja eine stilistische Frage, was verbindet David Lang, Bryce Dessner und David Londstreth, zum Beispiel.
Kann man sagen, es ist das Ziel des Festivals, diese Verbindungen aufzudecken?
Ich glaube, mir geht es vor allem erstmal irgendwie darum … mein allererster Punkt ist, dass musikalisch … also, genauso, wie ein Album von einer Band gut zusammengestellt ist oder eine Sinfonie vier Sätze hat, die ein insgesamt musikalisch befriedigendes oder erhabenes Erlebnis bringen, genauso versuche ich, einen Konzertabend mit verschiedenen Künstlern zu gestalten. Oder eben auch drei Abende. Das heißt, das Wichtigste ist erstmal, musikalisch sowohl durch Kontraste als auch durch Ähnlichkeiten und Übergänge einfach insgesamt ein auf eine gewisse Weise musikalisch vollständig-unvollständiges Bild entstehen zu lassen. Nichts kann vollständig sein, aber ich glaube, dass man nach den drei Tagen echt das Gefühl haben kann, dass man irgendwie auf so einer Reise gewesen ist und in alle möglichen Ecken mitgenommen wurde und am Ende schon ein echt reiches Bild hat. Ja, ich glaube, es ist diese Art musikalische Reise, die an viele verschiedene Orte und Nischen führt, wo sich aber trotzdem ein roter Faden durchzieht. Und das ist mein allererstes Ziel. Alles andere ist mir auch wichtig, aber ich will mich da nicht hinstellen, mit dem Finger zeigen und den Leuten erklären, wie die Musik funktioniert, das wird sich hoffentlich von selber ergeben. Das Wichtigste ist die Qualität der Musik und der Fakt, dass wir es vielleicht tatsächlich schaffen Musik entstehen zu lassen, die nicht entstanden wäre, wenn wir nicht diese verschiedenen Menschen zusammengebracht hätten.
Das heißt, man kann den Abend auch ohne Hintergrundwissen durchaus genießen, der rote Faden geht einem auch so nicht verloren.
Nee, geht er nicht. Ich glaube eher, dass es einem hoffentlich musikalisch Freude bereitet, wenn man zum Beispiel diese Kombination hat aus dem Stück von Dave Longstreth, was wie eine Ouvertüre wirkt vor den Villagers. Dass sich diese folkige Technik, die Dave Longstreth in seinem Dopplestreichquartett benutzt, irgendwie wiederfindet in den typischen keltischen Jigs, die auch in der Musik von Villagers untergründig vorhanden sind. Oder dass sich die Klangwelt von „Greezy“ von Mica Levi, die schon eher dunkel und jetzt filmisch gesprochen aus einem echt zwielichtigen Horrorszenario kommt, in dem Punk Noir von Iceage wiederfindet. Das ist eine Musik, wo die Töne richtiggehend dreckig, also nicht gerade gespielt werden, sondern sich langsam auf- und abbewegen wie auf einem Schiff, und es gibt so ein Glissando, ein langsames Vibrato, eine langsame Fluktuation wie bei einem analogen Synthesizer, wo man so einen „wobbly sound“ einstellen kann, so eine langsame Amplitudenänderung. Und ich glaube, da ist der Zusammenhang. Wir haben ein Instrumentalstück einem Bandset gegenübergestellt, Musiker mit einem ganz anderen Hintergrund, wo ich aber glaube, das funktioniert musikalisch so als ein … ein Gesamtwerk, fast. Und ich glaube, das wird sich für den Zuhörer von selber ergeben, ich werde mich da nicht vorher hinstellen und Erklärungen abgeben und die Leute darauf vorbereiten. Die Leute, die da hinkommen, werden auf Vieles nicht vorbereitet sein und die Musik nicht kennen, die sie da als nächstes hören werden, und gerade das finde ich aber spannend. Das ist auch unsere Erfahrung mit stargaze, wenn wir auf Festivals gespielt haben, die jetzt reine Popfestivals waren, wie zum Beispiel das Haldern Pop oder das Into the Great Wide Open, da haben wir vor vollem Haus gespielt und die Leute kamen und kannten natürlich den Komponistennamen nicht von irgendeinem Stück neuer klassischer Musik, das wir ausgewählt hatten, weil wir dachten, das könnte diesem Publikum gefallen. Und dann kommen die Leute dahin, weil sie es spannend finden, ein Orchester oder ein Instrumentalensemble zu hören, da sind wir ja auch total die Nerds auf so einem Festival! Und die kommen dahin und hören mit offenen Ohren zu und sind dann zumeist begeistert! Die denken sogar eher, die Musik ist von uns, weil für die völlig normal ist, dass die Band natürlich Stücke von sich selber spielt. Nur in den wenigsten Fällen werden wir gefragt, ey, von wem war denn das Stück?
Wieviel-köpfig ist das Ensemble eigentlich?
Naja, es ist ja kein festes Ensemble, sondern ein Musikerkollektiv oder -pool. Es gibt keine feste Besetzung, aber einen Kern von sechs, sieben Musikern, und dann eine erweiterte Familie von vielleicht vierzehn Musikern. Wir können je nach Projekt, was notwendig ist, was wir uns vorstellen oder was gut passt, alles vom Streichquartett bis zum vierzehnköpfigen Orchester besetzen. Jetzt kürzlich haben wir diese Filmmusik von Bryce Dessner zu diesem neuen Iñárritu-Film „The Revenant“ hier in Berlin aufgenommen, das kommt im Januar raus, da waren wir ein vierundzwanzigköpfiges Orchester. Die Familie vergrößert sich auch beständig. Man lernt mit der Zeit immer mehr Musiker kennen, die auch an diesen Projekten, an dieser Musik, an diesen Zwischenbereichen Spaß haben. Also, die sowohl mit Popmusik aufgewachsen sind, die lieben das, die lieben Popmusik und elektronische Musik genauso wie klassische Musik von Mozart bis zu Stockhausen.
Ist es das, was den stargaze-Musiker ausmacht?
Ja, die komplette Offenheit. Und vor allem auch keine Vorurteile, Arroganz oder Voreingenommenheit gegenüber bestimmten Komponisten. Das finde ich, ehrlich gesagt, noch zu häufig in der klassischen Musik, selbst bei jungen klassischen Musikstudenten! Bei vielen jedenfalls. Eine gewisse – auch aus Naivität heraus, aus Ignoranz – Überheblichkeit gegenüber bestimmten Komponisten oder Bands, gegenüber Popmusik an sich. Wir haben auch schon mit Musikern gearbeitet, die wir noch nicht so gut kannten und die dann dazu kamen, die sich zu schade sind, dann bei einem Stück nur einen Ton, einen langen, ausgehaltenen Ton, zu spielen. Das ist irgendwie Pipifax für die. Aber für uns kommt es halt drauf an, dass wenn dieser eine Ton den Unterschied ausmacht, durch das ganze Stück durch und auch mit einem gewissen Spirit gespielt wird, das ist eben dann die Kunst! Das zu verstehen, warum diese Simplizität genau dann angebracht ist und genauso hohe Kunst ist. Reduktion in der Kunst ist ja kein Konzept, was wir erfunden haben. Das gab es ja in allen Kunstarten ja schon immer. Das ist kein Qualitätsmerkmal. Aber meistens ist das dann der Kritikpunkt, den man von solchen Musikern hört: Ja, ihr spielt nur lange Noten, oder irgendwie sowas. Stimmt ja auch nicht!
Ganz am Anfang unseres Gesprächs hast du schon mal die Volksbühne und ihr offenes Publikum erwähnt. Ich fand den Ort eher ungewöhnlich für ein Festival. Wie kam es zur Wahl der Volksbühne als Festivalspielort?
Die Wahl ist ganz bewusst erfolgt. Ich finde, dass die Volksbühne ein toller Ort ist: Erstmal ein spannendes Theater an sich, ein spannender Ort in Berlin, geografisch, und wie gesagt hat sie seit längerem schon diese Reihe, das war früher die „Musikbühne“, jetzt heißt sie „Hören“, die von Christian Morin kuratiert wird, wo zweimal im Monat einfach tolle, ausgewählte Musiker, Künstler und Bands spielen. Insofern hat die Volksbühne dafür schon ein gewisses Stammpublikum. Wiederum unterstützt uns der Christian jetzt sehr bei der Planung des Festivals, das ist schon gemeinsam entstanden. Es ist super, dass es diesen Ort gibt, auch mit dem Roten und Grünen Salon, der ja von anderen Leuten programmiert wird und wo oft Experimentelleres stattfindet oder einfach das, was jetzt nicht die sieben- oder achthundert Plätze der Hauptbühne füllen würde. Aber ich denke, wir sprechen auch die Leute an, die sonst eher dorthin gehen.
Ihr seid Berliner – seid weggegangen aus und zurückgekommen nach Berlin – inwieweit ist die Stadt wichtig für stargaze?
Das trifft auf mich zu, aber nicht unbedingt auf alle Musiker, wobei sich die Gründer von stargaze, wenn ich jetzt mal von drei Leuten ausgehe, im Prinzip alle mal in Berlin kennengelernt haben. Unser erstes größeres Projekt war aber dann gleich in Köln bei dem Acht-Brücken-Festival in der Kölner Philharmonie, wo wir mit Matthew Herbert zusammen was gemacht haben. Bei dieser Gelegenheit haben wir ganz tolle, vielseitige Musiker aus Holland kennengelernt, über einer Londoner Connection. Ich bin ja professionell in London aufgewachsen durch mein Dirigierstudium an der Royal Academy, weshalb das beruflich immer noch einer meiner wichtigsten Orte ist. Dort wiederum habe ich Leute kennengelernt, die auch dort studiert haben, aber zufällig Holländer waren, und dann haben wir noch weitere Leute aus Amsterdam kennengelernt, sodass sich jetzt für stargaze so ein bisschen eine Achse Berlin-Amsterdam ergeben hat. Ich würde mal sagen, grob geschätzt kommt die Hälfte der Musiker aus Berlin, die andere aus BeNeLux, mit ein paar weiteren aus London. Berlin hat auf jeden Fall als Entstehungsort dieser Idee eine Bedeutung für uns. Dass ich hier aufgewachsen, zum Studieren und Arbeiten weggegangen und immer wieder zurückgekommen bin und gesehen habe, Mensch, hier gibt es so ein tolles Publikum, was diese Idee auch verstehen würde, aber von den offiziellen Konzerthäusern wird diese Richtung nicht angeboten. Es gibt tolle Festivals hier, gerade im Bereich der elektronischen Musik – sowas wie CTM ist ja auch unique! –, da gibt es auch schon einen gewissen Austausch zwischen uns und den Leuten, die dieses Festival machen, denn die haben ja einen interessanten, genreübergreifenden Ansatz, gerade was das Mediale angeht, und wir wiederum haben den Ansatz, dass wir in die zeitgenössische klassische Musik und diese Übergänge reingehen. Ich finde, das ergänzt sich sehr gut, aber es ist eben auch ein Teil, der bisher fehlte. Insofern ist es schon eine originär Berliner Idee. Und unser erster Gig, wo wir uns zum allerersten Mal stargaze genannt haben, war mit der englischen Band These New Puritans, deren zweites Album „Hidden“ wir damals im HAU live aufgeführt haben, das war der Startschuss, das ist jetzt schon dreieinhalb oder vier Jahre her. Dann haben wir ein Einzelkonzert in der Volksbühne gemacht, ja, und dann ging es weiter.
Im Prinzip die Geschichte eines Fehlens, entstanden aus einem empfundenen Mangel …
Ja, aber auch, wo die eigene Geschichte musikalisch, meine musikalische Sozialisation, dass ich das Bedürfnis hatte, die nach Hause bringen zu können.