Eine disziplinierende Angelegenheit. Wladimir Kaminer im Klangverführer-Interview
Als Autor des Romans Russendisko schrieb sich Wladimir Kaminer im Jahr 2000 in die Herzen des hiesigen Publikums und gilt mithin als der Deutschen „Lieblingsrusse“. Seitdem hat er nicht nur 19 (!) weitere Romane verfasst, sondern ist vor allem auch als DJ der gemeinsam mit Yuriy Gurzhy im Kaffee Burger veranstalteten Discothekenreihe Russendisko, bei der er moderne, (nicht nur) russische Popmusik mit folkloristischen Elementen auflegt, zur Kultfigur geworden.
Aus der Russendisko ist eine Compilation-Reihe hervorgegangen, die jüngst mit Die Lieblingslieder der deutschen Taxifahrer Zuwachs bekam. Klangverführer sprach mit Compilator Wladimir Kaminer über das Politische in der Kunst, den Stinkefinger der Gesellschaft und die Idee, endlich mal eine Rap-Band für ältere Menschen zu gründen.
Klangverführer: Das aktuelle Russendisco-Album trägt den Titel Die Lieblingslieder der deutschen Taxifahrer. Was haben die deutschen Taxifahrer mit dieser doch sehr Balkan-lastigen Musik zu tun?
Wladimir Kaminer: Wir haben immer nach einer Musik gesucht, die als verbindendes Element dienen kann, die im Stande ist, verschiedene Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenzubringen. Und der deutsche Taxifahrer – das ist eine Metapher, ein Bild. Ich weiß, dass überall in Deutschland sehr unterschiedliche Menschen Taxi fahren, also sehr viele Menschen aus anderen Ländern, die sich inzwischen aber besser hier in Deutschland auskennen als die Einheimischen und die, die hier aufgewachsen sind, weil sie ja Taxifahrer sind.
Die Idee dieser Platte war es, zu demonstrieren, wie Menschen aus der ganzen Welt auf Deutsch singen, denn sie machen das aus sehr unterschiedlichen Gründen. Zum Beispiel dieser Finne, Numminen, der singt auf Deutsch, weil er aus dieser Achtundsechziger Generation kommt – und in Finnland war Deutsch lange Zeit die Sprache der Linken, eben weil Karl Marx sein Kapital auf Deutsch geschrieben hat! Das war quasi die Sprache der europäischen Sozialdemokratie. Die Russen singen auf Deutsch … zumindest dieser Sänger von der Band Megapolis, das ist einer, den ich persönlich gut kenne … Ich glaube, dass er Deutsch einfach in der Schule hatte. Bei uns in der Sowjetunion wollte eigentlich niemand Deutsch lernen. In der Schule standen zwei Sprachen zur Auswahl: Englisch und Deutsch – und alle wollten Englisch. Aber irgendjemand musste auch Deutsch lernen, klar, es war ja Planwirtschaft! Deswegen hat man die Rebellen, „Hooligans“ und die schlechten Schüler zum Deutschunterricht verdonnert!
Sie sagen, dass Deutsch für die Musiker auf dem Album eine jeweils unterschiedliche Bedeutung hat – für manche ist es die Sprache der neuen Heimat, manche mussten es in der Schule lernen, für manche ist es die Sprach der sozialen Gerechtigkeit …Was verbinden Sie persönlich mit der deutschen Sprache?
Ich bin vor dreiundzwanzig Jahren aus der Sowjetunion nach Deutschland gekommen und habe mir aus diesem Sprachproblem ehrlich gesagt nie etwas gemacht. Das war ein Kommunikationsmittel, das war eine Notwendigkeit! Ich wollte mich verständlich machen für die anderen – das war auch für mich als Schriftsteller nie eine Frage, ob ich jetzt in meiner Muttersprache oder auf Deutsch schreiben sollte. Ich war von Anfang an an breiten Leserschichten interessiert und deswegen hab‘ ich auf Deutsch geschrieben. Außerdem ist es eigentlich auch eine sehr disziplinierende Angelegenheit, wenn man sich in einer Fremdsprache äußert.
Inwiefern?
Naja, also, man denkt mehr nach bevor man etwas sagt. Man prüft irgendwie jedes Wort und jeden Satz – also, zumindest beim Schreiben tu‘ ich das –, ob alles richtig ist, ob alles stimmt. Wenn ich zum Beispiel auf Russisch geschrieben hätte, wären meine Bücher bestimmt viel dicker!
Ich verstehe! Sie sprachen vorhin von der Metapher des deutschen Taxifahrers. Dass sich der, der von weither kommt, besser auskennt, heißt im übertragenden Sinn ja auch, dass er ein besserer Beobachter von landestypischen Marotten ist …
Und vor allem entsteht aus dieser Verschmelzung der Kulturen etwas Neues, Interessantes. Ich glaube, dass man in dieser Art von Musik die Zukunft Deutschlands erkennen kann. Das klingt jetzt vielleicht sehr pathetisch und abgehoben, aber ich sehe das bei diesen Tanzveranstaltungen in der Tat, wie die Musik Menschen hilft, zusammenzukommen. Und eigentlich ist ja jedes Land, jede Staatlichkeit auf Dauer nur dann überlebensfähig, wenn sie offen ist und wenn sie auch die Kraft hat, dieses Neue aufzunehmen. Und das geht niemals ohne Reibungen, ohne zwischenmenschliche Konflikte, und da kann die Musik eigentlich sehr gut helfen. Das sieht man zum Beispiel auch an diesem EU-Projekt, an dieser Europäischen Union, die ja unglaublich viel Kritik erntet und beinahe gescheitert ist – auf allen möglichen Ebenen, ob jetzt finanziell, politisch, wirtschaftlich … Aber kulturell hat diese Union inzwischen jetzt schon enorm viel gebracht. Die Menschen in Europa sind viel näher zueinander gerückt, haben einander besser kennengelernt, die sind keine Nachbarn mehr, sondern das ist schon eine WG, die haben inzwischen schon viel mehr voneinander erfahren!
Das ist ja jetzt schon als politische Aussage zu werten – verstehen sich die Lieblingslieder der deutschen Taxifahrer politisch, ist das eine politische Platte?
Wissen Sie, ich glaube, wir leben in einer Zeit, wo jede Aussage eine politische Aussage ist. Jedes muss sich mit Politik beschäftigen, sonst beschäftigt sich die Politik mit ihm – und die erste Variante finde ich besser. Ich habe gerade die Nachrichten gelesen über die Unruhen in der Ukraine, wo seit drei Tagen schon Hunderttausende in Kiew auf dem Platz stehen – sie fühlen sich verarscht von ihrer Regierung. Sie haben darauf gehofft, näher zu Europa zu kommen, und ihre Regierung hat ihnen jetzt den Weg in die Europäische Union versperrt. Das ist sehr interessant. Also, diese Bündnisse, diese neuen, stehen. Die Russen machen vierundzwanzig Stunden am Tag Propaganda gegen die Europäische Union, sie sagen, die Europäische Union ist am Ende. Das kann man jeden Abend in den russischen Nachrichten hören: Die Schwachen hätten die Starken kaputtgemacht, Spanier, Griechen und so weiter … Gleichzeitig aber wollen sie ihre euro-asiatischen Bündnisse stärken. Hier hört man dann das Gegenteil: Es sei alles in Ordnung mit der EU, sie wolle sich vergrößern und neue Länder aufnehmen … Sehr interessant! Und ich glaube, dass diese Art Politik wirklich jeden angeht. Das war in meiner Heimat, der Sowjetunion, anders. Damals hatte es wirklich keinen Sinn, sich mit Politik zu beschäftigen – man hatte ja überhaupt keine Einflussmöglichkeiten auf die politische Situation. Aber heute ist das sehr spannend.
Bleiben wir noch ein bisschen beim Stichwort Politik. Als ich mich auf dieses Gespräch vorbereitet habe, bin ich auf ein Interview mit Ihnen gestoßen, wo Sie sagen: Ohne Politik, ohne Verantwortung für das Leben da draußen zu übernehmen, kann Musik nicht richtig passioniert sein. Können Sie das genauer erklären?
Es gibt tatsächlich zwischen der politischen und der musikalischen Entwicklung eine Verbindung. Wir haben zum Beispiel bei der Arbeit zu unserer vorletzten Platte Ukraine Do Amerika, die nach der Orangenen Revolution entstanden ist, festgestellt, dass der Aufbruch politisch genau genommen nicht viel Neues brachte – außer einer neuen Regierung, die der alten ziemlich ähnelte –, aber kulturell, musikalisch brachte dieser damalige Widerstand unglaublich viele neue Kollektive, neue Bands hervor, die phantastische Musik machten! Klar, das war in Russland auch so: nach den Protesten vor einem Jahr sind mehrere Platten entstanden, zum Teil von Bands, die ich früher überhaupt nicht kannte. Und viele Kunstarten – zum Beispiel diese Rapmusik, die, glaube ich, erst später kommerzialisiert wurde, aber am Anfang als eine Art Stinkefinger der Gesellschaft gedacht war. Plötzlich wurde dann in Russland diese Rapmusik neu erfunden, und sie singen dermaßen enthusiastisch und tagesaktuell, dass man dann zwangsläufig anfängt, diese Verbindung zwischen Politik und Kunst überall zu suchen.
Apropos Rapmusik: Sie haben auf den Liebesliedern ja zum ersten Mal auch das Mikro in die Hand genommen und zusammen mit Gurzhy auf dem Russkaja-Track „Radost“ gerappt …
Ah, ich bin nicht zufrieden mit diesem Ergebnis. Man versteht kaum, was ich eigentlich singe. Das ist alles viel zu schnell! Ich wollte schon früher eine Rap-Band für ältere Menschen organisieren, wo man langsam rappen kann und wo der Akzent mehr auf Inhalte gelegt wird. Aber vielleicht kommt’s irgendwann noch dazu!
Die Lieblingslieder sind aber nicht einfach nur eine weitere Russendisko-Compilation, sie sind auch Teil Ihres aktuellen Buches Diesseits von Eden und gehen mit Ihnen in einem moderner Cross-Promotion-Ansatz auf Lesereise …
Ja, wir haben einfach festgestellt, dass man mit dieser Musik die Menschen überall auf der Welt zum Tanzen bringen kann – auch in meinem Garten in Nordbrandenburg! Aber auch überall sonst. Wir waren jetzt im Herbst mit der Disco in vielen Ländern, in Frankreich, in Finnland … in Helsinki habe ich in einem Club namens „Dubrovnik“ aufgelegt …Dann waren in Brasilien, in Rio …Und auch dafür war die Platte gut, die hat überall funktionier!
Im Dezember gibt es dazu noch einen ganz besonderen Auftritt in Berlin – können Sie uns hierzu schon ein bisschen mehr verraten?
Am 12. Dezember treffe ich im Heimathafen mit der Band RotFront – das ist die Kombo von Yuriy Gurzhy – zusammen. Das machen wir zum ersten Mal, dass ich meine Texte zu Live-Musik vorlese, und ich bin sehr aufgeregt wegen dieses Auftritts. Ich glaube, es wird ein unvergesslicher Abend!