Wieder mal die Liebe. FrauContraBass im Klangverführer-Interview
Nach fünfjähriger Zusammenarbeit muss es endlich mal erwähnt werden: Wenn Musikpromoter Uwe Kerkau anruft und meint, es gäbe da etwas, das unbedingt hörenswert sei, dann hat er – meistens – recht. Im Sommer 2009 war es mal wieder so weit: Es gäbe da „ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Ensemble“, ganz reduziert, nur Bass und Gesang, das 2mit Wurzeln im Jazz das Prinzip der jamaikanischen version auf ganz eigene Art interpretierte und sich auf diese Weise quer durch das weite Universum von Soul, Jazz und Pop covere, wobei die Bearbeitung zur eigentsändigen Kusntform erhoben“ würde. Kontrabass- und vokalfixiert, wie ich bin, reichte das, mich neugierig zu machen. Ich forderte das beworbene Werk an und bekam Saal 3, ein Album, dass mich einerseits veranlasste, ganz privat den selbstbetitelten FrauContraBass-Erstling nachzukaufen, und mich andererseits mit einem der Lieder versorgte, die ich auswählen würde, wenn ich mein restliches Leben lang nur noch drei Lieder hören dürfte: Corner of the Earth. Die anderen beiden sind übrigens Feeling Good von Nina Simone und Hallelujah von Leonard Cohen.
Gut vier Jahre nach Saal 3 dann überraschen die Frau und der Kontrabass, also Sängerin Katharina Debus und Bassist Hanns Höhn, mit dem Vorhaben, ihr Drittwerk ganz dem Repertoire des Great American Songbook zu widmen. Dass das auch heutzutage noch gutgehen kann, haben wir ja gerade erst bei Kat Edmonson erlebt. Trotzdem … Sollte FrauContraBass etwa eine bloße Retro-Platte produziert haben? Hat sie nicht, denn auch die Bearbeitung der Songklassiker lässt die lieb gewonnene, Debus-Höhn’sche Herangehensweise nicht missen. Man nehme einen Song, verstehe einen Song, entkleide einen Song bis auf die Haut – und lege so sein Wesen offen. Das hat viel mit Respekt, oder, wie Hanns Höhn es im Interview ausdrückt, Ernstnehmen zu tun, eine Fähigkeit, die im Ironie-Zeitalter zunehmend in Vergessenheit gerät. Dafür nimmt man schon mal in Kauf, dass bei einem Live-Auftritt schon mal – wie jüngst im Berliner Naherholung Sternchen, wo auch die Konzertfotos entstanden sind, geschehen – die Heizung ausfällt. Ich verkneife mir an dieser Stelle alle Wortspiele zum Thema einheizen & Co. und lasse Sie stattdessen lieber Zeuge eines Gesprächs werden, in dessen Verlauf Sie erfahren können, was es mit der „Moll-Falle“ auf sich hat, warum „so ein Jazz-Studium ja eigentlich nicht wichtig“ ist und weshalb die Liebe auch hier – wieder mal – den Ton angibt.
Klangverführer: Auf euren letzten beiden Platten habt ihr euch vor allem der Neuinterpretation von Popsongs, von Stevie Wonder und Michael Jackson über Jamiroquai und Udo Lindenberg bis hin zu Britney Spears und Alicia Keys, verschrieben. Comes Love dagegen schöpft ausschließlich aus dem Repertoire des Great American Songbook …
Hanns: Wir hatten das eigentlich auch vorher schon immer im Kopf, und dann haben wir gemerkt, dass es Songs gibt, die noch viel älter sind … Und bei der dritten CD mit Pop-Stücken von 2011 weiterzumachen, fand ich einfach nicht interessant! Also dachte ich mir, lass uns doch ein bisschen zurückgucken. Wir hatten in der Zwischenzeit auch schon ganz andere Plattenideen, die wir vielleicht in den nächsten zehn Jahren noch umsetzen werden …
Eine Stevie-Wonder-Tribute-Platte?
Hanns (lacht): Ah, zum Beispiel! Vielleicht …
Katharina (stimmt ins Gelächter mit ein): Die wird noch kommen, aber darüber sprechen wir jetzt auf gar keinen Fall, das ist ganz geheim! (lacht wieder)
Hanns: Jedenfalls, was mich bei vielen Jazz-Standards schon immer genervt hat, zum Beispiel wenn sie von den Leuten im Studium gespielt wurden, dass da der Song gar nicht als Song gesehen wird, sondern einfach nur als Hülle, worüber man improvisieren kann. Auch deswegen hat sich dieses Album für uns ganz gut angeboten.
Katharina: Es ist ja auch eigentlich etwas, dass bei der Besetzung, die wir haben, erstmal sehr nahe liegt. Kontrabass und Gesang ist ja eine klassische Jazz-Besetzung, man denke zum Beispiel nur an …
Beide, wie aus einem Mund: Sheila Jordan!
Katharina: Und das Gute liegt manchmal eben so nah – und trotzdem geht man dann erstmal andere Wege. Das haben wir jetzt jahrelang gemacht und das war auch super, aber es ist jetzt auch mal total angenehm, sich das, was sozusagen am nächsten liegt, anzugucken und zu merken, es ist trotzdem noch ganz eigen. Es klingt jetzt nicht plötzlich nach viel mehr Jazz, die Platte ist trotzdem noch unser eigener Sound! Und eben, was Hanns gerade gesagt hat, der Song an sich ist wichtig.
Kann man das Album in dem Sinne auch als eine Art Rückkehr zu den Wurzeln beschreiben? Wie viele eurer persönlichen musikalischen Wurzeln liegen im Great American Songbook?
Katharina: Tatsächlich ist es so, dass Hanns natürlich Jazz-Bass studiert hat, während ich gar nicht Jazz-Gesang oder so studiert habe. Bei mir ist es eher so, dass ich mit dieser Musik aufgewachsen bin. Ich habe sie immer im Ohr gehabt und sie hat mir total viel bedeutet, ohne dass ich wusste, was das eigentlich ist. Insofern könnte ich auch sagen, es sind Wurzeln von mir, ganz andere.
Hanns: Eigentlich sogar viel tiefere Wurzeln! Ich meine, so ein Jazz-Studium ist ja eigentlich nicht wichtig. Also … für mich natürlich schon, ich habe sehr viel gelernt – aber ich habe eben auch gelernt, dass da die Stücke meistens nicht ernst genommen werden, sondern einfach nur gespielt, gedudelt, und fertig. Ich habe mit zehn schon mal in einer Jazzband gespielt und deswegen sind es Songs, die ich auch schon seit meiner Kindheit kenne, aber eben ganz anders als bei Katharina.
Katharina, du hast gerade gesagt, du bist mit den Stücken aufgewachsen – du bist ja auch ein endsiebziger Jahrgang, da lief so etwas ja nicht unbedingt im Radio, und auch die Plattensammlung der Eltern sah zu dieser Zeit meistens anders aus …
Katharina: Nee, im Radio lief das gar nicht, das stimmt. Zum Bügeln lief bei uns „Es fährt ein Zug nach nirgendwo“, ich weiß nicht mal, von wem das ist! Aber es gab bei uns eben auch so ein paar Platten – ich weiß gar nicht, wer uns die mitgebracht hat –, die liefen sozusagen im „Oldie-Modus“, wobei es dann letztendlich Frank Sinatra war, oder Aretha Franklin und Ella Fitzgerald. Und obwohl ich „Es fährt ein Zug nach nirgendwo“ immer noch mitsingen kann – klar, so etwas brennt sich eben ein! –, habe ich bei den anderen Songs Gott sei Dank aufgehorcht und schon als Kind gesagt, geil, was ist das denn?! Es hat mich wirklich berührt.
Was genau fasziniert euch denn so an diesen Stücken, dass ihr ihnen gleich ein ganzes Album widmet?
Hanns: Es sind in erster Linie Songs, die etwas erzählen. Und das muss man einfach ernst nehmen. Wenn ich früher mit Katharina einen Song spielte, habe ich gelernt, auch schon mal zu gucken, worum es da eigentlich geht. Und bei diesen Songs ist das auch so. Zum Beispiel Love for Sale, das wird oft so Happy-Sound-mäßig gespielt, so (singt): Loooove for sale, düp-dü-düp-dü-dü, und wie schön das alles ist … Dabei ist das eigentlich ein ganz bitteres Thema! Und das finde ich total reizvoll, das mal wirklich musikalisch umzusetzen.
Es geht euch also gar nicht so sehr um die vielbeschworene Zeitlosigkeit der Songklassiker, die bei den meisten Künstlern als Argument für die eigene Interpretation herhält …
Hanns: Da haben wir eigentlich gar nicht so drüber nachgedacht, das hat keine große Rolle gespielt.
Katharina: Nee, irgendwie nicht.
Neulich habe ich ein Interview mit dem norwegischen Musiker Thomas Dybdahl gemacht, der meinte, er gäbe ihm überhaupt keinen Kick, Jazzstandards neu zu interpretieren, das sei alles „durch“. Was glaubt ihr, warum braucht man von einem fünftausendmal gecoverten Stück noch eine fünftausendunderste Version? Oder, anders gefragt: Was gibt euch den Kick bei der Sache?
Hanns: Also, ich finde es total interessant, den Song noch einmal anders zu beleuchten, als er schon fünftausendmal beleuchtet wurde. Und auch, ihn in unserem minimalistischen Sound und, jetzt ganz persönlich gesehen, gerade auch mit Katharina zu spielen. Es geht auch gar nicht darum, die Sache jetzt neu zu erfinden, aber dadurch, dass wir es so machen wie wir es machen, ist es einfach anders, und deswegen ist es für mich sehr interessant gewesen, diese Platte aufzunehmen – und das Repertoire jetzt auch live zu spielen. Darum geht es. Wir wollen einen Song jetzt ja nicht entstellen, sondern einfach auf unsere Art spielen. Und die Reaktionen darauf sind bis jetzt auch alle positiv, bis jetzt sagen die Leute alle: toll, super!
Katharina: Geht mir genauso. Mir persönlich geht es eigentlich gar nicht so sehr darum, ob das jetzt Jazz ist, oder was es überhaupt ist, ob das nun Standards sind – klar, da gibt es sowas wie Fever, und das macht man dann eben nicht mit Gesang, gerade deswegen nicht, weil es jeder so erwartet –, sondern es geht um Songs, die wir lieben und die uns etwas geben, was wir weitergeben können. Auch bei unseren älteren Covern, dem Britney-Spears-Stück oder der Udo-Lindenberg-Nummer, die wir immer noch live spielen, sagen uns die Leute manchmal, krass, ich habe nie auf den Text gehört, aber jetzt verstehe ich, worum es geht. Und das finde ich toll, dass auch jetzt im Nachhinein, wo wir live gespielt haben, Freunde von mir, aber auch wildfremde Personen, zu mir kommen und sagen: Ich steh‘ eigentlich nicht so auf Jazz, aber jetzt find‘ ich’s grad geil! Das ist natürlich super.
Dann seid ihr quasi so eine Art Übersetzer oder Mittler zwischen den Geschmäckern bzw. Genres … Apropos Genres: Hat euch euer neues, jazziges Repertoire zum Labelwechsel bewogen? Die ersten beiden FrauContraBass-Platten sind ja bei Klangraum erschienen, Comes Love jetzt auf Contemplate, wo auch Lisa Bassenge veröffentlicht …
Katharina: Nee, das hat sich einfach so ergeben, dass wir gesagt haben, so, jetzt ist es mal Zeit für neuen, frischen Wind!
Hanns: Und wir hatten Kontakt zu Ulla und Sebastian (Binder und Studnitzky, Labeleigentümer), das hat mit der Stilistik gar nichts zu tun. Einfach mal eine neue Tür aufmachen und gucken, was sich dahinter für neue Möglichkeiten verbergen.
Stichwort neu: Neu ist bei eurem dritten Album ja nicht nur das Jazz-Repertoire und die Plattenfirma, ihr habt auch zum ersten mal die gesamte Postproduktion per Crowdfounding finanziert – und zwar erfolgreich. Die veranschlagten 8.000 Euro sind dank der Hilfe von 62 Supportern zusammengekommen. Wie seid ihr auf die Idee des Crowdfounding verfallen und welche Möglichkeiten eröffnet es den heutigen Künstlern?
Hanns: Ich habe das auch erst vor ungefähr einem Jahr kennengelernt. Es ist einfach eine tolle Möglichkeit, verschiedene Dinge unter einen Hut zu kriegen. Erst einmal natürlich, die Platte zu finanzieren – schließlich ist es ja nicht so, dass irgendwelche wichtigen Plattenbosse einfach so sagen, komm, mach mal, wir bezahlen dir alles! Auf der anderen Seite gab es ein tolles Gemeinschaftsgefühl: Man merkt, es passiert was, und die Leute freuen sich auch, mitmachen zu können. Obwohl sie ja auch bezahlen, haben sie dieses positive Gefühl. Und jeder hat was davon! Also, wir haben eine tolle Platte, und die Leute – auch. Deswegen war es eine tolle Energie, die da für uns entstand, das hat uns viel Kraft gegeben. Ich würde jedem Künstler empfehlen, das einmal zu versuchen.
Katharina: Die Zeiten haben sich einfach geändert. Man hat nicht mehr den Plattendeal bei einem Riesenlabel, das vorstreckt – und vielleicht will man das auch gar nicht mehr. Vielleicht will man gar nicht zu einem Riesenlabel hecheln und sagen, wie machen alles, was ihr wollt. Man will sich nicht verbiegen! Und durch Crowdfounding hat man die Möglichkeit zu versuchen, dass die Leute, die unsere Musik lieben, uns unterstützen. Klar ist das erstmal ein Schritt, weil man damit ja quasi sagt: Wir sind bedürftig. Davor hatte ich ein bisschen Angst. Aber als das startete, war das für uns dann sofort ein anderes Gefühl. Es war überhaupt nicht mehr, wir müssen, oder wir brauchen, sondern es war so … so … geil, ihr seid alle dabei, und das ist cool! Das war total schön.
Hanns: Und es wäre auch kein Problem gewesen, bedürftig zu klingen, denn es wird jetzt für Jazzmusiker allgemein auch nicht einfacher: Keiner kriegt Subventionen, keiner wird irgendwie staatlich unterstützt. Deswegen, selbst, wenn wir jetzt sagen würden, wir können nicht anders, wäre das auch legitim, finde ich.
Abgesehen von den monetären Zwängen gibt einem dieser Weg doch auch mehr künstlerische Freiheit, oder?
Hanns: Ja, klar, es gibt ja Labels, die einem alles vorschreiben wollen. Das geht mit dem Cover los. Da machst du einfach deine Musik, und mit einem Mal hast du da so ein komisches Bild vorne drauf, das du gar nicht haben möchtest, während unser Cover in unserem Freundeskreis entstanden ist. Und auch bei allen anderen Dingen wird einem unter Umständen mehr reingequatscht, von wegen neu mischen oder nehmt das in dem und dem Studio auf. Wir konnten alle diese Dinge selbst entscheiden.
Heißt das, dass ihr, auch wenn es nicht immer einfach ist, über die von Katharina angesprochenen geänderten Zeiten im Grunde ganz glücklich seid?
Hanns: Ja, ich meine, es macht natürlich kreativ und man bleibt flexibel. Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn jetzt Warner Brothers anrufen und sagen würde, wir haben hier dreihunderttausend Dollar, nehmt die und macht ein Album damit!
Katharina (lacht): Das kannst du auch schreiben, falls das jemand von Warner liest …
Hanns: Um auf deine Frage zurückzukommen, es war eine tolle Erfahrung. Wir wussten ja nicht, ob das überhaupt funktioniert, und es ist natürlich ein tolles Gefühl, dass wir so viele Leute dafür begeistern konnten.
Wir haben jetzt so viel über Neues, vom Repertoire über das Label bis zur Finanzierung, geredet – lasst uns doch mal schauen, was gleich geblieben ist. Für mich ist das in erster Linie eure Herangehensweise an die Jazz-Klassiker, die der bei den Pop-Stücken der letzten Platten ähnelt. Die Songs werden bis auf die Grundfesten entkernt, um nur das Wesentliche übrig zu lassen. „Den Ursprung erfassen“, nennt ihr das auf Startnext, während Jazz thing von „sensible[n] Neuorientierungen“ spricht. Wie geht dieser Prozess der FrauContraBassisierung eigentlich vor sich, wie entsteht ein typisches FrauContraBass-Arrangement eines Songs?
Hanns: Das ist verschieden. Es gibt Stücke, die … Nein, von vorn. Erst einmal geht es um die Idee der Auswahl, also darum, dass wir einen bestimmten Song überhaupt nehmen, da gibt es ja tausende Möglichkeiten. Nach diesem ersten Schritt, der ein sehr wichtiger ist, probieren wir damit rum. Das heißt, wir spielen den Song erstmal zum Beispiel als Bossa und merken, das ist totale Scheiße, wie wir es vorher auch schon wussten (allgemeines Gelächter). Und dann geht es weiter mit einer Soundidee. Bei Windmills zum Beispiel hatte ich im Kopf, es müsste einfach klingen wie so ein Windrad …
Katharina: Wie etwas Monotones!
Ja, das leiert ja auch so …
Beide: Genau!
Hanns: Und auf der Platte ist ja da noch dieses Rascheln dabei, das wie irgendetwas Kaputtes klingt …
Katharina: Da hatten wir am Bass und an Hanns selbst Plastiktüten befestigt – das können wir aber auf der Bühne schlecht machen, weil: Sieht einfach nicht aus! (lacht)
Hanns: Und diese Soundidee entwickelt man dann weiter. Oder …
Katharina: … man beschäftigt sich, wenn man jetzt rein musikalisch nicht weiter kommt, nochmal mit dem Text und fragt sich, worum geht es denn hier eigentlich? Früher haben wir gern ein blöde Bossa-Version auf Deutsch gemacht, wobei ich quasi spontanübersetzt habe, und dann haben wir uns darüber unterhalten, worum es hier geht und was das für uns heißt – und dann sprudelt es meistens schon aus Hanns heraus!
Hanns: Genau, ich brauche immer die Idee vom Text und dann das Gefühl, was da eigentlich dahinter steckt. Love for Sale oder Windmills sind solche Beispiele, wo ich eigentlich in Bildern denke oder in Gefühlszuständen.
Das Ernstnehmen des Songs, das du vorhin angesprochen hast.
Hanns: Ja, einfach ernst nehmen!
Du hast eben auch gesagt, dass der erste Schritt im Prozess die Auswahl des Songs ist. Heißt das umgekehrt auch, dass ihr keinerlei Ambitionen habt, Eigenkompositionen zu veröffentlichen?
Katharina: Doch, das haben wir auch schon mal angefangen. Einen Song haben wir mal auf ein Gedicht geschrieben, einen anderen Song hat uns ein Freund geschrieben …
Hanns: Ja, eigene Songs haben wir schon gemacht. Aber das ist noch einmal … das ist einfach wesentlich schwieriger, da einen Weg zu finden, der so komplett ist wie das, was wir jetzt machen. Das ist ein Prozess, in dem wir wahrscheinlich immer noch drin sind und drin bleiben werden. Jetzt war es aber erst einmal an der Zeit, etwas zu machen, was greifbar ist – auch für uns. Das hatte eine tolle Energie, weil wir das Programm sehr schnell, innerhalb von einem halben Jahr, fertig gehabt hatten. Was sehr schnell ist. Und deswegen war es auch ganz gut.
Katharina: Ich glaube auch nicht, dass die Idee komplett verworfen wurde, die gibt es schon noch. Aber vor unserer aktuellen Platte haben wir so eine kleine Pause eingelegt …
Hanns: Naja, das stimmt eigentlich gar nicht! Vielleicht eine Pause vom Spielen her, aber gearbeitet haben wir wie die Tiere! An zwei Programmen.
Katharina: Ja, das stimmt – du hast recht!
Hanns: Wir haben zwei Programme ausprobiert …
Katharina: … und es war irgendwie klar, wir wollen eine neue Platte machen und wir wollen wieder spielen, spielen, spielen! Wir haben beide gespürt, dass es jetzt nicht angesagt ist, sich alle Zeit der Welt zu nehmen und zu sagen, okay, wir gehen das jetzt ganz locker an und gucken mal, was aus uns rauskommt. Das hätte wahrscheinlich viel länger gedauert!
Hanns: Und noch länger, weil wir ja schon zwei Programme in der Leitung hatten – da muss man dann auch vorankommen. Deshalb die Idee, das machen wir jetzt so – und das war auch gut so. Aber die Sache mit den Eigenkompositionen – die existiert nicht nur im Hinterkopf, die existiert auf irgendwelchen Computern, in irgendwelchen Demoversionen … Ein andermal, vielleicht.
Ich bin sehr gespannt darauf! Von eurem aktuellen Album mag ich den Titelsong Comes Love am liebsten und freu mich, dass ihr ihn vorhin gespielt habt! Natürlich frage ich mich, welche Bedeutung der Song für euch hat, dass ihr gleich das ganze Album unter dieses Motto gestellt habt?
Katharina: Es geht einfach um die Liebe (seufzt). Wieder mal. Immer wieder kommen wir darauf zurück. Wenn man sich fragt, worum geht’s denn eigentlich im Leben? Ah ja, die Liebe, bumm. Und deswegen war es einfach dieser Song, nach dem wir das Album benannt haben.
Du sagtest das gerade mit so einem Seufzer, und auch vorhin auf der Bühne meintest du, es gäbe ja nun nicht wirklich viele fröhliche Songs über die Liebe. Auch Comes Love lässt sich nicht gerade als fröhlich bezeichnen; und mit eurer Interpretation von Nature Boy, einem Stück, das 1948 vom Spiegel als „Lied mit tödlicher Wirkung“ bezeichnet wurde, klingt das Album dann auch sehr melancholisch aus und macht es passend zum VÖ-Termin zu einer typischen November-Platte. Leidet FrauContraBass zum zehnjährigen Bandjubiläum an akuten Depressionen? Warum ist diese Platte so traurig?
(allgemeines Gelächter)
Hanns: Ich sehe es gar nicht nur als traurig an, sondern eher als nachdenklich. Für mich hat das dann immer eine andere Tiefe, weil die Leute, glaube ich, dann nochmal mehr zuhören. Es öffnet ein bisschen mehr, dieses Melancholische.
Die Leute per Mollakkord zum Zuhören zwingen?
Hanns: Ein bisschen auch, aber das war auch eher Zufall. Es war nicht so, dass wir uns vorgenommen haben, wir machen jetzt Moll, damit die Leute da sitzen und zuhören …
Katharina (lacht): Die Moll-Falle!
Hanns: Es kann ja auch sehr schön sein. Ich sehe es gar nicht als traurig an, sondern ehr als tief.
Katharina: Ich persönlich hatte nach diesen Platte mit den Popsongs, die total cool sind und die wir immer noch spielen und total lieben, auch einfach Lust auf Entspannung. Auf eine totale Entspannung. Und sogar in unserer Reduktion, die wir sowieso haben, nochmal zu sagen, wir müssen niemandem nichts beweisen, sondern einfach nur das machen, was uns jetzt gerade bewegt und gefällt. Und das dann auf die Platte zu nehmen. Ich glaube, das haben wir auch geschafft. Die neue Platte ist unaufgeregter.
Hanns: Im Nachhinein ist die Saal 3 stellenweise ein bisschen zu …
Akademisch?
Hanns: Ja, so wir-zeigen-euch-jetzt-allen-was-abgeht. Aber trotzdem mag ich die auch, es war auch eine tolle Sache, da aufzunehmen … Aber die aktuelle Platte hat einfach mehr Ruhe. Und diese Reduktion finde ich auch noch ein bisschen reifer.
Aber die Reife ist ja ein natürlicher Prozess, der zwangsläufig mit der Zeit kommt und von Album zu Album weiter voranschreitet … „Abgeklärt“ ist ein blödes Wort, aber vielleicht trifft es das?
Hanns: Vielleicht. Kann sein. Ich finde es auf jeden Fall runder, auch als Gesamtidee.
Katharina: Abgeklärt trifft es für mich nicht. Aber entspannter trifft es. Und reifer. Ja, reifer!
Lasst uns „Entspannung“ als Stichwort für meine letzte Frage nehmen. Nach zehn gemeinsamen Jahren braucht man doch sicherlich auch mal Entspannung oder Ruhe voneinander, oder? Anders gefragt, was macht ihr, wenn ihr nicht FrauContraBass seid?
Hanns: Dann sind wir ganz traurig! (Gelächter)
Katharina: Also, dass wir uns jetzt irgendwie auf die Nerven gehen würden – coolerweise ist es nicht so. Wirklich nicht. Wir sind zu zweit so hochmotiviert unterwegs, das ist großartig! Und ich erzähle immer allen, mit dem Hanns zu spielen ist total toll, und er erzählt allen, mit der Katharina zu spielen, ist total toll – und es ist wirklich großartig, dass das nach zehn Jahren noch so ist. Nicht, dass wir uns nicht streiten … (lacht) Um auf die Frage zurückzukommen: Hanns hat eine tierische Combo namens Tango Transit …
Hanns: Ein Trio mit Akkordeon, Schlagzeug und Bass.
Katharina: Total schön!
Hanns: Wir spielen sehr viel, auch jetzt wieder an Weihnachten – die Weihnachtsplatte kommt jetzt raus, da ist dann auch immer irgendwas … Aber ich glaube, FrauContraBass hat schon eine besondere Stellung für uns beide, weil es so besonders konzentriert ist. Ich meine, das sieht man ja, wenn man hier auf so einer kleinen Bühne steht, das ist sehr intim, und ich würde das wahrscheinlich auch das ganze Jahr über machen. Es gibt dann aber noch ein paar andere Projekte, ich spiele noch mit einem Kabarettisten als Sideman – solche Sachen eben, die ganz normal zum Berufsleben eines Musikers, der nicht weltberühmt ist, dazu gehören. So ist das bei mir. Und Katharina ist ja mit Slixs international unterwegs.
Katharina: Das ist diese Vokalformation, in der ich mitsinge, aus Halle an der Saale. Und das ist auch großartig …
Hanns: Tierisch ist das!
Katharina: … da kann ich mich als Sängerin einfach in so eine Gruppe einbinden. Ich bin da zwar die einzige Frau, aber trotzdem muss ich nicht immer solo singen, was auch mal total angenehm ist, sich da hineinfallen zu lassen. Aber natürlich ist es toll im Duo, das ist einfach so pur! Und man kann sich nicht verstecken. Die Angst, die man davor hat, ist aber genau das, was es dann so toll macht.
Hanns: Es wird immer neue Programme geben und vielleicht auch ein paar Experimente mit Sounds, aber im Grunde wird das mit uns immer so weitergehen.
Das heißt, ihr habt mit FrauContraBass eure Herzformation gefunden.
Beide: Ja, absolut!
Hanns: Ich glaube, das merkt man auch. Es ist nicht normal, dass man sich da hinstellt, beziehungsweise, wir denken manchmal, gerade, wenn wir vor vielen Leuten spielen, wie krass sind wir eigentlich drauf, dass wir uns jetzt hier hinstellen, quasi nackt, und den Leuten, die wir noch nicht kennen, unsere Songs vorspielen? Das Tolle dabei ist, dass wir immer für uns beide wissen, es darf alles passieren. Es kann nichts schief laufen, das heißt, es wird jetzt keiner auf einmal ohnmächtig vor Angst oder so, sondern wir stehen da und wir wollen das beide gut machen zusammen, tolle Musik machen. Das ist etwas, was auch nicht mit jedem so intensiv möglich ist.
Katharina: Es ist auch schön zu wissen, dass man zu zweit mittlerweile so eingespielt ist, dass man, selbst, wenn etwas passieren würde, gar nicht so tief unter das gegebene Niveau fallen kann. Es kann eigentlich nicht viel passieren, und selbst, wenn man selber das Gefühl hatte, oh Mann, heute war das aber nicht so toll, haben die Leute im Publikum trotzdem immer noch das Gefühl, es war ein guter Abend. Das entspannt uns auch ein bisschen vorm Konzert.
Hanns: Stimmt. Es kann nichts passieren.
Weil der andere da ist , der einen auffängt?
Hanns: Ja, klar.
Katharina: Genau. Ich weiß, wenn ich mal einen kompletten Text versemmel und nichts mehr weiß – das ist egal, weil Hanns dann eben kurz mal solo spielt. Oder er macht den Groove weiter, und ich komme dann halt irgendwann wieder rein.
Hanns: Vor Jahren ist mir mal passiert, dass ich einen Song in einer falschen Tonart angefangen habe, eine Quarte zu hoch …
Katharina (kichert): Das war die Hölle! ‚Ne Quarte höher!
Hanns: Take Me Home, der ist auf der letzten Platte drauf … Ich hab’s dann irgendwann gemerkt, aber ich wusste dann auch nicht mehr genau, wie ich da jetzt wieder rauskomme …
Klammheimlich zurückmodulieren …
Hanns: Ja, das haben wir, glaub ich, sogar so gemacht.
Katharina: Nee, wir haben das nicht gemacht. Wir haben die komplette Nummer ’ne Quarte höher gespielt. Und eigentlich geht die so (singt in Originaltonart): Take me home …, so ganz entspannt, aber ich war die ganze Zeit so (singt höher): Take me home … haaaaaa, und dachte mir so, egal, ich bin ein Engelchen! (Gelächter)
Hanns: Also, es geht alles. Und auch Situationen, in denen es brenzlig wird, weil man im Stau stand und erst fünf Minuten vorher ankommt oder wo auf einmal ganz viele Leute sitzen – das geht alles. Oder auch, wenn nur drei Leute da sitzen. Wir haben nie ein Problem damit, wir wollen es immer gut machen.
Comes Love ist am 1. November 2013 auf Contemplate/Edel erschienen. Klangblog-Leser können ein signiertes Exemplar gewinnen. Einfach eine Mail an kontakt@klangverfuehrer.de schreiben und auf etwas Losglück hoffen.