Jennifers musikalische Diener
Ich habe eine Kindheitsfreundin, die genau genommen Schuld daran ist, dass ich mit der Musik angefangen habe. Sie belegte einen Kurs in musikalischer Früherziehung, und ich glaube, meiner Mutter gefiel das. Jedenfalls fand ich mich innerhalb kürzester Zeit, fünf- oder knapp sechsjährig, im selben Kurs und dort im Kreis gehend und „ta-ta-titti-ta, ta-ta-ta-ah“ klatschend, wieder. Meine Freundin wurde dann der Klavierfakultät der Musikschule zugeteilt, ich den Geigern, denn es standen nur drei Instrumente zur Auswahl: Klavier, Geige und Konzertflöte. Klavier spielten alle, und Flöte, also mal ehrlich, wer wollte das schon? Also entschied ich mich für Geige, und wohin das geführt hat, sehen Sie ja selbst.
Meine Freundin habe ich dann aus den Augen verloren, aber nach knapp dreißig Jahren haben wir uns, wo auch sonst, auf Facebook wiedergetroffen und sehr darüber gefreut, dass wir unabhängig voneinander beide ein „Emmchen“ haben, sie ein selbst gemachtes zweibeiniges, ich ein adoptiertes felliges. Natürlich hat das zweibeinige Emmchen auch einen Vater, den Mann meiner Freundin. Und der spielt, wenn er keine Filme macht, in seiner Freizeit Cello. Wieder vorgekramt hatte er es eigentlich nur als Hochzeitsüberraschung für meine Freundin: Gemeinsam mit einem Freund, der zufällig Singer/Songwriter und Gitarrist ist, sollte ihr ein romantisches Ständchen gespielt werden. Und wie das so ist mit „Eigentlich sollte es nur eine einmalige Sache werden“ – man hat es ja gerade erst bei B•S•O gesehen, das sich ursprünglich ja auch nur als Geburtstagsüberraschung gegründet hatte –, wurde auch hier eine regelmäßige, intensive Zusammenarbeit daraus, die dann auch einen Namen bekam. Zum Namen kamen Auftritte, kamen Facebook-, Youtube- und MySpace-Seiten, kamen Fans, kommt eine Platte – und komme ich heute hierher.
„Hier“ ist diesmal ein ganz besonderer Ort: Die von der sympatischen Heike Mössner betriebene, nur einmal die Woche öffnende, halb-private und ebenfalls im Filmumfeld angesiedelte Seimobar, eine Art Wohnzimmer mit angeschlossener Küche, wo es für wenig Geld hausgemachtes Essen plus Nachschlag und -tisch ohne Ende gibt. Da verwundert es wenig, dass manche sogar auch nur wegen des Essens kommen, heute Abend beispielsweise die Heavy Metal Band, die sich vor ihrem Auftritt in einem benachbarten Laden an Rotkohl, Klößen und Krustenbraten gütlich tut. Und tatsächlich hat die Wohnzimmerszene an der langen Tafel unter dem beleuchteten „Million Dollar Hotel“-Wandbild etwas vom Abendmahl.
Während die anderen essen, habe ich die Gelegenheit, für ein Mini-Interview mit den beiden Protagonisten des heutigen Abends, Joseph Bolz, den Singer/Songwriter, und Friedhelm Pörner, der zu der Bolz’schen Musik die Cello-Arrangements schreibt und spielt. Klar, dass ich erst einmal wissen will, wie das Duo denn auf den Namen „Gwen Hyfar“ gekommen ist. Ursprünglich, so erfahre ich, wollte man sich „Zoe“ nennen, doch gibt es leider schon zu viele Bands dieses Namens. Da es aber ein Frauenname sein sollte und man melancholische Träumerinnen aus Schweden wie Mire Kay und Audrey schätzt, kam man auf das nordische „Gwen Hyfar“, das nichts als ein verklausuliertes „Jennifer“ ist, die als „Jenny“ wiederum einen wichtigen Teil im Bolz’schen Textkosmos einnimmt. Und in der Tat taucht sie in mindestens zwei Stücken des Abends auf.
Erst einmal aber rumpeln Gwen Hyfar beim Opener Like Wool, den mir die wohlmeinende Ehefrau vorab schon als Youtube-Link geschickt hat, vor sich hin, die Raumakustik schluckt viel der leiseren Gesangpassagen, das Cello dominiert zu stark. Dann aber hat man sich eingespielt, auf den Raum, aufeinander, worauf auch immer, in jedem Falle fällt hier schon die außergewöhnlich schöne Songstruktur auf, mit ausgeklügeltem Arrangement und fein austarierter Aufnahmetechnik ist das etwas, was ich sehr gern auf CD hören würde. Schon ab dem zweiten Song ist man von der Intensität der Bolz’schen Songstrukturen völlig in Bann gezogen, und zunehmend fällt auf, dass hier ein im positiven Sinne absolut Besessener am Werk ist. Wo hat man den denn bis jetzt versteckt und warum hat man ihn vor uns versteckt? Die Welt braucht solche Lieder, ganz sicher.
Pörner hingegen mag kein Profi-Cellist sein, und obwohl ich mit so etwas sonst sehr streng bin, fällt mir heute Abend dazu nur ein: Das muss er auch nicht, denn hier geht es um etwas völlig anderes. Zudem: Weshalb auch eine Laienmusiker an den Maßstäben für Profis messen? Allein die Songs von Joseph Bolz machen alles um einen herum vergessen, nicht nur ich bin froh, hier zu sein, auch das restliche Publikum ist regelrecht hypnotisiert. Die Klangfarbe seiner Stimme, seine Phrasierung, ja sogar die Art der Songs erinnert mich an jemanden, der mir gerade auf Teufel komm raus nicht einfallen will, der von solchen Songs aber nur träumen kann. Chris Cornell vielleicht?
Wenn es Ihnen einfällt, schreiben Sie mir. Ansonsten bleibt mir nur noch zu sagen: Kaufen Sie das Album, wenn es nächstes Jahr erscheint. Ich werde Sie ganz bestimmt daran erinnern.