Garantiert kein weiterer Jahresrückblick:
die neue Ausgabe von Victoriah’s Music
Der Dezember ist die Zeit der Jahresrückblicke. Das ist ein bisschen so wie Sommerloch plus Saure-Gurken-Zeit plus Wiedergekäutes. Lecker … Ich weiß schon, weshalb ich keinen Fernseher habe. Und niemand zwingt einen schließlich, die diversen Magazine zu kaufen, die sich mit den „Bildern des Jahres“ gegenseitig zu überbieten versuchen. Nun, auch die Compilation Berlin Lounge. The Finest German Downtempo Selection von Wagram Music bietet einen Rückblick – der erstreckt sich allerdings über mehr als das letzte Jahr:
„Das Ganze war eine Erfindung der New Economy. Ob Sie es nun Chillout, Ambient, Lo-fi, Lounge, Downtempo, Smooth Jazz oder schlechterdings Klangtapete nennen möchten – die unaufdringlichen, halb elektronischen, halb organischen Klänge störten weder bei Business Lunch noch Afterwork Party. Kein Wunder, dass sie fortan wie Pilze aus dem Boden schossen, und mit ihnen die neuen, leisen Helden einer ganzen Generation von Musikhörern: Massive Attack, Morcheeba, Moloko oder Thievery Corporation, Nightmares on Wax, Kruder & Dorfmeister hat wohl ein jeder in seinem CD-Regal stehen. Das Problem mit dieser Musik ist: Sie gefällt jedem.“
Weshalb Sie – mehr als eine Dekade später und lange nachdem die New Economy zugrunde gegangen ist – diesen Sampler, der um Klassen cooler
ist als Café del Mar es je war, dennoch nicht verpassen sollten, steht in der neuen Ausgabe von Victoriah’s Music – wie immer auf fairaudio.de.
Klangtapete à la Kathrin Scheer
Außerdem gibt es diesmal ein minimalistisches Wunderwerk in bester Live&Unplugged-Manier; ein schläfriges Klangreich, das an Neneh Cherry nach Einnahme eines Muskelrelaxans erinnert; ein selten schönes Debüt, in dessen Klangstrom es sich nervenentspannend dümpeln lässt wie in einem Schaumbad, umgeben von Siebzigerjahre-Badezimmertapete; einen Schweden, der sich nicht entscheiden kann, ob er nun Nordic Folk, Delta Blues, Jazz-Rock oder Zen-Meditation machen möchte; die wunderbare Fredrika Stahl, deren wunderbarer Mädchenmusik ich spätestens bei ihrem Konzert im Frannz Club vollends verfallen bin; einen Opernbariton, der einem mit seiner Interpretation von Soul-Klassikern ebensolche Schauer über den Rücken zu jagen versteht wie mit seiner Winterreise – schließlich ginge es in den Texten von Soul und Klassik um exakt das Selbe: Liebe, Drama, Wahnsinn – und ein Soloalbum, das an den Kauf von regional angebautem Obst und Gemüse im Supermarkt erinnert: Irgendwie ethisch korrekter und schmackhaft ohnehin.Besprochen wurden diesmal:
- Various Artists, Berlin Lounge. The Finest German Downtempo Selection
- Martina Topley-Bird, Some Place Simple
- Andreya Triana, Lost Where I Belong
- Kathrin Scheer, Rare
- Peder af Ugglas, [ohne Titel]
- Fredrika Stahl, Sweep Me Away
- Thomas Quasthoff, Tell It Like It Is
- Stephan Scheuss, One Pure Soul