Kopfhörerhund guckt A Glezele Vayn ― Konzertfotos aus Hundeperspektive ― – klangverführer | Musik in Worte fassen

Kopfhörerhund guckt A Glezele Vayn
― Konzertfotos aus Hundeperspektive ―

Das letzte Mal, als ich A Glezele Vayn mit ihrem Feynherb-Programm im Pankower Zimmer 16 gesehen habe, ist ein halbes Jahr her. Ich finde es immer wieder spannend, das selbe Programm mehrmals zu sehen, und außerdem wurden wir sehr charmant eingeladen. Wir – das sind in diesem Falle ich und Kopfhörerhund. Also nichts wie hin!


Zu einem Auftritt von A Glezele Vayn gehört – ganz klar – ein Gläschen Wein!
Und eine kraulende Hand. Für die sorgt hier der nette Herr auf dem Nebensitz.


Hmmm … Was’n das?


Wann geht’s denn los?


Lauschposition einnehmen …

Schon eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist es bei weitem voller als beim letzten Mal, und zum Konzertbeginn hat sich das Zimmer 16 gut gefüllt. Ich kann mir nicht helfen, aber mir hat die Atmosphäre im Juli besser gefallen. Vielleicht, weil die Band dachte, nun erst recht. Vielleicht, weil das Publikum noch mehr mitgegangen ist, nach dem Motto, wenn sich die Armen da auf der Bühne schon für uns handvoll Unerschrockene mühen, dann wollen wir ihnen es auch mit höchster Konzentration danken. Es ist eben etwas ganz Besonderes, wenn man gewissermaßen ein Privatkonzert vorgespielt bekommt. Solch eine intime Atmosphäre hat sonst nur eine Generalprobe, zu der nur wenige Auserwählte zugelassen sind. Im Juli kam ich mir auserwählt vor, es war ein Konzert, welches ich nie vergessen werde. Die Glezeles wohl auch nicht, denn in ihrer persönlichen Statistik nimmt es den unrühmlichen ersten Platz unter den schlechtbesuchtesten Konzerten ihrer Karriere ein …


… und da sind sie ja auch schon!

Vielleicht gefiel mir das Juli-Konzert aber auch deshalb besser, weil ich gewisse Pointen des Programms nun ja schon kannte, die auf dem Überraschungseffekt beruhen. Spaß macht es aber allemal noch – ich würde auch ein drittes, viertes, fünftes Mal hingegen! Aber auch der Ton war letztes Mal ausgewogener. Der Bass klang selbst in der ersten Reihen seltsam dünn. Schade, denn Bassist Johannes Keller – mittlerweile der dritte, den ich mit den Glezeles gehört habe – gefällt mir bislang von allen Glezeles-Bassisten am besten. Er hat, und das kommt bei Jazzbassisten meiner Erfahrung nach nicht so oft vor, eine großartige Bogenführung, und die uns von Glezele-Mastermind Achim Rinderle per Rundschreiben vorab angedrohten „verbotenen chromatischen Läufe“ gab es bis auf zwei Stellen auch nicht. Lustigerweise sind es, wie schon bei den Cosmonautix, ja immer die Bassisten, die am meisten schleppen müssen: Zusätzlich zu ihrem mannshohen Rieseinstrument auch noch den Verstärker, da sie meistens die einzigen sind, die sich mittels elektronischer Hilfe gegen durchdringende Tröten und Fideln durchsetzen müssen.

Apropos Fideln: die sucht man bei A Glezele Vayn vergebens. Interessant für eine Klezmerkapelle. Gewissermaßen übernimmt Szilvia Csarankos Akkordeon – auf dem die Pianistin jedes Mal besser wird! – im Zwiegesang mit Rinderles Klarinette diesen Part.


Ein schönes Duo!

Auch sonst sind A Glezele Vayn nicht unbedingt das, was das konservative Klezmerpublikum erwartet. Was mir an ihnen (und eben auch an den Cosmonautix, die ja auch ein paar jiddische Traditionals in ihrem Repertoire haben) so gefällt: Sie alle haben kapiert, dass man diese Musik heutzutage (nur) mit einem Augenzwinkern spielen kann. Bei den Cosmonautix habe ich von „Balkan-Comedy“ geschrieben, und auch die Glezeles machen wieder jede Menge schönen Unsinn. Denn so und nur so läuft man nicht Gefahr, in Betroffenheitsstarre (Klezmer) oder Multikultiseligkeit (Balkan) abzurutschen, was für Künstler wie Publikum eine Zumutung wäre. Wobei, wenn ich es mir recht überlege: Es gibt immer den einen oder anderen Giora Feidman-Hörer im Publikum, der regelmäßig hochverstört: Da wird jüdische Kultur dargeboten und dann ist das lustig, da wird gelacht, ojwej! Nie wird er verstehen, dass man so einer längst vergangenen Tradition weitaus mehr Respekt erweist, als wenn man versucht, sie gewissermaßen museal zu konservieren. Auf solchen „Klezmer“-Konzerten war ich auch schon. Und immer hatte ich das Gefühl, dass es eigentlich Gedenkveranstaltungen sind. Aber hey, Klezmer ist eine fröhliche Musik, eine Hochzeitsmusik, und der Schadchen genannte Heiratsvermittler, der bei der Feier dann den Zeremonienmeister gab, der war lustig, war bissig und bestimmt nicht immer politisch korrekt! Rinderle gibt den perfekten Schadchen und schrammt Prince Harry-artig an der, ich zitiere, „Beifahrertür des guten Geschmacks“ das ein oder andere Mal nur knapp vorbei. Ich habe beschlossen, nichts gehört zu haben, denn hätte ich es gehört, müsste ich es aufschreiben!

Was ich sagen will: Die jungen „wilden“ Klezmerbands heute, die spielerisch und lustig mit ihrem Genre umgehen und sich – eventuell – das ein oder andere Mal (zu) weit aus dem Fenster lehnen dabei: Sind nicht sie im viel eigentlicheren Sinne die Keepers of the Flame einer untergegangenen Kultur als die ganzen pädagogisierend-moralisierenden selbsternannten Bewahrer, die doch recht eigentlich bloße Kopisten sind?

Aber zurück zu dem gestrigen Abend. Neu war die „Neo Folk“-Sektion mit der von Rinderle komponierten Alpen-Suite; neu war auch ein mit Darbuka-Begleitung dargebotenes türkisches Stück – übrigens das Einzige, was Kopfhörerhund nicht mochte. Wahrscheinlich fährt so ein Darbuka-Klang noch ganz anders in die Eingeweide als eine „herkömmliche“ Trommel. Am Spiel von Jacobus Thiele jedenfalls kann es nicht gelegen haben, das war wie immer über sämtliche Zweifel erhaben. Er ist und bleibt – nicht zuletzt als begnadeter Kopfhörerhundkrauler – einer meiner Lieblings-Glezeles!

Kopfhörerhund war auch diesmal, wie immer, der perfekt interessierte Konzertbegleiter. Was machen die denn da?, schien der Blick zu fragen.
Ah, Musik, stellte sie nach dem ersten Lied fest. Langweilig, da kann ich ja schlafen. Und tatsächlich fiel sie schon beim zweiten Stück, den eher getragenen Schwingungen der Jiddischen Hora, in einen kurzen, aber halb-komatösen Tiefschlaf, aus dem sie erst das Spiel mit den Löffeln wieder hochschrecken ließ. Bei Rinderles Sologedicht grunzte sie kurz auf und drehte uns den Rücken zu. Ich glaube, dass der Bassist das Grunzen mit Knurren verwechselte und insgeheim schon Angst um sein Bein hatte … Leider frisst Kopfhörerhund keine Menschenbeine. Was würde uns das an Futterkosten sparen! Spenden in diesem Sinne sind übrigens willkommen …


Bequemer in der Froschposition

Wer im Folgenden was verwechselt hat, ist nicht so ganz klar. Achim Rinderle ist überzeugt, dass Kopfhörerhund im Rhythmus mit dem Kopf wackelte und mit der Band mitgroovte. Für mich sah das allerdings eher so aus, als hätte Kopfhörerhund Schwierigkeiten mit seinem Abendbrot und versuchte, es wieder hervorzuwürgen. Da das Abendbrot aber drinnen blieb (Was Glück! Vollgekotzte S-Bahn-Züge hatten wir schon, ein vollgekotzter Konzertsaal wäre dann noch etwas peinlicher gewesen …), neige ich mittlerweile dazu, Rinderle zuzustimmen. Schließlich heißt es in der Ode an den Kopfhörer nicht umsonst, „Im Körbchen groovt Kopfhörerhund“. Und ihr Körbchen hatte sie in Form einer Faltdecke ja dabei. Überhaupt hat es Kopfhörerhund gut, denke ich mir in der Pause. Sie ist der Star bei dem Musikern, einer krault den Hals, einer den Po, während ich lediglich dazu gut bin, sie kurz an den nächsten Baum vors Zimmer 16 zu lotsen und ihren ebenfalls mitgeführten Faltnapf mit frischem Wasser aufzufüllen.


Kopfhörerhund guckt …


… und guckt …


… und guckt …


… und guckt!

Toll nach der Pause: Bei dem als „wirklich schön“ angesagten Stück, dessen Namen ich mir leider nicht gemerkt habe (über entsprechende Hinweise freue ich mich), überrascht ganz viel Luft im ansonsten eher klaren und kompakten Klarinettenton Rinderles – ganz ähnlich wie beim Opener Khsidim Tants der CD. Und recht hat er, es ist ein wirklich schönes Stück! Auch immer wieder schön: Das Khassidishe Nigun mit wogendem Meer.


Es wogt hin … und her …

Und endlich habe ich bei meinem Liebling Klarinettenhass auch die eine Zeile verstanden, die mir bislang gefehlt hat! Alles in allem wieder mal ein sehr schöner Abend mit den Glezeles.


… und tschüß!

Fand auch Kopfhörerhund: Erstens hatten alle schwarze Hosen an, da lohnt es sich so richtig, die vollzuhaaren! Außerdem sind wir mit der S-Bahn gekommen. Und S-Bahnhöfe bedeuten Dönerbuden. Und Dönerbuden bedeuten jede Menge festgetretene Dönerreste auf dem Bürgersteig. Diese wurden sich natürlich einverleibt, sodass sich Kopfhörerhund in der Nacht ganz seinen von angegammeltem Döner verursachten Blähungen hingeben und mich mit seiner gut funktionierenden Verdauung erfreuen konnte … Aber wie heißt es doch so schön? Ist der Hund gesund, freut sich der Mensch. Oder war das die Katze?


Is‘ was?

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