Wer röhrt denn da im Bassy? – klangverführer | Musik in Worte fassen

Wer röhrt denn da im Bassy?

Was im Januar für manche die Ballsaison ist, ist für die Musikschreiber die Konzertsaison. Da wird gesungen, gefiedelt, geklimpert, getrommelt und gezupft, als hätten alle Musiker den gemeinsamen Neujahrvorsatz gefasst, im nächsten Jahr mehr zu touren. Kann ja sein, dass das für die Party People noch unter „normales Ausgehpensum“ fällt, ich jedenfalls finde, dass drei Konzerte die Woche auch erst mal verdaut sein wollen. Schlaf jedenfalls kommt im Moment definitiv zu kurz. Wem dafür aber so schön gesungen, gefiedelt, geklimpert … wird, der sollte sich nicht beschweren!


Im Bassy röhrt der Wolf …

Beschweren ist auch das letzte, was ich im Rückblick auf den gestrigen Abend im Sinn habe. Kurz: Das Konzert war toll. Soooo schön wurde da gesungen, ge … hm, genaugenommen wurde gestern gar nicht gefiedelt, obwohl Joan Wasser, besser bekannt als Joan As Police Woman, von Hause aus klassische Geigerin – und zwar nicht irgendeine, sondern Schülerin des Oistrach-Schülers Yuri Mazurkevich! – ist, und zwar eine, die jedoch nie davor zurückschreckte, ihr Können in den Dienst der „U-Musik“ zu stellen. So ist ihr Geigenspiel auf Platten von diversen Künstlern, vorrangig der Indie-Sparte, zu hören, wie etwa Sheryl Crow, Adam Green, David Gahan, Sparklehorse, Elysian Fields, Trail Of Dead oder Scissor Sisters. Nun, der Klangblog war ohnehin stark geigenlastig in letzter Zeit, und auch heute Abend wird der Jammerschinken bei den Cosmonautix wieder kräftig bemüht werden, also seien wir froh drum, dass Frau Wasser zur nicht-öffentlichen Vorab-
präsentation ihres neuen Albums The Deep Field nur mit Klavier und E-Gitarre anreiste.


… aber nicht nur der!

Wo sonst Cowboys und die, die sich dafür halten, „wild music before 1969“ genießen, konnte man gestern abend dem ganz speziellen Umgang der Künstlerin mit den großen Themen der Menschheit, mit Liebe, Sex, Freiheit und Tod, lauschen, an dem sich wenig geändert hat. Von Joan Wasser selbst wird The Deep Field allerdings nicht nur als ihr bislang offenstes Album bezeichnet, sondern gleichzeitig ihr fröhlichstes. Aber keine Angst, die Meisterin der Selbstreflektion wird auch jetzt nicht zum Happy Hippo, doch sah man das ein oder andere Mal durchaus den Schalk in Wassers Augen, die spichwörtliche Zunge in der Backe hervorlugen. Auf ist nicht mehr alles so tragisch wie früher.

Zwar scheint ab und an auch hier ein Hauch der von ihren beiden Vorgängeralben (Real Life, 2006 und To Survive, 2008) hinlänglich bekannten Melancholie auf, insgesamt aber ist The Deep Field ein intimes Singer-Songwriteralbum irgendwo zwischen zauberhaftem Gitarren-Folk, Indie-Jazz und sexy Soul. Auch in die härtere Aternative-Rock-Gangart schaltet Wasser nur noch selten, es dominieren zarte Töne. Gleich dem Weltraumteleskop Hubble, nach dessen 1995er-Bild „Deep Field“ das Album benannt ist, habe die Musikerin ihr eigenes Innerstes ausloten und dann in Musik gießen wollen.

Man erinnere sich: Hubble wurde damals auf einen Bereich des Großen Bären gerichtet, von dem man annahm, er sei völlig leer. Stattdessen lieferte das Teleskop Bilder von Sternen und fernen Galaxien, die bis dato unentdeckt waren. Genau dies könne auch passieren, wenn man sein eigenes Leben betrachte, und Joan Wasser scheint kein Problem mit einem derartigen Seelen-Striptease zu haben: Sie liefert sich ihrem Publikum in ihren eindringlichen Songs nackt und schutzlos aus. Dafür wird sie geliebt.

Und tatsächlich berühren Sänger, so hat mir meine eigene Gesanglehrerin immer wieder gepredigt, ihr Publikum nur dann, wenn ihre Emotionen glaubhaft sind. Wir können uns nicht hinter dicken Instrumenten verstecken. Wir haben nur unsere Stimmen. Joan Wasser glaubt man, was sie singt. Das mag ihr auch die Vergleiche mit Kolleginnen wie PJ Harvey, Cat Power oder Feist eingebracht haben. Zudem verfügt sie über eine derart betörende Präsenz, dass mein sonst eher kühl zurückhaltender Konzertbegleiter, nennen wir ihn der Einfachheit halber Bassplayerman, aufgeregt wie ein Schuljunge um ein Autogramm bat. Bitten ist die eine Sache, Stift und Papier dabei haben, die andere. Letztendlich musste eine – herausgerissene – Seite meines schönen Moleskines dran glauben. Als Belohnung für so viel Einsatz öffnete Wasser dann mal noch so en passant den durchgehenden Front-Reißverschluss ihres Leder-Cat Suits, den ich bis dato für eine Erfindung für die Radio-Hörer gehalten hatte. Aber nein, sie, die ihrem Berliner Publikum attestiert, „you are all soooo punk!“, war tatsächlich in dieses Ganzkörperzipperding gehüllt! Mr. Bassplayerman brauchte eine eine Weile, bis er sich von dem Anblick erholt hatte und wieder ansprechbar war.

Und ich habe mich gefreut: Endlich mal eine Amazone unter diesen ansonsten so elfenhaften storytelling-pianoplaying Fräuleins! Denn auch Joan Wassers Stimme ist alles andere als zart. Kraftvoll bis an den Rand der Aggressivität singt sie alle Obels und Lenz‘ dieser Welt glatt an die Wand.

Mehr davon? Wassers Label Pias hat das komplette Zehn-Track-Album als Soundcloud-Stream bereitgestellt. Bitte vergessen Sie trotzdem nicht, es
zu kaufen.

Comment (1):

  • Die Energija-Rakete hebt ab – ich aber will nur noch ins Bett «

    […] genauer genommen in einem seiner unterirdischen Teile: dem Bassy Club, wo Joan Wasser alias Joan As Police Woman ihre neue Platte […]

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