Musik pur. Meike Koester zeigt im Zimmer 16 ihr Seefahrerherz – klangverführer | Musik in Worte fassen

Musik pur.
Meike Koester zeigt im Zimmer 16 ihr Seefahrerherz

Eigentlich wollte ich bis nächsten Freitag – da zelebriert das Trio Ohrenschmalz seine ménage à trois im Admiralspalast – eine Konzertpause einlegen. Zu viel Live-Musik in letzter Zeit! Ich widme mich lieber mal wieder eine Weile im stillen Kämmerlein der Dosen-Musik. Und so sitze ich also zu Hause und rezensiere für die kommende Ausgabe von Victoriah’s Music friedlich vor mich hin. Die nächste CD auf meiner Liste ist Meike Koesters Seefahrerherz, und schon beim ersten Hören bin ich vom neuen Album der Braunschweiger Sängerin/Songwriterin so angetan, dass ich der Einladung ihres Promoters zu ihrem Konzert im Pankower Zimmer 16 bereitwillig folge. Schließlich ist es in dieser Pankower Entsprechung zu Sepp Maiers Weißenseer 2raumwohnung immer sehr nett, und auch Kopfhörerhund ist hier gern gesehen und wohl gelitten.

Und so sitzen Kopfhörerhund und ich exakt zwei Wochen nach unserem letzten Besuch im Zimmer 16 dann doch wieder inmitten von Livemusik – noch dazu auf unserem Stammplatz. Neben Deckchen und Faltwassernapf für das Wohlergehen von Kopfhörerhund habe ich sicherheitshalber eine Familienpackung Taschentücher für mich eingesteckt, denn schließlich habe ich bei einem der Songs von Koesters neuem Album zu Hause geheult wie ein Schlosshund und hoffe jetzt, sie spielt ihn nicht.

Der Abend startet mit zwei von Koesters englischsprachigen Songs, gitarrenschrammeligen Indierocknummern, wie sie von Collegeradios bevorzugt gespielt werden. Das Schlagzeug ist sehr präsent, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Sheryl Crows Tuesday Night Music Club fällt mir sponatan dazu ein, und Jennifer Love Hewitts Can I Go Now. Ich habe Freundinnen, die sich von solcher Musik gewissermaßen ernähren – mein Ding war es nie. Auch Kopfhörerhund ist bislang nicht wirklich überzeugt; das kann allerdings auch daran liegen, dass sie ziemlich daneben ist: Sie hat zu Hause ihr Frühstück von sich gegeben und ist immer noch etwas matt und wackelig auf den Pfoten.

Aber schon ab dem dritten Song weiß ich wieder, weshalb ich hier bin, denn Meike Koester spielt jetzt endlich den Song Seefahrerherz aus ihrem am 25. Februar erscheinenden Album, der nicht nur Pate gestanden hat für dessen Titel, sondern es gleichzeitig auch eröffnet. Ein großartiges Lied, wie überhaupt das ganze Album – übrigens Koesters erstes deutsch-sprachiges – sehr sehr schön und sehr sehr rund ist. Mit der Seefahrerthematik bin ich zwar – zählt man Mitten Vorm Dock Nr. 10 von Stefan Gwildis‘ Neues Spiel (2003) nicht mit, da ja recht eigentlich ein Cover-Song – zuletzt auf Seemann von Rammsteins 1995er-Debüt Herzeleid in Berührung gekommen und deshalb zunächst etwas skeptisch, aber sie wird hier sehr schlüssig erzählt und spinnt sich wie ein roter Faden durch die Stories von Meike Koester, die auf Seefahrerherz zusammengehalten werden von den immerwährenden romantisch-maritimen Assoziationen wie Fernweh, Reise, Sehnsucht, Liebe auch ohne Gegenliebe, Unverbindlichkeit, dem Wunsch nach Beständigkeit und so fort. Selbst als überzeugte Landratte könnte man da sein eigenes Seefahrerherz entdecken!

Und auch im Konzert verändert sich mit einem Mal die gesamte musikalische Atmosphäre, und ich bleibe dabei, was ich schon beim Rezensieren der Platte (sobald sie auf fairaudio.de online ist, gibt es hier einen Link) geschrieben habe: Mit den deutschen Titeln hat Koester nicht nur glücklich zu ihrer Muttersprache zurück-, sondern gewissermaßen auch zu ihrer ureigenen Stimme gefunden. Hier schrammelt nichts mehr, die Instrumentation ist reduzierter, und dennoch grooviger, fast bluesig, es geht weitaus tiefer als auf den englischen Vorgängeralben, und das im besten Sinne.

Auf Seefahrerherz folgt das ebenso grandiose Leinen los; das könnten jetzt auch 2raumwohnung auf Rock sein. Schlagzeuger Christian Prescher kommt hinter seinen Drums hervor, um Cajón zu spielen – ein lustiges – manche bauen es aus einem alten Subwoofergehäuse selbst – Instrument in Kastenform, gerade erst hatte ich eines bei den Cosmonautux Unplugged gesehen -, und nicht jeder Schlagzeuger ist in der Lage, es vernünftig zu spielen; denn nicht jeder gute Schlagzeuger ist automatisch auch ein guter Percussionist. Dieser hier kann es jedenfalls, sein Cajón hat zum Rumschnasseln noch ein paar seitlich befestigte Snare-Schellen, und ich freue mich, denn ich mag den Sound einfach!

Apropos Sound: Nicht nur das Schlagwerk klingt bei den neuen Titeln reduzierter, ja: organischer, auch die Stimme Meike Koesters gefällt mir hier viel besser, sie klingt tiefer, geerdet und irgendwie angekommen.

Bei Wenn die Liebe stirbt, dem fünften Titel des Abends, kommt allerlei Klangspielzeug zum Einsatz, ob Mini-Maracas in Eiform oder zweckentfremdete Gitarren; und beim sechsten (Du startest das Jahr) steht Meike Koester dann allein auf der Bühne. Wir sind mittlerweile in der – Zitat – „Problemecke“ des Konzertabends angekommen, denn während Du startest das Jahr die Hoffnungen eines Alkoholikers auf den diesmal hoffentlich erfolgreichen und letzten Entzug behandelt, geht es in Whatcha Gonna Do um einen Teenager, der sich gegenüber seinen Eltern als schwul geoutet hat und von diesen kurzerhand auf die Straße gesetzt wurde – und was macht man mit siebzehn auf der Straße? Trotz des Wechseln zum Englischen ist dieser Song viel näher dran an der Tonalität des Seefahrerherzens als der andere englisch-sprachige Track des Albums, Under My Blanket – der hatte mich bei der CD-Rezension irritiert, weil er die bis dahin geschaffene Atmosphäre irgendwie stört, obwohl bei der Aufnahme auch das Cajón zum Einsatz gekommen ist.

Und es wird noch schrammeliger mit Life’s Too Short aus Koesters letztem Album Live Love Travel Free. Am Ende entpuppt sich der Song aber als überraschend funky, wohl vor allem zu verdanken Bassist Peter Stoschus, der bislang eher dezent im Hintergrund agierte. Fast übergangslos im gleichen Rockidiom leitet das Trio über zu Unterwegs; und dennoch, ich bleibe dabei, ist auch dieser Song viel mehr auf dem Punkt, viel definierter, viel grooviger als seine englischen Kollegen, und allein deshalb eigentlich schon gar nicht mehr in der klassischen Singer-Songwriter-Ecke zu verorten. Vielleicht eher wie Indie-Rock auf einer Rhythm & Blues Basis, wenn Sie denn unbedingt ein Etikett brauchen.

In der Pause verrät mir eine aufgeregte Koester, dass sie ob der Berliner Zuhörer ziemlich nervös sei. Ihrer Performance merkt man dies allerdings nicht an, höchstens mal bei den Ansagen zwischen den Stücken, bei denen sie sich verhaspelt. Eigentlich unnötig, denn eine Dame aus dem Publikum erzählt mir begeistert, wie unglaublich froh sie sei, endlich mal wieder echte, handgemachte, ehrliche Musik zu hören, die noch dazu so gut sei. Dieses ganze Gefiepse aus dem Radio, das sei ihr ja nichts. Koester selbst gibt inzwischen routiniert Autogramme – ein Herr hat sogar gleich fünf Stück ihrer neuen CD gekauft! -, und ich glaube, wegen der Berliner muss sie sich zukünftig keine Sorgen mehr machen, die hat sie in der Tasche. Die Frage ist hier wohl eher, ob bei ihrem nächsten Berlin-Gastspiel die Kapazitäten des Zimmer 16 noch ausreichen … Schließlich lebt Musik wie die von Meike Koester durch Mund-zu-Mund-Propaganda, und seit heute Abend dürfte es ein paar Koester-Fans mehr in der Hauptstadt geben. Unter anderem Kopfhörerhund, die versucht, der sympathischen Sängerin einen feuchten Hundekuss zu schenken.

Nach der Pause geht es groovig mit Southern Slide-Gitarren und Cajón weiter bei Steam In Your Eyes vom Album Soap For Dirty Girls – meiner Meinung nach einem der coolsten und lustigsten Plattentitel ever. Und wie auf dem Back-Cover der CD zeigt sich Koester in der Mitte des Songs zum ersten Mal an diesem Abend von ihrer sexy Seite. In der Anmodration des nächsten Songs wird sie wieder ernst und erzählt von Beobachtungen in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, die sie im folgenden Stück zusammenzufassen versuche. Für einen kurzen Schreckmoment denke ich, sie spielt jetzt doch den Brief an deine Mutter und die Taschentücher kommen zum Einsatz, aber, Glück gehabt, es ist „nur“ Zeig mir den Sinn, gefolgt von Müde und sehnsüchtig, einer eingängigen Nummer, die ich mir gut im Radio vorstellen kann.

Der Anfang von Schein überrascht durch seine radikal heruntegefahrene Instrumentierung. Der Schlagzeuger klingt wie ein Beatboxer, der Bassist berührt nur alle Momente einmal eine Saite und lässt den Ton verklingen, bevor der nächste kommt – in dieser Version finde ich das Lied, welches ich beim Hören der CD als belanglos empfand, um Klassen cooler! Leider, bin ich versucht zu sagen, wächst sie im Laufe der Zeit wieder zur vollen Instrumentierung bzw. zum vollen Einsatz der vorhandenen Instrumente an; Schein ist die poppigste Nummer des Abends, die könnte auch von Juli & Co. sein. Muss man mögen.

Der nächste Song wird angekündigt als „Jetzt wollen wir euch mit einer schamlosen Liebesballade einlullen … äh … bezirzen“, und zu meiner Überraschung ist es Under My Blanket, von dem ich weiter oben noch schrieb, dass er zu meinen zwei, drei weniger liebsamen Songs auf Seefahrerherz gehört. Live ist er allerdings ganz wundervoll, was auch daran liegen kann, dass er wieder von Cajón begleitet wird – ich mag diesen reduzierten Sound einfach! Okay, ich glaube, das habe ich jetzt schon dreimal geschrieben, das heißt aber nur, wie wahr es ist! Zudem hört man Koester hier im Satzgesang mit ihrer Band, auch das sehr schön. Zwar habe ich hinterher erfahren, dass das auf der CD genauso gehandhabt wurde, aber hmm, live klingt das dann trotzdem, wie soll ich sagen, purer. So akustisch gefallen sie mir sehr gut, die drei. Nicht zuletzt haben die beiden Mit-Musiker als Kopfhörerhundkrauler in der Pause Sympathiepunkte gesammelt …

Mit unplugged ist es aber auch schnell wieder vorbei, denn jetzt soll das Zimmer 16 in eine Rock’n’Roll-Höhle verwandelt werden, unter Einsatz von Wah Wah und Verzerrer und was das Spielbrett noch so hergibt! Das Publikum lässt sich gern zum Aufstehen nötigen und rockt, was das Zeug hält, und selbst Kopfhörerhund, die sich auf ihre vier Pfoten hochgerappelt hat, wedelt im Takt.

Auch der nächste Song ist dominiert von technischen Spielereien, in diesem Falle: der Loopstation. Habe ich mich nicht erst neulich über den exzessiven Gebrauch der Loopstation ausgelassen? Ich glaube, das war bei der Besprechung des Fredrika Stahl-Konzerts … Meike Koester allerdings begründet ihre Vorliebe dafür charmant damit, dass eine Loopstation im Grunde die „Playstation für Musiker“ sei – nun, gegen Spielsucht kann man vermutlich nichts ausrichten, kein Wunder, dass sich das Ding solcher Beliebtheit erfreut! Koester setzt sie beim Song Schatten ein, was aber auch heißt, dass der Beat den ganzen Song lang ziemlich vor sich hin eiert, allerdings nicht genug, um als gewollt verschleppt durchzugehen. Ich bin froh, dass der Spieltrieb inklusive Rückwärtsschalter nun ausgelebt wurde und die echte Rhythmusgruppe nach diesem Lied wieder kommt.

Und das ist auch bitter nötig, denn Visitor ist ein bassgetriebenes Stück, was allerdings im Refrain etwas schrammelt und damit den nach der Pause fest eingepennten Kopfhörerhund weckt. Hab‘ ich gut erzogen, den Hund, der mag auch keine Schrammelgitarren … Dennoch wird gerade bei Visitor einmal mehr ohrenfällig, wie sehr die drei ihr Fach beherrschen; ohne Schnickschnack und Attitüde wird hier einfach gute Musik gemacht. Das ist für mich richtig ungewohnt, war ich in letzter Zeit doch auf so vielen Konzerten, bei denen eine ausgeklügelte Show im Mittelpunkt stand. Hier gibt es einfach Musik pur. Meike Koester und ihre Begleiter stellen sich einfach hin und spielen.

Auch Traveller, der nächste Song, behandelt Koesters auf Seefahrerherz favorisiertes Sujet, das Reisen, Unterwegssein, die Ferne, Sehnsucht nach Nähe, auch Mal ankommen und immer wieder erneut Aufbrechen, wobei seine Melodie schon fast ins Countryhafte geht und eine weitere stilistische Nuance des Koester’schen Song-Spektrums zeigt. Dieses wird bei der Zugabe Poverty abgerundet durch einen an Sechzigerjahrefunk erinnernden psychedelischen Wah-Wah-Sound, den Koester ganz allein mit ihrer Akustikgitarre (und natürlich einem Wah-Wah-Pedal) zaubert. Das Publikum ist begeistert, und ich bin draußen etwas erschrocken, dass es schon zehn vor zwölf sein soll. Meike Köster hat gute zwei Stunden gespielt, eher zweieinhalb, ohne dass einem die Zeit lang geworden ist.

Comments (2):

  • Reinhard Pekruhl

    Wunderbare Kritik, in ihrer Art außergewöhlich weil sehr präzise. Meike koester hat schon viele gute, sehr gute Kritiken bekommen. Es ist nun zu hoffen das diese Kritiken, die eigentlich Lobeshymnen sind, dieser großartigen Künstlerin endlich die Türen in die deutschen Rundfunkhäuser öffnen. Das deutsche Publikum hat ein Recht darauf das man ihnen solche Kunstler vorstellt und das Recht der Hörer- u. Zuseher sollte zumiedest den Anstalten der ARD Pflicht sein. Eine im vorliegenden Fall sehr angenehme Pflicht. Ich kann nur hoffen das dieser bald nach gekommen wird. Reinhard Pekruhl

    • VSz | Klangverführer

      Lieber Herr Pekruhl, vielen Dank für Ihren ermunternden Kommentar. Sie haben völlig Recht, die Kritiken – wobei ich meine eher als Konzertbericht verstehe – von Koesters Auftritten gleichen eher Lobeshymnen. Ich denke (hoffe!), nach Jahren der immer gefälliger werdenden Musik ist das Publikum ausgehungert nach dem Handgemachten, dem sprichwörtlichen Guten & Schönen; und wenn Musikindustrie und eben auch die von Ihnen angesprochenen Rundfunkanstalten überleben bzw. ihre Hörer/Zuschauer halten wollen, müssen sie irgendwann reagieren. „Seefahrerherz“ hätte in jedem Falle das Potenzial, auch deutschen Sängern/Songwritern die Tür zu einem breiten Publikum zu öffnen. Wünschen wir dem Album und vor allem uns als „Musikkonsumenten“ das Beste! Herzlichst, Ihre Klangverführerin

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