Perlen, Panamahüte und Pierre Cardin – Sergio Mendes @ Verve Club in the Garden – klangverführer | Musik in Worte fassen

Perlen, Panamahüte und Pierre Cardin – Sergio Mendes @ Verve Club in the Garden

Kaum zurückgekehrt aus Indien, ist Bassplayerman auch schon wieder in seinem eigenen Klangkosmos verschwunden und wirft mich, seine langjährige Partnerin in Crime, der dünkelhaften, aber leider völlig unmusikalischen Meute am Potsdamer Platz allein zum Fraß vor. Pah, sag ich da nur. Und: Selbst Schuld. Ist ja nicht so, dass niemand anders mit mir ausgehen will – noch dazu, wo ein echter Leckerbissen für die Ohren auf dem Programm steht: der brasilianische Bossa-Nova-Pionier und Piano-Zauberer Sergio Mendes, dem die Welt unter anderem Mas Que Nada verdankt.

Und so finde ich mich im Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie mal wieder in bester Gesellschaft von Hofcompositeur vor, den ich in Sachen Musik als kongeniale böse Zunge schätze. Allein, bei Legenden wie Brasil-Urgestein Mendes sind Lästereien fehl am Platze – ihnen kann man einfach nur huldigen, indem man den verdammten Boden, den ihre Füße berührten, umgehend heilig spricht.

Aus eingefleischten Sergio-Mendes-Fans scheint das Publikum indessen nicht zu bestehen – nicht einmal aus Jazzheads. Stattdessen könnte dieses Berlin-untypische Event ohne Schwierigkeiten in einem Hamburger Vorort stattfinden, so posh, wie hier alles ist. Nicht nur die ausgesucht schönen Hostessen des Sponsors PCC, die einem jeden Wunsch von den Augen ablesen, noch bevor man ihn geäußert hat, sondern vor allem auch die geladenen Gäste. Einige der Schnösel tragen sogar Ohrstöpsel – bei einem Jazzkonzert, als erwarteten sie ein gehörschädigendes Metal-Gewitter. Glänzende Leder- und Segelschuhe bei den Herren, pinkfarbene Kaschmirpullis bei beiden Geschlechtern und Burberry-Karos bei den Damen bestimmten das Bild, und auch aufgestellte Hemdkrägen, pastellene Poloshirts und was es an einschlägigen Klischees mehr gibt, werden nicht ausgelassen. Dazwischen Hofcompositeur in Chucks und ich im unvorteilhaften Querstreifenpullover. Selten habe ich mich so under-dressed gefühlt. Auch scheint es hier nicht üblich zu sein, Flaschebier zu trinken, geschweige denn zur Musik zu tanzen oder wenigstens leicht mitzugrooven. Den typischen Berliner Konzertgänger sucht man in dieser herausgeputzten, teuer duftenden Menge in jedem Falle vergeblich. Stattdessen gibt es geliftete Kerle und blasierte Ladies, soweit das Auge reicht.

Man genießt und schweigt, als hätte man sich in der Location geirrt und habe eigentlich in die nebenan gelegene Philharmonie gehen wollen, wo heutzutage vermutlich mehr los ist als beim gediegenen Gartenjazz. Dort wird am Gläschen genippt und geguckt. allein will diese Haltung so gar nicht zu Mendes’ temperamentsprühender, mit Schlagzeug und Percussion extrem rhythmuslastiger Musik passen – ebenso wenig wie die anfängliche Ansprache vom Universal-Chef, der das Konzert mit den Worten ankündigt, man sei der Meinung, dass der Jazz in Deutschland mehr Aufmerksamkeit brauche. Das Kuriosum, dass man für diesen Zweck einen Brasilianer einladen muss (und sich obendrein das amerikanische Traditionslabel Verve einverleibt hat), fällt niemandem auf. Andererseits will man sich nun wirklich nicht beschweren, denn wann hat man schon noch einmal die Chance, diese lebende Legende zu sehen!

Und tatsächlich muss man als solche nicht viel mehr machen als einfach dazusitzen und Werkschau zu halten, während man eine handvoll exzellenter Musiker für sich arbeiten lässt. So wird der Gesang von drei stimmgewaltigen Damen übernommen, und auch an einen zusätzlichen Pianisten wurde gedacht. Nach einigen Songs bin ich dann auch reichlich irritiert und wispere Hofcompositeur zu, „Macht der da überhaupt was?“ – „Er spielt halt mit“, kommt es lapidar zurück, und das ist auch schon das Spitzzüngigste, was man heute Abend über Mendes sagen kann. Gut hat er sich gehalten, der frisch rasierte Herr in sommerlich hellem Streifenhemd und dazu passendem eleganten Hut; und es ist von Anfang an klar, dass es hier nicht darum geht, Neues zu kreieren, sondern der Legende zu huldigen. Legende zu sein scheint bequem. Vielleicht ist das eine Perspektive für die Zukunft, nach dem Motto, wenn ich groß bin, möchte ich mal Legende werden! Auch das aktuelle Mendes-Album Celebration betreibt Retrospektive, denn statt neuer Songs feiert es als Doppel-CD fünfzig Mendes’sche Jahre im Musikbusiness mit einer entsprechenden Anzahl an Hits. Darüber kann man sich aber nun wirklich nicht beschweren, denn der im Februar siebzig Jahre alt Gewordene kann immer noch Dinge, für die man jeden dahergelaufenen Musiker am liebsten würgen würde. Girl From Ipanema neues Leben einhauchen, beispielsweise. Doch dann kommt Till Brönner.

Zu diesem Zeitpunkt kann ich noch nicht wissen, dass sich später auch der von mir gern als Hamburger Pseudo-Trancer gescholtene Schiller dazugesellen wird, womit sich meine persönlichen musikalischen Albträume Deutschlands innerhalb nur eines abends materialisieren. Albträume auf hohem Niveau zwar, aber dennoch Albträume. Universal hat da ganze Arbeit geleistet! Schließlich besitze ich nicht ohne Grund nur ein Album von Brönner – und zwar seine erstes – nebst ein oder zwei Scheiben, die er arrangiert, produziert oder mit Swingband orchestriert hat, aber da spielt er wenigstens nicht. Spätestens beim Beatles-Cover Fool On The Hill nervt der Trompeter, der so gern wie Chet Baker wäre, massiv.

Und dann wird mit dem Casino-Royal-Klassiker The Look of Love auch noch zur gefälligen Sektion des Abends übergeleitet, sodass zum ersten Mal Musik und Publikum perfekt zueinander passen. Das freut die Ohrenstöpsel- und Prosecco-Fraktion, ist aber nicht der Grund, weshalb wir gekommen sind. Glücklicherweise hat Mendes aber noch einen ganzen Koffer voller Bossa, Samba, Brasil-Funk und HipHop dabei, den er sukzessive öffnet. Seine alten Hits gibt er dann auch in der 2006 durch Black Eyed Peas-Mastermind will.i.am einer Frischzellenkur unterzogenen Version zum Besten, was den Songs, denen – möchte man Rock&Pop-Chronist Frank Laufenberg folgen – ohnehin eine Tendenz zur Verflachung innewohnt, ohrenscheinlich guttut. Nicht zuletzt erinnert man sich wehmütig daran, dass die Black Eyed Peas vor fünf Jahren auch mal unglaublich cool waren, was man heute ja nun auch nicht mehr so ohne weiteres behaupten kann.

Spätestens beim vom besagten, in Kooperation mit den Black Eyed Peas entstandenen Mendes-Album Timeless entspringenden Yes, Yes Y’all hält Hofcompositeur und mich jedenfalls nichts mehr auf unseren Plätzen – wir kapern eine Bank und rocken, was das Zeug hält, bestaunt von der gaffenden Meute, fotografiert von den gelangweilten Kollegen. Dass Musikwissenschaftler Party machen können, weiß mittlerweile auch unsere leidgeprüfte Bundeskanzlerin, deren Privatwohnung an das Institut angrenzt und die nicht wenige Male von nach-mitternächtlichem Rocken erschüttert worden sein dürfte. Schließlich steht immer irgendwo ein Klavier herum, und irgendjemand aht garantiert immer ein MacBook dabei, auf dem er seine neuesten Beats programmiert hat … Augen auf beim Wohnungskauf!

Und natürlich spielt Sergio Mendes dann auch noch Mas Que Nada, das er sich dramaturgisch geschickt bis zur Zugabe aufgehoben hat. Wenn es einen Grund gibt, weshalb Außerirdische die Erde mitsamt ihren Bewohnern nicht auslöschen sollten, dann diesen Song. Ich bin sehr glücklich.

Daran ändert auch das verstörende Zwei-Klassen-Sozialgefüge auf dem Konzert nichts, das sich in Grünbänderträger und Inhaber des begehrten orange-farbenen Bänzels spaltet. Allein beim Weg durch die Menge wird das klar. Ich mag es nicht, wie mir andere Orange-Badge-Holder verschwörerisch zuplinkern, als hätten wir etwas gemein. Dabei hat sich der Sponsor PCC alle erdenkliche Mühe gegeben, und es ist kein Wunder, dass Leute, die sich öfter bei solchen Events herumtreiben, sehr schnell degenerieren. Alles wird einem abgenommen: Hier geht es lang, dort gibt es Getränke. Selbst denken muss man nicht mehr. Auch das ist für das kritische Berliner Publikum in höchsten Maße unüblich, das eher seinen guten Stil und seine Manieren, aber nie Gehirn und Schnauze an der Garderobe abgeben würde.


Die schöne Frau ist eine der Hostessen. Das Gestreifte links im Bild bin ich.

Jedenfalls werden wir ohne großes eigenes Zutun nach der Show ins wenige Schritte entfernt gelegene 40 Seconds gelotst, wo noch ein Fototermin auf uns wartet. Hier begegnet uns der Universal-Chef wieder, dessen Schützling vor der friedlich gefütterten Journalistenschar PCCs großzügige Spende in Höhe von zehntausend Euro für die Stiftung „Musik Hilft“ entgegennimmt, dem laut Eigenaussager „zentralen branchenübergreifenden sozialen und karitativen Engagement der deutschen Musikindustrie“. Hier engagiert man sich für die Musiktherapie von Traumatisierten, Verletzten und Kranken, getreu der Grundidee, dass Musik helfen kann, neue Kraft zu schöpfen und Zugang zur verletzten Seele zu bieten. Mehr Informationen gibt es hier.

Und auch für uns hält PCC noch ein kleines Giveaway bereit: ein in einer handlichen Kugel verpacktes, zusammenfaltbares Regencape, das nicht nur dem Musikfan beim unvorhersehbaren Wetter der sommerlichen Open-Air-Konzerte gute Dienste leisten wird, sondern auch dem bei jedem Wetter Gassirunden drehenden Kopfhörerhundehalter.

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