Zuviel Appeal – Klangverführer auf Premierenbesuch beim Trio Ohrenschmalz
Eine Kollegin von mir kennt die Geigerin. Die wohnt in einer sehr lustigen WG. Dort gibt es manchmal auch sehr lustige WG-Parties. Bei einer davon gab sie – also die Geigerin, nicht die Kollegin – gemeinsam mit ihren beiden Mitmusikern ein spontanes Wohnzimmerkonzert. Die Kollegin war begeistert und erzählte mir davon. Ich hörte daraufhin auf der Website des Trios mal hinein, war auch begeistert und erzählte Bassplayerman davon. Der hörte rein und war wiederum begeistert … Und so also sitzen wir hier und warten darauf, dass die Premiere von Zu viel Appeal beginnt.
Zu viel Appeal, das ist das neue Programm vom Trio Ohrenschmalz – eines sympathischen Dreiergespanns junger Musikstudenten, genauer: Sänger Julius Hassemer, Geigerin Angelika Feckl und Pianist Stefan Haberfeld, der gleichzeitig als Komponist und Texter des Trios auftritt. Es geht um eine
Frau mit – klar – zuviel Appeal – und zwei um sie buhlende Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten, Besserwisser gegen Schwerenöter. All das im Stil der Zwanziger- und Dreißiger-Jahre, denn dort fühlen sich die drei zu Hause. Und so gehören nicht nur einige der Klassiker jener Zeit in das Repertoire des Trios, wie beispielsweise Friedrich Hollaenders Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre oder Auf Wiederseh’n, leb’ wohl, das vor allem durch die legendäre Abschiedskonzertszene in Vilsmaiers filmischer Verbeugung vor den Comedian Harmonists auch der MTV-Generation ein Begriff ist, sondern auch die Eigenkompositionen Haberfelds, die dem damaligen Stil täuschend echt nachempfunden sind. Schließlich passen die Zwanziger so gut zu den Dreien „wie Zucker zum Kaffee“, weshalb es in Haberfelds programmatischem In den 20ern dann auch heißt:
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Wir drei sind in den Zwanzigern, vom Scheitel bis zum Schuh
wir trinken Absinth und wir tanzen gern und spiel’n Musik dazu
Wir schmalzen und wir swingen, das ist eine Sensation
wir sind die neue Generation Grammophon
Und tatsächlich werden die Zwanziger (oder zumindest das Bild, das man sich heute von ihnen macht) schlagartig lebendig, wenn Stefan Haberfeld in seiner Rolle als hochgebildeter, aber weltfremder Musikprofessor die Bühne betritt und, gleichsam den Conferencier gebend, in die Handlung einführt. Zugegeben, es ist ein schwieriges Genre. Das, was Trio Ohrenschmalz da auf der Bühne veranstalten, wird im allgemeinen als Kabarett, als Kleinkunst – ein schreckliches Wort, denn die Kunst der Leute, die sie betreiben, ist zumeist alles andere als klein – oder gar als Revue nach Art von Max Raabe und seinem Palast Orchester bezeichnet. Und das ist schade, denn diese drei kann auch jeder mit großer Belustigung sehen, der nicht der typische Kabarett-Gänger ist oder Teil der Schellack-Charleston-Bubikopf-Szene à la Bohème Savage (die by the way nahezu vollzählig erschienen ist). Und auch einer bestimmten Altersgruppe muss man nicht angehören, um sich am Trio Ohrenschmalz zu erfreuen: Im Publikum sitzen solche, die die Zwanziger (na gut, sagen wir, die Dreißiger) tatsächlich noch selbst miterlebt haben dürften, friedlich neben solchen, die selbst erst in ihren Zwanzigern sind und sich von diesem sagenumwobenen Jahrzehnt nicht nur angezogen fühlen, sondern versuchen, selbst eine Art Flapper-Lifestyle dort wieder aufleben zu lassen, wo er auch damals blühte und gedieh – in Berlin. Dazwischen ganz normale Kulturhungrige.
Spätestens bei der vierten Nummer des ersten Teils des Abends, Der Männer Eitelkeit, hat Trio Ohrenschmalz auch das heutige Publikum auf seiner Seite. Der Saal brüllt vor Lachen, und nicht wenige Herren dürften sich in dem pointierten Text Haberfelds wieder erkannt haben: Da hat man(n) einfach keine Zeit, weil er von Konferenz zu Meeting zu Termin hetzt, schon längst im Flieger sitzen sollte und ohnehin nicht weiß, wie er das alles schaffen soll – nur dass dies keine Klage, sondern eine Prahlerei ist, für die SIE ihm aufrichtige Bewunderung zollen soll. Auch so manche Dame im Publikum nickt wissend …
Haberfeld, selbst hochvirtuoser Pianist, hat für seine Lieder die perfekte Besetzung gefunden. Noch nie habe ich solch eine weibliche Geige gehört, wie beispielsweise auf Lauter Lügen, die flüstert, schöntut, kokettiert und zickt und launt, dass es eine Freude ist – und das auf technisch höchstem Niveau. Hassemers Gesang ist ohnehin über jegliche Kritik erhaben; zudem ist er ein großartiger Interpret, dem man seine ungeheure Spielfreude anmerkt. Jede einzelne Silbe bekommt hier exakt die Emotionsnuance, die sie verdient. Das beispielsweise vermisse ich an den eher distanzierten Interpretationen Max Raabes, der sich ja demselben Genre verschrieben hat. Julius Hassemer hält selbst im dramatischsten Augenblick ein Augenzwinkern in der Hinterhand – und das, ohne sich dabei von seinem Sujet zu distanzieren. Besonders augen-, nein, ohrenfällig wird dies, wenn man die Interpretationen von Auf Widerseh’n leb wohl von Raabe und Hassemer miteinander vergleicht.
Doch trotz aller in petto gehaltenen Ironie vermag der junge Sänger nicht nur Lachsalven zu provozieren, sondern auch zu Tränen zu rühren. Der greise Herr, der während der Konzertes neben mir sitzt, hat bei Auf Widerseh’n leb wohl echte Tränen in den Augen, die er sich verstohlen abwischt. Ansonsten aber konnte der zweite Teil des Abends nach den ersten vier Liedern – darunter die Premiere von Vergissmeinnicht und, ganz großartig, Mein Mädchen und ich geh’n nach Haus – nicht an den ersten anknüpfen. War der erste Teil in sich rund, die Geschichte stringent und schlüssig, scheinen nach der Pause eher Versatzstücke zu dominieren; und es ist sicherlich nicht hilfreich, dass das Trio auf dem dramatischen Höhepunkt der Story, der einige stille Momente verlangt, gegen die draußen tobende Berlinale-Party ankämpfen muss, die für ungefähr zwanzig Minuten auch im Saal 101 im dritten Stock überdeutlich zu hören ist.
Charmant ist im zweiten Teil allerdings die Präsentation allerlei musikalischer Taschenspielertricks, so zum Beispiel die soeben an Vergiftung verstorbene Bühnenrolle Haberfelds, die aus der Liegeposition heraus weiter am Klavier begleitet (und das erstaunlich gut), oder die zum Mini-Akkordeon wechselnde Feckl, die kurz vorher auf ihrer Violine noch zur großen Ergötzung des Publikums quietschende Bettfedern imitiert. Ansonsten kommt die Geigerin in Zu viel Appeal leider etwas kurz. Klar, das liegt an der Rolle. Sie ist das Objekt, um das die Männer kämpfen. Die Männer agieren, buhlen um sie, produzieren sich – sie ist einfach nur da, und nur selten hat sie eine tragende Rolle in der Story. Sie könnte ebenso gut ein Bild an der Wand sein, denn die Show ist ganz klar auf den Schlagabtausch zwischen Sänger und Pianist ausgerichtet. Die Männer aktiv, die Frau passiv. Den einen oder anderen Moment hätte ich mir gewünscht, wo auch Feckl die Geschichte selbstständig vorantreibt, etwa in einem kurzen Monolog zu Wort kommt oder dergleichen.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Wir jammern hier auf hohen, ja: höchstem Niveau, denn auch dieser zweite Teil ist um Klassen besser als so vieles, was ich in dieser Richtung schon gehört und gesehen habe. Nur hat das Trio Ohrenschmalz mit dem ersten Teil den Maßstab selbst gesetzt. Und der ist nun Mal … ich wiederhole mich hier gern … enorm hoch. Lange habe ich nicht mehr so etwas Intelligentes, Lustiges und Gutgemachtes gesehen. Punkt.
Es macht immer Spaß, wenn Leute etwas können. Wenn sie darüber hinaus noch Humor haben, der auch beim Publikum funktioniert, und sich von mir aus auch erstreckt vom billigen Kalauer, der ob einer guten Pointe nicht ausgelassen werden kann (auffällig dominieren in dieser Dreiergeschichte die Schnwanzvergleichsanspielungen der Herren), bis zum musikalischem Insiderwitz, ist es umso besser. Der Stoßseufzer „Es ist wie G-Dur – ein Kreuz“ fällt wahrscheinlich in beide Kategorien …
Ein hübscher Überraschungseffekt zum großen Finale ist Von Z bis A, eine Art Medley, bei dem alle Songs des Programms noch einmal in umgekehrter Reihenfolge im Schnelldurchlauf anklingen, ganz so, als würde man einen Film zurückspulen. Das Publikum tobt und fordert die Künstler durch anhaltenden Applaus immer wieder heraus. Es gibt zwei Zugaben; die letzte wird trocken kommentiert mit: „Wir sind gerührt – aber vorbereitet!“
Nach der Show ist das Publikum lädiert und zerzaust, das Augen Make-up der Frauen vor Lachtränen verwischt, die Männer verschwitzt und glühend; und mir selbst sind vor Lachen die BH-Häkchen aufgesprungen, ich muss mich erst einmal restaurieren gehen – und bin damit nicht allein, wenn ich mir die Menschentraube vor dem Spiegel der Damentoilette so anschaue. Fazit: Das Trio Ohrenschmalz hat die verdammte Bude gerockt; der Saal mit einer Aufnahmekapazität von 200 Leuten war über-ausverkauft, manche mussten stehen, und das taten sie gern. Wer schlau war, nahm die CD Zuviel Appeal, die auch am selben Tag ihre Premiere feierte, gleich mit.
Ich hätte gedacht, dass diese CD nur funktioniert, wenn man auch die Show gesehen hat. Als nette Reminiszenz, sozusagen, die die gesehenen Bilder wiederbringt. Aber weit gefehlt! Schließlich enthält Zuviel Appeal auch Lieder, die nicht Bestandteil der Show waren und trotzdem ganz wunderbar funktionieren. Zuviel Appeal kann man in der Tat einfach so hören, und es macht Spaß. Großartig finde ich Der x-te Frühling, wo Feckl die ungarische Stehgeigerin raushängen lässt und Hassemer im Refrain immer wieder ins Berlinische Idiom fällt, das in Arm aber sexy vollends ausgeprägt ist und in der Tat richtig sexy klingt! Arm aber sexy ist mein neuer Klarinettenhass – ein Stück, das vom Heimatgenre des Interpreten abweicht und trotzdem oder gerade deshalb umso mehr reinhaut.
Mehr davon? Die CD Zuviel Appeal bekommen Sie im Bauchladen des Trios; live können Sie das Programm noch zu folgenden Terminen erleben: