Anspruch und Wirklichkeit – Lyambiko im Live-Check und in Victoriah’s Music – klangverführer | Musik in Worte fassen

Anspruch und Wirklichkeit – Lyambiko im Live-Check und in Victoriah’s Music

Der Neujahresvorsatz für den Klangblog – neben der Verrentung Kopfhörerhundes, der außer Haus keine offiziellen Termine mehr absolvieren muss, dafür ist er jetzt einfach zu gebrechlich – lautet: weniger Konzerte. Im letzten Jahr hatte ich einfach zu oft das Gefühl von zu viel Musik. Eins im Monat soll es nun werden. Klar, dass das dann ein ganz besonderes sein muss. Im Januar hatten wir Liz Green, im Februar ist es Lyambiko – jene Dame, mit der ich mein erstes Interview für den Klangblog führte. Ich gebe zu: Ich hatte verdammte Angst. Schließlich hatte ich seit meinem allerersten Interview mit siebzehn keine Übung mehr darin, Menschen zu befragen. Und zu diesem allerersten Interview kam ich auch eher wie die Jungfrau zum Kinde. Ich war auf einem Schüleraustausch in Oxford, Mississippi. Dort lebte – oder vielleicht tut er das immer noch – der Schriftsteller John Grisham, der damals gerade mit seinem zweiten Roman „Die Firma“ für Furore sorgte. 1993 muss daqs gewesen sein. Jedenfalls: Die Mitschüler fanden mich alle doof. Und bevor Sie mich jetzt bedauern, kann ich Ihnen versichern, dass das auf herzlicher Gegenseitigkeit beruhte. Aber dann kommt der berühmte Mann, und man schreit nach dem Klassen-Nerd, auch wenn es den Begriff Nerd damals noch nicht gab und ich darüber hinaus nicht weiß, ob er auch für Mädchen zulässig ist. Jedenfalls kriegten es alle mit der Angst und ich war also dran. Das lief auch ziemlich gut und ich weiß nicht, ob ich nicht damals im Hinterkopf beschlossen hatte, Journalistin zu werden.


Rechts vorn im Bild der Autor, ein Buch signierend. Links im Bild: Mein 17-jähriges Ich im roten Pullover und wild gestikulierend. Der rote Pulli und die Gesten sind geblieben. Auch bei John Grisham hat sich nicht viel verändert: Er hat inzwischen gefühlte zwanzig Romane nach ebenjenem Strickmuster veröffentlicht, welches er für seinen Zweitling Die Firma erfand.

Wie dem auch sei. Gute fünfzehn, eher sechzehn Jahre später saß ich dann also Lyambiko gegenüber, und wenn ich mir mein Gestottere auf dem Band anhöre, schäme ich mich bis heute! Was habe ich mich gefürchtet vor der Frau! Aber auch das haben wir irgendwie über die Bühne gebracht, Interviews machen mir keine Angst mehr, und apropos Bühne: Auf einer solchen stand Lyambiko letzten Freitag in der Passionskirche, um ihr aktuelles Album Lyambiko sings Gershwin vorzustellen.

Eine wunderschöne Location für ein Konzert, behaftet allerdings mit dem Manko, dass die Akustik auf der Empore ziemlich schwiemelig ist. Die Ansagen zwischen den Songs sind kaum zu verstehen, und auch der Klang von Instrumenten und Stimme vermischt sich zu einem undurchdringlichen Soundbrei. Die Gegenprobe ist schnell gemacht, unten im Kirchschiff klingt das Ganze bedeutend besser – wobei „besser“ leider nicht „gut“ bedeutet. Ich möchte nicht so weit gehen wie Bassplayerman, der, konfrontiert mit It Ain’t Necessarily So, kurz und bündig feststellt: „Dafür reicht das Stimmchen leider nicht!“, nein, das nicht. Doch tatsächlich ist der Unterschied zwischen Lyambiko auf Platte und Lyambiko auf der Bühne eklatant. Zudem kommt man nicht umhin festzustellen: Liest man das eingangs erwähnte Interview mit dem Live-Erlebnis im Ohr noch einmal, ist die Kluft zwischen formuliertem Anspruch und Wirklichkeit tief. Was wir hier lesen, hören wir an dem Abend definitiv nicht. Lyambiko ist für uns keine Jazz-, sondern eine Popsängerin, die uns solch wunderbaren Songs wie Give It Up oder Inside Outside geschenkt hat – meine beiden ganz persönlichen All-time-Lyambiko-Favorites, die mich jahrelang intensiv begleitet und mir auch durch nicht ganz so schönen Zeiten geholfen haben. Mittlerweile muss ich auch noch Lyambikos Version des Soundgarden-Hits Black Hole Sun dazuzählen. Groß.

Für den Abend in der Passionskirche trifft das nicht zu. Es ist eines der ganz wenigen Konzerte, bei denen ich in der Halbzeit gehe, da die Zeit mit Bassplayerman und einem Bier im Kneipencafé Locus am Marheinekeplatz, wo ich mich übrigens auch mit Maïa Vidal zum Interview getroffen habe, sinnvoller verbracht werden kann. Schade ist das vor allem wegen des Lyambiko-Bassisten Robin Draganic, der als Einziger im Quartett den Eindruck erweckt, wirklich Lust auf das Konzert zu haben und dabei obendrein mehr macht, als er müsste. Allerdings hostet Draganic jeden Mittwoch die legendäre Jam-Session im b-flat, die hier noch einmal ausdrücklich empfohlen sein soll.


Draganic!

Dennoch: Vom Abend bleibt Lyambikos Version von It Ain’t Necessarily So, die mir tagelang im Kopf herumspukt. Die gibt es auch auf dem Album Lyambiko sings Gershwin zu hören, das gänzlich bereinigt von allen Live-Lustlosigkeiten und perfekt produziert eine Ahnung davon gibt, wie das Konzert hätte sein können. Die Besprechung des Albums findet sich wie immer auf fairaudio.de. Besprochen wurden hier neben Lyambiko sings Gershwin die aktuellen Platten Christina Lux, Leonard Cohen, Solveig Slettahjell, Alex Winston, Florian Fleischer, The Stewardesses sowie El Bosso & den Ping Pongs. Viel Spaß!


Alex Winston

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