Spaß dran haben und gucken, was kommt oder: lesen, schnuppern, bestellen, machen, tanzen gehen! Das Duo Scheeselong im Klangverführer-Interview – klangverführer | Musik in Worte fassen

Spaß dran haben und gucken, was kommt oder: lesen, schnuppern, bestellen, machen, tanzen gehen! Das Duo Scheeselong im Klangverführer-Interview

Es steckt schon eine ganze Menge von Fräulein Mitzi und Frau Rosenroth, den Figuren, die das Duo Scheeselong in ihrem Programm Rendezvous mit Marlene verkörpert, in Caroline Bungeroth und Valerie Wildemann: die übersprudelnde, begeisterungsfähige junge Sängerin mit Hang zur leichten Muse und die strenge russische Klavierlehrerin, die ihr Herz an Rachmaninow gehängt hat. Feuer und Eis, könnte man meinen, wie sie da vor mir sitzen, die eine blond und wild gelockt, die andere dunkel mit streng zusammen-
gebundenem Haar. Da verwundert es kaum, dass die eine dann auch eher Hunde-, die andere Katzenmensch ist.

Kaum aber setzen wir zum Interview an, merke ich schnell, dass Wildemann ihrer Duo-Partnerin in puncto Temperament und Aufgedrehtheit in nichts nachsteht. Für einen kurzen Augenblick fragen ich mich, ob ich statt des ayurvedischen „Die Sinne schärfen“-Tees nicht eine beruhigende heiße Milch mit Honig hätte servieren sollen. Dann aber werde ich mitgerissen von einem Gespräch, das schriftlich nur unzureichend wiedergegeben werden kann, soviel wie hier gelacht, gegiggelt, gegurrt, geschmeichelt, geflirtet, sich gegenseitig ins Wort gefallen, spontan gesungen, in diversen Akzenten gesprochen und überhaupt durch alle erdenklichen menschlichen Tonlagen jongliert wird – und zwar nicht nur von der Sängerin, sondern auch von der Pianistin. Eigentlich müsste man hier das Band von Interview einstellen! Wenn Sie diese beiden, die nicht nur exzellente Musikerinnen, sondern auch ganz wunderbare Schauspielerinnen sind, live erleben möchten – und das lohnt sich! -, können Sie aber auch zur Berlin-Premiere von Rendezvous mit Marlene am 9. März im Grünen Salon gehen.


Das Duo Scheeselong ganz leger auf der Scheeselong der Autorin …

Klangverführer: Das Programm, durch welches ich euch kennengelernt habe, heißt „Rendezvous mit Marlene“, und ich will jetzt natürlich von euch wissen: Was fasziniert euch so an Marlene Dietrich?

Valerie, deutet auf Caroline: Diese Frage ist für sie!

Caroline: Also Marlene als Schauspielerin und Sängerin – wenn man sie sich vor allem in den Filmen anschaut: die hat drauf, mit ganz wenig Mitteln ganz viel zu machen. In diesen Filmen der zwanziger, dreißiger Jahre, also den Hollywoodfilmen, kommt sie raus, guckt einfach nur und steht einfach nur, geht drei Schritte, guckt einfach nur und steht einfach nur. Und wie sie spielt, wie das wirkt – das ist einfach unglaublich! Das ist das, was mich an dieser Künstlerpersönlichkeit so fasziniert. Auch die Entwicklung dieser Dame ist enorm: Wenn man schaut, wie sie angefangen hat – und dann diese unglaubliche Karriere in der Nachkriegszeit … Ja, das ist die persönliche Faszination!

Es geht also eigentlich eher um ihre Präsenz und nicht so sehr um ihre Lieder?

Caroline: Vom Künstlerischen her, wenn man sich jetzt fragt, inwiefern ist sie mein Idol, also als Vorbild, dann ist es genau das: mit wenig Mitteln viel zu erzeugen. Das ist wirklich eine Kunst.

Valerie: Sie hat ja auch von sich gesagt, „Ich kann nicht singen, also muss das, was ich trage, einfach phänomenal sein“.

Caroline: Und dementsprechend hat sie sich natürlich auch … Also, sie hat es sehr wohl verstanden, das Äußere, die Präsenz, das Dasein, was sie sich antrainiert hat, wirken zu lassen. Und die Idee war zunächst auch, etwas zu machen, was man so von Marlene kennt – ursprünglich war das sogar zum Marlene-Jahr geplant, hat sich dann aber verschoben, weil noch andere Dinge dazwischen kamen –, und jetzt ist natürlich spannend, dass wir uns im Laufe des Programms immer mehr damit befasst und auseinandergesetzt haben – gerade die Rosenroth, die ja immer für diesen Ausgleich im Stück zuständig ist, und es ist spannend zu erleben, dass auch das Leben der Dietrich einfach nicht immer zuckersüß war, dass da viele Schattenseiten sind. Und es passt eben auch sehr gut zu uns zu sagen, dass sie eben nicht nur diese Glamour-Fotos verkörpert, sondern dass sie zum Beispiel auch viel im Krieg erlebt hat oder für ihr Aussehen auch wirklich viel tun musste.

Diese Schattenseiten habt ihr ja auch auf die Bühne gebracht. Valerie, ich glaube, du warst das, die entsprechende Passagen aus der Autobiografie der Dietrich vorgelesen hast …

Valerie: Genau.

… und ihr sagt selbst, dass ihr euch während der Arbeit am Programm immer mehr mit der Persönlichkeit von Marlene auseinandergesetzt habt. Hat sich euer Marlene-Bild während dieses Prozesses verändert?

Beide: Ja, total!

Wirkt sich das auf eure Darstellung aus?

Caroline: Für mich persönlich bedeutet das, dass sie auch ein Mensch ist. Und im Grunde spiegelt das auch uns wider. Du siehst uns jetzt ja auch in normalen Klamotten, und es ist genau wieder diese Verwandlung. Wir waren gestern zum Beispiel auf der Bohème Savage, und es ist diese Verwandlung der Zeit, dieser Schein, und sobald die Leute zur Garderobe gehen, ist dieser Schein weg. Damit kommen wir als Künstler ja auch immer wieder in Berührung: Sobald wir jemandem in unseren Privatklamotten einen Flyer geben, heißt es, „Ach, das sind Sie?!“, man erkennt einen gar nicht wieder, und so ist das mit Marlene auch. Diese Verbindung von Künstler-Sein einerseits und privater Person, andererseits …

Valerie: Und auch dieses Ringen um das eigene Bild, was man von sich selbst kreiert hat und was die Leute auch von einem erwarten.

Caroline: Beziehungsweise das Ringen um das, was man wirklich machen möchte. Das war ja bei ihr auch so, sie ist dann ja auch wirklich hochgestiegen.

Das heißt, sie ist für euch ein Stück mehr … berührbarer geworden?

Beide: Ja, definitiv.

Wenn wir uns jetzt mal von den Filmen abwenden: Was glaubt ihr denn, was an ihren Liedern, die ihr ja in „Rendezvous mit Marlene“ singt und spielt, so modern ist, dass man damit auch heute ohne weiteres noch einen ganzen Abend füllen kann?

Valerie: Die Liebe!

Caroline: Genau, darum geht es ja! Im Grunde sind die Lieder doch total aktuell: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ und „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ …

Valerie: Spannenderweise sind das ja auch genau die Lieder, die geblieben sind! Ihre Kriegslieder zum Beispiel, die werden jetzt ja nicht so häufig gespielt. Das heißt, die Liebe oder dieses Frivole prägt anscheinend mehr …

Caroline: Ja, und eben auch diese andere Frauenrolle, die es da mittlerweile gibt! Dieses Herkömmliche „Jetzt wird geheiratet und man sucht sich jemanden, mit dem man dann das Häuschen baut“, das gibt es zwar auch noch, aber es verschiebt sich mittlerweile zehn Jahre nach hinten, und im Grunde ist Marlene mit der von ihr verkörperten Frauenrolle absolut aktuell! Beziehungsweise auch die Vielfalt davon: Diese frivolen Sachen aus den Zwanzigern, wo diese Sache mit der besten Freundin ins Spiel kommt, dieses Spiel mit dem lesbischen Element, wo man gar nicht genau weiß, ob sie das wirklich hatte oder ob das Inszenierung war … Und dann hat sie, auch geprägt durch den Krieg, durchaus viele kritischen Sachen gesungen, und später dann auch mehrsprachig, französisch, englisch … Auch diese Vielfalt ist modern, wobei wir uns aus ihrem Repertoire auf die Sachen der Zwanziger- und Dreißigerjahre spezialisiert haben.


… und im vollen Kostum als Fräulein Mitzi und Frau Rosenroth

Ihr spielt aber nicht erst seit „Rendezvous mit Marlene“ zusammen, richtig? Ich möchte natürlich wissen, wie ihr euch kennengelernt habt – also die große Kennlerngeschichte – und wie dann die musikalische Zusammenarbeit als Duo Scheeselong entstanden ist.

(Beide brechen in großes Gelächter aus.)

Caroline: Wir haben ja beide an der UDK studiert, sodass man sich zwangsläufig in Kursen begegnete …

Valerie: Theorieunterricht!

Caroline: Um es kurz zu machen: Ich fand sie total blöde und sie fand mich auch total doof …

Valerie: Du konntest immer alles und hast dich immer gemeldet!

Caroline: Echt, ja? Und ich dachte immer, Mann, ist die überkandidelt! Kann die nicht mal runterkommen? Wie anstrengend!

Valerie: Und das gerade von dir!

Caroline: Also, wir fanden uns nicht so wirklich sympathisch. Dann haben wir uns aber beide für ein Auslandssemester in Spanien angemeldet. Das war ein Erasmus-Programm, an dem drei von der UDK teilnehmen durften. Und ich guck so auf die Liste und sehe, oh Mensch, blöd, Valerie ist auch dabei. Naja, wir müssen ja nicht nur miteinander abhängen, die Dritte im Bunde ist ja ganz sympathisch, das wird schon irgendwie werden. Wir sind dann also nach Spanien gefahren, und irgendwann haben wir begonnen, dort Musik zu machen. Die Dritte war eine zweite Sängerin, und als wir im Marketing-Kurs die Aufgabe hatten, Konzerte zu vermarkten, dachte ich mir, naja, machen wir jetzt eben deutsche Duette durch alle Jahrhunderte. Ich habe die beiden anderen Mädels gefragt und dachte vorher noch, mit Viola wird’s schon gut werden, mit Valerie – naja, mal gucken … Und so haben wir in Spanien zu dritt angefangen, gemeinsam Musik zu machen. Als wir dann wieder zurück waren, ist die zweite Sängerin ihre eigenen Wege gegangen, doch bei uns beiden hatte sich durch Spanien mittlerweile so eine schöne Freundschaft entwickelt, dass wir dachten, jetzt machen wir doch weiter …

Valerie: „Es fühlt sich doch so gut an!“ Denn tatsächlich war es wie Therapie, für die beiden Sängerinnen Klavier zu spielen, das tat so gut! Und wir sind dann so darin aufgegangen, dass wir uns gesagt haben, wenn wir zurückkommen, möchten wir auf jeden Fall weiter machen! Leider ist eine dann abgesprungen … Aber es war ja auch alles nur Klassik, was wir da gemacht haben …

Caroline: Ich glaube, dass hängt auch damit zusammen … Also, zum einen verstehen wir uns sehr gut, sind auch privat gut befreundet, zum anderen aber damit, dass das Repertoire, das wir machen, auch eine gewisse Vielseitigkeit hat, die uns beide sehr reizt. Auch dieser hohe kabarettistische Wortwitz – man muss schon sehr viel spielen im Sinne von schauspielern, um das entsprechend zu illustrieren. Ich hatte das im Studium, Valerie hat Impro-Theater gemacht – uns liegt diese Spielerische irgendwie im Blut. Und dann liegt es auch ziemlich nahe, sich damit auch gemeinsam auseinanderzusetzen.

Valerie: Wir hatten ja zu dritt versucht, das mal weiterzumachen, und dann meinte Caroline, dass die Zwanziger ganz gut wären, und dann haben wir das mit einer anderen Sängerin probiert – das ging überhaupt nicht! Die wollte nur dasitzen und spielen!

Caroline: Und dann haben wir uns eben zusammengetan und angefangen, herumzubasteln – und das hat sich dann zu dem, was es jetzt ist, zu diesen Rollen, entwickelt. Das hat gepasst wie der richtige Schuh – und so fühlt es sich auch an. Jetzt ist es das Richtige. Daran haben wir ziemlich lange gebastelt und geguckt, was da so kommt, aus uns.

Ziemlich lange … was heißt das konkret?

Caroline: 2009 hatten wir das erste Erlebnis, wo wir gesagt haben, na, mal gucken, das könnte was werden. Mein Vater wurde sechzig, und ich sagte, Mensch komm, Valerie, wollen wir nicht ein bisschen Musik machen? Na gut, das ist jetzt in drei Wochen, los komm, hier halbe Stunde Programm … Und Valerie meinte, naja, ich kann dir aber nichts versprechen … (lachen) Und das war, glaube ich, auch der Grund, weshalb das so gut anlief: Wir haben Spaß daran und wir gucken, was kommt. Und dann haben wir uns mit der Literatur auseinandergesetzt, und da war ein Superstück nach dem anderen, und wir waren wie „Oh ja, das nehmen wir noch, und das nehmen wir noch, oh Mann, das ist ja total super“, und tatsächlich gibt es ja einen Riesen-Pool an diesen Stücken … Und es ist ja heute noch so, dass man eine ganze Liste im Hinterkopf hat, wo man denkt, das nächste Programm ist auf jeden Fall schon mal gebongt! Im Grunde könnte man … also, wenn man auf so viele Stücke Lust hat …

Valerie: … auch thematisch! Man könnte zu so vielen Themen ein ganzes Programm machen und die Stücke stünden schon zur Verfügung!

Mit der Literatur auseinandergesetzt heißt, dass ihr von dem Notentext ausgeht, oder dass ihr euch tatsächlich auch mit Sekundärliteratur beschäftigt habt?

Caroline: Naja, es ist ja so: Diese Zeit oder diese Musik, wie es ja immer ist, aber hier ganz besonders, spiegelt ein bestimmtes Lebensgefühl wider, die schmeckt das so – zum Beispiel diese Feierlust! Das ist nur ein Aspekt, aber den merkt man bei dieser Literatur, also bei Büchern, die in dieser Zeit geschrieben wurden. Wir haben uns auch ohne Ende Filme angeguckt, einfach auch für die Figurenarbeit: Was wurde gemacht, was wurde getanzt, was wurde getragen, was für eine Frisur, welches Make-up, welche Kleider – einfach lesen, schnuppern, bestellen, machen, tanzen gehen!

Valerie: Ganz wichtig waren aber auch Seminare. Wir hatten ein musikwissenschaftliches Seminar …

Caroline: Ganz ungewöhnlich! Denn sonst waren die eher spröde und hatten Brahms im Vergleich zu Wagner oder so etwas zum Inhalt! Und plötzlich war es so … wie hieß das doch gleich?

Valerie: „Es liegt in der Luft was Idiotisches“!

Caroline: Genau: Es liegt in der Luft was Idiotisches. Das ist auch das erste Lied von unserem Programm. Und dieses Seminar war total super, da ging es um Kabarett, Operette und Revue hier in Berlin. Das war auch noch einmal so ein weiterer Baustein.

Valerie: Eine Art theoretischer Hintergrund aus der musikwissenschaftlichen Richtung. Man hat sich da mit der Musik auseinandergesetzt und ihren Hintergründen, aber natürlich auch mit den Persönlichkeiten der Interpreten – und eigentlich fing da schon die Auseinandersetzung mit Marlene an, wenn auch auf einem anderen Level. Fräulein Mitzi, die Figur von Caroline, war dann auch relativ schnell fertig. Bei mir war das dadurch, dass ich keine Sängerin bin, schwieriger. An Frau Rosenroth habe ich auch lange basteln müssen, wir haben sie immer wieder umgemodelt, sie fühlte sich noch nicht gut an … Ich habe mich in dem Zusammenhang dann mehr mit der Zeit als mit Figuren beschäftigt, habe gesammelt und sogar eine ganze voll plakatierte Wand zu meiner Inspirationswand erklärt. Da Carolines Rolle so überkandidelt war, habe ich nach eher strengeren Frauen gesucht, und zwar gar nicht so aus dem künstlerischen Bereich, sondern aus dem alltäglichen Dasein. Das Lustige ist ja, dass der zündende Funke gar nicht so die damalige Zeit an sich war, sondern das Autobiografische: der russische Akzent. Und die Leute lieben das! Wir haben viel Impro gemacht, und plötzlich kam das so, und das war es dann! Und in den Zwanzigerjahren gab es ja diese russisch-jüdische Immigration, Exil und Wieder-da-Sein, und das ist ja auch irgendwo meine Geschichte, dieses Woanders-Geborensein, Wieder-Zurückkommen, mit zwei Sprachen und Kulturen auseinandersetzen: Das ist für mich die Widerspiegelung der Zeit auf einer autobiografischen Ebene. Meine Familie sind Spätaussiedler, ich bin in der ehemaligen Sowjetunion geboren, meine Mutter ist Russin und eigentlich ist meine Muttersprache russisch. Mein Vater sprach zwar noch deutsch, aber wir haben zu Hause nie deutsch gesprochen, das musste ich mit zwölf hier neu lernen – und meine Mutter auch. Für die Rolle der Frau Rosenroth musste ich – (verfällt in den russischen Akzent) – sprechen wie meine Mutter und plötzlich ist die Figur da: Isssst russischä Sääle.

Caroline: Und das ist auch dieser kabarettistisch-komische Effekt! Auch wenn Rosenroth ernste Themen besprechen oder böse sein will, ist sie das nicht, weil der Akzent einfach so etwas Charmantes hat. Und dieser Charakter in Verbindung mit der sehr überschäumenden Mitzi – da fallen uns immer wieder kabarettistische Dinge ein, die man da wunderbar bringen kann!


Immer in Bewegung: Caroline Bungeroth.

Apropos Akzent: Mit dem Namen Duo Scheeselong greift ihr ja auch direkt eine sprachliche Referenz auf das Berlin der damaligen Zeit auf – ich glaube, meine eigene Großmutter hat zu ihrem Ruhemöbel noch Scheeselong gesagt. Ist dieser Namen generell als Omen für eure Musik zu verstehen, also, dass ihr euch ausschließlich mit den Liedern der Zwanziger- und Dreißiger-Jahre beschäftigt und dass wir auch in Zukunft von euch eher kein Programm mit, sagen wir, zeitgenössischer Popmusik erwarten dürfen?

Caroline: Ja. Zwanzigerjahre, berlinerisch. Deswegen auch Scheeselong und nicht Chaiselongue. Zur der Zeit hatte hier halt jeder dieses Ding rumstehen, die Scheeselong.

Valerie: Und es hat ja irgendwo auch etwas Frivoles … Auf der anderen Seite aber auch etwas ganz Alltägliches. Aber auch, aus der heutigen Sicht, etwas, das wieder schick oder antiquarisch wertvoll ist, also etwas Besonderes. Und auf der Scheeselong liegt eben die entsprechende Frau drauf … oder auch zwei …

Caroline: Nämlich wir! (lacht) Und tatsächlich ist es so, dass wir aus dem heutigen Pop-Bereich .. Eher keine Inspiration schöpfen. Wobei ich zugegebenermaßen mal ein großer Madonna-Fan war.

Der Name spiegelt also all das, was ihr mit eurer Musik vereinen wollt, egal, welche Programme da noch kommen. In dem aktuellen Programm aber gibt es mit „Neulich im Neandertal“ auch eine Eigenkomposition. Ist das etwas, was wir in Zukunft öfter von euch hören werden, Eigenkompositionen im Stile der Zwanzigerjahre?

Caroline: Absolut, ja. Ich habe da ja Blut geleckt, im Dezember im Heimathafen, das war das erste Austesten einer Eigenkomposition vor Publikum. Und die Resonanz hat mich sehr gefreut und inspiriert – ich bin also fleißig dabei!

Ich jedenfalls habe mich bei „Neulich im Neandertal“ köstlich amüsiert!

Caroline: Das neue Lied, an dem ich jetzt gerade dran bin, gefällt mir auch. Ich muss sagen, ich habe jetzt schon einen Ohrwurm davon – ich erwische mich, dass ich es vor mich hinträllere!

Valerie (mit theatralisch exaltierter Stimme): Du bist in eine neue Schaffensperiode eingetreten!

(großes Gelächter)

Das Neandertal hat mir noch einen wochenlangen Ohrwurm beschert …

Caroline: Sehr gut! Und das Neue wird noch ohrwurmartiger …

Da muss ich gleich eine für später geplante Frage vorziehen. Wenn ihr sagt, ihr schreibt eigen Sachen, Ohrwürmer – ist da etwas in Richtung CD-Produktion geplant?

Caroline: Langfristig ja. Nur stehen jetzt erst einmal so viele andere Dinge an. Eine CD ist letzten Endes unvermeidlich und ist auch irgendwann dran – aber nicht in allernächster Zukunft.

Valerie: Das ganze Jahr ist schon so voll mit Plänen! Erst einmal haben wir das Debüt-Programm beim Kurt-Weill-Festival nächste Woche, wo schon eine gute Resonanz da ist. Die Leute da wollen sogar so eine Art Coming-Home-Story machen, weil Caroline ursprünglich ja aus Dessau kommt. Dann die große Berlin-Premiere am 9. März im Grünen Salon mit anschließender Swing-Party – wir sind gerade dabei, die Achse zum Tanz verstärkt aufzubauen und in Richtung Tanztee zu arbeiten, aber mehr wollen wir hier noch nicht verraten!


Das Bild, das Valerie Wildemann da bewundert, stammt von ihrer mittlerweile ebenfalls in Deutschland lebenden Landsmännin Ekaterina Moré und heißt Frau mit Zigarette auf grauem Grund

Soviel also zu den Plänen des Duos Scheeselong. Was treibt ihr aber musikalisch, wenn ihr nicht als Duo unterwegs seid?

Caroline: Musikalisch? Also, nicht nur nicht als Duo – es kommt vor, dass wir nach einer Party, wenn wir schon so richtig abgedanced haben, uns noch einmal hinsetzen und klassische Mendelssohn-Lieder vom Blatt spielen. Es ist gar nicht so, dass wir immer in diesem Zwanzigerjahre-Stil unterwegs sind. Gerade Valerie macht viel Klassik …

Valerie: Ja, das wird ja auch im Programm schon angedeutet. Sowohl sängerisch als auch pianistisch, also einfach künstlerisch, kommt man weiter, wenn man an der Klassik dran bleibt.

Das heißt, ihr gebt auch Klassik-Abende?

Valerie: Nein, nicht öffentlich. Das ist eine ganz bewusste Entscheidung, um uns als Duo Scheeselong da abzugrenzen. Klassik ist aber der Grundstock unserer internen Weiterbildung, es übt einfach das Handwerk. Und die Klassik wird auch auf jeden Fall bleiben, schließlich kommen wir von dort!

Caroline: Ansonsten leben wir unsere Begeisterung für Musik auch gern tänzerisch aus. Für richtige musikalische Einzelprojekte bleibt momentan aber keine Zeit. Wir haben zwar noch ein anderes Projekt mit Operetten-Duetten, aber da ist Valerie auch mit dabei … Eine von diesen Operetten haben wir ja auch im Marlene-Programm, und da wird das halt noch ausgeweitet.

Valerie: Es gibt noch so viel, was uns begeistert! Wir sind zum Beispiel totale Georg-Kreisler-Fans, und es stand schon fast an, mal einen Georg-Kreisler-Abend zu machen, wobei jetzt einfach andere Dinge dazwischen gekommen sind, die anstanden und angefragt wurden. Das ist eine Sache, die nicht aus den Zwanzigern kommt, die aber einfach von der Idee sehr textlastig im positiven Sinne, mit sehr viel Wortwitz, uns entgegenkommt. Es ergänzt sich so schön!

Caroline: Genau, diese Schärfe bietet einen sehr schönen Gegensatz. Und das sind eben auch Chansons, wo wir sagen, wenn es jetzt nicht in den Zwanzigern bleibt, sondern in Richtung Chanson geht, wenn die gut sind, dann sind wir auch schnell dafür zu haben! Wir haben schon überlegt, ein ganzes Kreisler-Programm zu machen …

Ich sehe, ihr habt mehr Ideen als Zeit, und wenn ihr musikalisch unterwegs seid, dann immer zu zweit. Da gibt es keine Soloklavierabende …

Valerie: Nein, nur intern, nicht öffentlich.

Caroline: Als die Phase des Anlaufens war, hatten wir auch noch viele Sachen getrennt gemacht, haben dann aber, weil wir gemerkt haben, es ist so viel bei uns da, ziemlich viele Sachen geschmissen. Wir haben gesagt, wir konzentrieren uns jetzt auf das, wo wir merken, das gibt uns selber so viel, das macht uns so viel Spaß, da stimmen einfach so viele Faktoren in der Zusammenarbeit … Das ist gar nicht so einfach, da jemanden zu finden! Zwei Frauen, das ist immer schwierig. Das hat so ein …

Valerie: Reizpotenzial.

Caroline: Das Wort hab‘ ich gesucht! Kann es haben. Aber bei uns funktioniert es sehr gut.

Obwohl ihr auch noch privat befreundet seid …

Oder vielleicht gerade deshalb. Wir sagen uns, dass es drei Dinge gibt, die sehr wichtig sind. Das Eine: Auf der Bühne muss es funktionieren. Das andere: Das Organisatorische muss funktionieren. Und dann muss man sich auch irgendwie leiden können. Salopp gesagt. Und diese drei Dinge haben sich sehr gut bewährt bei uns und auch als sehr inspirierend und befruchtend in jeglicher Hinsicht erwiesen. Das funktioniert wirklich mit ganz wenigen, und aufgrund dessen haben wir die ganzen anderen Geschichten, die wir parallel aufgebaut hatten, bewusst gestrichen.

Allerdings unterrichten wir beide auch noch parallel, das ist uns auch sehr wichtig. Und zwar, aus den unterschiedlichsten Gründen. Zum einen, um ein bisschen Regelmäßigkeit zu haben und das normale Leben leben zu können und nicht nur dieses abgehobene Künstlerleben. Man kommt dahin, und es ist schön, einfach mal auch nicht als Künstler wahrgenommen zu werden. Ich weiß, dies sind die Zeiten, man kommt dahin, und das ist jede einzelne Woche so.

Wir unterrichten freiberuflich, und das soll auch so bleiben, weil wir diesen Ausgleich einfach sehr schätzen. Unser Repertoire plus das Kabarettistische plus unsere Bühnenfiguren sind einfach so aufgedreht, das man diesen Ausgleich gerne hat. Außerdem ist es so, dass ich gerne etwas weiter gebe.

Es ist ja auch ein Geben und Nehmen, nicht?

Ja, man hat da einige junge Menschen, denen man in der Entwicklung so ein bisschen hilft, und das Ziel ist, dass sie mitkriegen, ey Mensch, Musik ist was Tolles, das möchte ich gern in meinem Leben haben! Auch wenn unsere Schüler zu unseren Konzerten kommen und völlig begeistert sind und sagen, das will ich aber auch, ist das etwas sehr Schönes.

Das Pädagogische soll aber nicht unser Schwerpunkt sein. Von der Zeit her, die man investiert, von der Energie und von der Einstellung … und von der Intensität des Sich-damit-Beschäftigens … ist das Duo Scheeselong auf jeden Fall das Präsenteste von allem, was wir machen.

Und Unterrichten als eine Art Erdung.

Genau.

Und vermutlich natürlich auch, um die Miete bezahlen zu können …

Zumindest, dass man nicht den Stress hat, jetzt alles machen zu müssen, was man angeboten bekommt. Wir können durch das Unterrichten machen was wir machen, und das machen wir mit Leidenschaft. Ich denke, das kommt dann auch rüber. Wenn man dagegen Dinge macht, die man muss, aber eigentlich nicht möchte, das ist für das künstlerische Selbst einfach nicht gut!

Ihr gönnt euch also den Luxus, unliebsame Angebote auch durchaus abzulehnen.

Ja, und das machen wir auch konsequent. Was uns wichtig ist, und weshalb wir unter anderem auch so gern unterrichten: Dass das kein Selbstläufer wird und kein Muss. Das Duo-Projekt hat sich ja daraus entwickelt, dass wir gesagt haben, es tut so gut! Wir haben so viel Spaß dabei! Es fühlt sich nicht wie Arbeit an! Wir kennen aber auch leider sehr viele Kollegen, die wirklich viel spielen, und wo wir einfach sehen, diese Begeisterung dafür und dieses Wohltuende kann einfach nicht mehr gegeben sein. Das nutzt sich so ab, die Lust geht verloren. Das ist für die Leute total doof, die auf der Bühne stehen – aber auch für das Publikum total bescheuert! Da hat man mehr davon, ein Bier trinken zu gehen, als jemandem zuzugucken, der kein Bock hat, das zu tun. Es ist ja gerade im Kleinkunstbereich so, dass man irgendwann einfach mal unheimlich viel unterwegs sein muss. Und deshalb sagen wir auch, wir wollen lieber gut geplante, ausgewählte und gut vorbereitete Konzerte machen, wo dann einfach alles stimmt: Wo unsere Stimmung stimmt, wo wir darauf Lust haben und uns darauf freuen, wo wir lieber die Energien investieren, dass die Bedingungen stimmen und das eben alles da ist, was wir brauchen, sodass wir daraus dann auch Energie schöpfen können.

Wo ihr eure Auftritte so handverlesen auswählt – kann man euch überhaupt privat buchen?

Ja, das machen wir meistens sehr gern. Natürlich ist auch hier der Vorteil: Man muss nicht alles machen.

Habt ihr für solche Anlässe ein angepasstes Programm, was dann beispielsweise auch kürzer ist?

Wir haben unterschiedliche Programme zusammengestellt, die unterschiedliche Sparten bedienen. Das letzte Programm, welches wir für das Gourmet Festival Sylt aufgebaut haben, ist zum Beispiel ein Menü-Programm, wo wir quasi verbunden mit einem Essen und dem kulinarischen Genuss der Zwanzigerjahre zwischen den Gängen ein entsprechendes Programm servieren. Das ist dann natürlich auch kürzer und anders aufgebaut, aber unsere Charaktere bleiben erhalten. Wir sind auch weiter Fräulein Mitzi und Frau Rosenroth, aber eben entsprechend des Anlasses gekürzt. Trotzdem sind wir auch da das Duo Scheeselong.

Es ist eigentlich nie so, dass wir nur auf unser Äußeres und unsere Stimme bzw. unser Instrument reduziert werden – wir spielen immer, und das Schauspielerische ist auch das, was uns wichtig ist.


Eigentlich ist das ja Kopfhörerhunds Scheeselong. Der wird spontan geherzt …

Ich muss mich an dieser Stelle schon einmal für das schöne Gespräch bedanken, denn mit meinen musikalischen Fragen bin ich dann durch. Wie ich euch aber schon angekündigt habe, schließen Interviews für den Klangblog generell mit einer (Kopfhörerhunde-)frage. Ich habe im Vorfeld ein bisschen recherchiert, und der einzige Bezug zwischen Marlene Dietrich und Hunden, den ich gefunden habe, war, dass Remarque ihr in ihrem Briefwechsel immer von seinen Hunden vorschwärmte. Dabei hätte ich der Diva eigentlich so einen kleinen Handtaschenhund zugetraut! Wie ist das mit euch, habt ihr einen Bezug zu Hunden oder haltet ihr es eher wie die Dietrich?

Caroline: Also, Valerie ist ein Katzenmensch. Die hasst Hunde

Valerie: So steht es zumindest auf unserer Website. Das stimmt nicht ganz – man muss ja immer ein bisschen übertreiben! Aber ich habe eine Katze und bin ein Katzenliebhaber. Es ist zwar eine ganz normale, vollkommen unspektakuläre Hauskatze, aber sehr temperamentvoll, wo ich das Gefühl habe: das hat sie von mir geerbt! Es ist ein Kater, und er hat auch Spitznamen wie „Düsenjäger“ und ähnliches … Er ist wirklich sehr temperamentvoll!

Caroline: Allerdings! Ich habe leider keinen Hund, aber ich bin eher ein Hundemensch als ein Katzenmensch.

Was ja dann auch wieder eure Rollen spiegelt …


… und trägt es mit Fassung.

Die Eintrittskarte zur Berlin-Premiere von „Rendezvous mit Marlene“ am 9. März 2012 im Grünen Salon gilt gleichzeitig auch als Entréebillet für die anschließende Swing-Dance-Party mit DJane Swingin‘ Swanee – es soll, anlässlich des Frauentages am Vortag, ein richtiger „Frauen-Retro-Abend“ werden. Sie können kein Swing tanzen? Kein Problem! Die Crew von der Tanzschule Swing Patrol sorgt für eine Tanzeinführung. Holen Sie also Ihre Flapper Dresses aus dem Schrank oder kommen Sie im Garconne-Stil – aber kommen Sie, und zwar zahlreich!

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